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Januar 1990

Kennst du diese Angst, genau zu wissen, nichts zu wissen? Doch genau in dem Moment überfällt dich ein Schatten, der alles Bisherige als unwichtig erscheinen lässt.

Ich kam mir total unwissend vor.
Die Prüfungsangst hatte mich voll erwischt:
Schweißnasse Hände, wirrer Blick, unendlicher Zigaretten- und Kaffeekonsum.

Ich kann kaum noch den Wust der Ordner überblicken. Wie kann ich nur so viele Information in mein Hirn pressen. Na gut oder nicht gut, manche Themen liegen so weit außerhalb meiner Vorstellungen, dass ich die wirklich auswendig lernen muss. Andere sind verinnerlicht und sind selbst nachts aus tiefstem Schlaf heraus ohne Bedenken abrufbar.
Mir rinnt die Zeit davon. Immer wieder sehe ich durch die einzelnen Bereiche und weiß doch, ganz tief in mir, ein „nicht bestehen“ würde mich vor die Tür setzen.
Die Wohnung, eine kleine eineinhalb-Zimmer-Bleibe, ist zum Monatsende gekündigt. Der Notfallplan steht zwar, doch will ich ihn nicht wirklich annehmen müssen.

Schriftliche Prüfungszeit

Es war Sitte, den Prüflingen Getränke und Knabberei in den Nebenraum zu stellen. Das wurde vom Schulsprechergremium besorgt und verteilt. Jetzt bin ich Nutznießerin. Bei der letzten Prüfung war ich noch für die Versorgung verantwortlich. Manche Tutoren sorgen mit kleinen Aufmerksamkeiten direkt am Platz für ein Lächeln in den teilweise sehr müden Gesichtern der Prüflinge. Gleich am ersten Tag: Deutsch. Geahnt hatte ich es: Wieder geht es um eine Textanalyse, dabei hatte ich so auf die Sprachentwicklung gehofft. Dieses Thema hätte ich in allen Einzelheiten aufschreiben können. Ein Blick zum Tutor und seinem Zwinkern:

„ ... dann sehen wir uns bei der mündlichen Prüfung“. Sein leise gesprochener Satz machte mir klar, dass ich also mündlich kämpfen muss. Dann hoffe ich nur, die anderen Fächer werden im Bereich meiner Möglichkeiten sein. In den nächsten Tagen wurde in den Fächern Methodik, Pädagogik und Psychologie, zu einzelnen Fällen auch etwas aus dem Recht und anderen Fallbeispielen benötigt. Das passte zu mir, da konnte ich aus dem Vollen schöpfen, da war meine Praxiserfahrung gefragt. Jeden Tag vier Stunden Zeit am Block, um die einzelnen Aufgaben zu erledigen. Kurze Pausen waren nur in den offiziellen Unterrichtszeiten möglich, denn es sollte ja kein Austausch statt finden, darum nur einzeln und mit Zeitlimit.

Im Nebenraum befindet sich, neben dem Obst und den Getränken, auch die Möglichkeit, eine Zigarette und Kaffee zu nehmen, abgetrennt durch eine große Glasfront sehr gut einsehbar vom Prüfungsraum.

Einen Becher Kaffee in der Hand stehe ich hier und schaue in den Raum. Sehe die anderen schreiben, konzentriert Löcher in die Luft schauen oder verzweifelnde Blicke an die Decke werfen.

So sieht das bestimmt auch für jeden anderen hier aus, wenn ich dort sitze und meine Gedanken zusammensuche um sie aufzuschreiben.

  Es ist kalt, darum sitzen wir am Schluss jedes Prüfungstages in der Halle oder im kleinen Schulsprecherbüro. Kein Wunder, denn es ist Januar.

Wir hängen in unseren Gedanken und versuchen, nicht auf das zu kommen, was in der Schreibzeit vergessen wurde.

Die Nebelregenwand vor den Fenstern trägt zu einer etwas gedrückten Stimmung bei.

Wie ein kleiner Sonnensturm kommen zwei unserer Tutorinnen zu uns. Jede mit einem Korb „bewaffnet“. Fröhlich schauen sie uns an, kleine Neckereien für jeden von uns bereithaltend. Ja, im Laufe der letzten Semester hat sich ein wirklich gutes Gefühl füreinander entwickelt.

Es ist toll, wie sie uns klar machen, dass jede Prüfungsklasse diese Bedenken hat. Ob es ausreichend war und wir noch die mündliche Prüfung nutzen können.

Die mitgebrachten Leckereien wurden genüsslich verspeist und die vorher etwas gedrückte Stimmung wich einer lockeren Unterhaltung.

Wer wird ab wann wo sein. Und dazu verraten uns unsere Tutorinnen, dass unsere ihre letzte Prüfungsklasse war. Sie werden in den nächsten Wochen die Schule auch verlassen.

Mit Erschrecken stelle ich für mich fest: Es sind ja auch meine letzten Tage hier an dieser Schule, mit den Menschen, in „meiner“ geliebten Hansestadt.

Es sei, ich würde wirklich durch die Prüfung rasseln, doch mein Gefühl hatte klar nur ein Fach als Manko angezeigt. Meine Vornoten werde ich ansonsten bestätigen, davon war ich hier und jetzt überzeugt.

Am Wochenende würden meine Habseligkeiten abgeholt werden und danach würde ich direkt zur mündlichen Prüfung und dann zur Wohnungsübergabe fahren. Zur Abschlußfeier bin ich dann ohne Wohnung, doch meine Freundin hatte mir schon ihr Sofa zur Übernachtung angeboten.

Mündliche Prüfung

Wie erwartet: Ein Fach, - Deutsch, wie sollte es auch anders sein. Dann also los. Kurzer Blick auf die Prüfer vor mir, wie immer hat mein Tutor ein Zwinkern für mich, kennt er doch meine Schwächen sehr genau.

Fragen und Antworten spielen fast miteinander. Ich kann meine Unruhe ablegen und sicher die einzelnen Fakten aus meinem Inneren herauslassen.

Das zufriedene Zurücklehnen meines Tutors signalisierte:

GESCHAFFT

Meine Prüfung ist erledigt, ich ebenso.

 

Fast habe ich Quark in den Beinen beim Verlassen des Raumes und überglücklich erwartet mich schon meine Freundin davor, denn auch sie hatte parallel ihre Prüfung erledigt.

Jetzt konnten wir im Wissen, alles geschafft zu haben, zum Ausruhen zu ihr und uns für die Feier herausputzen.

Abschiedsfeier

Dazu kommen, wie üblich bei den Semesterfeiern, Ehemalige, die diese Feier als Treffpunkt nutzen und Neue, die so einen kleinen Einblick in das auf sie zukommende gewinnen können.

Die Halle ist gut gefüllt, mit Menschen, Musik, Stimmengewirr und der Thekenbereich bricht nur nicht unter seiner Last zusammen, da er eingemauert ist. Ausgelassen und von der Prüfungslast befreit, sitzen wir zusammen, futtern die Köstlichkeiten oder zappeln ab, soweit es in der Menschenmasse geht. Als ich mir etwas zu trinken hole, steht da doch mein Ex und schaut suchend umher.

Erster Gedanke, was will der denn jetzt hier, zweiter, nur weit weg, doch er hat mich entdeckt. Warum auch nicht, heute ist hier Feierstimmung und mein Alkoholspiegel hoch genug, ihn auszuhalten.

Kaum zwei Sätze später geht er, denn ich bin nicht erpicht darauf, ihm noch eine Chance zu geben und nicht bereit, mich mit ihm hinaus zu bewegen, um ein Gespräch zu führen.

Abgeschlossene Kapitel öffne ich nicht mehr.

Irgendwann kommt eine Mitschülerin und zieht mich auf die Tanzfläche, denn die ersten Takte verraten einen unserer Musikwünsche. So schüttele ich die letzten Erinnerungsfetzen, die sich in mir erheben wollten, mit Mambo aus mir heraus und es wird schräg und laut, total abgedreht.

Mein Abschied von tollen Tutoren, anstrengenden Aufgaben und Start in das, was jetzt kommen würde, war laut und wild.

Impressum

Texte: ©Leahnah Perlenschmuck
Bildmaterialien: ©Nanny Ogg Otso
Lektorat: ©BK
Tag der Veröffentlichung: 09.09.2014

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