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Der Maskenball

Schweißgebadet schreckte ich hoch und presste meine eiskalte Hand auf mein wild pochendes Herz. Ich war die eigenartigen Träume die mich schon mein ganzes Leben verfolgten und in letzter Zeit immer heftiger wurde zwar schon gewöhnt, doch dieser war realer gewesen als jemals zuvor. Mit zittrigen Fingern ergriff ich mein Handy das auf dem kleinen Nachtischen neben meinem Bett lag und drückte auf den einzigen Knopf. 3:33 Uhr leuchteten mir in beinahe unerträglich grellen weißen Ziffern entgegen. Schon wieder. Müde fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare, legte das Handy zurück auf seinen Platz und lies mich seufzend zurück in mein Kopfkissen sinken. Es war immer das gleiche. Schon seit ich klein war verfolgten mich diese eigenartigen Bilder im Schlaf. Immer wieder sah ich dieses Schlachtfeld, spürte die kalte Erde unter meinen Füßen und den rauen Griff des Schwertes in meiner Hand. Mein Onkel und meine Tante hatten mich deswegen vor knapp einem Jahr bei einem Psychater angemeldet, nachdem ich begonnen hatte auch während dem Tag, in der Schule, im Bus oder sonst wo, diese Anfälle zu bekommen. Wirklich helfen konnte mir keiner von ihnen, alles was sie taten waren mir Medikamente zu verschreiben. Zumindest war ich somit am Tage vor den….ja was eigentlich? Visionen? Nein eine Vision würde bedeuten, dass ich die Zukunft sehen kann. Nein es fühlt sich mehr wie eine Erinnerung an. Doch jeder der Psychologen bei denen ich im vergangenen Jahr war (ich hatte nach knapp 10 aufgehört zu zählen und mir die Namen zu merken) und auch ich selbst waren uns einig das dies unmöglich war. Ich begann an der Situation zu verzweifeln. Es wurde immer intensiver. Mittlerweile konnte ich das Blut und den fahlen Geruch des Todes riechen. Ich sah die Konturen der Krieger immer schärfer und doch ergab nichts davon einen Sinn. Unruhig rollte ich mich von einer Seite auf die Andere, doch es nützte nichts. Ich war hellwach. Wie immer. War es wirklich zu viel verlangt wenigstens eine Nacht durchschlafen zu können wie jeder andere normale Mensch? Frustriert schlug ich die Decke mit einem Ruck zurück und stand grummelnd auf, bevor ich mich mit leisen Schritten auf den Weg in die Küche machte. Ein Glas warme Milch sollte bekanntlich dabei helfen einzuschlafen und nach 17 Jahren der Schlaflosigkeit wurde es höchste Zeit diese These einmal auszuprobieren.

„Clair wach auf!“ Stöhnend zog ich mir meine Bettdecke übers Gesicht und versuchte die laute Stimme meiner wie immer viel zu gut gelaunten Cousine zu ignorieren. Ein letztes warnendes „Claaair…“ war noch zu hören bevor mir mein Schutzschild mit einem Ruck weggerissen wurde und das strahlende Sonnenlicht ungehindert in meinen Augen brannte. „Lizzy..wieso?“, brachte ich mit brüchiger Stimme hervor. Langsam schwang ich meine über die Bettkante und streckte mich ausgiebig. „Mein Gott Clair du siehst furchtbar aus. Hast du etwa wieder kaum geschlafen?“, sagte Lizzy mit besorgter Stimme und riss dabei ihre großen, rehbraunen Augen auf. Müde stapfte ich aus dem Zimmer und sagte noch im Vorbeigehen zu Lizzy: „Wer auch immer behauptet hat das warme Milch beim Einschlafen helfen soll, glaub ihm kein Wort. Er lügt.“ Ich hörte noch ein kurzes mitleidiges seufzen hinter mir bevor ich die Badezimmertür schloss und anschließend unter den angenehm warmen Wasserstrahl der Dusche trat. Egal wie viel Schlaf ich heute Nacht bekommen hatte oder besser gesagt nicht bekommen hatte, Heute war Lizzys großer Tag. Denn Heute war die offizielle Feier zu ihrem 21. Geburtstag. Und da für meinen Onkel und meine Tante Geld nicht wirklich eine Rolle spielte und eine große Feier gleichzeitig noch für gute PR sorgen konnte, bekam Lizzy das Fest das sie sich schon immer gewünscht hatte: Ein Maskenball wie im Märchen. Schon die gesamten letzten Monate hüpfte sie aufgeregt um mich und meinen Cousin Sebastian herum und verbrachte jede freie Sekunde mit der Planung. Dabei hatte sie uns alles bis ins kleinste Detail erläutert und beschrieben, zumindest bis auf eine Sache. Der Ball sollte genau um Mitternacht seinen Höhepunkt erreichen und es sollte eine große Überraschung geben. Was diese Überraschung allerdings war, wusste allem Anschein nach keiner außer Lizzy selbst.

Ein wenig wacher als zuvor trat ich eine knappe halbe Stunde später in das große Esszimmer, das man eigentlich schon fast als Speisesaal bezeichnen konnte, und nahm mir noch einen Teller der Pfannkuchen, die die Köchin heute Morgen wie immer frisch zubereitet hatte. Ich hatte wirklich Glück gehabt, dass mein Onkel mich damals nach dem Tod meiner Mutter, seiner jüngeren Schwester, aufgenommen hat. Wie meine Tante oft betonte hätte meine Mutter und ihr unfähiger Ehemann mir niemals ein Leben von dieser Qualität ermöglichen können. Ich hätte vermutlich auf eine staatliche Schule gehen müssen, was hier in Deutschland ja besonders unerträglich gewesen wäre, und ich hätte auch nie den Hauch einer Chance gehabt die Kontakte zu knüpfen die ich dank ihr hatte knüpfen können. Mit Kontakten meinte sie zu zwei Dritteln den Rest der High-Society Mädchen die sie von überall aus der ganzen Welt kannte und die mir in 90% aller Fälle gehörig auf den Senkel gingen. Meine Eltern waren zwar gestorben als ich gerade einmal ein halbes Jahr alt gewesen war, doch mein Kindermädchen war sehr alt gewesen und hatte auch meine Mutter schon gekannt seit sie eine Jugendliche gewesen war. Ich war also mit den Geschichten von ihr aufgewachsen und so hatte ich mich, sobald ich alt genug für eine solche Entscheidung gewesen war, immer ein wenig vom Rest der Familie abgekapselt. Selbstverständlich war ich trotzdem kein Außenseiter gewesen aber ich sah diese ganze Welt in der ich aufgewachsen war nicht als meine eigene an, sondern vielmehr als Lizzys. Freiwillig würde ich vermutlich nie auch nur einen Fuß in die Nähe eines Balls oder irgendeiner anderen dieser Schicki- Micki Veranstaltungen setzten. Aber Lizzy war all die Jahre für mich eine große Schwester gewesen und hatte mich in all meinen Entscheidungen unterstützt, um ihr wenigstens ein bisschen etwas von all ihrer Hilfe zurückzugeben begleitete ich sie immer selbst zu den langweiligsten dieser Veranstaltungen. „Na isst du deine Henkersmahlzeit?“, sagte Sebastian mit einem breiten Grinsen im Gesicht und lies sich auf den Stuhl neben mir sinken. „So schlimm wird es nun auch wieder nicht werden. Was kann schon in höchstens 6 Stunden furchtbares passieren?“, gab ich ebenfalls grinsend zurück. „Und wenn einer von uns seine Henkersmahlzeit zu sich nimmt dann ja wohl du. Willst du die wirklich alle essen?“, fragte ich ungläubig und deutete dabei auf den riesigen Berg aus Pfannkuchen den er sich auf seinen Teller geladen hatte. „Ich bin eben im Wachstum…“, murmelte Bas und stopfte sich den ersten der besagten Pfannkuchen in den Mund. Kopfschüttelnd wollte auch ich endlich das Knurren in meinem Magen bekämpfen als neben mir ein schriller Schrei ertönte, der mich und Bas erschrocken zusammenfahren ließ. „Clair du kannst doch nicht ernsthaft vorhaben etwas zu essen oder?“, schrie Lizzy mit einem Ausdruck des puren Entsetzens durch den ganzen Raum. „Ähm…doch? Frühstück ist wichtig…oder?“ Für ein paar Sekunden starrte Lizzy mich an als hätte ich endgültig den Verstand verloren. „Aber Clair schon in spätestens 5 Stunden müssen wir anfangen uns für das Fest zurecht zu machen und weißt du was das Korsett mit dir machen wird wenn dein Magen nicht vollkommen leer ist?“ „Weißt du was heute Abend passieren wird wenn ich den ganzen Tag nichts gegessen habe?“ Bas neben mir musste sich mittlerweile deutlich bemühen sein Lachen zurückzuhalten. Als Antwort auf den bösen Blick dem Lizzy ihm zuwarf stopfte er sich genüsslich den nächsten Pfannkuchen in den Mund. „Clair Lucinda Chamberlain das kann doch nicht dein ernst sein! Die Damen zu Zeiten des Barocks schafften es schließlich auch!“ „Die Damen zu Zeiten des Barocks sahen es auch als unfein an sich zu waschen. Soll ich etwa aufhören zu duschen? Oh warte nein das hab ich vorhin schon.“, sagte ich nun schnippisch. Erst habe ich heute Nacht kein Auge zugemacht, dann weckte mich Lizzy gerade in dem Moment in dem ich fast eingeschlafen war und jetzt durfte ich noch nicht einmal etwas essen. Da ich in 5 Stunden ein Kleid anziehen musste, das nicht nur einfach ein Kleid war sondern vielmehr eine orginal – Nachbildung eines Barockkleides. Inklusive des -im wahrsten Sinne des Wortes- Atemberaubenden Korsetts. „Na gut dann iss eben aber beschwer dich nachher nicht bei mir wenn dir übel wird!“, mit diesen Worten rauschte Lizzy davon. Seufzend ließ ich meinen Blick zu den Pfannkuchen gleiten, die verführerisch duftend und mit Ahornsirup übergossen auf meinem Teller lagen und schob sie von mir weg. „Du hörst wirklich auf Lizzy?“, sagte Bas neben mir ungläubig. Ich nickte und massierte mir dabei mit den Fingern meine Schläfen. „Dann lauf ihr am besten gleich nach, entschuldige dich und frag zumindest ob du ihr noch bei etwas helfen kannst. Sie wird dich zwar vermutlich nicht da geringste machen lassen, da sie wie immer alles selbst überprüfen muss. Aber du hast deinen guten Willen gezeigt.“ Mit einem kurzen Nicken und einem letzten Seufzer stand ich auf und lief eilig auf die Tür zu. Natürlich nicht ohne Bas noch einen leichten Schlaf auf den Hinterkopf zu verpassen. „Das war dafür, dass du etwas essen darfst und ich nicht.“, rief ich ihm noch über die Schulter zu bevor ich mich endgültig auf die Suche nach Lizzy machte.

Suchend lief ich durch einen der vielen Gänge der Villa. Doch außer dem leisen Klacken meiner Schuhe auf dem blankpolierten Steinboden war nichts zu hören. Und das menschenähnlichste was ich zu Gesicht bekam war eines der zahlreichen alt aussehen Ölgemälde, die meine Tante in einem ihrer Kunst-shopping-Anfälle gekauft hatte. Eigentlich waren es sogar recht schöne Gemälde, über deren genauen Preis ich allerdings lieber nicht nachdenken wollte, doch leider passten sie so gar nicht zu dem Rest der modernen Einrichtung. Da beauftragte man schon extra einen Innenaussatter und letzten Endes warf man doch sein ganzes Konzept über den Haufen und machte was man wollte. Paradox? Vielleicht ein wenig. „Miss Clair suchen sie etwas?“ Erschrocken fuhr ich herum und starrte mir weit aufgerissenen Augen in das freundlich lächelnde Gesicht eines der Hausmädchen. „Sophia du bist es, du hast mich vielleicht erschreckt. Aber egal hast du Lizzy gesehen?“ Auf meine Frage hin weiteten sich Sophias gutmütige braune Augen ein wenig bevor sie mit nervösem Unterton antwortete: Es tut mir Leid Miss Clair aber ich habe keinerlei Informationen über den Aufenthaltsort von Miss Elizabeth. Wirklich nicht. Ich habe sie zuletzt vor ein paar Stunden…oder Tagen gesehen. Wer weiß das schon so genau?“ „Sophia wo ist sie?“, hakte ich noch einmal nach. „Aber Miss Elizabeth darf nie erfahren, dass ich es ihnen verraten habe. Sie ist Momentan in dem großen Ankleidezimmer und bereitet noch eine Überraschung für sie vor.“ „Danke und keine Sorge ich würde dich nie verraten.“, sagte ich noch schnell bevor ich mich auf den Weg an das andere Ende des Hauses machte.

Ohne vorher anzuklopfen riss ich die Tür zu dem Ankleidezimmer auf und trat ein. Dort erwartete mich schon eine aufgeregte Lizzy mit einem äußerst verdächtigen Gesichtsausdruck. „Und Lizzy noch viel zu tun?“, fragte ich ganz unschuldig. „Oh ja sehr viel. Genau genommen sogar sehr sehr viel und deswegen musst du jetzt auch leider wieder gehen. Das hier ist Sperrgebiet.“, ratterte sie eilig herunter. „Aber warum denn zu zweit geht es doch immer viel schneller. Oder etwa nicht?“ „Sophia hat es dir verraten nicht wahr?“ „Ich weiß nicht wovon dir sprichst Cousinchen.“ „Natürlich nicht…na gut hier du darfst es sehen. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass ich dich sowieso nicht wieder loswerde bevor du es gesehen hast. Hat dir jemand schon einmal gesagt, dass zu viel Neugier nicht gesund ist?“ Genervt verdrehte Lizzy die Augen und gab anschließend den Blick frei auf das was sie hinter ihrem Rücken versteckt hielt. Zum Vorschien kam ein einfach wunderschönes mitternachtsblaues Kleid mit kunstvollen silbernen Stickereien, die sich über den ganzen Stoff erstreckten. „Aber…das ist ja der Wahnsinn Lizzy.“, sagte ich atemlos. Ich mochte zwar kein Freund solcher Veranstaltungen sein aber dieses Kleid konnte wirklich kein Mensch hassen. „Dachtest du wirklich ich würde dich dazu zwingen diese furchtbare Nachbildung zu tragen? Noch dazu mit einem Korsett wie es vor mehr als 100 Jahren gefertigt wurde?“ Das geduldige Lächeln hatte sich wieder in Lizzys Gesicht geschlichen und lies ihre ruhigen braunen Augen erstrahlen. „Außerdem unterstreicht diese Farbe viel besser das wunderschöne Blau deiner Augen.“, fügte sie noch leise hinzu was ihr ein kurzes Kopfschütteln meinerseits einbrachte.

Vorsichtig schob ich schon einmal einen Teil des schweren Stoffes durch die weit geöffnete Tür der Limousine. Doch es half nicht wirklich. Ich hatte mich zwar gefreut als ich das Kleid gesehen hatte, doch umso länger ich es trug desto geringer wurde meine Begeisterung. Dankbar stoppte ich meinen Kampf mit den Stoffmassen und ergriff Bas Hand. Der sich natürlich ein Kommentar nicht verkneifen konnte: „Sie sollten lieber aufpassen Mylady. Ich konnte gerade eben ihren Knöchel sehen. Man könnte sie noch für ein leichtes Mädel halten.“ Genervt zog ich meine Hand aus seiner und machte mich auf den Weg zu dem herrschaftlichen Schloss, dessen Anblick mich für einen kurzen Moment Inne halten lies. Von allen Seiten leuchteten riesige Strahler auf das wunderschöne Gemäuer und ließen es in einem Glanz erstrahlen, der allen Gästen den Atem raubte. Ich hatte meine Zweifel als Lizzy unbedingt nach Wien fliegen wollte um im Schloss „Schönbrunn“ feiern zu können, doch dieser Anblick war es vermutlich tatsächlich wert. „Ganz Nett für so ein altes Teil.“, murmelte Bas neben mir leise und fuhr sich dabei mit der Hand durch seine ordentlich zurückgekämmten schwarzen Locken. „Ganz nett? Brüderchen ich dachte mir ja schon immer, dass du keinerlei Geschmack für Mode hast aber dass du nicht einmal die Schönheit eines solchen Schlosses erkennst. Wirklich enttäuschend.“, meldete sich nun Lizzy zu Wort. Ich hatte keinerlei Zweifel daran, dass Lizzy wohl als die Schönste Frau die jemals dieses Schloss betreten hatte in die Geschichte eingehen würde. Ihr blutrotes Kleid war mit zahlreichen goldenen Stickereien versehen und an ihrer goldenen Maske funkelte der ein oder andere rote Edelstein. Ihre sowieso strahlenden braunen Augen schienen förmlich zu glühen und ihre Haare schienen heute nicht mehr Blond, sondern viel mehr aus purem Gold zu sein. Es war schwer vorstellbar, dass jemand ihr die Show stehlen könnte. Ich selbst fühlte mich nun, da ich das Kleid nicht mehr durch eine enge Autotür zwängen musste, eigentlich recht wohl in meiner Haut. Nur mit der Maske konnte ich mich nicht wirklich anfreunden. Aber was mein und Bas Outfit betrifft hatten wir wohl eher Glück, dass Lizzy die Sache in die Hand genommen hatte. Und wie immer hatte sie einen fabelhaften Job gemacht. „Nun weißt du Schwesterherz ich habe sehr wohl einen sehr ausgeprägten Sinn für das Schöne dieser Welt. Diese braunhaarige in dem grünen Kleid dort vorn zum Beispiel, erweckt in mir großes Interesse.“, sagte Bas mit einem schelmischen Grinsen. „Ich hätte dich doch in einen Kartoffelsack stecken sollen.“, meinte Lizzy mit spöttischem Unterton in der Stimme. „Als ob das etwas Nützen würde meine liebste Schwester. Ich fürchte in diesem Fall werden mein Name und das Konto das sich dahinter verbirgt vollkommen ausreichen.“, mit diesen Worten machte Bas sich auch schon auf den Weg zu seinem heutigen Opfer.

„Ob er jemals erwachsen werden wird? Nun ja wollen wir reingehen?“, fragte Lizzy zwar doch sie wartete meine Antwort gar nicht erst ab sondern machte sich direkt auf den Weg in das Gebäude. Eilig versuchte ich sie einzuholen, doch vor dem Eingang hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet und ehe ich mich versah stand ich inmitten einer riesigen Traube aus Menschen. Als ich es nach einer gefühlten Ewigkeit, dann schließlich doch noch in das Gebäude geschafft hatte, lies ich mir dankbar den schweren Mantel von einem der Butler abnehmen. Lizzy hatte darauf bestanden das jeder männliche Angestellt einen langen Frack und weiße Handschuhe tragen musste. Sie hatte wirklich eine Schwäche für solche Dinge. Staunend sah ich mich in der reich geschmückten Eingangshalle um, während ich mich von der Masse in Richtung des Ballsaals treiben lies. Von außen mochte das Schloss zwar schon sehr eindrucksvoll aussehen, aber hier Innen angekommen war es einfach unbeschreiblich. Wie gebannt von den wunderschönen Malereien an der Decke und an den Wänden blieb ich stehen um es genauer betrachten zu können. Wie in vielen alten Schlössern oder auch Kirchen, waren auch hier Engel abgebildet. So schöne Gestalten wie ein Mensch sie eben zu zeichnen vermochte. Langsam lies ich meinen Blick von Gestalt zu Gestalt wandern und bestaunte die filigrane Arbeit die der Künstler lange vor meiner Zeit geleistet hatte. Gerade als ich weitergehen wollte, stockte ich plötzlich. Mein Blick fiel auf den letzten Engel in dem Gemälde. Er war um einiges größer als der Rest und seine Schönheit überstrahlte die der anderen um Längen. In seiner rechten Hand hielt er ein mächtiges Schwert gen Himmel gestreckt. Doch es war nicht der Fakt, dass er als einziger eine Waffe hielt. Oder der große Unterschied zu dem Rest des Bildes der meinen Blick fesselte. Es waren die mir nur zu gut bekannten Gesichtszüge. Ich kannte dieses Gesicht, mir war als hätte ich es schon hunderte Male gesehen. Aber wo? Schwer schluckend stand ich mitten in dem großen Ballsaal, unfähig meinen Blick von der Decke abzuwenden. Ich war mir sicher, dass ich keine dieser Zeichnungen jemals zuvor gesehen hatte. Nein ich hatte dieses Schloss noch nie zuvor betreten. Umso länger ich die schöne Gestalt an der Decke fixierte desto lauter wurde das schmerzhafte Pochen in meinen Schläfen. „Du meine Güte Kind. Passen sie doch auf!“ Erschrocken fuhr ich herum und blickte geradewegs in die wütend blitzenden, wässrig blauen Augen einer älteren Dame, die eindeutig ihre besten Tage schon hinter sich hatte. „Sie können doch nicht einfach so mitten im Weg stehen bleiben! Wegen ihnen hätte ich beinahe meinen Champagner verschüttet. Können sie sich überhaupt vorstellen wie viel die Reinigung meines Kleides kosten würde?“, sprach sie ohne einmal Luft zu holen mit ihrer schrillen Stimme weiter. Um uns herum blieben schon die ersten Leute stehen und schauten interessiert zu uns herüber. „Ich…ähm…es tut mir leid“, stotterte ich leise. Voller Entrüstung fasste sich die Dame an die füllige Brust und öffnete den Mund um mir eine noch lautere und schrillere Antwort als zuvor zu geben: „Es tut ihnen leid? Ist das etwa alles was sie zu sagen haben? Also wirklich wissen sie damals als ich…“ „Da bist du ja Liebling. Entschuldige bitte das ich dich habe warten lassen.“, platze plötzlich ein junger Mann in unsere „Unterhaltung“. Verwirrt sah ich von der alten Frau zu dem deutlich jüngeren blonden Mann, er war vielleicht ein paar Jährchen älter als ich, und gab mir Mühe mein unschuldigstes Lächeln aufzusetzen. Kam noch niemand auf die Idee ein Gesetz gegen solche Paare zu verfassen? So etwas war in Ordnung aber die Homo-Ehe galt immer noch als moralisch verwerflich. In was für einer Welt lebten wir eigentlich. Da die Frau nun zumindest verstummt war und ich immer noch das Pochen in meinem Kopf spürte, sah ich mich schon nach dem Fluchtweg mit den geringsten neugierigen Zuschauern um. Was sich als schwierig gestalten zu schien, da wir vollkommen umzingelt waren. Hatte Lizzy etwa nur den Skandal-süchtigen Teil der Oberschicht eingeladen? Wobei einen Skandal konnte man das hier ja nun wirklich nicht nennen. Noch nicht. Als ich mich dann nach einem kurzen Moment des Überlegens für das geringste Übel entschieden hatte, schloss sich auf einmal eine Hand um meine. „Ich verstehe ja, dass du ein wenig sauer bist aber bitte sag doch etwas, Liebling.“ Verwirrt starrte ich in die leuchtend Grünen Augen des Mannes, den ich gerade eben noch für den Begleiter der alten Frau gehalten hatte. „Ich…sie…Verwechslung…“, brachte ich mühsam hervor. Die Leute um uns herum schienen noch ein wenig näher zu kommen, damit sie bloß nichts verpassten. „Oh ja ich vergaß ich habe mich doch für die andere Maske entschieden aber nun komm mein Bruder wartet schon auf uns.“, mit diesen Worten schleifte mich der Unbekannte einfach hinter sich her. Meinen leisen Protest einfach ignorierend. An der gegenüberliegenden Seite des Saals angekommen blieb er dann endlich stehen. „Es tut mir leid aber ich bin wirklich nicht die Person die sie suchen. Und ich bin mir sicher ihre Freundin, Verlobte oder was auch immer wird gar nicht davon angetan sein, dass sie sie so einfach verwechselt haben. Und dann auch noch vor so vielen Leuten. Darum geh ich jetzt besser. Schönen Abend ihnen noch.“, ratterte ich hektisch herunter und wollte gerade gehen als mich das leise Lachen hinter meinem Rücken Innehalten lies. „In Ordnung was ist so lustig?“, fragte ich mit leicht genervtem Unterton. „Nun ich kann sie beruhigen. Ich weiß sehr wohl wer sie sind, Miss Clair.“ Abwartend musterte ich mein Gegenüber. Trotz der zum größten Teil lächerlichen Masken, war es ein leichtes die meisten Menschen hier zu erkennen. Doch ihn hatte ich noch nie zuvor gesehen, da war ich mir sicher. „Oh und ich kann sie beruhigen. Es gibt keine andere Frau. Als Gentleman der ich ohne Zweifel bin, musste ich sie einfach aus den Fängen dieser netten älteren Dame retten.“ „Sie sind nicht von hier.“, sagte ich langsam. „Das hat sich nicht wie eine Frage angehört.“ „Es war auch keine. Es ist eindeutig. Ihr Anzug. Keiner der hier Anwesenden Gäste würde zu einer Veranstaltung wie dieser hier jemals einen gewöhnlichen Anzug aus einem Kaufhaus tragen.“ Zur Antwort erhielt ich wieder nur ein leises Lachen. Im Hintergrund begann das Orchester gerade mit dem ersten Stück und die Tanzfläche füllte sich langsam. „Wie wäre es mit einem Tanz, Miss Clair?“, fragte er plötzlich und bot mir seine Hand an. „Ich fürchte ich muss ablehnen. Ich tanze nicht.“ „Dann werden sie heute wohl eine Ausnahme machen müssen. Immerhin schulden sie mir etwas.“ „Bitte?“, setzte ich sprachlos nach. „Natürlich immerhin hab ich sie vor der alten Dame gerettet. Also kommen sie. Ich bestehe darauf.“ Ohne weiter abzuwarten packte er schon zum zweiten Mal an diesem Abend meine Hand und führte mich auf die Tanzfläche. Nach einigen Sekunden der Stille ergriff er wieder das Wort: „Sie können ja doch tanzen.“ „Natürlich kann ich tanzen. Was nicht heißt das ich es auch gerne tue.“, antwortete ich monoton und versuchte mich nicht durch das ehrliche Erstaunen in seiner Stimme kränken zu lassen. Wieder herrschte Stille zwischen uns und innerlich flehte ich das Orchester an schneller zu spielen. Tanzen hatte noch nie zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört und mein Tanzpartner mochte vielleicht gut aussehen, aber –und ich hatte das bisher nicht für möglich gehalten- er hatte vermutlich ein noch größeres Ego als Bas. Als das Stück dann endlich zu Ende war trat er einen Schritt zurück und deutete eine Verbeugung an. „Also dann Miss Clair. Hoffentlich bis bald.“ Kaum hatte er ausgesprochen machte er auch schon kehrt und bewegte sich auf die Menge zu. Bevor ich genauer darüber nachdenken konnte hatte ich auch schon schnell einige Schritte auf ihn zugemacht und packte den Ärmel seines Anzuges. Überrascht drehte er sich zu mir herum und hob fragend eine Augenbraue. „Sie haben mir noch nicht ihren Namen verraten. Das wäre doch sehr unhöflich für einen Gentleman wie sie.“ Wieder breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus ehe er antwortete: „Kenan Knight. Es hat mich gefreut.“ Und mit diesen Worten verschwand er endgültig in der Menge.

 

Eine Unerwartete Wendung

Höflich den Kopfschüttelnd stand ich einige Zeit später, mit meinem Sektglas in der Hand an einem der zahlreichen Stehtische und verhinderte somit noch einmal auf die Tanzfläche zu müssen. Stattdessen beobachte ich wie Lizzy gerade den neuen Tanz glücklich strahlend begann und wie Bas sich doch ein anderes Opfer gesucht hatte. Langsam bewegte ich mich auf den Ausgang zu und verschwand, nach einem kurzen Gang durch einen der vielen Gänge, durch die große Doppeltür an der Rückseite des Schlosses, in den großzügigen Schlosspark. Draußen angekommen atmete ich genüsslich die kühle Nachtluft ein und genoss die allgegenwärtige Stille. Auch hier wurde alles von den hellen Scheinwerfern beleuchtet. Gemütlich lies ich mich auf eine Parkbank in der Nähe des Brunnens sinken und nippte an meinem Glas. Dieser Moment war eindeutig mein Highlight des Abends. Insgesamt war es bisher schon fast ruhig - zu ruhig – gewesen. Der Ball war bestimmt schon seit 3 Stunden in vollem Gange und bisher war weder eine Scheidung eingereicht worden, noch hatte es einen gut geplanten Anschlag gegeben, um den Ruf von einer x-Beliebigen Person zu zerstören. Und ich musste immerhin nur ein einziges Mal tanzen. Und das wahrscheinlich mit irgendeinem Dieb, der sich eingeschlichen hatte um einer armen alten Dame das große Kollier zu stehlen. Zumindest war es eine nette Abwechslung zum Rest der Gesellschaft gewesen. Wenn auch eine nervige. Warum ich keinen der Wachmänner informiert hatte wusste ich selbst nicht. Vielleicht einfach aus Neugier was wohl in den nächsten Tagen in der Zeitung als gestohlen gemeldet wurde. Über meine eigenen Gedanken grinsend trank ich den Rest meines Glases aus und wollte mich gerade auf den Weg zurück in den hoffnungslos überfüllten Saal machen, als ich plötzlich sah wie eine weitere Person den Park betrat und zielstrebig in einem der dunklen Labyrinth artigen Gänge verschwand. Die Person lief so schnell, dass alles was ich erkennen konnte ein goldenes Schimmern und ein weites rotes Kleid war. Lizzys Kleid. Irritiert und mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, lief ich ihr hinter her. Doch als ich an dem finsteren Gang ankam war von Lizzy bereits keine Spur mehr zu erkennen. Besorgt machte ich mich auf die Suche nach ihr. Doch egal wie laut ich nach ihr rief oder welchen Weg, ich auch einschlug ich konnte sie nicht finden. Jede Sekunde die verstrich, beschleunigten meine Schritte und schon bald begann ich zu laufen. Wobei ich das blöde Kleid in Gedanken bereits auf einem Scheiterhaufen verbrannte. Ungeschickt wie ich war (was auch nicht zuletzt an den wirklich schlechten Lichtverhältnissen lag) schaffte ich es tatsächlich über eine Wurzel zu stolpern und zu stürzen. „Super gemacht Clair… das war mal wieder eine Glanzleistung…“, murmelte ich leise zu mir selbst als ich mich wieder aufrappelte. Doch als ich den Blick wieder hob um mich erneut zu orientieren, herrschte vollkommene schwärze um mich herum. Natürlich war es zuvor schon dunkel gewesen aber das war anders. Es war nicht einfach Dunkel, wie in „Nacht mit vielen Wolken im dunklen dichten Wald“- Dunkel, alles war komplett Schwarz. Nicht der Hauch eines Lichtes drang mehr durch die Bäume, die den Weg umsäumten. Verwirrt tastete ich mich mit den Händen voran durch die Finsternis. Doch egal wie lange ich auch gerade aus lief oder die Richtung wechselte, nie berührte ich auch nur einen Zweig. Oder irgendetwas Anderes. Langsam aber sicher begann sich die Panik in mir wieder auszubreiten und meine Schläfen begannen wie auf Kommando zu pochen. „Lizzy? Bist du hier irgendwo? Das ist echt nicht mehr lustig…“, rief ich mit schwacher Stimme. Doch wieder kam keine Antwort. Unruhig beschleunigte ich meine Schritte. Das pochen in meinen Schläfen wurde immer stärker und vor meinen Augen begannen sich die Bilder, die ich jede Nacht in meinen Träumen sah wieder zu formen. Dann plötzlich erstrahlte meine komplette Umgebung in einem beinahe unerträglich hellen Licht. Keuchen schloss ich meine Augen. Wirklich zuerst verwandelte jemand die Umgebung in eine Dunkelkammer und nun fühlte es sich an als ob jemand mir eine 10.000 Watt Lampe direkt ins Gesicht halten würde. Wäre ein Mittelweg nicht die perfekte Lösung?

Doch als ich den Schrei hörte, herrschte in meinem Gehirn mit einem Schlag vollkommene Ruhe. Der Schrei klang sehr verzerrt und so voller Schmerz und Angst, dass mir ein kalter Schauer den Rücken herunterlief. Aber das schlimmste daran war, dass ich trotz allem die Stimme erkannte. Lizzy. Panisch rannte ich in die Richtung aus der ich dachte, dass der Schrei gekommen war. Die fehlenden Bäume und das noch immer viel zu grelle Licht ignorierte ich vollkommen. Und als ich dann endlich an dem Schauplatz des Geschehens ankam, wurde ich Zeuge von etwas an das ich nie geglaubt hatte. Mich aber nicht überraschte. Ich konnte es mir nicht erklären aber aus irgendeinem Grund hatte ich genau gewusst was mich erwarten würde. Vor mir fand ich zwei Gestalten. Eine sah aus wie ein Hund. Nur hatte er die Größe eines Grizzlys und seine Gestalt erinnerte an einen schlechten Zombiefilm. Doch das schlimmste an ihm war der Gestank nach faulen Eiern der von ihm ausging. Schwefel. Sagte mir dieselbe leise Stimme, die mich auch auf den Anblick vorbereitet hatte. Die zweite Gestalt war fast das genau Gegenteil von dem riesigen Grizzlyhund. Ich konnte nicht sehr viel mehr als einen leuchtenden Schatten erkennen, dessen Gestalt entfernt menschliche Proportionen aufwies. Doch sobald ich ihn ansah, wurde ich erfüllt von einem Gefühl einer tiefen Ruhe und einer Sehnsucht die sich nicht in Worte fassen lies. Doch da war noch ein anderes Gefühl, dass mich auf einmal mit solch einer Heftigkeit trag, dass vergas zu atmen. Es war Angst. Die pure entsetzliche Angst in ihrer reinsten Form. Mein Körper war wie gelähmt. Zumindest bis ich die Person sah die zusammengesunken hinter dem Höllenhund lag. Mit zugeschnürter Kehle blickte ich in die vor Entsetzen entstellen Gesichtszüge meiner Cousine, die in all den Jahren zu meiner Schwester geworden war.

Unfähig auch nur einen Schritt zu machen stand ich dort und versuchte panisch eine logische Erklärung für all das zu finden. Doch so sehr ich mich auch bemühte so blieb der Anblick der sich mir nun bot schlichtweg unerklärlich. Das Knurren welches der Höllenhund schließlich ausstieß, riss mich aus meiner Starre. Der pure Überlebenswille ergriff die Kontrolle über meinen Körper und alles in mir schrie danach zu laufen so schnell und so weit ich konnte. Doch wo sollte ich hin? Noch immer war meine Umgebung in ein schaurig weißes Licht getaucht, dass alles überdecken zu schien. Wieder glitt mein Blick zu dem toten Körper der einst Lizzy gewesen war. Konnte ich sie wirklich einfach so liegen lassen? Wie könnte ich so etwas je Bas erklären? Von plötzlichem Wahnsinn gepaart mit einer Menge Adrenalin gepackt, nahm ich all meinen Mut zusammen und versuchte möglichst unbemerkt zu Lizzy zu gelangen. Was selbstverständlich nicht im Geringsten funktionierte. Als hätte der Höllenhund nur auf ein Kommando gewartet drehte er sich schlagartig um und schlug mit einer seiner langen gebogenen, gelben Klauen nach mir. Panisch lies ich mich auf den Boden fallen um den Angriff auszuweichen. Doch ich war zu langsam und die Klaue bohrte sich tief in meinen Arm. Schmerzerfüllt sog ich die Luft ein und übergab mich fast als mir der nun beinahe unerträgliche Geruch nach faulen Eiern und Verwesung, der von dieser Bestie ausging, entgegenschlug. Ich hörte ihr markerschütterndes Heulen und das schleifen ihrer Krallen über den Boden. In diesem Moment wusste ich es. Ich würde sterben. Genauso wie Lizzy. Zusammengekauert auf dem harten Boden schloss ich die Augen und wartete darauf, dass es endgültig vorbei sein würde. Wartete auf den Schmerz und die anschließende Kälte. Doch es geschah nichts.

Als ich mich nach einiger Zeit wieder traute die Augen zu öffnen, war die Lichtung wieder dunkel, bis auf ein paar strahlen des Mondlichts die durch die Wipfel der Bäume fielen. Der Gestank war zusammen mit der Bestie verschwunden und auch die Lichtgestalt war nirgends zu entdecken. „Was zur Hölle ist gerade passiert?“, sagte ich laut zu mir selbst. Hatte ich das alles eben tatsächlich nur geträumt? Vorsichtig versuchte ich mich auf zu setzten, doch als ich mich auf meinen Arm stützen wollte, durchflutete mich eine heiße Welle des Schmerzes. Zitternd atmete ich aus und blickte entsetzt auf die drei tiefen Furchen die sich über meinen gesamten Arm zogen. Aber wenn diese Verletzung echt war dann…Mit einem Schlag war ich aufgesprungen und starrte suchend in das Halbdunkel der Nacht. Lizzy sie musste hier irgendwo sein. Ich begann erneut durch die verschlungenen Pfade des Schlossparks zu rennen. Verdrängte den Schmerz in meinem Arm. Ich suchte und suchte. Bis mir ein eigenartig vertrauter Geruch in die Nase stieg und die Bäume hinter mir zu ächzen begannen als hätte eine schwere Last sie niedergedrückt. Mit einem Schlag spürte ich auch die Hitze die sich hinter meinem Rücken ausbreitete. Ich musste mich nicht erst umdrehen um zu wissen, dass hinter mir die Welt sprichwörtlich in Flammen aufging. So schnell ich konnte begann ich zu rennen und betete zu allen Göttern die ich kannte, dass ich bald aus diesem Flammenmeer entkommen mochte. Falls ich vorher noch keinen Grund gehabt hatte diese abendlichen Veranstaltungen zu hassen, so hatte ich ihn spätestens jetzt. Die Luft um mich herum wurde immer schwerer von dem allgegenwärtigen Rauch und schon nach kurzer Zeit schienen meine Lungen ebenso sehr zu brennen wie die Pflanzen die mich umgaben. Eiskalte Tränen begannen über meine glühend heißen Wangen zu strömen und schon zum zweiten Mal war ich mir sicher zu Sterben. Vollkommen entkräftet stolperte ich über eine Unebenheit und fiel – ebenfalls zum zweiten Mal – der Länge nach hin. Voller Verzweiflung stand ich erneut auf und versuchte hustend und keuchend weiter zu rennen aber ich schaffte es nicht. Mein Körper war am Ende. Die Kopfschmerzen waren beinahe unerträglich und durch meine Augen konnte ich kaum noch ein klares Bild erkennen. Müde tat ich einen tiefen Atemzug und genoss die klare, reine Luft die meine schmerzenden Lungen durchflutete. Irritiert atmete ich noch einmal ein und wieder war da kein Rauch noch sonst irgendetwas was meinen Körper vergiftete. Als ich mich nun umdrehte und zurückblickte war alles was ich sah der vollkommen intakte Eingang zu dem Weg den ich vor nicht einmal ganz einer Stunde eingeschlagen hatte.

Was hatte das alles nur zu bedeuten? Erst die beiden Bestien und Lizzys Leiche, nun ein Feuer das eigentlich nie brannte. Ich wollte heulen und schreien, doch ich konnte es nicht. Alles was ich in diesem Moment noch fühlte war eine innerliche Leere. Zwei Mal hatte ich Gedacht zu sterben und beide Male hatte es sich als bedeutungsloser Trick meiner Fantasie herausgestellt? Nicht ganz. Mit scherzenden Augen betrachtete ich die Verletzung an meinem Arm. Doch selbst als ich mit den Fingern die Ränder der Wunden entlangfuhr, spürte ich keinerlei Schmerzen. Es war als hätte jemand all meine Gefühle oder besser die Fähigkeit überhaupt etwas zu spüren ausgeschaltet. Langsam und mit hängenden Schultern machte ich mich auf den Weg zurück in das Schloss. Es war mir egal wie ich aussehen musste. Es war mir egal was die Leute wohl denken würden. Es war mir egal ob ich durch meinen Auftritt Lizzys geniale „Anti-Skandal“ –Planung ruinieren würde. Alles was ich in diesem Moment wollte war in das Gesicht meiner Schwester zu sehen. In das lachende und lebendige Gesicht meiner Schwester. Um sie dann umarmen zu können.

Seltsam dumpf hallten meine Schritte in den menschenleeren Gängen wieder. Vielleicht lag es auch einfach an mir. Denn alles was ich um mich herum wahrnahm schien auf einmal seltsam dumpf zu sein. Und als ich dann die Tür öffnete und einen Blick in den totenstillen Ballsaal warf. Schaltete mein Körper einfach ab und ich viel mit einem dumpfen Aufprall zu Boden.

Impressum

Texte: Carolin Schmid
Bildmaterialien: Carolin Schmid
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2013

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