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Die Krypta




Mit geschlossenen Augen und furchtbaren Kopfschmerzen lag Hannah auf dem Bett. Jetzt die Augen zu öffnen wäre keine gute Idee, vermutlich viel zu hell, dachte Hannah. Sie konnte sich gar nicht daran erinnern gestern Abend so viel getrunken zu haben, alles woran sie sich noch erinnern konnte war, die Bibliothek...
Bei dem Gedanken schlug sie die Augen weit auf. Erfreulicherweise gewöhnten sich ihre Augen schnell an das Licht. Die Decke, an die sie nun starrte, war ein Kreuzgewölbe aus grauem Stein. Sie lag in einem Himmelbett aus schwarzen Metall. An der Wand sah sie zwei Wandleuchter mit Kerzen, die den Raum mehr schlecht als recht erhellten. Ihre Versuche den Kopf zu heben wurden mit heftigen Kopfschmerzen und einem starken Schwindelgefühl quittiert.

„Ah – Du bist wach“ hörte Hannah aus dem anderen Ende des Raumes. Es war die selbe kalte Stimme, die sie als letztes in der Bibliothek hörte, bevor alles schwarz wurde. Es war also alles doch kein fürchterlicher Albtraum gewesen, die beiden Mädchen und der Bibliothekar waren immer noch tot oder zumindest verletzt. Der Mann mit dem grünen Augen saß auf einem rot gepolsterten Sessel und hatte seine Füße auf dem Schreibtisch abgelegt, der vor ihm stand. Wäre die Situation anders gewesen, Hannah hätte diesen Mann vermutlich attraktiv gefunden. Seine grünen Augen wurden von dunklen Augenbrauen umrahmt. Seine fülligen Lippen waren zu einem spöttischen Lächeln verzogen und seine schwarzen Haare sorgfältig verwuschelt. Auf dem Schreibtisch vor dem Fremden lag nun der Inhalt von Hannahs Rucksack über den Schreibtisch verteilt. Daneben ordentlich gestapelt die Bücher, die sie noch in der Bibliothek gelesen hatte. Der Fremde griff nach Etwas auf dem Schreibtisch, was sie aus der Ferne als ihren Studentenausweis erkennen konnte. „So Hannah Hermerschmidt, du studierst also Deutsche Linguistik und Informatik“, Hannah starte den grinsenden Mann an, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Das war der Mörder, der drei Menschen seelenruhig in der Bibliothek umgebracht hatte. Jetzt saß er da und stöberte durch ihre Sachen. Sie war gelähmt vor Angst und gleichzeitig hämmerten in ihrem Gehirn bohrende Fragen, wie: würde er sie auch töten? Warum hat er sie nicht schon längst umgebracht? Wo war Sie? Und das Wichtigste war keine Frage, sondern der Gedanke, dass sie definitiv nicht sterben wollte. „Wie kommt man eigentlich darauf so einen quatsch zu studieren?“ Er fixierte Hannah mit seinen grünen Augen. Wie oft hatte Sie diese Frage schon gehört, normalerweise wusste sie immer eine kecke Antwort darauf, diesmal konnte sie aber nur den Mund öffnen, ohne das ein Laut heraus kam. „Du stehst wohl auf alte Sprachen, hm?“ fuhr der Mann fort, und legte dabei seine Hand auf den Buchstapel auf dem Tisch.

„Ach so – du solltest besser viel Trinken!“ er griff in ihren Rucksack und zog die Wasserflasche heraus, die sie am Morgen auf dem Weg zur Uni gekauft hatte. Schwungvoll warf er ihr die Flasche zu. Er hatte wohl damit gerechnet, dass sie das Wasser auffangen würde, die Flasche sauste aber ungehindert auf Hannah zu und klatschte mit einem Knall gegen ihre Schulter. Der Mann rollte mit den Augen und Hannah kam nun allmählich aus ihrer Starre und murmelte etwas, was als „Aua!“ identifiziert werden könnte. Bei dem Versuch den stumpfen Schmerz in der Schulter wegzumassieren, spürte Sie plötzlich ein Ziehen und Brennen im Hals, das sie vorher nicht bemerkt hat. Mit ihren Fingern versuchte sie zu ertasten, was dieses Stechen verursacht, sie spürte zwei kleine brennenden Wunden auf ihrem Hals. „Entschuldige, ich konnte mich leider nicht zurückhalten. Es war aber nicht viel, wenn Du genug trinkst solltest Du Okay sein.“ sagte der Mann fast ein bisschen entschuldigend. Hannah war nicht nach Trinken zumute. Sie verstand auch nicht so recht was der Fremde damit meinte, dass er sich nicht zurückhalten konnte.

„Dafür, dass Du dich so gut mit Sprachen auskennst redest Du nicht besonders viel.“
Das hatte Hannah noch nie jemand gesagt, normalerweise hörte sie eher das Gegenteil als Vorwurf. Der Mann lehnte sich im Sessel zurück, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und starrte Hannah an. Die starrte einfach nur zurück. Eine gefühlte Ewigkeit verging, ohne das einer von beiden auch nur ein Wort sagte. Schließlich stand der Mann auf und bewegte sich auf Hannah zu. Diese rappelte sich auf und rutschte so weit wie möglich, ohne aus dem Bett zu fallen, von dem Mann weg. „Um das Eis zu brechen, darfst Du mir EINE Frage stellen“, seinem Grinsen nach zu urteilen fand er dieses Angebot sehr großzügig. Eigentlich wollte Hannah nur nach Hause, was für eine Frage sollte sie da stellen? Nachdem sie wieder für ein paar Minuten schwieg verlor der Fremde offenbar die Geduld. „Man, ich habe dich wohl härter getroffen als ich gedacht habe“, sagte er „HALLOO? JEMAND ZUHAUSE?“ bei diesen Worten formte er mit seiner Hand eine Faust und klopfte wie bei einer Tür gegen Hannahs Kopf. Reflexartig schob sie seine Hand weg und rief, schriller als sie eigentlich geplant hatte „Ich überlege noch“.
„Ahh“, scheinbar zufrieden endlich eine Reaktion hervorgerufen zu haben, beugte sich der Mann vor. „Lass mich raten, du möchtest Fragen ob ich ein Vampir bin.“ Hannah Antwortet wie aus der Pistole geschossen „Es gibt keine Vampire“. In dem Moment wo sie das gesagt hat tat es ihr fast ein bisschen leid, der Spinner hat mindestens drei Menschen auf dem Gewissen, vermutlich hält er sich wirklich für einen Vampir, oder er wollte zumindest, dass sie ihn für einen hält. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es keine Vampire gibt, keine Vampire geben kann. Der Fremde beugte sich vor zu Hannah, bis sein Gesicht fast ihres berührte, er grinste breit und sagte dabei nur „Ist das so?“. Er verharrte einige Sekunden in dieser Position, offensichtlich sollte Hannah seine Vampirzähne bewundern. Für Hannah bewies dies aber gar nichts. Es ist verrückt was manche Menschen mit ihren Körpern machen, Tattoos, Piersings, Brandings... da gibt es sicher auch den einen oder anderen Wahnsinnigen, der sich falsche Vampirzähne einsetzen lässt. Und die Wunde an ihrem Hals, vermutlich hat er sie mit einer spitzen Gabel gestochen, mit ein bisschen Fitness war es ihn auch kein Problem Hannah in der Bibliothek einzuholen. All diese Erklärungen legte sie sich jetzt zurecht, ertappte sich aber dabei, langsam Zweifel zu bekommen.

Der Mann lehnte sich wieder zurück. „Na gut Hannah Hermerschmidt, Studentin der Sprache und Informatik, Expertin für Vampirologie. Was ist dann Deine Frage?“, wieder grinste der Mann mit seinem breiten, spöttischen Lächeln, er fand sich wohl ziemlich unterhaltsam. „Warum bin ich hier?“, sagte sie schließlich, obwohl sie vermutete, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.

Der Fremde sprang begeistert vom Bett auf, „eine ausgezeichnete Frage!“. „Wirklich ausgezeichnet!“, bei diesen Worten ging er hinüber zu dem Tisch, öffnete eine Schublade und holte ein Buch hervor. Mit dem Buch in der Hand kam er zurück zu Hannah und setzte sich schwungvoll auf das Bett. „Deswegen“, sagte er und hielt Hannah das Buch hin. Mit einem Nicken deutete er an, dass Hannah das Buch in die Hand nehmen sollte. Vorsichtig nahm sie das Buch in beide Hände und strich mit einer Hand über den dicken braunen Ledereinband. Das Buch war alt, das war offensichtlich. Vorsichtig öffnete Hannah das Buch. Die Seiten bestanden nicht aus schnödem Papier, sondern aus wertvollen, leicht gelblichen Pergament. Hannah wusste zwar, dass man früher Tierhäute benutzte um darauf zu schreiben, sie hatte aber nie ein Pergament vorher in der Hand gehabt. Neugierig glitt sie mit ihren Fingern über die Seite um das Pergament am Finger zu spüren. Schwarze Farbkleckse, die Hannah als mittelalterliche Schrift identifizieren konnte, reihten sich aneinander wie eine Schlange. Hannah kannte diese Schrift nur aus Lehrbüchern und war bisher immer froh gewesen, dass in den Lehrbüchern diese Schrift durch eine lateinische Schrift übersetzt wurde. Die Buchstaben schienen auf dem Pergament zu schweben. Vorsichtig blätterte Hannah die Seiten um. Auf einigen Seiten waren prächtige Bilder, auf anderen Seiten Symbole. abgebildet Die meisten Seiten bestanden aber aus eng beschriebenen Text.

Das Buch war eindeutig sehr alt und sehr wertvoll. „Kannst Du es lesen?“, fragte der Fremde. Seine Worte brachten Hannah zurück ins hier und jetzt. Lesen? Die ehrliche Antwort wäre wohl gewesen: Nein. Schon alleine die Schrift war schwer zu entziffern, und dann war da noch die Sprache. Es erinnerte zwar an das Deutsch das wir heute Sprechen, aber bei allen Hausaufgaben die sie für die Uni gemacht hatte, musste sie nie einen Text selbst übersetzen. Sie konnte zwar theoretisch erklären was das Deutsch von vor tausend Jahren ausmacht, aber praktisch zu übersetzen, das hatte sie noch nie gemacht. Sie wagte es aber nicht die Wahrheit zu sagen, setzte ihr bestes Pokerface auf und begann: „karolingische Minuskeln, vom alter des Buches und den vokalischen Endsilben“, sie zeigte auf ein gekrizeltes Wort, „würde ich sagen es handelt sich um Althochdeutch. So zehntes bis elftes Jahrhundert.“. Zugegeben, das war geraten, in der Uni hatte sie zwar schon einiges über Althochdeutsch gelernt, aber sicher war sie sich keineswegs. Ihre Antwort schien den Fremden aber zu begeistern. „1023 um genau zu sein.“, grinste der Fremde „großartig – du kannst es mir also übersetzen?“. „Sieht so aus“, sagte Hannah, die sich dabei keineswegs sicher war. Aber dem Fremden, wahnsinnigen ein Nein entgegen zu bringen hätte Hannah nicht gewagt, sie dachte mit Schaudern an die Ereignisse in der Bibliothek, die erst wenige Stunden zurück lagen. „Wie lange wirst Du brauchen?“ „schwer zu sagen“, antwortete Hannah, „in der Zeit gab es viele verschiedene Dialekte, diesen kenne ich nicht, es wird schwer werden einzelne Wörter zu übersetzen und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen“, sagte Hanna. Der Fremde sprang auf vom Bett, und deutete mit einer offenen Hand Richtung Tisch und Stuhl. „Dann fängst Du am besten gleich an“.
Hannah versuchte aufzustehen und sank gleich wieder erschöpft und schwindelig auf die weiche Matratze. Der Fremde nahm die Wasserflasche, die neben Hannah auf dem Bett lag und drückte sie ihr mit den Worten „Trink“ in die Hand.

Diesmal öffnete sie die Flasche und trank das Wasser. Nachdem sie die hälfte gierig getrunken hatte, war der Fremde scheinbar fürs erste zufrieden. Er half ihr auf und setzte sie in den roten Sessel. Unsicher was sie sonst tun sollte, schaute sie sich das Buch genauer an. Das war eine echte Herausforderung. Sie war sich nicht sicher ob sie alle Buchstaben richtig erkannte, gleich die erste Seite machte für sie kaum einen Sinn. Die Schrift, die Wörter, die Grammatik. Das konnte ja heiter werden. Weil sie wusste, dass sie ohne Hilfe nicht weiter kommen konnte, schaute sie sich den Bücherstapel auf dem Schreibtisch an. Da lagen die Bücher, die sie noch in der Bibliothek gelesen hatte, leider waren diese nur bedingt hilfreich. „Das ist das falsche Wörterbuch“, sagte sie. Der Fremde, der es sich inzwischen auf dem Bett gemütlich gemacht hatte, schien wenig begeistert. „Ich dachte Du kannst das übersetzen?“ rief er rüber. „Ja, aber ich brauche ein Althochdeutsches Wörterbuch. Das hier ist Mittelhochdeutsch“, sagte sie bestimmt. „Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch... wo ist da der Unterschied?“. Eigentlich eine gute Frage, Hannah wusste nur, dass sie so nicht weiterkam. Ob sie mit dem richtigen Wörterbuch weiterkam wagte sie allerdings auch zu bezweifeln. „Nur ein paar hundert Jahre“, antwortete Hannah. „Wenn ich grob wüsste worum es geht, würde mir das auch helfen. Aber hier sind viele Wörter die ich gar nicht kenne.“ „Es geht um Dämonen“, antwortete der Fremde. Das Half Hannah nicht im geringsten. Sie schaute nur Hilflos den Fremden an. Dieser seufzte, sprang auf und sagte „fein, was brauchst Du? Schreib es mir auf“. Hannah konnte ihr Glück kaum fassen. Sie kritzelte den Titel von zwei Althochdeutschen Wörterbüchern auf einen Zettel und mahlte sich aus wie sie gleich, wenn der Fremde die Bücher organisieren würde, aus der Tür und ins nächste Polizeirevier rennen würde. Sie hielt den Zettel den Fremden hin. Dieser nahm den Zettel, schaute sich ihn kurz an und warf ihn dann in einen Papierkorb, der unter dem Schreibtisch stand. „Alles klar“, sagte der Fremde, ging zu einem kleinen Beistelltisch neben dem Bett rüber und holte ein paar Handschellen aus einer Schublade. Und ehe sich Hannah versah, saß sie wieder auf dem Bett. Ein Arm in Handschellen an das Metallbett gekettet. Damit zerplatzte der Traum von Hannahs schneller Flucht so schnell wie er aufgetaucht ist.

***



Bevor der Fremde Hannah in dem seltsamen Raum alleine ließ, legte er ihr noch die Bücher auf das Bett. Hannah war nicht nach lesen. Sie wollte nur noch weg. Sobald der Fremde aus der Tür war, sprang sie auf, den Arm immer noch ans Bett gekettet. Sie fühlte sich zwar noch schwach und ausgelaugt, aber dem konnte sie jetzt nicht nachgehen, sie wollte nur noch weg.
Als erstes musste sie die Handschellen aufbekommen. Hilfesuchend sah sie sich im Raum um. Neben dem Bett stand ein kleiner Beistelltisch. Nahe der Tür war der rote Sessel und der Schreibtisch, auf dem noch immer der Inhalt ihrer Tasche verteilt lag. Daneben ein großer Schrank, vermutlich ein Kleiderschrank. Direkt gegenüber vom Bett stand ein kleiner Tisch, darauf alter Fernseher, auf dem wiederum ein altmodischer Videorekorder stand. Keine Fenster, kein Telefon. Wie sollte sie nur Hilfe rufen? Ihr Blick fiel auf den kleinen Beistelltisch neben dem Bett. Vielleicht ließ sich in den Schubladen dort etwas finden? Die erste Schublade, die Hannah öffnete, war fast leer. Lediglich eine Fernbedienung und ein paar Staubflusen. Die zweite Schublade war nicht viel hilfreicher, ein paar Kerzen, Streichhölzer und ein paar Stoff-Taschentücher. Auf jeden Fall nichts, womit sie die Handfesseln lösen könnte. Sie setzte sich wieder auf das Bett und starrte an die Tür.

So schnell wollte sie nicht aufgeben. Das Bett an das sie gekettet war, war zwar schwer, aber sie würde es sicher bewegen können. Also stand sie auf, und zerrte am Bett. Und tatsächlich, die Füße des Bettes bewegten sich unter lautem Quitschen und Ächzen. Zentimeter für Zentimeter zog sie das Bett in Richtung Tür.
KLATSCH... das Bett hat den Beistelltisch umgeworfen, KLONK... der rote Sessel auf dem sie vorhin saß wurde vom Bett ebenfalls umgeworfen. Den Boden zierten jetzt Schleifspuren, aber Hannah stand vor der Tür. Einen Plan, was sie jetzt tun sollte hatte sie nicht. Ihre Hand war immer noch an das Bett gekettet, sie würde das Bett wohl kaum durch die Tür, in die Straßenbahn und schließlich nach Hause bekommen. Aber vielleicht konnte sie ja um Hilfe rufen? Sie rüttelte an der Tür, die zu ihrer Überraschung tatsächlich offen war. Hinter der Tür führte eine Treppe steil nach oben. Es war dunkel, roch moderig und kalt war es auch. Hören konnte Hannah nichts, aber vielleicht konnte sie ja jemand hören. Sie rief aus voller Kehle „Hilfe! HIIIILFEEEE“. Sie lauschte und wartete – nichts. Und wieder rief sie... und wieder keine Reaktion. Hannah ließ sich auf das Bett fallen. Was sie jetzt wirklich brauchte war einen Plan. Sich die Hand abzubeißen war wohl keine Option, obwohl sie für den Bruchteil einer Sekunde sogar das in Erwägung zog.

Der Fremde, der sie hier festhielt war gestört, das war offensichtlich. Er hielt sich für einen Vampir und wollte ein altes Buch übersetzt haben. Hannah dagegen wollte einfach nur weg. Sollte sie einfach mitspielen und hoffen, dass er sie danach freilassen würde? Aber woher sollte sie wissen, dass er das auch wirklich tun würde? Wenn sie nur irgendetwas hätte, womit sie den Fremden in der Hand hätte. Ihr Blick viel auf ihren Laptop, der noch auf dem Schreibtisch lag. Das war die Lösung! Sie könnte dem Irren tatsächlich helfen das Buch zu übersetzen, ihm die Übersetzung aber erst geben, wenn sie in Sicherheit war. Und was würde sich da besser eigenen als eine verschlüsselte Computer-Datei?

Sie schnappte sich ihren Laptop vom Schreibtisch, und klappte ihn auf. Eine verschlüsselte Datei zu erstellen war eine leichte Übung. Sie hoffte nur, dass sich der Fremde auf diesen Handel einlassen würde.

Wann der Fremde zurückkommen würde, wusste Hannah nicht. Aber wenn er das Chaos in diesem Zimmer sehen würde, wäre er wohl wenig begeistert. Also begann Hannah das Bett zurück zu schieben und die umgefallenen Möbelstücke so gut wie möglich wieder an ihre Plätze zu stellen. Die Schleifpuren und Kratzer auf dem Boden konnte sie aber nicht verbergen. Vielleicht würde der Fremde sie ja gar nicht bemerken?

Hannah machte sich an die Arbeit und betrachtete das alte Buch genauer. Es war eine Sammlung von verschiedenen Texten, Geschichten, Sprüchen und Zeichnungen. Wie sie feststellte, waren es zwar zum großen Teil tatsächlich in altertümlichen Deutsch geschrieben, einige Teile schienen aber auch Lateinisch zu sein. Das erste mal bedauerte sie, nie Latein gelernt zu haben. Am sinnvollsten schien es ihr erstmal sich einen groben Überblick über die verschiedenen Seiten zu machen. Und so begann sie, einhändig, eine Art Inhaltsverzeichnis des Buches anzulegen.

Es war klar, dass das Buch sehr ungewöhnlich war. Fast alle mittelalterlichen Texte die Hannah aus ihren Vorlesungen kannte hatten etwas mit Religion zu tun, Übersetzungen von Gebeten oder langweilige theologische Erörterungen. Dieses Buch schien sich aber primär um Themen der schwarzen Magie zu drehen. Seitenweise wurde dort über Dämonen berichtet, zum Teil mit grausigen Bildern. Zaubersprüche und Rituale wurden beschrieben. Nach einiger Zeit sank sie immer tiefer in das Buch ein und vergaß fast wo sie war, bis plötzlich die Tür aufgeschlagen wurde.

Der Fremde stand wieder in der Tür. Unter einem Arm zwei Bücher geklemmt, in der anderen Hand eine Pizzaschachtel und eine Plastiktüte. „Was ist denn hier passiert?“ - unglaubwürdig schaute sich der Fremde in seinem Raum um, er hatte die Kratzspuren also bemerkt. „Ich – äh – brauchte meinen Rechner“. Das spöttische Grinsen in seinem Gesicht ließ vermuten, dass er die Geschichte zwar nicht glaubte, aber er ihren Ausbruchsversuch auch nicht ernst genug nahm um sich darüber sorgen zu machen. „Hier, das brauchst Du wohl auch“, sagte er und hielt ihr die beiden Bücher hin, deren Namen sie ihm vorher auf einen Zettel geschrieben hatte. „Ich habe dir auch was zu essen organisiert.“ Damit meinte er wohl die Pizzaschachtel. Der Fremde begann ihr die Handschellen zu lösen. Hannah starrte auf die Pizzaschachtel „Ist das Blut?“ kommentierte sie ein paar rote Spritzer auf der Außenseite des Pappkartons, ohne darüber nachzudenken. Sie wünschte sie hätte diese Frage nie gestellt, der Fremde nahm den Karton hoch, roch dran und sagte nur „Ja“ und legte ihr den Karton vor die Nase. Der Appetit war ihr damit vergangen. Trotzdem öffnete sie den Karton und warf einen Blick rein. Ausgerechnet Spinat Pizza, nicht dass Hannah Spinat nicht mögen würde, auf einer Pizza hat Spinat aber nichts zu suchen, fand Hannah. Der Fremde schien ihren missbilligenden Blick bemerkt zu haben. „Soll ich dir eine andere hohlen?“, fragte er. Hannah schüttelte den Kopf, irgendwie hatte sie die Vermutung, dass ein armer Kerl für diese Pizza sterben musste. Sie wollte nicht noch weitere Menschen in Gefahr bringen.

Der Fremde zuckte mit den Schulterm, nahm sich eine Weinflasche aus der Plastiktüte und warf sich in den roten Sessel. „Und, hast Du fortschritte gemacht?“, fragte er, während er die billige Weinflasche aufschraubte. Hannah seufzte, jetzt musste sie ihren Mut zusammen nehmen und den Fremden von ihrem Plan überzeugen. „Ähm, also was ich mich frage... also wenn ich das hier für dich übersetze. Naja, was habe ich denn dann davon?“ - Jetzt war es raus, der Ball war bei dem Fremden. Dieser hatte gerade die Flasche an den Mund angesetzt und hielt nun inne. „Du meinst, welche Belohnung dich dann erwartet?“ fragte der Fremde. Hannahs Herz klopfte bis zum Hals „genau“. Der Fremde stellte die Flasche auf den Tisch und kam zu ihr auf das Bett. „Ich weiß, was du willst“, begann er und lächelte dabei verführerisch, sein Gesicht kam ihr immer näher, bis seine Nase fast ihre Nase berührte „das wollt ihr jungen Dinger heute doch alle... du willst, dass ich dich unsterbliche mache“. „WAS, NEIN!“ entfuhr es Hannah schrill und empört. Der Fremde schien ein wenig beleidigt und rutschte etwas von ihr weg. „Ich hätte dich eh nicht eine Ewigkeit ertragen wollen. Die Zeit kann nämlich ziemlich lang sein, weißt Du?“, sagte er etwas beleidigt. „Was willst du dann?“ - „Das Du mich gehen lässt“, flüsterte Hannah. Der Fremde machte eine abfällige Handbewegung, „jaja, meinetwegen“. „Und woher weiß ich, dass Du mich gehen lässt?“, fragte Hannah. Der Fremde grinste und ging wieder zum roten Sessel „das weißt Du nicht“, sagte er und nahm wieder die Weinflasche in die Hand. Hannah nahm ihren ganzen Mut zusammen, „ich möchte dir einen Vorschlag machen“. Der Fremde deute mit einer Handbewegung an, sie solle fortfahren. „Ich übersetze das Buch, und schreibe alles verschlüsselt hier in den Computer. Wenn Du mich freilässt, gebe ich Dir dann die Datei und das Passwort und Du kannst die Übersetzung lesen.“ „Woher soll ich wissen, dass Du mir das richtige Passwort gibst?“, fragte der Fremde. „Das weißt Du nicht“, äffte Hannah den Fremden nach. Der Fremde grinste und sagte „Fang an, Kleines“. Dann wendete er sich seinem billigen Wein zu.

***



Während sich die Flasche Wein leerte, füllten sich die Seiten in Hannahs Laptop. Sie versank in das alte Buch und vergaß fast alles um sich herum. Sie bemerkte kaum den Fremden der wie ein Tieger im Käfig umherwanderte, nachdem er die Weinflasche geleert hatte. Auch als der Fremde später den Fernseher einschaltete und durch die Programme zappte, ignorierte sie ihn vollkommen. Das letzte was sie wollte, war über ihre Lage nachzudenken, darüber wie verrückt das alles war. Wie lange sie so da saß und Buchstabe für Buchstabe in ihren Laptop tippte wusste sie nicht, es muss aber bereits viel Zeit vergangen sein, der Fremde sah sich inzwischen eine dieser furchtbar kitschigen Vorabend-Soaps an. Auch wenn sie alles um sich herum ignorieren konnte, die Gefangenschaft, das merkwürdige Zimmer, die schlechten Schauspieler im Fernsehen, eine Sachte konnte sie nicht länger ignorieren: ihre Blase. Würde sie nicht bald eine Toilette besuchen, würde sie entweder platzen oder einfach auslaufen. Beide Varianten gefielen ihr nicht und sie war sich sicher, dass es ihrem Entführer da ähnlich ging. Also nahm sie allen Mut zusammen und hüstelte. Der Fremde schien das nicht bemerkt zu haben. „Ähääm“, versuchte sie es nochmal. Ohne vom Fernseher aufzublicken antwortete der Fremde mit einem „hmm?“. Hannah wusste nicht wirklich wie sie darauf antworten sollte. Der Fernseher kam ihr zu Hilfe, die Werbung begann gerade und der Fremde löste seinen Blick von der Glotze und schaute nun Hannah an „schon fertig?“, fragte er. „Äh, nein...“ antwortete Hannah unsicher. Fragend schaute der Fremde Hannah an. Die atmete tief ein und sagte leise „ich muss mal“. Der Fremde schien Hannah nicht verstanden zu haben „Bitte?“. Diesmal sprach Hannah lauter „Ich muss mal“, der Fremde starrte Hannah nur an, offensichtlich überfordert. „ICH MUSS MAL“, diesmal schrie Hannah. „Ich hab dich schon beim ersten mal verstanden“ antwortete es leise, der Fremde schien aber immer noch nicht zu wissen wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Hannah sah ihn mit einem fragenden Gesichtsausdruck an. Der Fremde schien zu überlegen, „kannst du das nicht noch ein bisschen einhalten?“. „Nein“, der Druck auf der Blase machte Hannah langsam aber sicher aggressiv. Der Fremde hob die Augenbrauen, nahm die Weinflasche und hielt sie Hannah hin. Unsicher nahm sie die Flasche in die Hand, starrte auf das Etikett und blickte dann wieder zu dem Fremden. Warum tat er das? „Soll ich mich umdrehen?“, fragte er. Jetzt erst dämmerte es Hannah, was sie tun sollte. „Soll das ein Witz sein?“, entfuhr es ihr. Der Fremde antwortete mit einem hilflosen Blick. „Ich habe keinen Schwanz, wie stellst Du dir das vor?“, ihre Geduld war langsam aber sicher am Ende, sie musste einfach nur noch pissen und das Letzte was sie wollte war jetzt diskutieren. Nein, das letzte was sie wollte war in dieser Kammer in eine leere Weinflasche zu pinkeln, auf Platz zwei war dann aber eine Diskussion über das Urinieren. Das Argument mit dem Schwanz schien den Fremden überzeugt zu haben. Er stand auf, nahm ihr den Laptop aus der Hand und legte ihn auf den Tisch, dann nahm er Hannah an die Hand, die ihm bereitwillig folgte. Er öffnete die Tür und ging mit ihr wortlos die Treppe herauf. Auf dem Weg nach oben ärgerte sich Hannah, dass sie nicht eher auf die Idee gekommen war den Fremden zu überzeugen mit ihr aus dem Zimmer zu gehen. Vielleicht hatte sie eine Möglichkeit sich loszureißen, in die nächste Polizeidienststelle zu rennen oder zumindest in einen Bus? Die Treppe mündete in einer alte Kapelle. Die Wände waren aus kaltem grauen Stein, jedes einzelne Kirchenfenster war durchlöchert wie ein Schweizer Käse, Jugendliche hatten die Scheiben mit Steinen eingeworfen. Die Reste von Banken waren in Stücken über den Fußboden verteilt, der wiederum eine dicke Staubschicht aufwies. Nur ein paar Fußspuren wiesen in Richtung Ausgang. Der Fremde führte Hannah nach draußen auf einen Friedhof. Der kalte Wind schlug ihr entgegen, weiße Wölkchen traten aus ihrem Mund, es war so kalt, dass sie ihrem Atem sehen konnte. Hannah begann sofort zu zittern. Sie dachte an Ihre Jacke, die noch an der Garderobe der Bibliothek hing. Zitternd schaute sich Hannah um, es war tatsächlich ein Friedhof. Verwitterte Grabsteine, teilweise mit Efeu überwachsen. Die Inschriften kaum noch lesbar. Dicke Bäume bildeten eine Allee, die Blätter abgeworfen boten sie ein gespenstisches Bild. Hin und wieder ein paar Tannen, die sich im dunkeln grau und bedrohlich zwischen den Gräbern aufbäumten. Der alte Friedhof war umrahmt von hohen dicken Mauern, die Allee auf der sie gingen führte zu einer schweren vergitterten Tor, der Ausgang zur die Stadt. Wo sonst sollte der Verrückte, der sich für einen Vampir hielt, auch hausen? Der Fremde zog Hannah am Arm, deutete in Richtung Tor und sagte „da lang“. Es muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein, der gutaussehende Fremde lief agil zwischen den Gräbern umher, Hannah stolperte, vom Fremden am Arm gezogen, hinterher. Am Ausgang angekommen öffnete der Fremde das Tor mit einem kräftigen Ruck und schob Hannah auf die Straße. Das ungleiche Paar ging zielstrebig auf ein kleines grünes Häuschen zu.
Hannah kannte diese kleinen grünen Häuschen auch von anderen Ecken der Stadt. Es war eines dieser widerlichen, versifften Toilettenhäuschen, die in der Kaiserzeit erbaut worden waren und ihre besten Jahre, so es diese jemals gab, schon lange hinter sich hatten. Die meisten dieser alten Klo-Häuschen waren inzwischen durch moderne, selbstreinigende Klo-Palästchen ausgetauscht worden, auf denen es nicht nur Seife und Toilettenpapier gab, sondern auch noch entspannende Musik gespielt wurde, wenn man nur eine Münze dabei hatte. Das Häuschen, auf welches die beiden zusteuerten, hatte keinen Münzschlitz. Dafür eine stattliche Anzahl an Graffitis und statt Toilettenpapier gab es benutzte Spritzen von Junkies. Auf einmal war Hannah fast dankbar, dass es so kalt war, dadurch hielt sich der Gestank einigermaßen in grenzen. Als sie direkt vor dem Häuschen standen verbeugte sich der Fremde übertrieben vor Hannah und wies ihr den Weg ins Innere. Hannah schauderte, unter normalen umständen würde sie nie in so ein Ding auch nur einen Fuß reinsetzen. Kurz kam ihr der Gedanke, dass die Flasche vielleicht doch die bessere Wahl gewesen wäre. Der Fremde öffnete die Kabine von einer der Toiletten und schubste Hannah hinein. Sie konnte sich gerade noch fangen, das letzte was sie wollte war gegen die Wand oder gar auf den klebrigen Boden zu fallen. Erwartungsvoll stand der Fremde nun in der Tür, er dachte offenbar nicht daran die Tür zu schließen. „Würdest Du bitte?“, Hannah wagte es nicht den Satz zu ende zu sprechen, der Fremde schien aber zu verstehen was sie meinte. „Meinetwegen“, brummte er und schloss die Tür.
Hannah tat was sie tun musste, der Druck war einfach zu stark. Sie öffnete ihre Hose, und versuchte sich so über der Klo-Brille zu positionieren, dass kein Stück ihrer Haut die Toilette berührte. Und... nichts. Sie hatte das Gefühl sie würde innerlich platzen, konnte aber einfach nicht. Der Fremde vor der Tür wurde nervös „was ist denn nun?“. „Ich kann nicht“, antwortete Hannah ehrlich. „Was soll das heißen du kannst nicht?“, „ich weiß auch nicht, vielleicht weil es so kalt ist, oder ich bin angespannt oder...“. Das Geräusch, ein dumpfes Klonk, welches Hannah nun hörte stammte vom Kopf des Fremden, der diesen genervt gegen die Toilettentür schlug. „Warum tu ich mir das überhaupt an?“, fragte er eher sich selbst als Hannah. Unsicher wie sie reagieren sollte, begann sie den Fremden durch die Klotür in ein Gespräch zu verwickeln, „was steht denn so wichtiges in dem Buch?“. Der Fremde antwortete mit einer Gegenfrage „was weißt Du über Vampire?“. Hannah rollte in ihrer Kabine mit den Augen, fing der Verrückte damit schon wieder an. Bevor sie antworten konnte passierte aber etwas wunderbares, endlich könnte sie sich erleichtern. Ein Strahl warmer Urin kam aus ihr herausgeschossen und sie spürte wie sie sich langsam entspannte.
Als sie fertig war öffnete sie die Tür und antwortete auf die Frage „Vampire trinken Blut und vertragen weder Knoblauch noch Sonnenlicht und sind unsterblich, es sei denn man pfählt sie.“, das es natürlich keine Vampire gibt, beschloss sie diesmal für sich zu halten. Der Fremde grinste breit, „das mit dem Knoblauch ist ein weit verbreiteter Irrtum. Den meisten von uns macht Knoblauch nichts aus. Wie es zu diesem Gerücht kam ist eigentlich eine lustige Geschichte...“ der Fremde schüttelte lachend den Kopf, als er Hannahs verständnislosen Gesichtsausdruck sah, hielt er wieder inne. „Wie dem auch sei, das mit dem Sonnenlicht ist ein echtes Problem. Und von dem Buch erhoffe ich mir eine Lösung.“ Hannah stockte der Atem. „Du willst Sonnenlicht sehen und hast daher die Menschen in der Bibliothek umgebracht?“. „Ähm, nein... also ja, also nicht nur“ stammelte der Fremde „ich hatte ewig nichts gegessen, und wüsste nicht warum ich mich rechtfertigen sollte“, fügte er trotzig hinzu. Hannah starrte ihn entsetzt an. Sie weigerte sich noch immer standhaft ihm ein Wort seiner Geschichte abzukaufen. Plötzlich schnellte die rechte Hand des Fremden vor und blieb einige Zentimeter ausgestreckt vor Hannahs Brust stehen. „Ich heiße übrigens Wilhelm“, stellte sich der Fremde plötzlich vor. Bevor sie realisierte, dass er ihr nur die Hand geben wollte, sprang sie erstmal einen halben Meter zurück. Zu verdattert um einen klaren Gedanken zu fassen griff Hannah dann doch nach Wilhelms Hand, schüttelte diese und sagte wie bei einem Treffen anonymer Alkoholiker „Hallo Wilhelm“.

Auf dem Rückweg in die Krypta lief Hannah wieder vorweg, Wilhelm dicht hinter ihr. Sie hatte keine Idee, wie sie ihm entkommen konnte und durch das Gerede von ihm konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Die offizielle Vorstellung in der Damentoilette brachte Wilhelm dazu, ohne Unterlass zu erzählen. Das Buch sollte viele Geheimnisse über Dämonen beinhalten. Unter anderem soll dort eine Möglichkeit beschrieben sein, wie Vampire so mächtig werden können, dass ihnen das Sonnenlicht keinen Schaden zufügen könne. Geschrieben wurde es von einem 'dunklen Mönch'. Das Buch fand Wilhelm, seiner Aussage nach, in den Ruinen eines Klosters. Es sei dort vergraben gewesen. Um an die Information zu kommen, wo dieses Buch sich befand wäre er durch die halbe Welt gereist. Als er es endlich in den Händen hielt, war er natürlich ziemlich frustriert, dass er es nicht lesen konnte. Und so sei er auf Hannah gestoßen... die drei unschuldigen Menschen in der Bibliothek erwähnte er mit keinem Wort. Für Hannah machte das alles nicht viel Sinn, sie hatte noch nie von dunklen Mönchen gehört und war immer noch mehr als skeptisch was diese ganze „Vampirsache“ betraf.
In der Krypta angekommen schritt Hannah die Treppe herunter, dicht von Wilhelm gefolgt, öffnete die Tür zu ihrem Gefängnis und stoppte abrupt.
Auf dem Bett saß ein Mann, das alte Buch in seinen Händen. Seine Gesichtszüge wirkten wie in Marmor gehauen, kein Fältchen war zu sehen, trotzdem wirkte er irgendwie alt. Seine Augen lagen tief in seinen Augenhölen, die Wangen wirkten eingefallen und grau. Neben dem Bett stand eine attraktive junge Frau. Hannah spürte Wilhelms Hand auf ihrer Schulter, der sie langsam weiter in den Raum schob.
Ohne aufzublicken schüttelte der Fremde langsam seinen Kopf. „Polz, Polz, Polz... du hast mich sehr enttäuscht“. Die attraktive Frau verschränkte ihre Arme und fixierte Wilhelm und Hannah. Mit ihren langen blonden Haaren, ihren roten Lippen und und einem viel zu engen Lederanzug hätte sie auch prima in einen teuren Sado-Maso-Schuppen gepasst.
Hannah wagte es nicht sich zu Wilhelm umzudrehen, dieser bohrte seine Finger weiter in ihre Schulter. Ihre Instinkte sagten Hannah, dass der Mann und die Frau nicht die Absicht hatten sie zu befreien. „Du hast das Buch gefunden und kommst damit nicht zu mir?“, der Mann blickte mit düsterer Miene auf und fixierte Hannah mit seinen funkelnden grauen Augen. „Aber ich sehe du hast dir was zu essen mitgebracht, lass dich nicht stören“. Der Griff um Hannahs Schulter lockerte sich. Plötzlich wandelte sich das Gesicht des Fremden, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen, seine Nase kräuselte sich, er fauchte und entblößte dabei seine Fangzähne. Erschrocken sprang Hannah zurück und spürte Wilhelms Brust in ihrem Rücken. Blitzschnell drückte Wilhelm Hannah näher an sich, presste eine Hand auf ihren Mund, drückte ihren Kopf auf die Seite und versenkte seine Fangzähne in ihren Hals. Der plötzliche Schmerz, der Hannah durchflutete war nahezu unerträglich, sie hätte am liebsten laut aufgeschrien, die Hand auf ihrem Mund ließ aber nur ein Wimmern zu. Der Fremde auf dem Bett lachte höhnisch und die Blondine kicherte schrill. Hannah spürte wie Wilhelm einen tiefen Schluck ihres Blutes nahm, hörte ihn schlucken immer und immer wieder. Nie zuvor hatte sie sich in ihrem Leben so ausgeliefert gefühlt. Sie spürte wie ihr Kreislauf versagt, ihre Beine wurden schwer, um sie herum wurde es dunkel.
Doch da war noch etwas anderes. Sie hörte ihn sprechen, Wilhelm sprach zu ihr. Seine Stimme dröhnte leise durch ihren Kopf, 'hör mir zu'. Er hielt sie weiterhin fest umklammert, seine Fangzähne immer noch in ihrem Hals vergraben, nahm er langsam und genüsslich einen Schluck nach dem anderen. 'Du musst mir vertrauen. Glaub mir, wenn du mich schon für einen Scheißkerl hältst, ER ist schlimmer. Vertraust du mir?' In Hannahs Kopf brach alles zusammen. Wo war sie da nur hineingeraten? Sie wollte nicht sterben, aber ein Vampir saugte ihr Blut. Es gab doch gar keine Vampire, konnte sie Wilhelm trauen? Der Typ der jetzt das Buch hatte und die Leder-Tussi würden ihr wohl eher nicht helfen. 'VERTRAUST DU MIR?' schrie Wilhelms Stimme in ihre wirren Gedanken und brachten plötzlich eine unglaubliche Klarheit, sie konzentrierte sich voll und ganz auf seine Stimme und dachte, so fest sie konnte 'JA'. Bevor sie darüber nachdenken konnte, dass sie sich damit selbst belogen hatte, dass sie ihm überhaupt nicht traute und dass sie eigentlich nur leben wollte, hörte sie wieder Wilhelms Stimme: 'Beweg Dich nicht, wenn ich Dich gleich auf den Schreibtisch lege, hörst Du? BEWEG DICH NICHT! Wenn ich Dir ein Zeichen gebe, dann schnappst Du Dir deinen Computer und rennst los!' Noch bevor Hannah sich fragen konnte was für ein Zeichen Wilhelm meinte, löste er sich von ihr und schubste sie in Richtung Schreibtisch. Unsanft klatschte ihr Oberkörper auf die Tischplatte, unter ihrer Brust spürte sie ihren Laptop. Ein dickes Buch bohrte sich in ihre Wange. Sie wagte es nicht sich zu bewegen oder gar den Schmerz in ihrer Brust zu kommentieren. Sie hielt die Augen geschlossen und lauschte.
„Immer noch so gierig?“, hörte Hannah den Marmor-Mann sagen, „Deine Manieren lassen wirklich zu wünschen übrig, Polz. Du hättest uns ruhig was anbieten können. Mal abgesehen davon musst du sie langsam und qualvoll töten, nur so schmeckt das Blut richtig. Sie hat ja kaum gewimmert.“ Wilhelm wurde getadelt wie ein Schuljunge. „Sie verdienen es nicht besser diese eingebildeten arroganten Tiere. Du MUSST sie leiden lassen.“ Die Stimme des Fremden klang auf einmal unnatürlich schrill. „Aber bald haben wir dieses hässliche Kapitel hinter uns gebracht. Bald können wir die natürliche Ordnung wieder herstellen. Dank Dir!“

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Tag der Veröffentlichung: 10.08.2011

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