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Zur Autorin


Mein Name ist Lele und ich bin derzeit einundzwanzig Jahre alt.
Ich habe vor über zwei Jahren meine Matura (Abitur) erfolgreich absolviert, bin nun ausgebildete Kindergarten- und Hortpädagogin, studiere aber momentan das Lehramt für Sekundarstufe.

Damit ihr ein Bild von meinem Aussehen habt, lasst euch sagen, manchmal  mag ich mich, so wie ich eben bin, manchmal aber auch nicht. Ist das nicht normal?

Ich bin gerne aktiv, unternehme gerne viel, habe aber wenig Zeit dafür. 
Eigentlich bin ich ein sehr fröhlicher, humorvoller Mensch, der andere Menschen oft und gern zum Lachen bringt. Das größte Gut im Leben ist für mich die Musik, weswegen ich viele verschiedene Instrumente spiele und leidenschaftlich gerne singe.
Auf ebenso hoher Stufe stehen für mich die Familie und Freunde, da ich ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern habe, verbringe ich sehr gerne Zeit eben in diesem Kreise, denn hier fühle ich mich wohl.
Auch habe ich sehr gute Freunde, die ich durch nichts auf der Welt eintauschen würde!

Und doch war es ein weiter Weg für mich zurück zu meiner Familie, zu mir selbst, zu meinen Freunden und dazu eine neue Liebe kennen- und liebenzulernen.

Vor etwa drei Jahren hieß die Diagnose der Ärzte und Psychologen:
Anorexia nervosa-Magersucht,
Bulimia nervosa-Bulimie,
und Depression mit der Begleiterscheinung eines höchst selbstverletzenden Verhaltens.

Ja, so war es, und zu einem gewissen Teil ist es auch heute noch so. Ich kann meine Vergangenheit nicht verleugnen, denn sie ist ein Stück von mir, das sich niemals weglöschen lässt.
Stolz bin ich nicht darauf und ich will ebenso keine Aufmerksamkeit, um meine Wunden genüsslich zu lecken. Nein! Das Einzige, was ich will ist, dass die Zukunft für mich besser wird.

Monster lauern überall

Nun kommt es wieder. Es kommt. Ja. Es.

Dieses verschlingende Gefühl, das dir den Boden unter den Füßen wegreißt, um dich nach unten zu schleudern und dir die Luft zu nehmen, die Kraft, um jemals wieder aufstehen zu können.
Ein Monster, das dich in die Enge treibt, so lange, bis du keuchend und zitternd aufgibst, um dir deine Seele und die Freude in deinen Augen  zu rauben. Tief in dir steckt sie, tiefer als du es dir jemals vorstellen könntest. Ummantelt von dem Schein der Freude und Ausgelassenheit, des Reichtums und der Zufriedenheit, sitzt sie dort, wartet, lauert, bis sie in einem Moment der stillen Verzweiflung und völlliger seelischer Nacktheit hervorkriecht, um dir alles zu nehmen, woran du bisher zu glauben scheintest.
Angst!

 

Die Angst beherrscht mich schon ziemlich lange, muss ich nun doch zugeben.
Eigentlich schon seit ich mir geschworen habe, dass nun alles anders wird, alles besser wird.
Jeden Tag begleitet sie mich, schon beim Aufstehen steht sie auf meiner Seite und lässt mich beim Blick in den Spiegel erschaudern. Die Angst ist so tief in mir, dass ich das Gefühl habe, dass sie schon fast so etwas, wie ein Teil von mir geworden ist. Welche Angst?
Nun es sind viele Ängste, Angst davor den Tag nicht perfekt zu meistern, zum Beispiel, Angst sich wieder einmal zu blamieren, Angst wieder die Kontrolle über mein Essverhalten zu verlieren und, und, und.
Um Kontrolle dreht sich bei mir ebenfalls sehr viel.

 

Ich gebe zu, ich habe es mir leichter vorgestellt das Ganze.
Einfach, naja, gesund zu sein.
Ich dachte, dass es einfach reichen würde, einfach wieder zu essen. Doch "einfach" war bist jetzt nie dabei.
Schon über drei Jahre ist es her, dass ich meinen Weg begonnen habe.
Ich habe das Gefühl, dass er noch lange nicht zu Ende ist, aber ich hoffe, dass ich niemals aufgeben werde, daran zu glauben, dass ich ihn zu Ende gehen kann.

"Iss doch einfach wieder", hatten sie gesagt und mich freundlich nickend mit diesen Worten alleine gelassen.

"Iss doch einfach wieder, iss doch einfach wieder, iss doch einfach wieder", hallt es in meinem Kopf jeden Tag umher. Was sie dabei nicht wussten? Das Monster lauert immer noch im Schatten meiner selbst und es ist nie zufrieden, nicht mit mir und auch mit sonst nichts.

Alle sagten, dass es so leicht ist und, naja, prinzipiell ist es das ja auch!
Zum Beispiel für Menschen, die durch eine Krankheit oder was auch immer unbewusst viel abgenommen haben.
Wenn man isst, dann nimmt man zu, ein einfaches biologisches Prinzip, wie wir bereits in der Schule gelernt haben.

Aber ich bin ein anderes Kapitel, denn genau dieses Prinzip ist mein Problem: Ich will nicht essen!

"Ich will nicht!! Ich will nicht!!! Lasst mich!!!", schrie ich ihnen ins mitten Gesicht.
Vor zirka fünf Jahren. Meinen Eltern. Verzweifelte Gesichter - und ein Mädchen, das nur noch 46 kg wog.
Schluchzend lief ich davon und hatte Angst, so viel Angst, wie noch nie zuvor. Wenn ich sie bisher versucht hatte zu vertreiben oder nur in Momenten herausgelassen hatte, in denen ich gänzlich ungestört war, so zeigte sie sich jetzt umso heftiger und ausdrucksstärker. Niemals war es für mich ein Problem gewesen, mich zu beherrschen. Niemals hatte mir die Aussicht, nichts mehr zu wiegen, einfach fort, tot zu sein, Angst eingejagt. Nein, es erschien mir, als wäre es die beste Lösung. Für alle. Ich hatte vor vielen Dingen Angst, doch die Angst vor dem Tod, vor meinem Tod, war nicht darunter.
Doch, was jetzt kommen würde, kam der Hölle relativ nahe.
Sie würden es früher oder später heraufinden, das war mir immer klar gewesen, doch, dass es so schnell passieren würde, hätte ich nie geahnt. Spätestens morgen würden sie sich zusammengesetzt haben und beschlossen haben, wo sie mich, Sonderfall der Menschheit, Aussätzige, Ausschusswahre, verfrachten würden können, um mich wieder zu einem guten, braven und sittsamen Teil der Gesellschaft zurück zu basteln. Ich konne schon jetzt ihre Gesicher sehen, wie sie meinten, dass es das Beste für mich sein würde, dass es einfach sein müsse. Doch so einfach würde ich es ihnen nicht machen, sie würden nicht wieder alles kaputt machen, was ich in monatelanger, harter Arbeit geschafft hatte. Alles würden sie mir nehmen könne, doch dies nicht. Nein!

Du bist krank? Dann sei krank!

Ob es funktionieren hätte können, wenn ich besser gewählt hätte?
Nun im Nachhinein kann ich das auch nicht sagen. Psychotherapie, hieß das Stichwort, das mich wieder "back on track" bringen sollte. Doch um mich fürs erste ruhig zu stellen, empfahl mein Hausarzt mir erstmal eine renommierte Psychologin in der Umgebung, welche weitersehen sollte, was man mit mir tun könnte.

Gesagt, getan!
Und ruhig stellen wollte diese mich auch im besonderen Maße, denn was sollte man sonst mit einem Ausreißer, einer B-Ware, einem Ausschussteil wohl machen?
Legen Sie das fehlerhafte Produktionsteil auf die Seite und achten Sie darauf, dass es nicht noch weiter beschädigt wird oder gegebenenfalls andere Personen verletzen oder auf etwaig andere Weise beschädigen kann. Mittels einer Ruhigstellung der Komponenten "Geist" und "Körper" erreichen Sie Ihr Ziel schnellstmöglich und unverzüglich.
So musste wohl ihre Gebrauchsanleitung für mich und, wie sie sagte, meinen Zustand gelautet haben und so trug es sich zu, dass sie mir völlig unverhofft und plötzlich ein braunes, 250ml umfassendes Gefäßlein unter die Nase und auf den Tisch knallte.

Erstaunt und zugleich verwirrt starrte ich auf das braune Etwas vor mir, was allgemein, wie sich herausstellen sollte, als ein Allheilmittel betrachet wurde, und schüttelte instinktiv den Kopf. Denn ich war doch mit einer ganz anderen Erwartung hereingekommen, besser gesagt geschleift geworden. Mir konnte nicht viel fehlen, dessen war ich mir zu diesem Zeitpunkt zu 110 Prozent sicher, war ich doch nur ein Mädchen, das auch einmal so hübsch wie alle anderen sein wollte.
Allerdings war ich gespannt gewesen, ob es nicht eine Erklärung für mich gab oder zumindest einen simplen Beweis, dass ich ganz normal war. Auf solch eine Situation war ich somit nicht gefasst gewesen, was es mir natürlich unmöglich machte, bestmöglich zu reagieren.
"Wie geht es Ihnen?", schnaubte mich die etwas ältere, zu viel geschminkte und offensichtlich übel gelaunte Dame gegeüber von mir an.
"Äh..."
"Schatz, vielleicht erzählst du ihr einfach von...", begann meine Mutter, wurde jedoch augenblicklich durch das Rhinozeros von Frau unterbrochen.
"Lassen Sie ihre Tochter bitte selbst sprechen!".
Nun wirkte auch meine Mutter, die es nomalerweise trotz ihrer geringen Körpergröße mit jedem aufnahm, etwas verunsichert.
Beide sahen mich fragend an, während ich das Einzige herausbrachte, zu dem mein Hirn vermutlich noch im Stande war.
"Äh, gut und Ihnen?"
"Um mich geht es heute nicht", herrschte Frau Doktor mich an und setzte zu einem neuen Angriff an:
"Sie können sich nicht gut fühlen, sonst wären Sie nicht hier!" (Wenn die mal wüsste!).
"Also, wie mir ihr Hausarzt bereits mitgeteilt hat, waren Sie etwas *hust* verstimmt in letzter Zeit, weshalb ich Sie anweise täglich drei bis fünf Esslöffel hiervon einzunehmen, es ist speziell für Kinder entwickelt worden und sollte Sie wieder schnellstmöglich auf Vordermann bringen. Ich gebe es Ihnen gleich mit, das macht dann 19,99 Euro bitte!"
Mit großen Augen bezahlte meine Mutter den angegebenen Preis und wir wurden prompt entlassen.
Währenddessen rasten meine Gedanken nur so: Was bildete sich diese Schnepfe überhaupt ein? Soll ich diesem Wundermittel ernsthaft so viel Glauben schenken? Konnte ja auch nicht wirken, war ja schließlich für Kinder entwickelt worden und ich war bereits eine Jugendliche. Pff...
Doch langsam nahm meine Wut ab und ich beschloss dem Zaubertränkchen zumindest ein zwei Tage ein Chance zu geben, denn vielleicht wirkte es ja doch, woher weiß man das schon?

Sie hatte uns auch noch einen Zettel mit einer Internetadresse zugesteckt, dort sollten wir uns umsehen.
Nun diese Seite ist so etwas wie eine Dating-Seite, nur dass man hier nicht den Partner fürs Leben oder auch nur eine Nacht sucht, sondern den perfekten Psychotherapeuten, hoffentlich nicht fürs ganze Leben.
Man konnte ihre Fachgebiete nachlesen, wo sie ihre Ausbildung gemacht hatten und wann und es war von jeder und jedem ein kleines Bildchen in eher schlechter als rechter Qualität dabei. Neugierig klickte ich mich durch die Seiten: Das Projekt "Heilung" war gestartet! Für mich war alles ein Projekt, eine To-Do-Liste, die es abzuhaken galt, so schwor ich mir, meine Wiederherstellungsphase genauso zielstrebig anzugehen wie meine Essstöung. Schließlich hatte man mir die Lösung gerade erst auf dem Silbertablettchen serviert: Medikamente und einfach wieder essen! Kann ja nicht so schwer sein!


Ironie ist mein liebstes rhetorisches Mittel...

 

Weiter und weiter und tiefer und tiefer las ich mich ein und wurde schließlich und endlich auch fündig. Ich hatte bereits Vorstellungen gehabt, was ich wollte. Klar war mir besonders, dass es eine Frau sein sollte, denn ich konnte mir gar nicht vorstellen, meine innersten Gedanken und Gefühle einem Mann preiszugeben. Mit Männern hatte ich hierzu nie besonders gute Erfahrungen gemacht. Entweder es interessierte sie nicht oder, oh, wartet, da ist kein "oder"!
Nein, es interessierte sie meist nicht. Jungen in meinem Alter sind nicht besonders einfühlsam, geschweige denn geduldig, geschweige denn wollen sie recht viel mehr als das eine, ihr wisst schon. Nun, natürlich kann ich nicht für alle Jungen und Männer dieser Welt sprechen und ich hasse Veralllgemeinerungen, aber so war es eben in meinem Fall.
So hatte ich also eine Frau mittleren Alters ausgewählt, sie sah nicht besonders hübsch aus und ihr Aussehen erinnerte ein wenig an das einer Hexe, doch sie sah im Grunde ganz nett aus, für meine Vorstellung einer Psychotherapeutin jedenfalls.
Auch meine Mutter war, den Umtänden entsprechend, sehr zufrieden mit meiner Auswahl und beinahe konnte ich einen kleinen, frühlingsreifen Keim der Hoffnung in ihr aufgehen sehen.

So rief sie unter der dort angegebenen Nummer an und vereinbarte für uns einen Termin bei der netten Frau mit dem hexenhaften Gesicht. "Uns" und "wir" sagte meine Mutter im Übrigen immer, wenn mit mir etwas nicht in Ordnung war. Dann mussten wir ins Krankenhaus und wir waren krank. Es klang fast so, als würde ich in ihrer Vorstellungen immer noch fest durch unsere Nabelschnur verbunden an ihr hängen, unfähig ein eigenes Subjekt zu sein. Was sie dadurch wohl ausdrücken wollte? Ich kann es, genau wie ihr, nur erahnen. Jedoch änderte sich ihre Vorstellung hierzu schneller als man "Hu" sagen könnte, schneller als der Wind umschlagen kann, wenn ich etwas baute. Nämlich eins: Scheiße! Jep, wenn ich etwas verbockte, in den Sand setze, oder wie man es noch nennen will, dann wurde aus dem vertrauensseligen wir ein klares und vorwurfsvolles Du.
So wie: "Du hast die Kühlschranktür offen gelassen!" oder "Du bist wieder mal zu spät dran!", so eines eben.

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Tag der Veröffentlichung: 12.12.2015

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