Die Kunst, einen Hund zu führen, setzt die Gabe voraus,
zunächst die eigenen Fehler, Schwächen und Stärken
vor denen des Tieres erkennen zu können.
© Günter Claas
Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich bin Jambo, ein Australian Shepherd und somit ein richtiger Rassehund. Gemeinsam mit meinen Familienmitgliedern Sabine und Günter wohne und lebe ich in einem sehr schönen Haus mit Garten am Rande einer Kleinstadt im Bergischen Land und fühle mich hier sehr wohl.
Wie, ihr lacht? Familie?
Hunde leben doch in einem Rudel? Glaubt mir, das ist Quatsch, auch wir Hunde lieben es, in Familien zu leben.
Die Menschen nennen das Rudel.
Warum eigentlich?
Wenn ihr zu zweit, zu sieben oder mit noch mehr Leuten herumlauft oder zusammensitzt, seid ihr dann auch ein Rudel?
Nein, dann nennt ihr euch vornehm »Gruppe« oder »Personen«.
Lasst uns Hunde doch einfach auch eine Gruppe sein, wenn wir mit mehreren Hunden zusammen sind, »Rudel« hört sich so nach randalieren, zerstören und schlechtem Benehmen an.
Meine Mama Blue sagte einmal zu meinen Geschwistern und mir: „Wir sind eine vornehme Shepherd Familie, Leider wohnt euer Vater nicht bei uns. Er lebt auf einem großen Bauernhof. Er muss dort auf viele Pferde, Kühe und Schafe aufpassen und kann uns deshalb nicht besuchen oder euch sagen, was ihr tun dürft oder nicht. Aber auch ohne ihn müsst ihr euch immer sehr gut benehmen, Vieles lernen und allen zeigen, dass wir uns gut verstehen. Das wird euch später im Leben helfen, wenn ihr zu einer Menschenfamilie gehört.“
Sie hat uns noch vielmehr erzählt. Aus ihrem Leben und dem von unserem Papa Catch. Davon, wo unsere Vorfahren gelebt haben. Dass wir bei unseren künftigen Familien neue Namen erhalten würden und vieles andere. Doch davon etwas später. Zuerst einmal möchte ich erzählen, wann und wo ich geboren wurde und wie ich zu Sabine und Günter gekommen bin. Einiges davon weiß ich natürlich nur von Mama Blue.
Geboren wurde ich am Pfingstsonntag, dem 22. Mai 1999, also wenige Monate vor dem Ablauf des letzten Jahrtausends, auf dem Moorhof in der Nähe von Kierdorf. Das Dorf kennt kaum ein Hund, aber Köln liegt nicht sehr weit davon entfernt. Mama bekam an diesem Tag noch sechs weitere Kinder. Wir waren also sieben nette Hundekinder, davon sechs Jungs und ein Mädchen.
Nachdem wir Mamas Bauch verlassen hatten, war es uns zuerst sehr kalt, doch Mama sorgte dafür, dass wir alle uns in ihrem kuscheligen Fell wärmen konnten.
Während sie jeden einzelnen mit ihrer Nase berührte sagte sie zärtlich: „Damit ihr wisst, wen von euch ich meine, wenn ich rufe, werde ich euch jetzt erst einmal eure Namen geben. Du, mein Mädchen erhältst den Namen Moja. Du mein Sohn mit dem weißen Fleck auf der Brust und dem schwarzen Rücken heißt Kito und du mit dem großen weißen Kragen wirst Banta heißen. Deinen Bruder, der nach dir geboren wurde, werde ich Kasa rufen. Dich, mein Liebling, nenne ich Sanu und dich Taba. Und du als Letztgeborener und kleinstes meiner Kinder, wirst Pitu heißen.
Merkt euch diese Namen gut. Wenn ich einen davon rufe, erwarte ich, dass der Gerufene sofort zu mir kommt! Von den Menschen werdet ihr später andere Namen erhalten. Aber das wird noch eine Weile dauern!" Aber nun, meine Kleinen, wird erst einmal gegessen. Kommt her und sucht die kleinen Erhebungen an meinem Bauch. Nehmt eine davon in euer Mäulchen. Dann kräftig saugen und schon gibt es feine, warme Milch!“
»Saugen ist leicht, doch im Dunklen etwas zu finden, ist etwas anderes«, dachte ich. »Mama hat wohl vergessen, dass wir unsere Augen noch nicht öffnen können«.
Ich fragte sie, warum das so wäre. Sie erklärte uns, dass dies bei den neu geborenen Hundebabys so sei, damit ihre kleinen Augen noch einige Tage vor Staub und hellem Licht geschützt würden.
Solange müssten wir mit geschlossenen Augen und mit schnuppernden Näschen nach den Zitzen suchen. Das war nach der kurzen Zeit, die wir erst auf der Welt verbracht hatten, gar nicht so einfach. Ich machte mich auf die Suche durch die Dunkelheit.
Aus einer Ecke erklang Schwester Moja Stimme: „Ich hab eine!“ Dann hörte ich sie zufrieden trinken. Bruder Kasa rief: „Ich auch, hhmm lecker!“
»Mein Name ist also Banta«, dachte ich und wollte mir das Ding, welches ich erwischt hatte, gerade in den Mund schieben, doch Taba war schneller und weg war die Trinkstation. Also hieß es, nach der nächsten suchen.
„Wo willst du hin, Sanu?" rief Mama, denn dieser hatte die Orientierung verloren und robbte auf dem Bauch durch das Stroh davon. Doch Mamas Pfote holte ihn ein und führte ihn zurück.
„Aus dem Weg“, schrie ich, als ich mit Kito und Pitu zusammenstieß, die mir gleichzeitig in die Quere kamen, und endlich hatte ich eine dieser Zapfstellen fest erobert. Hhmm, da gab´s warme, leckere Milch aus Mamas eigener Herstellung.
Auch Sanu, Pitu und Kito erreichten nach einigem Suchen ihr Ziel. Für längere Zeit war nur noch unser aller wohliges Schmatzen zu hören.
»Herrlich, dachte ich, diese Wärme, diese leckere Mahlzeit, dieses Wohlgefühl. Aber das kann ja lustig werden. Immer diese Sucherei mit geschlossenen Augen und dabei aufpassen, dass einer der anderen nicht schneller ist. «
Während wir tranken, leckte Mama uns mit ihrer Zunge das Fell sauber.
„Huch, das kitzelt“, kicherte Moja.
„Stell dich nicht so an, daran werdet ihr euch gewöhnen müssen. Sauberkeit ist sehr wichtig, denn sonst werdet ihr alle kleine Stinker, die niemand leiden kann.“
»Booaaah, ist diese Trinkerei anstrengend, ich bin ja so herrlich müde«, ging es mir durch den Kopf. Das war das letzte, was ich noch denken konnte, denn ich schlief einfach ein.
Am nächsten Morgen weckte uns Mama und sagte: „Hey, Kinder, ein neuer Tag hat begonnen!“
„Was ist ein Tag, Mama“, fragte ich.
„Ja, sag schon“, rief auch Kito, „und erkläre mir, warum es so dunkel ist!“
Ich murmelte: „Dieser Spinner! Er hat vergessen, dass er seine Augen noch nicht öffnen kann. Mama hat uns doch ausführlich erklärt, warum dies noch nicht geht.“
„Sei nicht so vorlaut“, tadelte Mama, „nicht jeder kann gleich so schlau sein wie du und sich alles direkt merken. Und jetzt vorwärts mit euch kleinen Rackern!“
Wir mussten uns in eine Reihe legen, damit Mama einen nach dem anderen mit ihrer feuchten Zunge waschen konnte. Zuerst das Gesicht, die Ohren, den Hals. Dann den Bauch, den Rücken und die Pfötchen und zuletzt den Popo.
Während ihrer Arbeit erzählte uns Mama etwas über den Tag. Sie sprach von der Licht spendenden Sonne, dem Mond und den Sternen. Sie erklärte uns, was Wind und Regen bedeuten und erzählte uns von warmen Sommern und kalten Wintern, bunten Blumen, grünem Gras und von Eis und Schnee.
„Wir Hunde haben einen anderen Kalender, als die Menschen. Bei uns ist ein Tag so lang wie sieben Menschentage; ein Jahr so lang wie sieben Menschenjahre“, sagte sie. „Opa Joey konnte sechzehn Geburtstage erleben. Damit wurde er im Vergleich zu den Menschen einhundertundzwölf Jahre alt. Ein Alter, welches nur ganz, ganz wenige Menschen auf der Welt erreichen.“
„Wo hat Opa Joey gewohnt?“, fragte Pitu.
„In einer kleinen Stadt in Montana“, antwortete Mama. „Das ist ein Teil von Amerika und ist sehr, sehr weit vom Moorhof entfernt.
Opa lebte auf einer großen Ranch mit vielen Rindern und Schafen und musste dort sehr viel arbeiten. Er alleine bewachte mehr als fünfhundert Schafe. Aber es hat ihm sehr viel Freude gemacht, denn die Menschenfamilie, zu der er gehörte, hat ihn stets für seine Arbeit gelobt und ihn sehr gerne gehabt.“
„Woher weißt du das alles, wenn Montana doch so weit weg ist“, fragte Taba. „Warst du schon einmal dort und hast Opa besucht?“
„Nein, mein Junge. Euer Vater hat mir alles erzählt. Auch er hat früher auf dieser Ranch gewohnt. Er war immer draußen bei den Reitern.
Das sind Menschen, die auf Tieren sitzen, die man Pferde nennt. Einige von ihnen kamen im Jahre Neunzehnhundertsechsundneunzig nach Deutschland, um hier mit ihren Pferden an einem Wettkampf in Aachen, teilzunehmen. Weil euer Vater sich immer sehr gut benommen hatte und seiner Familie treu war, durfte er mitreisen.
Während eines Reitturniers in Aachen lernte ich Papa kennen. Ich war dort mit Grit und Klaus. Sie sind meine Familie und ihnen gehört dieser Hof, auf dem ihr jetzt für eine Weile leben und aufwachsen werdet. Papa hat mir sofort gut gefallen. Ich habe alles getan, um seine Aufmerksamkeit nur auf mich zu lenken. Schon bald hat er mir gestanden, dass er sich rettungslos in mich verliebt hätte und nicht mehr nach Montana zurück möchte.“
„Aber sicher musste er dorthin zurück, nicht wahr, Mama?“, fragte Moja.
„Eigentlich schon, aber wir hatten das Glück auf unserer Seite. In Deutschland kannte man unsere Rasse kaum. Ich selbst kam drei Jahre vor eurem Vater in diese Gegend. Papa gefiel einem der Teilnehmer am Wettbewerb so sehr, dass dieser euren Vater unbedingt behalten wollte. Papa merkte natürlich, dass der Reiter sich so für ihn interessierte. Ab diesem Moment unternahm er alles Erdenkliche, um den Mann für sich zu gewinnen. Ständig hielt er sich bei ihm auf, scharwenzelte um ihn herum, ließ sich streicheln und legte sich ihm immer wieder auf die Füße. Schaute ihn dabei mit seinen dunkelbraunen Augen an. Seine Augen bettelten: »Behalte mich, rede mit meinem Herrn. Wenn ich bei dir bleiben darf, werde ich dir immer ein guter Freund und Begleiter sein.“
„Und . . . hat Papa lange gebraucht, um sein Ziel zu erreichen?“, fragte Kasa.
„Nein, mein Junge, am dritten Wettkampftag hatte er es geschafft. Der Reiter sprach und verhandelte mit Papas Besitzer Jock.
Nach etwas Nachdenken willigte dieser ein. Er wusste, dass Papa es bei seinem neuen Herrn sehr gut haben würde.
Ich sah dann wie Jock zu Papa ging und hörte wie er zu diesem sagte:“ Sei nicht traurig und mir nicht böse über das, was ich dir jetzt sagen muss. Du wirst deine Freunde in Montana nicht mehr wieder sehen. Ich habe dich diesem Mann dort drüben versprochen, denn er ist ganz vernarrt in dich und deine Schönheit. Du warst mir immer ein guter Begleiter auf den Viehweiden. Nie hast du dich beklagt, wenn auch die Arbeit oft schwer für dich war. Suche dir ein hübsches, anständiges Hundemädchen und gründe hier eine Familie. Achte darauf, dass diese sich über das ganze Land verteilt. Sorge dafür, dass die Rasse der Australian Shepherds bekannt und beliebt wird, wie kaum eine andere. Lebe wohl mein Freund und achte gut auf dich!“
Moja seufzte: „Da war er bestimmt sehr traurig!“
„Nein, mein kleines Mädchen, Papa war nicht traurig. Ich habe sein hervorragendes, schauspielerisches Können bewundert. Dieser Schlawiner zeigte Jock sein traurigstes Gesicht und schaffte es tatsächlich, sich eine einsame Träne aus dem Augenwinkel zu quetschen.
Dann drehte er sich schnell zu mir herum, kniff ein Auge zusammen und grinste – ja er grinste. »Wir haben es geschafft«, hieß das, »ich kann in deiner Nähe bleiben. Dann schaute er noch einmal ganz scheinheiligtraurig zu Jock zurück und kam zu mir.
Huiii, was hatten Papa und ich an schließend Spaß! Es war kaum zu fassen, wir konnten in ein und demselben Land leben! Wir würden Kinder haben und eine Familie sein! Wir beide sausten wie verrückt über Stock und Stein, balgten uns und kugelten um die Wette über die Wiese.
Wir jagten zwischen den Beinen der Pferde und Menschen hindurch. Papa schnappte im Vorbeihetzen eine Wurst aus der Hand eines Zuschauers, und ich nahm das Steak eines Reiters von dessen Tisch und ... Huiii ... ging´ s an einen kleinen Bach. Dort nahmen wir unser erstes gemeinsames Picknick ein. Es war ein wundervoller Tag! Wir konnten noch einen weiteren Tag zusammen sein, danach hieß es, erst einmal voneinander Abschied zu nehmen.“
„Was für eine schöne Geschichte“, sagte ich, „erzähle weiter!“
Mama seufzte: „Ach ja, es war nicht einfach, von Papa erst einmal Abschied nehmen zu müssen. Wir steckten noch einmal unsere Nasen zusammen, so küssen wir Hunde uns nämlich, und dann war es soweit. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er bei der Abfahrt noch lange aus dem offenen Fenster des Wagens seines neuen Herrn zurückschaute. Wieder zuhause auf dem Reiterhof musste ich in den nächsten Tagen immer an Papa denken. Ich konnte kaum das nächste Reitturnier erwarten, denn dort würde ich Papa wieder sehen.“
„Hatte Papa auch einen Namen?“, fragte Moja.
„Ja und was für einen!
Er wurde »Catch the beam of Blackwood« genannt; so stand es wohl in den Papieren, die sein früherer Eigentümer aus Montana mitbrachte.
Da dies aber kein vernünftiger Rufname ist, nannte man ihn einfach »Bambam«. Dies ist auch der Name eines kleinen Jungen aus der Filmfamilie Feuerstein; ich sah diese im Winter einmal im Fernsehen, als ich wegen der Kälte in Grits Haus sein durfte. Nun aber genug erzählt! Und jetzt, meine Lieblinge, ist die Morgenwäsche beendet. Gleich gibt es Frühstück!
Damit dabei nicht wieder so ein Durcheinander wie gestern Abend entsteht, geht es heute der Reihe nach. Moja, du bist die Erste.“
Sanu maulte: „Warum sie? Ich möchte zuerst trinken. Vielleicht bleibt sonst nichts für mich übrig!“
„Weil Moja das einzige Mädchen unter euch ist. Sie ist zarter und zerbrechlicher als ihr. Für alle ist genug Milch da. Ich werde euch allen helfen, eure Plätze zu finden.“
Mama umfasste einen nach dem anderen von uns vorsichtig mit den Zähnen und hob und schob uns an die Trinkplätze unter ihrem Bauch, wo wir uns so richtig satt tranken.
Einige Zeit später schliefen wir satt und zufrieden ein. Ich träumte gerade, dass alle Milch der Welt nur mir gehören würde, als ich mit einem leichten Stups von Mamas Nase geweckt wurde.
Meine anderen Geschwister waren bereits wach. Um uns herum waren seltsame Geräusche zu hören; ein Murmeln und Rascheln. Ängstlich kuschelten wir uns in Mama Blues langes Fell ein.
„Keine Angst, Kinder! Es sind Grit, Klaus und ihr Sohn Ronnie. Ihr gehört jetzt zu ihrer Familie. In einigen Tagen werdet ihr sie sehen können. Dann lernt ihr auch ihre Tochter Barbara kennen. Sie wohnt in einer anderen Stadt und besucht manchmal ihre Eltern. Kommt, ich werde euch vorstellen.“
Zögernd rutschte ich aus Mamas schützendem Fell hervor. Ich hörte Grit unverständliches Zeug zu Mama sagen und diese leise winselnd antworten.
Plötzlich spürte ich wie etwas Großes nach mir griff. Furcht kam in mir auf. Ich sah ja nichts, spürte nur wie ich hochgehoben wurde. Dann wieder dieses komische Gestammel und »igittigitt, wutsch, das ist ja eklig« küsste mich etwas sonderbar Riechendes auf mein Schnäuzchen. Dabei stachen borstige Haare in meine Nase.
„Mama, Hiiiilfeee . . . !“ schrie ich.
„Nicht ängstlich sein, das ist nur Klaus“, beruhigte mich Mama, „er riecht immer so. Es ist der Geruch von den Pferden, mit denen er es jeden Tag zu tun hat und von dem Stallmist, den er immer wegräumen muss. Ihr alle werdet ihn mögen, denn er liebt Tiere.
Auch die anderen Mitglieder der Familie werdet ihr gern haben. Wenn eure Augen geöffnet sind, werde ich euch lehren, mit ihnen zu sprechen.
Wir Hunde können mit Menschen zwar nicht mit ihren Worten reden, aber wir können es mit unseren Augen, Pfoten und Schwänzchen. Und komisch – nach einiger Zeit begreifen die Menschen diese doch so einfache Sprache.“
Während Mama redete, wurde ich von der mich haltenden Hand losgelassen und sauste wieder abwärts. Gott sei Dank! Schnell kroch ich unter Mamas Bauch.
Ich war gerettet!
Meiner Schwester und meinen Brüdern war es kaum anders ergangen. Wir alle waren froh, als die neugierigen, küssenden Besucher gegangen waren und in unserer Hütte wieder Ruhe einkehrte. Auf diesen ersten Schreck in meinem Leben musste ich noch etwas trinken. Den anderen ging es nicht anders. Wir waren fix und fertig, unsere kleinen Herzen schlugen wie verrückt.
In einer Ecke schluchzte Taba: „Hmpf, hmpf, uchzzz, bitte Mama, chzzz, ich möchte nie mehr von diesem Ronnie angefasst werden. Er hat mir heimlich in mein Schwänzchen gekniffen. Es tut immer noch weh, chzz, chzzz.“
Am dritten Tag kam es noch schlimmer. Es war noch ganz früh am Morgen. Mama war vor einer Weile nach draußen gegangen. Ich wurde wach, war aber noch sehr schlaftrunken. Da wurde ich plötzlich von einer Hand, die nach Pferd roch, hochgehoben und dann fuhr etwas Heißes durch mein Schwänzchen. »Auwauwau, wauiuiuiwauuu« Ein großer Schmerz raste durch meinen kleinen Körper. Wo war Mama, warum half sie mir nicht? Wie konnte sie es zulassen, dass man mir so weh tat? So schwer es mir auch fiel, ich streckte mein Köpfchen nach hinten, schleckte mit der Zunge an der Stelle, die mir so einen Schmerz verursachte. Was war das? O Schreck! Von meinem kleinen Schwänzchen fehlte ein Stück. Und es tat so sehr weh, auwauwiiauu! Warum geschah das, und wer hat mir das angetan? Ich war so mit mir, meinen Schmerzen und meinem Weinen beschäftigt, dass ich zuerst gar nicht hörte, dass meine anderen Geschwister ebenfalls laut jammerten.
Nur Taba blieb ganz ruhig. „Was ist mit euch los, warum weint ihr alle so schlimm?“ fragte er.
Schluchzend erklärte Moja ihm, was geschehen war.
„Oh weh, wie schlimm ist das, was man mit euch gemacht hat“, sagte er, „mir ist nichts passiert!“
Von unserem Geschrei angelockt, kam Mama in unser Strohbett hinein gejagt.
Noch während des Laufs und ganz außer Atem rief sie:
„Heh Heh Heh, was geht hier vor? Warum weint ihr alle so laut? Was ist geschehen? Ich war draußen bei den Pferden und hörte plötzlich euer Klagen! Ich lief hierher, so schnell ich konnte!“
Sie schnupperte und dann sah sie, was mit uns passiert war.
„Entsetzlich! Wie seht ihr aus, meine Lieblinge!“
Nach diesen Worten hörten wir sie leise schluchzen. Ganz vorsichtig beleckte sie unsere Wunden.
Dabei schimpfte sie: „Es ist immer wieder das Gleiche. Trotz aller Verbote gibt es immer noch Menschen, die den kleinen Shepherds und den Hundebabys anderer Rassen die Schwänzchen abschneiden. Das nennen sie dann »kupieren«. Dann behaupten sie, dass die so Beschnittenen und Verunstalteten nun richtige Rassehunde seien.
Was für ein Schwachsinn, welch eine Dummheit!
Wir alle sind doch schon eine Rasse.
Warum müssen uns denn noch die Schwänze abgeschnitten werden?
Die Menschen sind anscheinend der Meinung, einem kleinen Neugeborenen mache dies nichts aus und er verspüre keinen Schmerz?
Wie wenig sie doch von uns wissen!
Auch sind sie sich dessen nicht bewusst, dass sie uns damit etwas nehmen, was für uns wichtig ist. Mit unserem Schwanz können wir hin und her wedeln und unsere Freude über das Kommen von Freunden anzeigen. Ihn hoch aufrichten, wenn wir voller Spannung auf Geräusche reagieren oder einem anderen Hund zeigen wollen: »Achtung, ich bin stärker als du«!
Wir können das Schwänzchen auch fest zwischen den Hinterbeinen einklemmen, wenn wir uns vor etwas fürchten. Ja, es ist ganz einfach ein wichtiges Ausdrucksinstrument unseres Denkens und Handelns.
Wann werden alle Menschen dies endlich begreifen? Wenn ich geahnt hätte, was euch geschehen würde, wäre ich nicht so lange von euch fortgeblieben. Vielleicht hätte ich euer Leid verhindern können. Dabei hätte ich es ahnen müssen. Schon am ersten Tag nach eurer Geburt hörte ich, wie die Tochter eines Hofbesuchers sagte, dass sie dich, Taba, gerne zu sich nehmen würde, wenn du drei Monate alt wirst.
Ausdrücklich sagte sie, dass sie dich aber nur mit langem Schwänzchen nehmen würde. Ich habe nicht geahnt, dass dies bedeuten könnte, dass meinen Kindern so etwas Böses angetan würde. Schade, dass ihr nichts sehen konntet und mir nicht sagen könnt, wer der Bösewicht war. Ich würde ihn gerne bestrafen und ihm mit einem Biss eine hässliche Narbe im Gesicht verpassen. Gleich euch müsste er dann in seinem weiteren Leben verunstaltet herumlaufen.“
Während sie vor sich hin sprach, schaffte Mama es, uns alle zu beruhigen. Ihre Zunge leckte, kraulte und streichelte uns solange, bis wir eingeschlafen waren.
Die nächsten Tage vergingen. Unsere Schmerzen ließen langsam nach, die Schwanzstummel verheilten.
Mama begann damit, uns zu lehren, wie wir die komischen Laute, die die Menschen »Sprache« nennen, verstehen konnten. Jeden Morgen erschienen Grit und Klaus, um nach uns zu sehen. Langsam gewöhnten wir uns an das Gefummel, welches sie immer mit uns veranstalteten.
Ich hatte mir angewöhnt, den Atem anzuhalten, wenn die beiden mich abwechselnd auf mein Schnäuzchen küssten. Grits Atem roch ebenso seltsam wie der von Klaus. Mama sagte uns, dies käme von so einem Zeug, das »Tabak« hieße. Ich jedenfalls konnte diesen Tabakrauchgeruch einfach nicht leiden.
Dreimal besuchte uns Barbara. Ganz egal wen von uns sie zu sich nahm, zu jedem sagte sie:
„Na, mein Süßer!“
Dabei schüttelte sie uns hin und her. Ganz schlecht werden konnte es einem davon. Küssen tat sie auch – aber dann so richtig volle Pulle zwischen die Ohren! Es verklebte einem das Fell. Mama musste uns anschließend wieder säubern. Auch fremde Menschen kamen auf den Hof; jeder von ihnen roch anders.
Alle wollten uns ansehen, anfassen. Es war einfach lästig. Immer wurden wir gestört; an Schlaf war oft nicht zu denken.
Manche redeten so ein wirres Zeug wie: „Ach sind die putzig“, oder „Wie niedlich“, oder „Komm her, du kleines Scheißerchen.“ Auch „Kaufst du mir den, Mutti?“, war manchmal zu hören
Wenn alle gegangen waren, musste Mama uns erklären, was das alles bedeuten sollte. Danach kuschelten wir uns von diesen Strapazen todmüde in ihr Fell ein und schliefen.
Einige Tage später war es noch immer dunkel vor unseren Augen doch wir waren schon ganz aufgeregt denn Mama hatte uns gesagt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir unsere Augen öffnen könnten. Wir waren schon gespannt darauf, wie die Welt um uns herum, vor allem aber Mama aussehen würde.
Am zehnten Tag war es dann endlich soweit. Es war noch früh am Morgen, als ich erwachte. Komisch, ich hatte meine Augenlider noch geschlossen und trotzdem war es davor so anders als sonst. Ein milchiges Licht schimmerte hindurch.
»Ach du dicker Hund! Ich kann ja mein linkes Augenlied bewegen! Und das rechte auch«!
Ganz, ganz vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt. Autsch, was ist das, dachte ich, denn etwas Grelles bohrte sich in meine Augen. »Schnell die Deckel wieder zu«! Es wurde dunkel. »Linkes Auge auf, rechtes Auge öffnen und beide wieder schließen«!
Das machte ich noch ein paar Mal. Ganz langsam gewöhnten sich meine Augen an das helle Licht. Zuerst sah ich nur Schatten, dann aber.... »Oh, was ist das«?
Neben mir lagen sechs komisch aussehende Figuren. Sie rochen wie meine Geschwister. »Sehe ich auch so aus, rieche ich auch so«, überlegte ich noch und dann sah ich sie, unsere Mama Blue.
Ich wusste sofort, dass sie es war. Sie schlief noch. »Mein Gott, wie schön sie ist«, dachte ich. Da lag ich nun, klein und winzig wie meine Geschwister, und starrte meine Mama an. Nicht genug kriegen konnte ich davon. Sie hatte ihre Schnauze auf ihre Vorderpfoten gelegt. Ihre Augenbrauen und ihre Schnauzhaare zuckten im Schlaf.
Die verschiedenen Farben ihres Fells schimmerten im Morgenlicht. Andächtig schaute ich sie an. Ich war richtig glücklich und stolz darauf, dass ich der erste von uns war, der Mama sehen konnte.
„Huuaah“, gähnte Sanu neben mir, räkelte und streckte sich - und dann ging es ihm genauso wie mir. Plötzlich stieß er einen Freudenschrei hinaus: „Juuhuu, Brüder, Schwesterchen! Aufwachen, schnell, ich kann sehen!“
Wie von einer roten Ameise gebissen jagten alle aus dem Schlaf hoch; auch Mama. Moja, Kasa, Taba, Pitu und Kito - alle öffneten sie die Augen und schlossen sie ebenso schnell, wie ich es tat, um dem hellen Tageslicht zu entgehen.
Doch die Neugierde war groß, und so zogen sie die Augenlider weit hoch, um dann vor Ehrfurcht fast zu erstarren. Alle schauten sie auf Mama Blue. Diese saß mit aufrecht gestellten Vorderpfoten vor uns und blickte auf uns herab. Sie lächelte - ja wirklich, auch Hunde können lächeln!
„Bist du unsere Mutter?“, fragte Moja mit leiser Stimme, „du bist hübsch und hast wunderschöne Augen!“
Kito murmelte verschlafen: „Guten Morgen Mama!“
Ich blickte Taba an und musste lachen:
„Wie siehst du denn aus? Dein rechtes Auge ist blau und das linke braun!“
Ich wusste nicht warum die anderen kicherten und sagte: „Lacht nicht so albern, wenn ihr mich anseht, „habe ich etwas Besonderes an mir, bin ich schmutzig?“
„Hihihi«, lachte Kasa, „du hast doch selbst ein blaues Auge. Nur ist es bei dir links. Hihihi, Hunde mit blauen Augen, ich lach mich tot!“
„Ihr albernen Gören! Kaum habt ihr die Augen offen, fangt ihr schon an, dummes Zeug zu reden“, sagte Mama, die uns bisher nur angesehen hatte.
„Ein blaues Auge oder sogar zwei davon zu haben, bedeutet für einen Australian Shepherd etwas ganz Besonderes. Er wird immer auffallen und im Mittelpunkt des Interesses stehen. Und dies sowohl bei allen anderen Hunden, unseren Verwandten, als auch bei den Menschen.
Ihr werdet sehen, Taba und Banta werden die meist Gefragten von euch sein. Die möchte jeder haben.“
Während Mama das sagte, wurde ich richtig stolz. »Ich, Banta, einer der Schönsten meiner Rasse? Ich ein Star unter den Hunden«? Ich reckte mich und machte mich damit größer, als ich es war.
Als hätte Pitu meine Gedanken lesen können, rief er: „Du Angeber! Du wirst schon noch sehen, was du von deinem blauen Auge hast. Jeder Mensch wird dich anfassen wollen. Du wirst dich ewig waschen müssen, weil du immer nach Mensch, Tabak und Parfüm und anderem Zeug riechen wirst. Dein Fell wird von dem Zeug kleben, was dir Kinderpfoten alles hineinschmieren.“
„Es heißt richtig Kinderhände und nicht wie bei euch Kinderpfoten“, sagte Mama, „aber ein bisschen hat Pitu Recht. Banta, du wirst dich wirklich manchmal danach sehnen, nicht so viel Aufmerksamkeit zu erregen. So, nun erst einmal genug geredet. Kommt alle her und lasst euch waschen. Dabei werde ich euch etwas über das erzählen, was ihr nun alles sehen könnt.“
„Waschen? Heute schon wieder? Wann gibt´ s denn Frühstück; ich habe Hunger“, quengelte Sanu.
„Niemand frühstückt ungewaschen und jetzt vorwärts“, sagte Mama.
Schon ging es los. Ich war zuerst dran. Mamas Zunge schleckte über meine Augen, mein Schnäuzchen und dann den Hals.
Zwischendurch sagte sie:
„Schaut nach oben. Seht ihr das Blau mit den weißen Flecken? Das Blau ist der Himmel und das Weiße nennt man Wolken. Zu dem runden, rotgelben Ding zwischen den Wolken sagt man Sonne.
Alle Lebewesen sowie die Pflanzen und Bäume auf dieser Welt brauchen die Sonne, um leben zu können. Sie gibt uns Licht und Wärme. Im Sommer kann sie ganz schön heiß sein. Dann wird es uns in unserem Fell fast zu eng. Ihr müsst wissen, dass wir nicht so wie die Menschen durch unsere Haut schwitzen können.
Wir haben dafür nur unsere Zunge, und die kann uns im Sommer kaum genug Kühlung bringen. Der Himmel ist jedoch nicht immer so blau. Oft ist er ganz dunkel. Es stürmt und es fällt Wasser aus den dicken Wolken herab. Man sagt dann »es regnet«. Da hilft dann nur eines – wir müssen uns eine Stelle suchen, die uns vor dem Wasser und dem Wind schützt. Die von euch, die später im Haus einer Menschenfamilie leben dürfen, haben es besser. Sie werden nicht so oft nass, denn die Menschen gehen selbst nicht gerne nach draußen, wenn solch ein kaltes, nasses Wetter vor dem Haus ist. Im Winter kommt es dann noch schlimmer für uns. Es wird so kalt, dass sich auf den Gewässern Eis bildet und der vom Himmel fallende Regen zu einem flockig, weißen Zeug wird, welches die Menschen »Schnee« nennen.
Der Schnee bedeckt oft das ganze Land.
Es macht uns Hunden zwar einen riesigen Spaß, darin herumzutoben; aber es gibt hundeeiskalte Pfoten. Man kann gar nicht mehr richtig laufen und ist froh, wenn man sie endlich irgendwo wieder aufwärmen kann. Die Sonne geht schon sehr früh zu Beginn eines Tages auf. Am späten Abend wird sie dann vom Mond abgelöst, der mit seinem silbernen Lichtschein alle Lebewesen der Erde durch das Dunkel der Nacht begleitet.
Unsere Urahnen, die Wölfe, beten ihn an und zeigen ihm ihre Zuneigung dadurch, dass sie ihn in den Nächten, in denen er groß und voll am Himmel steht und besonders hell leuchtet, mit hochgerecktem Kopf anheulen.
In Papas früherer Heimat Montana gibt es sehr viele Wölfe. Papa hat ihr Geheul in den Nächten seiner Wache gehört. Oft musste er sie auch verjagen und sogar mit ihnen kämpfen. Denn immer wieder versuchten sie ein Rind aus der von Papa bewachten Herde zu stehlen. Aber er konnte es meistens verhindern.“
„So mein Schatz, du bist sauber! Wer möchte der Nächste sein?“ Worauf Kasa sich freiwillig zum Waschen meldete.
Aus einiger Entfernung ertönte plötzlich ein seltsames Geräusch.
„Was is´ n das für ‘n komisches Geklapper?“, fragte Kito etwas schläfrig, denn er war noch nicht an der Reihe, gewaschen zu werden. Die Warterei hatte ihn schläfrig werden lassen.
Klack, klack – klack, klack machte es. Hinzu kam ein seltsames Schnaufen. Das Geräusch kam näher und näher und dann...... Oh Schreck, welch ein Ungeheuer! Riesengroß! Und darauf saß noch ein anderes Ungeheuer und machte »tsch, tsch, brrrr! Und dann stand es vor uns.
So schnell wir konnten sausten wir unter Mamas Bauch.
„Was und wer ist das?“, fragte ich ängstlich.
„Keine Angst Kinder, das ist Scheracky, ein Pferd. Es lebt zusammen mit anderen Pferden hier auf dem Moorhof. Scheracky tut euch nichts. Ihr müsst euch nur vor seinen Hufen in Acht nehmen, denn er kann kräftig treten. Sie hob die rechte Pfote und zeigte nach oben: »Und das da ist Klaus, der schon oft bei euch war, als ihr noch nichts sehen konntet.“
Klaus rutschte von seinem Pferd herunter, band dieses an einen Pfosten und kam langsam zu uns herüber.
»So sieht also ein Mensch aus«, dachte ich. »Ist ja gar nicht so übel«.
Ich schlug vor Schreck fast einen Purzelbaum rückwärts, als dieses Pferd, dieser Scheracky, plötzlich laut sprach:
„Guten Morgen Blue, hallo Moja, hey Jungs, alle schon so früh auf? Gratuliere euch, ihr kleinen Hübschen! Jetzt könnt ihr sehen, was um euch herum vorgeht. Ächzzz! Immer diese lästige Rennerei so früh am Morgen mit Klaus. Ich bin ja schon vor dem Frühstück kaputt. Der meint wohl er sei John Wayne und müsste sich schon morgens nach Pferdedieben umsehen.“
„War´ s wieder so schlimm mit ihm?“, fragte Mama, „Hat er dich schon wieder auf dieser Rennbahn hin und her gejagt? Oder hat er den Sattelgurt erneut so fest angezogen, dass dir der Brustkorb zusammengedrückt wurde?“
„Kaum Luft kriegen konnte ich“, antwortete Scheracky. „Es ist jeden Morgen das Gleiche. Ständig vergisst er seine Brille, oder Grit benutzt diese, weil sie ihre eigene mal wieder verlegt hat. Er sieht dann schlecht und steckt den Dorn des Sattelgurtes immer in das falsche Loch.
Einmal verliere ich diesen John Wayne Verschnitt dann fast, weil er mit dem Sattel auf einer Seite hängt, dann wieder ist alles so eng, dass ich nicht atmen kann. Was will er denn jetzt bei euch? Warum bringt er mich nicht zu meinem Stall, striegelt mich sauber und gibt mir meinen Hafer? Es ist zum Wiehern!“
Sein Reiter hatte uns inzwischen erreicht. „Na Blue, hallo ihr Kleinen, alles in Ordnung?“, fragte er. Dann passierte es schon wieder!
Seine Hand kam gezielt auf mich zu, ergriff mich, fuhr mit mir durch die Luft und blieb mit mir kurz vor seinem Gesicht stehen.
„Ja, was ist das denn? Ich werde verrückt! Du kannst ja sehen, ihr alle könnt ja sehen! Donnerwetter, was hast du schöne Augen, sogar ein blaues. So etwas habe ich ja noch nie gesehen!“
Ich glaubte schon, er würde mich wieder absetzen, doch dann passierte es wieder. Er küsste mich mitten auf mein Schnäuzchen; dabei war dieses doch gerade erst frisch gewaschen.
Jetzt sah ich auch das Ding, was mich immer so in die Nase piekste, wenn er mich küsste.
Es war sein Schnauzbart, widerlich borstig kam er mir vor. Scheinbar brauchen auch die Menschen solche Fühlhaare, wie wir Hunde, dachte ich. Warum aber musste Klaus davon so viele in seinem Gesicht haben? Und schon wieder kam dieses widerborstige Ding auf mein Gesicht zu. Ich versuchte auszuweichen, doch vergeblich; ein weiterer Kuss traf mich mitten ins Gesicht.
Doch dann passierte etwas mit mir und ich glaube, auch mit ihm. Wir sahen uns beide tief in die Augen, und ich konnte in den seinen lesen, dass er mich sehr gerne hatte. Vorsichtig streckte ich meine kleine Zunge heraus und leckte ihm über seine Nase. Da drückte er mich ganz zärtlich und sagte: „Du bist mein Bester!“
Diese vier Worte hat er dann in den Wochen nach diesem Tag immer wieder zu mir gesagt. Ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn er uns besuchte und mich auf den Arm nahm. Aber trotzdem haben mir das Kitzeln seines Schnauzbartes und der Tabakgeruch, der in seiner Kleidung haftete, nie gefallen!
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Mamas Kraftmilch ließ uns schnell größer werden. Wir erkundeten unsere nächste Umgebung, lernten viele neue Dinge kennen, waren verärgert, wenn neue Besucher kamen und uns aus dem Schlaf rissen. Waren ängstlich, wenn der Mond in dunkler Nacht die Erde erhellte und hinter allen Gegenständen, Gebäuden und Bäumen lange, Furcht erregende Schatten entstehen ließ. Mama erklärte uns, dass der Mond am Abend die Sonne am Himmel ablösen würde. Wir müssten uns nicht ängstigen. Doch sie hatte leicht reden! Diese Geräusche aus dem Dunkel! Da huschten Gestalten über den Boden und verschwanden im Gestrüpp. Quakende Laute klangen von Wassertümpeln herüber. Von einem Baum rief es: „Kiwitt, Kiwitt! Ich bin das Käuzchen Prickelpitt!“ Aus den Zweigen einer Tanne heraus flüsterte eine Stimme: „Ich bin Ollie der Uhu!“ Oder es zischte aus dem Gras: „Seid nicht bange, ich bin´ s nur, Jamba die Schlange!“
Ich kann euch sagen, manchmal habe ich mich nicht aus Mamas Fell herausgetraut. Moja hat sich Mamas Schwanz über Augen und Ohren gelegt, damit sie nichts sehen und hören musste. Die anderen versteckten sich ebenso wie ich unter Mamas Bauch. Wir freuten uns, wenn es wieder Tag wurde und die Nachtgespenster verschwunden waren. Lästig war nur diese ewige Körperreinigung. Waschen am Morgen, waschen am Mittag und waschen am Abend! Man wurde beim Herumtoben doch sowieso immer wieder schmutzig!
Mama konnte es wirklich übertreiben! Ohne ihren ständigen Reinigungsfimmel hätte sie eine Menge Arbeit weniger!
Tagsüber waren wir viel unterwegs. Auf dem Reiterhof gab es mancherlei zu entdecken. Da standen so komische bunte Kisten mit Augen vorne und hinten. Unten hatten sie vier runde schwarze Scheiben mit etwas Blankem in der Mitte. Mama sagte, diese Kisten würden von den Menschen »Autos« genannt und die runden Dinger seien Räder mit Reifen. Bald nach diesem Gespräch fanden wir heraus, dass man in die Autoreifen prima hinein beißen und auch daran knabbern konnte. Schmeckte aber eklig! Grit kletterte jeden Morgen in so ein Auto hinein. Einen Moment später brummte das Ding dann und fuhr los. Zur Vorsicht gingen wir immer schnell in Deckung, damit wir nicht überrollt wurden.
Barbara besaß so eine grüne, ungepflegte, hässliche Kiste, unter die wir uns noch nicht einmal legen mochten. Die sah nämlich so aus, als ob zu jeder Zeit etwas von ihr herabfallen könnte. Auch drinnen war alles ziemlich erbärmlich. Das konnte ich sehen, als Barbara mich einmal mit hinein genommen hatte. Nirgendwo gab es einen Platz darin, auf den sich ein Hund hätte setzen können. Es lag und stand alles Mögliche herum.
Da hat Mama ja mehr Ordnung in unserer Hütte gehabt! Sie hätte uns in diesem rollenden Müllberg nicht finden können, hätte sie uns darin gesucht. Aber auch an anderen Plätzen herrschte ein ziemliches Chaos.
Wir Kinder durften ja eigentlich nicht in das Haupthaus, in dem Grit mit ihrer Familie wohnte. Sie achtete sehr darauf, dass wir draußen blieben und so keinen Schmutz hinein brachten. Doch einmal ist es mir gelungen, in einem unbewachten Moment durch die offen stehende Tür zu schlüpfen.
»Mein Gott, wie sieht es denn da drinnen aus«, dachte ich. In dem großen Flur lag und stand alles Mögliche herum. Gummistiefel und Schuhe aller Hausbewohner, die wenigsten davon waren geputzt. Ich sah Flaschen, Töpfe, Dosen, Futtersäcke, einen Wasserschlauch, Fressnäpfe, Besen und alte Plakate. Weiter ging´ s in die Küche. »Boahh, was für ein Durcheinander«.
Was ich dort sah, halte ich besser für mich, sonst kriege ich vielleicht später einmal Ärger mit Grit. Ich lief weiter und kam in ein riesengroßes Wohnzimmer, in dem es eigentlich recht ordentlich aussah.
Ihr fragt wieso?
Ganz einfach! Darin standen außer einem Fernseher, einer Couch und zwei Sesseln keine Möbel. Der Raum wirkte so leer und leblos.
Meine Geschwister und ich hätten ihn bestimmt zum Leben erweckt, hätte man uns nur gelassen. Die Treppe nach oben konnte ich noch nicht hinauf klettern; sie war zu steil. »Aber halt! Draußen gibt es doch noch eine Treppe, die zum Keller hinab führt«, schoss es mir durch den Kopf. Ich lief schnell wieder hinaus, hüpfte die Stufen nach unten herab und in den Keller hinein.
O jejejeje! Hier war also der Raum, aus dem wir sehr oft Musik und Barbaras Gesang gehört hatten. Ihr müsst wissen, Babsie ist nämlich eine Country Sängerin und das eine verflixt gute. Sie hat eine Stimme, die einem so richtig unter das Fell gehen kann. Jetzt stand ich in ihrem Studio! Dort sah es chaotisch aus, einfach chaotisch!
Wie schafft man es, in solch einem Durcheinander von Kabeln, Steckern, Geräten, Lautsprechern, Mikrofonen, Gläsern und vollen Aschenbechern so gut zu singen und auch noch gut auszusehen?
Ich war ja noch nicht sehr groß, aber es gab kaum eine Lücke, durch die ich hätte schlüpfen können. Nein, da gefiel es mir in unserem Heim doch viel besser. Da war Platz für alle und vor allem immer aufgeräumt. Ich entschied mich, meine Entdeckungstour zu beenden und wollte den Keller gerade verlassen, als ich jemand nachhause kommen hörte. Am Klang der Schritte erkannte ich, dass es Grit war. Mein Schreck war groß. Wo konnte ich mich verstecken?
Da ich in der Eile nichts Besseres fand, versteckte ich mich hinter einem der herumstehenden Lautsprecher. Dort wartete ich solange mit dem Nachhause gehen, bis die Luft rein war.
Überhaupt konnte man sich in den vielen Ecken des Hofes und hinter Sträuchern gut verstecken. Uns Kindern machte es einen riesigen Spaß, wenn Mama uns dann suchen musste, um uns wieder in das Hundehaus zurück zu tragen. Ja, sie trug uns! In ihrer Schnauze!
Sie nahm einen von uns vorsichtig mit ihren Zähnen auf und dann ging´ s los! Einer nach dem Anderen wurde abtransportiert!
Manchmal zwickte es ein wenig, aber wenn sich einer beklagte oder jammerte sagte Mama: „Stell dich nicht so an. So ein bisschen Schmerz ist nicht schlimm!“
Mein Bruder Kasa, welcher zu dieser Zeit der größte und dickste von uns war, hing beim Transport immer wie ein Sack Hundefutter zwischen Mamas Zähnen. Außerdem wurde es ihm da oben jedes Mal schwindlig.
Mit Scheracky, dem Hengst, hatten wir Freundschaft geschlossen. Wenn wir in seine Koppel liefen, um ihn zu besuchen, kam er immer mit seinem Kopf herab und schnaubte uns mit seinen Nüstern an. Hui, das war lustig, das blies! Unsere Ohren flatterten dabei hin und her.
Scheracky bat darum, nicht so nahe an seine Hufe heran zu kommen. Er wolle nicht aus Versehen auf uns treten. Oft erzählte er davon, was er mit Klaus machen musste, wenn dieser mit ihm ausritt.
Am wenigsten gefiel es ihm, wenn dieser ihm mit den Stiefelabsätzen in die Bauchseiten stieß.
„Erstens tut das weh“, sagte er „und zweitens hasse ich diese Rennerei und Springerei! Gerne möchte ich einmal so richtig bremsen und stehen bleiben, damit er über meinen Kopf hinweg einen Purzelbaum schlägt. Doch so richtig habe ich mich bisher noch nicht getraut. Einmal habe ich es versucht, da hing Klaus schon auf meinen Ohren. Daran hielt er sich dann fest und konnte so den Fall vermeiden. Anschließend war er so sauer auf mich, dass er mir keinen Hafer gegeben hat. Aber irgendwann werde ich es doch tun und ihn hinabfallen lassen!“
Neben Scheracky gab es noch den Hengst Josef. Was für ein blöder Name für ein Pferd! Dann waren da noch die Pferdemädchen Bessie und Scooter auf dem Hof. Mama sagt, das seien Stuten.
Bessie ist die Freundin von Scheracky und Scooter die von Josef. Ich finde Bessie sieht ziemlich langweilig aus; besonders dann, wenn sie mit offenen Augen in ihrer Pferdebox steht und vor sich hin döst. Mama hat uns erklärt, dass Pferde so schlafen, aber es sieht wirklich etwas blöde aus. Wenn Bessie schläft, erinnert sie mich an Ronnie, Grits Sohn. Auch der sieht nämlich immer so verschlafen aus. Manchmal scheint auch er beim Gehen und im Stehen zu schlafen.
Vor dem Hengst Josef muss man sich in Acht nehmen. Das ist ein ganz linker Typ. Der wartet ständig darauf, dass einer von uns in die Nähe seiner Hufe kommt. Scheinheilig sagt er dann: „Komm doch noch etwas näher, du Fellbündel!“
Dann hebt er den Fuß an, tritt, und versucht einen als Ball zu benutzen. Aber bisher hat er dabei kein Glück gehabt. Mama hat ihn mit ihren Zähnen schon einige Male ins Bein gekniffen, damit er uns ungestört spielen lässt.
Ein Tag reihte sich an den anderen. Wir wurden größer und stärker, liefen viel herum und kannten bald einen großen Teil des Moorhofes und seiner Besucher.
Eines Morgens kam Klaus und verbreitete eine Riesenunruhe. Wie sich herausstellte, mussten alle das uns liebgewordene Hundehaus verlassen.
Er sagte: „So, meine Kleinen, jetzt wird umgezogen!“
Dabei griff er sich einen nach dem anderen von uns und packte uns in eine Kiste. Diese trug er dann hinüber auf die nebenan liegende Wiese, die, wie wir später bemerken sollten, von einem Zaun umgeben war. Mama lief nebenher und passte auf, dass uns nichts geschah. Oh je, was war das für eine Schaukelei da oben! Wir rutschten und kullerten hin und her. Mir wurde es fast übel. Rrrrutsch, nach links – da lag schon Moja. Boinggg – wir knallten mit den Köpfen zusammen. Rrrrutsch, zurück nach rechts – zinnnggg an die Kistenwand. Autsch!
Hinter mir kam Taba herangerauscht und trat mir aufs linke Ohr. Auf ihn knallte der dicke Kasa. Es war wirklich eine Höllenreise.
»Dieser Zweibeiner hat wohl kein Gespür dafür, wie man so etwas macht«, dachte ich noch, da ging es schon in Schräglage abwärts.
Alle rutschten wir in eine Ecke.
„Ufffz, mein Bauch“, stöhnte Bruder Kitu, ganz unten liegend.
Schwester Moja kreischte: „Dafür beiße ich ihm in die Nase, wenn er mich wieder einmal zwischen meine Augen küssen will!“
Endlich waren wir unten auf dem Boden, verließen mit Klaus Hilfe die Kiste und flüchteten uns schnell zwischen Mamas Pfoten, während er ging, um gemeinsam mit Ronni unser Haus
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Günter Claas
Bildmaterialien: Günter Claas
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2014
ISBN: 978-3-7368-0053-3
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