Cover


Knisternde blaue und grelle gelbe Flammen züngelten aus jenem seltsamen, immateriellen Riss, der mitten in der dunklen Küche schwebte und mit seinem unirdischen Licht schmutziges Geschirr beleuchtete. Blau wie Eis und strahlend hell wie die Sonne krochen sie aus diesem Riss in der Welt, der Jack den Weg zur Kaffeemaschine versperrte. Etwas – jemand taumelte hindurch und schüttelte sich, wie ein nasser Hund, fluchte und klopfte hastig kleine, züngelnde gelbe Flammen aus, die über seinen Körper leckten. Mit einer Bewegung warf er Jack etwas zu, das dieser reflexartig auffing.

Jack blickte überrascht in Richtung des Fremden, in einer Hand eine leere Tasse, in der anderen einen Plastiklöffel. „Auch einen Kaffee?“ fragte Jack und setzte sich auf einen der beiden Küchenstühle. Der Wirbel hinter dem Fremden flimmerte bedrohlich und dieser taumelte zurück. „Jack… du solltest…“ begann dieser, doch etwas griff nach ihm, packte zu und zog ihn hindurch.
Stück für Stück wurde er zurück in das seltsame Etwas gezogen, hinein in jenen Strudel aus goldenem und blauem Licht. Der Spalt schloss sich mit einem leisen Schmatzen, zurück blieben nur die Uhr und ein strenger Geruch nach Ozon. Jack rümpfte die Nase, blickte in seine leere Kaffeetasse. Und das vor meinem Morgenkaffee, dachte er betrübt, erhob sich und ging zur Kaffeemaschine und zog die Kanne heraus, um sich nachzuschenken, bis die Tasse überlief.

Mit der dampfenden Tasse in der Hand saß er eine Weile in der dunklen Küche. Dachte nach. Ist das gerade wirklich passiert? Die Vernunft sagte: Nein. Doch was war die Vernunft schon? Schweigend trank er seinen Kaffee, warf einen Blick auf die alte, leise tickende Küchenuhr. Fünf Uhr dreiundvierzig. Zu früh zum aufstehen, zu spät zum ins Bett gehen. Im schein der nackten Birne seiner Küchenlampe, der Lampenschirm war schon lange kaputt, begann er in seinen Kaffee zu starren und den Bewegungen der Flüssigkeit, die er durch umrühren in Bewegung setzte, zu folgen. Nach einer ganzen Weile fiel sein Blick auf das matte glänzen von stumpfen Gold. Die Taschenuhr. Ein schönes Stück, wenn auch etwas abgegriffen. Jack öffnete sie und blickte auf das altertümliche, weiße Ziffernblatt, auf dem römische Ziffern zu erkennen waren.
Nach seinem zweiten Kaffee wog er jene Uhr in der Hand und einem Impuls folgend, klappte er das Glas auf. Irgendwo hatte er so etwas schon mal gesehen. Nur wo? Als Jack die Zeiger berührte und mit ihnen spielte, klickte es leise, aber vernehmlich. Das Ziffernblatt klappte auf und entblößte sein Innenleben, bestehend aus mehreren goldenen Ringen, die sich drehen ließen. In der Mitte zeigte sich ein mechanisches Zählwerk, bestehend aus mehreren Reihen, die im Moment das Datum, das Jahr und sogar die Minute zeigte. Weitere freie Flächen zeigten im Moment nur eine weiße Fläche.

Nach seiner dritten Tasse Kaffee hatte Jack so eine Ahnung, wie die ganze Sache funktionieren sollte. Gesetz dem Fall, ich bin nicht verrückt und das eine Zeitreiseuhr ist, stelle ich damit wohl das genaue Datum ein. Wieso es noch weitere, freie Ziffernblöcke gab, wusste er nicht. Vielleicht für Koordinaten? Aber selbst dafür war es zu viel.

Es war bereits Mittag, als sich Jack genug Gedanken gemacht hatte. Das Internet war wirklich hilfreich, um gewisse Lücken im eigenen historischen Wissen zu schließen. Die Frage aller Fragen war natürlich, wohin die Reise gehen würde. Oder eher, wann. Es gab buchstäblich Unzählige Möglichkeiten. Bin ich ein Held? Sollte ich vielleicht Hitler töten? Er verwarf den Gedanken wieder. Wenn er etwas aus zahllosen Filmen gelernt hatte, dass solche Aktionen in aller Regel nach hinten losgingen und die Sache schlimmer, anstatt besser machten. Also was dann… Beim Bau der Pyramiden zuschauen? Vielleicht nach 1520, den Untergang des Aztekenreichs miterleben? Oder 1789 den Sturm auf die Bastille beobachten? Oder doch einen bestimmten Zimmermann in Nazareth besuchen, danach einen Abstecher bei Budda, um den Abend bei Mozart ausklingen zu lassen? Vielleicht ein kleiner Abstecher nach Woodstock, nur um zu sehen, ob die Gerüchte stimmen?

Andererseits, was hinderte ihn an etwas grundlegenderen Dingen? Mit wenigen Klicks hatte er, was er suchte und der Drucker begann zu rattern. Aber er musste sich vorbereiten. Vorbereitung war alles. Nach einer weiteren Stunde und ratterndem Drucker, der unablässig Daten ausspuckte, hatte Jack alles vorbereitet. Videokamera und Speicherkarten. Für ein paar Stunden Video und tausende Fotos. Dank dem Internet kam er sehr einfach an eine genaue Koordinatenkarte der Erde.
In seinen Rucksack packte er nicht nur das kleine Erste-Hilfe-Paket aus seinem Bad, sondern auch zwei Flaschen mit Wasser, ein Messer und sonstige Sachen, die vielleicht nötig und wichtig sein könnten. Ein wenig Schokolade, Papier und Stifte folgten. Dann ein Besuch bei einer Bank, wo er seine komplette Barschaft und Kontoguthaben in Gold umtauschte. Gold war eine Währung, die überall angenommen wurde.

Die Sonne war gerade aufgefangen, als er in seiner Küche saß, den letzten Kaffee trank und die kleine Taschenuhr ansah. Wenn er sich geirrt hatte und einfach nur verrückt war, dann hatte er den Rucksack umsonst gepackt. Jack öffnete die Uhr, stellte ein Datum ein, dazu die Koordinaten. Nichts passierte. War er doch verrückt? Einem Impuls folgend, berührte er den kleinen, goldenen Knopf an der Seite der Taschenuhr. Es blitzte und ein kurzer Strahl schoss aus der Rückseite der Uhr, formte einen Spalt in seiner Küche. Also dann, dachte Jack und trat hindurch in eine ungewisse Vergangenheit.

Zeit war marginal in dieser Angelegenheit. Nicht jedoch sein subjektives Empfinden und die Tatsache, dass er trotz seines Koordinatensystems durchaus hin und wieder einige Kilometer zu Fuß zurücklegen musste, um sein Ziel zu erreichen. Zum Glück hatte er an festes Schuhwerk gedacht.

Es war der 7.Mai 1824. Jack saß in einem mehr oder weniger bequemen Sessel und lauschte den Klängen eines Musikers, der wahrscheinlich nie geahnt hatte, wie sehr seine Musik die folgenden Jahrhunderte beeinflusste. Einige Gramm Gold hatte es ihn gekostet, doch dann war tatsächlich noch ein Platz frei gewesen.
Als er den völlig tauben Beethoven beobachtete und schließlich gen Ende die neunte Sinfonie erklang, verstand er endlich, wieso die Menschen jenes Stück wirklich mochten. Wieso es so berühmt war. Als das Stück beendet war, bedankte sich Jack bei dem jungen Platzanweiser für seine Hilfe, reichte ihm die Hand und bedankte sich. Dieser lächelte, fühlte das Gold in seiner Tasche und winkte dem seltsamen, jungen Mann nach.

In einer Seitengasse nahm Jack einen tiefen Schluck aus einer Wasserflasche. Atemberaubend. Die Kamera war zwar die ganze Zeit mitgelaufen, er hatte aus seiner Tasche heraus gefilmt, aber live war dieses Stück tatsächlich noch weitaus ergreifender, als jede leblose Version. Theoretisch konnte er sich das Stück noch mal anschauen. Oder etwa nicht? Würde er sich selbst begegnen? Hätte er sich dabei nicht selbst schon begegnen müssen? Seufzend vertrieb er diese Gedanken, die zu nichts führten. Ein kurzer Blick auf seine Liste, dann stellte er die Zeit und Koordinaten ein.

Die Kirche roch, wie Kirchen nun einmal rochen. Etwas alt und muffig, aber hier kam der Geruch nach Farbe hinzu. Es war früher Morgen, zumindest in diesem hier. Ruhig und ohne etwas zu sagen, setzte sich Jack auf eine Bank der Konventskirche von Santa Maria delle Grazie. Das Bild war so gut wie fertig, einige wenige Pinselstriche fehlten noch. Es zeigte den Moment, in dem Jesus seinen Jüngern mitteilte, dass einer von ihnen ihn in wenigen Stunden verraten würde.
Beeindruckend, dachte er nur und legte den Kopf in den Nacken. Fast eine halbe Stunde betrachtete er das Bild, filmte es ausgiebig. Ein müder Abklatsch, die schiere Wucht des Bildes, seine Ausstrahlung konnte keine Kamera festhalten, das wurde ihm schnell klar. Jemand hüstelte hinter ihm und Jack fuhr hoch, stopfte die Kamera in seinen Rucksack.
„Was tun sie hier?“ Der etwa vierzigjährige Maler blickte freundlich, wenn auch etwas irritiert. „Gefällt ihnen das Bild, junger Mann? Kommen sie wieder, wenn es fertig ist. Ich bin mit den Gesichtern noch nicht zufrieden.“
Erst jetzt, als der Mann an ihm vorbeischlenderte, begriff Jack, dass er ihn verstand. Unmöglich, er konnte kein Italienisch, geschweige denn jene Version dieser Zeit. Er warf einen kurzen Blick auf die kleine, goldene Taschenuhr und versteckte sie gerade noch rechtzeitig, bevor sein Gegenüber sie sah. Keine gute Idee, jemandem wie ihm, so etwas vorzuführen. Er könnte auf Ideen kommen, die nicht so ganz hierher passten.
„Entschuldigung, die Frage mag komisch klingen, sie verstehen mich?“ Der Maler, der einen Pinsel gerade in Farbe tauchen wollte, hielt inne. „Natürlich, auch wenn ich euren Akzent nicht zuordnen kann. Seit ihr ein Gast von Herzog Sforza?“
„Nein, ich bin nur ein Reisender, nicht mehr, Meister Leonardo. Ein Reisender, er von eurem Werk zutiefst ergriffen ist.“ Und der einen jungen Kirchendiener bestochen hat, ihm aufzuschließen.
Der Angesprochene winkte ab, schmunzelte in seinen Bart. Jack trat, die Hände hinter dem Rücken, neben ihn. „Man spricht viel über euch, Meister Leonardo.“ Weiter Farben rührend, seufzte dieser. „Geschwätz von Leuten, nehme ich an. Aber das hier wird mein größtes Werk und Herr Sforza wird zufrieden sein.“
„In der Tat, das wird er…“ murmelte Jack, warf noch einen letzten Blick auf das Bild, entschuldigte sich und machte, das er weg kam. Er spürte den nachdenklichen, neugierigen Blick Leonardos in seinem Rücken, doch als sich die Kirchentür hinter ihm geschlossen hatte, fand jener keine Spur mehr von dem seltsamen, jungen Mann.

Das mit dem Gestank stimmt also, dachte Jack. Er überblickte die gewaltige, lärmende Menge und nippte an seiner Wasserflasche. Den Wein hier wollte er nicht wirklich probieren, als er sich erinnert hatte, wie die Leute ihn hier produzierten. Die Menge wogte wütend hin und her, pfiff und grölte. Einige warfen mit faulem Gemüse in die Richtung derjenigen, die langsam in die Mitte des Platzes auf einem einfachen Karren gefahren wurden.
Ein Mann stand neben Jack und zeichnete jene Szene mit Kohle. Jacques-Louis David war – oder würde – ein recht berühmter Maler werden, der sogar noch mit Napoleon III Kontakt hatte. Schweigend standen sie nebeneinander, während Marie-Antoinette an ihnen vorbeigefahren wurde. Da geht sie hin, die berühmte Königin des Sonnenkönigs. Irgendwie beklemmend, diese Epoche war gefährlich und voller Hass und Wut. Jack verabschiedete sich und eilte davon. Das kurze Gespräch mit Jacques-Louis David war schon gefährlich genug gewesen. Ein Eiferer der Revolution, war dieser zunächst recht misstrauisch gewesen, als sich Jack nicht klar dazu bekannt hatte. Zum Glück hatte ihn seine Malerei genug beschäftigt. Zunächst hatte er ja daran gedacht, beim Sturm auf die Bastille dabei zu sein, doch dann war ihm die Sache nicht ganz so klug erschienen. Damals war man schnell mit dem Gewehr und Bajonett gewesen und mit etwas Pech hielt man ihn für einen Adligen, weil er schlicht gut genährt war. Jack verzog sich heimlich in einen Nebenraum, gab ein Datum in seine Uhr ein und verschwand.

Der nächste Reisezeitpunkt war einer, der ihn persönlich sehr interessierte. Und wo er etwas trinken konnte, ohne Angst zu haben, ein ungewaschener Franzose hätte vorher seine Füße hineingetaucht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stimmung war gut, stieg jedoch mit jeder Minute, wo dieser kleine Mann mit Schnauzbart dort vorne sprach, an. Ganz langsam, zunächst stockend, begann er zu sprechen. Jack versuchte nicht daran zu denken, dass eine Bombe gar nicht weit von ihm entfernt tickte. Aber bis diese explodierte, war er schon längst weg – genau wie der Redner. Andererseits – würde er ihn nur eine Viertelstunde aufhalten, könnte er… Der Gedanke war müßig.
Schweigend und an seinem Bierkrug nippend, lauschte er den Worten des Führers, jenem böhmischen Gefreiten, der erst Deutschland, dann Europa und schließlich die halbe Welt in einen nie da gewesenen Vernichtungskrieg stürzen würde.
Langsam verstand Jack, wieso dieser Mann so viel Unheil anrichten konnte. Wieso mit ihm an der Spitze diese Dinge so geschehen konnten, wie sie geschahen. Ein begnadeter Redner, keine Frage. Vielleicht hätte ich ihn meine Referate in der Schule schreiben lassen sollen, dachte er und setzte den Bierkrug ab und wischte sich über die Lippen. Tatsächlich, deutsches Bier war und ist das Beste der Welt.
Ein kurzer Blick auf seine Uhr reichte. Es war Zeit. Während Adolf Hitler das Podium verließ, tat es Jack ihm gleich. Für einen Moment, einen kurzen Moment, trafen sich ihre Blicke. Jack schauderte und zwang sich, höflich zu nicken und zu lächeln.

Jack schüttete den Drink herunter und wischte sich über die Lippen. Die Flüsterkneipe war brechend voll, die beiden Männer an der Tür wirkten finster und ließen immer wieder ihren Blick über die Gäste schweifen, während eine Band Jazz spielte. Alkohol war offiziell verboten, aber die Idee, damit das Verbrechen zu bekämpfen, ging spektakulär nach hinten los, denn im Grunde förderte die Prohibition es sogar.
Irgendwie schmeckt Whisky hier besser als daheim, dachte er und goss sich etwas nach. Auch hier war die Tatsache, dass etwas Gold reichte, um alles zu bekommen, eine etwas ernüchternde Tatsache.
„Kennen wir uns?“ Jack hob den Kopf und betrachtete den Mann mit der markanten Narbe und etwas dicklichem Gesicht. Für eine Sekunde blieb sein Herz stehen, dann fing er sich. „Nein, ich bin nur zu Besuch in Chicago.“
„Und dann führt Sie der Besuch hierher?“ Jacks Blick fiel auf den bulligen Leibwächter des Mannes, der für immer in den Geschichtsbüchern stehen würde. „Um ehrlich zu sein, ein gewisser Ruf hat mich hergeführt.“
„So… ein Ruf also?“ Jack spürte, wie sich mehr Männer näherten, ohne hinzusehen. Jack leerte sein Glas. „Kann ich Sie zu einem Glas einladen, Mr…“
„Capone. Alfonso Capone.“
Als er sich setzte und der Barmann ihm ein zweites Glas reichte, tranken sie gemeinsam und prosteten sich zu. „Geschäftlich oder zum Vergnügen in der Stadt?“ fragte Capone und nahm einen tiefen Schluck. Ein Job bei Al Capone. Das wäre doch mal etwas in meinem Lebenslauf. Jack zuckte mit den Schultern. „Vergnügen. Ich schaue mir die Stadt an, über die man überall spricht.“ Al Capone lächelte grimmig. „Gibt es da, wo Sie herkommen, keinen Spaß? Mit dem Alkohol haben wir ja ein paar kleine Probleme, aber unsere Nutten sind gut, oder Jungs?“ Allgemeines Lachen ertönte.
Jack schüttelte den Kopf. „Ich bin von niemandem geschickt, wenn Sie das glauben, Mr. Capone. Ich hab nicht mal eine Waffe, auch wenn ich so langsam glaube, das das keine schlechte Idee in dieser Stadt wäre.“ Wieder ein allgemeines Lachen. Sie unterhielten sich eine Weile, leerten die Flasche zusammen mit den beiden Männern, die Capone begleiteten, zur Hälfte. Jacks Kopf brummte, als er sich verabschiedete und versprach, sich zu melden, wenn er einen Job brauchte.

Die Uhr brachte ihn weiter weg, oder in diesem Fall, nur zwanzig Jahre. In der kalten Nachtluft wurde sein Kopf klarer, irgendwann schlief er einfach ein.
Jack saß an einen Baum gelehnt und betrachtete die Menschen unter sich. Die Kopfschmerzen waren fast weg, auch wenn er sich müde fühlte. Es war um diese Zeit friedlich, keine Autos oder Flugzeuge, die über den Himmel flogen.
Das würde sich in ein paar Jahren ändern. Der Potala Palast war imposant und schon das er sich in seiner Nähe befand, war inspirierend. Die im chinesischen Stil gebauten Pagoden wirkten exotisch.
„Ist es nicht etwas kühl in solcher Kleidung?“ Jack schreckte hoch und blickte in die Augen eines jungen, haarlosen Manns mit Brille. Er trug eine Mönchsrobe und wirkte, um das Wort zu gebrauchen, harmlos. Und doch ging etwas von ihm aus, dass mindestens genauso stark war, wie jenes Böse was Jack von Hitler gespürt hatte. Nur in diesem Fall war es nicht jene dunkle, destruktive Aura.
„Entschuldigung ich…“ Er kannte diesen Mann. Jack sprang auf. „Ihr seid der Dalai Lama!“ Er flüsterte es fast. Sein gegenüber lächelte ein asiatisches, höfliches Lächeln und bedeutete ihm, sich wieder zu setzen.
„Ihr seid Europäer?“ Jack nickte und kratzte sich an seinem Kinn. „Eure Heiligkeit, ich…“ Der Dalai Lama lächelte. „Ihr saht so verloren aus, wie Ihr hier sitzt. Ich dachte, wir könnten uns unterhalten, wenn Ihr möchtet.“
Jack nickte. „Das ist eine große Ehre für mich.“ Er neigte den Kopf. Was erzähle ich ihm? Die Wahrheit? Unmöglich. „Was führt euch nach Lhasa in diesen Zeiten?“
„Ich bin auf der Suche und sehe mir die Welt an. Das Gute, das Böse…“ Jack seufzte, mit einem Mal fühlte er sich unendlich traurig.
„Ist es das, was Ihr sucht? Oder doch etwas anderes?“ Zielgenau berührte er einen Punkt, an den Jack nicht zu rühren gewagt hatte. „Der Weg ist das Ziel. Es sind schwierige Zeiten, aber sie werden wieder besser.“ In zwei Jahren würde dieser nette Mann fliehen müssen, nach Indien um die Kultur Tibets dort zu bewahren, bevor die Chinesen aus Angst nach diesem kleinen, haarlosen Mann suchten, um ihn unter Kontrolle zu haben.
Sie unterhielten sich eine Weile und Jack musste zugeben, dass ihn dieser Mann beeindruckt hatte. Sehr sogar, tiefer als Adolf Hitler es getan hatte. „Könnt Ihr mir sagen, worin der Sinn des Lebens liegt, Eure Heiligkeit? Es gibt so viel Böses und…“
Der Dalai Lama hob lächelnd eine Hand. „Ein Ziel? Aus buddhistischer, oder meiner persönlichen Sicht, die eigentlich völlig unwichtig ist, genau wie die jedes Menschen. Was denkt Ihr, was das Ziel für Euch ist?“ Jack schüttelte den Kopf, ratlos.
„Ich spüre, euer Weg war sehr weit, um hier her zu gelangen. Doch was kann ich euch raten? Ich bin auch nur ein Mensch, mein lieber Freund.“ Jack dachte über jedes einzelne Wort nach. „Wenn ich euch sagen würde, dass ich die Macht hätte, den Lauf des Schicksals zu beeinflussen, euch warnen könnte, was in der Zukunft passiert…“ Der Dalai Lama blickte ihn interessiert an. Jetzt hält er mich für einen Wahnsinnigen, durchzuckte es Jack. „Nur rein hypothetisch, natürlich“, fügte er rasch hinzu. Der Dalai Lama nickte. „Nun, ich würde euch bitten, zu schweigen. Die Menschen müssen erkennen, dass sie durch Fehler lernen. Kein Weg kann gerade sein, dass es falsche Abzweigungen gibt, ist unumgänglich. Nur die Götter sollten eine solche Macht haben.“
„Eure Heiligkeit, ich verstehe was ihr meint. Aber nehmen wir an, man könnte die schlimmsten Dinge der Geschichte verhindern. Wenn ich Euch sagen würde, dass ihr morgen erschossen werden würdet, von wem. Was dann?“
Der Dalai Lama lächelte immer noch. „Es würde nichts ändern. Wenn es der Wille des Schicksals ist, dass ich morgen sterbe, dann sterbe ich. Alles hat seine Zeit, alles hat seinen Platz. Mein Tod würde seinen Nutzen haben. Vielleicht nicht sofort, vielleicht erst in hundert Jahren.“
Jack musste lächeln. „Ihr sagt mir also, dass alles seinen Grund hat? Alles seine Zeit? Selbst die dunkelsten Momente des Lebens?“ Der Dalai Lama erhob sich und verneigte sich lächelnd. „Ich habe dieses Gespräch sehr genossen, ich danke euch.“ Jack tat es ihm gleich. „Ich danke euch, Eure Heiligkeit.“

Die Reise durch die Geschichte machte ihm wirklich Spaß, auch wenn sie nicht gerade wenig anstrengend war. Ein Problem war jedoch, dass ihm langsam das Gold ausging. Nicht, dass das ein sonderliches Problem war, was sich nicht lösen ließ. Zumindest, wenn man so schlau war und nicht direkt irgendwelche Lottogewinne abstaubte und so die Geschichte veränderte.
Nicht, dass es dafür nicht eine einfache Lösung gab. Jack aktivierte die Uhr und mit einem Schritt war er seiner eigenen Zeit sehr nah. Fast. Er tauschte sein restliches Gold in harte Dollar, mit denen er schließlich ein Anwaltsbüro aufsuchte. Für ein paar Dollar war der junge Anwalt gerne bereit, sich den seltsamen Wünschen seines Gastes zu fügen. „Ich kann das nicht selber erledigen, aber ich bestehe darauf, dass Sie sich explizit an meine Anweisungen halten.“ Der Mann nickte Jack zu. „Ich versteh ein wenig davon, wie sie vielleicht ahnen, sonst wären sie nicht hier. Lassen sie mich sagen, dass jene Aktien keinen großen Gewinn abwerfen, schon gar nicht bei solch einer geringen Zahl. Zweitausend Dollar sind… wenig, wenn sie mir das gestatten. Sie sehen ihr Geld wohl nicht wieder, wenn ich raten dürfte.“ Jack schmunzelte. „Bitte, tun Sie es. Investieren Sie diese zweitausend Dollar, wir sehen uns in ein paar Jahren. Ich werde viel herumreisen, aber ich werde mich melden.“ Der Mann nahm den Umschlag entgegen, zählte das Geld und nickte, unterschrieb einen Wisch und reichte ihn Jack. „Einverstanden. Es ist Ihr Geld, junger Mann.“

Tatsächlich meldete er sich schon wenige Minuten – 25 Jahre - später bei dem Mann, der mittlerweile in einem großen Bürohaus residierte. Daran hätte ich denken sollen, dachte Jack amüsiert und nahm ein Taxi zur angegebenen Adresse. Etwa seltsam war es schon, jemandem gegenüberzustehen, der um fünfundzwanzig Jahre gealtert war. Der Mann erinnerte sich zunächst nicht, doch als Jack ihm den von ihm unterschriebenen Zettel reichte, weiteten sich seine Augen. „Natürlich…“ Er ging zu einem Schrank, holte eine Flasche und zwei Gläser heraus. „Wissen Sie, ich habe lange darüber nachgedacht, damals…“ Er sah Jack in die Augen. „Ich meine, als Ihr Vater… mir dieses Geld gebracht hat.“ Jack musste lachen. Natürlich, was für eine rationale Erklärung gab es sonst, dass er nicht gealtert war?
„Ich habe damals, einfach aus einer Laune heraus, ebenfalls ein paar Dollar investiert. Rückblickend wünschte ich, ich hätte mehr investiert. Ich meine…“ Er prostete Jack zu. „Woher wusste ihr Vater das bloß? Dieses kleine Unternehmen…“ Der grau melierte Anwalt lachte und schüttelte den Kopf. Sie unterhielten sich eine Weile und Jack erfuhr, dass Mr. Smith mit dem Startkapital, was er dank Jack an der Börse gemacht hatte, seine eigene Anwaltskanzlei eröffnet hatte.

Mit einem Scheck in der Tasche verließ er das Gebäude und ging zur nächsten Bank, um das Geld in Gold umzutauschen. Zumindest einen Teil. Ein Konto als Reserve wäre vielleicht nicht so übel. Oder sollte er damit vielleicht doch lieber zu jemand anderem gehen? Vielleicht Jaccob Fugger? Jack lachte über seine Idee. Ohne Probleme konnte er der reichste Mann der Welt werden. Der reichste Mann aller Zeiten. Das Problem war nur, dass er keinen gültigen Ausweis dabei hatte. Bis auf den, der erst in ein paar Jahren gültig werden würde.

Fluchend ging er zurück zur Anwaltskanzlei. Schnell erklärte sich der Anwalt bereit, ihm zu helfen. Gemeinsam gingen sie zur Bank, wo sich der Anwalt das Geld auszahlen ließ. Scheinbar war er exzentrisches Verhalten gewöhnt. Er überreichte Jack das Geld und lächelte höflich. „Dank Ihrem Vater habe ich selber viel Geld gemacht. Diese Sache ist selbstverständlich. Aber Sie sollten sich ihren Ausweis wieder ausstellen lassen. Dabei kann ich ihnen helfen…“
„Danke, ich werde ihn irgendwo im Hotel liegen gelassen haben, schätze ich. Das habe ich von meinem alten Herrn, glaube ich.“ Beide lachten. Der Anwalt blickte Jack fragend an. „Wenn Sie mir die Frage gestatten, wieso alles in bar? Das ist sehr unsicher, stellen Sie sich vor, man überfällt Sie. Menschen werden schon wegen einem schönen Koffer überfallen.“ Er seufzte. Jack dachte nach, doch ihm fiel im Moment keine Lösung ein. „Sie haben vielleicht Recht. Könnten Sie sagen wir, eine halbe Million aufbewahren?“ Der Anwalt lachte. „Natürlich, wenn Sie der Bank nicht vertrauen…“ Jack zuckte mit den Schultern. „Na ja, Sie wissen schon…“
„Vielleicht sollte ich mit ihrem Vater telefonieren und fragen, wo ich es investieren könnte…“ Jack schüttelte den Kopf. „Er ist im Moment unabkömmlich, das tut mir Leid. Aber das ist eine interessante Idee. Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn sehe, er ist im Moment auf Kur.“
„Ihm geht es hoffentlich gut“, fragte der Anwalt höflich besorgt. Jack nickte nur. „Der Rücken, das ist alles. Ich richte ihm Grüße von ihnen aus.“

Einen Hotdog kauend, den Koffer in einer Hand, betrat er eine Seitenstraße, als er Schritte hinter sich hörte. Verdammt. Wurde er jetzt hier überfallen? Gut, er hatte noch genug Geld zur Verfügung und im Notfall konnte er die ganze Sache wiederholen. Für ein paar Apple oder Microsoft Aktien würde er schon genug Geld zusammenbekommen. Eine vermummte Gestalt richtete eine Waffe auf ihn. „Den Koffer her.“ Jack stellte ihn vorsichtig auf den Boden. Die Gestalt kam näher, blieb dann stehen. „Den Koffer abstellen. Keine unvorsichtigen Bewegungen.“
Jack tat es. „Und jetzt die Taschenuhr“, forderte die Stimme. Sein Magen zog sich brutal zusammen und ihm wurde übel. „Welche Uhr?“
„Die goldene Taschenuhr in deiner Tasche. Los, her damit.“ Jack begann zu schwitzen. „Da sind zweihundertfünfzigtausend Dollar im Koffer. Nehmen Sie sie. Die Uhr ist nicht viel wert, sie ist ein Erinnerungsstück…“
Es klickte leise, als die Person die Waffe entsicherte. „Die verdammte Uhr her. Es ist besser für dich, Jack...“ Klang das traurig?
Jack schwitzte. Was jetzt? Ohne die Uhr war er hier gestrandet. Zwar immer noch innerhalb seiner eigenen Zeit, aber… Was konnte er tun? Sich selber warnen? Oder mit dem restlichen Geld im nirgendwo verschwinden? Als Doppelgänger von sich selber? Mit etwas Gehirnschmalz konnte er durchaus noch viel mehr Geld verdienen. Leider hatte er sich nie für Sport interessiert, also fielen Wetten was das betraf, schon mal flach.

Mit einer halben Million konnte er einiges erreichen. Sein eigenes Ich damit zum Beispiel ein Sorgenfreies Leben ermöglichen. „Wir werden auch deinen Freund den Anwalt aufsuchen. Ich will alles Geld.“
Jack verbiss einen saftigen Fluch. Woher wusste der Räuber das? Hatte man ihn beobachtet? So musste es sein. „Gut, in Ordnung. Wir gehen das Geld holen. Aber die Uhr…“ Der Räuber, der einen Schal vor dem Gesicht trug, dazu einen Hut und einen wuchtigen Ledermantel, der seine Statur völlig verdeckte, hob die Pistole. Jack nickte, zog die Uhr aus der Tasche und hielt sie an seiner kleinen Kette. „Die ist nicht viel wert.“
Ein leises Lachen ertönte hinter dem Schal. „Ach ja… Jack, Jack, Jack…“ Es klang fast belustigt.
Eine Tür öffnete sich und mehrere Männer trugen Müllsäcke und Holzkisten mit Abfall zu einem Container. Als sie die Pistole sahen, entfiel einem der Männer die Kisten mit Gemüse- und anderen Abfällen. Die vermummte Gestalt wirbelte herum und Jack reagierte. Er packte seinen Koffer und warf ihn der Gestalt entgegen. Mit einem hässlichen Geräusch platzte der Koffer auf und zweihundertfünfzigtausend Dollar verteilten sich in einem Regen der Gasse. Jack rannte, während Menschen brüllten und jemand fluchte. Jack bog um die Ecke und drückte hastig auf die Uhr. Er hechtete im selben Moment durch den Wirbel, als es hinter ihm laut knallte.

Chicago. Er war wieder in den Zwanzigern. Warum auch nicht. Vielleicht sollte er sich bei Al über den Räuber beschweren. Wobei jener wohl noch gar nicht geboren war, wahrscheinlich nicht mal dessen Vater. Vielleicht hätte er dem Räuber sagen sollen, dass er Capone kannte. Jack durchsuchte seine Taschen. Er hatte noch etwa fünftausend Dollar bei sich. In der Tasche und im Stiefel verteilt. Fünftausend Dollar waren hier einiges, aber das Geld war wahrscheinlich zu neu. Also doch zurück in die Zukunft? Ein wenig Gold hatte er noch, das würde er einsetzen, um sich eine Waffe zu besorgen. Mal sehen, ob mich dann noch wer überfällt, wenn ich eine Thommy Gun bei mir trage.

Jack hob eine Zeitung auf. 1929. Auf der Titelseite prangte das Bild des so genannten Valentinstags-Massakers. Al hat ganz schön Karriere gemacht, dachte er und musste lächeln. Ein Geräusch ließ Jack herumfahren. Ein Raum-Zeit-Wirbel bildete sich nur wenige Meter entfernt. Blaue und Gelbe Flammen züngelten aus dem Riss, dann trat eine Gestalt heraus. Verflucht, das ist doch nicht wahr, dachte Jack verblüfft.
Er rannte los, die Straße entlang. Wich gerade noch einigen Leuten aus, die fluchend zur Seite sprangen. Die Bar, in der er vor einigen Tagen – Jahren – mit Al Capone getrunken waren, lag plötzlich vor ihm.
Jack holte tief Luft, betrat die Bar. Hier würde ihn niemand erschießen. Niemand außer den Gästen. Er ging zur Bar und sein Herz machte einen Sprung, als er das vernarbte Gesicht von Al Capone sah, der an der Bar mit einer Hure flirtete. Jack setzte sich zu ihm an die Bar und spürte den Blick Capones auf sich. „Ich kenn dich doch…“
Jack versuchte zu lächeln. „Mr. Capone. Schön sie wieder zusehen.“ Sie schüttelten sich die Hände. „Ein guter Tag, ich möchte sie zu einem Glas einladen!“ beschied der Gangsterboss großzügig.
Jack wusste, heute hatte Capone eine ganze Reihe von Konkurrenten ausradieren lassen. Das Valentinstagsmassaker war berühmt berüchtigt.
„Danke Mr. Capone. Aber ich habe ein Problem. Ich werde verfolgt und…“ Die Tür zur Bar öffnete sich. „Verflucht, das ist er!“ Capone blickte zu der vermummten Gestalt an der Tür.
„Er hat mich überfallen und mein Geld gestohlen und jetzt will er noch die Uhr meines Vaters“, log Jack.
Die Tür flog auf und eine Gestalt trat mit gezückter Pistole in den Raum. Im Anbetracht der Tatsache, dass es Al Capones Bar war, dieser und seine Leute Anwesend waren, keine sonderlich gute Idee.
„Keine Bewegung!“ schrie die Gestalt an der Tür wütend. Wenige Sekunden später flogen Kugeln und das Donnern von Pistolen erfüllte den Raum, zusammen mit dem Geruch nach Schießpulver. Capone warf einen Tisch um und ging dahinter in Deckung.
Der Wirt riss eine Thommy-gun hoch und jagte dem Fremden eine Garbe entgegen, der nur noch aus der Tür in Deckung hechtete, gefolgt von einer Salve aus zahllosen Pistolen und der Maschinenpistole.
Jack bedankte sich bei „Al“ und nach einem Drink verschwand er. Wenn der Zeitagent, um nichts anderes konnte es sich handeln, wirklich weiter verfolgte, würde er jedoch Hilfe brauchen. Andererseits schien der Fremde wenig über Geschichte zu wissen, was ein großer Vorteil für Jack sein konnte.
Also wohin? Grübelte Jack und verschwand nach einer kurzen gedanklichen Liste in dem Wirbel aus Licht.

„… und deswegen habe ich jetzt ein Problem, verstehen sie das?“
„Ich bin der Meinung, ihre Ängste haben damit zu tun, dass sie gerne mit ihrer Mutter schlafen würden. Wir nennen das ödipalen Komplex…“ Mit seinem österreichischen Akzent blickte Sigmund Freud Jack ernst an, sog an seiner Zigarre und stieß eine kleine Rauchwolke aus. „Aber ein interessanter Fall. Erzählen sie mir mehr…“ Der weißhaarige Mann sog an seiner Zigarre. „Im Übrigen, wie geht es ihrer Gattin?“ Als Jack nicht antwortete, legte sich ein leichter Schatten auf das Gesicht des Doktors. „Ich hoffe, es geht ihr gut? Sie haben sich doch nicht etwa getrennt?“
Jack sah ihn verständnislos an. „Entschuldigen sie, Dr. Freud, aber kann es sein, dass sie mich verwechseln? Ich bin nicht verheiratet, geschweige denn liiert.“ Sein Gegenüber ließ das Klemmbrett mit den Notizen sinken. „Entschuldigen Sir, sind sie der Arzt oder ich? Natürlich erinnere ich mich an sie und ihren Fall. Und die Drohung ihrer verehrten Gattin, darüber kein Wort zu verlieren.“ Er lächelte breit. „Ein sehr interessanter Fall. Ein Jammer, das ich nichts darüber veröffentlichen kann.“
„Entschuldigen sie, Doktor, aber wann war ich hier?“
Der Arzt dachte kurz nach. „Vor etwa einem halben Jahr, glaube ich.“ Er sah Jack an. „Sie erinnern sich nicht? Gedächtnisverlust ist kein gutes Zeichen…“ Er notierte etwas auf seinem Block, blickte dann auf die Uhr an der Wand. „Ich muss mich entschuldigen, aber die Zeit ist vorüber. Würden sie gerne nächste Woche wieder kommen? Da hätte ich einen Termin…“
Das ergab alles keinen Sinn. Wer konnte ihm jetzt noch helfen? Er hatte eine Idee, gab das Datum ein und trat durch das blaue Leuchten. Er bemerkte nicht die zwei funkelnden Augen in der Dunkelheit, die ihn musterten.

„Sehen sie, welches Problem ich habe, Mr. Wells? Wie würde sich dies lösen? Sie sind ein Experte auf dem Gebiet.“ Der fast sechzigjährige blickte ihn ernst an, nippte an seiner Kaffeetasse. „Eine interessante Konstruktion, wirklich. Nicht ganz ausgereift, aber eine spannende Idee. Sie sagen, dieser Herr Hitler wird ein Diktator im deutschen Reich? Ihr Protagonist hätte ihn töten sollen, als er die Chance hatte. Oder auch nicht, der Konflikt muss mehr herausgestellt werden!“
„Mister Wells, mein Problem liegt weniger in diesem Kapitel, als dem, wie ich das Buch… beende. Ihre Zeitmaschine ist genial. Das Ende, perfekt, spannend. Ich habe sie sehr oft gelesen.“ Jacks Gegenüber winkte ab, nippte an seiner Tasse. „Danke, das ist sehr freundlich. Ich finde es immer schön, die Jugend zum schreiben zu inspirieren.“
„Nun…“ Er kratzte sich an seinem Kinn, lehnte sich in dem gemütlichen Kaffeehaus Stuhl zurück. „Eine interessante Frage. Vielleicht sollten sie die Klassenunterschiede mehr herausstellen. Wo liegt das elementare Problem ihres Romans? Sie sehen sich einer elementaren Hürde eines Schriftstellers gegenüber. Das Ende. Ich weiß, wieso sie Probleme damit haben, Jack, ich hatte bei meiner Zeitmaschine auch die eine oder andere schlaflose Nacht.“
„Das hat er tatsächlich…“ zischte eine Stimme und jemand zog einen Stuhl heran, setzte sich darauf. Es war eine junge Frau Jack wollte aufspringen, doch wütende, eisblaue Augen ließen ihn innehalten. Die Frau besaß seidiges, schwarzes, langes Haar, das sie zu einem Zopf gebunden hatte. Irgendwas war an ihr seltsam, doch er konnte nicht mit dem Finger darauf deuten. „Entschuldigung?“ fragte H.G. Wells höflich. „Mein werter Freund hat völlig die Zeit vergessen. Ich muss ihn leider mitnehmen.“ Jack spürte unter dem Tisch eine Pistole in seiner Rippe.
„Danke für ihre Zeit, Mister Wells.“ Jack schüttelte ihm die Hand, dann trat er, mit seiner Freundin durch die Tür des kleinen, englischen Lokals.
„Diesmal ist kein verrückter und seine Armee da, dir zu helfen“, zischte sie. Jack erkannte eine Reihe von Löchern in dem Mantel, den sie um die Schultern trug. Er seufzte. „In Ordnung. Aber ich habe doch eigentlich nichts getan, oder?“
Sie ist eigentlich ziemlich hübsch, dachte er und musterte ihre feinen Züge. Die Augen leicht asiatisch angehaucht, sinnliche Lippen… Er vertrieb den Gedanken als sie aufstöhnte. „Ach ja? Das glaubst auch nur du.“
„Hunderttausend Dollar, die ich gerade noch so aufsammeln konnte. Oder das meiste davon. Ein Anwalt, der wegen dir jetzt seine eigene Kanzlei hat.“
„Marginale Unterschiede. Hitler lebt doch noch, oder?“ erwiderte er und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, während sie durch London spazierten. „Toll. Du bist so schlau gewesen, ihn nicht zu erschießen. Du bist wie der Affe, der stolz ist, seine Hand nicht in den Häcksler zu stecken. Was du getan hast, war offensichtlich.“
„Du wägst gerade die Chance ab, zu entkommen, oder? Lass dir gesagt sein, du hast keine Chance.“ Ihr grinsen war breit, gemischt mit einer Spur von etwas anderem. Sie setzten sich auf eine Parkbank und Jack seufzte, als er ihr die Uhr übergab. „Kann ich wenigstens nach Hause zurück?“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Ich sollte dich irgendwo in der Steinzeit aussetzen, das wäre das Beste für die Geschichte, glaube ich.“
„Als Kind habe ich Dinosaurier gemocht…“ sinnierte er langsam und sah sie an. „Kontaktlinsen?“ Sie sah ihn überrascht an. „Was?“
„Sie tragen Kontaktlinsen. Und die Haarfarbe ist nicht echt. Bleibt die Frage, wer sie sind. Oder eher von wann.“ Sie schnaubte. „Das ist völlig irrelevant. Sei lieber froh, wenn ich dich nach Hause bringe und nicht irgendwo aussetze, wo du es gar nicht nett findest.“
Plötzlich sah er sie an. „Was mich zur zweiten Frage bringt. Wieso hat sich Sigmund an mich erinnert? Und vor allem, an mich und noch jemanden?“
„Zeitreisen sind nicht einfach“, beschied sie gedehnt, blickte weg. Jack legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Arm, spürte wie sie zusammenzuckte. „Wieso habe ich das Gefühl, dass sie etwas damit zu tun haben?“
Ein Räuspern ließ beide herumfahren. Zwei Männer standen hinter der Bank, traten näher. Einer lüftete kurz seine Jacke, um die Pistole dort zu zeigen. „Was soll das? Ich habe alles unter Kontrolle!“ zischte die Frau die beiden an. Einer der Männer schüttelte den fast kahlen Schädel. „Man hat entschieden, dass man ihnen nicht vertrauen kann. Zu Recht, wie ich nun gerade sehe.“
Sie erhob sich langsam, gefährlich langsam, wie eine Raubkatze auf dem Sprung. „Haben sie wirklich geglaubt, man nimmt ihnen den Tod ihres Partners ab? Ohne sie zu beobachten?“
Jack sah von einem zum anderen. „Partner? Wie darf ich das verstehen?“
Der zweite Mann trat zu ihnen. „Er erinnert sich an nichts? Sie haben ein Parasolspray zur Erinnerungsblockade eingesetzt…“ Er blickte seinen Partner kurz an. „Die Zeitlinie hat sie geschützt und ihn im hinterletzten Winkel der Zeit platziert. Viel ist nicht passiert…“ warf er zögernd ein.
„Vergiss es. Du kennst die Direktive genauso gut wie ich. Egal was wir persönlich davon halten, es ist unsere Pflicht…“
Jacks Gedanken rasten. Also doch. Kollege? Er? Jacks Blick traf den der jungen, namenlosen Frau. „Wieso? Wieso haben sie… du… mich ausgesetzt? Dann ist dieses sinnlose, leere Leben gar nicht meins?“ Bei jedem Wort war er lauter geworden.
„Um dich zu beschützen, Jack.“ Einer der Männer schüttelte den Kopf. „Es tut uns leid. Wirklich.“ Der Schuss traf ihn, noch bevor seine Hand die Waffe aus dem Revers gezogen hatte. Der zweite Schuss traf den anderen Mann, der überrascht keuchend zu Boden ging. Sie packte Jacks Handgelenk und zerrte ihn mit sich. „Wohin?“ fragte sie hastig. „Wann?“ fügte sie hinzu. Jack überlegte kurz, gab dann die Daten in die Uhr ein, die sie ihm reichte. Gemeinsam sprangen sie durch den Wirbel, der sich hinter ihnen schmatzend schloss, kurz bevor die beiden Agenten sie erreichten.

„So und jetzt?“ fragte sie Jack und zog die weite Tunika über, die ihre Kleidung verbarg. Dieser hakte sich bei ihr unter durch die antike Stadt schlenderte. „Komm einfach mit“, beschied er lapidar. „Das dort ist der zentrale Marktplatz, die so genannte Agora. Dort oben, auf der Akropolis, ist der Tempel der Athene Poliuchos.“ Er deutete auf den Berg. „Das ist eine Zitadelle und Festung.“
„Wo sind wir hier?“ fragte sie. Er legte den Kopf in den Nacken. „480 vor Christus.“ Sie schlenderten weiter, dann trafen sie auf jene Männer, auf die es Jack abgesehen hatte. „Die Skias, die Volksversammlung.“ Ein großer, breitschultriger Mann stand dort, lachte und scherzte mit anderen. „Hm, interessant“, erwiderte sie knapp und er bemerkte ihr interessiertes Lächeln, bei all den halbnackten, gut gebauten Männern.
„Willkommen in Sparta. Wenn uns wer helfen kann, sind wir hier nicht falsch, denke ich.“

„… und so sehen ihre Hoheit, dass wir ein Problem haben. Unsere Verfolger sind hartnäckig und wir sind alleine. Meine Gefährtin und ich erbitten die Hilfe des mächtigen Spartas. Der Heimat der größten Krieger unter der Sonne.“
Leonidas leerte seinen Weinbecher und wischte sich über den Mund. „Ihr seid zu einem schlechten Zeitpunkt hier. Die Perser marschieren auf uns zu. Morgen werden wir sie angreifen.“
Jack nickte. „Am Pass, nicht wahr?“ Sein Gegenüber ließ den Becher sinken. „So ist es. Woher wisst ihr das?“ Jack verkniff sich ein Kommentar. „Nun, es ist logisch. Eine ideale Stelle zur Abwehr der Perser. Ich wünsche euch viel Glück. Das wir hier sein dürfen, würde jeden Gegner schon abhalten, sich uns zu nähern.“
Leonidas musterte die Frau neben Jack. „Hm… Vielleicht seid ihr ein Zeichen der Götter. Wenige Fremde verirren sich hier her.“
Jack sah dem Hünen tief in die blauen Augen. „Glaubt mir, großer König, wenn ich euch sage, dass eure Tat noch in zweitausend Jahren den Menschen im Gedächtnis bleiben wird. Sparta wird in den Köpfen der Menschen niemals untergehen.“
Leonidas beugte sich zu Jack herunter. „Also doch… Athenes Boten? Wie wird die Schlacht ausgehen?“
Jack schmunzelte, als er den Griff der jungen Frau an seinem Arm spürte. „Es sind viele Perser.“ Leoniads nickte langsam. „Aber ihr seid Spartaner.“

Ein Grieche beugte sich zu Leoniads und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Man hat zwei Fremde aufgegriffen, die sehr seltsam sind. Sind das eure Freunde, oder eure Verfolger?“ Zwei Spartaner schleiften die beiden Verfolger in den Raum. Beide sahen ziemlich übel zugerichtet aus, eben so, wie man eben aussah, nachdem man sich mit ein paar Spartanern angelegt hatte.

Leider löste das nicht ihr Problem. Auf welche Weise auch immer, klebten diese und andere Verfolger an ihren Fersen. Nicht, dass es nicht ein höllisches Vergnügen war zu sehen, wie eben jene Verfolger einer Gruppe wütender Schotten erklären mussten, wieso und weshalb sie herumschlichen und ihre Freunde belästigten.
Ein paar grimmige Nordmänner hatten auch die eine oder andere interessante Vorstellung von seltsamen Fremden, die herumschlichen und ihre neuen Freunde belästigten.
Am Ende war es doch nur die Flucht, die ihnen blieb. Mit einem Horn voll Met bedankten sie sich bei den Wikingern, bevor sie verschwanden.

Die Wellen unter dem Schiff schlugen mit leisem Geräusch gegen den stählernen Rumpf. Jack stand an der Reling und blickte aufs Meer. Sie trat neben ihn, nestelte an der Sonnenbrille, nur um sie dann abzunehmen. „So und was jetzt? Wir haben maximal ein paar Tage, dann finden sie uns, oder?“ Sie nickte nur und seufzte. „Chrono-Strahlung sammelt sich in unseren Körpern. Die können sie Anmessen. Wir müssten eine ganze Weile Untertauchen, bis diese sich abbaut und dann wären da noch die Uhren…“
Jack starrte auf jene Uhr, mit der alles angefangen hatte. „Also ein Leben auf der Flucht, oder aber irgendwo unerkannt Leben.“
„Exakt. Und wir wissen beide, das du das niemals könntest.“ Er sah sie an. „Wer bist du eigentlich? Und wieso hast du mir überhaupt geholfen? Und was bedeutete dieses Partner?“
Sie trat auf ihn zu und bohrte ihm den Zeigefinger in die Rippen. „Weil ich vor langer Zeit dem Charme eines verdammten Idioten erlegen bin. So nennt ihr das glaube ich.“
Jack sah sie an. „Die Kontaktlinsen, nimm sie bitte raus.“ Sie sah zu ihm hoch, dann tat sie es. Er blickte in ein Augenpaar, dessen Pupillen wie die einer Katze wirkten. Nicht ganz so… dämonisch, eher wie eine Mischung aus menschlichen und Katzenaugen.
„Interessant“, bemerkte er lediglich, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. „Sehr interessante Augen. Wunderschön.“ Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf und blickte weg, um die röte auf ihren Wangen zu verbergen.
„Wer bist du? Oder sollte ich besser fragen, von wann bist du?“
Sie seufzte erneut. „Ist das so wichtig?“
Jack schmunzelte. „Ich finde schon. Vor allem, da wir mal… Partner waren. Oder es sind. Sein werden.“
„Um alle Fragen zu beantworten, lass mich kurz ausholen. In einigen Jahrhunderten nach deiner Lebenszeit…“ Sie räusperte sich. „Nach dem, was du als deine Zeit kennst, meine ich.“ Kopfschüttelnd lächelte sie. „Das ist das schlimmste an Zeitreisen.“
„Die Grammatik“, erwiderte er im gleichen Moment wie sie. Beide lachten.
Nun, die Menschen entwickeln irgendwann dank Klon- und DNS Manipulation neue Spezies und vermischen Gene von Tieren mit denen des Homo Sapiens. Vorgeblich, um gegen Krankheiten und andere Gebrechen anzukämpfen, aber wie wir beide wissen, taten – werden sie es tun – weil sie es können.“
„Wie immer in der Geschichte, es kam zu Konflikten, Missverständnissen. Sie haben uns zu perfekt gemacht, wie sie zu spät erfahren durften.“ Ihr Ausdruck wurde grimmig. „Auf jeden Fall entwickelten beide Seiten irgendwann temporale Technologie. Und man begann, zunächst still und heimlich, Vorkehrungen zu treffen.“
„Und du arbeitest für… deine Leute?“ fragte er vorsichtig. Sie lächelte nun. „Wir kamen irgendwann alle zu der Erkenntnis, dass in der Zeit herumpfuschen keine gute Idee war. Hätten wir versucht, uns gegenseitig auszulöschen, hätte die andere Seite einen Zeit-Zweitschlag ausgelöst und den Versuch vergolten“ Sie blickte amüsiert.
„Erinnerst du dich an das Prinzip der nuklearen Abschreckung? In deinem Jahrhundert war das ja ein großes Thema, oder?“ Jack nickte langsam. Frieden durch Angst.
„Nun, jedenfalls kamen wir irgendwann zur Einsicht, dass keine Seite gewinnen konnte oder auch nur einen Vorteil davon hatte. Wir begannen, die Zeitlinien zu überwachen und all jene zu jagen, die nicht so viel Einsicht zeigten.“
„Schön, das erklärt dass wieso. Aber was ist mit mir?“

Sie sah ihn lange an. „Du bist ein Homo Sapiens. Ich bin eine Homo-Felidae.“
„Du willst mir doch jetzt nicht sagen, irgendwer was dagegen hatte, das wir zusammen gearbeitet haben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Dagegen hatte niemand etwas.“ Das Wort dagegen sprach sie langsam aus. Jack sah sie erneut an und sie hob den Kopf. „Schön. Dagegen also nicht. Sondern? Wieso hast du meinen Tod vorgetäuscht?“
Sie blickte ihn an und er bemerkte, wie sich ihre Augen hinter der Sonnenbrille zu schmalen Schlitzen verengten. „Weil… du so überlebt hast. Irgendwo in der Zeit, verstehst du? Ich habe gesagt…“
Sie verstummte. „Sieh dir meine Uhr an. Die Rückseite.“ Sie zog sie aus der Tasche und Jack betrachtete prüfend die kleine, winzige Inschrift auf der Rückseite.

Die Zeit vergeht - meine Liebe bleibt bis die Sterne verlöschen.



„Von wem ist das?“ fragte er vorsichtig und reichte ihr die Uhr zurück.
„Von dir. Die hast du mir geschenkt“, nuschelte sie kaum hörbar. „Was waren wir?“ fragte er leise und legte vorsichtig einen Arm um sie. Sie drückte ihren Kopf an seinen Hals. „Rate mal.“
Jack zog seine Uhr aus der Tasche und drehte sie vorsichtig um. Auch hier war eine Gravur zu lesen, wenn er sie im richtigen Licht betrachtete.

Meine Liebe zu dir unendlich wie der Strom der Zeit, verneint Chronos Macht zur Bedeutungslosigkeit.



„Hm…“ Er verstaute die Uhr in einer Tasche. „Was tun wir jetzt?“ Er drückte sie an sich, es wurde kälter. „Es ist 23 Uhr dreißig“, bemerkte er leise. Sie sah ihn an, küsste ihn vorsichtig. „Dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit, oder?“ Jack lächelte und erwiderte den Kuss. Es fühlte sich so gut an. So richtig. „Zehn Minuten, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht.“
„Und dann? Wohin?“ fragte er. Sie sah ihm in die Augen. „Wir können weiter fliehen. Oder aufgeben.“ Das letzte spuckte sie wütend aus. Jack schüttelte den Kopf. Eine Lösung... „Wie weit kommen wir hier mit?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Chronotechnisch durchaus einige Jahrtausende. Viel, wenn sie es alles absuchen wollen würden und wir uns… still verhalten.“ Sie wirkte etwas ratlos.

Sie würden niemals aufgeben, solange sie nur den Verdacht hatten, dass sie noch lebten. Irgendwo erklang ein wütendes Geschrei, dann erklang ein panischer Ruf.
„Eisberg vor raus!“ Das Schiff machte einen verzweifelten Versuch, dem unvermeidlichen Auszuweichen. Die sechs Männer, die auf Jack und die junge Frau zustürmten, stürzten, als der Eisberg das größte Schiff seiner Zeit aufschlitzte.
„Sie sind da“, sagte sie überflüssigerweise und zog die Uhr aus der Tasche. Jack tat das gleiche. „Kann man die Uhren miteinander… verbinden?“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Vielleicht.“

Als sie den grellen Wirbel durchschritten, wusste sie zunächst nicht, wo sie waren. Eine leblose Eiswüste, so weit das Auge reichte, über ihnen eine grelle Sonne. „Wo sind wir? Zum Glück habe ich eine Sonnenbrille…“ seufzte sie.
Jack bedeutete ihr, sich zu setzen. „Wir sind am Ende.“ Sie blickte ihn nachdenklich an. „Meinst du das sprichwörtlich, oder haben wir uns verlaufen?“ Er lachte.
„Sprichwörtlich. Wir sind etwa fünf Milliarden Jahre in der Zukunft.“ Er umfasste mit einer Geste die Öde. „Das Leben ist lange vergangen. Seit Äonen schon. Die Menschen… wer sind wir schon?“
Sie lehnte sich gegen ihn, nahm die Sonnenbrille ab und warf sie davon. „Die Sonne… sie wird am Ende das Firmament dieser Welt berühren und die Atmosphäre in Flammen setzen“, flüsterte sie leise. Sie sah ihn an, blickte tief in Jacks graue Augen.
„Fünf Milliarden Jahre ist eine ziemlich lange Zeit, aber ich würde bis ans Ende der Zeit warten, um diesen Moment, in dem die Sonne verlischt, mit dir an meiner Seite zu verbringen…“ erwiderte er.
„Darf ich wenigstens deinen Namen erfahren, bevor wir in den Weltraum hinaus treiben?“
„Ajesha.“
„Heiße ich wirklich Jack?“ Sie sah ihn an und schmunzelte. „Vielleicht.“
„Ich mag den Namen“, bemerkte er und zog sie an sich. Er sah nach oben, wo die Sonne zu wachsen schien. „Was ich mich frage…“
„Woher habe ich die Uhr bekommen?“ Sie blickte ihn fragend an. „Das ist eine gute Frage.“
„Willst du mit der Ungewissheit sterben?“ Sie sah ihn kurz an, lächelte ihr unglaublich zauberhaftes Lächeln, in das er sich erneut verliebt hatte. „Nein. Du etwa?“


Epilog

Interessanterweise waren Zeitreisen tatsächlich einfacher, als man annehmen konnte. Den Kreis zu schließen, war nicht einfach, auch wenn beide Uhren es gerade noch so schafften. Ein Trip zurück auf eine Erde, die noch weit von ihrem flammenden Ende entfernt war, ein zweiter dafür, sich selber die Uhr zu bringen. Wie das möglich war? Zeitreisen sind nicht logisch.

Wohin die letzte Reise von Jack und Ajesha ging? Nicht durch die Zeit, sondern diesmal zu den Sternen.
Sie blickten gemeinsam aus dem Fenster des interplanetaren Raumschiffs, das auf dem Weg zu einem nahen Stern mit einer grünen, jungen Welt war.
„Ob sie uns hier suchen?“ dachte er laut. Ajesha kicherte. „Das glaube ich kaum. Selbst wenn, das Koordinatensystem der Uhren ist nämlich nur für die Erde gedacht...“

Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.01.2012

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