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Leseprobe

Michael Ullrich

KÜHE FÜR DEUTSCHLAND

Hilfe von HEIFER
für Flüchtlinge
nach dem 2. Weltkrieg

An alle, die HEIFER International unterstützen,

ich bin sehr glücklich, dass wir eine Vielfalt an Material aus unseren Archiven und zahlreiche Interviews in Deutschland über eines der ersten großen Projekte von HEIFER International zusammentragen konnten. Von 1949 bis 1959 wurden fast 4.000 Kühe von Amerika nach Deutschland an notleidende Bevölkerungsteile verschickt. Von diesem Projekt handelt dieses Buch.

Unzählige großzügige Spender von überall in der Welt ermöglichen es HEIFER auch heute, jeden Tag Hunger und Armut auf einem globalen Level zu bekämpfen.

So arbeitet HEIFER auch bei existenziellen Problemen mit Lösungen, die oft sehr einfach erscheinen: hart arbeitende Bauern werden mit Gerätschaften und Vieh unterstützt und bekommen in ausgiebigen Trainingsprogrammen deren Einsatz erklärt. So sind diese Menschen in der Lage, ihre Kinder zu ernähren, sie zur Schule zu schicken und ihnen vorher unerreichbare Möglichkeiten zu eröffnen. Damit kann die ursprüngliche Hilfe im Ergebnis nachhaltig weiter wachsen.

Von der Gleichstellung der Geschlechter bis zu dem Zugriff auf Wasserquellen sind die Problemgebiete, die HEIFER angeht, komplex und vielschichtig. Aber trotz der Größe der Aufgabe werde ich Tag für Tag von Leuten aus aller Welt inspiriert und motiviert, die uns mit Mut und Leidenschaft unterstützen.

Zusammen werden wir für Millionen von Menschen eine bessere Welt schaffen und ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Dank all derer, die uns unterstützen.

Pierre Ferrari
Präsident und CEO
HEIFER International

Wie alles begann

»Wir sollten Kühe nach Deutschland schicken,« entschied Dan West, ein aktives Mitglied der Church of the Brethren und Nebenerwerbs-Farmer aus dem mittleren Westen Amerikas. Man schrieb das Jahr 1948, Deutschland lag nach dem 2. Weltkrieg immer noch in Trümmern, der Wiederaufbau ging schleppend voran, die Zahl der zugewanderten Flüchtlinge hatte sich auf 11 Millionen erhöht. Lebensmittel waren knapp und es herrschte Hunger. Viele der Ostflüchtlinge mussten in ihrer alten Heimat Landwirtschaftsbetriebe, meist mit Viehwirtschaft, zurücklassen und kamen mittellos in den Westen Deutschlands.

Wests Gedanke war: Diese Familien bekommen eine Kuh, so dass sie sich zunächst einmal selbst versorgen und sich durch den Verkauf von Molkereiprodukten eine neue Existenz aufbauen können. Alle Kühe, die West nach Deutschland schickte, waren trächtig, damit auch die Chance zum Aufbau einer Zucht bestand. Um für weitere Nachhaltigkeit der Hilfe zu sorgen, gab es eine Auflage: das erste weibliche Kalb mussten die neuen Besitzer weitergeben an eine andere notleidende Familie. Somit entstand ein Schneeballeffekt, der zu einer Eigendynamik in der Verteilung der Kühe führte.

Auf die Idee mit den Kühen war Dan West ein paar Jahre zuvor gekommen als er sich 1937/38 freiwillig einem amerikanischen Hilfscorps angeschlossen hatte, um der Not leidenden Zivilbevölkerung im Spanischen Bürgerkrieg Hilfe zu leisten. In dieser Zeit kümmerte er sich mit anderen Freiwilligen vor allem um die Organisation der Lebensmittelversorgung für die spanische Bevölkerung. Unter anderen stand jedem eine Tasse Milch (in Form von Milchpulver) pro Tag zu. Doch Dan West erkannte, dass die tägliche Tasse Milch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Es musste ein anderer Weg gefunden werden, den Betroffenen langfristig zu helfen.

Dann hatte er eine Idee, die sich als außerordentlich erfolgreich herausstellen sollte: Was, wenn man notleidenden Menschen nicht eine Tasse Milch geben würde, sondern gleich eine Kuh? Entsprechend der Konfuzius-Weisheit: »Gib einem Mann einen Fisch, und du nährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen, und du nährst ihn ein Leben lang.«

Mit diesem Gedanken kehrte West 1938 zurück in seine Heimat nach Indiana (USA), überzeugte andere von seiner Idee und gründete 1942 HEIFER International, eine gemeinnützige Organisation zur Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt (HEIFER ist der amerikanische Begriff für eine trächtige Kuh und wird »Heffer« ausgesprochen).

Nur wenige Jahre später profitierte das zerbombte Deutschland von Wests Idee und seiner noch jungen Organisation.

Dan West und ein ganzes Heer von freiwilligen Helfern suchte überall in Amerika nach Spendern von Kühen. Unterstützt wurde er dabei von Kirchenorganisationen, wobei insbesondere die Church of the Brethren, deren Mitglied auch Dan West war, eine große Rolle spielte. Die Kühe wurden dann zu verschiedenen Häfen in den USA transportiert und traten von dort eine mehrwöchige Seereise an, begleitet von Betreuern, die sich selbst »seagoing cowboys« nannten und die sich um das Wohlergehen der Tiere auf den Schiffen kümmerten. Auch diese Betreuer meldeten sich für die immerhin insgesamt vier bis sechs Wochen dauernde Reise freiwillig und waren in der Regel ebenfalls Angehörige von Kirchengemeinden.

Im Laufe der nächsten zehn Jahre wurden unter anderem fast 100 Überfahrten mit über 4.000 Kühen von New York nach Deutschland organisiert, die alle in Bremen und Bremerhaven ankamen. Von dort wurden die Kühe dann in Gebiete in ganz Deutschland transportiert, wo sie an Sammelstationen an ausgewählte Familien, die sich für den Empfang einer Kuh beworben hatten, verteilt wurden.

Die S.S. American Importer in Bremerhaven

Julischka wird Familienmitglied

Eine dieser Familien, die von den amerikanischen Hilfsorganisationen profitierten, war die Familie von Peter Mesch in Hessen.

Heute besitzt die Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb mit bis zu 150 Arbeitern, aber nach dem Krieg stand sie vor dem Nichts. Aus ihrer Heimat Serbien flüchteten die Meschs über Ungarn nach Deutschland.

Im Jahr 1949, zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Griesheim bei Darmstadt, wurde Familie Mesch dann unerwartet Hilfe zu teil. Über die HEIFER-Organisation erhielten sie ihre erste Kuh.

Josef, der Sohn von Peter Mesch, erinnert sich heute noch gut: »Es war eine wilde Kuh, ein Prärierind, wir nannten sie die Texasstute.« Die Kuh bekam einen Namen, Julischka, und wurde zu einem arbeitenden Familienmitglied. Der Stall, der heute noch steht, befand sich direkt neben dem Haus und das Futter wurde anfangs von der Stadt gestellt. Später führten die Kinder der Familie Mesch Julischka abends an den Straßen entlang, damit sie das Gras am Wegrand fressen konnte.

Am Anfang lief die Kuh tatsächlich einmal weg und die verzweifelte Familie suchte einen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 15.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8077-1

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