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@ Cover und Text: Sina Katzlach

 

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Titelei

 Tote Schwaben können's besser

 

Krimi/Thriller

 

von Sina Katzlach

 

geschrieben 2015

 

Neuauflage

 

 

Widmung und Dank einem netten Kripo-Beamten,

der mich beim Recherchieren beraten hat.

 

Dank den engagierten Tierschützern von TransLynx

 

Euch Alles Gute! 

 

Kapitelverzeichnis

Vorwort

 

Ein Mann verschwindet

 

Gegenhund.org

 

Waldbrand

 

Cato

 

Gewissheit

 

Epilog

 

Aphorismus

 

Die Autorin

 

Vorwort

Ein überlautes Platschen weckte ihn aus seiner Ohnmacht und dröhnte in seinen Ohren. Seine Kleidung klebte nass auf seiner Haut.

Schwerfällig versuchte er, seine Augenlider zu heben, doch um ihn herum blieb es dunkel. Schmerz hämmerte brachial an seinem Hinterkopf, und mit einem leisen Zischen griff er sich in den Nacken. Dort fühlte er eine dickflüssige Masse, die zäh an seiner Hand kleben blieb. Blut!

Er wähnte sich in einem Albtraum, als er spürte, wie ihn ein Sog unbarmherzig nach unten trieb, so als ob jemand oder etwas an seinen Beinen zog. Noch immer hatte er nicht begriffen, was soeben mit ihm geschah. Verzweifelt versuchte er, die Benommenheit von sich abzustreifen und die Situation zu sondieren.

Erst, als er hörte, wie sich ein Motorengeräusch von ihm entfernte, erinnerte er sich. Mit weit aufgerissenen Augen begann er, panisch mit den Armen zu rudern. Wasser brannte in seinen Lungen. Hustend und spuckend versuchte er, wieder an die Oberfläche zu gelangen.

Vergeblich! Bei jeder Bewegung stieß er auf elastischen Widerstand in Form eines großen Jutesacks. Er spürte, wie die Felsbrocken, mit denen dieser beschwert worden war, schmerzhaft an seinem Körper entlang schrammten. Das Adrenalin, welches seinen Körper durchbrauste, hielt seinen Widerstand wach. Wieder und wieder boxte und trat er, so gut es ging, gegen den derben Stoff des verbundenen Sackes, in der Hoffnung, dass die Verschnürung seines nassen Gefängnisses sich lösen würde. Seinen Mund hielt er geistesgegenwärtig geschlossen, doch allmählich fühlte er, wie seine Kräfte erlahmten. Jürgen Mantwieds Brust schnürte sich panisch zusammen, sein Herz schwankte zwischen Stillstand und Rasen.

Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Langsam und trudelnd trieb er nach unten. Seine Lungen drohten beinahe zu bersten. Als er es nicht mehr aushielt, öffnete er keuchend den Mund.

Noch einmal versuchte er, die kalte Lethargie, die ihn ergriff, abzuschütteln und sich zu befreien. Wut übermannte ihn, und er mobilisierte seine letzten Reserven. Er würde alles daran setzen, dass ihr Plan nicht aufgehen würde. Auf gar keinen Fall ließe er sich ersäufen wie eine Katze.

 

*** 

Zeitgleich geisterten zwei Scheinwerfer über den nachtdunklen See, verbunden mit dem Tuckern eines Dieselmotors.

Eine Gruppe dunkler Gestalten stand am Ufer, und sie starrten geschlossen aufs Wasser hinaus. Die Männer trugen dunkle Lederkleidung, ihre Gesichter waren hinter Nachtsichtbrillen versteckt.

Die meisten von ihnen waren mit modernen Jagdgewehren bewaffnet. Vor ihren Füßen lag ein großer Kadaver – der Grund, weshalb Jürgen Mantwied gerade auf dem besten Weg war, Schlick aus dem Höllensteinsee als Hauptmahlzeit zu bekommen.

Im Hintergrund brach sich ein silbern scheinender Mond durch die Äste urtümlicher Bäume und zeichnete deren Schatten auf den waldigen Boden, wo sie sich mit den Silhouetten der Verbrecher vermählten. Die Männer hatten ihren Platz gut gewählt: fernab von der Zivilisation, unzugänglich für Autos, mitten im Bayrischen Wald. Tagsüber war es eine Idylle, doch jetzt - im Angesicht eines Mordes in einer Vollmondnacht - war es eine Atmosphäre des Grauens. Ungerührt sahen sie zu, wie vor ihren Augen ein Mensch unterging.

Kurze Zeit später trieb ein Boot auf sie zu. Am Ufer angelangt, nahm dessen Führer das zweite Mal einen leblosen Körper entgegen und kehrte zu der Stelle zurück, wo Jürgen Mantwied mit seinem Leben rang.

Anmutig schwebte kurz darauf ein toter Luchs an dem Neptunopfer vorüber - Mensch und Tier im Tode vereint.

 

Ein Mann verschwindet

„Das wäre erledigt.“ Triumphierend rieb sich der größte und muskulöseste der Männer die Hände und grinste. "Wir werden zwar noch ein paar Mal auf die Pirsch gehen müssen, doch ich denke, das wird niemanden von uns wirklich stören. Und solange uns niemand erwischt ..."

Phillip Baumgartners gesamtes Auftreten und seine Körperhaltung waren bestimmt, und trotz seiner vorgetäuschten Lässigkeit spürten seine Komplizen eine kaltblütige Aggressivität hinter seiner Fassade.

„Und was ist mit dem Typ?“ Gregor Meinschel traute sich fast nicht, zu fragen. „Wenn der wieder hochkommt, sind wir am Arsch.“

„Dein Angsthasen-Gehabe geht mir schon lang auf den Sack“, antwortete eine tiefe Stimme aus der Mitte der Gruppe heraus.

„So schwer beladen, wie der war, landet der Kerl direkt in der Hölle." Egon Triebentorf trat vor ihn hin, verschränkte die Arme und starrte auf ihn herab.

Gregor wurde es unwohl zumute. Sein Gegenüber war größer und kräftiger, und sie waren schon einige Male hintereinander gekommen. Dieses Draufgängertum war ihm manchmal zuviel, doch aussteigen kam für ihn nicht in Frage. Dazu war seine Bezahlung einfach zu gut.

Ein letztes Mal näherte sich ein kleines Motorboot der Gruppe am Ufer. Gregor und Egon nahmen dessen Fahrer mit lautem Geschrei in Empfang. Winnie Kahlmann grölte zurück und tuckerte ihnen langsam entgegen. In seichtem Gewässer schaltete er Motor und Scheinwerfer aus und warf den beiden, die ihm entgegenwateten, einen Strick zu, um das Boot an Land ziehen zu lassen.

Anschließend nahm er einen blutdurchtränkten Plastikbeutel vom Boden und stieg aus dem schwankenden Kahn. Winnie Kahlmann näherte sich Phillip und reichte ihm sein Geschenk. „Für die Foto-Session“, lachte er auf. „Diesmal habe ich die Ohren genommen. Für mehr war nicht genug Zeit.“

„Kluger Junge“, wurde er daraufhin gelobt, allerdings in eher ätzendem Ton. Winnie überlegte, ob dem Wortführer eine Laus über die Leber gelaufen sei. „Du hast viel zu lange gebraucht“, klärte ihn eine volltönende Frauenstimme auf. „Wir dachten schon, du kämst nicht wieder.“

Eine schlanke Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit und wuchs vor dem jungen Mann in die Höhe. Winnie schluckte verdattert und fühlte sich einmal mehr von so viel dunklem Glanz geblendet.

Tamara Biesenkopf war Phillip Baumgartners Freundin, und flüchtig fragte er sich, ob sie sich für den Mist wirklich aus Überzeugung oder aus Liebe hergab. Lasziv schmiegte sich die langbeinige Schönheit an ihren Kerl und warf ihre langen schwarzen Locken nach hinten, nicht ohne noch einen hochmütigen Blick über die mittelgroße Gestalt ihres Gegenübers gleiten zu lassen.

Winnie traten Schweißperlen auf die Stirn. Tamaras dunkelgrünen Raubtieraugen glitzerten durch das Dunkel und schienen bis auf den Grund seiner Seele zu blicken. Er wandte sich ab und starrte hinaus auf den See. Wenn ihn einer von denen enttarnte, dann sah er sich in Gesellschaft des Luchses und seinem Opfer. Er hoffte, dass der Mann Zeit genug hatte, um sich zu befreien und wieder nach oben zu kommen. Immerhin hatte Winnie ihm das Messer gelassen, um es ihm leichter zu machen. Ihn im Alleingang zu retten, hatte er sich nicht getraut, und wäre er noch weiter weg vom Ufer gefahren, dann hätten die Anderen Lunte gerochen.

Nun war er gespannt, was sich Jürgen Mantwied einfallen ließ, wenn er es schaffte. Winnie Kahlmann war kräftig und durchtrainiert, während die Statur seines Opfers eher drahtig war. Dennoch war es ihm nicht leicht gefallen, den bewusstlosen Mann über den Bordrand zu hieven und ihn mitsamt „Reisegepäck“ ins Wasser zu werfen. Unter den Argusaugen seiner "Komplizen" am Ufer hatte er sich schweren Herzens dazu überwunden, wusste er doch, was davon abhing. Es war seine allerletzte Prüfung, und nun kam es darauf an, ob sie ihm vertrauten.

Schwieriger war es für Winnie Kahlmann gewesen, seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Über kurz oder lang würde diese ihn zwangsläufig verraten, und das hieße nicht nur, dass alles umsonst war.

Ein Schubs und die Aufforderung, aufzuhören zu träumen, riss ihn aus seinen Gedanken. In diesem Moment war er froh, seine Augen hinter der großen Nachtsichtbrille, die er immer noch trug, verbergen zu können. Sein Herz wurde von Angst umklammert, und allmählich wurde es Zeit, die anderen vom Schauplatz zu lotsen, damit Jürgen auftauchen konnte. Das dunkle Wasser blieb jedoch ruhig.

 

***

Vier Tage später meldete Helene Mantwied aus Plattling ihren Mann als vermisst. Seit drei Jahren wohnte das kinderlose Paar aus Oberschwaben in Bahnhofsnähe. Als Jürgen gehört hatte, dass Wolf und Luchs im Bayrischen Wald angesiedelt werden sollten, war er Feuer und Flamme gewesen, und er wollte dabei sein, wenn es soweit war. Also zogen sie um und eröffneten gemeinsam eine kleine Tierdetektei.

Hauptsächlich kümmerte sich die kleine Firma, die erst seit Kurzem aus vier Mitarbeitern bestand, um das Suchen vermisster Tiere, vermittelte herrenlose Tiere an neue Halter oder klärte die Verbrechen auf, um die sich sonst niemand kümmert: Verbrechen am Tier.

Wenige Wochen vor der Begegnung am See war Jürgen Mantwied – der Chef der Plattlinger Tierdetektei „Struppi und Strolchi“ -  auf die Hetzseite „Gegenhund.org“ gestoßen und versuchte, diese sperren zu lassen.

Zwei Wochen nach seiner Anzeige gegen Unbekannt wurde ihre Katze „Minki“ vergiftet und direkt vor der Haustür des großen Blockes, in dem die Mantwieds wohnten, abgelegt. Kurz darauf verschwanden mehrere Hunde aus ihrer Straße.

Die deutlichste Warnung war die Zusendung einer toten Ratte, die im Büro seiner Detektei einging, verbunden mit der Aufforderung, die Finger von der Website zu lassen.

 

***

Unabhängig davon engagierten sich Jürgen Mantwied und seine Crew seit ungefähr einem Jahr aktiv für das Projekt „TransLynx“.

Diese Titulierung steht für grenzüberschreitende Bemühungen zwischen Tschechien und Deutschland, eine Luchs-Population im Bayrischen Wald anzusiedeln. Seit 2012 wurden mehrere Luchse im Lamer Winkel entdeckt und registriert, mit Sendern versehen und überwacht. Das Projekt drohte, zu scheitern. Einzelne Tiere wurden erschossen, ertränkt, vergiftet, aus Freigehegen befreit. Andere waren plötzlich  verschwunden, ohne dass jemals ein Kadaver von ihnen entdeckt worden wäre. In Oberösterreich stellten sich die Repräsentanten der Jägerschaft öffentlich gegen eine Ansiedlung quer. Die Ermittlungen gegen die unbekannten Wilderer gingen schleppend voran, oder laufende Verfahren wurden eingestellt.

Einzelne Stimmen wandten sich an die Presse und vermuteten Befangenheit der Ermittlungsbehörden, Jäger wurden mit dem Luchsschwund in Verbindung gebracht. Unter dieser Prämisse interessierte sich die Detektei "Struppi und Strolchi" für die Vorfälle der vergangenen Zeit und schaltete sich heimlich in die laufenden Ermittlungen ein.

 

***

Helene Mantwied wandte sich ab und trat ans Fenster. Soeben erst war sie von der Wache zurückgekehrt und befand sich nun im Büro der Detektei.

Aufgewühlt starrte sie hinaus in den Sommertag. Die Sonne veranstaltete Schattentanz mit den Zweigen und Blättern einer alten Kastanie auf dem Pflaster des Gehsteigs. Noch immer spürte sie den misstrauischen Blick des jungen Polizisten im Rücken, während sie das Polizeigebäude in Plattling verlassen hatte.

Die Zeit, die sie in einem tristen Verhörraum verbracht hatte, war so zäh gewesen wie Gummi, genauso wie dessen Begriffsstutzigkeit. „Weshalb kommen Sie erst jetzt?“, hatte der Beamte Helene gefragt, und sein Ton war nicht sehr freundlich gewesen. Er hatte sie angesehen wie eine Verbrecherin, doch was hätte sie ihm sonst antworten sollen? Schließlich war es die Wahrheit. Naja, zumindest ein bisschen.

Es stimmte: Jürgen war vor vier Tagen gegangen, und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Grund zur Sorge hatte sie dennoch erst seit dem gestrigen Abend, als er die anberaumte Teambesprechung versäumt hatte. Winfried Kahlmann war auch nicht erschienen, doch das war ein Fakt, den sie besser verschwiegen hatte. Sie fragte sich, ob das ein Fehler gewesen war.

Zwei große Hände legten sich auf ihre Schultern. Sie drehte sich um und legte den Kopf an die Schulter des Mannes, mit dem das Paar seit Langem befreundet war. Michael Drehbusch strich ihr übers Haar und bat Helene, sich nicht zu viele Sorgen zu machen. „Bestimmt haben sie sich nur verspätet. Es war von Anfang an klar, wie gefährlich es ist, was Jürgen und Winnie vorhaben.“

Mit hilflosem Blick sah sie zu ihm auf und musterte geistesabwesend die grauen Locken, die ihm in die Stirn hingen. Die Mantwieds hatten ihren Kollegen vor fünf Jahren über ihre Facebook-Seite kennengelernt. Als sie beschlossen, sich in Bayern niederzulassen, hatte er bei der Wohnungssuche geholfen.

 Sie trat von ihm weg und fragte: „Was ist, wenn Winfried Kahlmann ein falsches Spiel mit uns treibt? Er hat Jürgen schließlich in die Gebiete gelotst.“

Michael Drehbusch schüttelte seinen Kopf und antwortete: „Das glaube ich nicht. Für ihn wäre eine Enttarnung noch viel gefährlicher als für deinen Mann. Offiziell haben Winnie und Jürgen ja gar nichts miteinander zu tun.“ Helene setzte sich an ihren Schreibtisch und fuhr den Rechner hoch. „Das ist es ja gerade, was mir Kopfzerbrechen macht. Denk mal dran, wie die beiden sich kennenlernten.“

 Mick setzte sich an seinen Tisch ihr gegenüber. Nachdenklich starrte er auf die schiefergraue Tischplatte. Er verstand Helenes Bedenken, doch anders als sie vertraute er Winfried Kahlmann. Sein junger Kollege wohnte in Deggendorf und war durch Zufall an die Detektei „Struppi und Strolchi“ geraten.

Jürgen hatte ihn bei seinen regelmäßigen Streifzügen nach  ähnlichen Seiten wie "Gegenhund.org"  getroffen und sich mit ihm in Verbindung gesetzt. Nach einigen Chats hatte Winnie sich bei ihnen beworben und wurde ins Team aufgenommen.

„Ich finde, es war ein glücklicher Zufall, dass er zu uns stieß. Immerhin hat er uns auf einiges aufmerksam gemacht, was wir vorher nicht wussten.“

Michael Drehbusch nahm einen Zeitungsausschnitt aus seinem Ablagekorb und schob ihn zu Helene hinüber. Es war ein Aufruf nach Zeugen in einem ganz besonders grausamen Fall von Tierquälerei. Ein junger Rüde war wenige Wochen zuvor in einem Waldstück bei Winzer tot aufgefunden worden. Die Täter hatten den Hund kastriert, kupiert und gehäutet. Ähnliche Fälle in ganz Deutschland ließen auf Bandenkriminalität schließen. Durch die Entdeckung der Seite „Gegenhund.org“ wurde Micks Vermutung untermauert.

"Ich fresse einen Besen mitsamt der Putzfrau, wenn dieser Drecksseite ihre Daseinsberechtigung nicht irgendwann aberkannt wird. Bisher war alles umsonst, was unternommen wurde, um sie löschen zu lassen. Und wenn die Fotos, die dort gepostet werden, nicht echt sind, dann tanze ich nackt auf dem Marktplatz." Verärgert sah er Helene an und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Heftig schüttelte sie ihren kurz geschorenen Kopf und schob den Zeitungsausschnitt zurück. „Ich will das wirklich nicht sehen.“ Drastisch hatte sie das Bild ihrer toten Katze vor Augen. Sie konnte ihre Todesqualen regelrecht fühlen, und es war ihr nach Schreien zumute.

Das mit Rattengift vergiftete Tier war am vorletzten Wochenende in der Nacht abgelegt worden. Am anderen Morgen stolperte ein Spätheimkehrer aus dem Haus fast über den verkrampften Tierleib und klingelte ihren Mann aus dem Bett.

Jürgen hatte sich um alles gekümmert, doch für Minki war es zu spät. Dem Tiernotdienst blieb nur noch übrig, die Katze von ihrer Qual zu erlösen.

„Ich habe jedenfalls noch nie etwas von dieser Gesellschaft gehört, mit der Winnie angeblich zusammen arbeitet“, warf sie Mick skeptisch entgegen. Helene holte eine Visitenkarte aus einem kleinen Köcher, der neben ihr stand, und musterte sie. Die cremefarbene Karte trug das Agricom-Logo, das aus einem stilisierten Eichenblatt bestand. Die Signatur war ein Kürzel.

 Michael Drehbusch stand auf, nahm ihr die Karte aus der Hand und kehrte zurück an seinen Schreibtisch. Das leichte Sommerhemd klebte ihm förmlich am Körper, und Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er suchte in seiner Schublade nach einem Papiertaschentuch und fuhr sich damit übers Gesicht.

„Eigentlich könnte ich mir etwas Schöneres vorstellen, als hier im Büro zu sitzen und mir hier den Kopf über deinen Mann zu zerbrechen. Du wirst sehen: Heute Abend steht er vor der Tür, und alle Aufregung war dann umsonst. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass die beiden mehrere Tage unterwegs sind.“ Mick klickte mit seiner Maus kurz auf den Desktop und ließ den wirbelnden Bildschirmschoner verschwinden. Dann ging er ins Internet und suchte nach der Seite „Gegenhund.org“.

Er hoffte, aktuelle Kommentare von Jürgen zu finden, der mit einem Fake-Profil in der Community war. Plötzlich wurde Mick stutzig. „Das gibt es doch nicht!"

„Was ist?“, fragte Helene besorgt, doch er winkte nur ab. Er schaute die Karte genauer an und blickte dann zurück auf den Bildschirm.

Das Logo der Homepage und das auf der Visitenkarte glichen sich bis ins kleinste Detail. Er versuchte es über Google und tippte „Agricom“ ein. Das Kürzel führte zu keinem Ergebnis. Erst, als er den vollen Namen der Gesellschaft eingab, wurde er fündig „Gegenhund.org“ war offenbar die  Unterseite eines weltweit agierenden Dachverbandes namens „Agricultural Commonwealth of the World“. Also doch!

Er versuchte, sich seine wachsende Besorgnis nicht anmerken zu lassen, doch Helene ließ sich nicht täuschen. „Mick, was ist los?“, fragte sie noch einmal. Ihre Stimme klang drängend. Er wechselte das Menü, lehnte sich zurück und starrte die Frau abwesend an. Ihre grauen Augen hakten sich regelrecht an ihm fest, während sie wartete, dass er ihr die Antworten gab, die sie erhoffte. Ein Gefühl sagte Helene Mantwied, dass er etwas entdeckt hatte, was ihr nicht gefiel.

Michael Drehbusch focht einen Kampf mit sich aus. Würde er ihr seinen Verdacht mitteilen, wäre ihr wirklich geholfen? Vielmehr sähe sie sich bestätigt, und er selbst wäre in seinen künftigen Handlungen gehandicapt. Dann traf er eine Entscheidung, fuhr den Rechner herunter und erhob sich. „Es ist nichts, Helene. Ich habe nur gerade entdeckt, was hinter Agricom steckt, doch das ist nicht weiter dramatisch. Die Organisation ist noch zu neu, um sich eine Meinung darüber zu bilden. Ich brauche ein paar Tage Urlaub, um meine Exfrau zu besuchen. Sie liegt im Krankenhaus.“

Helene sog die Luft ein. „Das hast du mir noch gar nicht gesagt. Ist es was Schlimmes?“

Mick ging an seinen Aktenschrank und holte sein Laptop heraus. „Ich habe es selbst erst soeben erfahren. Unsere Tochter hat es mir per Mail mitgeteilt. Es ist glücklicherweise nichts Ernstes, nur Blinddarm.“

Er hoffte, sie würde sich mit dieser Erklärung zufrieden geben, doch da kannte er sie offenbar schlecht. Micks junge Chefin erhob sich und vertrat ihm den Weg, bevor er die Tür hinter sich schließen konnte.

Seine scheinbare Ruhe irritierte sie. Burschikos verschränkte sie ihre Arme. „Komm schon, Mick. Du verschweigst mir etwas, und du hast etwas ganz anderes vor. Und ich glaube, es hat etwas mit Agricom, Winfried Kahlmann und Jürgen zu tun.“ Verlegen musterte Michael Drehbusch ihre schlanke Figur. Sie ließ sich offenbar kein X für ein U vormachen, soviel stand fest. Also sagte er ihr die Wahrheit. „Du weißt doch, dass Jürgen die von Gegenhund.org angezeigt hat."

Sie nickte knapp und forderte ihn mit einem Fingerzeig auf, weiterzusprechen. Er lehnte sich in den Türrahmen, kreuzte die Beine und überlegte, wie viel er ihr zumuten konnte. Dann fuhr er fort: „Die Organisation, bei der Winnie angeblich aktives Mitglied ist, scheint nicht ganz koscher zu sein. Offiziell steht sie für Umweltschutz und Landschaftserhaltung, hat also überhaupt nichts mit Tierschutz zu tun.“

Mick machte eine kleine Kunstpause und sah sie vorsichtig an, doch ihre Miene blieb ausdruckslos. „Das ist mir bekannt“, erwiderte sie. „Was genau gibt dir nun Grund zur Besorgnis?“

Er löste sich aus seiner Position, ging hinüber zu Helenes Schreibtisch und winkte sie zu sich. Dort holte er die Website „Gegenhund.org“ auf ihren Desktop und zeigte mit einem Kugelschreiber darauf. „Siehst du das Logo?“, fragte er fast aggressiv.

Helene bejahte, sah ihn jedoch nach wie vor verständnislos an. Ohne ein weiteres Wort knallte Michael Drehbusch die Visitenkarte von Agricom vor ihr auf den Tisch und schlug die Tür hinter sich zu.

Bis zum Abend steigerte sich die 32-jährige Chefin der Tierdetektei an den Rand der Hysterie.

Noch immer hatte sie von ihrem Mann nichts gehört, ebenso wenig wie von der Polizei. Nun war auch noch Michael zu einem unbekannten Ziel aufgebrochen, doch sie konnte sich lebhaft vorstellen, was ihr Freund nun vorhatte.

Nachdem sie sich - noch im Büro - ebenfalls mit der grausigen Website auseinander gesetzt hatte, war ihre Besorgnis noch um ein Vielfaches gewachsen. Sie hatte erkannt, dass Mick einen Zusammenhang mit Agricom sah, und noch mehr fand sie heraus: Etliche bundesweit vertretene Tierschutzvereine hatten bereits vergeblich versucht, Gegenhund.org sperren zu lassen.

Es liefen Anzeigen gegen den Seitenbetreiber und momentan sogar eine Petition. Es war mehrfach von Hundemorden in ganz Deutschland die Rede, und nicht selten brüstete sich ein Hundehasser ganz offen damit, bei irgendeiner Städtesäuberungsaktion - wie sie grausame Hinrichtungen von Tieren nannten - dabei gewesen zu sein. Die Website war alles Andre als harmlos.

Mittlerweile war sie zu Hause. Gedankenverloren saß sie vor ihrem PC und starrte zum Fenster hinaus. Vor ihren Augen ging die Sonne rotgolden unter, doch sie nahm es kaum wahr.

Wie so oft, wenn sie versuchte, zur Ruhe zu kommen, betrachtete sie die Umgebung, die Jürgen und sie seit drei Jahren bewohnten. Die offensichtliche Armut der großen Bahnhofssiedlung rührte sie normalerweise an, doch heute verschwendete Helene Mantwied keinen Gedanken daran. Genervt versuchte sie, den Verkehrslärm der nebenan liegenden Hauptverkehrsstraße auszublenden und sich zu konzentrieren. Die Hitze des Sommers riet ihr davon ab, die Fenster zu schließen, und feucht klebte ihr leichtes Top in ihrem Rücken.

Plötzlich fühlte Helene etwas Weiches an ihrem Bein. Gizmo - ihr rot getigertes Katerchen - strich ihr um die Beine und forderte mit einem kläglichen Miauen sein Abendbrot ein. Seufzend erhob sie sich und ging mit ihm hinaus in die Küche. Seit Minki eingeschläfert werden musste, war er allein.

Helene hatte sich geschworen, dass ihn auf keinen Fall das gleiche Schicksal ereilen sollte, und so erzog sie ihn zur Hauskatze um. Sein unfreiwilliger Arrest wollte dem roten Persermischling gar nicht behagen.

Ihr Blick wurde traurig, als sie dem Kater beim Fressen zusah. Er erinnerte sie so sehr an diese herrlichen Tiere, die seit einiger Zeit für Schlagzeilen sorgten oder vielmehr der Umstand, dass viele die wenigen Luchse, die fernab der Zivilisation in den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sina Katzlach
Bildmaterialien: dito
Cover: dito
Satz: dito
Tag der Veröffentlichung: 04.06.2015
ISBN: 978-3-7396-1853-1

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