Nacht der Abenteuer im Zoo
Lena und Marie waren blonde Zwillingsschwestern. Marie trug einen Pferdeschwanz und Lena lange Zöpfe wie Pipi Langstrumpf. Sie wohnten mit ihren Eltern in einem Reihenhaus am Stadtrand von Münster in Westfalen. Gerade vor 2 Tagen hatten sie ihren 10. Geburtstag gefeiert. Lena war allerdings 5 Minuten älter als Marie. Doch das spielt keine so große Rolle. Sie besuchten beide das Einsteingymnasium und waren gute Schülerinnen, sehr zur Freude ihrer Eltern. Das Lernen machte einfach viel Spaß. In ihrer Freizeit gingen sie gern zum Schwimmen und Reiten. Auch spielten beide ein Instrument. Lena fiedelte in ihrem Zimmer auf der Geige und Marie trommelte im Keller auf ihrem Schlagzeug. Manche Nachbarn ärgerte dies wegen der Lautstärke. Besonders groß wurde der Ärger, wenn aus Lenas Zimmer Mozart ertönte und gleichzeitig im Keller zu fetziger Musik getrommelt wurde. Diese Tonmischung war kein Schmaus für die Ohren.
Die Zwillinge hatten jedoch ein gemeinsames Problem. Sie konnten in Nächten mit Vollmond nicht schlafen und mussten sich andere Beschäftigungen suchen. In einer heißen Julinacht war es mal wieder soweit. Eine Vollmondnacht stand bevor. Lena und Marie lagen in ihren Betten und sahen den vollen Mond hell in ihr Zimmer scheinen. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. „Was sollen wir machen“, fragte Lena. Beide überlegten. „Es wäre cool, wenn wir einen Zoobesuch machen würden, schauen, was die Tiere nachts so treiben“, meinte Marie. Sie kletterten aus ihren Betten und zogen sich an. Eine Taschenlampe nahmen sie noch aus einer Schublade und schlichen leise aus dem Haus zum Gartenschuppen, wo ihre Fahrräder standen. Sie holten sie heraus und radelten in Richtung Stadt, wo der Zoo stand. Es war wenig Verkehr auf den Straßen. Nur ab und zu wurden sie von Autos überholt. Nach einer halben Stunde Fahrzeit lag der Zoo im Mondlicht vor ihnen. Sie stellten ihre Räder an einer Mauer ab und suchten nach einer Möglichkeit in den Zoo zu gelangen. Fast nur hohe Zäune und Mauern, wohin die Augen blickten. Doch da, ein Baum vor der Mauer mit Ästen und Zweigen, die über die Mauer ragten, könnte die Lösung sein. Sie kletterten auf den Baum in die Äste über der Zoomauer und ließen sich auf den Boden fallen. Der kurze Schmerz in den Füßen war schnell vergessen. Geschafft, sie waren am Ziel. Ohne Eintrittskarte in den Zoo. „Das soll uns erst mal jemand nachmachen“, sprudelte es beiden im Chor heraus. Ihre Herzen klopften vor Aufregung. Sie schlenderten auf dem Besucherweg an zahlreichen Tiergehegen vorbei. Doch nichts regte sich dort. Da waren wohl Tiere, die auch bei Vollmond tief schlafen konnten. Jetzt kam ein kleiner See in Sicht. Dort standen über 30 rosa Flamingos auf einem Bein im Wasser und hatten ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt. „Guck mal, die schlafen im Stehen“, flüsterte Marie. Auf leisen Sohlen gingen die Zwillinge weiter, um die Flamingos nicht aufzuwecken. Jetzt sahen sie vor sich ein Haus, das schwach beleuchtet war. An den Geräuschen, die aus dem Haus kamen erkannten sie, dass es das Affenhaus war und Lena rief „Da gehen wir rein, die schlafen nicht.“ Beim Öffnen der Tür staunten sie nicht schlecht. Von Müdigkeit war hier keine Spur zu erkennen. 4 Affen spielten Karten, 2 spielten in einer Schaukel und weitere 2 kauten Bananen. „Können wir mitmachen?“, fragte Lena die Kartenspieler. Die Affen nickten und machten Platz für die Zwillinge. Es wurde Mau Mau gespielt. Der große Affe mischte die Karten neu und verteilte sie an alle Mitspieler. Die Affen waren schlau, gewannen jedes Spiel und grinsten die Zwillinge schadenfroh an. Plötzlich hörten sie ein Geräusch und sahen den wackelnden Schein einer Taschenlampe. Der Nachtwächter Eusebias Müller, ein kleiner Mann mit grauem Haar und Schnauzbart, rückte an um nach dem Rechten zu sehen. Das machte er jede Stunde. Eusebias ist früher Schaffner bei der Eisenbahn gewesen und hat den Fahrgästen dort 40 Jahre die Fahrkarten abgestempelt, bevor er die blaue Uniform auszog und Rentner wurde. Doch seine Rente ist schmal und Eusebias muss zusätzliches Geld verdienen. So nahm er dann vor drei Jahren den Job als Nachtwächter im Zoo an. „Er darf uns nicht entdecken“, flüsterte Lena leise. Sie schlichen leise aus dem Affenhaus ins Freie. Da hörten sie in einiger Entfernung den Klang einer Trompete. „Das kommt aus dem Elefantenhaus“, meinte Marie. „Komm schnell, da laufen wir hin und verstecken uns im Stroh.“ Sie schlichen leise auf dem Waldlehrpfad entlang um den Nachtwächter nicht aufmerksam zu machen. Als sie die schwere Glastür zum Elefantenhaus öffneten schallte ihnen laute Musik entgegen. Alle Elefanten hatten bunte Papphüttchen auf dem Kopf, aßen Eistorte und tanzten. Als sie die Zwillinge erblickten fragten sie: „Wollt ihr mitmachen? ,Max hat heute Geburtstag.“ „ Das bin ich“, rief ein kleiner Elefant“. Er hatte den ganzen Mund mit Eistorte verschmiert. Aber natürlich machen wir mit“, riefen die Zwillinge im Chor. Sie holten sich 2 Papphüttchen und feierten mit den Elefanten. Nach einer Stunde hörten sie draußen das knirschen von Schuhen im Sand. Wir müssen uns verstecken“, flüsterte Lena voller Panik.“ Marie hatte eine Idee: ,, In den riesigen Palmbüscheln dahinten sieht man uns nicht, komm schnell!“ Kaum hatten sie sich versteckt, öffnete sich auch schon die Tür, und im Schein der Taschenlampe stand dort der Nachtwächter Eusebias. Er murmelte etwas in seinen Bart und ging dann weiter. Lena und Marie sagten zu den Elefanten: ,,Wir gehen dann mal weiter“ ,,Tschüüüüssss,“ riefen ihnen die Elefanten hinterher. Als nächstes kamen sie bei den Löwen vorbei. Die Löwen schliefen nicht, stattdessen brüllten sie sie an: ,,Was wollt ihr hier, es ist Nacht, der Zoo ist geschlossen!!!“ Da gingen die Zwillinge schnell weiter. Den Ärger wollten sie sich sparen. Als nächstes kamen sie bei den Bären vorbei. Aus dem Bärenhaus schallte leise Jazzmusik. Sie gingen näher ran und erkannten durch die verspiegelte Glasscheibe einen tanzenden Eisbär. Weitere Bären dösten in den Ecken ihres Geheges vor sich hin. Sie klopften gegen die Glasscheibe. Die Bären reagierten überhaupt nicht. Sie lagen faul auf ihrer Bärenhaut. Es macht keinen Sinn, sie zu stören. Die beiden gingen weiter. „Sieh mal Marie, da hinten glitzert etwas und ich höre ein Gluckern“, sagte Lena. Als sie näher kamen, erkannten sie einen großen Pool mit hohen Felswänden rund herum. Auf den Felsen standen unzählige Pinguine, die sich von oben ins Wasser stürzten. Manchmal hörte man ein knurriges Maulen im Pool. Das waren die Seelöwen, die sich bei den Pinguinen beschwerten, wenn sie beim Absprung der Vögel von ihren Leibern getroffen wurden. Ein unverschämtes Volk seien die Pinguine, meinten die Seelöwen. Lena entdeckte am Beckenrand in einem Korb bunte Bälle. Die Zwillinge forderten die Seelöwen auf, mit ihnen Ball zu spielen. Das klappte auch vorzüglich. Fast alle Bälle die in den Pool geworfen wurden, konnten die Seelöwen schnappen oder mit dem Kopf abstoßen und zurück werfen. Die schnellen Tiere hatten einen Riesenspaß und die Zwillinge natürlich auch. So ging es eine Weile hin und her mit den Bällen. Die Pinguine wurden langsam sauer und wollten auch mitmachen. Aber mit Bällen spielen, das konnten sie nicht. Einer von den Pinguinen zeigte auf einen Eimer, der hinter einem Drahtzaun stand. Lena lief zum Eimer, der voller Heringe war. Es war das Futter der Pinguine für den nächsten Tag. Der Tierpfleger hatte den Eimer schon bereit gestellt. Die Zwillinge warfen nun Hering für Hering in den Luftraum über dem Pool und die Pinguine stürzten sich von den hohen Felsen und fingen die Fische geschickt in der Luft. Da war auf einmal eine Mordsstimmung im Wasserbecken und so ganz nebenbei wurde der Hunger der Vögel gestillt. Das stimmungsvolle Getöse lockte auch den Nachtwächter an, der mit eiligen Schritten auf den Pool zuschritt und ihn mit seiner Taschenlampe ableuchtete. Die Schwestern hatten sofort kapiert. „Wir müssen uns verstecken.“ Doch es war kein Versteck zu sehen. Zwei Pinguine hoben blitzartig ihre Flügel hoch und Lena und Marie huschten darunter. Der Nachtwächter merkte davon nichts.
Sie waren alle mucksmäuschenstill. Eusebias verstand die Welt nicht mehr. Eben noch die volle Unruhe und jetzt kann ich hier eine Stecknadel fallen hören. Er schüttelte verständnislos den Kopf und murmelte „Wer will mich da zum Narren halten. So eine unruhige Nacht hatte ich noch nie im Zoo. Ob ich mal zum Arzt muss?“ Die Zwillinge mussten heimlich grinsen. Er ging schlürfenden Schrittes weiter seine vorgegebene Runde. Als er außer Hörweite war, traten die Mädchen aus den Flügeln der Pinguine hervor und holten tief Luft. Es war heiß und stickig in dem Versteck und es roch auch etwas muffig, weil Pinguine sich nur mit Wasser und nicht mit Seife waschen. Auch von Deo hatten sie noch nie gehört. „Wir müssen jetzt weiter“, sagten die Zwillinge zu den Seelöwen und Pinguinen. Die Tiere fanden es schade, dass das schöne Spielen nun ein Ende hatte. Lena und Marie setzten ihre Zoorunde munter fort. Sie waren kein bisschen müde. Eine krächzende Stimme schrillte durch die Nacht. „Ich bin die Lora, die schöne Lora.“ Marie und Lena sahen sich überrascht an. „Das muss ein Papagei sein“, da waren sie sicher. Die Stimme kam aus einem riesigen Vogelkäfig, den sie jetzt vor sich sahen. Viele bunte in allen Farben schillernde Papageien saßen auf den Ästen von tropischen Bäumen. „Wer von euch ist denn nun die Lora?“ rief Lena in den Käfig. Ein grüner Ara mit roten Kopffedern sagte „ Das bin ich.“ „Was bist du für ein schöner Vogel.“ „Ich bin nicht nur schön, ich bin auch schlau. Ich weiß alles.“ „Wie heißt die Hauptstadt von Schleswig Holstein?“ fragte Lena. „Kiel“, krächzte Lora. „Und wie heißt da der Boss von Mc Donalds, der den grünen Panther fährt?“ „Das ist doch der Oli,“ wusste der Papagei. „Jetzt frag ich mal was“, sagte Lora. „Wie viele Rillen hat eine Schallplatte?“ Die Zwillinge überlegten lange und schätzen „Ungefähr Tausend“. Lora musste lachen. „Ihr seid dümmer als ich. Eine Schallplatte hat nur eine Rille, die verläuft wie eine Spirale über die ganze Schallplatte“. Lena war sauer. „Na warte, dich lege ich auch noch rein“. „Eine halbe Glatze hat 50 Haare, wie viele Haare hat eine ganze Glatze?“, fragte Lena den Papagei. „100, das ist doch klar. Zwei mal 50 sind gleich Hundert“. Jetzt lachten die Zwillinge über Lora. „Du bist auch nicht schlauer als wir. Eine Glatze hat nämlich gar keine Haare.“ Jetzt war der Papagei sauer. „Guckt mal wer da kommt“, rief er. „Wir sehen nichts“, antworteten die Zwillinge. Der Papagei schrie laut „Hallo Herr Nachtwächter, hier sind heimliche Besucher ohne Eintrittskarte, die musst du verhaften.“ „Der will uns verraten, was machen wir bloß?“ Da spürte Marie etwas an ihrer Hand. Es war die Pfote von einem Dachs. Der Dachs zog die Zwillinge unter ein dichtes Gebüsch in seinen Bau, wo sie der Nachwächter nicht sehen konnte. „Du blöder Vogel“, rief Eusebias zum Papagei. „Du willst mich hier anlügen, ich sehe keine Eindringlinge“. Verärgert und laut vor sich hin schimpfend trollte der Nachtwächter von dannen. Im Dachsbau roch es süßlich. „Meine Frau backt gerade einen Kuchen. Der müsste bald fertig sein“, meinte der Dachs. Nach fünf Minuten kam Frau Dachs singend in die Wohnhöhle gelaufen. In ihrer rechten Hand hielt sie eine noch dampfende Kuchenplatte. „Das ist ein Kastanienkuchen mit Eichelstückchen darin. Süß wie Schokolade. Wollt ihr ein Stück, Kinder?“ Die Mädchen hatten Hunger und bissen beide ein großes Kuchenstück ab. Der Geschmack, der sich spontan auf der Zunge einstellte, hatte wenig mit Schokolade gemeinsam. Den Dachsen mochte es gut schmecken, doch den Zwillingen war die Speise zu bitter. Um Frau Dachs nicht zu beleidigen, würgten beide den Kuchen herunter und sagten zu Frau Dachs: „Ausgezeichnet der Kuchen und er sättigt ungemein. Von einem Stück wird man schon platzend satt.“ Obwohl dies eine Lüge war, freute sich Mutter Dachs über das Lob der Kinder. Plötzlich schlug eine Kirchturmuhr sechsmal. Die Kinder erschraken. „Mensch, wir müssen nach Hause, bevor unsere Eltern wach werden und uns suchen“, meinte Lena. Sie verabschiedeten sich von Familie Dachs und schlichen aus dem Dachsbau wieder an die Oberfläche. Sie orientierten sich, um zurück zu ihren Fahrrädern zu gelangen. Einen Baum vor dem Zaun hinauf und hinter dem Zaun hinunter und schon waren sie wieder auf der Straße. Als sie mit den Rädern am Zaun entlang fuhren, sahen sie den Nachtwächter Eusebias und sie riefen: „Danke für den schönen Zoobesuch ohne Polizei.“ Eusebias war verdattert. Er war fassungslos über diese Frechheit. „Ich werde euch schon noch einmal erwischen“, brüllte er aus Leibeskräften hinter den Kindern her, die jetzt losradelten wie der Wirbelwind. Zu Hause angekommen, stellten sie die Räder in den Schuppen und schlichen ins Haus. Dort legten sie sich in ihre Betten. Kurz darauf hörten sie die Schritte ihrer Mutter, die auf dem Weg war, sie zu wecken. „Guten Morgen meine Mädels, gut geschlafen?“ Die Zwillinge bejahten dies, räumten aber ein, von einem Zoobesuch geträumt zu haben. Dabei kniffen sie sich gegenseitig ein Auge zu. „Der Traum muss ja sehr realistisch gewesen sein“, meinte die Mutter. „Als ich eben eure Zimmertür aufmachte, roch es dort wie in einem Affenstall.“ Jetzt mussten die Zwillinge lauthals lachen. „So und jetzt aufstehen und das Fenster öffnen, damit der Zoogeruch hier verschwindet,“ sagte Mutter augenzwinkernd. Sie kannte ihre Töchter und ist auf den Schwindel mit dem Traum nicht hereingefallen. In der Schule berichteten die Zwillinge der Klasse von den nächtlichen Abenteuern im Zoo und wurden von ihren Mitschülern bewundert und ein bisschen beneidet.
In 4 Wochen ist wieder Vollmond und dann beginnt für Marie und Lena ein neues Abenteuer.
Texte: copyright Autoren
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen, die bei Vollmond nicht schlafen können