Julian Luzifer Ward
Vor mehr als 25 Jahren
Dunkle Wolken jagten über den Himmel. Blitze durchbrachen die Nacht und erhellten sie. Donnerschläge hallten über das Land und hinterließen eine bedrohliche Stille. Mit einem lauten Knall durchbrach ein gezackter, gleißend heller Lichtstrahl die Wolkendecke und schlug in einen Baum ein. Die Baumkrone bog sich und brennende Äste flogen durch die Luft.
Eine dunkle Männergestalt durchbrach den Himmel und der dichte Nebel stob auseinander. In dem Moment, als seine Füße den Boden berührten, bäumte sich der Wind auf und ein schlimmer Orkan fegte über das Dorf hinweg. Er deckte die Dächer ab, wirbelte Dachziegel durch die Nacht. Urplötzlich wurde es windstill und im Auge des unheimlichen Gewitters stand ein Mann, verharrte in der Dunkelheit wie ein Racheengel. Seine goldenen Schwingen verschwanden wie von Geisterhand. Den Dorfbewohnern war nur eine kurze Ruhepause gegönnt. Mit lautem Getöse nahm der Wind erneut an Stärke zu.
Ein langer dunkler Mantel wehte um die große, schlanke Gestalt und das schwarze Haar flatterte im Wind, als er sich umschaute und den Weg in das Wirtshaus ungehindert antrat. Seine Statur zeugte von Kraft und Arroganz, als ob ihm nichts und niemand etwas anhaben könnte. Die harten Gesichtszüge sprachen zudem eine deutliche Warnung aus, sich von ihm fernzuhalten.
In dieser stürmischen Nacht kam der geheimnisvolle Fremde in das Dorf Reicha. So schnell wie der Sturm aufkam, so schnell erstarb er. Ohne im Schritt innezuhalten, stieß der Mann die Tür der Gastwirtschaft auf und zog damit die Aufmerksamkeit aller Gäste auf sich.
Selbstsicher bewegte er sich auf den Wirt zu und bat um eine Unterkunft, sowie um ein warmes Essen. Die Frauen in der Wirtsstube seufzten auf, weil ihn so eine männliche, geheimnisvolle, aber auch gefährliche Aura umgab. Sogar die Männer waren gegen seine Sinnlichkeit nicht immun. Jeder machte ihm schöne Augen und probierte, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Er jedoch blieb gleichbleibend freundlich und lehnte alle Angebote ab. Die Tochter des Wirtes schritt flink auf ihn zu, fragte nach seinem Begehr und flirtete genauso mit ihm wie die Köchin. Nachdem er sich gesetzt hatte, bestellte er sich einen Teller Eintopf und ein großes Bier. Entspannt lehnte er sich zurück und genoss die Wärme des Kamins.
Zur späten Stunde zog er sich auf sein Zimmer zurück, kniete sich vor dem Bett nieder und betete. Müde vom Tag und durch das Gebet beruhigt, legte er sein Haupt auf das Kissen.
Im selben Moment öffnete sich leise die Holztür zu seinem Zimmer. Die Tochter des Wirtes schlüpfte in den Raum und ging zögerlich auf sein Bett zu. Er beobachtete, wie sie sich auszog und auf ihn zukam. Lange schaute er sie an. In seinen Augen leuchtete es auf, als er die Decke hochhob, damit sie sich zu ihm legen konnte. Es kamen nicht viele gut angezogene Männer in ihr Dorf und diesen hier wollte die Tochter des Wirtes unbedingt für sich gewinnen. Kurz kam ihr in den Sinn, wie gefährlich der Mann war und dass sie etwas Verbotenes tat. Das Gesicht ihres Verlobten, des Priesters Burkhard Bellgard, schob sich vor ihr inneres Auge, sie jedoch schüttelte den Kopf und verbannte sein Bild in die hinterste Ecke ihres Verstandes. Auch den Gedanken, dass sie erst vor ein paar Tagen einem anderen Mann ein Versprechen gegeben hatte. Ohne einen Funken Ehrgefühl sperrte sie die störende Grübelei weg. Bevor sie sich an einen Mann band, den sie nicht liebte, wollte sie die Freuden der Liebe kennenlernen. Und dieser Mann hier im Bett ließ ihr Herz schneller schlagen, erweckte Gefühle in ihr, die fremd waren. Das Verlangen, sich ihm hinzugeben, ließ sie alles andere vergessen.
Sie blicke in dunkelblaue Augen, die so anders waren als die schwarzen ihres Verlobten. Innerlich verfluchte sie den Tag, als Burkhard von Bellgard zu einem Besuch bei ihnen einkehrte und sich direkt in sie verliebte. Ohne sie zu fragen, ging ihr Vater mit Burkhard einen Ehevertrag ein, als dieser um ihre Hand anhielt und gab der Verbindung den Segen, im Glauben, dass es seiner Tochter dort gut gehen würde. Weil sie wusste, dass sie kein Mitspracherecht hatte, gab sie Burkhard von Bellgard ihr Ja-Wort, obwohl sie lieber bei ihrem Vater geblieben wäre. Die Zeiten waren hart für eine Frau, wenn sie ohne einen Mann an ihrer Seite ihr Leben so leben würde, wie sie es wollte.
Ihr Verlobter war groß, gut gebaut, hatte braune Haare, war ein gut betuchter, angesehener Mann und konnte ihr ein Leben ohne Armut und Leid bieten. Daher hatte sie sich mit dieser Ehe arrangiert und wollte das Beste daraus machen. All dies vergaß sie in dem Moment, als sie in die dunkelblauen Augen des Mannes schaute, der sie unter gesenkten Wimpern hervor beobachtete.
Ein einziges Mal wollte sie fühlen, dass ein Mann sie begehrte, den sie ebenfalls anziehend fand. Dafür setzte sie ihre Zukunft aufs Spiel. All das ahnte der Mann nicht, und ohne Gewissensbisse verführte sie ihn. Früh am Morgen erwachte er, sah die Frau neben sich liegen und sein schlechtes Gewissen schlug zu. Hatte er seinem Heiligen Vater nicht versprochen, hier nach dem Rechten zu sehen? Sich nicht von seinem Job ablenken zulassen? Er war hier, um zu erfahren, warum so viele schwarze Seelen in dem Dorf lebten. Schuldbewusst starrte er die Frau an und legte einen Schleier des Schlafes über sie, dann stieg er aus dem Bett. Schnell kleidete er sich an und verschwand durch die Tür, als wäre er nie da gewesen. Als die Tochter des Wirtes nach Stunden die Augen aufschlug, streckte sie ihre Hand nach dem Mann aus. Benommen erkannte sie, dass er weg war, ohne eine einzige Nachricht zu hinterlassen. Da wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Gewissensbisse begleiteten sie durch die Zeit. Sie schwieg, verheimlichte ihren Betrug, hoffte, dass ihr Seitensprung unentdeckt blieb.
In den darauffolgenden Tagen wurde das Dorf von einer unheimlichen Krankheit befallen, die etliche Todesopfer forderte. Die Gemeinde war sehr abergläubisch und verschloss, sobald die Sonne unterging, ihre Türen. Der Engel des Todes würde unter ihnen wandeln, wurde hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Die Wirtstochter, der Vater, ihr Verlobter und über tausend Seelen wurden verschont. Zwei Monate später heiratete die Wirtstochter Burkhard Bellgard. Sie schwor sich in der Hochzeitsnacht, alles zu vergessen, was mit diesem Fremden passiert war. Sie nahm sich vor, ihrem Mann eine gute Ehefrau zu sein. Sie gab sich Burkhard hin, spielte ihm noch Jungfräulichkeit vor, indem sie sich heimlich in den Finger schnitt, und verteilte das Blut auf dem Laken. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass die gestohlenen Stunden Folgen haben würden. Das Schicksal lässt sich niemals betrügen, sondern fordert immer ein Opfer.
Ihres war, dass sie in dieser gestohlenen Nacht das Kind des Fremden empfangen hatte. In ihrem Elend wollte sie das unschuldige Wesen in ihrem Leib loswerden, ehe ihr Mann hinter den Betrug kommen würde. Sie hatte keine Chance und ihr Bauch wuchs, wurde immer größer. Als Burkhard sie zur Rede stellte, log sie ihn an, schwor bei Gott, dass er der Vater des ungeborenen Kindes wäre. Ihr Ehemann schlug sie für diese schamlose Lüge, packte ihre Sachen, verstieß sie öffentlich und schmiss sie aus seinem Haus. Auf Knien bettelte sie ihn an, in der Hoffnung, dass er Mitleid mit ihr hatte und ihr vergab. In ihrer Not wandte sie sich an ihren Vater. Doch er verwehrte ihr den Eintritt. Böse schrie er sie an, dass sie ihn enttäuscht hätte und nicht mehr seine Tochter sei. Er rief einen seiner Arbeiter und zusammen brachten sie die weinende Frau zu einer Hütte im Wald. Dort sollte sie das Kind der Schande zur Welt bringen. Alleine auf sich gestellt, musste sie lernen, zu überleben. Voller Wut schwor sie, das Baby in ihrem Bauch niemals zu lieben. Monate später brachte sie in einer der stürmischsten Nächte des Jahres MICH auf die Welt.
Sie lag auf dem Bett, schrie vor Schmerzen, verfluchte Gott, dass er ihr in der schlimmsten Stunde ihres Lebens nicht beistand. Voller Zorn auf den Fremden, auf ihren Mann und ihren Vater, schlug sie auf den gewölbten Bauch ein. Hasserfüllt beschimpfte und verfluchte sie ihr Baby. Nach Stunden endloser Schmerzen kam ich auf die Welt. Als ich den ersten Atemzug machte, nach Wärme und Zuneigung gierte, ließ sie mich auf dem besudelten Bett liegen. Ich schrie, hatte Hunger und wollte, dass sie mich in den Arm nahm. Mit einem Fluch auf den Lippen packte sie mich, drückte meinen Kopf in einen Wassereimer. Ein greller Blitz erleuchtete das Zimmer, traf sie mittig in der Brust. Schmerzlich schrie sie auf und ließ mich erschrocken los.
Brüllend lag ich auf den kalten Boden und weinte. Starke Arme umschlangen mich, trugen mich behutsam zum Bett. Dort wurde ich sanft niedergelegt und eine Hand strich die Tränen von meinen eiskalten Wangen. Eine grausame Stimme erklang, und ich spürte instinktiv, dass sie nicht mich ausschimpfte. Spät in der Nacht brachte mich meine Mutter in den Wald, legte mich dort unter einem Baum ab, in der Hoffnung, dass die Tiere des Waldes mich zerrissen. Dann wäre sie nicht schuld an meinem Tod, sondern die Tiere.
Ein lauter Donner hallte durch die Bäume, die sich dem unerwarteten Wind beugten. Die Erde tat sich auf und eine große, dunkle Gestalt entkam ihr. Weinend strampelte ich, als ein paar warme Hände mich umfingen, mich hochnahmen. Eine raue, männliche Stimme redete leise auf mich ein, bis ich mich beruhigte. Er legte seinen Daumen auf meine Stirn und sprach ein Gebet. Etwas abseits stand meine Mutter. Die Augen weit aufgerissen und eine Hand gegen den Mund gepresst. Der Mann ging auf sie zu, schaute ihr in die Augen und ohne einen Funken Gnade bestrafte er sie dafür, dass sie meine unschuldige Seele töten wollte. Sie schrie, bettelte, dass er aufhören sollte, aber Luzifer kannte keine Gnade. Er trat auf sie zu, legte mich in ihre Arme zurück, beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Sollte ihm etwas passieren, komme ich wieder. Dann werde ich dich in den Höllenschlund verbannen, wo du die nächsten eintausend Jahre in ewiger Pein verbringen wirst!« Erschrocken versprach sie, mich leben zu lassen. Doch zwischen einem Leben und einem menschenwürdigen Leben gibt es einen himmelweiten Unterschied.
Kaum verschwand Luzifer, hat sie mich draußen vor ihrer Tür abgelegt. Hungrig schrie ich stundenlang, weinte bittere Tränen. Doch sie hatte nicht mit meinem Vater gerechnet. Mit einem grellen Blitz tauchte er wie aus dem Nichts auf. Er nahm mich auf seine Arme, wiegte mich und legte mich auf einen Sessel ab. Mit zornigem Gesicht wandte er sich meiner Mutter zu.
In dieser Nacht erfuhr sie, was es hieß, Luzifer zu betrügen und sich mit einem Engel anzulegen. Unter fürchterlichen Schmerzen schwor sie schließlich, dem Kind nichts offensichtlich Böses zu tun. Diese Frau, die den Titel Mutter nicht verdiente, hatte mich von der ersten Sekunde meines Lebens an gehasst. Dabei bin ich derjenige, der die wenigste Schuld an ihrer misslichen Lage trug. Sie hatte mich in eine Welt voller Schmerzen und Qualen hineingeboren und den einzigen Namen, den sie mir gab, war: »Bastard. Sohn des Teufels«!
Ich weinte viel, hatte immer Hunger, Durst und bettelte förmlich nach ihrer Liebe. Ich fror, lag stundenlang in meinen schmutzigen Windeln. Aber sie berührte mich niemals, ignorierte mich, als ob ich nicht existieren würde. Wenn sie mich ansah, erkannte ich, wie viel Groll in ihren Augen glomm. Schon als kleines Kind konnte ich erfassen, wie bösartig sie war. Vielleicht hatte mein Vater mir mit der Geburt eine Gabe mitgegeben, die mein Leben schützen sollte. Jedes Mal, wenn ich spürte, dass mir jemand Böses wollte, wurde ich vollkommen still, gab keinen Laut mehr von mir. Meine Haut glomm dann golden auf. Ein roter Feuerschein umhüllte mich und jeder der mich berührte, wurde fürchterlich bestraft. Die Leute im Dorf mieden mich, flüsterten, dass ich der wiedergeborene Satan wäre.
Mutters Brüste waren geschwollen, voller Milch. Statt mich damit zu nähren, weigerte sie sich hartnäckig. Am anderen Morgen lag ein Beutel voller Geld auf ihrer Türschwelle und der Name einer Amme. Von ihr erfuhr ich zum ersten Mal, was es hieß, geliebt zu werden. Sie redete mit mir, strich mir über mein schwarzes Haar. Diese Zeit war leider begrenzt. Obwohl sie mich verabscheute, wollte Mutter mich trotzdem nicht bei ihr lassen.
Heute war mein siebter Geburtstag. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Genau wie in der Nacht meiner Geburt, wie jedes Jahr, wenn ich älter wurde, stürmte es wie verrückt.
Mit jedem Jahr, das verging, lernte ich besser, mich unsichtbar zu machen. Mein Leben bestand aus einem einzigen Kampf, um zu überleben. Menschen mieden mich, verletzten mich. Das Dorf hasste mich und sobald ich einem von ihnen zu nahekam, spuckte man mich an. Sie traten mich, warfen mit Steinen nach mir. Die meisten behandelten mich wie einen Aussätzigen, der die Pest hatte. Keines der Kinder im Dorf wollte mit mir reden, geschweige denn, spielen. Die Tiere draußen im Wald jedoch gaben mir Schutz. Immer wenn gewisse Männer uns besuchten, schmiss meine Mutter mich aus der Hütte und ich durfte erst wiederkommen, wenn die Sonne am anderen Morgen aufging.
Ich war traurig und immer allein. Erneut versuchte ich, Mutters Liebe zu gewinnen. Doch nichts war ihr gut genug. Sie schrie mich an, beschimpfte mich, dass ich schuld sei, dass sie hier in Elend und Einsamkeit lebte und sich verkaufen musste.
Nachts schlief ich schlecht, wachte bei jedem Geräusch auf, vor Angst, dass mich einer von Mutters Liebhaber entdeckte.
Eines Abends war er da. Mein Retter. Er schlich sich in meinen Traum, half mir, all die Schrecken zu überleben. So, als ob er meinen Schmerz spüren würde. Er gab mir Kraft, alles unbeschadet zu überstehen, weil ich wusste, dass ich nicht mehr alleine war. Nun erwartete ich ungeduldig meinen Schlaf, weil er zu mir kam.
»Alles wird gut. Gib nicht auf. Ich warte auf dich!«
»Wer bist du?«, frage ich in Gedanken.
»Ich bin Kian Bersy-Vieru!« In meinem Kopf hörte ich seine Stimme. Sie war rau, fast liebevoll und beruhigte meine Seele. Sie streckte sich meinem Herzen entgegen und gab mir die Kraft und den Mut, weiterzuleben. Ich glaube nicht, dass er mein Vater war.
Trotzdem musste ich es wissen und fragte vorsichtig meine Mutter. Dafür bekam ich einen harten Schlag ins Gesicht. Mit einem lauten Schrei taumelte ich nach hinten, presste die Hände gegen den Mund. Blut strömte über meine Lippen. Direkt danach hörte ich ein fürchterliches Geräusch von brechenden Knochen. Mutter fiel vor mir auf ihre Knie, schrie voller Schmerz auf. Ihr Handgelenk schwoll an und panisch kroch sie vor mir zurück. »Du bist verflucht. Ein Kind, entstanden aus der Sünde einer einzigen Nacht! Du Bastard des Teufels.«
Je älter ich wurde, desto mehr grollte sie mir. »Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Wie soll ich da vergessen, was er getan hat?«, schrie sie mich an. Ich schaute in einen Spiegel, aber dort sah ich keine Bestie, sondern einen jungen Mann, der eine lange, schwarze Mähne hatte, die er mit einem Band zähmte. Was glitzerte dort? Sind das etwa schon graue Haare? Da bahnten sich tatsächlich zwei weiße Strähnen einen Weg durch meine Haarpracht. Graue Augen starrten mich an, wurden plötzlich für Sekunden golden. Erschrocken zuckte ich zurück, blickte erneut in den Spiegel. Doch dort waren ein paar hellgraue Iriden zu sehen.
Seufzend fragte ich mich, was bloß in der Nacht meiner Empfängnis geschehen war, dass meine Mutter ihre Wut auf ein unschuldiges Kind übertrug. Oder war es, dass sie mehr Schuld hatte, als ihr bewusst war? Lud sie diese bei mir ab, machte mich für ihr Elend verantwortlich? Vielleicht ist es auch, weil mein Erzeuger sie ohne ein Wort verlassen hatte? Oder sie voller Sehnsucht hoffte, dass er wieder zu ihr zurückkam? Fragen über Fragen.
Und mit jedem Tag, an dem ich meinem Vater immer ähnlicher wurde, wuchs ihr Zorn ins Unermessliche. Ich war das Opfer ihrer Böswilligkeit. Etwas oder jemand beschützte mich vor ihren schlimmsten Schlägen, ließ sie nach einiger Zeit innehalten, weil die Strafe dafür umso schmerzhafter war. Ab dem Zeitpunkt ignorierte sie mich.
Meine Kleidung bestand aus Lumpen und Schuhe kannte ich nicht. Trauer durchzog mich, doch ich fühlte, dass etwas Großes auf mich wartete. Jede Nacht sehnte ich mich nach dem Mann, der mich in meiner Traumwelt besuchen kam. Seine Stimme erinnerte mich daran, dass ich nicht alleine war, sondern er mir beistand. Ihm ist es zu verdanken, dass ich nicht verzweifelte. In dieser Zeit wünschte ich mir sehnlichst, endlich alt genug zu sein, um ihn suchen zu können. Aber noch bin ich zu jung, nicht stark genug und muss noch einige Zeit hier ausharren.
Jahr für Jahr habe ich Mutter gefragt, wer mein Vater sei, ließ mich nicht beirren. Voller Wut verdunkelten sich ihre Augen. Zornig schnappte sie sich einen Stock, schlug nach mir, wenn ich ihr zu nahekam. »Er war so wunderschön wie ein Engel und doch hatte er den Teufel im Leib. Ohne Reue nahm er mir meine Unschuld und was bekam ich dafür? Dieser Bastard zog weiter und überließ mich meinem Schicksal. Dafür hasse ich euch beide!«, schrie sie voller Zorn. Sprachlos drehte ich mich herum. Was sollte ich dazu sagen? All das war nicht gerechtfertigt, dass sie mich so sehr hasste, dass sie mir den Tod wünschte.
Mit 10 Jahren warf Mutter mich aus dem Haus, sagte, ich sollte mich jetzt selbst versorgen. Geschockt blickte ich sie an. Kreischend schrie sie mich an, dass sie meinen Anblick nicht länger ertrug, und zeigte auf die Tür. Schnell packte ich meine Lumpen zusammen, schnappte mir den Strohsack und rannte aus dem Haus. In einer Scheune am Rand des Waldes hatte ich mir im Laufe der Zeit ein Versteck gebaut. Dorthin flüchtete ich und träumte von meinen Retter, erzählte ihm alles, was den Tag über passiert war. So verging die Zeit. Schnell wurde ich erwachsen. Alle im Dorf wussten um meine Herkunft. Daher beschimpften sie mich, wollten mich nicht in ihrer Mitte haben. Nie hatte ich ihnen etwas getan, geschweige mich ihnen aufgedrängt.
Ich ernährte mich von Blättern und Gemüse, stand kurz vor dem Verhungern. Von keiner Seite des Dorfes gab es Hilfe. Als Nahrung blieb mir nichts, so, dass ich den Schweinen die Abfälle klaute. Und dann geschah es, dass die Tiere im Wald mich besuchten und immer etwas zu Essen daließen. Artig bedankte ich mich und obwohl ich am liebsten fortgegangen wäre, konnte ich trotzdem nicht weg. Wo sollte ich auch sonst hin? Ich kannte ja nur das Stück Land, auf dem ich lebte.
Je älter ich wurde, desto schlimmer entwickelte sich das Leben im Dorf. Sobald man mich sah, verstummten alle Gespräche. Wenn sie mich nicht bemerkten, flüsterten sie hinter vorgehaltener Hand. So erfuhr ich, dass sich eine düstere Geschichte um meine Geburt rankte.
»Jedes Jahr am Tag meiner Geburt, um die gleiche Uhrzeit, tobt ein Unwetter, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Donnerschläge hallen dann über das Dorf. Blitze erhellen den Himmel über das Haus dieser Hure und schlagen dann krachend in die Erde daneben ein. Voller Wut steht sie dann im Wind und schreit jedes Mal ihren Zorn hinaus!«, erzählten sie sich untereinander.
»Wer sich mit dem Teufel im Bett vergnügt, der ist an seinem Elend selber schuld. Sie kann froh sein, dass wir sie nicht als Hexe verurteilt haben und sie im Wald wohnen lassen!«
Jeder hatte einen Namen, ich nicht. Weil ich es leid war, dass sie mich alle nur Bastard nannten, überlegte ich mir einen, der zu mir passen würde. Mutter belächelte dies und flüsterte heiser: »Du brauchst keinen Namen, weil du der Sohn des Teufels in Gestalt eines Engels bist!«
Eines Nachts höre ich, wie jemand in mein Ohr flüstert: »Julian Luzifer Ward. Dein Name ist Julian!« Mit einem Ruck wachte ich auf. Immer noch hallte der Name in meinen Gedanken nach. Wenn man mich schon mit dem Teufel in Verbindung brachte, dann trug ich eben voller Stolz seinen Namen. Ich bin kein Niemand, sondern Julian Luzifer Ward.
Mit 12 Jahren habe ich mich in die Kirche geschlichen, weil die Kinder hinter mir her waren. Dort traf ich den Lehrer des Dorfes. Scheu bin ich auf ihn zugegangen und habe behutsam gefragt, ob er mir sagen könnte, was die Namen bedeuteten. Er sah mich an, fragte, wo ich den Namen herhätte? »Ich habe davon geträumt und jemand flüsterte sie mir ins Ohr!«
Er erkannte, dass ich ein wissbegieriges Kind war. Lächelnd gab er mir die Hand und fragte, ob ich lernen möchte, wie man schreibt, damit ich lesen könnte, was die Schriften bedeuten. Voller Freude sagte ich zu und bin jeden Tag zu ihm geschlichen. Vier Jahre lernte ich fleißig und konnte schon nach kurzer Zeit meinen Namen schreiben. Sogar die Zahlen waren kein Problem. Ich saugte das Wissen auf wie ein Schwamm. Leider verstarb mein Lehrer viel zu früh und mühsam brachte ich mir danach alles selber bei.
Jedes Buch, dessen ich habhaft wurde, schnappte ich mir, wollte endlich wissen, was Julian und Luzifer zu bedeuten hätten. Immer wenn ich aufgeben wollte, kam mich mein Retter im Schlaf besuchen. Er bestärkte mich, wollte, dass ich nicht aufgab. Voller Eifer lernte ich weiter. Erneut schlich ich zur Kirche, suchte und fand dort ein Buch über die Engel Gottes. Erstaunt las ich, dass Luzifer oder auch Satan genannt, eigentlich nur bei uns Menschen so heißen würde.
Der schwarze Engel wird in der römischen Mythologie als eine Bezeichnung für den Morgenstern, auch Venus benannt. Im Land der griechischen Antike hieß er Lichtträger. Julian dagegen ist ein königlicher, göttlicher Name. Göttlich und teuflisch. Zwei Geschlechter, die, seit ich geboren wurde, gegeneinander kämpften. Irgendwann, das spürte ich tief in mir, würde ich das Dorf verlassen und mir meinen eigenen Weg in die Welt dahinter suchen. Dann würde mein Leben anfangen.
Die Nacht meiner Geburt brach heran und wie jedes Jahr zu dieser Zeit entfesselte der Wind seine Macht. Donner grollte durch die Luft, überzog das Dorf. Blitze erhellten den Himmel, um meinen Geburtstag zu verkünden. 16 Jahre war es nun her, seit ich in diesen mystischen Sturm hinein geboren wurde. Immer noch versteckten die Bewohner sich und ich, ich stand mitten im Wind, ließ mich von ihm tröstend in den Arm nehmen.
Meine Teenagerzeit verlief genauso wie all die anderen Jahre. Ich war und werde immer ein Aussätziger sein zwischen all den Bewohnern des Dorfes. Trotzdem schaffte ich es nicht, meine Sachen zu packen und ab in die große, weite Welt zu verschwinden. Sobald ich auftauchte, wurde ich von allen Bewohnern beschimpft, bespuckt. Ab und zu verschwanden ein paar Menschen. Erstaunt hörte ich, dass es immer diejenigen betraf, die mich demütigten. Das schürte ihren Unmut, ihren Hass auf mich. Ob ein Schwein verendete, ein Mensch krank wurde, immer war ich der Schuldige.
Um nicht zu verhungern, entwickelte ich mich zu einem hervorragenden Jäger. Statt mit meiner Mutter teilte ich mein Essen mit den Tieren, die mich in jungen Jahren vor dem Hungertod gerettet hatten. Mutter wollte mich nicht um sich haben und ich respektierte das. Zwar war ich viel zu dünn für meine Größe, aber ich überragte die meisten hier. Und das flößte ihnen noch mehr Angst ein. Erneut verging ein Jahr und ich entwickelte mich zu einem großen Mann. Schnell erkannte ich, dass ich anders war als die Jungen im Dorf. Ich mag Frauen, aber bei den Männern schlug mein Herz schneller. Das verwirrte mich sehr. Ich bemühte mich, es zu unterdrücken, fühlte mich schlecht, versteckte diese unbekannten Gelüste.
Auch in dieser Zeit kam mich mein Freund im Schlaf besuchen. Er war die einzige feste Wurzel in meinem Leben. Plötzlich veränderte sich mein Traum. Statt seine Stimme zu hören, sah ich meinen Traummann nun. Er hatte schneeweißes, langes Haar, das von zwei schwarzen Strähnen unterbrochen wurde. Dunkelblaue Augen, die sich langsam rötlich färbten, wenn er mich liebevoll ansah. Eine schmale Hand, die im Traum über mein Gesicht strich und mir die Tränen behutsam wegwischte. »Komm zu mir, Geliebter. Ich warte auf dich!«
Er rief mich und immer, wenn ich ihn hörte, klopfte mein Herz wie verrückt und mein Schwanz versteifte sich. Wenn ich voller Verlangen nach ihm greifen wollte, verschwand er, als ob er nie da gewesen wäre. Das ließ mich verzweifeln und wenn es zu schlimm wurde, rollte ich mich im Heu zusammen, weinte und rief ihn zu mir. Wenn er dann auftauchte, fiel alles Leid von mir ab, sobald er meinen Namen raunte.
Mit sechs Jahren war er mein Freund, stand mir zur Seite und half mir, mit meinem Leben fertig zu werden. Mit 12 schwärmte ich für ihn. Aber mit 16 schlug mein Herz schneller, sobald er auftauchte. Und dann verschwand er eines Nachts spurlos. Egal wie oft ich ihn im Traum rief, er kam nicht wieder. Irgendwo dort in der Fremde lebte er, wartet auf mich. Der Wunsch, ihn kennenzulernen, ließ mich hoffen, dass ich jemanden finden würde, der mich so liebte, wie ich war. Aber ich wusste, nein, ich fühlte, dass die Zeit ihn zu suchen, immer näher rückte.
Mit dem Wissen, dass dort ein Mann war, der mir gehörte, konnte ich das Leben im Dorf ab diesem Zeitpunkt besser ertragen. Mutter starb genau an dem Tag, an dem ich 18 wurde. Donner grollte, Blitze erhellten den Himmel und die Erde bebte, als sie ihren letzten Atemzug machte. Ich vergoss keine einzige Träne, sondern spürte Erleichterung. Obwohl sie mich nie geliebt hatte, ging ich zu ihrer Beerdigung. Ich musste mich vergewissern, dass sie wirklich nicht mehr wiederkommt. Still und heimlich hatte ich gebetet, dass sie in der Hölle schmoren würde, für all das, was sie mir angetan hatte. Machte mich das zu einem schlechten Menschen?
Der Weg zum Grab wurde zu einem Spießrutenlauf. Warum bloß bin ich nicht weggeblieben? Sie hat mich nie akzeptiert. Besser wäre es gewesen, meine Sachen zu bündeln und das Dorf schnell zu verlassen. Was hielt mich denn noch hier? Menschen bespuckten mich und der Ruf, ich hätte sie ermordet, wurde immer lauter. Ich spürte, wie mein Herz ängstlich in der Brust pochte. Wie kamen sie darauf? Zum ersten Mal überkam mich eine mörderische Wut auf alle, die mich hier anklagten.
Wütend zeigte ich mit dem Finger auf sie.
»Ihr alle wart nicht besser als sie. Ihr habt zugesehen, wie ich gelitten habe. Keiner von euch hat mir geholfen, mir zu essen gegeben. Nein, ihr habt mich geschlagen, bespuckt und verflucht«, schrie ich ihnen entgegen. Erschrocken sah ich, wie meine Fingerspitzen erglühten. Schnell versteckte ich die Hände hinter meinen Rücken. Sogar dieser Priester Burkhard Bellgard, der in unserem Dorf die Kirche leitete, hatte es auf mich abgesehen. Wann immer er mich sah, zeigte er auf mich.
»Teufelskind!«, rief er mir nach und wollte mir die Dämonen austreiben, die nur er sah. Erst viel später erfuhr ich, dass dies Mutters Ehemann war. Er war derjenige gewesen, der sie verbannt hatte, als er erfuhr, dass sie ihn betrogen hatte. »Du bist Satans Nachkomme. Gezeugt mit dem verkommenden Leib einer Hure!«, schrie er mir zu. Das Dorf ließ sich von ihm aufstacheln, bewarf mich mit Steinen.
Trotzdem setzte ich meinen Weg zum Friedhof fort. Ich musste mit eigenen Augen sehen, dass sie tief in der dunklen Erde versenkt wurde und nicht wieder kommen konnte, um mich weiter zu quälen. Kaum war der Sarg mit Erde bedeckt, jagten sie mich wie ein tollwütiges Tier durch die Straßen. Sie trieben mich in die Enge, schlugen auf mich ein und warfen eine Decke über mich. Danach fesselten sie meine Handgelenke, damit ich keine Gegenwehr mehr leisten konnte. Sogar die Verwandtschaft stand am Rande des Weges, bespuckte mich, als ich an ihnen vorbeigeführt wurde wie ein Schwerverbrecher.
In der Kirche wurde ich mit Seilen an einen Pfeiler gebunden. Ich war nie gläubig, dachte, welcher Gott lässt bloß zu, dass ein unschuldiges Kind so gequält wurde? Von dem Zeitpunkt an hatte ich nicht mehr zu ihm gebetet.
»Gestehe und der Tod wird dich mit offenen Armen begrüßen!«
Was sollte ich gestehen?
»In deinem Leib wohnt ein Dämon!«, brüllte der Priester wie irre und die Menschen glaubten ihm zu gern. Er spuckte mich an, donnerte mit lauter Stimme, dass ich abartig wäre, den Jungs hinterher starren würde. Das ist für alle hier im Dorf eine angebliche Todsünde, die mir nun zur Last gelegt wurde. Dabei warteten sie darauf, mich zu töten! Das der Priester seine Frau verstoßen hatte und mich für ihr Elend verantwortlich machte, konnte ich nicht verstehen. Nicht ich hatte meine Ehefrau in einer Hütte versteckt, schwanger und aus dem Dorfleben verstoßen, sondern der Geistliche selbst war es gewesen. Ich war der Einzige, der unschuldig an diesem Schlamassel war.
»Mit deinem perversen Verlangen steckst du die jungen Männer an. Das werde ich nicht zulassen und es dir austreiben!« Er stellte sich vor mich, hielt einen Stock in seinen Händen. Voller Zorn schlug er ohne Gnade zu. Als die ersten Schläge auf mich einprasselten, wurde es in meinem Inneren ungewöhnlich still. Ein heißer Schmerz durchfuhr meinen Rücken, als die Haut zwischen meinen Schultern zu brennen begann. Wie von Sinnen schrie ich auf, als sie aufriss. Der Schmerz war unbeschreiblich. Was danach geschah, nahm ich noch verschwommen wahr.
Wie lange ich ohnmächtig war, weiß ich nicht. Langsam klärte sich mein Verstand. Ich erwachte, schaute mich um und erkannte, dass ich nicht mehr in der Kirche war. Mein Körper schmerzte, als ich mich aufsetzte. Obwohl der Priester mich blutig schlug, war keine einzige Wunde zu erkennen. Ich tastete meinen Körper ab, konnte nichts spüren, außer glatter Haut. Ungläubig hob ich mein Hemd hoch und starrte auf meinen Bauch hinab.
Ob ich mir dies alles eingebildet hatte? Orientierungslos betrachtete ich die Gegend, stellte fest, dass ich unweit meines Dorfes erwacht war. Schnuppernd hielt ich mein Gesicht in den Wind. Verwirrt sah ich in der Ferne ein großes Feuer wüten. Argwöhnisch ging ich darauf zu, erfasste, dass dort unten das Dorf lichterloh brannte. Völlig geschockt hielt ich vor der Feuerwand an, spürte, wie warm sie war. Fasziniert streckte ich die Hand aus. Erschrocken betrachtete ich, wie sich mir die flackernden Zungen entgegenstreckten. Die heißen Flammen wichen etwas zurück, um dann nach vorne zu züngeln, bis sie sich um meine Finger wickelten. Sie liebkosten mich und verschwanden in meiner Haut. Dort wärmten sie mich von innen heraus, bis das Feuer langsam verlosch. Tief atmete ich ein und eine himmlische Ruhe breitete sich in mir aus.
Voller Feindschaft kamen ein paar Überlebende des Dorfes auf mich zu. In ihren Händen hielten sie Holzknüppel. Hasserfüllt schrien sie meinen Namen. Erschrocken streckte ich die Hand aus, wollte, dass sie stehen blieben, mich in Ruhe ließen. Die gerade zurückgezogenen Flammen loderten aus meinen Fingerspitzen rot auf. Sie glühten und bevor ich es begriff, wehte der Wind sie auf die Menschen zu. In Sekundenschnelle stand ihre Kleidung in Brand. Schreiend wälzten sie sich auf den Boden. Panisch flüchtete ich, so schnell ich konnte.
Ob ich das Dorf niedergebrannt hatte, als diese höllischen Schmerzen mir meinen Verstand raubten? Ich wusste es nicht. Schließlich kamen die Flammen, Feuerstürmen gleich, aus meinen Fingerspitzen, um die Meute niederzubrennen, die mich lynchen wollten. So, als ob das Feuer lebendig wäre, mich beschützen wollte.
Drei Jahre wanderte ich durch die Welt, nahm jeden Job an, den ich fand. Für eine kurze Zeit verweilte ich am gleichen Ort. Schließlich lande ich in einer riesigen Stadt, die man auch Stadt der Engel nannte. Hier fühlte ich zum ersten Mal, dass ich ruhiger wurde. Wie die Last von meinen Schultern fiel. Die Suche nach einer Arbeit war leichter, als ich dachte. Bald durfte ich auch ein kleines Appartement mein Eigen nennen. Ich war zufrieden. Zwar bestand mein Leben aus harter Arbeit, dafür lebte ich aber ohne Angst. Ich vermisste mein altes Leben keine einzige Sekunde. Eines setzte mir jedoch zu – meine Träume, die mir so oft Mut gaben und nie wieder kamen. Die Angst, den Mann zu vergessen, ließ mich jede Nacht hoffen, dass er mich im Schlaf besuchen käme. Voller Sehnsucht wartete ich, doch er war wie ein Windhauch, der an einen vorüberzog und dann verschwand. Hoffnungslos gab ich irgendwann auf und er verwandelte sich zu einer Traumgestalt, die mich so lange beschützte, wie ich ihn brauchte.
Endlich sah ich ein, dass er kein Teil meines Lebens mehr darstellte.
In den letzten Monaten traf ich mich oft mit Jungs, die genauso waren wie ich. Wir suchten uns Männer, die uns für ein paar Minuten verehrten. All das, damit ich fühlen konnte, dass ich lebte, um danach wieder alleine in meinem Bett zu liegen. Zu spüren, wie mich die Einsamkeit, die Sehnsucht nach einem Partner verzweifeln ließen.
Das Einzige, worauf ich immer achtete, war, dass ich mich zusammenriss, wenn Wut oder Zorn durch meinen Körper rasten. Jedes Mal, wenn mich jemand als schwule Sau oder Schwuchtel beschimpfte, meinte, er könnte mich schlagen, passierte Schlimmes. Dinge geschahen, die ich nicht unter Kontrolle hatte.
Meist endete es damit, dass ich tagelang unter Krämpfen litt, mein Körper protestierte. Nie wusste ich, was geschehen war, wenn ich wieder klar denken konnte. Am anderen Tag durchforschte ich sorgenvoll sämtliche Zeitungen, wollte wissen, ob irgendwo ein Feuer gewütet hatte. Meine Erleichterung war immens groß, wenn ich nichts in den Nachrichten fand oder im Fernsehen sah. Ich wollte nicht mehr schuld am Tod eines Menschen sein!
Heute
Schweißgebadet wache ich mit einem lauten Schrei auf. Ab und zu, wenn ich schlafe, bin ich in meiner Vergangenheit gefangen und erlebe alles noch einmal. Tief atme ich ein, versuche, mein Herz zu beruhigen, dass wie wild in der Brust schlägt. Ich streiche mit der Hand darüber und habe das Gefühl, dass dort eine Leere ist, die ich nicht benennen kann. Dabei habe ich in einem Gay-Club einen Mann kennengelernt. Wir verstehen uns gut und sind nun seit zwei Jahren zusammen. Trotzdem ist da etwas, was mir fehlt. Ich weiß nicht was. Liebe ich ihn? Doch was ist Liebe? Ein paar Wochen später bin ich bei ihm eingezogen. Ob das zu früh war? Es geht mir gut, aber da ist so ein Gefühl, dass ich nicht in die Welt der Menschen passe. Ich fühle, das ist nicht das Leben, was mir vorherbestimmt ist.
Als ich heute früher von der Arbeit nach Hause komme, um meinen Freund zu überraschen, finde ich ihn zusammen mit einem fremden Kerl in unserem Bett. Innerhalb weniger Sekunden bricht mein Leben zusammen. Erstarrt stehe ich an der Tür, kann es nicht glauben. Wie kann er mir dies antun? Alleine, wie sie sich durch die Laken wälzen, ihre erregten Laute, versetzen mir einen Stich. Bin ich so langweilig, dass er sich bei einem anderen das holt, was er braucht? Obwohl ich seit ein paar Sekunden im Schlafzimmer stehe, bemerken sie mich nicht einmal.
Fest presse ich die Lider zusammen, als heiße Luft mich umweht. Brennender Zorn fließt durch meinen Körper. Ein erstickter Ausruf lässt mich herumfahren. Mit weit aufgerissenen Augen starrt mich mein Freund an. Der Wind legt sich abrupt, als ich den entsetzten Blick sehe. Um meiner tödlichen Veranlagung aus dem Weg zu gehen, flüchte ich aus der Wohnung, bevor ich das Zimmer vor Wut in Brand setze. Panisch blicke ich auf meine rotglühenden Fingerspitzen. Mit einem Laut der Verzweiflung hebe ich das Gesicht, will dieses Feuer, das vehement in mir nach oben drängt, dämmen. Doch Wut und Zorn kämpfen gegen Barmherzigkeit und Gnade. Ich laufe, so schnell ich kann, durch die Straßen. Keuchend halte ich weit weg von der Stadt in einem Steinbruch inne, lasse das Feuer mit einem erleichterten Schrei aus mir herausfließen. Hier kann ich wenigstens keinen Schaden anrichten.
Als die Flammen verlöschen, glüht der Steinberg vor mir sanft auf. Immer noch höre ich das Gestöhne, die tiefen Laute der Lust, die beide Männer in ihrer Leidenschaft ausstießen. Wie die Tiere haben sie sich im Bett herumgewälzt. Tödlicher Zorn aber auch eine schmerzliche Verzweiflung wallen in mir auf. Hatte meine Mutter recht, dass keiner mich liebt, weil in mir der Teufel wütet?
Erschöpft lasse ich mich fallen, spüre Tränen über meine Wangen rollen und kauere mich auf dem Boden zusammen.
»Ich will ein wenig ausruhen, bevor ich mich auf den Weg mache und mir eine neue Bleibe suche«, flüstere ich leise in das Rauschen der Blätter. Ohne, dass ich es steuern kann, falle ich in einen tiefen Schlaf, spüre, wie der warme Wind über mich hinwegfegt, mich dabei umarmt und auf mich aufpasst.
Seit ich denken kann, träume ich von Feuer, Rauch, Blut und Tod. Mit jedem Jahr, das vergeht, werden meine Albträume schlimmer. Ich erlebe den Untergang der Welt jede verdammte Nacht. Dabei stehe ich mitten in einer Feuersbrunst, die alles vernichtet, was sich ihr in den Weg stellt. Irgendwann verändert sich der Traum. Mal ist es ein Feuer, das die Erde überzieht, mal eine Bestie, die jeden dahin metzelt. Das Erschreckende daran ist, dass ich derjenige bin, der dies alles verursachen wird.
Und … plötzlich ist er wieder da, taucht zum ersten Mal seit Jahren in meinen Träumen auf, ruft leise meinen Namen. Im ersten Moment denke ich, dass es nicht real ist, bis er erneut meinen Namen flüstert. Mein Herz setzt einen Takt aus, um dann umso schneller weiter zu schlagen. Freudig begrüße ich ihn wie einen uralten Freund, nehme erstaunt wahr, wie mein Leid abnimmt, weil er da ist. Er nimmt mich in seine Arme, wispert mir leise zu, dass er auf mich wartet, ich mich auf den Weg machen muss. Es fühlt sich intensiver an, als ob er in meiner Nähe ist. Als ich erwache, schwöre ich mir, dass ich ab heute mein Leben in die eigenen Hände nehme und meinen Traummann suchen werde.
Langsam mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich bin immer noch wütend, dass ich meinem Freund vertraut habe. In meinen Schultern entsteht ein schmerzhaftes Ziehen. Es brennt, als ob sich etwas durch meinen Körper bohren würde. Automatisch taste ich über das dünne Shirt, spüre dort eine längliche Vertiefung, die eben noch nicht da war. Sie brennt, ist druckempfindlich und jagt mir einen Schauer über die Haut. Ich springe auf. Blind vor Tränen und Schmerz renne ich in diese dunkle kleine Straße hinein, die sich gerade vor mir auftut. Irritiert bleibe ich nach ein paar Schritten stehen und frage mich, warum ich ausgerechnet hier gelandet bin. Leise höre ich ein Raunen in der Dunkelheit.
»Geh weiter. Mach nicht halt. Dort ist etwas, was dich schon eine Ewigkeit sehnsüchtig erwartet!«
Am liebsten würde ich umkehren, aber irgendetwas zieht mich magisch in diese vermeintlich unscheinbare Gasse hinein. Ich mache einen Schritt, noch einen und bemerke, wie etwas über meine verschwitzte Haut streicht. Eine weitere Bewegung nach vorn und die Dunkelheit verschlingt mich. Eine tiefe männliche Stimme fordert mich auf, weiterzugehen. Ich lausche, will ihr folgen. Aber da befindet sich nichts vor mir. Habe ich mir das alles bloß eingebildet? Nervös hole ich Luft, rieche dabei einen betörenden Duft, der mich von einer Sekunde auf die andere in ihren Bann zieht. »Geh weiter. Halt nicht inne!«, wispert mir die Stimme ins Ohr.
Blitzschnell drehe ich mich im Kreis, weil ich nicht weiß, woher die verführerische Stimme herkommt. Unerwartet spüre ich einen Hauch von Berührung auf meinem Gesicht. Seufzend genieße ich es mit geschlossenen Augen. Wie hypnotisiert folge ich den Worten, kann den Schmerz dahinter erkennen, spüre die Einsamkeit und einen starken Willen. Ohne mich gegen diesen Drang zu wehren, zieht es mich vorwärts. Im Stillen frage ich mich nach dem Sinn und ob es überhaupt diese von mir erhoffte einzig wahre Liebe gibt. Diesmal fühle ich unerwartet ein paar tröstende, streichelnde Hände auf meinem Körper. »Gib nicht auf. Er wartet sehnsuchtsvoll hinter der Tür und das schon seit Jahrhunderten. Du gehörst ihm und er dir. Seelengefährte!«, raunt mir die raue Stimme ins Ohr.
Hinten schimmert irgendetwas und ohne Angst gehe ich darauf zu. Nebelschwaden umfangen mich, wabern um meine Beine, fahren liebkosend über die heiße Haut und kühlen sie. Ich hebe den Blick, sehe, wie aus dem Nebel ein Gebäude vor mir auftaucht. Es ist beleuchtet und leise Musik ist zu hören. Es scheint ein Club zu sein.
Das Schild über einer schweren Holztür, das mit »The Devil’s Corner« beschriftet ist, gibt seinen Namen preis. Wie hypnotisiert werde ich zum Torbogen gezogen, ohne dass ich es verhindern kann. Von außen sieht das Etablissement nicht vertrauenerweckend aus. Trotzdem wage ich mich hindurch, hinein in das schwarze Nichts, als es sich vor mir öffnet. Wieder ist da diese Stimme, die mir befiehlt, einzutreten.
Wie hypnotisiert gehe ich weiter. Innerlich spüre ich, wie sich das Feuer in mir ausbreitet, ausbrechen will, um sich dem Wispern zu ergeben. Wenn ich es nicht schaffe, mein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen, kann ich für nichts garantieren. Dann wäre es am besten, ich suche mir einen Platz, wo kein Mensch verletzt werden kann. Es fällt mir schwer, meine tödliche Kraft zu unterdrücken. Tief atme ich ein paarmal ein, schließe die Augen, und gehe in mich. Mit aller Macht suche ich diesen einen Punk in mir, der mir den Mut gibt, mein Feuer zu kontrollieren. Nach ein paar Augenblicken habe ich es geschafft. Ich öffne meine Augen, sehe den Pfad vor mir und trete argwöhnisch hindurch ins vermeintliche Nichts.
Mir ist schlecht, schwindelig. Erneut spüre ich, wie sich etwas durch meinen Leib schlängelt. Voller Entsetzen bemerke ich, wie meine Fingerspitzen zu kribbeln anfangen, ich langsam den Kampf gegen das Brennen verliere. Es wäre leicht, dem nachzugeben und diese Welt für immer zu verlassen. Ehe ich kapituliere, erscheint eine weitere Tür. Sanft streichelt etwas über meine Wangen. »Komm näher mein Gefährte. Ich erwarte dich. Hab keine Angst!«, wispert dieser tiefe Bass mir zu. Ich lasse es geschehen, lehne mich sogar der Hand entgegen.
Tief atme ich ein, will die Tür gerade aufstoßen, als sie sich alleine mit einem leisen Knarren öffnet so, als ob sie auf mich gewartet hat. Mit klopfendem Herzen trete ich ein, als sie sich leise wieder hinter mir schließt. Erstaunt schaue ich mich um. Bänke stehen auf einen grünen Rasen und überall sind kleine Lampen verteilt, die ein sanftes Licht abgeben. Stampfende Beats dringen an mein Ohr. Wie von einer unsichtbaren Schnur werde ich nach vorne gezogen, bis ich an der Eingangstür des Clubs stehe. Mit zittrigen Fingern will ich die Klinke herunterdrücken, als auch sie sich von allein öffnet. Als ich durchgehe, fällt sie mit einem satten dumpfen Laut hinter mir ins Schloss. Erschrocken fahre ich herum.
Ein Riese von einem Mann steht hinter dem Tresen, nimmt meine Jacke entgegen und zeigt ohne ein Wort auf einen schwarzen Vorhang. Mit offenem Mund starre ich ihn an. Will er kein Eintrittsgeld? Er scheint auch kein bisschen erstaunt, dass ich vor ihm stehe. Im ersten Moment will ich flüchten, doch er zieht das dunkle Tuch zur Seite, sodass ich durchgehen kann.
Die Musik wird lauter, je tiefer ich in den Raum hineingehe. Sie dröhnt in meinen Ohren und als Erstes erblicke ich Männer. Sie sehen ungezähmt und riesig aus, stehen vor einer Treppe, die nach unten zur Tanzfläche führt. Wie einen Leckerbissen beäugen sie mich, weichen zur Seite aus und lassen mich durch. Zaghaft bewege ich mich hinunter. Geblendet vom Discolicht, bleibe ich am unteren Treppenabsatz stehen. Überall tummeln sich Männer und Frauen. Der Club scheint gut besucht, und die laute Musik fährt mir direkt in die Beine. Sie stachelt die tanzende Meute vor mir an, sich wild dem Rhythmus zu ergeben.
Neugierig mache ich einen Schritt nach vorn, höre den Beat, fühle den Bass, der sich durch meinen Körper schlängelt. Automatisch wiege ich mich im Takt der Musik. Tief atme ich ein und spüre voller Dankbarkeit, wie sich eine himmlische Ruhe in meinem Inneren ausbreitet.
Endlich angekommen!
Ein überwältigendes Gefühl. Meine verwundete Seele gibt hier inmitten des Clubs endlich Ruhe. Ich vergesse den Kummer, der schon den ganzen Abend in mir wütet. Ich tauche in eine Welt, die mir für eine kurze Zeit etwas Frieden schenkt. Das heiße Glühen in meinem Inneren lässt nach, flackert noch ab und zu schwach auf. Aufatmend bewege ich meine Fingerspitzen, bemerke, dass sie wieder normal aussehen. Ich tanze sinnlicher, wiege mich sachte hin und her. Der Beat wird schneller und Schweiß perlt über meinen Rücken. Keuchend hole ich Luft und inhaliere dabei einen wunderbaren Duft. Abrupt reiße ich die Augen auf, beobachte alles, was sich um mich herumbewegt. Eine Gänsehaut macht sich auf meinem Körper breit. Das Herz klopft schneller und die Haare in meinem Nacken stellen sich auf. Die Stimme spricht erneut zu mir, will, dass ich zu ihm komme. Ich fühle mich beobachtet und spüre, wie gierige Augen mich abtasten. Sogar die Männer um mich herum werden immer aufgeregter. Ich ignoriere sie, hebe mein Gesicht und erstarre.
Die Augen weit aufgerissen, schaue ich in ein Gesicht, dass ich unter Tausenden wiedererkennen würde.
Der Mann aus meinen Träumen. Kian!
Es gibt ihn wirklich!
Wie eingefroren verharre ich auf der Stelle. Männer stoßen gegen mich, und ich stolpere gegen ihre Leiber. Nervös lecke ich mit der Zunge über meine trockenen Lippen und zucke erschrocken zusammen, als mir jemand unerwartet in den Hintern kneift. Benommen weiche ich einen Schritt zurück. Fremde Hände streicheln über meinen Rücken und kalte Finger gleiten besitzergreifend über meine Haut.
Ein leises Raunen setzt ein.
Ein fremder Kerl tanzt auf mich zu, beugt den Kopf, schnuppert und knurrt mir zu, dass ich ihm gehöre.
Erbost schubse ich ihn von mir weg, weiche weiter in den Raum zurück. Seine Pupillen werden rot und füllen das Auge aus. Erschrocken starre ich ihn an. Er ist riesig, besteht nur aus harten Muskeln. Nein, das war keine gute Idee, hier einzukehren und mich etwas zu entspannen. Behutsam, um den Mann nicht noch mehr aufzustacheln, versuche ich, zum Ausgang zu kommen. Mein Blick gleitet nach oben, wo er steht. Der Mann aus meinen Träumen. Mein Herz klopft wie verrückt, und das Blut rauscht durch meine Adern.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, wehre ich fremde Hände ab. Allein sein Anblick reicht aus, um mich in Erregung zu versetzen. Er hat mir geholfen, war immer da, wenn ich ihn brauchte. Jetzt wäre es besser, den Club zu verlassen. Ich werde an einem anderen Tag wiederkommen, um mit dem Mann zu reden.
Kapitel 2
Kian Bersy-Vieru
Heute ist wieder so ein verdammt langweiliger Abend. Genau wie die Tausend Nächte zuvor in meinem Leben. Ich schließe die Augen, atme tief ein, ehe mich eine allumfassende Verzweiflung packt. Wie viele Jahre soll das noch so weitergehen? Ewiges Leben ist nicht immer ein Abenteuer, sondern kann ganz schön langweilig sein. Voller Frust, dass ich nach all den Jahren immer noch alleine bin, stehe ich auf der Empore des Clubs und beobachte aufmerksam das Geschehen unten auf der Tanzfläche. Glücklicherweise benimmt sich keiner meiner Gäste daneben. Ich kann nichts Auffälliges feststellen, als ich den Blick durch den Club schweifen lasse. Hoffnung erwacht, dass es heute ruhig bleibt und ich nicht dazwischen gehen und Streithähne trennen muss. Schließlich gehört mir der Club »The Devils Corner.«
Es ist ein besonderer Club. Seit Hunderten von Jahren bin ich für diesen Ort verantwortlich und werde dabei von meinem Onkel Nikolai unterstützt. Ihn habe ich als Manager eingestellt und wir teilen uns die Bürde. Schließlich sollen sich hier jene wohl und sicher fühlen, die nicht in das Leben der Normalsterblichen hineinpassen. Deshalb können diejenigen die Tür sehen, in deren Adern kein menschliches Blut fließt. Wer der strengen Anforderung der Schutzrunen entspricht, kann sie öffnen.
Magie ist hier das Zauberwort!
Sie wabert um das Gebäude herum und verjagt alles, was nicht zu uns gehört.
Wir? Wir sind Wesen, von denen die Menschheit nichts ahnt. Wenn sie wüsste, dass es uns gibt, würde der Normalo, wie wir ihn nennen, Albträume bekommen und uns jagen. Das wäre der Untergang der Menschheit und nicht unserer. Wir sind wehrhaft, sollte man uns angreifen. Brutal und blutrünstig verteidigen wir unser Dasein, und geben nicht eher Ruhe, bis wir den Feind vernichtet haben. Wenn Menschen in der Nähe unseres Clubs stehen bleiben und sich umschauen, sehen sie ein kleines verwildertes Waldstück. Es strahlt eine unheimliche, dunkle Gefährlichkeit aus, die bei ihnen Gänsehaut und eine böse Vorahnung auslöst. Daher beeilen sie sich oder machen schon zu Beginn einen großen Bogen um dieses Stück Land.
Magie verschleiert die Straße sowie das Grundstück, auf dem mein Club steht. Keiner, der reines menschliches Blut in sich trägt, ist hier erwünscht. Er begreift nicht, was sich hinter der Illusion verbirgt, und würde dem Wahnsinn verfallen. Wer glaubt schon an Mythen aus einer anderen Welt?
The Devil’s Corner, ist ein Club für alle paranormalen Wesen. Egal ob es Vampire, Dämonen, Werwölfe, diverse Katzenarten, Kobolde und Feen sind. Alles was nicht in die irdische Welt hineingehört, hat hier einen Ort zum Feiern. Sie tarnen sich, damit sie nicht gesehen, gefangen und studiert werden können. Was der Mensch nicht versteht, will er töten und wenn er sich bedroht fühlt, es vernichten. Sie können nicht akzeptieren, dass es andere Geschöpfe neben ihnen gibt. Also lassen wir sie unwissend und schaffen uns unsere eigene, kleine, heile Welt.
Wo sollen sich die Dämonen, Vampire und all die anderen mystischen Wesen sonst austoben? Etwa in einer normalen Disco? Nein, das wäre ein gefährlicher, riesengroßer, nicht gutzumachender Fehler.
Seitdem ich heute erwacht bin, fühle ich, dass etwas in der Luft liegt. So nervös wie ich im Moment bin, kann ich es nicht erfassen oder erkennen, ob es Gefahr für uns bedeutet. Und das macht mich unruhig und vorsichtig.
Meine Vorahnung wird im Laufe des Abends immer schlimmer und ich angespannter. Nun stehe ich hier, streiche fahrig meine langen Haare nach hinten, damit mir dort unten keine noch so kleine Bewegung entgeht. Mit zusammengekniffenen Augen lasse ich den Blick durch meinen Club schweifen. Es ist alles wie immer. Keiner der Streit sucht, alle tanzen, sind zufrieden. Tief inhaliere ich die Luft um mich herum. Dabei erkenne ich den Geruch nach Sex, Blut und …?
Verwundert halte ich inne, atme noch einmal tief ein und bemerke eine besondere Note, die sich auf meine Zunge legt. Zögerlich lecke ich mir über die Lippen. Schmecke ich da etwa Schokolade? Erneut atme ich tief durch. Nun kann ich es riechen. Dieser Geruch, der die Luft tränkt, dass sogar meine Haut danach riecht, ist tatsächlich so süß wie die Sünde und schwer wie ein guter Rotwein. Verlangend pocht das Blut durch meine Adern und meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Mein Körper ist in Alarmbereitschaft.
Ich beuge mich über das Geländer, kralle meine Finger in das Holz und höre, wie es knarrend protestiert. Unruhig stehe ich neben meinem Onkel, der mich erstaunt anblickt. Ich ignoriere ihn und lasse meine Blicke aufmerksam durch den Club schweifen. Nichts deutet auf Gefahr hin, dennoch läutet die Alarmglocke in meinen Kopf laut auf. Magisch werden meine Augen zur Eingangstür gezogen.
Gänsehaut überzieht meinen Körper. Mit beiden Händen wische ich über meine Arme. »Ist vielleicht ein neuer Wandler hier in mein Revier eingedrungen?«, frage ich meinen Onkel. Ratlos blicke ich Nikolai an, der mit dem Kopf schüttelt. »Nein, ich weiß von keinem neuen Wandler, der sich hier hin verirrt hat.« Wir sind eine eingeschworene Gesellschaft, wo jeder jeden kennt, und schon lange hat sich kein neues Gesicht mehr verirrt. Das heiße Prickeln in mir wird immer stärker. Mein Puls steigt und der Berserker in mir regt sich. Meine Finger verkrampfen und die Augen sind weit aufgerissen, als ich sehe, wie sich die Eingangstür in Zeitlupe öffnet. Ein bildschöner Mann erscheint, bleibt stehen und schaut sich ängstlich um. Nach Luft schnappend, starre ich wie gebannt hinunter. Ungläubig schließe ich die Lider, kann es nicht fassen.
Er ist es!
Der junge Mann, der sich all die einsamen Jahre in meine Träume geschlichen hat. Der mich zu sich rief, wenn er weinte, oder, wenn er sich nach jemand sehnte, mit dem er reden konnte. Jedes Mal habe ich durch seine Augen erfahren, wie er gequält wurde. Wie die Menschen ihn bespuckten, ohne dass ich ihm helfen konnte. Oft habe ich meine Machtlosigkeit verflucht. Dabei wäre ich lieber an seine Seite geeilt, um ihn vor allen Gefahren zu beschützen. So musste ich mit ansehen, was ihm angetan wurde. Mehr als einmal schwor ich Rache, versuchte herauszufinden, wo sich der Junge aufhielt. Er wurde älter und plötzlich war er verschwunden. Mit aller Macht habe ich mir jede Nacht gewünscht, ihn zu erreichen. Er blieb verschwunden und mit der Zeit akzeptierte ich dies, dachte, er wäre tot. Lange Zeit habe ich um ihn getrauert. Jeden verfluchten Tag fühlte ich seitdem eine schmerzliche Leere, die sich in diesem Moment als er durch die Tür kommt, in Luft auflöst. Mein kaltes Blut erhitzt sich und ich spüre eine Glut in mir, die mich zu verbrennen droht. Von der oberen Empore blicke ich hinunter, beobachte ihn, bemerke wie sich meine Fingernägel verlängern und in das Holz des Geländers eindringen. Mein Herz schlägt wie verrückt gegen meine Rippen und nur Nikolais Hand auf meinen Arm verhindert, dass ich nach unten eile, um ihn in die Arme zu schließen.
Er ist schlanker als ich, hat schwarze Haare, die fast schon bläulich im Licht des Clubs schimmern. An beiden Seiten seiner Schläfen werden sie von einer dicken, weißen Strähne durchbrochen. Alleine, dass ich als Vampir eine bessere Sicht habe, lässt mich erkennen, dass seine Augen wie zwei Sterne in der Dunkelheit aufleuchten. Wie mag die Farbe der Iris sein? So schwarz wie seine Haare oder so hell wie seine beiden Strähnen?
Und dann begreife ich, dass die Tür ihn anstandslos hineinließ. Wie konnte mir das entgegen?
Mir scheint, dass er nicht nur menschliches Blut in sich trägt. Erneut schnuppere ich, kann nicht feststellen, was er ist. Auf jeden Fall duftet er himmlisch und das meine ich wörtlich.
Jede Spezies hat ihren eigenen Geruch, der ihm sein Leben lang anhaftet. Bei diesem Mann dort unten nehme ich einen süßlichen Duft wahr, der mich an Schokolade erinnert. Was zur Hölle ist er?
Das Blut in meinen Adern fließt schneller und zum ersten Mal in meinem langen Leben, empfinde ich ein glühendes Verlangen. Erstaunt presse ich die Faust gegen meine Brust, spüre, wie hektisch das sonst so tote Herz gegen meine Handfläche schlägt. Die Fangzähne brechen durch den Kiefer und ein leises Fauchen entweicht meiner Kehle. Am liebsten würde ich mich direkt auf ihn stürzen.
Seit Jahrzehnten habe ich keinen mehr an mich herangelassen. Weder Mann noch Frau. Was bringt es mir, wenn ich keine Lust dabei empfinde? Und dann taucht er unerwartet in meinen Träumen auf und mein Körper spielt verrückt. Dabei wusste ich damals noch nicht, ob ich ihn jemals kennenlernen würde. Dass ich mich nach einem Mann verzehrte, den ich im Traum traf, hat mich entmutigt. Und nun? Nun steht er ein paar Meter leibhaftig vor mir. Der Berserker in meinem Inneren rührt sich, hebt sein Haupt. Er kratzt an meiner Haut, will hinaus, wissen, welcher Mann diesen zarten himmlischen Duft verströmt. Mit allerletzter Kraft hindere ich ihn daran, hervorzubrechen. Wütend darüber faucht er mir zu: Er ist es. Dort unten ist unser Gefährte. Tausend Jahre waren wir geduldig. Wir müssen ihn in Sicherheit bringen. In Gedanken verspreche ich ihm, dass er unseren Club nicht mehr verlassen wird, sollte er sich als unser Gefährte herausstellen.
In Ruhe betrachte ich den Mann, der verloren im Eingang steht. Als er die Haare aus seiner Stirn streicht und ich sein Gesicht besser erkenne, bin ich wie verzaubert. Sein Antlitz ist schmal, mit hohen Wangen, schwarzen Augenbrauen sowie langen dunklen Wimpern, die eine helle strahlende Iris umranden. Seine Lippen sind voll und sehr sinnlich. Weiße Zähne knabbern gerade verlegen an der Unterlippe, was mich aufkeuchen lässt. Er senkt die Lider, blickt sich um und steht unschlüssig vor der Tanzfläche. Die Finger hat er nervös in sein Hemd verkrallt. Noch nie hat sich ein so unschuldiges Wesen in meinen Club verirrt. Er ist ein Leuchtfeuer für all die Bestien, die hier verkehren. Ob ihm klar ist, dass er wie ein Opferlamm auf der Treppe steht?
Noch immer beobachte ich ihn, verfolge jede seiner Bewegungen. In Gedanken befehle ich, dass er zu mir kommen soll. Er zuckt zusammen, schaut sich ängstlich um. Ob er meine Gegenwart spürt? Ich versuche es noch einmal, konzentriere mich auf ihn und sehe, wie er sich anspannt. Er steigt die Treppe hinunter und schlängelt sich durch die tanzenden Männer. Ist er sich nicht gewahr, welche gefährliche Sinnlichkeit er ausstrahlt? Tief atme ich ein und schon wieder legt sich eine leichte Note von Schokolade sowie ein Hauch von Vanille um mich. Eine Süße explodiert auf meiner Zunge, wie ich sie noch nie geschmeckt habe. Wie kann das sein?
Mein Kopf ruckt herum. Ob? Nein, das kann nicht möglich sein. Völlig erschlagen von seinem Duft beobachte ich den Jungen in der Menge der tanzenden Männer. Verlangend spannt sich mein Körper an. Das Blut rauscht donnernd durch die Adern und mein Atem stockt erneut. Erregung breitet sich brennend aus und mein Schwanz versteift sich in der gleichen Sekunde. Ein bedrohliches, lautes Knurren verlässt meine Kehle, als sich ihm zwei Werwölfe nähern. Alles schaut erstaunt zu mir hoch, hört auf zu tanzen. Instinktiv schiebt sich mein Onkel Nikolai vor mich, sodass ich den Augenkontakt verliere.
»Kian?«, fragt er erstaunt.
Ich grolle ihn an, schiebe ihn weg, damit ich den Mann unten nicht aus dem Blick verliere. In meinen Träumen habe ich mit verfolgt, wie aus einem Kind ein stattlicher Mann wurde und auch, wie sie ihn quälten. Sein lauter Ruf voller Einsamkeit führte mich jede Nacht zu ihm. Je älter er wurde, desto mehr bildeten sich zwei weiße Strähnen an seinen Schläfen. Zeitgleich wuchsen in meinen weißen Haaren zwei schwarze Strähnen. Erstaunt nahm ich sie zur Kenntnis.
Auch fühlte ich seinen Schmerz, die grausame Einsamkeit, bis er plötzlich verschwand und eine schmerzliche Leere schlich sich in meine Seele. Lange habe ich gebraucht, um dies zu verarbeiten. Mit der Zeit wurde das Leid weniger, aber die Sehnsucht blieb. Es schien, dass er eine starke Mauer schützend um sich herum gebaut hat, die keiner durchdringen konnte, auch ich nicht. Das wird sich heute ändern, denn er ist zu mir in meinen Club gekommen. Er hat auf meinen Ruf reagiert und ich werde den Teufel tun, ihn gehen zu lassen. Es scheint, als ob all die Jahre eine Verbindung da war, die stärker als alles andere ist, und die Zeit überdauert hat.
»Kian, was ist? Kian! Du musst dich beherrschen. Deine Zähne!«, faucht Nikolai und stößt gegen meine Schulter.
»Was?« Benommen schüttele ich meinen Kopf. Stammelnd und hilfesuchend schaue ich ihn an. Panisch umklammere ich seine Arme, damit ich nicht taumele. Dieser Duft, der von dem Jungen nach oben weht, lässt mich so hart werden wie noch nie. Meine Reißzähne kribbeln, stoßen noch weiter aus meinen Gaumen hervor. Hungrig brüllt die Bestie in mir. Geh zu ihm, markiere ihn, ehe es andere tun. Dann schmeiß ihn über deine Schultern, damit jeder hier weiß, dass er zu uns gehört.
Mein Onkel lässt seinen Blick durch den Club schweifen und sucht die Quelle, die mich so in Bann hält. Es ist real, nein, er ist real. Ich kann ihn berühren, ohne dass er spurlos verschwinden wird. Dieser Junge hat sich zu einem fantastischen Mann entwickelt. Er war die ganze Zeit in meinen Träumen, und für mich bestimmt, direkt vor meiner Nase und ich habe es nicht erkannt. So viel kostbare Zeit wurde verschwendet. Ich hatte doch die Macht und das Geld, ihn zu suchen. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Welt auf den Kopf zu stellen, statt abzuwarten, ob er zu mir kommt.
Tief atme ich ein, kann trotz der großen Menge an Männern auf der Tanzfläche erneut seinen Geruch erhaschen. Wie erstarrt stehe ich auf der Empore. Langsam sickert das Unmögliche durch meinen Verstand. Erschrocken weiche ich einen Schritt nach hinten. Er gehört uns, tobt es tief in mir. Der Berserker kratzt von innen an meiner Haut, will hinaus zu unserem Seelengefährten.
Hilfesuchend wende ich mich an meinen Onkel.
»Nikolai? Wie du weißt, hat der Bund der Magier von Stelldart mir seit meiner Geburt prophezeit, dass es niemals eine Gefährtin geben wird. Egal, wie lange ich existieren würde. Sie haben mich aufgrund meiner Abstammung verflucht. Nie gäbe es die passende Frau. Ich wäre einer der wenigen Unsterblichen, der sich nie binden oder jemals vermehren werden, damit ich mein Erbe, den Berserker, nicht weitergebe. So haben sie es gesagt. Aber scheiße, was passiert da mit mir?«
Flehend betrachte ich meinen Onkel. Er sucht mein Opfer der Begierde, während die Gier in meinen Eingeweiden tobt. Es kostet mich alle Kraft, dem nicht nachzugeben. Noch nie hatte ich solche besitzergreifenden Gefühle wie gerade für ihn.
Einen Mann!
Keine Frau, ich werde nie eine Gefährtin haben.
Der Magier hatte recht!
Offenbar ist ein männlicher Gefährte vorbestimmt. Ich hätte es wissen müssen, ahnen können. Die Schicksale sind heimtückisch, lassen sich nicht in die Karten schauen.
Nach all den Jahren bin ich nun nicht mehr alleine. Tief in mir spüre ich, wie der Berserker schnurrt, sich dem Duft entgegenstreckt, sich darin wälzt.
Unser. Dieser Mann da unten ist unser Gefährte. Geh und markiere ihn, nimm sein Blut, damit sie alle wissen, dass er uns gehört. Jeder, der ihn danach anfasst, ist des Todes, verspricht er.
Ich verspreche es dir, schwöre ich ihm. Zögerlich beruhigt er sich und ich kann wieder freier atmen. Nie habe ich mich auf die Suche gemacht, um eine Gefährtin zu finden, weil keine vorhergesehen war. Das größte Glück eines Unsterblichen ist, einen Partner zu finden, der zu seiner Seele passt. Ich jedoch, wurde schon von Geburt an dazu verdammt, allein zu bleiben. So prophezeite es der Magier Stelldart und eine verdammt mächtige Hexe. Das alles, weil ich das Resultat einer verbotenen Liebe bin, die es nie hätte geben dürfen. Eine Vampirin, die sich mit einem Berserker verband. Zwei, die sich so sehr lieben, dass sie jede Hürde in ihrem Leben bekämpften. Nie aufgaben.
»Gefährte, Kian! Keine Frau, sondern ein Mann. Wenn der Magier Stelldart das erfährt, wird er sich direkt aufmachen und versuchen, ihn dir wegzunehmen. Wir sind gerüstet und werden jeden, der dies versucht, mit dem Tode bestrafen. Dein Gefährte hat sich jahrelang in deinen Träumen versteckt, bis er alt genug war, um zu überleben und zu dir zu kommen.
Stell dir vor, Stelldart hätte das vor Jahren gewusst. Was denkst du, wäre geschehen? Ohne zu zögern, hätte er dieses unschuldige Kind ermordet. Nun ist dein Gefährte hier und du kannst ihn für dich beanspruchen. Bloß gut, dass dieser Hexer nie in Betracht gezogen hat, dass du auch auf Männer stehen könntest. Er und seine Anhänger wären gegen jeden potenziellen Mann vorgegangen. Du weißt genau wie ich, dass diese Bande, die du deinen Clan nennst, ohne dich wilde Kreaturen sind. Ich verstehe Stelldart nicht. All die Jahre und sein Hass wird immer stärker. Er dachte wohl, er bräuchte einfach abzuwarten, bis du aufhörst zu existieren, dich für den Tod entscheidest. Dabei ist er genauso alt und findet keine Gefährtin. Er und seine Brut denken, dass die Einsamkeit schlimmer ist als das Leben. Er nimmt sich jede Frau, um seinen Hunger zu befriedigen. Aber genau wie du, und alle, die ohne Partner sind, ist er alleine. Das macht ihm genauso zu schaffen wie dir. Mit einem Gefährten sieht das anders aus. Du wirst stärker, als ihnen recht sein kann. Sie werden keine Gelegenheit auslassen, um an ihn heranzukommen. Vielleicht werden sie genug Mut aufbringen, hier zu erscheinen und ihn sogar angreifen. Du darfst ihn niemals aus den Augen lassen und musst auf ihn aufpassen. Wenn es geht, binde ihn heute Abend noch fest an dich. So kannst du ihn überall aufspüren, sollten sich die Bastarde an ihm vergreifen! Du wärst unbesiegbar, weil ihr eure Kräfte teilt. Das weiß und wusste dieser Hexenmeister immer, deshalb wird er seinen Feldzug gegen dich erneut anfachen!«
Nikolai lacht freudig auf, reibt sich amüsiert die Hände. Endlich kommt es auch bei mir an. Nicht Leidenschaft und Lust verbindet mich mit dem Jungen unten im Club, sondern ich fühle, wie meine Seele verzweifelt nach seiner ruft.
Dass es ein Mann sein könnte, daran haben die Aasgeier bestimmt nicht gedacht. Genauso wenig wie ich. Ich hoffe, sie ersticken an ihren Vorhersagen und Flüchen. Klug, dass sich seine Seele all die Jahre bei mir versteckt hat. Ein Tumult entsteht auf der Tanzfläche. Da will der Kleine doch tatsächlich abhauen.
Zwei Vampire kreisen meinen Seelengefährten ein, greifen nach seinen Armen. Er duckt sich, taucht unter ihnen weg. Geschmeidig bewegt er sich rückwärts zur Tür. Dabei lässt er die Kerle keinen Augenblick aus den Augen. Direkt rückt ihm ein Dritter auf die Pelle, schiebt ihn mit seinem Körper fest gegen die Wand. Der Mann schaut erschrocken auf seine Hände, presst sie gegen die Beine, um sie dann gegen die Brust des Vampirs zu drücken. Ein lauter, schmerzvoller Schrei ertönt.
Mit einem Sprung weicht der Vampir vor ihm zurück. Ungläubig schaut er an sich hinunter. Auf seinem Hemd sieht man kleine Flammen züngeln und auf der Haut erscheint eine riesige Brandblase. Er faucht, will sich erneut aufdrängen. Mein Gefährte taucht unter ihm weg, weicht angstvoll zurück. Dabei kratzen lange Fingernägel über seine Wange, als nach ihm gegriffen wird. Eine tödliche Wut erwacht in mir, als ich beobachte, wie er verletzt wird. Süßlicher Duft nach Honig wabert empor, als sich die Blutstropfen mit der Luft im Club vermischen. Genießerisch sauge ich sie in meine Lungen. Sein Blut ist wie Nektar und meine Bestie erwacht brüllend, ohne dass ich es verhindern kann.
Jemand hat unseren Mann verletzt, ihm wehgetan, schreit der Berserker in mir. Mit aller Kraft halte ich ihn zurück, höre, wie er in meinem Kopf laut meinen Namen knurrt, mich auffordert ihn herauszulassen. Nikolai zeigt nach unten.
»Schau Kian. Er wehrt sich, muss das alleine tun, sonst werden sie ihn nie als deinen Partner anerkennen, wenn er schwach ist.« Mit rotglühenden Augen verfolge ich gebannt, wie er sich tapfer gegen die Horde behauptet. Mutig ist er, das muss ich anerkennen, wenn man bedenkt, wie die drei aussehen, die ihn gerade gegen die Mauer drängen. Mir stockt der Atem, als ich wahrnehme, wie seine Augen anfangen zu leuchten, golden werden. Erschrocken presst er die Lider zusammen, nimmt seine Fäuste hoch und schirmt sie ab. Das Rot in meinen Augen nimmt zu. Wut wallt durch meinen Körper. Keine einzige Sekunde lasse ich von ihm. Wenn er mein Gefährte ist, hat Nikolai recht. Er muss sich gegen jeden durchsetzen, der gefährlich werden kann. Ich brauche keinen Partner an meiner Seite, der sich duckt, still vor sich hin leidet, weil ich zu dominant bin. Er wird untergehen und ich werde viel zu angreifbar sein. Immerzu müsste ich ihn beschützen, könnte mich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Irgendwann würde meine Aufmerksamkeit nachlassen und dann? Dann wird er mir genommen und wir beide werden sterben. Ich brauche einen Gefährten der stark ist, der mir den Rücken deckt, mir beisteht. Ich vertraue auf die Schicksale. Sie würde mir nie einen schwachen Partner zur Seite stellen.
Erneut greifen sie ihn an. Ich bin einen Sprung entfernt, könnte jederzeit eingreifen und sie abwehren. Plötzlich leuchtet seine Iris hell auf. Nie habe ich in meinem Leben einen Mann gesehen, der so eine Augenfarbe besaß, wie er dort unten.
Golden erstrahlen sie, als er zum Angriff übergeht. Sein wütender Schrei lässt alle im Club erstarren und eine unheimliche Stille tritt ein.
Etwas Wildes, Ungezügeltes erwacht dort unten. Mein Berserker hebt sein Haupt, fletscht die Zähne und kratzt mit den Fingernägeln unter meiner Haut, will sich mit aller Gewalt befreien.
Nein. Ich verspreche dir, dass ich unseren Gefährten beschütze. Beruhige dich. Hier jetzt einen Krieg anzufangen, ist unmöglich. Sobald er unser ist, wird ihn keiner mehr anpacken. Wir werden ihn mit aller Macht beschützen.
Wenn ich die Bestie nicht unter Kontrolle bekomme, stirbt hier jeder im Raum, außer diesem Mann. Unzufrieden zieht er sich endlich zurück nicht ohne, mir eine Warnung zukommen zu lassen.
Die Vampire um ihn herum holen genießerisch Luft, lecken sich über die Lippen, als sie das Blut riechen. Sogar von hier oben sehe ich, wie sich ihre spitzen Zähne verlängern. Irgendetwas stimmt hier nicht. Sein Blut scheint wie ein Aphrodisiakum zu sein. Die Meute wird unruhig, umkreist ihn. Dämonen heben schnuppernd ihr Gesicht, drehen sich zu den Männern herum. Ohne innezuhalten, setzen sie sich in Bewegung. Die Wölfe knurren herrisch auf und ich springe auf das Geländer, stehe dort regungslos, warte mit geballten Fäusten, was unten passiert. Mit glühenden Augen verfolge ich jeden, der sich ihm nähert. Bereit, ihnen die Kehlen herauszureißen.
Ein tiefes, lautes, warnendes Grollen, dass ich nicht zurückhalten kann, hallt durch den Club. Alles schaut erschrocken nach oben, wo ich mit gespreizten Beinen und geballten Fäusten stehe. Magie entsteht, lässt die Eingangstür aufspringen und mit einem lauten Knall prallt sie gegen die Wand.
Wind wirbelt über die Tanzfläche, lässt die Haare um meinen Kopf wehen. Alles erstarrt. Brennender Hunger erwacht in meinem Inneren, den ich so noch nie gespürt habe. Und er will nun mit aller Macht gestillt werden. Ich spüre, wie mein Blut feurig durch die Adern fließt, vehement nach meinen Seelengefährten ruft.
Beherrschung, Kian.
Ich schließe die Augen, unterdrücke meine Mordlust, alle dort unten in der Luft zu zerreißen. Am liebsten würde ich mir den Mann schnappen und mein Zeichen verpassen, sodass jeder im Club erkennt, dass er mir gehört. Er ist mein Partner, die andere Hälfte meiner gepeinigten Seele, die tief in mir drinnen immer lauter nach ihm ruft.
Unser. Er gehört uns! Schreit die Stimme schrill in meinem Kopf, will sich an seinem Blut laben. Ich schaffe es gerade so, diese Gier im Zaum zu halten.
Beruhige dich. Ich werde ihm unser Zeichen verpassen, damit jeder weiß, er gehört uns, besänftige ich das Biest.
Schon wieder drängt sich ein Mann an meinen Gefährten heran, missachtet meinen Besitzanspruch. Sein Blut lässt sie alles vergessen, sogar dass ich ihr Alpha bin. Er rückt näher, berührt ihn. Nun kann ich die animalischen Instinkte in mir nicht mehr unterdrücken. Mein zorniges Brüllen erfüllt den Club. Erschrocken weichen sie langsam zurück. Der Wind wird noch stärker, umarmt mich und … erstirbt abrupt. Ein tiefer, warnender Laut entkommt mir. »Er gehört mir. Keiner wird ihn anfassen, sonst zerreiße ich denjenigen in der Luft. Habt ihr das verstanden?« Sofort herrscht Totenstille.
Als unten alle den Kopf senken und auf ihre Knie fallen, mir ihre Achtung bezeugen, beruhigt es das blutrünstige Tier in mir.
Mit einem Satz springe ich von der Brüstung, lande genau vor seinen Füßen.
Er kniet und eine Wand aus heißem Wind schließt ihn ein, sodass keiner mehr an ihn herankommt. Langsam erhebe ich mich, gehe einen Schritt auf ihn zu.
»Senke die Barriere und lass mich zu dir!«
Er schluckt, starrt mich an und nach einem kurzen Zögern, entsteht ein schmaler Durchgang. Dass er Angst vor mir hat, kann ich riechen, aber auch das erstaunte Verlangen, das er in Wellen verströmt. Mein Blick fängt seinen ein, hält ihn fest.
Mit erschrockenen, goldschimmernden Augen erkennt er in dem Augenblick, dass ich der Mann bin, der diese heiße Erregung in ihm ausgelöst. Tief hole ich Luft, kann feststellen, dass er etwas Ungewöhnliches ist. Noch nie habe ich so etwas gerochen. Ich nehme Honig, Schokolade und der Geruch nach Sonnenschein wahr, sowie einen Hauch menschlichen Schweiß.
Gerade stelle ich mir die Frage, wie er diesen Club finden konnte. Die Tür hat sich für ihn geöffnet, also gehört er zu unserer Welt. Sie ist durch einen Zauber geschützt, sodass weder Menschen noch die, die dunkle Magie besitzen, hier eintreten können. Trotzdem steht er nun leibhaftig vor mir.
Erregt beuge ich den Kopf, schnuppere an seinem Hals. Tief inhaliere ich seinen Geruch. Die Süße des Honigs, der Geruch nach Sonnenschein ist unvergesslich. Jetzt wird er sich nicht mehr verstecken können, weil ich ihn in meiner Seele verankert habe. Fassungslos blicke ich in das Gesicht meines Seelengefährten.
»Mein!«, knurre ich ihn an. »Du bist mein!«
Nun wird er mir ab sofort nie wieder entkommen können. Egal wo er ist, ich werde ihn finden.
Die goldene Farbe seiner Augen weicht langsam zurück und eine hellgraue, fast silbrige Iris schaut mir stattdessen entgegen. Dahinter erkenne ich kleine, flackernde Flammen, die darauf lauern, auszubrechen. Ob er dies überhaupt weiß? Weil ich so nah bei ihm stehe, ist es mir möglich, dies zu erkennen. Seine langen schwarzen Haare sind völlig zerzaust. Das Verlangen, meine Hände darin zu verkrallen, nimmt überhand. Automatisch schieben sich meine Finger unter die schwarze Haarpracht, halten seinen Kopf still, damit ich ihn genüsslich küssen kann. Sanft massiere ich die Kopfhaut, höre, wie er ein Wimmern von sich gibt. Er hat sich von einem Kleinkind, über einen traurigen Teenager zu einem tollen Mann entwickelt. Viele Jahre war ich sein Begleiter, bis die Verbindung urplötzlich abbrach.
Fest presse ich meinen Mund auf seinen, lecke über die sinnlichen Lippen. Keuchend lasse ich von ihm ab, nehme fasziniert eine seiner weißen Strähnen zwischen die Finger, die aus der Flut an schwarzen Haaren hervorsticht. Ungläubig starre ich sie an. Er ist genau das Gegenteil von mir. Wie bei mir haben die Götter ihn mit einem Mal versehen. So, als ob sie uns mitteilen möchten, dass wir zusammengehören.
Julian
In Gedanken versunken, weiche ich weiter nach hinten aus, bis ich gegen einen harten Körper pralle. Ich strauchele, werde von ein paar starken Armen umschlungen, die mich von der Tanzfläche schieben wollen. Eine Mauer stoppt diesen Versuch. Mit den Händen stemme ich mich gegen den Angreifer, versuche auszuweichen. Keine Chance. Er presst sich gegen meinen Bauch, reibt seinen Schritt an meinem. Ein tiefer Laut ertönt und heißer Atem weht über meinen seitlichen Hals. Panisch bemühe ich mich, ihn mit den geschlossenen Fäusten von mir zu stoßen. Meine Fingerspitzen beginnen zu prickeln, werden heiß. Fest beiße ich mir auf die Lippen, balle die Faust, um zu verhindern, dass ich hier alles in Schutt und Asche lege. Tief atme ich ein. Beherrschung Julian!
Der Kerl umklammert meine Arme, als ein anderer auftaucht, mich zu sich ziehen will. Beide Männer fauchen sich an, zerren mich hin und her. Panisch zucke ich zusammen. Dann ertönt ein wilder Laut, der mehr zu einem Tier gehört als zu einem Menschen. In derselben Sekunde erstarrt der Club. Den Blick fest auf den Mann in der Empore gerichtet, fallen sie auf die Knie, neigen ehrfürchtig den Kopf. Sein zweiter animalischer Laut übertönt sogar die laute Musik. Benommen sehe ich mich um, erfasse, dass ein paar von diesen Männern mich immer noch belauern. Doch sie wagen es nicht mehr, sich mir zu nähern. Was ist hier los?
Warum benehmen sich alle so seltsam?
Einer von ihnen missachtet die Warnung, erhebt sich und fasst mich erneut an. Meine Pupillen glühen und ehe ich mich versehe, presse ich meine Finger gegen seinen Brustkorb. Schmerzvoll schreit er auf, starrt fassungslos auf sein Hemd. Dort züngeln kleine Flammen, huschen über den Stoff und lasse verbrannte Haut zurück. Voller Staunen beobachte ich, wie sich die Wunde direkt wieder vor meinen Augen schließt. Angstvoll weiche ich zurück.
Was sind das hier für Menschen? Sind es überhaupt welche? Der Kerl vor mir brüllt seine Pein in den Raum, blitzt mich dabei wütend an. Spitze Zähne schieben sich über seine Lippen und die Iris verwandelt sich von Schwarz in Rot. Schmerz flammt in meinem Kopf auf und die mir so wohlbekannte Hitze setzt ein, lässt mich blind werden. Meine Hände glühen und panisch schubse ich die Männer von mir weg. Wenn ich jetzt die Kontrolle verliere, den brodelnden Zorn nicht bändige, war es das. Ich werde alles um mich herum mit Flammen überziehen.
Wimmernd strecke ich meine glühenden Hände aus, suche einen Weg, um nach draußen zu entkommen. Verschwommen erkenne ich, dass Wut und Gier, die Gesichtszüge der vor mir stehenden Männer verzerren. Der erste Mann, der mir am nächsten steht, stürmt nach vorne, will mich packen. Das hier sind keine Menschen. Panisch verschließe ich das Feuer in mir, doch die weißglühende Hitze züngelt schon aus meinen Fingerspitzen. Wütend balle ich sie zu Fäusten, presse sie fest gegen meine Oberschenkel. Ich will ihnen nicht wehtun, will doch bloß etwas tanzen, meinen Schmerz vergessen. Das alles setzt mir sehr zu, lässt mein Herz wie verrückt in der Brust klopfen.
Schutzsuchend halte ich die Handflächen vor meine Brust. Ich will nicht angefasst werden, weil ich weiß, dass ich sie sonst alle töten werde. Die Hitze breitet sich blitzschnell aus, lässt die Haare um mein Gesicht wirbeln. Die Männer rücken näher ohne, dass sie auf das erneute bedrohliche Knurren reagieren, das durch den Club hallt. Um mich zu schützen, berühre ich den Mann, der mir am nächsten steht. Er krümmt sich, und als er vor mir in die Knie geht, greifen seine Finger zu, um Halt zu finden. Mit einem tierischen Aufschrei weicht er zurück. Irritiert sehe ich, wie die roten Flammen aufflackern, nach ihm greifen so, als ob sie mich beschützen.
Er erwischt dabei mit seinen spitzen Fingernägeln mein Gesicht und kleine Blutstropfen rinnen über meine Wangen, tropfen zu Boden.
Behutsam taste ich danach, als eine, schmerzhafte Welle meinen Rücken entlangläuft. Meine Bauchmuskeln verkrampfen sich und voller Panik versuche ich, das tödliche Chaos in mir zu beherrschen. Die Fäuste fest gegen meine Schläfen gepresst, sinke ich stöhnend auf die Knie, kann mich nicht mehr bewegen. Das Einzige, was ich will, ist, hier rauszukommen, bevor sich mein Verstand abschaltet und ich nicht mehr weiß, was geschieht. Voller Qual krieche ich auf den Ausgang zu. Plötzlich zieht ein heftiger, heißer Wind durch den Club, umschließt und umarmt mich so, als ob er mich beruhigen will. Zusammengerollt liege ich auf den Boden, als eine donnernde tiefe Stimme die Luft zerschneidet: »Er gehört mir. Keiner wird ihn anfassen, sonst zerreiße ich denjenigen in der Luft. Habt ihr das verstanden?«
Sofort herrscht Totenstille. Ich blinzle ein paar Mal, um klar zu sehen. Männer weichen mit erhobenen Händen zurück und wie auf ein geheimes Kommando sinken auch die restlichen Kerle auf die Knie, halten ihren Kopf demütig gesenkt.
Diese männliche Stimme, mit seinem stahlharten Unterton, lässt mein Herz stolpern. Sie ist rau, tief. Etwas in mir bewegt sich, erkennt ihn und streckt sich der Stimme entgegen. Ein riesiger, angsteinflößender Mann kommt auf mich zu und fassungslos hebe ich meinen Kopf.
Gott, er ist es wirklich.
Weißes Haar umgibt ihn wie ein Heiligenschein, weht im Sturm meiner Gefühle um sein makelloses, schmales Gesicht. Dunkelblaue Augen, die sich an den Rändern rot färben, starren mich besitzergreifend an. Ungläubig blicke ich zu dem Mann empor, den Mann aus meinen Träumen.
Leise redet er auf mich ein und ich vernehme, wie er sagt: »Du bist endlich zu mir gekommen. Hab keine Angst. Ich werde dir nicht wehtun!«
Die Schwingungen seiner Stimme treffen mein Ohr, fahren liebkosend über meinen Leib. Langsam beruhige ich mich, spüre, wie die Hitze in meinem Inneren stetig abnimmt.
Ich bin wie gelähmt und mein Körper schmerzt. Die Muskeln verkrampfen und leise stöhne ich auf. Das ist der Preis, den ich für das Feuer bezahle, sobald es ausbricht. Leise befiehlt er mir, die Barriere zu senken, die sich um mich gebildet hat. Ohne nachzudenken, öffne ich sie. Er tritt auf mich zu, streicht sanft durch mein Haar, wischt über mein Gesicht. Auf einen Schlag erlischt das letzte qualvolle Brennen.
Atemlos erkenne ich die zwei feinen Strähnen in seinem Haar, genau dort, wo meine weiß sind, sind seine schwarz. Fasziniert nehme ich sie zwischen die Fingerspitzen, fühle, wie seidig sie sind. Voller Staunen bemerke ich, wie sich das dunkelblau seiner Iris erneut verfärbt, und der rote Rand um seine Pupillen vergrößert. Kleine Blitze zucken darin und verschwinden wieder. Sanft streicht er über meinen bebenden Körper, hebt mich auf und presst mich gegen eine starke Brust.
Niemand hat es bis jetzt geschafft, mein inneres Feuer zu löschen, ohne dabei zu verbrennen. Er jedoch scheint immun zu sein.
Instinktiv wehre ich mich gegen ihn. Was ist er, dass er meine Hitze bändigen kann? Wieder ertönt dieses Knurren, vibriert in jeder Pore meines Körpers.
»Mein. Du bist mein!«
Meine Seele erkennt, dass mir keine Gefahr droht, dass er derjenige ist, dem ich schon seit meiner Geburt gehöre. Jetzt spüre ich es mit einer Klarheit, die mich stocken lässt. Zaghaft hebe ich mein Gesicht empor. All das, was mir passiert ist, gehört der Vergangenheit an.
Hier bei ihm ist meine Zukunft. Ich muss einfach mutig genug sein und sie annehmen. Starke Hände ziehen mich an seinen harten Körper heran und warme Lippen pressen sich gegen meinen Hals. Tief holt er Luft, leckt über die feine Haut, saugt sich fest. Stöhnend schließe ich meine Lider, spüre, wie sich mein Schwanz versteift. Erschrocken keuche ich auf, als er mich unerwartet über seine breiten Schultern wirft. Er rennt durch die Schutzmauer, die hinter uns direkt zusammenfällt. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hetzt er mit mir die Treppen nach oben zur Empore. Dort lässt er mich vorsichtig von seiner Schulter gleiten, steht breitbeinig vor mir, streicht sich die Haare aus seinem Gesicht. Bedacht, keine falsche Bewegung zu machen, bleibe ich ruhig stehen. Dabei stelle ich fest, dass er ein klein wenig größer ist als ich. Graue Augen starren in dunkelblaue, ohne zu zwinkern. Langsam hebt er die Hand hoch, streicht mit dem Daumen sanft über meine Lippen.
»Mein Seelengefährte!«, flüstert er.
Die qualvolle Sehnsucht, einem Menschen zu gehören, die mich schon mein Leben lang begleitet, mir den Verstand raubt, verlöscht, als ob sie nie da gewesen wäre. Es macht Platz für ein anderes Gefühl. Ein Gefühl der Zugehörigkeit! All das, weil er seine Hände um mein Gesicht legt, zärtlich mit den Daumen über meine Wange streicht. Verlangend lehne ich mich gegen ihn, schließe meine Augen, lasse den Kopf gegen seine Brust fallen und höre, wie schnell sein Herz schlägt.
Oft dachte ich, er wäre eine Fantasiegestalt gewesen, die mir in den einsamen Nächten fast den Verstand geraubt hat. Oft wünschte ich mir, dass er leibhaftig vor mir stünde, mich in seine Arme schließt und mir etwas von seiner Stärke abgibt.
Mein Herz pocht wie verrückt in der Brust. Er sieht wie ein Engel aus und gleichzeitig wie der Stärkste eines Kriegerstammes.
Eine feine Narbe über seiner rechten Augenbraue zieht meinen Blick an und ehe ich mich zurückhalten kann, hebe ich die Hand, zeichne sie leicht nach. Er ist bestimmt an die zwei Meter groß, hat lange Beine, einen breiten Brustkorb und schmale Hüften. Sie vervollständigen das Bild von einem Hünen mit sinnlichen Lippen, die sich gerade einen Spalt öffnen, sodass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Schwer schlucke ich, als sein Zeigefinger sanft über meine Wange streicht, das Blut dort wegwischt. Zögerlich leckt er es ab, schließt die Lider und stößt ein tiefes Knurren aus. Langsam hebt er den Blick und die dunkelblaue Iris verwandelt sich, wird komplett blutrot.
Fuck, das ist das Erotischste, was ich je gesehen habe. Seine Lippen verziehen sich, und sein herrischer Blick bannt mich auf meinen Platz.
Er blinzelt und das Rot weicht zurück. Ich bin wie versteinert, und wenn er noch einmal mit der Zunge über seine Lippen leckt, komme ich in meiner Hose, ohne dass er mich berührt hat. Oh mein Gott! Hart schlucke ich erneut.
»Du gehörst mir!«, raunt er mir zu. Ich stocke, aber meine Beine setzen sich automatisch in Bewegung. Eine Augenbraue hebt sich und sein Lächeln signalisiert mir, dass ich es ruhig versuchen soll. So, als ob er meine Gedanken lesen könnte. Verschreckt mache ich einen Schritt nach hinten, pralle gegen einen anderen Körper. Blitzschnell drehe ich mich herum und betrachte diesen Mann. Er sieht ebenfalls gut aus, hat schwarze Haare und eine leuchtende grüne Iris. Genau wie der andere hinter mir strahlt er eine gefährliche Aura aus. Nicht so dominant und dunkel wie mein Traummann. Ob sie ein Paar sind? Was will er dann von mir? Langsam umrunde ich beide. Sie blicken sich an und ich könnte schwören, dass sie sich verständigen, ohne dass auch ein Wort gefallen ist.
Vorsichtig, um sie nicht zu verärgern, will ich ihnen erneut ausweichen. Ein Schritt genügt und er steht vor mir, presst seine Lippen fast schon brutal auf meine. Einen Moment scheint er weit weg zu sein. Leise höre ich ihn flüstern, dass er die Welt für mich auf den Kopf gestellt hätte, um mich zu finden. Behutsam streicht er über mein Gesicht, nimmt mein Kinn und hält mich in seinem Griff gefangen. Ein paar kalte Lippen pressen sich gegen meine warmen. »Lass mich ein. Öffne deine Lippen!« Ich gehorche und sein Kuss lässt mich alles vergessen. Tief holt er Luft, leckt über mein Kinn, hinunter zur Kehle.
Unerwartet werde ich mit Schwung ergriffen und über die Schulter des Hünen geworfen. Erschrocken stoße ich einen lauten Schrei aus und strample mit den Beinen, als der Mann ohne Vorwarnung ausholt. Ein lauter Klatsch ertönt, als seine Hand auf meinem Hintern landet. Ehe ich eine Frage stellen kann, schlägt er mir erneut auf meinen Hintern.
Empörung, dass er mich vor allen Männern im Club züchtigt, schreie ich auf, doch es interessiert keinen hier. Und irgendwie mag ich seine Dominanz. Dennoch trommle ich vehement mit den Fäusten gegen seinen Rücken. Meine Schläge prallen, ohne eine Wirkung zu hinterlassen, an seinen stahlharten Muskeln ab. Wieder ertönt dieses tiefe, gefährliche Knurren. Es vibriert in jeder Pore meines Körpers. Meine Seele erkennt, dass von ihm keine Gefahr droht, und langsam entspanne ich mich. Erschrocken keuche ich auf, als er mich davonträgt, als ob ich nichts wiegen würde. Wie kann ein Mensch sich so schnell bewegen? Ob er überhaupt einer ist? Plötzlich hält er an einer Tür inne und diese öffnet sich wie von selbst. Hilfe, was wird hier bloß gespielt?
Texte: Neschka Angel
Bildmaterialien: Urheber a href='httpde.123rf.comprofile_nejron'nejron 123RF Lizenzfreie Bildera
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2016
Alle Rechte vorbehalten