Cover

Der Morgen kroch langsam über den Horizont und die aufgehende Sonne zauberte verspielt eine Palette roter Töne auf die freundlichen Wolken, die sich gutmütig und behäbig über den Himmel schoben. Die Wiese war vom Morgentau durchtränkt. Es versprach ein schöner Tag zu werden, und eine junge Frau schwebte anmutig dem Rand der Felsen zu, von wo aus sich dem Betrachter ein berauschendes Panorama bietet. Hätte sie jemand gesehen, er hätte sich wohl gewundert. Ihre Erscheinung war unpassend für diesen Ort und diese Zeit. Der Wind zupfte verspielt an einem dünnen Kleid aus schimmernder Seide, durch das die nun langsam verfliegende Kälte der Nacht bis auf die fast schutzlose Haut gedrungen sein muß. Die glänzenden Schuhe zeigten keine Spuren des langen Waldspaziergangs, der offenbar hinter ihr lag. Doch hätte man sie gefragt, sie hätte nicht sagen können, woher sie kam und wie sie an diesen Ort geraten war. Sie hatte keine Erinnerung daran, je irgendwo anders gewesen zu sein, als nur hier und auf dem Weg zum Abhang. Dort, wo sonst die Erinnerung sitzt, da hatte sich in ihrem Kopf ein leises, metallisches Klicken eingenistet. Es war, wie ein weit entferntes Rattern oder Rauschen, das ihren Weg vorzuschreiben schien und dem sie zielstrebig und furchtlos folgte. Es war wie eine Stimme, die ihr sagte, was sie tun und was sie lassen musste. Als sie den Rand der Felsen erreichte, war die Sonne gerade ganz über den unendlich weiten Horizont gestiegen und schickte die tröstliche Wärme ihrer Strahlen. Ein Vogel erhob sich übers Land und sein Lied vermischte sich mit dem metallischen Klicken, das rhythmisch in ihr klang und in das sich regelmäßig, wie der Refrain eines Liedes, das Klingen einer Glocke mischte. Die Frau, die dort fast unmenschlich schön am Abhang stand, bemerkte nicht, dass ihr Schicksal nicht in ihren eigenen Händen lag. Ihre Augen waren auf den Horizont gerichtet, doch sie sah nichts von der Schönheit, die sie sah. Sie wartete nur, bis das Geräusch in ihrem Kopf ihr etwas anderes befahl. So selbstverständlich, wie sie es hinnahm, keine Vergangenheit zu besitzen, so selbstverständlich tat sie schließlich einen letzten Schritt ins Leere. Ein metallisches Klappern und Klingeln, irgendwo in weiter, weiter Ferne, begleitete ihren Sturz.


Ein kurzes Leben hatte er ihr geschenkt. Ein kurzes Leben, das jedoch nicht sinnlos war. Die Finger ruhten auf den Tasten der Schreibmaschine und seine Augen überflogen noch einmal den Text. Dann lehnte er sich zurück, zündete sich eine Zigarette an, und genoß das Gefühl, das sich in ihm ausbreitete.

„Da tun sich ja Abgründe auf.“ Die Stimme klang freundlich und ein bisschen amüsiert, doch er zuckte zusammen. „Wie bist du hier rein gekommen?“ Beate verzog den Mund. „Als du mir deine Schlüssel gegeben hast, dachte ich, ich dürfte sie auch benutzen.“ Sie wartete einen Moment. „Du erinnerst dich wirklich nicht?“ Nein, er erinnerte sich nicht. Beate schien nicht allzu beleidigt. „Du hast bei mir noch eine Rechnung offen. Warst du heute in der Redaktion?“ Er zog wortlos einen prall gefüllten Umschlag unter den Blättern hervor und kramte einen Schein heraus. „Hast du die ausgeraubt?“ Beate wusste, dass ihm die Redaktion jede Woche für seinen Texte und Kolumnen etwas Geld auszahlte. Meist waren es nicht viel mehr als 20, gelegentlich auch mal um die 50 Euro. Bis zu 100 Euro konnten es werden, wenn es mal richtig gut lief, aber keinesfalls mehr. „Nein“, sagte er, und seine Stimme verriet ihr, dass er über das Geheimnis seines plötzlichen Reichtums nicht sprechen wollte. Er wollte nicht darüber reden, nicht hier und nicht jetzt. „Ich muss los“, sagte Beate, legte den Wohnungsschlüssel auf den Tisch, drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und rauschte aus dem Raum. Der prall mit Scheinen gefüllte Umschlag lag auf dem Tisch.

Armut ist nichts Schönes, aber sie ist auch nichts Schlimmes, so lange man über die Runden kommt. Armut ist einfach ein Zustand, mit dem man sich arrangiert. Erst bezahlt man Miete und Strom, dann füllt man die Lebensmittelreserven auf, als nächstes bezahlt man, was noch an Rechnungen zu zahlen ist und dann schaut man, was übrig bleibt. So hatte er bisher gelebt. Offiziell war er freischaffender Journalist. Aber er machte auch Lesungen und schrieb gelegentlich belanglose Texte, Werbetexte, Bedienungsanleitungen, was immer sich ergab. Die Redaktion war eine seiner wenigen regelmäßigen Einnahmequellen, auch wenn sie bislang nur äußerst dürftig sprudelte. Es war ein Betrag, mit dem er rechnete, um kleinere Außenstände zu tilgen. Für die Redaktion konnte er schreiben, was er wollte, und das war ihm wichtiger. Sie brauchten seine Texte, um die leer gebliebenen Stellen auf den Seiten ihrer Zeitung zu füllen. Sie wurde kostenlos in der Stadt verteilt, und manchmal setzte er sich in ein Cafe und sah den Leuten beim Lesen zu. Wenn er sie schmunzeln oder lachen sah, war er mit sich zufrieden. Doch meist wartet er vergeblich. Er sah die Zeitungen unbeachtet und erfolglos auf Leser warten, ohne dass sich irgendjemand dafür interessierte. Wer liest schon kostenlose Zeitungen, auch wenn sie überall herumliegen? Irgendwann begann es ihn zu stören, dass seine überall verbreiteten Texte ohne Reaktion blieben. Er baute kleine Provokationen ein. Später provozierte er offener und schließlich, als auch das ohne Wirkung blieb, wurde er zynisch und aggressiv. Die Redaktion druckte seine Texte unbeirrt. Sie hoffte vielleicht auf einen kleinen Skandal, der dem winzigen Lokalblatt größere Aufmerksamkeit und damit höhere Einnahmen bescheren könnte. Die Leser aber blieben unbeeindruckt.

Er las seine letzten Kolumnen. Sicher, da war noch die alte Kraft seiner Worte zu spüren. Und auch die leichte, fast kindlich verspielte Phantasie war noch da. Aber all das war wie von einem tödlichen Pilz befallen. Es war zerfressen von der Bösartigkeit eines verbitterten Misanthropen. Diese Arroganz und Menschenverachtung, diese Weinerlichkeit im Heldengewand, die er schon an Nietzsche so erbärmlich fand, jetzt fand er sie in seinen eigenen Texten. Und erbärmlich schien sie ihm auch hier. Er kommentierte, so schien es, die Welt herablassend aus gottähnlicher Perspektive. Nietzsches Übermensch grinste ihm großspurig entgegen. Würde er genau so enden? Würde er irgendwann daran zerbrechen, dass ihn niemand versteht? Wer sich in den überzogenen Posen und dem männlichem Imponiergehabe des Alphamännchens präsentiert und erwartet, dass sein Publikum hinter dieser Maskerade das verzweifelte Betteln um Liebe und Anerkennung erkennt, der hat auf dem Weg zum Wahnsinn ganz sicher schon einen entscheidenden Schritt gemacht. Es hatte sich unbeachtet, ungeliebt gefühlt, und um sich seine Verletzlichkeit nicht einzugestehen, das Gefühl in Wut und Zorn verwandelt. Großer Gott, jetzt analysiert er sich, als säße er Pullover strickend in einer Männerrunde zur Aggressionsbewältigung. Da war Nietzsche im Vorteil, zumindest das Bild hatte er wohl nie vor Augen. Was war nur mit seinen Texten, was war nur mit seiner Sprache geschehen? Fremd waren sie ihm schon lange geworden. Er hatte mehr als einmal darüber nachgedacht, seinen Stil zu ändern oder gar nicht mehr für die Redaktion zu arbeiten. Er hatte es immer wieder verschoben und heute nun war diese Sprache zu seinem Schicksal geworden. Nun saß er in der Falle.

Die Redaktion hatte nichts mit einer normalen Redaktion zu tun, wie man sie kennt oder sich vorstellt. Die Redaktion bestand aus einem Ehepaar, einem Außendienstmitarbeiter und einem großspurig „Büro“ genannten Schreibtisch im Kinderzimmer der inzwischen studierenden Tochter. Er hätte den Namen des Ehepaars im Impressum nachschlagen müssen. Wenn sie sich unterhielten sagte er „Chef“ und „Chefin“. Sie hörten das viel zu gern, als dass sie sich jemals darüber beschwert hätten. Gewöhnlich verzichteten sie jedoch darauf, sich auch als Chefs zu gebärden. Nur heute hatten sie ihn früh am Morgen aus dem Bett geklingelt und Punkt zwölf Uhr in die „Redaktion“ bestellt. Er dachte, vielleicht wären sie ihres treuen Schreiberlings überdrüssig geworden. Vielleicht würden sie auf seine Arbeit verzichten wollen, und würden ihm damit die so lange aufgeschobene Entscheidung abnehmen. Doch es kam ganz anders. Als er die Wohnung betreten hatte, wurde er am Kinderzimmerbüro vorbei ins Wohnzimmer gelotst, wo ihm zunächst ein aufwändig dekorierter Mittagstisch auffiel. Offenbar stand eine Feierlichkeit an, und er fürchtete plötzlich, eingeladen zu sein. Er war nicht darauf eingerichtet und würde in seiner Alltagskleidung in diesen feierlichen Rahmen sicherlich nicht passen. Dann sah er drei äußerst seriös wirkende Personen auf dem Sofa sitzen. Sie wurden einander vorgestellt. Herr Baumert, ein jugendlich wirkender Mann, dessen tatsächliches Alter sich schwer einschätzen ließ, war Redakteur einer überregionalen Tageszeitung. Er trug einen graublauen Anzug und einen unangenehm grellbunten Seidenschall, der ihn wohl für ungeübte Betrachter als kreativen, intellektuellen Szenekenner kennzeichnen sollte. Herr Telter war unnatürlich dünn, zweifellos über 50 und stellte sich als Marketingmanager eines Buchverlages vor, der regional sehr erfolgreich war und sich auch bundesweit zunehmend etablierte. Er hatte schon einige Bücher dieses Verlages (auf Drängen der Redaktion, die den verlässlichen Werbepartner zu schätzen wusste, äußerst wohlwollend) rezensiert. Seit der Verlag auch einige Titel übersetzt und in geringer Auflage im Ausland verkauft hatte, bestand er amüsanter Weise auf das Prädikat „weltweit erfolgreich“. Frau Janisch, eine ältere Dame mit strenger Hornbrille und noch strengerem Blick, war als Lektorin für denselben Verlag tätig.

Mit einer überschwänglichen Gratulation überreichten ihm Chef und Chefin feierlich ein Belegexemplar seines ersten Buches. Er war schockiert. Sie hatten seine Arbeiten verkauft, ohne mit ihm darüber zu sprechen. Er versuchte sich die Details des Vertrages in Erinnerung zu rufen, aber es gelang ihm nicht. Wozu auch? Mit Sicherheit gab es eine Klausel, dass er ihnen die Verwertungsrechte abtritt, aber hätten sie ihm nicht zumindest sagen müssen, was sie vorhatten? Sein Mangel an Begeisterung drückte die Stimmung erheblich. Herr Telter, ganz Manager, dachte offensichtlich es ginge um ein rein kommerzielles Problem. Tatsächlich hatten Chef und Chefin keineswegs die Absicht, ihn auszubooten. Sie hatten für ihn ein wirklich günstiges Autorenhonorar herausgeschlagen. Außerdem verkündete Herr Baumert, seine Zeitung werde das Buch im Vorabdruck veröffentlichen. Herr Telter begann zu erörtern, dass der Bekanntheitsgrad der Region national und international gesteigert werden solle, und man deshalb nach charismatischen Autoren als Repräsentanten gesucht habe. Man erhalte vielfältige finanzielle und organisatorische Unterstützung von staatlicher und privatwirtschaftlicher… und, und, und. Die Worte brandeten an seine Ohren und wurden zu einem Rauschen. Er sah Chef und Chefin bekümmert auf das Sofa gesunken und sah sich genötigt, sich zu entschuldigen. Er beteuerte, dass er sich wirklich freut, und aus dem Rauschen von Herr Telters Stimme kristallisierte sich ein „wenn Sie einverstanden sind“. „Was?“

Herr Baumert mischte sich lachend ins Gespräch. „Zuerst ich. Bei mir brauchen Sie nur quittieren.“ Herr Baumert zog den prall gefüllten Geldumschlag aus seiner Manteltasche und kramte einen Quittungsblock aus einer Aktentasche hervor. „24 mal 100 Euro für den Vorabdruck in unserer Zeitung. Wenn Sie bitte nachzählen und quittieren würden?“ Vor seinem geistigen Auge sah er eine Reihe offener Rechnung im Nichts verschwinden, und als Herr Telter ihm schließlich noch einmal die Details seines Angebotes erklärte, machte er geblendet von der Aussicht auf finanzielle Sicherheit den Fehler seines Lebens. Er unterschrieb. Er hatte sich verpflichtet, drei weitere Bücher zu schreiben. Chef und Chefin waren versöhnt. Sie hatten sogar Verständnis dafür, dass er die Einladung, den Abschluss bei einem opulenten Mittagsmahl zu feiern, ausschlug. Das musste er erst einmal verarbeiten. Auf dem Weg zur Tür, zerrte ihn die Chefin noch einmal ins Kinderzimmerbüro und zahlte ihm freudestrahlend für die Arbeit der letzten Woche zweihundert Euro aus. „Zur Feier des Tages mal etwas mehr“. Sie hatte ein vergnügliches Gurren in der Stimme, und er unterschrieb schmunzelnd auch auf ihrem Quittungsblock.

Auf dem Heimweg fühlte er sich noch gut. Er hatte an diesem Tag mehr Geld eingenommen, als er sonst in den meisten Monaten verdiente. Er würde auch an dem Buch noch verdienen und hatte schon für weitere drei Bücher einen Vertrag in der Tasche. Er war unversehens von einem armen Poeten zu einem aufstrebenden Erfolgsautor geworden. Und dabei war er mit der Vorstellung in die Redaktion gegangen, diese Einnahmequelle gänzlich zu verlieren. Den Vormittag hatte er damit verbracht, seinen Etat nach Einsparmöglichkeiten zu durchforsten. Dennoch hatte er sich auf die Aussicht gefreut, das Kapitel der zynischen Redaktionstexte endgültig abzuschließen. Das würde er nun noch aufschieben müssen, aber… Die Gedankenkette riss unversehens, und ihm war, als kullerten all seine Phantasiebilder von einem sorgenfreien Leben wie Perlen auf den Asphalt. Nein, es gab kein „aber“. Er war nicht erfolgreich. Erfolgreich war der Zyniker, der sich in ihm eingenistet und seine Texte mit Bösartigkeit verseucht hatte. Nun hatte dieser Zyniker ihn und sein Leben völlig unter seine Kontrolle gebracht. Er begann zu verstehen, warum Chef und Chefin es vorzogen, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Hätten sie ihm Zeit zum nachdenken gegeben, er wäre nie darauf eingegangen. Noch war es nicht zu spät. Verträge können widerrufen werden. Er brauchte nur umkehren. Der prall gefüllte Umschlag drückte in seiner Tasche. Ob er das Geld würde zurückgeben müssen? Es war ihm egal, dann würde er es eben zurückgeben, dachte er. Doch er tat es nicht. Armut ist nichts Schönes, aber sie ist auch nichts Schlimmes. Nur, verdammt noch mal, sie ist eben auch wirklich nichts Schönes. Er hatte sich zwar entschieden, doch sie hatten eine andere Entscheidung getroffen, und er schaffte es nicht, sich gegen sie durchzusetzen. Er fühlte Hass, Wut auf sie, auf sich, auf die Welt, und Ohnmacht. Er war nur eine Marionette, die hilflos an ihren Geldscheinen hing.

Zu Hause angekommen warf er den Umschlag angewidert auf den Tisch. So oder so, dieses Geld hatte sein Leben verdorben. Selbst wenn er es zurückbringen würde, er könnte doch nie wieder so zufrieden sein, wie er es früher war. Früher? Mein Gott, das war erst ein paar Stunden her. Und doch, nun war es schon „früher“, nun war es schon eine vergangene, im Dunkel des Vergessens versinkende Zeit. Die Zeit, als er arm aber zufrieden war, sie würde nie wieder kehren. Es war ihm längst klar geworden, dass er das Geld nicht zurückgeben würde. Nicht, weil es seine Entscheidung war, sondern weil er wusste, sie würden ihn wieder überreden. Und selbst, wenn nicht. Sie würden in ihm doch zumindest soviel Zweifel säen, dass er für den Rest seines Lebens der verpassten Chance hinterher trauern würde. Er kannte sich, und sie hatten längst begriffen, wie sie ihn kriegen können. Wieder wurde er zornig, wieder fühlte er sich hilflos. Aber schließlich hat der Autor ein Privileg, um das ihn alle Menschen dieser Welt beneiden sollten. Er hat seine Sprache und damit die Möglichkeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Ein Autor ist nicht hilflos, solange man ihm etwas zu schreiben lässt. Sie wollten drei Bücher von ihm? Gut. Wut ist ein gutes Fundament für ein Buch. Warum sollte er nicht den armen Schreiberling der seine Seele für Geld, Ruhm und Erfolg verkauft zum Thema machen? Er ging ein paar Mal auf und ab, und dachte darüber nach, wie so eine Geschichte anzulegen sei. Den Anfang hatte er gerade erlebt. Am Ende müsste sich der Teufel dann eine oder vielleicht auch einige Seelen holen, und zwar irgendwie unerwartet. Am besten für etwas, das so alltäglich ist, dass man es gar nicht mehr als bösartig erkennt. Nein, das gab es schon zu oft. Was wäre, wenn sich eine Nebenfigur als Teufel entpuppen würde, der alle manipuliert und geleitet hat? Oder der Teufel könnte die offensichtlich Bösen verschonen. Der Teufel könnte sich einen der Guten holen, für den einmal zu oft der Zweck die Mittel geheiligt hat. Oder noch besser, einen Opportunisten, der das Böse erst ermöglicht hat. Ja, er könnte sich selbst vom Teufel holen lassen. Aber gab es das nicht auch schon? Na ja, seit dem Mittelalter gibt es Geschichten, in denen am Ende der Teufel kommt. Vermutlich gab es alles irgendwie schon mal.

Er setzte sich an seine Schreibmaschine. Chef und Chefin hatten ihn immer wieder gedrängt, sich einen Computer anzuschaffen. Er hatte sich nicht überreden lassen, und so musste die Chefin seine Texte immer per Hand abtippen. Er war nicht technikfeindlich, aber er brauchte das Geräusch der Schreibmaschine. Mit diesem Klappern und Klingeln dirigierte er die Personen in seinen Geschichten. Die Geräusche gaben ihm das Gefühl, uneingeschränkte Macht zu besitzen. Seine Figuren waren der Macht seiner Schreibmaschinengeräusche so ausgeliefert, wie er der Macht ihres Geldes ausgeliefert war. Sie schienen völlig frei zu sein, genau wie er, und waren doch genau wie er völlig hilflos. Sie konnten sich nicht gegen ihn wehren, und versuchten es auch nicht. Und hatten sie ihr Schicksal damit nicht genauso verdient, wie er es verdient hatte? Seine Wut auf sich selbst keimte wieder auf, aber nun war er in der Position des Patriarchen, des tyrannischen Diktators, und tat wie selbstverständlich, was solche Menschen in solchen Situationen tun. Er richtete seine Wut auf seine Untertanen. Einen unbedingten Reflex würde Pawlow das nennen. Wer sich angegriffen fühlt, hat den Impuls sich zu wehren. Der Selbsterhaltungstrieb lässt uns unter den möglichen Gegnern einen möglichst schwachen wählen, um unsere Sieg- und damit Überlebenschancen zu erhöhen. Auch der größte Diktator ist also letztlich nur ein wehrlos seinen Instinkten und angeborenen Verhaltensschemen ausgeliefertes Tier. Aber er besitzt die Macht der Illusion. Er kann sich unter seinen Untergebenen ein Opfer suchen und bestrafen, völlig willkürlich und so, als gäbe es dafür keinen anderen Grund, als seine eigene, freie Entscheidung. Und verdient hatten sie es ja alle schon dadurch, dass sie den Diktator gewähren lassen. Und so erschuf er eine Frau, die er zum Tode verurteilte, obwohl sie nichts getan hatte, um diese Strafe zu verdienen. Hatte sie nichts getan? Doch, sie hat sich grundlos verurteilen lassen, ihr Schicksal ohne Gegenwehr angenommen und sich selbst in den Tod gestürzt, weil er es so wollte. Sie hat ihm die Macht gegeben, die er benutzt hat, so wie er anderen Macht über sich gegeben hat, als er dem Reiz des Geldes nicht widerstehen konnte. Sie ist schuldig und hat die Strafe verdient, so wie er schuldig ist, und es verdient, die Folgen seiner Schuld zu tragen. Und plötzlich fühlte er sich nicht mehr hilflos und ausgeliefert. Und dann kam Beate und riss ihn aus seiner Phantasie.

Und nun? Der Umschlag voller Geld lag nach wie vor auf dem Tisch und kontrollierte sein Leben, nahm ihm die Freiheit zu entscheiden, machte ihn zum Spielball einer Macht, die er nicht einmal wirklich verstehen konnte. Ihm fiel plötzlich auf, dass er noch nicht einmal daran gedacht hatte, was er sich von dem Geld kaufen könnte. Natürlich nicht. Zweitausend Euro sind nicht wirklich viel. Wenn man alle Rechnungen bezahlt und beim Einkaufen nicht ständig an die knappe Kasse denken muss, sind sie schnell weg. Das Gefühl, etwas zu besitzen, war verflogen. Die Angst, das bisschen bald wieder zu verlieren und die Vorstellung, dass das Leben ohne dieses Geld traurig, nein mehr als das, völlig trostlos und hoffnungslos wäre, hatten es verdrängt. Schade, dass er die Frau in seiner Geschichte schon getötet hat. Sollte er noch ein Phantasiewesen in den Tod schicken, um sich besser zu fühlen? Nein, das würde ihm nicht helfen. Einmal getötet, sind diese Phantasiewesen für ihn verloren. Sie sind tot, und haben sich damit der Macht ihres Tribuns entzogen. Hat sich die Frau also letztlich doch gewehrt, und erfolgreich gewehrt, indem sie sich von ihm töten lies? Sie hat einfach auf alles verzichtet, sogar auf ihr Leben, und ihn damit seiner Macht beraubt. Sie hatte das getan, was er auch tun könnte, aber nicht fertig brachte. Er war somit in allem der Verlierer. Nicht einmal in seinen eigenen Geschichten hatte er die Kontrolle. Ja, was immer ihm das Schicksal antat, er hatte es wohl wirklich verdient. Er könnte sich zur Wehr setzen, er war bloß nicht bereit, den Preis dafür zu zahlen. Die Frau in seiner Geschichte hatte das getan und gewonnen. Sie hat mit ihrer Entscheidung die Macht übernommen und beschlossen, dass er sie nicht weiter verfolgen kann. Natürlich hat eigentlich er die Entscheidung getroffen. Er hat sie in den Tod geschickt, wo ihr niemand mehr etwas tun kann. Aber wieso eigentlich nicht? Diktatoren mögen diese Grenze kennen, aber als Autor konnte er jede Grenze überschreiten. Er konnte sich seine ihm hilflos ausgelieferte Untertannin zurückerobern. Nein, er hatte sie eigentlich nicht einmal wirklich verloren. In seinen Geschichten war seine Macht unendlich und blieb es auch. Das Gefühl beruhigte ihn, und er beschloss, es weiter auszukosten. Er wollte seine Heldin weiter für ihre Wehrlosigkeit bestrafen, so wie er für seine Wehrlosigkeit bestraft werden würde. Er wusste, dass das nichts ändert, aber es gab ihm das eigenartige Gefühl, sein Schicksal als gerecht zu empfinden. Er glaubte plötzlich fest daran, sich der Zukunft so ohne Angst stellen zu können. Er spannte ein neues Blatt in die Schreibmaschine, dachte einen Moment nach, und wurde wieder zum harten aber gerechten – wie er meinte – Tyrannen.

Als die Sonne den Tod gesehen hatte, wurde sie traurig und müde, und die Wolken schoben sich langsam zu dunklen Haufen zusammen, die Regen ankündigten. Der Gesang des Vogels verlor an Freude und Kraft und verstummte schließlich. Der Wind rüttelte verzweifelt am leblosen Körper am Fuße des Felsen, und als es sinn- und hoffnungslos schien, trug er die Stimmen herannahender Wanderer an ihr Ohr. Sie konnte sie hören, durch das metallische Klingen und Läuten einer weit entfernten Schreibmaschine, die ihr Leben bestimmte. Sie bewegte die Glieder, die Arme und Beine, und erhob sich langsam. Und seltsam, sie spürte keinen Schmerz und es schien nichts gebrochen und sie hörte deutlich die näher kommenden Stimmen, die ihr Hilfe versprachen. Noch immer wußte sie nicht, wer sie war, woher sie kam und wohin sie sich hätte wenden können. Doch bald würden Menschen bei ihr sein, und die würden ihr den Weg sagen können, zu einer Stadt, einem Dorf, einem Haus oder irgendeinem Ort, an dem sie die Suche nach sich und ihrer Vergangenheit beginnen konnte. Ihr Blick wanderte die steile Felswand empor und sie war für einen Augenblick verwundert, dass der Fall so tief gewesen sein muß, und dass sie dennoch lebte. Jedoch war das Staunen nur kurz und ein heftiges metallisches Klappern im Kopf vertrieb den Gedanken. Das plötzliche lauter Werden der herannahenden Stimmen verriet ihr, dass die dazu gehörenden Menschen schon nahe waren. Und tatsächlich sah sie eine Schar fröhlicher Wanderer um eine Ecke biegen und ging auf sie zu. An der Spitze schritt eine kleine, rundliche Frau energisch aus. Ihre Füße steckten in eng geschnürten Wanderstiefeln, mit vielen Schlaufen und großen, silbernen Schnallen. Sie trug abgewetzte Lederhosen und einen gestrickten Pullover in einem schmutzigen Grauton, über den sie eine dicke dunkelbraune Jacke gezogen hatte. Ein lustiger kleiner Hut hüpfte auf ihrem buschigen, schwarzen Haar im gleichen Takt, wie der Rucksack auf ihrem Rücken. Über die Schulter trieb sie die Nachfolgenden in einem freundlichen aber bestimmten Kommandoton zur Eile an. Ein hochaufgeschossener Mann, dessen Stiefel fast bis zu den Knien reichten und dessen Rucksack um einiges größer war, als ihrer, folgte in einiger Entfernung. Auch er trug robuste Kleidung in matten Farbtönen und sein Haar hatte schon einiges an Fülle verloren. Der Mann hätte wohl schneller laufen können, hätte er nicht zwei Kinder vor sich her schieben müssen, die von den unheilverkündenden, immer dunkler werdenden Wolken herzlich wenig beeindruckt waren. Gerade hatte sich das Mädchen, es mochte um die zehn Jahre alt sein, aus den Armen des Vaters befreit. Sie stürzte auf eine Blume am Wegrand zu. Als sie die kleine Pflanze eilig abriß und der Vater sie am Arm auf den Weg zurück zerren wollte, nutze der Sohn die Gelegenheit. Gehässig feixend nahm er eine Hand voll Erde und bewarf seine Schwester, die das mit einem herzhaften Kreischen quittierte. Der Junge war etwas älter als das Mädchen, und auch der Vater bekam einen großen Schwung Erde ab. Er sah für einen Augenblick überrascht aus und schien zu überlegen, wie er reagieren sollte. Dann riss er beherzt eine große, fleischige Pflanze mitsamt der Wurzel aus und schüttelte sie entschieden über dem Kopf des Jungen. Aus dem Wurzelwerk ergoß sich ein Regen von Erde und Lehm über ihn. Die Frau machte kehrt, um den Albernheiten ihrer Familie ein Ende zu setzen. Der Mann aber grinste ihr entgegen, wie ein verspielter großer Junge. Und dann, ganz plötzlich, glitt sein Blick an ihr vorbei und sein Grinsen verzerrte sich zu einer eigenartigen, angstvollen Grimasse. Er griff nach den Kindern und schob sie mit sanfter Gewalt den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die Frau drehte den Kopf, um zu sehen, was ihren Mann so erschreckt hatte. Ihr Gesicht wurde leichenblass.

War es möglich, dass der Sturz sie so entstellt hatte, dass man Kinder vor ihrem Anblick schützen mußte? Sie war entsetzt, von dem Schrecken, den sie bei den Wanderern ausgelöst hatte. Sie war so entsetzt, dass sie eine Weile brauchte, um sich zu fangen. Doch dann merkte sie, dass die Frau sie gar nicht ansah. Sie sah an ihr vorbei, auch als sie sich ihr näherte. Es war wohl der Schock, denn die kleine Frau reagierte nicht, selbst, als sie sie ansprach. Sie streckte ihre Hand nach der Wanderin aus, wollte sie schütteln, wollte sie zur Besinnung zu bringen. Doch sie griff einfach durch die Frau hindurch, und sah dabei ihre Arme und ihre Hände. Da waren keine Arme. Da waren auch keine Hände. Es war nur ein milchiger nebliger Schatten von ihnen. Sie begriff das nicht. Langsam drehte sie sich um. Dann sah sie ihren Körper. Sie sah ihren Körper tot und zerschmettert am Fuße des Felsens liegen. Sie schrie einen Schrei, den niemand hörte. Sie schrie und schrie und schrie. Die resolute kleine Frau - auch sie hörte den Schrei nicht - war durch den Anblick der toten Frau wie betäubt und handelte nun, so schien es, mechanisch. Sie marschierte auf den reglosen Körper zu, griff den seltsam geknickten rechten Arm und sucht nach einem Puls. Sie legte die Hand auf die blutüberströmte Brust, hob die toten Augenlider ein Stück, warf einen interessierten Blick auf die Pupillen und schien sich dann sicher, dass Rettungsversuche keinen Sinn hätten. Sie bewegte sich sicher, doch ihre Augen waren starr und unnatürlich geweitet und ihre Haut fast so bleich, wie Papier. Schließlich erhob sie sich und verschwand eilig hinter dem Felsen. Ein schreiendes, milchiges, hilfloses Etwas blieb zurück, das noch vor kurzem eine Frau gewesen war. Sie hätte aufhören können zu schreien. Sie hätte einfach aufhören können. Aber sie schrie weiter, einfach weil sie wußte, dass sie etwas würde tun müssen, wenn der Schrei erstarb. Aber sie wußte nicht was sie tun sollte, was sie tun könnte. Und sie schrie und schrie. Es ermüdete sie nicht, und vielleicht würde sie die Ewigkeit schreiend verbringen. Doch das metallische Hämmern im Hirn wurde lauter und lauter. Es war nicht zufrieden mit ihr. Dieser Schrei war nicht das Ende ihrer Geschichte. Sie sollte aufhören und tat es schließlich. Und weil sie so verzweifelt war und ihr jeder Gedanke ihre Verzweiflung noch deutlicher machte, begann sie zu laufen. Sie lief und lief. Sie lief weg von diesem Ort. Sie lief fort, von dem toten Körper, der für so kurze Zeit ihr Körper gewesen war. Sie lief eine Weile auf dem Weg, doch als sie plötzlich vor sich die Familie der Wanderer in eiligem Marsch erblickte, verließ sie ihn und rannte quer durch den Wald. Sie lief durch Wald und Dickicht, bis sie eine Straße erreichte. Sie lief und lief. Das Laufen war fast wie das Schreien. Man konnte laufen und laufen. Immer weiter, und wenn sie denn ihr Leben – oder besser ihren Tod – nicht schreiend verbringen konnte, dann würde sie eben einfach laufen für alle Zeit. Die Welt erstarb in eintönigem Grau, und nur manchmal erschreckte sie ein Auto, das unerwartet von hinten durch sie hindurch fuhr. Irgendwann kam sie in eine Ortschaft und plötzlich sah sie Menschen. Für einen Moment schöpfte sie Hoffnung. Sie lief langsamer, doch als ihr klar wurde, dass niemand von ihr Notiz nahm, übermannte sie die Verzweiflung. Sie wurde wieder schneller. Sie lief, so schnell sie konnte, und sie staunte selbst, wie schnell sie war. Bald lag der Ortsausgang hinter ihr und sie schoß an einem Auto vorbei. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wieso sie schneller laufen konnte, als ein Auto fuhr. Fort wollte sie, nur fort von den Menschen, zu denen sie nun nicht mehr gehörte. Doch schon sah sie vor sich drohend den nächsten Ort und blieb wie angewurzelt stehen. Das Auto, das sie gerade überholt hatte, raste unerwartet mitten durch sie hindurch und jagte den fernen Häusern entgegen. Es war ein unnatürliches Gefühl, so da zu stehen und nach einem Lauf, der Stunden gedauert haben konnte, keine Erschöpfung zu spüren. Sie stand mitten auf einer Chaussee, die von gewaltigen, alten Bäumen gesäumt war, und blickte sich um. Vor ihr war eine Ortschaft und hinter ihr war eine. Und so fühlte sie sich wie in einer Falle. Sicher hätte sie noch über die Felder laufen können, aber die Straße hatte ihr doch das Gefühl gegeben, irgendeinem fernen Ziel entgegen zu streben. Sie hatte Angst vor der Einsicht, dass es dieses Ziel nicht gab und nicht geben konnte. So setzte sie sich unter einen Baum, der etwas abseits der Straße stand, und beschloss zu warten. Vielleicht würde sie in der Nacht weiter laufen, wenn die Straßen menschenleer wären. Dann könnte sie stehen bleiben und die erleuchteten Fenster betrachten und sich einreden, dass sie nur irgendwo klingeln müßte und jeder sie sehen würde. Vielleicht sah man sie nachts wirklich. Und vielleicht sah sie andere, die wie sie wären. Das Wort Geister kam ihr in den Sinn. Sie fühlte sich nicht wie ein Geist, aber vielleicht fühlen sich Geister nie wie Geister. Wer weiß das schon?

Es mussten einige Stunden vergangen sein, als sie erschrocken einen Mann die Straße entlang kommen sah. Er schlenderte nicht gerade, ging aber ohne Eile und kümmerte sich nicht darum, dass ihm der Wind das Haar zerzauste. Sein langer schwarzer Mantel blähte sich wie ein Segel im Wind, und verlieh ihm, von edlen schwarzen Halbschuhen unterstützt, das solide Aussehen eines Geschäftsmannes. Seine nicht mehr ganz neuen Jeans wirkten dagegen leger und beinahe ein wenig aufmüpfig. Er mochte um die Fünfzig sein, bewegte sich aber sehr jugendlich. Seine Haare waren von einer ungewöhnlichen Farbe zwischen braun und schwarz die jedoch an vielen Stellen einem silbernen Grauton gewichen war. Seine Rasur war makellos und ein Hemd wie aus einer Waschmittelwerbung strahlte unter dem Mantel hervor. Um die Lippen spielte ein wissendes Lächeln. Als er näher kam, fand sich die Frau am Straßenrand in einer verzweifelten Lage. Wie sollte sie sich verhalten? Natürlich würde er sie nicht sehen. Aber sollte sie sich das eingestehen? Sollte sie einfach sitzen bleiben und ihn vorbeigehen lassen? Sie ahnte dass das der Augenblick wäre, an dem sie sich zum ersten Mal wirklich wie ein Gespenst fühlen würde. Sie würde sich fühlen, wie ein Geist, der die Lebenden umschwebt, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Er war nun schon so nahe, dass ihr kaum noch Zeit blieb, und mit einem Satz sprang sie auf und verschwand hinter dem Baum. Wenn sie sich versteckte, konnte er sie nicht sehen, und sie mußte sich doch nicht eingestehen, unsichtbar zu sein. Sie setzte sich wieder und lehnte sich an den Baum, an die der Straße abgewandte Seite. So würde sie die Nacht abwarten. Doch plötzlich hörte sie die Schritte des Mannes näher kommen. Er ging über Erde und Gras. Er hatte die Straße verlassen und kam geradewegs auf sie zu. Sie hörte, wie sein Körper sich schwer fallen lies und dann, wie der Mann, der sich ausgerechnet an ihren Baum gelehnt hatte, leise zu summen begann. Er summte, und es schien ihr fast, als summe er im Takt des metallischen Klapperns in ihrem Kopf. Und plötzlich gab er ein lautes Kling von sich, gerade als das melodische Rattern in ihrem Hirn von einem Glockenton unterbrochen wurde. Hatte sie sich das nur eingebildet? Kling kam es schon wieder von der anderen Seite des Baumes, und wieder hatte er den Glockenton getroffen. Da wieder – Kling – es war furchteinflößend. Sie saß, schloß die Augen und lauschte Kling, Kling, Kling! Wie konnte er die Töne in ihr hören? Aber da war das Glockengeräusch wieder, und diesmal blieb das Kling aus. Sie hörte das Summen nicht mehr. Der Mann war wohl weitergegangen. Vielleicht hatte er nie die Straße verlassen. Vielleicht war er nie auf der Straße gewesen. Vielleicht, ja vielleicht hatte sie sich das alles nur eingebildet. Sie öffnete die Augen um zu sehen, wie weit die Sonne schon im Westen stand und schreckte zusammen. Ein Mädchen, nicht älter als zwölf blickte ihr fröhlich ins Gesicht.
„Hi!“
Das Mädchen setzte sich wie selbstverständlich vor sie hin.
„Hallo!“ antwortete sie verstört.
„Wieso bist´n Du weggerannt?“ fragte das Mädchen.
„Ich bin nicht weggerannt!“
Das Mädchen schien damit zufrieden zu sein.
„Wie Du meinst!“
Es nahm einen Stock und begann ein Gesicht auf den Boden zu malen.
„Übrigens – Du bist Nina, Nina Kupenda!“
„Ich weiß!“ gab sie trotzig zurück.
„Quatsch!“
Es klang eher beeindruckt als ungläubig. Aber treffender hätte man es nicht sagen können. Es war wirklich Quatsch und das Ich weiß! tat ihr schon leid. Aber wenn sie auch bestimmt irgendwer war (und irgendwer mußte sie ja sein), ganz sicher war sie nicht diese Nina Kupenda. Das Mädchen sah sie forschend an. Dann schüttelte es seine blonde Lockenmähne.
„Wie Du meinst!“
Es machte sich daran, dem Gesicht Arme und Beine zu malen.
„Ich bin übrigens Porti!“
„Porti ist ´n komischer Name für ein Mädchen!“
Sie hatte das ungute Gefühl, dass das nicht besonders freundlich war. Porti schien jedoch nicht beleidigt zu sein. Sie schmunzelte und malte an ihrem Gesicht weiter, das zunehmend wie ein lebendiges Brötchen aussah.
„Ich kann Dich sehen, weißt Du!“
„Ich merk, dass Du mich siehst!“
„Ich mein ja nur, vielleicht denkst Du mal darüber nach. Wenn ich ´n Mädchen wäre, könnt ich Dich dann sehen?“
„Klar könntest Du mich sehen! Jeder kann mich sehen! JEDER!“
Sie hatte das Mädchen nicht anschreien wollen. Aber gerade war sie zu der Ansicht gelangt, dass alles nur ein böser Traum war. Gerade hatte sie sich darauf eingestellt, doch nicht unsichtbar zu sein. Das wollte sie sich nun nicht wieder nehmen lassen. Sie klammerte sich verzweifelt an die Vorstellung.
Das Mädchen versah das Brötchenmännchen mit einem spärlichen Haarbüschel.
„Wie Du meinst. Aber stimmt schon. Für ein Mädchen wäre Porti wirklich ´n blöder Name.“
Porti hob den Kopf, begutachtete ihr Werk mit Kennerblick und malte ihm mit ein paar Strichen eine herausgestreckte Zunge bevor sie es mit einer geschickten Handbewegung wegwischte.
„Na, dann wollen wir mal!“
Das Mädchen, das kein Mädchen sein wollte, war geschmeidig aufgestanden und wandte sich zum Gehen. Sie aber dachte nicht daran, sich von einem Kind so herum kommandieren zu lassen. Porti blieb stehen.
„Willst Du lieber hier bleiben?“
„Ja klar! Ich bleib hier. Geh Du mal nach Hause. Deine Eltern werden schon warten!“
„Eltern?“
Portis Blick war so ungläubig, dass ihr ein schrecklicher Gedanke kam.
„Du hast doch Eltern?“
Porti schmunzelte.
„Also wenn Du das nicht weißt. Das sollte Dich nun wirklich interessieren. Komm mit, dann erfährst Du es.“
„Du hast also Eltern! Mehr wollte ich gar nicht wissen!“
„Ich sag es einfach mal so, ich hab die gleichen Eltern, wie meine Schwester.“
Dieses Kind fing wirklich langsam an, ihr auf die Nerven zu gehen.
„Dann ist ja gut!“
„Du bist ´n bißchen langsam, oder?“
Porti schaute sie schief an und schmunzelte.
„Und so was ist nun meine Schwester.“
„ERSTENS – ICH BIN KEINE NINA KUPENDA!“
„Na nu, na Nina, wer wird denn gleich schreien.“ grinste Porti.
„ZWEITENS – ICH BIN NICHT DEINE SCHWESTER! UND DRITTENS – ICH KOMME GANZ GUT OHNE DICH KLAR!“
„Das waren dann mal lockere Null von drei möglichen Punkten. Durchgefallen, würde ich meinen. Aber mit Karacho!“
Porti amüsierte sich köstlich.
„Na gut, dann zwinker mal.“ sagte sie schließlich.
„ICH WERDE NICHT ZWINKERN!!!“
„Doch!“ gab Porti nur zurück
Obwohl sie sich die größte Mühe gab, die Augen offen zu halten, zwinkerte sie genau in diesem Augenblick. Im Bruchteil einer Sekunde war Porti verschwunden. An ihrer Stelle stand plötzlich eine Frau, die man hätte gutaussehend nennen können, wenn ihr Gesichtsausdruck nur weniger nervös gewesen wäre.
„Nun, Nina. Ich hoffe, dass Du zu Porta etwas freundlicher bist, als Du zu Porti warst.“
„Porta?“
„Ich bin Porta, und Du solltest mir nun folgen.“
Nina – inzwischen sah sie ein, dass sie wohl Nina sein mußte – betrachte Porta ausgiebig. Auch sie hatte eine blonde Lockenmähne und sah aus, wie eine Porti, die erwachsen geworden ist und das Schmunzeln verlernt hat.
„Du strapazierst meine Geduld!“ zischte Porta.
„Schon gut!“ Nina erhob sich langsam.
„Na also!“
Porta ging mit großen Schritten quer über das Feld. Für einen Augenblick zögerte Nina. Sie hatte erwartet, dass sie die Straße entlang gehen würde, zu irgendeinem Haus. Doch dann fiel ihr ein, dass Wesen wie Porti und Porta – und auch sie selbst – wohl nicht in normalen Häusern wohnen. Sie eilte Porta hinterher.
Es war schon Abend geworden, und als sie endlich auf eine Gruppe von Bäumen zusteuerten, die ihr Ziel zu sein schienen, war es dunkle Nacht. Nina wunderte sich, dass sie sich trotzdem orientieren konnte. Obwohl sie kaum noch etwas sah, hatte sie das Bild der Bäume, den kleinen Teich in ihrer Mitte und einen Kreis großer Steine klar vor Augen.
Porta, die als sie aufbrachen noch eine sehr sportliche und doch elegante Garderobe trug, hat sich offenbar auf irgendeine Weise etwas Wärmeres verschafft, das ihr auch gut stand. Allerdings wäre sie selbst in Lumpen noch eine beeindruckende Erscheinung gewesen. Sie wäre es gewesen – hätte sie eben nur etwas weniger genervt gewirkt.
„Ist das unser zu Hause?“
„Wir sind überall zu Hause!“
Porta begann, sich am Kreis zu schaffen zu machen.
„Und meine Eltern? Kommen Sie hierher?“
„Hab Geduld!“
Porta warf einen prüfenden Blick auf die Steine, und schien mit sich zufrieden. Dann drehte sie sich um.
„Zwinkern!“
Nina mußte ihrem Befehl wohl gehorcht haben, denn plötzlich war Porta fort, und der Mann von der Straße stand vor ihr. Er summte wieder vor sich hin, gab dann und wann ein leises Kling von sich – immer wenn die Glocke in ihrem Kopf erklang. Er lies sich schmunzelnd auf einen der Steine fallen. Der Stein schien weich zu sein, wie ein bequemes Sofa.
„Porto, Portu, oder so ähnlich nehme ich mal an.“ sagte Nina.
Der Mann hörte auf zu summen.
„Portus. Aber nenn mich ruhig Günther oder Erik oder wie immer Du magst.“
Er setzte sich aufrecht und klopfte sanft auf die Stelle neben sich.
„Na los, nimm Platz!“
Sie ging auf ihn zu. Der Stein wirkte irgendwie seltsam, wie er so unter Portus Gewicht nachzugeben schien. Sie konnte sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl es sein mußte, auf diesem Stein zu sitzen. Und plötzlich merkte sie, dass Portus gar nicht saß. Er schien zu schweben. Er schwebte mal ein Stückchen über dem Stein und mal ein Stück in ihn hinein. Sie wollte es ihm nachmachen. Doch sie segelte prompt durch den Stein hindurch, als sie sich zu ihm zu setzen versuchte. Portus lachte.
„Siehst Du, deshalb bin ich hier. Dann laß uns auf der Erde Platz nehmen.“
Nina hatte sich schnell wieder aufgerappelt. Obwohl sie eigentlich nichts gespürte hatte, war ihr schon die Vorstellung, in einem großen Findling zu liegen, unangenehm. Portus saß nun auf dem Boden und sie setzte sich daneben. Er hob einen Stein auf und reichte in ihr.
„Faß den mal an!“
Wieder sah es nicht aus, als würde Portus den Stein wirklich berühren. Es sah aus, als würde er schweben, über seiner scheinbar körperlosen Hand. Nina streckte den Finger aus, der, ohne dass sie einen Widerstand verspürte, in den Stein hinein glitt. Schnell zog sie ihn zurück.
„Es ist eigentlich ganz einfach!“, meinte Portus gelassen.
Er warf den Stein in die Luft und fing ihn geschickt wieder auf.
„Du darfst nur nicht daran zweifeln, dass Du ihn anfassen kannst.“
Erneut sauste der Stein durch die Luft und fiel wieder in seine Hand.
„Es hätte etwas einfacher sein können, wenn Du gewartet hättest. Aber es war wohl die Frau, die Dich erschreckt hat.“
„Porta? Nein, die hat mich nicht erschreckt!“
„Nicht Porta. Die Frau am Felsen meine ich.“
„Oh nein. Die Frau war es nicht.“
Sie überlegte kurz. Konnte es sein, dass Portus nicht wußte, warum sie geschrien hatte?
„Ich bin dort – gestorben.“
„Ach?“
Portus sah sie ungläubig an. Doch dann verstand er offenbar.
„Ach ja. Na wir nennen das die Trennung. Gestorben ist ja nur Dein Körper. Oder fühlst Du Dich irgendwie tot?“
Nina überlegte. Konnte Portus wirklich meinen, was er da sagte?
„Nun. Ich friere nicht. Ich spüre keine Erschöpfung. Ich atme nicht, ich habe keinen Hunger. Ich denke mal, so sehr viel toter kann man eigentlich nicht sein.“
„Ich dachte eigentlich an das Fühlen, Denken und Sprechen. Aber wenn das Leben vor allem aus Atmen und Essen besteht, dann bist Du vermutlich tatsächlich tot. Schade. Eigentlich ist es nämlich eher wie eine Geburt.“
Nina sah ihn an.
„Ach, Du meinst man wirft nur die störende nutzlose Hülle ab und ist dann frei und vollkommen, ja? Soll ich jetzt jubeln? Sag es einfach.“
Portus ließ den Stein durch die Luft sausen und schmunzelte.
„Manche Küken sind froh, wenn sie aus dem Ei kommen. Manche haben Angst und wollen am liebsten wieder hinein. Am Ende liegt es immer am Küken und niemals am Ei. Nur weil die Schale irgendwann nicht mehr gebraucht wird, heißt das ja nicht, dass sie nicht nützlich und wichtig war.“
„Dir scheint sie schon ziemlich wichtig zu sein. Du hast einen Körper. Porta hat einen Körper und Porti hat auch einen.“
„Du solltest nicht alles glauben, was man Dich sehen läßt.“
Nina verstand nicht, was das heißen sollte.
„Wo sind meine Eltern?“
„Dein Vater ist immer bei Dir. Du kannst ihn hören.“
Nina fragte nicht. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, je eine Antwort zu erhalten, die man verstehen kann. Sie saßen eine Weile stumm da. Portus spielte vergnügt mit seinem Stein und Nina grübelte, wie ihr Leben (oder mußte sie nun denken Ihr Tod?) weiter gehen sollte.
„Nina!“
Sie sah gerade noch rechtzeitig auf, um den Stein aufzufangen, den Portus ihr zuwarf.
„Was soll das?“
„Der Stein, Nina, der Stein“ grinste Portus.
Jetzt erst fiel ihr auf, was er meinte. Sie hielt den Stein fest in der Hand. Doch als sie begann, sich darüber zu wundern, sauste er durch die Hand hindurch und fiel zu Boden.
„Siehst Du? Es ist ganz einfach. Du kannst es, wenn Du nicht daran zweifelst, es zu können. Du kannst alles, wenn Du nicht daran zweifelst. Sieh mal.“
Er nahm eine Stein, warf ich hoch, doch es war Portas Hand, die ihn fing und erneut in die Luft warf. Dann fing ihn Porti auf und schleuderte ihn lachend zurück und schließlich saß da wieder Portus und feixte sie an.
„Und wer bist Du nun wirklich?“
„Oh, ich bin nicht das, was Du denkst“ sagte Portus.
„Ich bin nur der Anfang. Ich bin der Lehrer. Ich bin ein Teil von vielen.“
„Und Du hast nie gelebt?“
„Ich lebe doch“
„Ich meine körperlich.“
Portus schien zu überlegen.
„Doch, doch. Ich hatte schon das eine oder andere körperliche Leben.“
„Man kann also wiedergeboren werden?“
„Oh nein. Man kann nicht wiedergeboren werden. Man muß, wenn man noch nicht reif ist, für das EIGENTLICHE. Aber Du wirst das schon bald nicht mehr wollen.“
„Doch“ rief Nina, die sich ja eigentlich an kein Leben wirklich erinnern konnte.
Wie sollte sie also reif sein, für das EIGENTLICHE, was immer das auch sein mochte.
„Oh Nina, Du willst nicht hier sein, das verstehe ich. Aber Du bist hier. Du bleibst auch hier, selbst wenn Du wiedergeboren wirst. Das, was Du Leben nennst, ist kurz. Wenn Du zurück müßtest, würdest Du vergessen, dass Du hier warst. Aber irgendwo, ganz tief in Dir, da würde das Wissen schlummern. Du würdest im Leben nicht mehr das LEBEN sehen können, sondern nur noch das NICHT TOT SEIN. Du würdest nicht leben und nicht lernen und nicht reifen. Du würdest gerade noch existieren. Man kann die Schönheit des Lebens nicht wirklich erkennen, wenn die Angst vor dem Tod wie ein finsterer Schatten darüber liegt. Es käme Dir nur vor, wie geborgte Zeit.“
Nina blickte stur auf den Boden. Sollte Portus ruhig reden. Sie wollte diese geborgte Zeit. Portus schien ihre Gedanken zu erraten.
„Du mußt nicht zurück und Du kannst nicht zurück, also denke nicht mehr darüber nach. Du hast keine Wahl.“
Nun war sie wütend. Sie war so wütend auf den Tod. Und sie war wütend auf Portus, der ihren Tod wie ein freudiges Ereignis zu feiern schien. Sie sah den Stein vor sich liegen, griff ihn und schleuderte ihn voller Abscheu auf sein grinsendes Gesicht.
„Aua!“
Er schrie, als ihn der Stein an der Schläfe traf.
„Na die Lektion hast Du zumindest schon mal gelernt.“
Portus lächelte immer noch, und rieb sich den Kopf.
„Hast Du Schmerzen?“ zischte Nina.
„Ziemlich!“
„Geschieht Dir recht!“
Doch plötzlich begann sie zu überlegen.
„Wieso hast Du Schmerzen?“
Portus Grinsen wurde noch ein bißchen breiter.
„Der Stein! Weißt Du noch?“
„Nein! Ich meine, wieso kannst Du Schmerzen haben?“
„Das hab ich Dir doch schon gesagt. Wir können alles. Wir dürfen nur nicht daran zweifeln, es zu können.“
Nina wurde traurig.
„Ich kann gar nichts. Ich habe immer dieses Klappern und Klingeln im Kopf, und es ist, als müßte ich ihm immer folgen, und als könnte ich nur, was es mich können läßt.“
Portus wurde jetzt etwas ernster
„Da hast Du schon Recht. Es ist unser Vater, der unsere Wege vorzeichnet.“
Er blickte sie an, doch gleich gewann er seine Fröhlichkeit zurück.
„Aber laß Dich davon nicht verwirren. Vergiß ihn einfach und lerne. Lerne, dass Du alles kannst, wenn Du nur nicht daran zweifelst.“
Nina begann zu grübeln.
„Du meinst, ich kann alles? Alles was ich vorher auch gekonnt habe?“
„Wenn Du es willst, auch das.“
„Auch mehr?“
„Du kannst alles, wie oft möchtest Du das noch hören?“
Portus ließ keinen Zweifel daran, dass er tatsächlich bereit war, es so oft wie nötig zu wiederholen.
„Aber wieso muß man dafür ster..“
Sie warf ihm einen Blick zu, der um Entschuldigung zu bitten schien
„...sich trennen.“
„Oh, das muß man nicht. Auch die Körperlichen können alles. Na gut, nicht alles. Manchmal ist ihr Körper wirklich im Weg. Aber sie können vieles. Sie könnten auf jeden Fall viel mehr, als sie tun. Nur – die Körperlichen, weißt Du – sie zweifeln oft. Sie haben einfach kein Vertrauen in sich. Als sie noch an Götter glaubten, da haben einige wenigstens denen vertraut. Aber heute sind ihre Religionen meist nur noch leere Rituale. Es sind nette Geschichten und vertraute Gewohnheiten. Und die meisten Körperlichen würden auch nur Nutzloses tun, wenn sie Ihre Möglichkeiten erkennen würden. Sie würden gerade das versuchen, was sie eben nicht können. Sie würden versuchen zu fliegen oder durch Wände zu gehen und so weiter. Da ist so ein Körper dann doch – ich sage mal so – ziemlich, na ja, problematisch eben.“
Es war unverkennbar, dass Portus sich gerade bildlich das eine oder andere Treiben der Körperlichen vorstellte und es äußerst amüsant fand. Doch im nächsten Augenblick wurde er ernst.
„Sie könnten viel Wichtigeres tun. Sie könnten glücklich und zufrieden sein. Und sie könnte auch andere glücklich und zufrieden machen. Aber sie glauben nicht, dass sie es können. Sie halten das auch für unwichtig und, ich denke es ist wohl so. Sie wollen es gar nicht wirklich.“
Er hätte sicher noch Stunden so weiterreden können, doch Nina ging inzwischen anderes im Kopf herum.
„Könnte ich auch das Geräusch besiegen? Du weißt, was ich meine. Das Hämmern im Kopf, das mir alles vorschreibt?“
„Das Geräusch? Ja, das ist so eine Sache. Das ist schon ziemlich schwierig.“


Er hatte keine Ahnung, warum er nicht einfach Nein schrieb. Er wußte nicht einmal, warum er ihr diese Frage in den Mund gelegt hatte. Vermutlich war es ihm logisch vorgekommen, dass jemand in Ninas Situation danach fragen würde. Aber im Großen und Ganzen war er bis hierher ganz zufrieden mit sich und dieser Geschichte. Er zündete sich eine Zigarette an, und las noch einmal alles in Ruhe durch. Ja, es schien ihm wirklich gut. Es schien ihm wirklich gelungen.

Impressum

Texte: Alle Rechte am Text liegen beim Autor. Titelbild: © pauline / PIXELIO
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /