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Perlenregen

Perlenregen

 

Kirstie Papers

 

Diese Geschichte ist frei erfunden.

Sämtliche Namen, handelnden Personen und Begebenheiten

entspringen der Fantasie der Autorin.

1

Hustenbonbons im Frühling sind totaler Quatsch. Trotzdem besteht mein Chef darauf, dass zwei Sorten der Kräuterdragees auf dem Tresen stehenbleiben. Von mir aus – ist ja nicht meine Apotheke. Ich setze einen leicht genervten Gesichtsausdruck auf, während ich die Bonbons von links nach rechts und wieder zurück drapiere. Soll er ruhig merken, dass mir das nicht gefällt! Außerdem würde ich jetzt viel lieber in die City spazieren und meinen ersten großen Eisbecher in diesem Jahr genießen. Bei dem Wetter wird ohnehin niemand krank. Ich gucke noch biestiger. Manchmal geht mir meine Arbeit einfach nur auf die Nerven, besonders wenn nichts los ist. Kann mein Chef nicht einmal spontan sein, mir eine Flasche des neuen Badezusatzes schenken oder zumindest etwas Nettes sagen? Mal eine kleine Freude bereitet zu bekommen, ist doch nicht zu viel verlangt.

„Machen Sie ruhig Feierabend, Frau Steinchen! Ich vermute, die Leute haben heute keine Lust auf Kranksein“, unterbricht er meine miesen Gedanken. „Oder möchten Sie lieber noch bleiben?“

„Nein, nein, das passt schon“, beeile ich mich zu sagen. „Danke schön! Dann werde ich gleich mal mit meiner Freundin bummeln gehen. Ich stelle noch fix den Anrufbeantworter für heute Nacht um und dann düse ich ab!“

Schnell weg, damit er es sich bloß nicht wieder anders überlegt! Im Personalraum tausche ich mein fliederfarbenes Polo-Shirt mit dem Apothekenlogo auf der Brust gegen meine privaten Klamotten aus und lege ein bisschen Mascara nach. Gut gelaunt spaziere ich zu Fuß in Richtung City und schicke meiner Freundin Kathi eine SMS.

Hi Kathi, Eis essen in zehn Minuten? Hast du Zeit? Nela

Die Antwort kommt sofort:

Geht nicht, komm hier nicht raus. Ich hasse die Neue, muss dir unbedingt erzählen, was die sich wieder geleistet hat! Melde mich heute Abend.

Wie ärgerlich! Was mache ich denn nun? Ganz alleine mag ich mich nicht in die Eisdiele setzen, dafür bin ich viel zu schüchtern. Mein Bruder Nico meint zwar, ich wirke auf andere etwas arrogant, aber was hat der schon für eine Ahnung? Ich und überheblich – in Wirklichkeit überspiele ich nur meine Unsicherheit. Wer wie ich nur 1,64 Meter groß ist und seine Klamotten in der Kinderabteilung kaufen kann, weiß wovon ich spreche. Man übersieht mich, wenn ich mich nicht etwas groß mache. Flache Schuhe trage ich nur zum Sport. Allerdings treibe ich so gut wie nie Sport. Wenn ich ehrlich bin, ist neben der Arbeit meine Hauptbeschäftigung das Shoppen. Das klingt ganz schön oberflächlich, ich weiß. Ich würde auch lieber von interessanten Hobbys wie Gleitschirmfliegen oder Slow Food berichten. Aber was soll ich machen; ich bin einfach süchtig nach Einkaufszentren, Shoppingmeilen und Boutiquen jeder Art. Natürlich kann ich mir nicht immer etwas kaufen; dafür reicht mein Geld nicht aus. Aber schon das Stöbern und Wühlen macht mich glücklich.

Ach, was soll’s. Wenn Kathi keine Zeit hat, gibt es eigentlich keinen Grund dafür, nicht in die neue Ladenpassage namens Shinetime am anderen Ende der Stadt zu fahren. Zwar habe ich Kathi bereits vor Wochen verraten, dass ich dort meinen absoluten Traummann entdeckt habe, doch sie nimmt an, dass ich ihn mir längst aus dem Kopf geschlagen habe. Wie alle anderen Typen zuvor auch, die man mitunter auf Rolltreppen oder an Supermarktkassen vorbeirauschen sieht. Der ist es! denkt man in solchen Fällen und versucht tagelang an exakt derselben Stelle zu exakt derselben Uhrzeit wieder aufzukreuzen und sein Objekt der Begierde zu umgarnen. Doch das klappt nie, zumindest nicht dann, wenn man sich perfekt zurechtgemacht hat und darauf wartet. Monate später und garantiert unvorbereitet trifft man diese Wunschkandidaten erneut, doch der Zauber ist verflogen.

Wie oft Kathi und ich uns schon vorgenommen haben, nicht mehr zu suchen, sondern alles auf uns zukommen zu lassen, kann ich nicht mehr zählen. Es ist fast unmöglich, diesen Vorsatz einzuhalten, denn rund um mich herum sehe ich Verliebte. Mein Chef und seine Frau, Nico und Bella, selbst meine biedere Nachbarin hat einen Partner abbekommen, der weder Neurosen noch nässende Hautkrankheiten aufweist. Ich wollte also mal wieder die Sucherei lassen, aber dann entdeckte ich völlig unerwartet ihn – meinen unbekannten Traummann.

Als ich den hübschen Typen aus dem Schmuckladen vor einem Monat das erste Mal sah, gingen bei mir alle Lichter aus. Das meine ich nicht im übertragenen Sinn, sondern genauso, wie ich es sage. Wie immer, wenn ich im Shinetime bin, guckte ich mir die Auslage eines sündhaft teuren Juwelierladens im Schaufenster an. Ich liebe Schmuck! Besonders in diesem Geschäft gibt es die tollsten und glitzerndsten Stücke, die man sich nur vorstellen kann – preislich ist nach oben hin nichts offen. Hinein getraut hatte ich mich noch nie. Ich stand gerade vorm Schaufenster ganz rechts an der Ecke, direkt neben dem Dessousladen. Sehnsüchtig betrachtete ich die filigranen Diamantenringe, die nur darauf zu warten schienen, einmal meine Finger zu verzieren. Mit einem leisen Seufzer hielt ich meine rechte Hand dicht an die Glasscheibe, ganz so als wollte ich mit dem Ringfinger Maß nehmen.

Genau in diesem Moment steckte ein Mann seinen Kopf ins Schaufenster und verrückte ein Paar Hochzeitsringe. Zuerst war sein Gesicht nach unten gerichtet, keine dreißig Zentimeter und in gleicher Höhe von meiner immer noch ausgestreckten Hand entfernt. Als er diese sah, fuhr sein Kopf hoch und wir schauten uns erschrocken an. Seine Augen schimmerten grün mit kleinen braunen Sprenkeln durch die Schaufensterscheibe. Die dunklen Haare trug er modisch kurz geschnitten, am Hals konnte ich einen beigefarbenen Poloshirtkragen erkennen. Das alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Als ich gerade dachte: Gott sei Dank war ich vorgestern im Nagelstudio, schlug bei mir buchstäblich der Blitz ein.

Urplötzlich hielt die Welt den Atem an. Um mich herum verstummten alle Geräusche, die Bewegungen der anderen stoppten abrupt. Menschen, die eben noch an mir mit klappernden Absätzen vorbeigingen, erstarrten zu Salzsäulen. Das helle Licht der Passage erlosch, um mich herum spürte ich nur Ruhe und Dunkelheit. Es gab lediglich zwei Personen, die sich bewegten: mein Gegenüber und ich. Die Beleuchtung für die Schmuckauslage vor mir funktionierte; und so waren der Fremde, die Glitzerringe und ich das Einzige, was noch real wirkte. Wie in Zeitlupe führte ich meine Finger langsam zurück an meinen Körper und der Traummann und ich lächelten uns verzaubert an.

Dann machte es Puff und der Spuk war vorbei. Wie vom Donner gerührt, starrte ich weiter in das Schaufenster, doch der Mann war verschwunden und die Ringe lagen dort, als wäre nichts geschehen. Auch die Leute liefen und sprachen völlig normal weiter. War ich komplett durchgedreht? Ich suchte nach einer versteckten Kamera, schaute in alle Richtungen und kniff mir selbst in den Arm. Ob ich verrückt war? Hier direkt vor meinen Augen hatte mir doch gerade eben der tollste Kerl, den ich je gesehen habe, meinen Verstand geraubt! Wo war der denn jetzt?

Vorsichtig ging ich zur geschlossenen Eingangstür und schielte in den Laden hinein. Tatsächlich, da drüben saß er! Er befand sich offensichtlich in einem Kundengespräch, hielt einem älteren Herrn irgendwelchen Schmuck vor die Nase. Angestrengt stierte ich durch das dicke Glas, bis mein Traummann sich beobachtet fühlte und zurück guckte. Er schaute kurz überrascht in meine Richtung und widmete sich dann erneut seiner Kundschaft. Das war total irre! Bestimmt hatte ich so was wie ein Déjà-vu, bloß andersherum. Irritiert ging ich nach Hause, doch das Erlebnis geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Seitdem schleiche ich mich regelmäßig an das Juweliergeschäft an, stelle mich an den Ort des Geschehens und versuche, die Auslage zu hypnotisieren. Vielleicht liegt es daran, dass die Ringe ausgetauscht wurden – statt der zierlichen Weißgoldringe liegt dort jetzt kostbarer Email-Schmuck. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich den Traumtypen trotz intensivsten Spähens nicht mehr ausfindig machen konnte. Oder es liegt einfach daran, dass ich mir das alles nur eingebildet habe?

Ein neuer Versuch kann nicht schaden. Da das Wetter heute so herrlich ist, wirkt das Shinetime wie leergefegt – bei dem strahlenden Sonnenschein draußen zieht es die Menschen zum Flanieren nicht unter eine große Glaskuppel, sondern ins Freie. In den Geschäften stehen die Verkäufer gelangweilt herum oder unterhalten sich mit ihren Kollegen. Zielstrebig steuere ich den Schmuckladen an und betreibe mein übliches Spiel: Vor das Schaufenster positionieren, Schmuck anstarren, Hand ausstrecken, sehnsuchtsvolle Gedanken aussenden – doch nichts passiert. Nela, du bist bekloppt, schimpfe ich mit mir selbst. Ernüchtert lehne ich mich mit dem Rücken an die Glasfront und schaue mich um. Was soll ich jetzt anfangen? Ob ich Malte anrufe? Der würde sich sicherlich freuen und mir ein bisschen Bestätigung verschaffen, was meinem angekratzten Ego gut täte. Mit Malte verbindet mich mehr als Freundschaft, aber weniger als Liebe. Zumindest von meiner Seite aus. Wenn es nach ihm ginge, wären wir längst ein Paar, aber ich vertröste ihn und tu so, als wäre ich noch nicht über meinen Ex Johannes hinweg.

Mit den Männern ist es bei mir so eine Sache. „Du bist viel zu wählerisch!“, wirft Kathi mir regelmäßig vor. „Es muss doch nicht gleich der Mann fürs Leben sein – man kann doch auch so seinen Spaß haben!“ Das stimmt, könnte man. Bei meinen wenigen Versuchen, einfach nur Spaß zu haben, plagt mich allerdings hinterher stets das schlechte Gewissen. Malte ist verliebt in mich, aber ich nicht ihn. Oder Kim. Der ist zwar nicht verliebt in mich, doch er hat auch noch mit lauter anderen Frauen Spaß. Bei solchen Typen befürchte ich, mir eine Geschlechtskrankheit einzufangen. Außerdem wünsche ich mir Herzklopfen und echte Liebe. Es ist so lange her, dass jemand das gleiche für mich empfand wie ich für ihn.

Dann sind da noch die Weicheier. Das sind solche Typen, die Katzenbilder auf Facebook posten und noch nie eine richtige Beziehung hatten, weil sie auf eine Traumfrau aus dem Modelkatalog warten. Manchmal glaube ich, ich werde nie wieder einen Freund finden. Vielleicht bleibe ich ein ewiger Single. Was für eine schreckliche Vorstellung!

Mit Johannes war alles schön. Wir waren fast drei Jahre lang zusammen. Von mir aus hätte es immer so weiter gehen können. Wir waren beide siebzehn, als wir zusammenkamen und hatten bis dahin wenige Erfahrungen gesammelt. Als ich ihn eines Tages fragte, ob wir zusammenziehen wollen, brauchte er mehrere Tage, um mir beizubringen, dass er sich in seine Kollegin verliebt hatte. Das ganze ist zwei Jahre her, aber ich komme einfach nicht drüber weg. Nicht über Johannes an sich, denn als er mir auf dem Weihnachtsmarkt im letzten Winter zufällig über den Weg lief, empfand ich rein gar nichts mehr für ihn. Ganz abgesehen davon, dass er optisch ganz schön nachgelassen hat. Aber dass eine Liebe einfach so erlischt, sich all die Sehnsüchte und Träume in Luft auflösen, damit habe ich offenbar ein ernsthaftes Problem. Ich suche den Einen und finde doch nur all die anderen.

Nachdenklich fahre ich nach Hause. Ich lebe in einer Einliegerwohnung bei meinen Eltern. Glücklicherweise sind sie gerade im Urlaub und bombardieren mich nicht mit ihren nervigen Fragen. Manchmal überlege ich, ob ich mir eine andere Wohnung suche, aber dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Ich habe hier eine eigene Wohnungstür, drei große Zimmer, Küche und Bad und bezahle keinen Cent dafür. Es wäre dumm auszuziehen. Aber so ist es langweilig und abhängig. Meine Eltern behandeln mich wie einen Teenager. Ich beneide Nico darum, dass er gleich nach dem Abi fürs Studium ausgezogen ist und später nie mehr auf die Idee kam zurückzukehren. Ich sitze fest in unserer Kleinstadt und werde bis an mein Lebensende hier versauern, wenn nicht endlich mal etwas passiert!

Wütend ziehe ich mich bis auf die Unterwäsche aus und lasse meine Klamotten zu
Boden fallen. Ratlos stehe ich vorm Kleiderschrank, überlege, was ich mit den vorhandenen Mitteln an mir verändern könnte. Ich sehe immer gleich aus! Klassischer Business-Schick, weiße Bluse, beigefarbene Chino, die braunen glatten Haare halblang und dazu immer perfekt geschminkt. Langweilig! Selbst meine neuen Perlenohrringe, die mich ein halbes Vermögen gekostet haben, stören mich auf einmal und ich lege sie ins Schmuckkästchen. Nein, heute will ich sexy und nicht edel aussehen. Manchmal hat es auch Vorteile, wenn man weder nach oben noch in die Breite wächst, denn so passen einem auch Sachen von vor acht Jahren. Ich schlüpfe in einen Jeans-Minirock, ziehe mir ein gelbes schulterfreies Top an und wühle in der untersten Schublade meiner Kommode so lange, bis ich endlich die sehr hohen Bändchen-Sandalen finde. Sieht komisch aus, aber jetzt lass ich es an. Malte wird es überleben; ich rufe ihn gleich an.

„Na du, was machst du gerade?“, erkundige ich mich mit einschmeichelnder Stimme. Das zieht bei ihm immer.

„Ach, du, ich bin noch im Büro. Alles klar bei dir? Du klingst irgendwie so anders.“

„Ja, alles bestens. Ich hab mir nur eben sehr schräge Klamotten angezogen, vielleicht klinge ich deswegen so komisch. Duuu, Malte?“

„Hm?“

„Hast du nach der Arbeit noch was vor? Ich hätte Lust noch ein bisschen was zu unternehmen.“

„Oh, ganz schlecht heute, Nela, tut mir leid, ich bin schon verplant. Bist du sehr böse, wenn ich dich vertröste?“

„Nein, das ist ja auch etwas plötzlich, kein Problem. Ich bin dir doch nicht böse, hör mal! Ich wünsche dir einen schönen Abend! Kannst ja mal anrufen, wenn du Zeit hast.“

„Ich melde mich die Tage bei dir, vielleicht nächsten Montag oder so… Weil … Am Wochenende kann ich leider auch nicht. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich sagen soll. Das ist mir jetzt schon etwas peinlich.“

„Hui, da scheint jemand sehr begehrt zu sein!“, sage ich eine Spur zu bissig.

„Jaha“, lächelte Malte in sein Handy, „kann man so sagen.“

„Na dann viel Spaß. Tschüss!“

Das gibt es doch nicht! Malte hat anscheinend ein Date! Womöglich ist er sogar schon mit jemandem zusammen, ohne dass ich davon was mitbekommen habe! Eifersüchtig und wütend schnappe ich mir meine Handtasche und fahre den ganzen weiten Weg zurück zum Shinetime. Ich spreche den Schmuck-Typen jetzt an – was habe ich schon zu verlieren?

 

2

Draußen dämmert es bereits. In der Ladenpassage freuen sich die Angestellten auf ihren Feierabend, schieben die Aufsteller in die Läden. Die Verkäuferinnen legen die Waren zusammen, zählen die Einnahmen und räumen die Regale auf. Zielstrebig gehe ich an meinem Lieblingsschuhladen vorbei, lasse die Buchhandlung links, die Parfümerie rechts liegen und stehe nach zehn Minuten vor dem Juweliergeschäft. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Was macht mich eigentlich so sicher, dass ich Mr. X gleich antreffen werde? Ich habe keine Ahnung, aber war selten so klar und sicher wie jetzt. Außerdem fühle ich mich einfach klasse, nicht so klein und mickrig wie sonst häufig.

Mutig betrete ich den Laden. Er ist mit einem dunklen Teppich ausgelegt, der mit weinroten Ornamenten verziert ist. Die Ornamente finden sich in der gleichfarbigen Samttapete wieder. Hier riecht es förmlich nach Luxus und Reichtum. Um mich herum drehen sich meterhohe, beleuchtete Schaukästen dezent im Kreis. Alle Vitrinen sind mit wunderschönem Schmuck gefüllt und funkeln um die Wette. Es ist kein Mensch zu sehen. Auch die drei Verkaufstische, die von beiden Seiten mit großen Lehnstühlen bestückt sind, sind leer. Hinter einer angelehnten Tür erklingt leise klassische Musik. Ich gehe ein paar Schritte und stehe vor dem größten dunklen Tisch. Von oben ist er komplett gläsern. Noch nie habe ich so viele Perlen auf einmal gesehen. Der gesamte Tresen ist mindestens drei Meter lang und voller Perlenschmuck! Während ich mit offenem Mund und vornübergebeugt die Halsketten, Armbänder und Ohrringe bestaune, greife ich mir mit einer Hand reflexartig an mein Ohr. Eigentlich trage ich fast immer Perlenohrringe, nur heute nicht. Jetzt fehlen sie mir und ich stelle mir vor, wie gut sich die rosefarbenen Stecker zu meinem farblich passenden Trenchcoat, der zu Hause an der Garderobe hängt, machen würden.

Völlig in Gedanken versunken schwelge ich im Perlenglück, so dass ich gar nicht bemerke, wie er an die andere Seite des Tisches herangetreten ist. Vor Schreck fällt mir nicht mehr ein, was ich sagen wollte, dabei hatte ich mir meine Worte schon gut zurechtgelegt. Verdammt, ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Er sieht einfach umwerfend aus und ist fast zwei Köpfe größer als ich. Seine Kleidung passt perfekt in diesen Laden, denn sie ist modisch-dezent. Am meisten faszinieren mich die grünen Augen; solch eine Augenfarbe habe ich noch nie zuvor gesehen, wenn man mal vom Schaufenstererlebnis absieht.

„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, fragt er höflich und mit tiefer Stimme.

„Äh, guten Tag, also, ich wollte mir gerne mal... ja, richtig, Armspangen möchte ich mir anschauen. Wenn das geht“, stammle ich.

„Sehr gerne. Wenn Sie bitte mit rüber an den anderen Tisch kommen?“

Ich mache mich groß und gerade, gehe mit ihm einmal quer durch den Raum und setze mich auf einen Stuhl. Wie gut er duftet! Das mit den Armspangen habe ich mir vorher überlegt, damit ich seine Hände in Ruhe betrachten kann. Einen Mann mit Wurstfingern würde ich niemals nehmen. Ich stehe auf schlanke, große Hände.

„Haben Sie schon bestimmte Vorstellungen? Gold, Silber oder bestimmte Motive?“

Meine Stotterei geht weiter. Ich muss mich zwischendurch zwingen, nicht leise und piepsig zu werden.

„Silber, bitte. Mit einem Kettchen am Verschluss und vielleicht eher schmal. Und gerne mit Steinen, äh, ja, genau.“

Was rede ich nur für einen Blödsinn? Der muss denken, ich bin nicht ganz dicht!

„Hier, schauen Sie bitte mal.“ Er legt einen großen Kasten voller Schmuck zwischen uns. Vorsichtig greife ich nach einer besonders schönen Spange. Sie ist insgesamt sehr schlicht gehalten, nicht poliert sondern matt und hat an den Rändern eingravierte Verzierungen. Das Schönste ist der Verschluss, den eine winzige Perle schmückt.

„Diese hier ist wunderschön. Darf ich sie mal anprobieren?“, frage ich mit endlich wieder normaler Stimme und schaue kurz hoch. Mein Gott, wie gut er aussieht! Er lächelt mich an; ich muss schnell wieder nach unten schauen, sonst versinke ich in seinen Augen.

„Na klar, geben Sie mir bitte Ihren Arm?“

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.12.2014
ISBN: 978-3-7368-6595-2

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