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Racheengel

Die drei Männer arbeiteten schwitzend und fluchend in der untergehenden Sonne. Sie goss ihr rotes Licht über den alten, halb verfallenen Bauernhof. In einer Scheune gähnte ein großes Loch, wo einmal das Tor war. Es sah aus, wie der Eingang zur Hölle.
Etwa in der Mitte des Hofes parkte ein großer Viehtransporter. Einer der Männer, ein wahrer Riese in Shorts und Netzhemd, entriegelte gerade die Laderampe. Er fluchte, weil er sich die Hand am heissen Metall verbrannte.
„Scheiß Job!“
„Wird aber verdammt gut bezahlt.“, ertönte die Stimme vom Fahrer des Transporters. Er eilte nach hinten, um seinem Kollegen zu helfen. Er hätte glatt als Beamter durchgehen können, mit den spärlichen, blonden Haaren und der Brille. Nur die kalten Augen passten nicht dazu. Trotz der sommerlichen Hitze trug er einen Anzug.
„Das will ich auch hoffen, Marko.“, knurrte der Riese. Gemeinsam ließen sie die schwere Rampe hinunter. Ein fürchterlicher Gestank schlug ihnen wie eine Wolke entgegen.
„Puuh, das hält ja kein Schwein aus.“, stöhnte der Riese. Marko lachte.
„Na, Karl, du riechst auch nicht besser, glaub mir!“ Dafür kassierte er einen Stoss, der ihn fast zu Boden schickte.
„Werd nicht frech, du Winzling! Wo ist denn Sven? Der soll hier mal mithelfen.“
Sven war der dritte der Mannschaft, die den Transporter begleitete. Da tauchte er auch schon auf. Er strich sich das halblange, schwarze Haar aus der schweissfeuchten Stirn. Wegen seines südländischen Aussehens, nannten ihn seine Freunde auch den Italiener.
„Hatte Schwierigkeiten, mit denen da draussen.“ Er deutete mit dem Daumen auf die Gruppe, die sich jenseits des verschlossenen Eingangstor versammelt hatte. Menschen schwenkten dort Schilder und Transparente mit der Aufschrift „Keine Schlachttransporte mehr!“
„Ach, die Animal’s Angels schon wieder? Sind zu wenige, die werden uns keinen Ärger machen.“, brummte Karl. „Hast du alles vorbereitet, die Biester müssen raus.“
Sven nickte, dabei schweifte sein Blick gleichgültig über die etwa zwölf Pferde, die dicht zusammengepfercht auf der Ladefläche standen. Eisenstangen sicherten den Übergang auf die Rampe. An die Stangen gepresst, standen zwei Stuten, die eine braun, die andere fuchsfarben, mit ihren Fohlen. Zitternd drängten sich die Fohlen an ihre Mütter, die Augen weit aufgerissen.
Sven kontrollierte die provisorische Absperrung aus Drahtzaun, die einen Laufgang zum Stall hinüber bildete.
„O.k, ihr könnt anfangen!“, rief er und lief zum Eingang des Stalles hinüber, wo die Tiere die Nacht über untergebracht wurden.
Marko holte den Viehschocker heraus. Karl dagegen verließ sich lieber auf seinen Schlagstock. Sie stiegen auf die Rampe und lösten die Eisenstangen aus den Halterungen.
„Los jetzt, ihr faulen Biester!“, brüllte Karl. Hart schlug er mit dem Stock auf die beiden Stuten ein. Die Fuchsstute raste panisch die Laderampe hinunter, wäre fast noch gestürzt, und erreichte den Eingang zum Stall, das Fohlen dicht hinter sich. Sven trieb sie in eine Box und verriegelte sie. ihre Artgenossin dagegen drehte noch auf der Rampe um und versuchte wieder in den Transporter zu kommen, da ihr Fohlen nicht mitlief.
„Blödes Vieh!“, fluchte Marko laut und versuchte sie wieder rauszutreiben. Karl wollte ihm helfen und versetzte dem Fohlen einen Schlag, damit es vorwärts lief. Nur um Haaresbreite verfehlten ihn die Hinterhufe der Stute, die ihr Fohlen in Gefahr sah.
Er geriet in Rage und prügelte die Stute, traf auch ihre Beine, sodass sie stürzte. Er jagte sie wieder hoch.
„Verdammtes Biest! Dich mach ich platt!“
„Hör mit den Spielchen auf, Karl, sonst werden wie ja nie fertig!“, schrie Marko ihn an.
Karl warf noch einen wütenden Blick auf die Stute, die jetzt ihrer Gefährtin nach trabte. Sven sperrte auch sie ein und rief:
„O.K, die nächste Gruppe! Und beeilt euch mal ein bisschen! Wenn ihr in dem Tempo weiter macht, stehen wir um Mitternacht noch hier!“
Wieder stiegen Karl und Marko auf die Ladefläche. Urin und der Kot von zwölf Pferden hatten den Boden in eine stinkende, rutschige Fläche verwandelt. Im hinteren Teil stand eine Gruppe Ponys zusammen mit ein paar grösseren Pferden. Die Männer trennten die Ponys von den Übrigen und trieben sie ebenfalls in den Laufgang. Sie wehrten sich nicht, zu erschöpft waren sie von durst und Hunger. Einige waren gezeichnet von Schlägen, Striemen zogen sich über das stumpfe Fell, und in den offenen Wunden schwärmten die Fliegen.
Kaum war diese Gruppe im Stall verschwunden, sortierten Karl und Marko die Nächsten aus.
„Sieh Dir mal den da an, der macht es nicht mehr lange.“, deutete Karl auf eines der Tiere. Das schwarze Pferd hielt sich nur noch mühsam auf drei Beinen. Das rechte Vorderbein sah übel aus. Eine klaffende Wunde hatte sich entzündet. Das gesamte Bein sah eher aus wie der Fuss eines Elefanten, so angeschwollen war es. Marko musterte das abgemagerte Tier.
„Bis morgen Abend muss er noch am Leben bleiben, sonst kriegen wir das vom Lohn abgezogen denk dran.“, mahnte er Karl. „Den schaffen wir als Letztes raus, erst die anderen.“
Nachdem auch diese Pferde weg waren, kümmerten sie sich um das verletzte Pferd.
„Los du Klepper! Beweg dich!“, brüllte Karl und schwenkte wild die Arme. Der Rappe warf den Kopf hoch und wieherte. Er taumelte über den rutschigen Boden, verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer.
„Was treibt ihr denn so lange!?“, brüllte Sven vom Stall rüber.
„Komm halt her und hilf uns, das Vieh hier wieder auf die Beine zu bringen!“, schrie Marko erbost zurück. Sven rollte genervt mit den Augen, rannte aber dann zum Transporter rüber. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung war und stutzte. Da stand ein Mädchen! Wo zum Teufel kam denn die auf einmal her? Er musterte sie neugierig. Sah aus wie ein Engel, dachte er. Die blonden, langen Haare. Blaue Augen. Noch nie hatte er solche Augen gesehen. Sie fesselten ihn, und strahlten etwas aus, was ihm Angst machte. Er schätzte die Kleine auf höchstens vierzehn Jahre.
„Was treibst du hier? Wie bist du denn hier hereingekommen?“
Sie gab ihm keine Antwort, sondern beobachtete das gequälte Tier, das sich gerade wieder hoch mühte, mit Stockhieben und Elektroschocks angetrieben. Schwankend, und am ganzen Körper zitternd, stand es endlich wieder.
„Na endlich.“, knurrte Karl, dann entdeckte auch er das Mädchen.
„Hier ist der Zutritt verboten, gehörst wohl zu denen da draussen, oder?“
Das Mädchen gab keine Antwort, er war sich nicht mal sicher, ob sie ihn überhaupt verstanden hatte. Unverwandt blickte sie auf das schwarze Pferd. Fast schien eine Art Verbindung zwischen den beiden zu bestehen.
„Kannst den Klepper ja kaufen, Kleine, wenn er Dir leidtut. Morgen geht er nämlich in die Wurst!“
Karl lachte dreckig. Das Mädchen erwiderte auch darauf nichts, wandte aber seinen Blick vom Pferd weg und richtete ihn auf Karl. Dem wurde plötzlich irgendwie komisch zumute. ihre Augen bannten ihn förmlich. Warum er sich plötzlich bedroht fühlte, konnte er selber nicht sagen. Etwas Merkwürdiges ging von diesen Augen aus. Eine Kraft, der er ausgeliefert war. Unsinn, dachte er. Alles Einbildung. Das kommt von der Hitze.
„Karl, was glotzt du denn so? Lass die Kleine, und hilf mir lieber mit dem Gaul hier. Ich möchte endlich unter die dusche und Feierabend machen!“, kam es von Marko, der immer noch hinter dem verletzten Pferd stand. durch Karl ging ein Ruck, und endlich konnte er sich von dem Blick des Mädchens lösen. Das Pferd stand unterdessen bewegungslos da, den Kopf gesenkt und das verletzte Bein angehoben.
Ohne die Männer zu beachten, trat das Mädchen zu dem Pferd, hob eine Hand und streichelte es sanft am Kopf. Blaue Augen sahen in die braunen, schon getrübten Augen des Rappen. Schliesslich nickte das Mädchen, als hätte es eine Entscheidung getroffen. Es trat ein paar Schritte zurück. „Na endlich. Jetzt hau hier mal schön wieder ab, Süße und lass uns in Ruhe unsere Arbeit machen, klar?“
Sven legte ein Seil um den Hals des Pferdes und zog daran, während Karl und Marco hinten schoben und drückten. Das Tier machte ein paar Schritte und brach erneut zusammen. Karl setzte wieder den Elektroschocker ein, es quälte sich erneut auf die Beine und taumelte weiter. Meter für Meter stolperte es vorwärts, bis es endlich den Stall erreichte.
Es ging durch einen Gang, vorbei an seinen Artgenossen. Unsanfte Hände bugsierten es in eine dunkle Box. Der Boden war bedeckt mit feuchtem schimmeligen Stroh, in einer Ecke stand ein Eimer mit abgestandenem Wasser.
Völlig erschöpft sackte das Tier zusammen, und blieb zitternd, mit bebenden Flanken liegen. Marko verriegelte die Tür.
„Der verreckt doch heute Nacht noch.“
„Hoffentlich nicht, ich schau später noch mal nach dem Vieh. Wir haben doch noch was von der Höllenspritze, oder?“, fragte Karl.
„Na, ob die bei dem Vieh noch was hilft …“, brummte Marko. Die Höllenspritze enthielt ein Medikament, um den Kreislauf angeschlagener Tiere wieder aufzuputschen.
„Wahrscheinlich ist das Bein gebrochen.“, sagte Sven.
„Hauptsache der Gaul schafft es noch bis zum Schlachthof, denkt daran. Wir verlieren sonst Kohle.“, gab Marko zurück.
Sie traten wieder auf den Hof. Das Mädchen war spurlos verschwunden.
„Komisch.“, meinte Sven.
„Wo die wohl herkam?“, fragte Marko.
„Ach, ist doch egal. Ich mach jetzt Feierabend.“, brummte Karl.
Die Männer verließen den Hof. ihr Nachtquartier war gleich nebenan, im Haus des Hofbesitzers.
„Wer bestellt die Pizza?“, wollte Sven wissen.
„Immer der, der so blöd fragt.“, erwiderte Marko lachend. Karl grinste nur. Er dachte an das kühle Bier, dass sie hoffentlich schon erwartete.
Keiner von ihnen dachte mehr an das seltsame Mädchen.
Gegen Mitternacht, die anderen waren schon ins Bett gegangen, machte sich Karl noch auf einen Kontrollgang, um nach den Pferden zu sehen. Sie waren dazu gesetzlich verpflichtet, wie auch zu den Pausen unterwegs. Seiner Meinung, nach reine Zeitverschwendung. Die Viecher waren doch ohnehin schon so gut wie tot.
Er schloss den Stall auf, und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Die Stille wurde nur unterbrochen vom Scharren der Hufe. Ab und zu schnaubte eines der Pferde. Karl tastete sich im Lichtschein seiner Lampe, bis zu der Box des Rappen vor. Er leuchtet hinein und erstarrte.
Das Pferd lag am Boden und neben ihm kniete das blonde Mädchen! Karl brachte erst kein Wort heraus dann fasste er sich wieder und polterte los:
„Was soll das? Mach dass du hier wegkommst, sonst mach ich Dir Beine!“
Das Mädchen antwortete nicht. Es erhob sich, strich seinen Rock glatt, und schaute Karl mit diesen fesselnden, blauen Augen an. Steif wie ein Holzklotz stand er da. Das Mädchen trat jetzt auf ihn zu und nahm ihn bei der Hand. Er rührte sich nicht, konnte es gar nicht. Immer noch starrte das Mädchen ihn an, doch die Augen blieben nicht länger blau. Etwas Rotes stieg in ihnen auf. Nur ein Funken zuerst und Karl glaubte schon, es sich nur einzubilden. Das Rot wurde intensiver, leuchtender und schliesslich verdrängte es das Blau. Es bedeutete Gefahr! Karl ahnte es instinktiv, wollte sich umdrehen und weglaufen. Doch zu spät. Der Bann des Mädchens war zu stark. Ein Strudel erfasste ihn und er verlor das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, war sein erster Gedanke: Ich bin tot, oder? Er versuchte sich zu bewegen, liess es aber gleich wieder, weil ein entsetzlicher Schmerz ihn durchfuhr. Sein ganzer Körper fühlte sich wie zerschlagen an und so – gross. Als würde er nicht richtig zu ihm gehören. durst quälte ihn, er musste aufstehen und hier weg. Dieses Mädchen hatte ihn vermutlich niedergeschlagen und hier eingesperrt. Von wegen Engel, die war ein richtiges Biest. Wieder bemühte er sich auf die Beine zu kommen, vergebens. Der Schmerz strahlte von seinem rechten Bein aus in den ganzen Körper. In seinem Kopf hakte etwas ein. Rechtes Bein? Er dachte an das verletzte Pferd. Hatte diese Göre ihm etwa das Bein gebrochen, aus Rache?
Plötzlich hörte er Stimmen. Sie gehörten zu Marko und Sven. Merkwürdigerweise verstand er kein Wort von dem, was sie sagten. Er versuchte zu rufen, doch aus seinem Mund drang kein Ton hervor, stattdessen gab er ein Schnauben von sich. Wie das eines Pferdes!? Entsetzen und Panik stiegen in ihm auf. Das war doch unmöglich! Das gab es nicht! Es war bestimmt nur ein Albtraum. Er versuchte etwas von seiner Umgebung zu erkennen, doch seine Augen besassen nicht mehr das gewohnte Sehvermögen. Alles wirkte irgendwie verschwommen. In einer Ecke der Box lag etwas. Es sah aus wie ein Kleiderbündel. Lichtschein fiel in die Box und beleuchtet auch das Bündel. Karl konnte die Kleider erkennen. Das waren ja seine! Die nackte Angst stieg in ihm auf. Jetzt betraten Marko und Sven die Box. Sie schrien ihn an, verzweifelt bemühte er sich auf die Beine. Der Schmerz brachte ihn fast um den Verstand. Er wollte sich verständlich machen, doch nur ein kraftloses Wiehern kam aus seinem Mund. Mund? Nein, ein Maul. Das Maul eines Pferdes! Dieser Schock war fast zu viel für ihn. Das passierte doch nicht wirklich? Das Mädchen steckte dahinter, das ahnte er. Wer war sie? Er bekam keine Zeit zum Nachdenken.
Ein Schlag traf ihn an der Kruppe, liess ihn vorwärts.
taumeln. Marko stand hinter ihm, den Stock erhoben, bereit für einen weiteren Hieb. Sven legte ihm das Seil um den Hals und zerrte ihn grob durch den Gang. Die anderen Pferde schauten teilnahmslos zu. Im Hof wartete der Transporter. Karl wollte fliehen, vergeblich. Sven benutzte den Elektroschocker, Marko seinen Schlagstock. Unter entsetzlichen Schmerzen schaffte es Karl schließlich auf die Ladefläche. Halb betäubt brach er wieder zusammen. Angst frass ihn von innen auf. Er dachte zurück an die vielen Transporte, die er und seine Kollegen begleitet hatten. Es war ein gutes Geschäft gewesen, mit dem Leid und dem Tod vieler Tiere. Jetzt zahlte er einen sehr hohen Preis dafür. Noch einmal blickte er mit trüben Augen um sich, sah, wie die anderen Pferde aus dem Stall geholt wurden und erblickte das Mädchen!
Wie am Tag zuvor stand es einfach nur da. Es sah aus wie ein Engel. Nein kein richtiger Engel, ein Racheengel. Karl wollte um Gnade flehen, doch sie half ihm nicht. Sie lächelte, drehte sich um und war im nächsten Moment verschwunden. Marko und Sven trieben die letzten Pferde in den Transporter, verriegelten die Rampe und stiegen ein. Der Tod wartete schon.

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Tag der Veröffentlichung: 28.08.2011

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