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Bargeld oder Karte

Nach der anstrengenden Arbeitswoche hatte ich Lust auf ein Getränk in meiner früheren Stammkneipe. Durch meinen Job war ich schon einige Wochen nicht mehr aus.

 

Beim Eintritt und kurzes Umschauen bemerkte ich eine Bekannte, welche ich auch schon länger nicht mehr gesehen hatte. Die Freude miteinander zu quatschen, war uns beide anzusehen. Beschwingt nahm ich an ihrem Tisch Platz.

 

Sie fragte mich, ob ich auch etwas essen würde, sie habe einen richtigen Kohldampf. Zögernd stimmte ich zu.

 

Als die Bedienung an unseren Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen, fragte ich vorsichtig, ob sie auch Bargeld annehme. Nachdem ich schon öfters Probleme bei Barzahlung bekommen hatte, frage ich vorher nach. Die Bedienung musste ebenfalls erst nachfragen. Sie kam kurze Zeit später und meinte schnippisch, dass zum Trinken Bargeld angenommen werde, nicht allerdings fürs Essen. Meine Bekannte, welche sich sowieso über meine Anfrage gewundert hatte, schaute mich irritiert an.

 

Hast du denn keine Kreditkarte, fragte sie mich dann erstaunt. Ich erklärte, dass ich ungern mit der Scheckkarte bezahlen würde. Wenn möglich, würde ich es vorziehen, bar zu bezahlen. Nachdem mich meine Bekannte und die Kellnerin anstarrten, als sei ich ein Obdachloser oder ähnliches, zeigte ich ihnen meine Kontokarte. Hörbares Aufatmen von beiden Frauen.  Wir bestellten und meine Bekannte zeigte Interesse, warum ich so auf Barzahlung bestehen würde.

 

Wir überlegten die Vor- und Nachteile des bargeldlosen Verkehrs:

 

Wenn ich mit Bargeld eine 5-Busfahrkarte möchte, muss ich im Büro eines Reisedienstes bezahlen, der Busfahrer nimmt Bargeld nur für eine einzelne Fahrkarte an;

 

Ich werde nicht mehr überfallen und ausgeraubt, weil ich kein oder nur Kleingeld bei mir oder zu Hause habe;

 

Im Restaurant kann ich nur mit Scheckkarte bezahlen;

 

Beim Friseur muss ich vorher abklären, ob und in welcher Höhe ich bar bezahlen kann;

 

Rechnungen zur Vorlage für das Finanzamt oder für die Krankenkasse müssen per Girokonto bezahlt werden;

 

In vielen Lebensmittelläden kann ich nur mit Scheckkarte bezahlen, ggf. gibt es eine Kasse für Bargeldzahler. Das sind meistens Obdachlose oder Kinder, deshalb müssen die Barzahler lange auf das Kassenfräulein warten;

 

Online kann ich mit Personalausweis bargeldlos einkaufen, supergünstig;

 

In Shopping-Center kann ich nur Kleinbeträge mit Bargeld bezahlen, beim Kauf von Schuhen, Kleidern, usw. wird nur noch Scheckkarte akzeptiert;

 

Die Bank hat sowieso das Geld nicht bar vorhanden. Wenn etwa 5 % der Sparer sich ihr Geld ausbezahlen lassen würden, wäre die Bank bankrott. Also ist es doch egal, ob wir das Geld sehen oder wenn wir Geld nur hypothetisch haben und auf Zetteln hin und her schieben.

 

Etc.

 

Warum, so fragte mich meine Bekannte, willst du nicht bargeldlos zahlen, das ist doch super einfach und wirklich eine tolle Sache. Nur noch 1-2 Karten, ein paar Münzen sind noch im Geldbeutel. Ich  genieße die Freiheit, einzukaufen, was und wann ich will, meinte sie.

 

 Ich konnte es ihr nicht erklären. Ich fühlte mich einfach unwohl, wenn jeder einsehen kann, was ich kaufe, wie viel Geld ich für welche Dinge bezahle. Jeder kann doch schon einsehen, wie viel Miete, Strom, Nebenkosten, Öl, Warmwasser, Abfall, Telefon, Internet, etc. ich bezahle. Wenigstens manchmal möchte ich Essen oder ein Buch oder eine CD kaufen, ohne dass wirklich jeder sieht, welche Nahrungsmittel oder für welches Thema ich mich gerade interessiere. Nicht, dass ich mich dafür schämen würde. Dazu besteht kein Grund. Aber ich fühlte mich einfach beobachtet, analysiert, kontrolliert, eigentlich sogar gestalkt.

 

Meine Bekannte lachte und wollte  mit mir noch einen Einkaufsbummel machen. Beim Bezahlen fragt die Bedienung meine Bekannte, ob sie noch ein Viertel Burgunder haben möchte.

 

Meine Bekannte fragte erstaunt, woher die Bedienung wisse, dass sie gerne einen Burgunder trinken würde, sie sei heute doch zum ersten Mal in diesem Lokal. Die Bedienung meinte, das gehöre zum Service. Auf Nachfrage beim Eingeben der Visakarte nach Service habe die Karte ausgedruckt, dass sie öfters abends zum Essen gehen würde, meistens in Lokale mit gutem Ambiente, dort würde sie gerne Menü klein bestellen mit Burgunder. Die Bedienung lächelte und meinte, wir wollen guten Service bieten, deshalb fragen wir nach.

 

Als ich fragte, was meine Scheckkarte geantwortet hat, meinte sie etwas säuerlich, keine genauere Angaben intus. Maliziös lächelte ich und sagte, ich wechsle meine Karten ab und bezahle oft mit Bargeld. Die Bedienung rümpfte die Nase.

 

Beim Bummeln in der Einkaufsmeile der Stadt kamen wir an einer Apotheke vorbei. Meine Bekannte brauchte noch Reisetabletten. Sie legte ihre Scheckkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz am Fenster der Apotheke.  Ein Display leuchtete auf.

 

WOMIT KANN ICH IHNEN DIENEN leuchtete in Großbuchstaben rot auf. Meine Freundin tippte mit ihrem Zeigefinger auf Reisetabletten.

 

Plötzlich öffnete sich die Türe. Ein älterer Mann winkte uns in die Apotheke. Er sagte zu meiner Bekannten: „Frau Gerster, sie sollten nicht so viele Reisetabletten schlucken. Sie werden davon abhängig. Wann brauchen Sie denn dringend Reisetabletten? Fahren Sie viel oder fliegen sie viel weg? Oder ist Ihnen öfters schwindelig?“

 

Meine Bekannte errötete. Hastig fragte sie: „Woher wissen sie meinen Namen? Ich war doch noch nie bei Ihnen.“ Der Apotheker zeigte ihr ihre Visakarte. Sie entspannte sich etwas und stammelte etwas von, dass sie in einer WG mit zwei weiteren Bekannte wohne. Sie haben nur ein Badezimmer. Dort lege sie auch die Reisetabletten. Wenn sie dann welche brauche, seien meist keine mehr in der Schachtel.

 

 Der Apotheker verwarnte sie, die Tabletten dürfen nicht offen herum liegen. Er gebe ihr noch welche, aber beim nächsten Mal werde sie vielleicht keine mehr bekommen. Meine Bekannte fragte, woher er wisse, dass sie immer wieder Reisetabletten kaufen müsse. Er lachte und sagte, das ist alles auf ihrer Scheckkarte gespeichert. Auch dass sie Kopfschmerztabletten regelmäßig nehme und dass sie Heuschnupfen habe und entsprechend Tabletten und Sprays brauchen würde.

 

Beim Weitergehen war meine Bekannte nachdenklich. Als wir bei einer Bank vorbei kamen, tippte sie mir auf den Arm. Mein Berater arbeitet noch, meinte sie. Lass uns reingehen, ich möchte etwas Bargeld holen.

 

Der Berater schaute sie auf ihre Nachfrage nach Bargeld erstaunt an, tippte etwas in seinen Laptop. Sie erhielt einen Chip, mit diesem Chip musste sie nach hinten gehen und dort konnte sie sich Bargeld aus einem Gerät geben lassen. Während sie auf Bargeld wartete, leuchtete das Display an diesem Gerät, welches wie ein einarmiger Bandit aussah, auf.

 

MIETE IST NOCH ZU BEGLEICHEN. SOLL ICH DIE ÜBERWEISUNG VERANLASSEN? JA     NEIN

 

Meine Bekannte wurde rot im Gesicht. Schnell drückte sie auf JA. Nach ein paar Sekunden leuchtete das Display wieder auf

 

ÜBERWEISUNG DER MIETE VERANLASST!   UNFALLVERSICHERUNG IST FÄLLIG. SOLL ICH DIE ÜBERWEISUNG VERANLASSEN? JA        NEIN

 

Nachdem meine Bekannte auch diese Überweisung bestätigt hatte, leuchtete das Display wieder auf.

 

 FÜR DIE GEWÜNSCHTE BARAUSZAHLUNG IST ZUWENIG GELD AUF DEM KONTO.  DER BETRAG WIRD REDUZIERT.

 

Nach einigem Geratter spukte das Gerät endlich Bargeld aus. Meine Bekannte nahm das Geld, stopfte es sich in ihre Tasche und verließ fluchtartig die Bank. Ich kam fast ins Stolpern, um ihr nach zu eilen.

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Tag der Veröffentlichung: 15.11.2014

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