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„Du siehst scheiße aus.“, ist das Erste das Ziggy mir mit seiner lauten polternden Stimme entgegen schleudert. Danach grölt er laut, lacht sich kaputt und findet sich wie immer zum Schießen. Normalerweise setze ich in so ein Lachen ein, einfach weil es höflich ist und ich es mir ganz sicher nicht mit Ziggy verscherzen will. Er hat ziemlich viel Einfluss in Vegas und rüber bis Virginia.
Tom sitzt daneben, er lacht nie bei sowas mit, und ist in seine Papiere vertieft, sieht sich alles mit einem Stirnrunzeln an und macht Notizen und markiert Dinge.
Ich habe diesen Kerl noch nie verstanden, wie er so viel Zeit damit verbringen kann sich Dinge durch zu lesen ohne dabei einzuschlafen.
Aber jedem das Seine.
„Was ist denn mit dir passiert?“, poltert Ziggy los und wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Dabei reibt er sein verquollenes Gesicht. Ach ja Ziggy ist mittlerweile knapp 6o Jahre alt, ich bin nicht sicher, und hat seit dem letzten Treffen mit mir um die 20 Pfund zugenommen. Davor war er schon nicht von schlechten Eltern, aber jetzt...Ein bisschen weniger Fettsäuren und mehr Muskelaufbau und er könnte Wrestler werden.
So einer den man einfach nur ’Big Johnny’ nennen kann.
„Bin erkältet.“, sage ich gelangweilt und lasse mich auf dem Sessel gegenüber von Ziggy fallen.
Wir sind in einem von Ziggys Häusern, anstatt in einem leeren Haus zu kampieren.
„Was ist das für eine Erkältung? Hast du Schweinegrippe oder so?“, ertönt es hinter mir und ich drehe mich um.
Dort steht eine Kollegin, eine die ich schon sehr gut kenne.
Sie heißt Cameron Harvey und ist einfach wunderschön. Wieso treffe ich nur Schönheiten?
Sie hat braune, glatte Haare, die ihr bis zur Taille herunter hängen, blaue, große Augen und einen geschwungenen Mund, ein Mund der perfekt ist zum Küssen.
Ihre Haut ist weich, sie riecht ganz vorzüglich und ist einfach eine Wucht im Bett.
So viel Enthusiasmus, so viel Elan den sie in diesen einfachen Akt steckt…Einfach grandios.
Und doch habe ich nur ein kleines Schmunzeln auf dem Gesicht, anstatt dem breiten Grinsen, das ich normalerweise zur Schau stellen würde.
Ich zucke die Schultern, meine Wunden sind alle verheilt und ich fühle mich einigermaßen gut.
„Vielleicht.“, bringe ich heraus und ich drehe mich wieder um, drehe Cameron den Rücken zu.
Ich höre ihre hohen Absätze auf dem Boden scharren, Ziggy verschlingt Cameron mit seinem sabbernden Blick und Tom interessiert das alles reichlich wenig.
„Krieg ich gar keinen Kuss? Was ist denn los?“, fragt Cameron mit einem Lächeln in der Stimme, sie legt ihren Kopf auf meine Schulter, die doch anfängt zu ziehen.
Sie riecht immer noch blumig und gut, aber nicht mehr so gut wie es mir damals vorkam.
Ich verziehe das Gesicht und schüttele ihren Kopf ab, reibe meine Schulter.
Sie macht den Mund auf, sieht mich erschüttert an.
„Was zur Hölle soll das?“
Ich sehe ihr ausdruckslos ins Gesicht. Weiß nicht was ich jemals an dieser Frau fand.
„Ich wurde angeschossen. Meine Schulter tut weh.“
Sie sieht mich erstaunt an, ihr Mund klappt noch ein bisschen mehr auf.
Ziggy sabbert schon auf sein Hemd, Tom runzelt die Stirn noch ein bisschen mehr.
Cameron grinst. „Aber du spürst keine Schmerzen. Das tust du nie!“
Ich habe genug. Meine Laune ist so weit unten und dies ist die erste Gefühlsregung seit langem.
Gleich bei der Fahrt aus Vegas raus, spürte ich nur noch den Schmerz, die Verzweiflung, den Selbsthass.
Doch jetzt…Jetzt kommt die ganze Wut heraus, die ich schon seit mehr als einer Woche in mir trage heraus.
„Verdammt noch mal, natürlich spüre ich Schmerz. Ich bin ein Mensch, in Gottes Namen!“, schreie ich und springe auf.
„Was haben die Leute nur immer für Probleme? Ich bin weder geisteskrank, noch bin ich übermenschlich. Es tut mir leid euch alle enttäuschen zu müssen, aber, ja, ich spüre Schmerz. Verdammt viel Schmerz spüre ich. Und ich kann auch anderes fühlen. Denkt ihr wirklich es würde mir nichts ausmachen, was ihr alles über mich erzählt. Schon wieder Schmerz, Trauer, Wut. Ich kann das nicht mehr aushalten. Es tut mir unglaublich leid, dass ich eure ach so tolle Vision von mir zerstört habe, aber ich habe genug davon. Ich fühle Dinge, ich sehe Dinge, ich denke Dinge. Nur weil ich sie nicht ausspreche, weil ich nicht jedem Idioten zeige, was in meinem Kopf vorgeht, bedeutet das noch lange nicht, dass auch nichts in mir läuft!!! Verschwindet doch alle, lasst mich in Frieden, ich habe endgültig genug von euch. Ich ertrage das alles schon viel zu lange und tu nichts dagegen.“, brülle ich. Fuchtele mit den Armen und starre Cameron wütend an.
Sie sitzt mittlerweile auf einem Sessel und macht sich klein, drückt sich von mir weg und ihre Augen sind vor Schreck geweitet.
Ziggy sieht mich erstaunt an, Tom hat auch den Kopf gehoben und seine Augen sind riesig, seine Brille ist schon viel kleiner als seine Augen. Und Cameron. Cameron ist kurz vorm Weinen.
„Alter…Was ist passiert?“, fragt Tom mich und starrt mich an.
Ich schnaube, werfe die Tasche die ich noch in der Hand habe im hohen Bogen in eine Ecke, die Geräte darin klirren und ich stampfe aus dem Haus, steige auf mein Baby und fahre los.
Diese Wut brodelt noch immer, diese Wut die sich seit Jahren, seit einem Jahrzehnt in mir angesammelt hat. Alle Wut die ich je in meinem Leben herunter geschluckt habe sprudelt hoch, versucht mich umzubringen.
Diese Rede reicht nicht. Ich muss etwas Handfestes haben, einen Kopf zwischen meinen Händen auf den ich einschlagen kann.
Ich fahre also zur nächsten Bar, suche mir einen ziemlich fetten, großen Kerl aus und gehe auf ihn los.
Es ist noch nicht Abend, gerade mal so gegen 3 Uhr am Nachmittag und der Kerl unterhält sich ruhig mit einem anderen. Der sieht sehr viel jünger aus und um ehrlich zu sein, wirkt er wie sein Sohn.
Ich gehe auf den Kerl, der ältere, zu und tippe ihn an.
Er dreht sich zu mir um und sieht mir ins Gesicht. Er muss nicht hoch schauen, sondern eher ein bisschen runter. Bei diesem hier wird mir meine Größe nicht viel bringen, auch nicht mein Gewicht oder meine Stärke. Hier wird meine Figur helfen und Planung.
Es könnte sogar sehr gut möglich sein, dass ich diesen Kampf verliere. Aber die Wut in mir interessiert eine Niederlage gar nicht. Sie will einfach raus. Und so handele ich, noch bevor der Kerl fragen kann was los ist.
Ich hole weit aus und knalle meine Faust gegen sein Gesicht.
Der Kerl schwankt und fängt sich dann wieder. Meine Faust tut weh und ich will nicht noch einmal zuschlagen. Aber in mir verlangt etwas danach.
„Mieses Arschloch!“, brüllt mein gegenüber und es ist das erste Mal seit Tagen, dass ein Grinsen in mein Gesicht kommt.

„Ich korrigiere mich: JETZT siehst du richtig scheiße aus.“, brüllt Ziggy mir entgegen, Cameron, die doch noch vor kurzem so eine Angst mir gegenüber gespürt hat, kommt herüber gerast, die Augen groß, die Lippen zitternd und ihre Augen werden feucht.
„Was hast du gemacht?“, fragt sie geschockt.
Ich kann nicht antworten, weil alles wehtut.
Der Kerl war stark. Und schlau. Er sah voraus, was ich tun würde und sorgte dafür, dass ich es nicht noch einmal versuchen würde.
Letztendlich lagen aber wir beide am Boden, ich entschuldigte mich und der Kerl brummte etwas Unverständliches, sein Sohn über ihm und mich böse ansehend.
Ich hatte mich aufgerappelt, hatte mich auf meine Maschine gesetzt und war wieder zurück gefahren. Mein Gesicht muss aussehen wie nach einer Schlammschlacht.
Alles ist geschwollen und tut weh. Aber ich konnte dafür sorgen, dass meine Nase heil geblieben ist und das ist doch mal ein Erfolg.
Dafür habe ich andere Sachen abbekommen. Meine Wangen sind aufgeplatzt, meine Lippen ebenfalls, mein Kiefer tut weh, meine Schläfen auch, in meinem Kopf hämmert etwas herum und versucht mich innerlich zu töten.
Mein Magen tut weh von Schlägen, meine Nieren auch und ich glaube ich kann die nächste Zeit nicht mehr sitzen, da meine Eier geschwollen sind.
Aber genau jetzt fühle ich mich besser als noch gestern.
Ich humpele also rein, Cameron hängt an mir und tätschelt mich an den sicheren Stellen. Meine Schultern sind okay und mein Hintern auch. Also tätschelt sie beides.
Tom sieht von seinen Papieren auf und steht im nächsten Moment auch schon auf den Beinen.
„Langsam werde ich zu deiner Krankenschwester.“
Mir kommt ein ehrliches Lachen über die geschundenen Lippen, der Schmerz ist nicht so wichtig, ich will einfach mal wieder lachen.
Also lasse ich mich auf die Couch fallen, lache und lache dann noch ein bisschen mehr über Ziggys Gesichtsausdruck.
„Waff iff?“, nuschele ich grinsend.
„Du ruinierst meine $ 8000 Couch.“
„ZIGGY!!“, ruft Cameron empört und streicht mir durchs Haar.
Tom geht unterdessen in einen anderen Raum, ich höre wie er in etwas wühlt, Klirren und Rascheln ertönt.
„Lass ihn sitzen. Sieh ihn dir doch mal an. Armer Dean. Soll ich dich trösten?“, fragt sie und vielleicht hätte ich früher ja gesagt, was sage ich da? Natürlich hätte ich ja gesagt, aber jetzt kenne ich jemanden, der viel mehr wert ist als Cameron.
Ich sehe sie einfach an, mit meinen leicht geschwollenen Augen und sie bricht in Tränen aus.
„Ich bringe den Kerl um.“, schluchzt sie und zum ersten Mal wird mir klar, dass ich für sie nicht nur was für zwischen durch bin.
Sie mag mich richtig. Sie liebt mich ja schon fast, wenn ich sie so anschreien kann und sie danach immer noch um mich weint.
Ich tätschele ihre Hand, Ziggy sieht mich mit einem gequälten Ausdruck an, weil er seine Couch nicht verlieren will.
Inzwischen kommt Tom zurück und hat eine Schüssel Wasser, einen Waschlappen und einen Verbandskasten mit.
„Wasch dich, dann helfe ich dir.“, sagt er stumm und macht den Kasten auf, holt Antiseptikum und Pflaster, Cremes und Verbandsmaterial heraus.
Ich lehne mich vor, lasse Cameron, Cameron sein und tunke den Waschlappen in das warme Wasser.
Vorsichtig lege ich den Lappen auf meine Haut und verziehe das Gesicht.
Scheiße, das tut weh.
Aber ich tupfe mein Gesicht ab und sehe Tom an.
Der verzieht ebenfalls das Gesicht, als er sieht, was unter dem Blut ist.
„Mann, du bist ein Idiot. Und das alles nur wegen einer Frau?“, fragt er und runzelt die Stirn.
Und wieder kommt der Schmerz auf, aber ich schwöre mir, dass ich diesen bestimmten Schmerz nicht zeige. Ich werde ihn nicht mehr begraben, aber auch nicht in die Welt hinaus schreien.
Meine Wut ist aus der Ecke gekramt und die Sache ist eigentlich erledigt. Ich muss nur noch die Trauer, den Schmerz, die Verzweiflung und den Selbsthass aus Claires/Stacys Ecke holen und ihn frei lassen.
Während ich darüber nachdenke, verteilt Tom die Medikamente auf meinem Gesicht, geht sicher, dass auch alles bedeckt ist.
Um ehrlich zu sein tut es gar nicht mal so weh. Langsam wird meine Haut nämlich taub.
„Welche Frau?“, fragt Cameron plötzlich und lehnt sich von mir weg.
Ich sage gar nichts, sie akzeptiert es, da ich Schmerzen habe.
Dafür soll Tom jetzt antworten.
„Sag schon, welche Frau meint ihr?“
Tom verteilt weiter Medikamente und windet sich, sieht mich verstohlen an.
Ich verneine ganz leicht, indem ich den Kopf hin und her bewege.
Das einzige Problem dabei ist nur, dass Tom nicht lügen kann und dass Cameron eine ziemlich gute Diebin ist, sie erkennt so gut wie jede Lüge.
„Nur so eine Frau.“
„Du lügst mir mitten ins Gesicht! Wie kannst du?“, brüllt sie los und geht auf Tom zu.
Seine Augen werden groß, er taumelt zwei Schritte zurück.
„Es ist niemand Wichtiges.“, sagt Tom wieder, wird dabei rot und vermeidet Blickkontakt.
Cameron geht auf ihn zu.
„Sag mir endlich wer diese scheiß Frau ist!“
Anfangs dachte ich ja, sie würde einfach neugierig sein, so wie jeder andere auch, wenn es um eine bestimmte Frau in meinem Leben geht.
Aber mittlerweile denke ich sogar, dass Cameron ein bisschen wahnsinnig ist und vielleicht auch eifersüchtig.
„Sie ist niemand. Nur so eine von Deans Huren.“
Okay….ich sollte stolz sein, dass Tom das gut rüber bringt, mit einem verzweifelten und leicht genervten Blick.
Aber so ist es nicht. Es freut mich nicht, es macht mich wütend, so wütend, dass ich schon aufstehen will.
Ich will Tom nur dafür schlagen, dass er sowas über Stacy sagt. Sie st keine Hure!!!!! Niemals, ich werde Tom das heimzahlen.
„Ist sie nicht. Guck doch wie Dean dich anschaut. Du hast ihn sauer gemacht. Also ist sie ihm wichtig. WER IST SIE????“, schreit sie und der Ton ihrer eigentlich ziemlich weiblichen, sanften Stimme wird schrill und tut weh.
„Crow.“, murmelt Tom und ich schnappe nach Luft.
„Toooh…“, versuche ich böse zu klingen, aber meine Lippen sind geschwollen und wollen kein M mehr formen.
„Crow?“, fragt Cameron, sichtlich vor den Kopf gestoßen.
Sie beißt auf ihrer Unterlippe herum und denkt nach.
Und dann kommt sie darauf.
„STACY Crow? DIE Stacy Crow? Aber sie ist doch gerade so 20 Jahre alt. Sie kennt niemanden.“, motzt Cameron und doch sehe ich diese Befriedigung in ihren Augen aufblitzen.
Als wen Stacy keine Konkurrenz wäre.
„Was soll das Dean? Schön und gut, wenn du dir fremde Frauen suchst, aber bitte. Stacy Crow? Dieses kleine Mädchen? Ich wette sie war noch Jungfrau!“
Damit bricht Cameron in ein bösartiges Kichern aus.
Und wieder spüre ich diese Wut brodeln, doch dieses Mal werde ich es nicht herunter schlucken, werde sie raus lassen.
Ich hole Luft und versuche so deutlich wie möglich zu sprechen.
Aber das tue ich nur sehr bedächtig, ich schreie nicht, da es bedrohlicher wirkt, wenn ich direkt vor ihr stehe und sie leise anknurre.
Also hieve ich mich hoch, gehe zu ihr und versuche ein kleines Lächeln, damit sie nichts vermutet.
Da ich verletzt bin und leicht nett aussehe, lässt sie sich an den Oberarmen fassen.
„Caherin. Ssstacy ischt tousnd ohal ’essa ahhs du esch jeals sein whirst. Sie ischt keine Konkurrentz, wheil sie üher dir steht. Sie hat ohich schon.“, nuschele ich, weil ich die Lippen nicht schließen kann.
Ich gebe eine Übersetzung:
Cameron. Stacy ist tausend Mal besser als du es jemals sein wirst. Sie ist keine Konkurrenz, weil sie über dir steht. Sie hat mich schon.
So hätte es klingen sollen.
Cameron ist geschockt und starrt mich an.
„’herzih dich.“, meine ich ernst, sehe sie wütend an und sie bricht in Tränen aus, holt aus und schlägt gegen meine Wange.
Ich kneife die Augen zusammen um nicht zu weinen und höre noch wie sie losstampft.
Die Tür knallt nach einigen Momenten.
Tom sitzt auf dem Sessel, starrt mich an. Ziggy sitzt immer noch auf einer Couch und sieht zur Tür.
„Bravo Vinety. Ich hatte noch was vor mit ihr.“, meckert Ziggy und zeigt mir seinen Mittelfinger.
Ich knurre, gehe zu Tom und haue ihm gegen den Hinterkopf.
„Sag nie ’hieder, Ssstacy whäre eihe Hure.“, maule ich und verziehe mich in die Küche, hole Tiefkühlmöhrchen aus der Gefriertruhe und halte sie mir gegen das Gesicht.

Ich lasse das Rubinkollier langsam durch meine Finger gleiten, bewundere die unglaublich gute Verarbeitung und freue mich einen Keks, dass ich es so einfach bekommen konnte.
Es war eigentlich viel zu leicht, es müsste einen Hacken geben, aber da die Besitzer des Schmuckstückes nicht da waren und sie nur einen ziemlich handelsüblichen Safe hinter einem ihrer Picassos hängen hatten, war es als wenn ich einem Baby den Schnuller klaue.
Seit der Prügelei sind knapp 3 Tage vergangen und mir geht es besser, mein Gesicht heilt ab und Doc, den ich angerufen hatte und ein Bild schickte, meinte es würde bald wieder okay sein.
Ich liege gerade auf einer von Ziggys Couch und starre meinen Fang an. Ziggy ist weg (Ach übrigens, ich habe erfahren dass Ziggy noch schlimmer ist als Tom, was den Sex betrifft) und Tom ist nebenan in der Küche und sitzt über Papieren, versucht wahrscheinlich sich neues Hackerwissen einzubläuen.
Aber jeder kann selbst entscheiden wie man leben sollte.
Mittlerweile habe ich so gut wie alle meine Laster abgeworfen.
Ich habe geweint.
Allein und in einem Hotelraum. Aber ich habe es getan, habe seit mehr als 10 Jahren wieder einmal wegen Gefühlen geweint.
Und es tat gut. Ich weinte beinahe die ganze Nacht durch, bedauerte alle Fehler die ich je gemacht hatte, bedauerte mein schlechtes Verhältnis zu meiner Familie, weil ich einfach nicht akzeptieren konnte dass Claire weg ist.
Und ich weinte um meinen Dad, um Claire selbst und um Stacy. Auch um meinen Hund, den ich so früh verloren hatte.
Und es half tatsächlich.
Es half wie sonst nichts, hätte helfen können.
Damit waren dann Wut, Trauer und gleichzeitig auch Schmerz abgehackt.
Den Selbsthass bin ich leider noch nicht los. Ich kann mir jetzt zwar einreden, dass das nicht meine Schuld war, dass ich gar nicht so schlimm bin, wie ich mir gerade jetzt vorkomme, aber damit belüge ich mich doch eigentlich nur.
Ich habe mir damals eingeredet, dass es meine Schuld war, dass ich an meiner Lage schuld bin und das war die Wahrheit. Ist noch heute die Wahrheit. Aber um diesen Makel loszuwerden muss ich akzeptieren, dass ich nicht allein Schuld bin.
Aber wie ich das bewerkstelligen soll, weiß ich nicht.
Ich höre ein Piepen, Toms Handy.
„Ja?“, höre ich ihn auch gleich darauf.
Eine Pause und ich stehe auf und gehe langsam zur Küche, versuche kein Geräusch von mir zu geben, damit ich nicht sofort auffliege.
„Ich weiß nicht genau, warum sie das tut. Sie hängt an ihm und ist total verrückt.“, meint Tom und schnauft darauf.
Eine lange Pause, ich höre ein lautes Getöse aus dem Handy, anscheinend schreit jemand.
„WAS ZUR HÖLLE SOLL IIIICH DENN BITTE MACHEN??????“, schreit Tom zurück und haut auf den Tisch.

„Nein, kann ich nicht. So viel Einfluss habe ich nicht.“
… Mit wem redet er da?
„Mach das doch selbst. Ich bin nicht dein Bote. Ruf ihn an!“, sagt Tom genervt und runzelt die Stirn, zieht die Augenbrauen zusammen.
Ich gehe auf ihn zu. Ich will endlich wissen, wer das ist.
„Ihm geht’s gut, tu nicht so als wenn dich das interessiert.“, meint Tom und klingt wütend, mehr noch, beinahe in Rage gebracht und das braucht einiges bei Tom.
Ich tippe ihn von hinten an und er dreht sich um, legt das Handy schützend gegen seine Schulter und macht somit deutlich, dass ich nichts davon hören soll.
„Ich…Na ja, keine Ahnung. Ich kann keine Gedanken lesen. Ruf ihn einfach an.“, zischt Tom und als ich ihn fragend ansehe, schüttelt er mit dem Kopf.
Langsam macht er mich wütend. Ich habe ja auch keine Geheimnisse vor Tom. Jedenfalls fast.
Ich greife nach dem Telefon, ignoriere Toms Kreischen und Schlagen und frage einigermaßen brüsk:
„Wer ist da?“
Es folgt Stille, nur von Atem unterbrochen. Ein kleines Knacksen, als hätte jemand aufgelegt, aber ich höre den Atem noch.
„WER ist da?“, knurre ich tief, versuche einen bedrohlichen Ton rüber zu bringen.
Dabei bin ich eigentlich nur neugierig.
„Niemand. Gib mir Tom.“, sagt eine ziemlich hohe Frauenstimme.
Kommt mir komisch vor. Ich habe noch nie jemanden getroffen mit einer so hohen Stimme.
„Woher kennst du Tom?“, frage ich und lehne mich an die Tischkante.
„Eine Bar. Gib ihn mir bitte, ja?“, fragt die Frau.
Ich grinse. „Das bedeutet wohl du bist ziemlich offen. Lust vorbei zu kommen?“, frage ich und bemerke erst jetzt, dass ich richtig spitz bin.
Wenn sie mit Tom im Bett war, was der Fall sein muss denn sonst hätte sie seine Nummer nicht, dann ist sie ziemlich offen für die Welt und alle Techniken in der Praxis des Sex.
Also muss ich sie kennen lernen.
Ich höre wie jemand nach Luft schnappt.
„MIESES DRECKSCHWEIN!!!“, schreit die Frau und klingt gleich ein bisschen tiefer.
„Wie KANNST du?“, brüllt sie und langsam dämmert es mir.
Toms Reaktion, was er gesagt hat, wer das hier ist.
Denn dieses Brüllen habe ich schon so oft gehört, so oft vorgestellt es endlich wieder einmal zu hören.
Mir stockt der Atem und in mir fängt etwas Feuer. Meine Brust fängt an zu kribbeln, auf eine gute Art, und auch mein Bauch dreht sich.
Ich freue mich, dass sie mich ANSCHREIT!!! Das ist sowas von krank.
„Stacy?“, frage ich versuchsweise und wieder Stille.
„Uh…ja?“, fragt sie nach einem kurzen Moment und ihre Stimme ist viel leiser, aber wieder so wie sonst auch.
„Was ist los? Wieso rufst du Tom an?“, bringe ich lächelnd heraus, kann das Lächeln nicht aus meinem Gesicht wischen und wieder normal sein.
Einfach ihre Stimme zu hören ist toll.
Mit Claire erinnerte mich ihre Stimme immer an meine Schmerzen, aber mittlerweile habe ich diese unterdrückten Gefühle losgelassen.
„Na ja…hier ist so eine Frau. Brünette, groß, blaue Augen und sie bedroht mich. Sie macht mir irgendwie Angst.“, sagt Stacy etwas verstört.
Ich knurre kurz. „Cameron. War doch klar, dass sie das macht.“, murmele ich vor mich hin.
Stacy schnappt leise nach Luft.
„WAS heißt das denn? Wieso war das klar? Und wer zum Teufel ist diese Schlampe eigentlich? Was erlaubt die sich hier?“
„Sie ist eine Kollegin und sie…na ja, mag mich.“
„Eine Kollegin ja? Eine KOLLEGIN? Das heißt doch dass du sie gefickt hast. Ich kenne dich. Und sie hängt nicht an dir, sie ist total wahnsinnig. Sie liebt dich. Du Idiot! Von wegen eine Kollegin, als wenn!“, schnaubt sie am Ende und ich ziehe erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Bist du eifersüchtig?“, frage ich breit grinsend.
„NEIN! Bin ich nicht! Du bist ja sowas von eingebildet. Als wenn ich auf so eine kleine Nutte von dir eifersüchtig wäre. Wenn das passiert, liefere mich bitte in die Klapse ein. Ich muss nicht auf sie eifersüchtig sein. Auch wenn sie groß, blauäugig, hübsch, mit guter Figur und einem wahrscheinlich tollen Charakter ist, muss ich gar nicht eifersüchtig sein. Vielleicht ist sie eine tolle Diebin, vielleicht ist sie unglaublich und vielleicht ist sie auch…EGAL!“
Innerhalb der Rede wird ihr Ton immer gehässiger, ihre Stimme bekommt immer mehr Wut und Frustration.
Ich lache los. Stacy beginnt zu schimpfen und mich zu beleidigen.
„Du musst nicht eifersüchtig sein. Es ist schon lang her und ich habe nicht vor, es aufleben zu lassen.“, versuche ich sie kichernd zu beruhigen.
„Sie passt besser zu dir. Allein schon vom Äußeren.“, sagt Stacy und klingt unglücklich.
Damit werde ich wieder ernst. Warum wissen die hübschen Mädchen nie, dass sie hübsch sind?
„Stacy, du bist viel besser als Cameron. Du siehst nicht nur besser aus, du bist tief gehend, du hast einen wunderbaren Charakter und alles an dir ist einfach zum Anbeten okay? Ja, ich hatte was mit Cameron. Aber das macht sie zu nichts Besonderem.
Es gibt nur die eine Stacy Crow, die mich dazu gebracht hat, mich unterbuttern zu lassen, nur die eine Stacy Crow die mich anschreien darf, ohne dafür Ärger von mir zu bekommen, nur die eine Stacy Crow die ich liebe und nicht gehen lassen will.“, sage ich leise und bemerke Toms Blick der auf mich gerichtet ist.
Stacy ist still, aber ich höre sie am anderen Ende atmen. Also hat sie noch nicht aufgelegt.
„Ich…ich bin…zu Tränen gerührt. Das war wunderbar. Ich glaube ich werde ohnmächtig!“, murmelt sie und fängt an zu lachen.
Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich es genauso gemacht hatte, eine ernste Rede war angefangen und ich endete sie damit.
Ich grinse unwillkürlich.
„Du Biest. Das war gemein, da schütte ich dir mein kleines, kaltes Herz aus und du lachst.“
„Ich ruf noch mal an. Irgendwann. Bis dann. Und klär das so lange mit Claire. Ich habe keine Lust mehr zu warten.“, sagt sie offensichtlich lächelnd und dann das Klicken.
Sie hat aufgelegt.
Oh mein Gott! Sie will nicht mehr auf mich warten! Das bedeutet sie hat bis jetzt auf mich gewartet. Das bedeutet ich habe eine Chance, sie hat nur auf mich gewartet.
Und es zu wissen fange ich an zu lachen, werfe das Telefon auf den Boden und renne raus.
„Dean? Wohin willst du?“, schreit Tom.
Okay, Selbsthass du bist dran! Auf geht’s in eine Bar, damit ich ihn betrunken machen kann um ihn dann rauszujagen!!!

Okay. Das läuft ganz und gar nicht so, wie ich das will.
Den Selbsthass loszuwerden ist sehr viel schwieriger als erwartet. Durch das Betrinken wird es nur noch schlimmer. Gute Zuredung von anderen, von Tom, von Ziggy, sogar von meiner Mutter macht es auch schlimmer.
Meine Mutter hatte den Rat, während einer ihrer sehr weisen Momente: „Du musst auch SELBST davon überzeugt sein, dass du keine Schuld trägst, dass du wunderbar bist, wie du nun einmal bist. Erst dann können andere dir Komplimente machen, die du auch wahrnimmst.“
Meine Mutter klingt manchmal wie eine Tarotkartenfrau.
Ich sitze immer noch bei Ziggy im Wohnzimmer und versuche heraus zu finden, was ich tun muss, was ich tun sollte um dieses dumme Laster loszuwerden.
Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr und mehr kommt mir der Gedanke dass dieser Selbsthass doch auch blieben kann.
Es wird Stacy nicht auffallen, ihr wird nur auffallen, dass ich nicht mehr von Claire abhängig bin. Zwar werde ich nie so offen wie gewollt über sie reden können, aber wer kann das bitte bei seiner ersten großen, überaus schmerzhaften Liebe?
Stacy wird es gar nicht bemerken, nur die verbesserten Sachen. Ich kann doch auch schon jetzt zu ihr gehen, kann sie wieder zurück bekommen.
Jedenfalls wenn sie noch auf mich wartet. Aber ich bin ziemlich überzeugt, dass sie es noch tut.
Vielleicht weil ich sie gut kenne. Vielleicht weil ich sie liebe und somit eine tiefere Bindung zu ihr habe. Vielleicht weil ich es einfach hoffe. Vielleicht weil ich mich überschätze. Vielleicht weil ich sie UNTERschätze.
Vielleicht weil sie mich angerufen hat und exakt diese Worte sagte:
„Ja?“, fragte ich etwas genervt, weil ich einen Kater hatte.
„Wo zur Hölle bleibst du eigentlich?“, brüllte sie mir laut entgegen und sofort verging diese leichte Genervtheit.
„Ich sitze hier in der Pampa, weil ich seit 3 Tagen auf dich warte. Ich hab Hunger, muss aufs Klo und bin richtig angepisst. Komm endlich, damit ich nicht mehr auf dich warten muss, du hirnverbrannter Idiot!!!“, schrie sie.
Ich fing an zu lachen, sehr zu ihrem Missfallen.
Mitten in ihre Schimpftirade brachte ich dann ein paar Worte ein.
„…schleimiges Dreckschwein. Ich kann einfach nicht…“
„STACY!!!!!“, schrie ich und kurze Stille trat ein.
Nur unterbrochen von einem wütenden, geschnappten „WAS?“
Ich grinste und fing an mit meinem Armband zu spielen.
Das Armband, das sie mir in Vegas geschenkt hatte.
„Ich liebe dich.“, sagte ich einfach und sie verstummte, ihr Atem begann regelmäßiger zu gehen.
„Ich liebe dich auch. Beeil dich, mir wird hier langweilig.“
„Du kannst auch woanders hinfahren. Ich finde dich so oder so.“, sage ich und fahre mir kurz durchs Haar.
„Na gut. Ich fahre erst einmal nach Tennessee. Bis bald. Und ich meine das genauso. Bis BALD!!!“, brüllt sie und knallt den Hörer auf die Gabel.
Also bin ich recht sicher, dass sie noch irgendwo in Tennessee sitzt und auf mich wartet.
Aber meine Mum hat auch Recht. Ich muss diese eigene Schuld loswerden, diese Frustration die mich schon mein ganzes Leben lang verfolgt…
Diese Schuld, die ich seit einem bestimmten Moment in meinem Leben spüre und die ich einfach nicht mehr loswerde.
Das bedeutet im Klartext ich muss mit einer bestimmten Person reden.
Und jedem ist jetzt klar, wer das ist oder nicht?
Claire. Um es mal ganz klar zu stellen.
Die Claire, die mich verletzt und verkrüppelt hat.
Vor der ich mich schon seitdem fürchte, vor der Rede die ich mittlerweile auswendig kann, bei der ich aber hundertprozentig sicher bin, dass ich sie nicht über meine ängstlichen Lippen bringen werde.
Ich stehe auf, nehme meine Tasche die neben mir auf dem Fußboden liegt und gehe langsam in die Küche.
Tom sitzt da und isst ein Stück der Torte, die Ziggy erst vor kurzem mitgebracht hat.
„Ich fahre nach Dayton.“, sage ich und Tom sieht auf, Torte ist auf seinem Kinn verteilt.
„Wieso?“, nuschelt er mit vollem Mund.
Ich sehe ihn einfach an, mit diesem Blick der ihm sagt, dass ich es nicht verraten werde und dass ich im Moment ein bisschen wahnsinnig bin. Der Blick den ich schon sehr oft gebraucht habe, seitdem ich mit Tom arbeite.
„Okay. Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.“, sagt Tom und wendet sich wieder seinem Stück Torte.
Ich klopfe ihm auf die Schulter und mache mich auf den Weg nach draußen.

„Du bist dir sicher?“, frage ich noch einmal, damit ich nicht doch zum vollkommen falschen Haus fahre.
Ich bin jetzt in Dayton, nach einer viel zu langen Fahrt.
Und mir ist auch ziemlich bewusst geworden, dass ich verrückt gewesen sein musste durchzufahren.
Seit Stacy immer bei mir gewesen ist, hatten wir Milliarden von Pausen gemacht, hatten nie die Nacht auf der Straße verbracht.
Dabei hatte es mich immer so sehr aufgeregt, weil ich immer durchfuhr, damit ich schneller an meinem Ziel war, an meinem Geld.
Doch seit sie weg ist, fällt mir immer und immer mehr auf, wie bescheuert das Durchfahren ist. Es laugt aus, macht groggy und saugt alle Energie aus meinem Körper.
Und auch andre Angewohnheiten, wie das relativ viele Trinken kommt mir jetzt richtig dumm vor.
Direkt nachdem ich aus Vegas raus gefahren bin, hatte ich angefangen wieder so viel zu trinken, wie zuvor. Und es wird mir erst jetzt richtig klar, WIE viel genau das ist bzw. war.
Ich sitze hier in einem Cafe und esse ein Sandwich, schütte mich mit Kaffee voll, weil ich die Nacht durchgefahren bin.
So eine bescheuerte Angewohnheit – Ich muss mir das dringend abgewöhnen.
„Ja doch. Natürlich bin ich mir sicher.“, sagt Miles genervt in seinem leichten deutschen Akzent.
Miles Vogt ist einer von diesen „Zwischendurchfreunden“.
Ich habe eine Verwendung für ihn, wenn ich nicht will, dass Tom weiß, was ich genau mache.
Das heißt eigentlich, dass ich Miles nur sehr, sehr selten in meinem Leben brauche.
Aber er ist ziemlich nützlich, zwar anstrengend und etwas nervig, aber er erfüllt seinen Zweck für das Privileg meinen Namen in seinen kleinen Clubtreffen nutzen zu können.
Diese kleinen Treffen, bei denen viele aus unserer Branche zusammen kommen um mit ihrem Geld, den Errungenschaften und ihren Erfahrungen zu prahlen. Noch dazu Arbeitskollegen, die eine wichtige Rolle in unserer Welt spielen und zu guter letzt noch die Frauen.
Aber das Phänomen um die Frauen ist überall vertreten, auch wenn es in meiner Branche weniger wichtig ist. Man bekommt keine Berühmtheiten, weil man nicht häuslich ist, weil man nie lange genug in einer Stadt bleibt um sie zu umwerben. Und dann sind da noch die Paparazzi. Wenn man Dieb ist, will man sein Gesicht nicht in tausenden Magazinen abgelichtet sehen.
Miles darf bei diesen Treffen erwähnen, dass er für mich arbeitet, dass er mich persönlich kennt, dass er mit mir befreundet ist, auch wenn das letzte nicht ganz zutrifft.
Ich bin eine ziemlich wichtige Person in meinem Job.
Viele kennen mich, unter anderem viele Frauen, da ich sehr viele gute Funde in meinem Leben gemacht habe und diese an den Mann gebracht habe.
„Ich will aber am Ende nicht vor dem verfluchten, falschen Haus stehen.“, gebe ich in meinem tiefen, bedrohlichen Bariton zurück.
Bei Miles funktioniert diese Stimme.
Diese Stimme funktioniert eigentlich bei allen um mich herum. Auch bei den Umstehenden. Die Leute in meiner näheren Umgebung rücken weg, die Familien werden nervös.
Aber falls diese Stimme nicht funktioniert, fange ich an zu schreien. Und spätestens dann kuschen die Leute.
Außer natürlich meiner Familie, Tom…und Stacy.
Ihr Name lässt mich grinsen und ich fange, wieder einmal in letzter Zeit, an, an dem Bändchen herum zu fummeln.
„Ich bin mir sicher, verdammt noch mal. Wer denkst du bin ich eigentlich? Scheiß-Franklin?“, brüllt Miles mir zu und ich knurre kurz, er hält die Klappe.
„Überprüf das noch einmal.“
Miles seufzt laut, dann höre ich die Tastatur klicken.
„Claire Finch. 1038 Evergreen Tarace, Dayton, Nevada. Da steht es. Und dort wohnen auch noch Joe Finch, Jeremy Finch, Sean Finch und Helen Halter. Zufrieden?“, meckert er und seufzt wieder, stöhnt danach genervt.
Ich brumme und lege auf.
Nur ein paar Kilometer, dann sehe ich Claire wieder.
Sie wohnt mit ihrem Mann, den zwei Söhnen und Claires Großmutter zusammen. Muss das aber toll sein mit seiner Großmutter zusammen zu leben.
Ich bin mittlerweile schon 38 Jahre, Claire ist 35 und wie alt ist dann ihre Granny? 80?
90?
Das muss ein gutes Gefühl sein, vor allem kann man dann natürlich nicht so frei herum laufen, wie erwünscht.
Ich stopfe den Rest meines Sandwichs in meinen Mund und schütte den mittlerweile 4. Kaffee hinterher.
Dann stehe ich auf und setze mich draußen auf meinen Schatz.
Ich sehe Claire wieder. Nach Wochen. Das erste Mal hat mich fast getötet. Wie würde es gleich sein?
Und das schlimme an der Sache ist ja auch noch, dass ich Angst habe sie wieder zu treffen. Ich habe Angst was passieren wird, was sie auf meine Fragen und Aussagen erwidern wird. Diese kleine Rede in meinem Kopf beginnt jetzt schon sich in Nichts aufzulösen, so als wenn ich einen Knopf gedrückt hätte auf dem ERASE stehen würde.
Ich weiß nicht mehr was ich sagen soll, was ich als Erklärung für mein Auftauchen geben soll, was ich sagen soll, wenn ich mit ihr irgendwo sitze und sie die Dinge frage, die mir helfen sollen, diese erste Schuld in meinem damals noch jungen Leben loszuwerden.
Aber wie soll man Selbsthass aufgeben? Na ja, man muss aufhören sich selbst zu hassen, aber wie? Wie soll man sich so sehr ändern, wie soll man diesen Hass der in meinem Fall schon seit 13 Jahren besteht loswerden? Wie?
Es dürfte doch eigentlich ziemlich unmöglich sein, das zu schaffen.
Ich fahre durch eine ziemlich schöne Straße. Überall gepflegte, kleine Häuschen, jedoch genug Raum für Kinder. Kleine Vorgärten, mit Blumen umrankt. Weiße Lattenzäune.
Und das in unserer Gesellschaft, schließlich leben wir doch eigentlich im 21ten Jahrhundert, da dürften solche Zäune schon verboten sein oder nicht? Es macht einem selbst nur schmerzlich bewusst, dass man es niemals zu so einem Zaun bringen wird, nie zu so einem ruhigen, schönen Leben, das mit einem solchen Zaun einhergeht.
Und auch mir wird bewusst, dass ich es wahrscheinlich nicht schaffen werde, dass ich in einer kleinen Wohnung mitten in der Stadt enden werde, mit 60 Jahren kann man nicht mehr meinem Job nachgehen. Und da ich damals nur Mechaniker gewesen bin, ein Mechaniker, der gut war, aber in den nächsten Jahren an Wert verlieren wird, bekomme ich keinen Job.
Das heißt, dass ich kurz vor meinem Abgang etwas sehr Großes durchziehen muss, damit ich mein Lebtag lang, damit zurecht kommen werde.
Aber erst einmal sollte ich solche Gedanken verdrängen, noch bin ich nicht 60 Jahre alt, da habe ich noch knapp 20 Jahre. Genau 21 Jahre und…2 Monate. Plus minus ein paar Tage.
Ich fahre durch die Straße, bis ich vor dem kleinen Haus ankomme mit der Nummer 1038.
Ich mache meine Maschine aus, stelle sie auf den Ständer und steige ab.
Langsam ziehe ich mir den Helm vom Kopf, schüttele mein Haar ein bisschen auf, ich soll schließlich nicht aussehen, als wenn ich gerade erst aufgestanden wäre oder so etwas.
Ich atme tief durch. Ich muss gut rüber kommen. Nett. Nicht aufgeregt oder ängstlich.
Ich sollte keine Angst gegenüber Claire fühlen, und wenn dann soll sie es nicht bemerken, ich will nicht schwach wirken, sie kennt mich nur stark und diesen Trugschluss will ich aufrechterhalten.
Und ihr Ehemann spielt dabei auch eine kleine Rolle. Ich will ihn beeindrucken mit meinem Charme, damit er sich ernsthaft fragt, was Claire von ihm will.
Ich gehe auf die Haustür zu, klingele und warte.
Nach Miles, ist Claire jetzt zu Hause und auch der Rest der Familie hat weder Schule noch Arbeit.
Und das bestätigt sich auch, ich höre eine weibliche Stimme etwas rufen, dann Fußgetrampel.
Und das nächste das ich sehe ist ein ungefähr 14-jähriger dunkelhaariger Junge, der mich mit großen braunen Augen ansieht.
Ich denke er ist 14, aber das könnte auch falsch sein, wie ich am Gesicht feststelle.
Denn dieses wirkt älter, er könnte genauso gut 16 Jahre alt sein, nur etwas zu klein.
Ich lächele auf ihn herunter, da er ungefähr 1.70 groß ist und versuche, mal anders als sonst, freundlich zu wirken und nicht bedrohlich und angespannt.
„Hallo, ist deine Mutter vielleicht da?“, frage ich und kriege meine Stimme nicht ganz so hoch und freundlich wie ich will. Der Gedanke an Claire macht mich zu nervös um richtig zu denken.
Der Junge zieht die Augen ein bisschen zusammen, sieht mich misstrauisch und verwirrt an.
„Wie heißen Sie?“, fragt er. Er ist im Stimmbruch. Was mich zum Grinsen bringt.
„Sag ihr Dean ist da.“, meine ich schlicht und warte darauf, dass er losläuft.
Doch er wird abgehalten, als ein Mädchen, eindeutig 15 oder 16 auf ihn zukommt.
„Was ist denn Sean?“, fragte sie lächelnd und es ist klar, dass sie ihn besucht hat oder immer noch tut.
Doch Sean muss nichts sagen, das Mädchen sieht mich. Und ihre hellgrünen Augen werden groß, ihre Mund geht ein bisschen auf und ich kann fast spüren wie ihre Hormone anfangen auszuschlagen, ihr sagen sich auf mich zu stürzen.
Ich lächele ihr zu, zwinkere und sie wird rot, sieht kurz auf den Boden.
Sean bemerkt das nicht, er läuft an die Treppe und schreit laut: „MUM!!!! DEAN IST DA!!!“
Claire schreit: „WAS?“ Ich höre wie jemand losläuft, Joe steckt seinen Kopf aus einem Raum und sieht mir ins Gesicht.
Da klingelt es und er erkennt mich, kommt auf mich zu.
„Hallo? Was kann ich für Sie tun?“, fragt er sehr misstrauisch und sieht hinter mich.
Das liegt daran, dass er sich nach Stacy umsieht.
„Ich wollte kurz mit Claire sprechen. Ich wollte noch etwas klären. Von früher.“, sage ich und grinse freundlich. Joe ist immer noch nicht überzeugt.
Sean steht immer noch da, sieht mich an und auch das Mädchen steht noch da, starrt mich an.
Und da sehe ich sie.
Claire kommt herunter gerannt, so elegant wie immer obwohl ihre Augen rot sind, ihre Haut ein wenig fleckig und sie nur Jogginghosen und ein Shirt trägt.
Und ich erkenne glücklich etwas.
Es tut nicht mehr weh. Mein Herz ist still, es pumpt ein bisschen schneller, aber ich fühle mich nicht mehr gepeinigt.
Jetzt habe ich jemanden. Jemanden der den Schmerz zum Streben bringt und mich glücklich macht, wenn ich sie sehe, wenn ich an sie denke.
Jemand der mir niemals das Gleiche antun würde, wie Claire.
Sie sieht mich erschrocken an.
Ohne gefragt zu werden, gehe ich rein, grinse Claire an und wuschele kurz durch ihr Haar.
„Na du? Wie geht’s dir so? Warte….“, meine ich ehrlich glücklich und drücke sie etwas weg.
Ich sehe sie an. Sie sieht scheiße aus.
„Bist du krank? Du siehst ziemlich schlecht aus.“, meine ich entschuldigend und drücke sie anschließend an meine Brust.
Ich spüre wie sie sich kurz verkrampft, aber dann schlingt sie beide Arme um meine Mitte, drückt ihr Gesicht gegen meine Schulter.
„Was machst du denn hier?“, fragt sie lächelnd.
Mittlerweile steht Joe ziemlich nahe.
Sean und das Mädchen stehen auch noch da.
Ich sehe das Mädchen fragend an.
Sie räuspert sich und macht einen Schritt auf mich zu. „Madeline.“, sagt sie tapfer und starrt mich an.
Ich lächele, lasse Claire los und tätschele Madelines Wange, jedoch eher väterlich als alles andere.
„Sean, geht doch bitte hoch.“, sagt Claire und zeigt nach oben.
Sean verschränkt die Arme vor der kleinen Brust und sieht mich verwirrt an.
„Sean.“, sagt Claire dann scharf und er seufzt und macht sich auf den Weg nach oben.
Joe steht bei uns und sieht mich ähnlich seinem Sohn an.
„Ich wollte kurz was klären.“, sage ich zu Claire
Sie schüttelt lächelnd den Kopf.
„Wo sind meine Manieren? Komm mit, wir setzen uns ins Wohnzimmer. Joe, könntest du vielleicht Kaffee bringen?“, fragt sie als sie mich schon in einen Raum schiebt.
Der Raum ist beige, der Teppich sand und die Möbel in verschiedenen Farben. Es sieht ein bisschen unbeholfen aus und ich runzele unwillkürlich die Stirn, weil mir diese Gemütlichkeit in solchen Häuschen hier fehlt.
„Setz dich.“, fordert sie mich auf und ich setze mich gehorsam auf die Couch.
Claire setzt sich neben mich.
„Was liegt dir auf dem Herzen?“, fragt sie offen.
Ich lehne mich ein bisschen zurück, strecke meine Beine aus und lege einen Arm auf die Lehne.
„Na ja, ich wollte mich für S…Hollys Verhalten entschuldigen. Ihr ging es nicht ganz so gut. Sie ist in Therapie, aber sie hat es nicht immer unter Kontrolle.“, bringe ich entschuldigend lächelnd über die Lippen.
Die Tatsache, dass Claires Anblick mich nicht mehr schockt, hat mir mehr Selbstbewusstsein gegeben.
Claire sieht mich merkwürdig an.
„Mir erschien sie eigentlich ziemlich klar. Ich glaube sie hatte einen Grund dafür.“, sagt sie.
Ich schüttele vehement den Kopf.
„Nein, nein. Sie hatte keinen Grund. Mich schlägt sie manchmal auch aus Versehen, aber ich stecke das besser weg, als du.“, sage ich wegwerfend. Sie schlägt mich auch, aber nicht aus Versehen.
Es gab da doch diese eine Phase, in der ich Milliarden von Ohrfeigen von Stacy bekam.
Sie sieht mich an, lässt ihren Blick über mich wandern.
„Das sieht man.“, murmelt sie.
Ich gebe ihr einen kleinen Kinnstuber, da kommt Joe herein und stellt ein Tablett auf den Couchtisch und setzt sich auf Claires Seite.
Claire gibt mir eine Tasse mit Kaffee und ich nippe daran.
„Du erinnerst dich?“, frage ich ungläubig, da jeder sonst zumindest Zucker in Kaffee gibt, ich kann das aber nicht ausstehen.
Claire grinst. „Natürlich. Ist doch einfach, es ist nicht so schwer sich sowas Kleines zu merken.“, meint sie wegwerfen und starrt mich gebannt an.
Joe ignorieren wir beide.
„Du hast dich überhaupt nicht verändert in den Jahren, weißt du das? Du siehst immer noch so aus, als wärst du gerade 25.“, sagt sie ungläubig und starrt mir ins Gesicht.
Und da hat sie Recht. Ich weiß das, meine Mutter und mein Bruder denken das auch, meine Schwester auch.
„Es sind doch nur knapp 10 Jahre, da verändert man sich nicht so viel. Aber sieh dich doch an, immer noch so schön wie damals.“
Sie wird rot und lächelt schüchtern, aus dem Augenwinkel sehe ich wie Joe langsam genervt wird.
Soll er doch.
„Es sind 13 Jahre, Dean. In diesen 13 Jahren ist viel passiert.“
Ich nicke. Da fällt mir etwas auf.
„Ist Sean adoptiert?“, frage ich verwirrt.
Claire schüttelt den Kopf. „Nicht direkt. Joe hat ihn mit in die Familie gebracht.“, sagt sie und Joe starrt mich an.
Ich nicke und trinke weiter meinen 5. Kaffee heute.
„Um ehrlich zu sein, wollte ich dich auch noch etwas fragen.“, sage ich etwas ernster und lasse das unwichtige Geplänkel hinter mir.
Ich beuge mich vor, Claire macht das unweigerlich auch.
„Ich wollte ein bisschen über früher sprechen.“, sage ich etwas leiser.
Claire nickt und kurbelt mit der Hand, so wie sie es immer macht, schon immer gemacht hat. Schon damals war sie sehr ungeduldig und wollte schnell zur Sache kommen.
Ich kneife die Augen ein Stück zusammen und atme leicht ein und aus.
„Ich wollte wissen, warum?“, frage ich ruhig und Claires Augen werden groß, sie lehnt sich nach hinten und somit an Joe.
Als sie das bemerkt, rückt sie ab und setzt sich in die Mitte der Couch, näher bei mir als bei ihrem Ehemann.
„Na ja, das ist alles schon sehr lang her. Ich weiß nicht mehr.“, sagt sie und das ist offensichtlich eine Ausrede.
Als sie aufstehen will, halte ich sie leicht am Handgelenk fest.
„Es ist wichtig.“, sage ich ernst und höre selbst das tiefe Grummeln aus meiner Brust.
Claire seufzt.
„Joe, Schatz, könntest du uns einen Moment allein lassen?“, fragt sie ihren Mann.
Der wirkt verunsichert und starrt mich etwas gereizt an.
„Bitte.“, sagt Claire und ich höre den Ton aus meiner Vergangenheit. Jedes mal dieser ernste, bettelnde Ton.
Ich mag ihn nicht mehr. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich je auf diesen Ton reagiert haben konnte. Dagegen klingt Stacy quengelig und unzufrieden und das wirkt gleich überzeugender.
Joe nickt und geht ohne ein weiters Wort.
„Es…na ja, es war nicht mehr gut.“, sagt Claire leise.
„Was war nicht mehr gut? Habe ich nicht gereicht? War ich langweilig?“, frage ich eindringlich.
Claire schüttelt den Kopf. „Nein, du warst perfekt. Das war es aber auch. Du warst perfekt für mich und das kam mir komisch vor. Menschen sind einfach nicht perfekt.“
Ich lächele sie an. „Ich bin auf keinen Fall perfekt, Claire.“
Sie sieht mir in die Augen.
„Aber für mich bist du es. Das hat mich fertig gemacht. Niemand kann perfekt sein und diese Perfektion hat mich gestört. Ich wollte wenigstens einen Punkt, in dem wir nicht zusammen passen. Es war nicht mehr normal, dass es so gut war. Es war ZU gut.“
Frauen sind grauenhaft!
Ich runzele die Stirn. Stelle den Kaffee weg.
„Heißt das…Heißt das, du hast mich verlassen, weil ich perfekt für dich war?“, frage ich verwirrt.
Claire nickt schlicht.
Ich grinse. Oh Mann und ich habe mich Jahre lang durch gehasst, habe mich verabscheut, weil ich zu schlecht für sie war. Und dabei war ich zu GUT für sie!
Wie konnte mir diese Person etwas bedeuten? Wie konnte ich nicht sehen, wie sie ist?
„Du meinst das ernst oder? Du sagst das nicht, weil du dich nicht traust, mir zu sagen, dass ich schlecht im Bett war oder so?“, versichere ich mich.
Claire bricht in schallendes Gelächter aus.
„Ich meine das ernst. Du warst fantastisch im Bett, glaub mir es war einfach zu perfekt für mich. Das war alles.“
„Wenn ich einen Fehler gehabt hätte, wärst du bei mir geblieben?“, frage ich und ziehe beide Augenbrauen hoch.
Sie runzelt die Stirn, denkt nach. Dann schüttelt sie den Kopf.
„Nicht wirklich. Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir. Ich wäre gegangen um das Leben zu erforschen. Wir hätten den Draht zueinander verloren.“, sagt sie unbestimmt.
„Und jetzt? Würdest du mich theoretisch jetzt nehmen?“
Zu spät erkenne ich wonach das klingt.
Claire sieht mich erstaunt an.
Ich schüttele den Kopf. „Ich meine das nicht wie du denkst. Ich habe schon jemanden, aber vorher muss ich noch meine Vergangenheit hinter mir lassen.“
Claire sieht verstört aus.
„Wie meinst du das?“
Ich zucke die Schultern. „ Na ja, ich will aufdecken, was ich damals nicht konnte, will erfahren wieso du gegangen bist. Damals konnte ich nicht fragen und ich wollte es auch eigentlich nicht wissen. Ich hatte mir nur gedacht, dass du nie etwas gesagt hast, dass du mir nie klar gemacht hast, dass du unzufrieden bist.“
Sie sieht auf den Boden und spielt mit ihren Haaren.
Ich grinse. „Aber jetzt weiß ich, dass ich hätte nachfragen sollen, aber es tat einfach zu weh.“, gebe ich zu und lächele.
„Ich habe dir weh getan?“, fragt sie ungläubig.
Ich nicke. Wie konnte sie das nicht bemerken?
„Wirklich? Du warst so normal. Als wenn es dir nichts ausmacht.“
„Hat es aber. Aber jetzt ist wieder alles okay.“, meine ich und spüre wie eine Last von meinem Herz fliegt. Es gibt natürlich noch den Selbsthass, aber den ersten Auslöser davon bin ich los, jetzt kann ich Stacy zu mir kommen lassen.
„Wer ist sie denn? Oder er?“, fragte sie erst freudig, dann verunsichert.
Ich breche in Gelächter aus, reibe mir durchs Haar.
„Nein, nein. Es ist eine Frau. So sehr habe ich mich nicht geändert. Es ist Holly.“, gebe ich zu.
Claire sieht mich an.
„Also weiß ich wer es war, wenn du stirbst.“, sagt sie leicht grinsend.
Ich grinse zurück.
„So schlimm ist es nicht. Außerdem weiß ich wie ich sie ablenken und aufhalten muss.“
Mit Sex. Aber das will ich jetzt lieber nicht sagen.
„Sie ist wirklich hübsch.“, sagt Claire leise.
Ich sehe an die Decke, spüre das Grinsen in meinem Gesicht, den verträumten Blick, kann ihn mir nur zu gut vorstellen.
„Das ist aber nicht alles.“, murmele ich und sehe sie vor mir, wie sie lacht, wie sie mich böse mustert.
Und da spüre ich auch mein Handy vibrieren.
Ich hebe einen Finger, als Claire anfangen will zu reden und hole mein Handy heraus.
Es ist Tom.
„Wartest du kurz?“, frage ich und will aufstehen.
Claire steht auf. „Bleib du nur hier. Ich komme gleich wieder, ich muss mich kurz um Jeremy kümmern.“, sagt sie und steht auf.
Ich nehme ab.
„Ja? Was gibt’s?“, frage ich.
„Hab was Großes. Und damit meine ich riesig!“, schreit Tom mir entgegen, ich höre wie begeistert er ist.
Das muss gigantisch sein, damit Tom so aus dem Häuschen ist.
„Was denn? Und wo?“
„Ein Gemälde. In L.A. Du bist doch in Dayton oder?“, fragte er aufgeregt.
Ich grinse. „Ja bin ich. Dann erzähl mal, was ich damit holen kann.“
„Ich…es sind...7 Millionen DOLLAR!!!! 7 MILLIONEN!!!“, schreit Tom mir entgegen und ich breche in Gelächter aus.
„WAS???“, schreie ich und muss mich ermahnen nicht so laut zu sein.
„7 Millionen? Bist du sicher? Was ist das für ein scheiß Gemälde, dass wir 7 Mille bekommen?“, frage ich ungläubig.
„Keine Ahnung. Es sieht aus wie sonst auch, aber es ist was Besonderes.“
Ich atme tief durch.
„Wissen die anderen schon bescheid?“, frage ich misstrauisch.
„Beatrice hat gesagt, ist erst gerade rein gekommen. Musst dich aber beeilen. Ich schick dir gerade das Zeug rüber.“, sagt er und ich spüre wie mein Handy vibriert.
Normalerweise mag ich es nicht, wenn ich Pläne auf mein Handy bekomme, ich mag es lieber altmodisch, aber wenn es sowas Großes ist, dann ist das okay.
„Viel Sicherheit?“, frage ich und reibe mir durchs Haar.
„Nein. Nur so ein paar Kameras und ein alter Wachmann. Die Frau macht sich anscheinend keine Sorgen.“
„Kannst du in das Register hacken und es für ein paar Stunden lahm legen?“, frage ich.
„Ich weiß nicht genau. Ich kann es versuchen.“
„Dann fahre ich gleich los. Muss nur noch kurz was machen, dann bin ich unterwegs.“
„Gut, beeil dich. Ich will diese 3.5 Millionen haben.“
Ich seufze. „Ich will sie auch. Aber was willst du mit den Millionen machen. Du kannst ja nicht einmal was mit deinen Zweien anfangen. Was machen wir dann mit 3?“
Tom fängt an zu lachen. „Ich kaufe mir eine Insel.“, schreit er mir entgegen.
Ich fange ebenfalls an zu lachen.
„Ich dachte wir werden nicht sesshaft. Inseln sind sesshaft.“, bringe ich zu bedenken.
Tom stöhnt und dann das Klicken.
Ich grinse, da klingelt mein Handy wieder.
„Ja?“
„Ich vermisse dich. Niemand schreit mich an und drückt mich gegen die Badezimmerwand.“, sagt Stacy störrisch und ich spüre wieder dieses verträumte Lächeln, das immer mein Gesicht ziert, wenn ich mit Stacy rede.
Ich spiele wieder mit den Bändchen an meinem Handgelenk.
„Ich vermisse dich auch Schätzchen. Und auch dich gegen Badezimmerwände zu drücken. Aber ich muss gerade was erledigen, danach muss ich nach L. A.“, sage ich und Stacy stöhnt auf, sie quietscht ein bisschen.
„Wenn du mich noch ein bisschen allein lässt, hole ich mir jemand anderes der mich gegen eine Wang presst.“, sagt sie genervt.
Das bringt mich von meinem Geldrausch herunter.
Ich höre mich selbst tief und wütend knurren.
„Dann such dir jemanden, der dir nicht wichtig ist. Denn den nächsten Tag wird er nicht erleben.“, meine ich bedrohlich.
Stacy ist still, ich höre aber ihren schnellen Atem.
„Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr mich das gerade angeturnt hat? Ich mache mich gleich nass.“, sagt sie keuchend und ich grinse wieder.
„Warte damit, bis morgen. Dann bin ich wieder da.“
Sie seufzt.
„Was machst du in L. A?“
„Ich hole uns 7 Millionen Dollar.“, sage ich schlicht und werde dafür belohnt.
Stacy schreit auf und ich höre wie sie laut und glücklich anfängt zu plappern.
„OH MEIN GOTT DEAN!!!! ICH LIEBE DICH, DU BIST EINFACH DER BESTE!!!“, schreit sie.
„Aber teils durch zwei. Tom kriegt die Hälfte und ich muss Beatrice auch was geben, dafür was ich mit ihrer Tochter gemacht habe.“, rutscht es mir raus.
„Was hast du mit ihrer Tochter gemacht?“, fragt Stacy wieder auf dem Boden der Tatsachen.
In meinem Kopf rattert es sehr schnell.
„Ich habe sie angefahren. Schon länger her, aber natürlich hat mir Bea nicht verziehen.“
Stacy seufzt. „Wenigstens versuchst du mich anzulügen.“
Ich seufze auch. „Tut mir leid. War lange vor dir.“, sage ich entschuldigend.
„Aber 3. 5 Mille!“, sagt sie wieder glücklich.
„Ich weiß. Du kriegst alles was du willst.“, meine ich grinsend.
„Ich will dich. Also komm endlich nach Tennessee und hol mich du Idiot.“
Ich lächele vor mich hin und stütze mich mit den Ellbogen auf meine Knie.
„Ich liebe dich.“, sage ich schlicht und ernst, ich höre mich selbst.
Stacy ist ruhig.
„Ah, das tut so unglaublich gut. Es hört sich richtig an, als wenn du deine andere Schlampe nicht mehr liebst.“, sagt sie.
„Tue ich nicht. Sie ist Vergangenheit, du bist meine Zukunft.“, sage ich ernst, weil ich das endlich akzeptiert habe.
„Ich liebe dich. Beeil dich.“, sagt sie und ich lege auf.
Ich stehe auf und will mich auf die Suche nach Claire machen, als ich sie im Türrahmen sehe. Sie starrt mich mit großen Augen an.
„7 Millionen Dollar?“, fragt sie.
Ich suche nach einer Antwort, einer guten Ausrede.
Aber letztendlich, gehe ich nur zu ihr, nehme sie in die Arme und sage: „Danke für alles. Leb wohl.“
Damit gehe ich aus dem Raum, spüre ihren Blick noch in meinem Rücken und gehe aus dem Haus heraus.
Das Mädchen von vorhin steht auf dem Bürgersteig und starrt mein Baby an.
„Hey.“, sage ich ihr zwinkernd und sie wird wieder rot, macht mir Platz.
Ich nehme meinen Helm, ziehe ihn über meinen Kopf und schmeiße mein Baby an.
Dann schwinge ich ein Bein über den Sitz, tippe mir an den Helm und fahre los.
Ich weiß, dass das Mädchen mir hinterher starrt, aber das ist nicht wichtig.
Ich fahre los nach L. A. 7 Millionen Dollar…Ich komme!!!!

Ich sehe mir das Haus noch einmal an.
Es ist schlicht, groß, aber immer noch recht schlicht, im Gegensatz zu den anderen riesigen Gebäuden.
Wie bitteschön kann man so wenig Sicherheitsvorkehrungen haben, wenn man einfach so Mal 7 Millionen Dollar an seiner Wand hängen hat? Da muss es doch einen Hacken geben.
Aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Ich steige von meinem Baby, ziehe das Cap tief ins Gesicht und steuere einfach auf den Hintereingang zu.
Der Wachmann schläft.
Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Ich spüre das, als wenn jemand mich beobachtet, mich mustert und meine Stärke abschätzt.
Das Problem ist, dass ich nicht weiß wer es ist oder wo er sich aufhält.
Ich gehe leise an dem älteren Mann vorbei, sehe noch wie er schmatzt, er schläft eindeutig.
Und auch wenn er wach wäre, ich könnte ihn sicherlich schnell ausschalten.
Ich laufe ein bisschen schneller zum Hintereingang und lege kurzerhand die typische Alarmanlage lahm.
Es ist eine ganz einfache, die die alle in L. A. haben. Die, die im wirklichen Raubüberfall gar nichts bringt.
Um die Kameras mache ich mir wenig Sorgen. Ich weiß wo sie sind, was sie aufnehmen werden und so kann ich einfach das Gesicht dem Boden zuwenden, das reicht letztendlich auch.
Dann muss ich nur noch meine Kleidung loswerden, unauffällig zu meiner Maschine gehen und alles ist geritzt.
Mein Handy ist aus, schließlich gibt es solche blöden Anrufe immer dann, wenn man es nicht will.
Dieses komische Gefühl beschleicht mich schon wieder, als wenn hier Gefahr lauert.
Meine Hände werden langsam nass und ich sehe mich gehetzt um. Was ist das hier nur?
Hier lebt nur eine Frau, vollkommen allein.
Und auch wenn sie bewaffnet ist, das werde ich schon schaffen. Wenn sie einen Kerl hier hat, den werde ich auch schon noch los.
Aber dieses Wissen, dass etwas nicht stimmt, ist schrecklich.
Ich gehe einfach weiter den Flur entlang, durch das geschmackvolle Haus auf die Treppe zu.
Ich gehe leise hoch, freue mich über nicht knarrende Stufen, da die Frau gerade da ist.
Da hängt es.
Aber erst einmal steuere ich auf das Bad zu.
Nicht weil ich mal für Königstiger muss oder so, sondern weil das Tastenfeld für die Alarmanlage beim Gemälde dort ist.
Ich habe Toms Anweisungen noch genau in Erinnerung, benutze den allgemeinen Code für so ein einfaches System und schalte es aus.
Das hier geht viel zu leicht.
Das dachte ich schon ein anderes Mal, schon oft dachte ich es, aber heute kommt es mir deutlich in den Sinn, dass hier was faul ist.
Dieses eklige Gefühle, etwas Kaltes zieht sich meinen Rücken hinauf und kitzelt mich im Nacken.
Ich versuche diese Gedanken weg zu schütteln und gehe zum Gemälde, nehme es aus der Verankerung und sehe es mir noch einmal an.
Ich höre ein leises Schnarchen aus dem Raum neben mir und versichere mich lieber doppelt.
Ich gehe hinein und sehe die Frau, braune lange Haare sind um ihren Kopf verteilt, sie hat ein hübsches, kleines Gesicht.
Stupsnase, lange Wimpern, schöner Mund.
Und nach dem, was ich sehe, hat sie einen schlanken, hübschen Körper.
Etwas kleine Brüste, aber sonst perfekt.
Und das Beste an der Sache ist: Sie schläft und weiß nicht dass ich sie gerade um 7 Millionen Dollar erleichtere.
Ich gehe wieder zurück, mache mich auf den Weg nach unten und habe das Gemälde fest in meinem Griff.
An der Hintertür angekommen, schließe ich die Tür, stehe im Freien und aktiviere die Alarmanlage wieder.
Dann gehe ich los, durch die Einfahrt.
Und stoppe.
Der Wachmann ist wach, sieht sich um, als wenn er etwas gehört hätte.
Und das hat er anscheinend auch.
Ich mache mich auf den Weg zurück, will durch die Hecke.
„KEINE BEWEGUNG!!!“, schreit ein Mann mir von hinten zu.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein. NEIN!!!!!!
Ich wusste doch, dass hier was falsch läuft. Wieso habe ich nicht auf meinen Instinkt gehört?
„Langsam umdrehen!“, schreit er mir zu, ich höre noch ein bisschen mehr Atem als meinen.
Ungefähr 6 Leute, denke ich.
Sie alle stehen hinter mir, ihre Waffen gezogen.
Und ich versuche verzweifelt einen Ausweg zu finden.
Wieso musste ich es unbedingt tun? Wieso habe ich nicht auf meinen Instinkt gehört und habe es gelassen? Und die wichtigste Frage:
WOHER WUSSTEN SIE, DASS ICH HIER SEIN WÜRDE????
Das Gemälde in meinen Händen, drehe ich mich ganz langsam um, lasse das Gesicht unter meinem Cap verschwinden.
„Legen Sie das Gemälde auf den Rasen!“, schreit der gleiche Cop und es ist offensichtlich, dass er sich überlegen fühlt.
Ich lege meine 7 Millionen Dollar auf den gepflegten Rasen und stehe gelassen und locker weiter auf der Stelle.
Doch während ich gelassen aussehe, fängt mein Gehirn an, alle möglichen Auswege durchzugehen.
Ich könnte loslaufen. Und würde erschossen werden.
Ich könnte auf die Cops losgehen. Und würde erschossen werden.
Ich könnte nach meiner eigenen Waffe greifen, die die versteckt ist und bei der ich knapp 1 Minute brauche um sie hervor zu holen. Und würde erschossen werden.
Es kommt mir langsam so vor, als wenn ich hier nur sterben kann.
Aber dann gibt es noch diese eine Möglichkeit.
Ich würde dabei nicht sterben, aber innerlich schon.
Ich könnte auch ins Gefängnis gehen.
ABER DAS WILL ICH NICHT!!!!
Wieso war ich nur so geldgeil? Wieso kann ich mich nicht mit meinen 3 Millionen in meiner Tasche zufrieden geben? Wieso kann ich nicht mit dem zufrieden sein, das ich habe?
Ich hätte doch auch noch Stacy bei mir. Sie hat noch 3 Millionen von der Platte. Es würde doch reichen. Wir könnten doch auch noch zusammen losziehen und weniger wichtige Sachen holen.
Wieso musste ich das nur tun?
Ich kann einfach nicht ins Gefängnis. Es wird mich töten. Ich kann es nicht ausstehen wenn ich eingefangen bin. Ich kann nicht lange an einem Ort bleiben, ich werde klaustrophobisch.
„Gehen Sie auf die Knie! Machen Sie schon!“, schreit der Cop und langsam werde ich genervt. Kann er nicht einfach seine bescheuerte Klappe halten?
Ich versuche hier immerhin einen Ausweg zu finden!
„AUF DIE KNIE!!!“, kreischt er und ich höre wie die Waffe gespannt wird.
Ich seufze und lasse mich langsam auf die Knie fallen, starre das Gemälde dabei an.
Ich wünsche mir, ich wäre bei Stacy. Einfach so, ohne dass es Probleme gibt.
Ein paar Bullen bewegen sich, kommen auf mich zu und stellen sich hinter mich.
Meine Hände werden grob gegriffen und in enge Metallschlingen geschnallt.
Dann werde ich daran hochgezogen, meine Handgelenke fangen an zu brennen, als ich mich erst nicht bewege.
Letztendlich stehe ich doch auf.
Der Cop der mich schon die ganze Zeit anschreit kommt auf mich zu.
„Dann gucken wir Mal, warum der Junge uns sein Gesicht nicht zeigt.“, meint er grinsend.
Er ist kleiner und schmächtiger als ich, dazu sieht er noch tausendmal schlechter aus als ich.
Und er fühlt sich unglaublich toll.
Er reißt mir das Cap vom Gesicht, erwartet etwas Hässliches und findet mein Gesicht vor.
Er schreckt etwas zurück, sieht mich dann hasserfüllt an.
Ich sehe ihn wütend an, bringe all die Wut die sich gerade aufstaut durch meinen Blick auf ihn.
Er zuckt zusammen, als ich einen Schritt zur Seite mache, mein Gewicht verlagere.
„Bringt ihn weg.“, sagt er dann wütend und ich werde nach vorne geschubst, an anderen Männern und Frauen vorbei.
Frauen starren mich an, Männer schätzen mich ab.
Und ich werde in einen Polizeiwagen verfrachtet.
Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich muss mit Tom sprechen. Und Stacy. Ich MUSS einfach.
Tom holt mich irgendwie raus, er hat Einfluss. Er soll auch Anne anrufen.
Und Bea. Und Cameron. Ziggy. All die anderen, die Einfluss in meiner Welt haben.
Aber zuerst werde ich ins Polizeirevier gebracht.
„Ist wohl nicht so gut gelaufen, was Arschloch?“, sagt der eine Mann vorne spöttisch.
Dabei sieht er mir ins Gesicht.
Ich verziehe das Gesicht nicht, sehe ihn nur an, bohre meine Augen in seine.
Er sieht zuerst weg und zuckt dabei zusammen.
„Der ist total wahnsinnig. Guck dir den Scheißkerl Mal an.“, sagt er zum Fahrer.
Der sieht kurz zu mir nach hinten, ich sehe aber aus dem Fenster, lasse L. A. an mir vorbei ziehen.
„Sieht doch ganz normal aus.“, meint der Fahrer.
„Du bist manchmal auch blind. Der gehört in die Psychiatrische.“, sagt der Beifahrer und sieht noch einmal nach mir.
Er bekommt den bösen Blick von mir.
Er dreht sich wieder der Straße zu und ab da herrscht Stille.
Ich weiß einfach nicht, wie es weiter gehen soll.
Ich will nicht ins Gefängnis, nicht einen einzigen Moment will ich in so einem Gebäude verbringen.
Ich verdränge so gut wie alle Gedanken an meine Ausweglosigkeit, an meine Hilflosigkeit und Verzweiflung und konzentriere mich auf die guten Sachen in meinem Leben.
Die Guten Sachen, die mir im Gefängnis nichts bringen.
Aber ich wollte doch nicht daran denken.
Also konzentriere ich mich etwas mehr.
Und als ich an gute Dinge in meinem bisherigen Leben denke, kommt sofort Stacy in meinen Sinn.
Wie sie mich anlächelt oder wie sie mich anschreit.
Wie sie auf dem Bett liegt und mich erwartend ansieht.
Ihr kleines Kinn auf meine Brust gestützt, wie sie von dort unten hoch in mein Gesicht sieht, wie sie darauf wartet, dass ich etwas sage.
Wie sie mir ins Gesicht sieht und sagt „Ich liebe dich.“
Die vielen kleinen Momente mit ihr, die vielen Großen und so viele Unwichtigkeiten, die mir damals so dumm und belanglos erschienen, mir aber jetzt die größte Freude bringen.
„Langsam aussteigen. Mach keine Dummheiten!“, motzt eine Polizistin und ich realisiere verwirrt, dass wir schon da sind.
Ich bewege mich langsam aus dem Fahrzeug.
Wie ich diese minimale Geschwindigkeit verabscheue.
Mir wird wieder an den Handschellen gerissen, meine Handgelenke fangen an zu brennen und dann werde ich ins Polizeigebäude gebracht. Es riecht nach schalem Kaffee, verblassendem Rauch und Leder.
Ich werde durch einen Flur geführt, vorbei an vielen Schreibtischen mit der jeweiligen kleinen Wand und schließlich in einen Raum mit dem üblichen Fenster. Dem Spiegelfenster, durch das ich nichts sehen kann, die anderen im Nebenraum können mich aber beobachten.
„Veranstalte hier keinen Mist.“, motzt die farbige, kleine Polizistin und stampft weg.
Ich setze mich etwas bequemer auf dem Metallstuhl hin, rutsche kurz herum und lehne mich anschließend nach hinten, fange an mich umzusehen.
Ich muss hier raus. Diese Leere in dem Raum ist bedrückend. Räume sollen nicht nur mit einem Tisch und zwei Stühlen gefüllt sein, dafür sind diese vier Wände nicht gedacht. Man soll sie mit Bildern, Erinnerungen und gemütlichen Dingen füllen.
Anscheinend werde ich schon beobachtet, da noch kein Polizist angerannt kommt um mit mir zu sprechen.
Aber was wird dieses Gespräch bringen? Was?
Ich wurde in flagranti bei einem Raub geschnappt. Was muss man da noch besprechen?
Ob ich schuldig bin? Was das Motiv war? Ob ich es bereue?
Auf die letzte Frage, würde ich eindeutig JA antworten.
Verdammt, ich bereue diesen scheiß Raub. Ich bereue meine Blödheit.
Nach Ewig und zwei Tagen kommt endlich ein Cop rein und setzt sich mir gegenüber hin.
Er trägt eine Jeans, darüber ein beiges Hemd mit einer Krawatte. Die Krawatte ist grün, violett gestreift. Er trägt einen Flaum aus schütter werdendem braunem Haar auf dem Kopf. Er ist kleiner als ich, etwas molliger und sieht müde aus.
Er starrt mich aus grauen, müden, von Augenringen umrahmten Augen an.
„Wissen Sie was Ihnen vorgeworfen wird?“, fragt der Cop überflüssigerweise.
Ich nicke stumm.
„Dann wissen Sie doch auch, was daraus resultiert oder nicht?“, fragte er.
Ich zucke die Schultern.
„Sind Sie vielleicht stumm? Oder haben Sie unsere Sprache verlernt?“, fragt er provozierend.
„Nein, das habe ich nicht.“, sage ich ruhig und mustere den Cop weiter.
Kühl bleiben ist wichtig.
Er fühlt sich offenbar nicht so toll bei meiner Musterung.
„Sie haben den Kollegen Ihre ID nicht verraten. Warum?“, fragt er.
„Wieso sollte ich Ihnen Ihren Job so leicht machen? Finden Sie es doch raus.“, meine ich und grinse.
Stacy!!!!! Alles in mir verlangt nach ihr, ich kann mich nicht auf diesen Raum fokussieren.
Es funktioniert einfach nicht, es will nicht so, wie ich.
„Sie haben ein Gemälde aus Amilia Greens Eigentum entwendet.“, sagt der Kerl vorsichtig und sieht dabei in die Akte, die er in der Hand hält.
Ich sage darauf nichts. Es ist immerhin keine Frage.
Der Cop seufzt und sieht mich an.
„Wir beide wissen doch wie das ist, nicht wahr? Wir könnten das hier auch viel schneller hinter uns bringen. Sag mir doch einfach mal Name und Alter.“, sagt er erschöpft und versucht so zu tun, als wenn wir etwas gemeinsam hätten. Er will eine Beziehung aufbauen.
Ich springe nicht darauf an, schweige während er langsam erkennt, dass die Kumpeltour nicht funktioniert.
„Wissen Sie, dass…“
„Ich habe einen Anruf frei. Ich habe durchaus zugehört, als mir die Rechte verlesen wurden. Den Anruf will ich jetzt tätigen.“, unterbreche ich ihn.
Er starrt mich böse an.
Dann verschwindet er und ich fange an leise zu lachen.
„Idiot.“, murmele ich grinsend vor mich hin.
Die da hinten sollen ruhig sehen, dass sie mir nichts anhaben können. Sollen sie mich doch wegsperren (NEIN!!!), aber ich werde ganz sicher nicht reden. Oder sie respektieren.
Der Cop kommt zurück, knallt mir ein Telefon vor die Nase und bleibt stehen.
Ich greife danach, weil mir mein Handy schon abgenommen worden ist, und wähle Toms Nummer.
„Ja?“, fragt er und gähnt danach herzhaft.
Tom und ich arbeiten schon seit Jahren zusammen und es gibt ein Codewort, ein Wort, das klar macht, dass der andere in Schwierigkeiten ist.
Tom hat es bis jetzt einmal gebraucht, ich habe herum telefoniert und zwei Tage später, war Tom wieder aus dem Kittchen raus.
„Hi. Bin auf dem Polizeirevier. Ruf Stacy an und sag ihr Bescheid. Meine Tante hat angerufen.“ Eine kurze Pause. „Die sollst du auch informieren okay? Bis dann.“, sage ich.
„Ich werde es erledigen.“, sagt Tom ernst und ich lege auf, schiebe das Telefon von mir weg.
Der Cop starrt mich an. „Schon fertig?“, fragt er ungläubig, aber langsam erkennt er dass ich ein Wort benutzt habe.
Es war aber der ganze Satz.
„Ja, wonach sieht es denn aus? Bekommt man hier auch was zu trinken? Ich bin am Verdursten!“, meine ich.
Jetzt heißt es warten. Tom wird das erledigen.
„Wir bringen Sie gleich weg. Dann werden Sie in ein Staatsgefängnis gebracht. In ein paar Tagen, wird klar werden, wie Ihre Strafe lauten wird.“, sagt er stur und sieht mich hasserfüllt an.
Ich hebe meinen Daumen, zwinkere ihm zu.
„Klingt doch gut, Harriet.“, sage ich grinsend und der Cop zieht wieder schlecht gelaunt von Dannen.
Hoffentlich ist Tom schnell.

„FRISCHFLEISCH!!!“, schreit es durch den großen Hof, der mit einem Zaun von mir abgegrenzt ist als ich mit ein paar anderen Kerlen aus dem Bus steige um einen Gang entlang zu gehen.
Ich mache mir schon beinahe Sorgen um die Kerle hier drinnen. Es sieht ganz danach aus, als wenn sie wirklich Frischfleisch in mir sehen, so wie sie herum sabbern und wirr hin und her gucken.
Aber das lasse ich erst einmal hinter mir. Ich trage gerade dieses übliche Gefängnisding, bin mit Handschellen vorne befestigt und mit Fußschellen auch.
Meine Güte es geht hier doch nur um einen kleinen Raub und ganz viel Kreditbetrügerei plus ein bisschen Behinderung der Justiz und einem Überfall auf einen Beamten.
Als wenn das so schlimm wäre.
Das mit den Kreditkarten haben sie irgendwie heraus gefunden, als sie in meine Brieftasche sahen.
Dass ich die Justiz behindere ist sowieso klar und auch verständlich.
Und dass ich einen Überfall auf einen Beamten verübt habe, kann mir doch wohl keiner übel nehmen.
Ich meine, ich sollte mich vor ihm ausziehen. Einfach so. Ich bin nicht prüde, aber mir gefiel einfach nicht dieser lüsterne Blick des Cops. Da schickte ich ihn raus. Er wollte aber nicht und kam näher.
Und es kann durchaus sein, dass ich ihm ein paar verpasst habe.
Aber es ist verständlich. Das alles hier ist Polizeigewalt!
Ich habe meine Rechte! Sie wurden mir doch verlesen, da kann ich mich doch auch auf sie beziehen, nicht wahr?
Und jetzt bin ich an der Hüfte des Typen vor mir und an den Füßen des Typen hinter mir fest gebunden und hoffe darauf, dass Tom sich gefälligst beeilt.
Na ja, zwar war bei Tom selbst nie so etwas Großes wie bei mir, aber immerhin habe ich viele Kontakte. Er muss sie nur alle erreichen und hoffen, dass sie mich unterstützen.
„Na komm zu Papa.“, höre ich deutlich durch das Gebrabbel der Häftlinge, die sich alle an den Zaun pressen um die Neuen hier zu sehen.
Normalerweise habe ich keine Vorurteile, aber das hier entspricht den ganzen Filmen so sehr…es ist unfassbar.
Die anderen Häftlinge auf dem Hof sabbern weiter, sehen sich um und starren, versuchen uns alle anzufassen.
Den meisten Kerlen vor und hinter mir ist das unangenehm, aber nur ein einziger in unserer Gruppe hat Angst.
Der, ich denke, 3. Letzte. Er ist vielleicht gerade Mal so 20 Jahre alt, verflucht wahrscheinlich sein reifes Alter, da er sonst vielleicht Milderung oder Jugendknast bekommen hätte.
Er hat blonde, lange Strähnen, die ihm in den Kragen fallen, braune Augen und ist ziemlich klein. Vielleicht 1.75.
Aber bei meiner Größe die fast auf die 2 Meter zugeht, kommt mir alles klein vor.
Der Sträfling sieht sich gehetzt um, zuckt zusammen, wenn ein paar Hände ihn streifen und bricht fast in Tränen aus. Es wäre vielleicht lustig, wenn ich nicht selbst in so einer Lage wäre.
Wir kommen in das Gebäude und stellen uns in eine Reihe.
Wir sollen unsere Sachen abgeben und dann die neue Kleidung und Bettzeug bekommen.
„VERSCHWINDEN SIE!!!“, brüllt eine Frau und ich drehe mich um, meine Augen groß, ein Grinsen macht sich breit.
Die Typen hinter mir, schubsen mich weiter, wollen vorbei.
Doch ich bleibe stehen, sehe schon jetzt ein paar blonde Locken wehen.
„Miss….“, schreit ein Wärter und will sie aufhalten.
Aber das nächste das ich sehe ist, wie der Wärter am Boden liegt und sich stöhnend zwischen die Beine fasst.
Und dann kommt sie auf mich zugerast.
Ich hätte nie gedacht, dass sie so wunderbar aussehen kann.
Überall fliegende, wirre Locken, ihr Blick gehetzt und suchend, die Wangen gerötet, sie läuft vorwärts.
Ich stelle mich aus der Reihe, fast direkt daneben und sie sieht mich, lächelnd kommt sie angerannt.
Und ich öffne rechtzeitig die Arme, damit sie hinein hüpfen kann, sie presst ihre Nase an mein Brustbein.
Sie sieht mir ins Gesicht.
„Du hast doch gesagt, du kommst nach der Sache in L. A.“, sagt sie leise, ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Ich lächele leicht, wische ihr die ersten Tropfen von den Wangen.
„Wir wiederholen das. Ich komm bald hier raus.“, sage ich genauso leise, die Typen starren mich aber trotzdem an.
Wahrscheinlich liegt das an Stacy.
Und sofort fängt etwas in mir an, jeden einzelnen von ihnen innerlich zu zerreißen.
Sie sollen sie nicht anstarren, sie gehört MIR!
Ich schließe sie etwas enger in meine Arme, drücke sie an der Hüfte zu mir.
Ihre Hände fahren mir über beide Wangen, sie lässt den Daumen kurz über meine Unterlippe wandern.
„Ich besuch dich.“, sagt sie leise.
Ich grinse, kümmere mich einen Dreck um Zuschauer und presse meine Lippen auf ihre.
„Brauchst du nicht. Ich komme zurecht.“, sage ich unbekümmert.
Sie schlägt mich auf die Schulter.
„Ich komme trotzdem.“, sagt sie beleidigt.
Ein paar andere Wärter kommen angetrabt, erkennen die Situation und schlagen keinen Alarm.
„Okay. Such dir so lange schon Mal ein Haus aus.“, sage ich grinsend.
Ihre Augen fangen an zu leuchten.
„Du bleibst bei mir?“, haucht sie ungläubig, selbst ich kann sie fast nicht hören.
Ich lächele, drücke meinen Mund wieder auf ihren und löse sie von mir.
Drücke sie weg, drehe sie um und haue ihr auf den Hintern.
„Mit Garten.“, sage ich und schubse sie ein bisschen weg.
Sie dreht sich um, wirft mir eine Kusshand zu.
Dann hüpft sie davon, wie eine kleine, süße Elfe.
Ich starre ihr hinterher, bemerke kaum, wie ich ans Ende der Schlange geschoben werde und auch nicht, wie jemand mich die ganze Zeit lang antippt.
„Deine Schnalle ist echt heiß.“, verläutet es hinter mir und das bringt mich wieder zurück.
Wütend drehe ich mich um, feuere dem Jungen von vorhin eine widerwärtigen Blick zu, bedenke ihn mit meinem Hass, den ich nur für solche Typen bereit halte.
Typen die eine Frau nicht schätzen.
Typen, wie ich einer gewesen war.
Er zuckt zusammen, verdrängt schnell wieder das Gefühl von Verbundenheit, Freundschaft, das er aufbauen wollte und geht weiter in der Schlange.
Ich bekomme mein Zeug und anschließend begleitet mich ein Wärter zu einer Zelle.
Zweierzelle.
Na Bravo. Noch so ein Kerl bei mir.
Und der Kerl ist unordentlich, überall hängen Zeichnungen, sein Bett ist voll mit Zeugs und auch auf dem Boden sind Zeichnungen verteilt.
Komische Zeichen, Verschnörkelte, sieht fast keltisch aus.
Dann wieder Zeichnungen von Dingen. Wirklich gut gefertigte Zeichnungen, der gefüllte, große Hof, diese Zelle hier, die große Halle in der die Zellen verteilt sind.
Durch die Gitterstäbe. Verschiedene Personen, ein Kerl mit Tätowierungen, überall auf seinem Körper, Glatze, ziemlich stämmig.
Dann wieder ein alter Mann, der Bart ist schütter, kaum mehr Haare zieren seinen eiförmigen Kopf, der Körper ausgemergelt und schwach vom Alter.
So viele verschiedene Zeichnungen, die ganze Zelle ist damit voll.
Ich schmeiße meine Sachen auf das obere Bett, bin verwundert weil mein Zellengenosse das untere genommen hatte.
Ich setze mich auf die Treppe zum oberen Bett, starre auf die Zeichnungen.
„Gefangener 0285. Das ist dein Zellengenosse.“, sagt ein Wärter und ich hebe den Kopf, sehe dem Wärter entgegen.
Neben ihm steht ein vielleicht 50-jähriger Mann, schwarzes, langes Haar, welches in einem Zopf zusammen gebunden ist, scharfe Züge, eine lange Narbe über dem Kinn bis zum Schlüsselbein.
Seine Augen sind von einem sehr hellen Blau, die Augenbrauen dunkel und zusammen gezogen.
Er ist knapp 1.80 und wiegt mehr als ich.
Und er sieht sehr unzufrieden aus.
Noch dazu sieht er eigentlich weniger nach einem Künstler aus, aber der Eindruck mag ja täuschen.
Der Wärter schiebt den anderen Mann in die Zelle und macht sie zu.
Dann verschwindet er schnell. Es sieht fast so aus als wenn er denkt:
„Lassen wir der Natur ihren Lauf. Vielleicht verschwindet ja einer von beiden in nächster Zeit.“
Allein der Eindruck erschüttert mich.
Amerika, das Land in dem alles möglich ist.
Natürlich mit der Konsequenz, dass du nach diesem „Alles“ ins Gefängnis kommst und dort jämmerlich verrottest.
Der Mann starrt mich an, mustert mich wie ein Stück Fleisch und legt sich dann auf seine Pritsche.
Da ich selbst auch nicht besonders gesprächig bin, klettere ich die eine Stufe der Treppe hoch und lege mich auf meine Matratze.
Sofern man diesen Schaumstoffhaufen so nennen kann, denn ich spüre das Gitter durch die Matte hindurch in meinen Rücken pressen.
„Name?“, brummt es unter mir und ich kann den tiefen Raucherton gut hören.
„Wie wäre es zuerst mit deinem.“, sage ich schlicht und warte auf eine Antwort.
Die kommt nach ein paar Minuten des Schweigens auch.
„Carlo.“
Ja, das passt irgendwie auch zu seinem Hautton.
„Dean.“, erwidere ich darauf.
Danach Stille.
Ich denke schon fast Carlo ist eingeschlafen als ich höre wie er sagt:
„Weswegen bist du hier?“
„Kreditbetrug, Behinderung der Justiz, Überfall auf einen Beamten, Raub.“, sage ich und weiß schon jetzt, dass man mich nicht als Dean in diesem Gebäude kennen wird sondern als die Ratte. Die hinterlistige, diebische Ratte.
„Du?“, frage ich bemüht gelangweilt.
„Raub. Körperverletzung.“, sagt er.
Ha, wenigstens bin ich nicht der einzige Dieb hier.
„Kennst du Dupont?“, frage ich nach Jean-Claude.
Erst Stille dann ein Schniefen.
„Arschloch.“, bringt Carlo raus und ich fange an zu lachen.
„Ganz genau. Schon mal von Viktor Krylow gehört und seinem Gemälde?“, frage ich weiter, weil ich denke, dass ich einen Freund hier gefunden habe.
Ich finde relativ schnell Freunde, bin diesen dann aber nicht wirklich loyal oder treu gegenüber.
„Ja. Ist in die Luft gesprengt worden.“
Ich lache auf. „Drei Mal darfst du raten, woher ich die Narben auf meinen Beinen habe.“
Carlo stößt ein heiseres Lachen aus und ich schwinge meine Beine von meiner Pritsche, setze mich auf einen Tisch in meiner Nähe, passe aber auf, dass ich die Zeichnungen nicht zerstöre.
Carlo sitzt mittlerweile auch wieder und sieht mich amüsiert an.
Ich grinse ihn an, Carlo grinst zurück und tief verborgen wird zwischen uns ein Band geknüpft.
„Kennst dich gut aus.“, sagt Carlo.
Ich nicke. „Bin seit 13 Jahren dabei. Und was ist mit dir?“
„Nur 4 Jahre.“
„Dann kennst du ja nur die ganz dreckigen Schweine.“, meine ich lächelnd.
Carlo nickt und sieht mich stumm an.
„Dean. Du heißt Dean richtig?“, er kneift die Augen zusammen und mein Lächeln vergeht mir. Hoffentlich habe ich ihm nie was angetan.
„Vinety?“, fragt Carlo und ich nicke.
Ich erwarte schon das Schlimmste, erwarte dass er sich auf mich stürzt und mich verprügelt, da bricht er in schallendes, lautes Gelächter aus, die Zellen neben uns regen sich auf.
„Du warst doch der, der von einem Weib bestohlen worden ist. Matix House.“, bringt er raus und lacht weiter.
Ich seufze.
„Sie ist gerissen. Und clever. Dafür hat sie mir aber einen Gefallen getan!“, meine ich wieder grinsend und Carlo hört auf zu lachen, starrt mich an.
„Wer war sie eigentlich?“
„Unbekannt. Crow. Aber das sagt dir nichts oder?“, frage ich vorsichtig.
Er denkt nach. Dann grinst er. „Die mit den Brüsten.“
Ich nicke, aber kann nicht schnell genug reagieren, da sehe ich Carlo schon wütend an.
„Lass den Scheiß. Nicht mehr sowas über sie denken. Ich heirate das Mädchen schließlich.“, sage ich ernst.
Carlo zieht eine Augenbraue hoch.
„Du meinst, falls du hier je raus kommst.“
Ich sehe ihn etwas überlegen an. „Du meinst WENN ich hier raus komme.“, sage ich beschwörend.
„Wie willst du das machen?“
„Ich kenne Leute. Beatrice. Anne.“, sage ich einfach, denn wenn er Stacy vom Aussehen her kennt, dann kennt er auf jeden Fall Anne und Beatrice. Sie sind einfach die Ikonen unter uns.
Carlo sieht mich erstaunt an.
„ANNE? Du kennst Anne?“, fragt er.
„Ich bin kurz davor mit ihr zu schlafen. Sie ist ganz vernarrt in mich.“, meine ich eingebildet, obwohl das ja schon irgendwie stimmt.
„Verarsch mich hier nicht. Doch nicht Anne.“
„Sie ist eher der blaue Laken Typ.“, zwinkere ich ihm zu und er fängt wieder an zu lachen.
„Junge, ich denke wir werden uns gut verstehen.“, sagt er zu mir und klopft mir leicht auf die Schulter.
Den ersten Verbündeten habe ich, da fehlen doch nur noch ein paar und ich habe meine eigene Security.

„Gibt es das immer?“, frage ich und verziehe den Mund.
Wenn das Zeug noch einen Tag länger liegen bleiben würde, würde es ein eigenes Gehirn entwickeln und die Welt unter seine Herrschaft stellen.
„Schmeckt nicht mal so schlecht. Man muss sich nur daran gewöhnen.“, sagt Carlo und stopft sich ein bisschen von dem pampigen Zeug auf seinem Teller in den Mund.
Ich ziehe die Brauen zusammen und stecke mir auch was in den Mund.
Und dann spucke ich es aus.
„Das nennst du „nicht Mal so schlecht“? Was ist das zum Teufel noch mal?“. Frage ich angewidert und trinke etwas aus meiner Wasserflasche.
Carlo grinst und stopft sich weiter voll.
„Wenn du hier länger bist so wie ich, dann musst du das Zeug essen.“, sagt er.
Ich schüttele den Kopf.
„Ich esse das erst wenn ich am Verhungern bin. Keine Chance vorher!“, sage ich und schiebe es weg.
Carlo ist unterdessen schon fertig mit seiner Portion und greift nach meiner, schaufelt sich das eklige Mistzeug in das Maul.
Als er fertig ist, sehe ich mich um.
„Müssten wir jetzt nicht dieses Gespräch führen, das in allen Filmen geführt wird? Wer, wer ist, wie gefährlich und so?“, frage ich und mustere ein paar bullige Kerle.
Carlo lacht leise.
„Du siehst anscheinend zu viele Filme Junge. Hier sind alle völlig normal. Nur ein bisschen aggressiv, weil sie hier raus wollen.“, meint er.
„Sicher? Ein paar hier waren ganz schön merkwürdig als wir hier neu rein kamen.“
Carlo wedelt mit der Hand. „Nur notgeil. Sie bumsen auch ihre Toilette. Das muss man nicht ernst nehmen.“
„Und was ist mit den selbst geschnitzten Waffen? Und Bündnisse, sodass man den Hof in verschiedene Crews aufteilen kann?“
Carlo schüttelt langsam den Kopf und sieht mich erschüttert an. Er hat ziemlich viel Ähnlichkeit mit Tom.
„Du solltest aufhören diese Filme zu sehen. Natürlich gibt es hier Freundschaften aber nichts was auf eine Crew hindeutet. Sowas gibt es nicht. Und das mit den Waffen passiert nur in Hochsicherheitsgefängnissen. Hier sind alle zufrieden, wenn sie ein bisschen Basketball spielen können, sie machen keine Waffen.“
„Okay. Aber was ist mit Folter und Ringkämpfen auf dem Hof? Gibt es sowas?“, frage ich ungläubig.
Diese Filme müssen doch auf irgendetwas basieren oder nicht?
„Ich habe noch nie was von Folter gehört und ich bin hier schon seit 3 Jahren. Und das mit den Kämpfen…na ja, es gibt schon Mal Kämpfe, aber meistens nur zum Spaß.“
Ich sehe ihn erstaunt an. Carlo zuckt die Schultern.
„Miese Filmindustrie.“, spucke ich aus und trinke meine Wasserflasche aus.
Der Junge der anfangs so viel Angst hatte, geht jetzt den Gang entlang, zuckt zusammen wenn jemand ihm nach pfeift oder ähnliches.
Ich deute mit dem Daumen auf ihn und sehe Carlo an.
„Und was ist mit dem? Gibt es sowas wie Vergewaltigung und Misshandlung der Jungen hier?“
Carlo zieht die Augenbrauen zusammen. „Na ja, ich hab schon Mal gehört, dass hier jemand vergewaltigt wurde. Aber nur einmal und das war auch sehr am Anfang. In den letzten 2 Jahren war eigentlich nichts. Aber vielleicht war das ja im Untergrund.“
Ich stöhne und fahre mir durchs Haar.
„Na Bravo. Sogar im Gefängnis gibt es einen Untergrund.“
Carlo lächelt. „Natürlich. Es gibt doch immer einen Untergrund.“
Ich beobachte den Junge weiter, wie er nach einem freien Tisch sucht, jedoch keinen findet.
Sein Blick schweift über die wenig gefüllten Tische, jedoch gibt es durchaus Gründe dafür dass diese wenig gefüllt sind.
Die Kerle an den Tischen sehen gemeingefährlich aus und erstechen jeden in ihrer näheren Umgebung mit ihren Dolchblicken.
Dann fällt der Blick des Jungen auf unseren Tisch.
Er ist auch nur sehr wenig gefüllt, doch ich weiß nicht wieso.
Vielleicht hat Carlo ja einen Ruf, von dem ich bis jetzt nichts weiß.
Sein Gesicht sieht aber auch stark danach aus, dass er in den letzten Jahren sehr viel weniger gelacht hatte als letzte Nacht.
Der Junge mustert noch einmal die anderen Möglichkeiten, erkennt dass unser Tisch das Beste ist, das er bekommen kann und setzt sich langsam in Bewegung.
Seine Finger zittern, sein Tablett dadurch auch und er hat sichtlich Angst mit uns zu sprechen.
Er steht direkt neben uns, starrt erst Carlo, dann mich an und entscheidet spontan…mit mir zu sprechen.
„Äh…kann…kann ich h-hier sitzen?“, bringt er leise heraus und sieht zu Boden, erwartet eine Abfuhr.
Ich sehe von ihm zu Carlo, dieser zuckt die Schultern und ich wende mich zum Jungen.
„Setz dich schon bevor du dir in die Hosen machst.“, bringe ich heraus und als ich weg sehe, erkenne ich aus dem Augenwinkel wie der Junge rot wird und sich so schnell wie möglich neben mich setzt.
Sein Knie berührt meines, da werfe ich ihm einen kleinen Blick zu. Er kuscht weg, lässt mir mehr Platz.
„Wie heißt du?“, frage ich ihn.
„K-kyle.“
„Na gut, K-kyle.“, sage ich spöttisch und Carlo grinst, leert seine Wasserflasche.
Kyle wird wieder rot und steckt den ersten Löffel von der Pampe in seinen Mund.
Seine Augen werden groß, er will das Zeug ausspucken. Doch da sieht er dass unsere beiden Teller geleert sind. Er schluckt und verzieht den Mund.
Carlo sieht mich an, ich ihn und wir beide fangen an leise zu lachen.
Der Junge sieht auf, ist verstört weil wir lachen und starrt uns an.
„Wo bekommt man hier was anderes zu essen?“, frage ich Carlo deswegen.
Ich bekomme langsam Hunger, hier müssen doch auch andere Essensreserven sein.
„Da musst du zu Hitch. Der nimmt aber nur gegen Bezahlung.“
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Stimmt es wenigstens, dass es hier um Zigaretten geht, wenn du Bezahlung meinst?“
Carlo grinst. „Dieses Mal, ja!“
Ich stehe auf, Carlo tut es mir nach und nach einem kurzen Zögern auch Kyle.
„Dann Mal los. Kann man hier darum pokern oder so?“, frage ich Carlo der ein bisschen vor mir geht.
Er nickt und wir kommen aus dem Gebäude auf den großen Hof.
Schon von weitem sieht man ein paar Kerle die Karten spielen.
Zigaretten, ganze Schachteln liegen in der Mitte.
„Wie viel zum Einsteigen?“, frage ich und starre ein bisschen weiter.
Ich kann gut pokern, sofern es ehrlich zugeht. Ohne Tricks und weiters, einfach ehrliches Karten spielen.
Irgendwann wurde es mir beigebracht und ab da spielte ich immer in den Bars, wenn ich nicht gerade was aufgerissen habe.
„Hier.“, sagt Carlo und drückt mir 4 Zigaretten in die Hand.
Damit gehe ich los und komme an der Bank an, auf der die Typen sitzen.
„Kann ich einsteigen?“, frage ich kühl und dann werde ich gemustert.
„Dann komm Jungchen.“, sagt der Älteste der Runde und ich setze mich hin.
Zuerst beobachte ich hauptsächlich, achte auf die Körpersprache und wie sie sich benehmen, ob sie aggressiv oder eher passiv spielen.
Zwei der Typen spielen aggressiv, der Dritte eher passiv.
Die aggressiven Spieler sind schon bald raus, regen sich auf und fluchen. Nur der passive Spieler und ich sind übrig.
Bei den anderen Zweien war es leicht sie rauszuschmeißen.
Sie haben sich durch Bewegungen und anderem verraten. Der Letzte allerdings ist richtig gut was pokern angeht.
Es ist anstrengend sich auszumalen, was er als nächstes tun wird. Und meist liege ich mit meinen Versuchen ihn zu verstehen auch vollkommen falsch.
Wir spielen schon seit knapp einer halben Stunde, da spüre ich Carlo hinter mir, auch den Jungen.
Sie warten darauf, dass ich alles verliere oder gewinne.
„Bist gar nicht Mal so schlecht.“, meint mein Gegenüber.
Ich zucke die Schultern, starre den Typen an.
„Kann man von dir auch behaupten.“
„Dann bringen wir das Mal schnell zu Ende.“, sagt er grinsend und schiebt seine Zigaretten alle in die Mitte.
Er hat wesentlich mehr als ich und zuerst zögere ich.
Mein Blatt ist gut, aber seines muss einfach besser sein.
Er ist kein aggressiver Spieler, er blufft nicht.
Aber nach dem was schon auf dem „Tisch“ liegt und dem was ich auf der Hand habe, kann ich einfach nicht passen.
Wenn ich nur mehr hätte, dann hätte ich einfach checken können.
Aber so schiebe ich meine knapp 20 Zigaretten in die Mitte und sehe ihn an.
„Na dann zeig Mal.“, sage ich ernst.
Er wirft mir zwei Kreuz hin. Flush.
Und ohne mein Zutun wird meine ernste Miene durch ein breites Grinsen ersetzt.
„Schönes Spiel.“, sage ich und werfe meinen Royal Flush in die Mitte.
Mein Gegner sieht mich böse an, streckt die Hand aus und ich befürchte schon beinahe, er wird mich schlagen.
Jedoch ergreift er meine Hand. „Mike.“
Ich nicke stumm. „Dean.“
Damit nehme ich meine Zigaretten (47) und stehe auf.
„Bis zum nächsten Mal.“, sage ich lächelnd und Mike nickt mir zu, lehnt sich nach hinten und lässt sich die Sonne ins Gesicht strahlen.
Ich sehe zu Carlo und Kyle. Die beiden grinsen.
„Wo ist dieser Hitch? Und was kann er mir besorgen?“
„Ich bring dich hin. Er besorgt dir so gut wie alles.“, meint Carlo und geht los.
Wir laufen quer über den Hof, Leute starren uns schief an, bekommen aber nur einen bösen Blick von mir.
So kommen wir zur anderen Seite des Hofes. Zwar gibt es keine einzelnen gewalttätigen Gruppen, aber der Hof ist eindeutig nach Hautfarbe geteilt.
Gerade jetzt sind wir im „schwarzen“ Viertel des Hofes.
Die großen Kerle starren uns an, die Typen hören auf über irgendetwas zu lachen und stoppen auch das Basketball spielen.
Sehen uns an wie Außerirdische.
Carlo nickt ein paar Typen zu, die nicken zurück und so kommen wir eigentlich unbeschadet zu einer Bank auf der ein magerer, sehr dunkler Kerl sitzt.
Er raucht gerade, seine Taschen sind voll gestopft mit Zigaretten.
Carlo nickt mir auch zu und ich gehe zu Hitch.
„Kannst du mir was zu essen besorgen?“, frage ich ihn kalt.
Er mustert mich von oben bis unten, aber mittlerweile bin ich das hier gewohnt. Neuerdings starren die Männer mehr als die Frauen.
„Was denn genau?“
„Das ist vollkommen egal. Hauptsache irgendetwas dass noch nicht seit zwei Jahren hier lebt und versucht selbst aufzustehen.“, meine ich angewidert und Hitch fängt an zu lachen.
„Gut. Wie viel hast du?“
„40. Besorg mir einfach so viel wie möglich.“, sage ich und greife in meine Tasche, zähle mit den Fingern ab und lasse 7 zurück in meiner Tasche.
Dann gebe ich sie Hitch und er nickt.
„Zelle?“
Ich sehe zu Carlo. „104.“, sagt dieser und Hitch schreibt sich was auf einen Zettel.
„Ich brings dir morgen vorbei.“
Damit ist die Session wohl beendet und wir verkrümeln uns wieder aus dem Viertel, gehen zurück zu unserer weißen Seite.
Wir setzen uns auf eine Bank und lassen uns von der Sonne bestrahlen.
Ich weiß einfach nicht, wie die Leute hier sich ihre ganze Zeit vertreiben.
Ich könnte natürlich anfangen zu lesen oder zu zeichnen. Aber ich bin hier ganz sicher nur ein paar kurze Tage, da bringt mir das nichts.
Fernsehen kann man hier nicht. Ich könnte pokern, aber meine Zigaretten sind wichtig für morgen, ich will nicht wieder ohne Essen herum sitzen.
Ich könnte ganz sicher auch in die Latinofraktion des Hofes gehen und fragen ob ich da Karten spielen kann oder ob ich beim Basketball mitmachen kann.
Aber das Problem ist ja, dass ich kein Latino bin. Ich bin nicht blass aber auch nicht wirklich farbig.
Den Hauptteil meines Lebens verbringe ich nicht an Stränden oder Ähnlichem, sondern unter einem Helm auf meinem Motorrad auf der Reise quer durch Amerika.
Eine Reise die ich zwar schon ungefähr 4 Mal hinter mich gebracht habe, sodass ich weiß wo welcher Ort ist, aber es macht mir Spaß, einfach so herum zu fahren. Zu sehen wie die Umgebung sich ändert, wie die Menschen anfangen sich anders zu benehmen, je nach Stadt und zu erleben, was sich in der Zeit in der ich abwesend bin verändert hat.
Das ist einfach so ein gutes Gefühl, an nichts gebunden zu sein.
Aber jetzt muss ich doch etwas fest halten: An jemanden gebunden zu sein gefällt mir jetzt auch.
Solange dieser Jemand die Frau mit den blonden Haaren und dem Temperament ist, die Frau, die ich liebe.
Ich fummele an meinem nun leeren Handgelenk herum, bin deprimiert, dass mir das Bändchen abgenommen wurde.
Aber ich bitte Sie: Was soll ich mit so einem Bändchen denn Schlimmes anstellen?
Es ist zu kurz und zu schwach gebunden um als Strick oder Ähnliches verwendet zu werden.
Ich kann jemanden vielleicht damit ins Auge treffen, wenn ich werfe, aber das ist doch unwahrscheinlich.
Ich könnte versuche jemanden damit zu ersticken, aber das funktioniert viel besser mit meinem Hemd, als mit dem Band.
Ich will mein Band zurück!
Ich habe verdammt noch mal Rechte! Ich lebe schließlich in Amerika, da sollten die Rechte für Amerika schließlich gelten oder?
Und wieder bin ich gelangweilt, starre in die Sonne bis weiße Punkte vor meinen Augen herum tanzen.
Also wende ich mich wohl oder über Smalltalk zu.
„Wieso bist du hier Kyle?“, frage ich deswegen etwas gelangweilt.
Erst antwortet er nicht, aber als ich ihn ansehe und auffordernd mit der Hand kurbele, fängt er schnell an zu sprechen.
„Na ja, da war so ein scharfes Mädchen. Und ich wollte mit der schlafen, aber sie wollte nicht. Da bin ich voll sauer geworden und abgezischt. Dann habe ich mich erst Mal um ein paar Sachen gekümmert und habe meinen Freund Max angerufen. Ach ja, Max ist eigentlich mein bester Freund und ich weiß gar nicht mehr, wieso ich ihn angerufen habe. Manchmal ist das so bei mir. Da vergesse ich ganz schnell warum ich irgendetwas getan habe. Aber egal. Also hab ich ihn angerufen und als ich das erzählt hatte war der voll so: ’Boah, wieso will die Schnalle nicht?’ Und ich nur so ’Weiß ich auch nicht. Sehe hier doch voll gut aus.’ Und Max nur so ’Blöde Tussi.’ Und dann hat meine Mam angerufen und…“
„Kyle.“, maule ich laut und sehe ihn wütend an.
„Die Kurzversion bitte.“
Carlo lacht leise vor sich hin, lässt aber seine Mundwinkel in dem miesepetrigen Winkel in dem sie sonst stehen. Auch während der ersten Nacht hier ist mir schon aufgefallen, dass er selbst mit solchen Mundwinkeln schläft. Allein vom Zusehen tut mein Mund weh.
Kyle ist wieder einmal rot angelaufen und öffnet den Mund um ihn wieder zu schließen.
Er sieht aus wie ein Fisch.
„Ich…Na ja…äh…also…“
„Mach schon.“, sagt Carlo und bohrt seine hellen Augen in die relativ hellen von Kyle.
Der räuspert sich, sieht auf den Boden und murmelt:
„Hab...mndn…erschoss…“, flüstert er undeutlich sodass man ihn kaum versteht.
Ich sehe Carlo erstaunt an, der zuckt die Schultern.
„DU hast jemanden erschossen?“, frage ich und versuche den Spott aus meiner Stimme zu halten.
„Ja, aber es war voll der Unfall. Das war so krass, ich wollte nur so sagen: ’Boah guck Mal hier. Hast Schiss, wa?’ Aber dann habe ich aus Versehen geschossen. Und die Bullen. Ey, die Bullen waren ja ganz schlimm hier, ne! Ich noch voll so ’War nicht Absicht!’ Aber die gleich so ’Nö. Ins Gefängnis. Recht zu schweigen. Bla bla.’ Und ich dachte nur so ’Boah, ey, voll die Scheiße hier!’“, sagt Kyle in dem schönsten Wortschatz, den ich jemals gehört habe.
„Aha. Wen hast du denn erschossen?“, frage ich.
„Na den Kerl den die Tusse am Ende genommen hat. Was für ’ne Nutte! Nimmt einfach ’nen Anderen! Da wollt’ ich ihr Ma’ zeigen wo der Hammer hängt. Hab den Kerl dann erschossen. Aber echt voll aus Versehen. Hab nicht extra den Dings gedrückt.“, sagt er und starrt mich an, wartet auf beruhigende Worte von mir, als wenn ich seine Mutter wäre.
„Aha.“, sage ich und drehe mich der Sonne zu.
Kyle versucht mir noch was zu sagen, aber da ich weder zuhöre, geschweige denn auf seine Fragen antworte, wendet auch er sich dem Himmel zu, starrt Löcher hinein.
Ich will einfach nur hier raus, dabei bin ich gerade Mal so den zweiten Tag hier.
Ich will hier raus, meine Sachen tragen, mit meinem Bändchen spielen und Stacy wieder sehen. Ich will mit ihr irgendwohin fahren, irgendwo, wo keine Arbeit wartet, keine Explosionen, keine Vergewaltiger.
Wo es ruhig ist, ein eigenes Heim, wo wir uns entspannen können und reden. Oder auch einfach ruhig sein und gar nichts sagen. Einfach in ihrer Nähe und schon wäre alles besser.
Aber nein, ich muss hier hocken, weswegen auch immer. Ja okay, ich weiß weswegen ich hier bin, das heißt aber noch lange nicht dass ich mich einfach so kampflos ergebe. Ich komme hier raus, egal was es kostet. Und Tom sollte sich besser beeilen.
Und mir spukt immer wieder diese eine Frage durch den Kopf, die ganze Nacht lang und auch jetzt wo ich in die Schäfchenwolken starre.
Für diesen Monat ist es eigentlich ziemlich warm.
Weihnachten ist lange vorbei, so auch Silvester. Alles habe ich allein oder eben mit weiblicher Gesellschaft verbracht.
Aber diese immer wieder auftauchende Frage lässt mir keine Ruhe:
Woher wussten die Cops, dass ich das Gemälde stehlen würde?
Da gibt es entweder die Möglichkeit dass jemand mich gesehen hat. Aber der Wachmann hat geschlafen und die Frau auch. Da bin ich mir hundertprozentig sicher.
Aber dann ist da auch die Möglichkeit dass es einen Spitzel gibt.
Das Problem ist nur, dass nur Bea, Tom und ich davon wussten, dass ich losfahren würde.
Bea hasst mich auf persönliche Art, aber sie liebt mich wenn es um die Arbeit geht.
Ich hole alles aus einem Haus raus, besorge ihr alles und bringe ihr einen großen Anteil daran.
Sie würde mich nicht verraten, wenn es um 7 Millionen Dollar ginge.
Und Tom erst Recht nicht. Er sieht mich anscheinend als den Bruder den er nicht will und niemals bekommen wird.
Und so ist mir das auch Recht. Denn Tom ist mir mittlerweile ans Herz gewachsen, auch wenn ich es nicht wirklich wahr haben will. Schließlich will ich doch ungebunden sein.
Aber diese beiden Personen hätten mich niemals verraten.
Aber dann wäre da Stacy.
…Würde sie mich verraten?
Ich vertraue ihr soweit, dass ich es sehr, sehr, sehr stark bezweifele, dass ich fast hundertprozentig davon überzeugt bin, dass sie mir das nicht antun würde. Schließlich bekommt sie auch Geld und ich denke dass sie mich liebt.
Aber kann ich mir da sicher sein? Über die Liebe? Das kann sich doch geändert haben. Menschen ändern ihre Meinung, enttäuschen damit andere, aber letztendlich gilt immer:
Du selbst kommst zuerst.
Aber ich will nicht glauben, dass Stacy mich an die Bullen verpfiffen hat. Sie wusste zudem ja auch nicht die Uhrzeit und die Adresse. Sie kann es gar nicht gewesen sein.
Und ich WILL einfach nicht dass sie es war die mich verraten haben könnte.
Das würde mich umbringen. Da vertraue ich Mal wieder jemanden und es wird mir heimgezahlt oder was?
So grausam ist die Welt nicht zu mir! Das darf einfach nicht sein. Ich habe schon genug erlebt, damit ich endlich glücklich sein darf.
Aber wer zur Hölle hat mich dann angeschwärzt?
Die anderen Diebe?
Aber von denen wusste ganz sicher keiner, dass das Gemälde im Register ist.
Ich bin absolut sicher, dass Tom das Register lahm gelegt hat. Und wenn auch nur für ein paar Stunden. Die anderen wüssten sicher nicht wo ich war, wo ich unterwegs gewesen bin.
Aber ich sollte diese Bastarde auch nicht unterschätzen.
Mittlerweile kenne ich genug von denen um zu wissen dass sie miese Touren abziehen.
Wer könnte es aber dann sein, wenn weder eine meiner Privatpersonen, noch Zuschauer, noch andere Widerlinge mich verpfiffen haben?
Wer wusste denn noch bescheid über dieses Gemälde?
Wer nur?
„Wir müssen rein.“, sagt Carlo und zieht mich am Unterarm hoch. Viele der anderen Häftlinge sind schon im Gebäude, anscheinend haben meine Leute nur auf mich gewartet.
Wie sich das anhört…Meine Leute.
Wir setzen uns in Bewegung, treffen auf die anderen Häftlinge die alle darauf erpicht sind ins Gebäude zu kommen.
Nach einigem Gerangel und ein bisschen ungeduldiges Fluchen von allen Seiten sind wir letztendlich auch alle in der Halle.
„Ruhig bis zu den Zellen. Ihr wisst wie das ist.“, brüllt ein Wärter gegen die Lautstärke und wedelt mit seinem Schlagstock in Richtung Zellen.
Hinter einer Abtrennung ist er sicher vor plötzlichen Überfällen.
Natürlich. Ist doch offensichtlich.
Die Kerle verbarrikadieren sich immer, während wir in Käfigen leben dürfen und immer schlechtere Laune bekommen. Und die dürfen einfach irgendwo sitzen und nach Hause gehen, zu ihren Familien, obwohl sie nicht viel besser sind, als die hier unten.
Vielleicht haben diese Leute noch niemanden umgebracht oder misshandelt, vergewaltigt oder etwas gestohlen, aber sie sind nicht besser als wir.
Wir wurden nur dabei erwischt, während sie es geschützt und klammheimlich tun.
Die Frage nach den ethischen Beweggründen für ihre Arbeit hier ist auch noch ungeklärt.
Arbeiten Leute nicht im Gefängnis, weil sie wollen dass die vermeintlich bösen Menschen weggesperrt werden.
Aber wie viel besser sind diese Menschen, die uns der Freiheit berauben?
Wir gehen alle langsam zu unseren Zellen, Carlo neben mir und Kyle etwas hinter uns.
Nach ein paar Gängen trennt sich Kyle von uns und verschwindet in einer Zelle, sieht uns vorher bettelnd an und schlüpft dann unbehaglich zu seinem Zellengenossen in den kleinen Raum.
Carlo und ich gehen auch in unsere Zelle und setzen uns auf unsere Plätze.
Carlo auf seine Pritsche, ich auf dem Tisch gegenüber.
„Was bekomme ich morgen?“, frage ich.
Carl zuckt die Schultern.
„Hauptsächlich kleine Sachen. Süßigkeiten und ein paar Backwaren.“
Ich nicke.
„Wie ist das eigentlich mit Besuchen?“, frage ich und runzele die Stirn.
„Es gibt eine bestimmte Zeit zu der Besuche erlaubt sind. Das entspricht dann aber den Filmen. Da sind Glasscheiben die uns von den Besuchern trennen.“
„Wann ist diese Besuchszeit?“
Carlo sieht auf die große Uhr am Ende der Halle.
„In ungefähr zwei Stunden. Wieso? Erwartest du jemanden?“, fragt Carlo und zieht die Augenbrauen hoch.
Ich schmunzele, bekomme wieder dieses verträumte Grinsen auf mein Gesicht.
„Crow kommt vorbei.“
Carlo lacht kurz auf. „Die hat dich aber. Guck dich doch an.“
Ich zucke die Schultern.
„Ist nicht schlimm. Bin schon lang genug allein.“, sage ich und klinge gleich viel nüchterner.
„Wieso warst du allein?“, fragt Carlo und legt sich auf seine Ellenbogen, stützt sich darauf.
„Na ja…das Übliche. Wollte mir die Hörner abstoßen.“
Ich mag Carlo, aber nicht genug um über Claire zu sprechen.
Ich bin diese Frau zwar los, werde kaum an sie denken müssen, habe mich von dem Schmerz erholt, aber da ich selbst mit Tom nicht über sie rede und dieser ein Bruder für mich ist, werde ich sicherlich nicht mit Carlo darüber sprechen.
Carlo nickt und grinst.
„Und? Sind die Hörner abgestoßen?“
Ich lächele breit. „Mittlerweile habe ich gar keine Hörner mehr.“
Carlo bricht in Gelächter aus und auch ich fange durch seine Freude an zu lachen.
„Ruhe da. Haltet Mal die Fresse.“, brüllt es von nebenan.
„Nur weil du scheiße drauf bist, Big Joe, muss das nicht jeder hier sein.“, brüllt Carlo zurück.
Ich ziehe eine Braue hoch. „Big Joe?“, frage ich.
„Gefängnisname. Er ist fett. Sein Name ist was Arabisches, deswegen nennen wir ihn einfach Joe.“
„Hast du einen Namen?“, frage ich.
„Manchmal schon, kommt auf die Person an, die von mir spricht.“
„Und wie meinst du das?“
„Manche kennen meinen Namen gar nicht, manche unter Carlo und andere unter Puños de Satanás.“
Ich runzele die Stirn.
Mein weniges Spanisch, das ich beherrsche, sagt mir einzig dass es etwas mit Satan zu tun hat.
„Was heißt das?“, frage ich verwirrt.
„Fäuste des Satans.“
„Wieso hast du den Namen bekommen?“
„Weißt du noch wegen der Körperverletzung. Einerseits deswegen. Aber andererseits, habe ich einen Mann schon fast mit den Fäusten getötet. Im Ring, da draußen.“
„Wieso hast du mit ihm gekämpft?“, frage ich etwas verunsichert.
Es erinnert mich irgendwie an dieses Hotel. In dem Stacy diesen Kerl zu sich eingeladen hatte.
„Ehre. Langeweile. Lust zu kämpfen. Aber hauptsächlich, weil er mich genervt hat und weil alle es wollten.“, Carlo zuckt die Schultern.
Ich nicke.
„Verstehe.“
Carlo runzelt seine sowieso schon ziemlich gerunzelte Stirn.
„Verstehst du es wirklich?“
„ Na ja, ein bisschen. Aber nicht dein Motiv zum Kampf.“
„Schon einmal einen Mann bewusstlos geprügelt?“, fragt Carlo sichtlich wütend.
„Ja.“
„Hast du es auch schon so weit getrieben, dass er nicht mehr atmen konnte? Denn sonst verstehst du mich nicht.“
Ich nicke. „ Na gut, ja habe ich.“
„Wieso? Was hat er getan?“, fragt Carlo ernüchtert und weniger genervt.
Ach so, er war sauer, weil er dachte ich würde nur leere Phrasen von mir geben, von wegen: Ja ich verstehe dich.
„Er hat mein Mädchen geprügelt.“, sage ich leise und spüre Wut in mir kochen.
Dieses Arschloch lebt noch. Treibt sein Unwesen weiter.
„Es kommt mir vor, als wenn sie zu allem der Schlüssel ist.“, meint Carlo nachdenklich, sieht auf seine Füße.
Ich grinse. „Ist sie. Meine Erlösung.“
Carlo lacht ohne wirklichen Humor. „Erlösung. So scheint es wohl.“

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Tag der Veröffentlichung: 25.09.2010

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