Sommeranfang, die Sonne scheint und die Ferien haben vor gut einer Woche begonnen. Wie lange hatte ich auf diesen Tag gewartet? Es schien mir als hätte mein ganzes Leben nur auf diesen Tag hingearbeitet, dabei war ich gerade einmal 11. Unruhig lief ich ständig aus dem Stallgebäude und hielt an der Straße Ausschau. Dann endlich nach gefühlten Stunden, obwohl es in Wahrheit nur Minuten gewesen waren, erblickte ich endlich mein Objekt der Begierde. Langsam rollte der Hänger in den großen Innenhof des Reitstalls, nur knapp an dem großen Loch vorbei, dass hier als Misthaufen diente. Dann wurde die Klappe geöffnet und ein eckiger brauner Hintern war zu erkennen. Der Händler band die Stute los, langsam nur nicht wegrutschen. Vorsicht! Zu spät. Die Stute war zu nah an den Rand der Hänger Klappe gekommen und abgerutscht, doch es sah nicht allzu schlimm aus. Nun bekam ich sie. Um uns herum hatten sich nun etliche meiner Freunde versammelt, alle sahen sie mit großen Augen und neugierigen Blicken zu uns herüber. Ich spürte wie der Stolz meine Brust anschwellen ließ und ich selbst mich immer mehr aufrichtete. Niemals war ich glücklicher gewesen als jetzt. Die ruhigen braunen Augen des Pferdes, meines Pferdes, blickten sich zaghaft um. Ab heute würde das ihr neues Zuhause sein und ich würde alles dafür tun damit sie sich hier wohlfühlte. Mit erhobenem Haupt führte ich sie in ihre neue Box brav und routiniert lief sie hinter mir her, ganz so als hätte sie es schon hunderte Male gemacht.
Mein Vater hatte endlich das Schild vorbeigebracht. Ich hatte ja auch nur knapp zwei Wochen quengeln müssen. Von Heute ab war dieses schöne Tier keine Unbekannte mehr. Jeder konnte jetzt ihren Namen erkennen. Little Loony kleine Verrückte, wer sich wohl diesen Namen ausgedacht hatte? Voller Glück sprangen meine Augen zwischen dem Schild und Loony hin und her. Noch immer konnte ich es kaum glauben, dass sie wirklich mir gehörte
Es war anders gelaufen als gedacht. Auf den Papieren mochte ich vielleicht ihre Besitzerin sein, doch wann immer ich sie rief oder an ihre Box trat, drehte sie mir den Rücken zu und versuchte sich in der Ecke zu verstecken. Was mochte ihr wohl zugestoßen sein, dass sie nun so auf Menschen reagierte? Ich spürte, dass sie am liebsten alleine sein würde. Was sollte ich nur tun? Wie konnte ich ihr Vertrauen gewinnen, wenn sie noch nicht einmal Leckerlies aus meiner Hand fressen möchte? Aufgeben? Niemals. Wir hatten unsere Probleme, aber es war mir egal was die Anderen sagten. Ich wollte Loony haben und ich werde mich auch um sie kümmern.
Es war wie ein Wunder. Es war nun schon über ein halbes Jahr her und Loony konnte auch endlich von der dunklen Box ohne Fenster in einen mit einem kleinen „Balkon“, oder besser Paddock wechseln. Heute hatte sie mir zum ersten Mal entgegengebrummelt. Wie ich das geschafft hatte? Ich wusste es selbst nicht so recht. Alles was ich getan hatte war mich in den letzten Wochen auf das Paddock zu setzen und zu lesen. Und tatsächlich schien ich mir somit ihr Vertrauen verdient zu haben. Ganz Plötzlich lief sie auf mich zu und steckte ihre Nase in mein Buch, ganz so als wollte sie mitlesen! Auf dem Boden klappte unsere Zusammenarbeit nun besser denn je, doch beim Reiten war es immer noch eine Katastrophe. Ich wusste, dass die anderen sich über mich lustig machten, doch es war mir egal. Loony hatte mir heute gezeigt, dass sie mich mochte, was brauchte ich denn mehr?
Es war schon sehr spät als der Anruf kam. Der Stall. Loony hatte eine Kolik. Noch nie davor hatte ich überhaupt etwas von dieser Krankheit gehört. Was sollte ich nun tun? Panisch sah ich auf das sonst so wunderschöne Geschöpf herab, dass sich nun vor Schmerzen immer wieder auf den Boden warf und stöhnte. Vor einigen Stunden war noch alles in Ordnung gewesen. Was war nur passiert? Alles war so gut gewesen, wir hatten endlich zueinander gefunden. Wir waren ein Team! Ich würde nicht zulassen, dass irgendetwas mir Loony wieder wegnahm. Endlich der Tierarzt. Er gab ihr einige Spritzen gegen die Schmerzen. Wir bewegten sie und sie schaffte es. Viel zu spät ging ich ins Bett obwohl ich nicht wollte. Was wenn sie nochmal eine Kolik bekam? Erschöpft und Besorgt schlief ich irgendwann ein.
Mit erschöpfter Stimme las ich weiter aus meinem Kinderbuch vor. Es war wieder einmal passiert. Der Tierarzt wusste nicht was es auslöste, doch es war da und ich konnte nichts dagegen tun. Nun hing Loony schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche am Tropf und es war wieder einmal nicht sicher ob sie es schaffen würde. Doch ich gab nicht auf. Ich würde nicht aufgeben solange sie nicht aufgab. Und das tat sie nicht. Egal wie groß ihre Schmerzen zu sein schienen sie stand immer wieder auf und ich mit ihr. In der Schule konnte ich mich nicht mehr sonderlich gut konzentrieren, aber das war egal. Es fühlte sich so an als lebte ich in zwei Welten. Vormittags in der Schule, wo ich alleine war und nachmittags im Stall, wo es zumindest Leute gab die mit mir redeten auch wenn sie mich nicht wirklich mochten. Darum hatte ich ja Loony. Sie gab mir Kraft und Halt, ich wusste nicht was ich ohne sie machen sollte. Halte durch Kleine und bitte lass mich bloß nicht allein.
Loony war dünn zu dünn um genau zu sein. Der Tierarzt konnte nichts mehr für sie tun und ich leider auch nicht. Jetzt kam es auf sie an. Entweder sie schaffte es und stand morgen früh wieder auf den Beinen, oder nicht. Mein ganzer Körper schien Taub zu sein. Ich konnte es nicht glauben. Es war nun etwas mehr als ein Jahr her, dass ich sie so Stolz und prahlerisch an allen vorbeigeführt hatte. Sollte es nun wirklich enden? Und wer war ich dann noch? Ich würde dann endgültig allein sein. Ohne jeden Freund.
Der letzte Versuch. Meine Kusine hatte mir von einer Heilpraktikerin erzählt die wahre Wunder bei ihrem Pferd bewirkt hatte. Hoffentlich schaffte sie das auch bei Loony. Mittlerweile fraß sie nur noch Heu und ihre Rippen standen beängstigend weit hervor. Wenn es nun nicht klappen sollte war es wirklich vorbei.
Glücklich fuhr ich über Loonys Seite und war froh kaum eine Rippe zu spüren. Das neue Futter und die Akupunktur hatten angeschlagen, es ging ihr endlich besser! Es war nun auch schon bestimmt drei Monate her, dass sie eine Kolik hatte. Vielleicht hatten wir es dieses eine Mal wirklich geschafft. Ich konnte sie momentan zwar nicht Reiten aber ich war glücklich. Was nutzte es mir sie zu reiten wenn sie dafür krank blieb? Die anderen sagten mir ich solle sie wieder verkaufen, es gäbe bessere Pferde. Aber nicht für mich. Ich liebte sie und entweder schaffte ich es mit ihr oder ich würde aufhören.
Mein Leben war zerbrochen. Meine Eltern hatten sich getrennt und ich wusste nicht wohin. Meine Mutter war ständig am Heulen und das zu sehen brach mir das Herz. Zum Glück hatte ich Loony immer öfter und länger war ich im Stall. Ich konnte mich an ihr anlehnen und mich in ihrer Mähne ausheulen. In der Schule wurde es auch immer schlimmer. Ich wurde nun nicht mehr einfach nur ignoriert, nein ganz im Gegenteil die anderen gingen nun in die Offensive. Wie oft hatte ich schon daran gedacht es einfach zu beenden. Einfach aufzuhören zu atmen. Stillstand…für immer. Aber das konnte ich nicht. Da war Loony und ich wusste sie brauchte mich. Wahrscheinlich nicht so sehr wie ich sie brauchte aber wer würde dafür kämpfen, dass sie weiterhin die Chance dazu bekam doch noch ein schmerzfreies Leben zu führen wenn ich nicht mehr da war? Ich durfte einfach nicht aufhören. Danke Loonily.
Es war wieder Sommer. Nun waren beinahe auf den Tag genau zwei Jahre seit ich Loony bekommen hatte und egal wie grausam die Tage auch waren, ich bereute keinen einzigen davon. Sie hatte mir Mut gespendet als niemand für mich da war. Heute war ihr großer Umzug. Hoffentlich in ein neues, besseres und lebenswerteres Leben. Nach erneuter Absprache mit der Heilpraktikerin, die ihr wohl das Leben gerettet hatte hatten wir den Entschluss gefasst sie in einen Stall mit mehr Weideflächen zu stellen. Für mich war der Abschied aus dem alten Stall nicht leicht. Dort waren die einzigen Menschen die für mich so etwas wie Freunde darstellten, aber Loony hatte immer noch sehr oft Koliken und nichts war mir so wichtig wie ihre Gesundheit. Ich nutzte die Chance einer neuen Umgebung für einen Neustart und schaffte ihn auch. Fast zeitgleich wurden die Klassen in meiner Schule neu gemischt. Ich fand Freunde, wahre Freunde auf die ich immer zählen konnte. Meine Mutter und ich waren zusammen Umgezogen und langsam schien es ihr wieder besser zu gehen. Wer weiß vielleicht schafften wir es endlich alles zum Besseren zu wenden?
Es war nun schon sehr lange her seit Loony da letzte Mal Krank war. Ich hatte eine neue Reitlehrerin die auf sehr viel sanftere Weise arbeitete. Loony schien das gut zu tun und so gab ich mein Bestes schnell ein besserer Reiter zu werden. Mehr als mein Bestes geben konnte ich nicht und es half. Loony bekam mehr Muskeln. Umso besser es Loony ging desto besser schien es auch mir zu gehen. Meine Noten wurden immer besser und ich konnte endlich wieder Lachen.
Nicht alle Träume werden wahr. Es war doch wieder passiert und das ausgerechnet an Weihnachten. Zum Glück arbeiten Tierärzte auch an Feiertagen. Das einzig Positive: Loony war in viel besserer Verfassung und kam sehr schnell wieder auf die Beine und sie musste nicht an den Tropf.
Frühling und dazu dieses verrückte Aprilwetter. Keine gute Mischung. Schon seit Tagen hatte ich versucht Loony durch etliche Kreislaufmittel und Krampflösendes Was auch immer auf diesen Wetterumschwung vorzubereiten. Ohne Erfolg. Mit Schrecken muss ich feststellen, dass sich langsam aber sicher eine Routine entwickelt hatte. Der Anruf kam. Ich hörte wie meine Mutter den Namen der Stallbesitzerin sagte. Es war schon zu spät für einen „normalen“ Zwischenfall. Schnell ging ich in mein Zimmer griff meine Jacke und zog die Schuhe so schnell an wie ich nur konnte. Dann ging es zum Auto. Im Stall angekommen renne ich zu Loony und brachte sie dazu wieder aufzustehen, dann in die Halle. Laufen lassen immer zusehen, dass sie in Bewegung blieb. Wieder und wieder musste ich das nun tun. Und immer wieder mussten wir von vorn anfangen. Wenigstens hatte ich nun sonst keine Sorgen in der Schule oder zu Hause mehr. Doch ich fing an die anderen zu beneiden. Die die kein kränkliches Pferd hatte. Die die ihre Zeit einfach frei einteilen konnten oder mal in den Urlaub gingen ohne ständig zu beten, dass ihr Pferd überhaupt noch da war wenn sie nach Hause kamen. Mir ging die Kraft aus. Langsam aber sicher konnte ich nicht mehr und ich wurde wütend. Auf alles und jeden. Egal wie sehr ich mich bemühte es half alles nichts. Loony. Ich durfte nicht aufgeben. Aber was war wenn es letzten Endes doch nichts half?
Glücklich brachte ich Loony zurück in ihre Box. Eine Kolik war so schlimm gewesen, dass sie in die Pferdeklinik musste. Dort hatte man nun einige Untersuchungen angestellt. Und im Gegensatz zu unserem letzten Tierarzt, hatten sie diesmal auch etwas gefunden. Magengeschwüre. Sehr schmerzhaft und langwierig aber behandelbar. Doch das war nicht alles. In ihrem Inneren schien etwas nicht ganz in Ordnung zu sein. Ihre Milz lag nicht an der Bauchwand an wie gewöhnlich, sondern war nach Innen gekippt, wodurch sich der Darm immer wieder zwischen Milz und Nieren einklemmte. Eine OP würde nötig sein, doch danach hätten wir es für immer geschafft.
Komplikationen. Bei diesem Wort schien mein Herz ein paar Schläge auszusetzten. Loony stand neben mir, noch immer benebelt von der Narkose. Nichtsahnend. Sie hatten alles versucht und trotzdem war es ihnen nicht gelungen den Spalt komplett zuzunähen. Erneut blieb uns nichts anderes übrig als zu hoffen. Aber zu Hoffen war alles was ich in den letzten 4 Jahren getan hatte. Dieses Mal würde es klappen ich spürte es.
Egal ob Ganz oder Halb zugenäht. Nie war es Loony besser gegangen. Die Magengeschwüre waren beinahe komplett verschwunden. Wir hatten es geschafft. Endlich wir hatten gekämpft und nicht aufgegeben und das war der Dank dafür. Endlich musste ich nicht mehr zu ihrer Box rennen. Manchmal schwächelte ihr Kreislauf aber der Darm blieb stabil. Ich weiß nicht ob es einen schöneren und unbeschwerteren Zeitraum in meinem Leben je gegeben hatte. Ich unternahm mehr mit meinen Freunden. Doch sooft es eben ging war ich bei Loony. Ich würde nun bald meinen Realschulabschluss machen und dann würden wir beide aufs Gymnasium. Meine Reitlehrerin, die mir mehr beigebracht hatte als ich je für möglich gehalten hatte würde in die Schweiz ziehen, aber wir würden es mittlerweile auch ohne sie schaffen. Vor allem da wir nicht allein waren. Nun hatte ich endlich die Zeit alles zu genießen. Lange Ausritte, Reitstunden mit einem genialen Ende. Es war wieder Sommer so wie ganz am Anfang und doch war alles anders. Loony und ich wir waren ein Team. Vielleicht das Beste, dass es gab? Nun ja das möchte ich mir nicht anmaßen zu sagen aber es war diese wunderbare feine Gedankenübertragung, die es beim Reiten ermöglichte einfach nichts mehr tun zu müssen als sich den Weg, die Gangart und alles andere zu denken. Von jetzt an würden wir nach den Sternen greifen und ich war mir sicher, dass wir es auch schaffen würden einen oder zwei zu fangen.
Wann hatte sich je einer meiner Träume erfüllt? Nie? Ja. Nie. Es ist nun schon über ein halbes Jahr her seit der OP und bisher hatte es nicht einmal den Anschein als würde Loony wieder etwas passieren. Aber leider ist mein Leben kein Hollywoodfilm mit rosarotem Ende. Der Darm hatte sich verlagert. Und schon wieder saß ich im Dreck neben ihrem Kopf und meine Tränen tropften auf ihr Gesicht. Alles wie immer? Nein dieses eine Mal nicht. Ich konnte es spüren. Sie wollte nicht mehr. Meine tapere Kämpferin hatte aufgegeben. Was blieb mir also übrig? Ich hatte geschworen ich würde kämpfen solange sie es auch tat, doch nun hatte sie aufgehört. Sie würde mich verlassen. Mich allein lassen. Nein eigentlich tat sie das nicht. Durch den Umgang mit ihr wurde ich selbstbewusster. Ich hatte Freunde gefunden. Sie mag nur ein Pferd gewesen sein aber sie hat mir den Mut gegeben den ich gebraucht hatte. Sie hat mich auf den richtigen Weg geführt und mir die Richtung gewiesen. Durch sie hatte ich eine Menge tolle Menschen kennengelernt und war selbst zu einem besseren Menschen geworden. Ich liebte sie und das werde ich vermutlich auch immer. Aber es stand mir nicht zu sie zum Leben zu zwingen. Ich schrie sie an. Ich bettelte dass sie doch wieder aufstehen sollte, dass sie es wenigstens versuchen sollte. So wie sonst auch immer. Aber sie tat es nicht. Sie blieb einfach liegen und gab auf. Und das war das Ende. Das Ende der Geschichte von Loony. Ich kann nur hoffen, dass ich es geschafft habe noch eine angenehme Zeit zu verschaffen. Ich habe jedenfalls mein Bestes gegeben. Und ich denke trotz allem habe ich es geschafft. Am Anfang wollte sie mich nicht ansehen und nun lag ihr Kopf in meinem Schoß und ich fuhr die letzten Male mit der Hand über ihre Blesse. Wie sehr hatte ich mich vor diesem Moment gefürchtet. Wie oft hatte ich gedacht, dass es schon soweit wäre? Doch nichts konnte mich auf diesen Moment vorbereiten. Ich wollte die Welt anhalten, doch sie drehte sich grausam weiter. Und auch mein Leben ging weiter. Es wird immer weiter gehen und ich kann nichts dagegen tun. Mein Herz mag im Moment zerbrechen, doch die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden. Ich lernte damit zu leben, dass verloren zu haben war mich früher einmal am Leben gehalten hatte.
Danke für alles mein kleines Eselchen. Ohne dich weiß ich nicht wie ich die Jahre überstanden hätte.
Texte: Carolin Schmid
Bildmaterialien: Carolin Schmid
Tag der Veröffentlichung: 21.09.2013
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Widmung:
Ich danke allen die für mich da waren als ich sie gebraucht habe. Mein größter dank gilt Loony, denn auch wenn sie nur ein Pferd war gab mir der Umgang mit ihr doch den Mut und die Kraft über mich selbst hinauszuwachsen.
Es ist nicht wichtig an was ihr euer Herz verliert und was euch Kraft macht, solange es euch hilft weiterzumachen ist es das richtige.