Vorwort
Kurzer historischer Abriss
Patrouillengang
Erhebung
Belobigung
Verwirrung
Anhaltung
Nachteinsatz
Der vergessene rote Lappen
Die Therapie
Revanche
Fahrerflucht
Weihnachtsbräuche
Unfallskizzen
Das Organmandat
Terminplanung
Der Besuch
Sperrstunde
Beruf und Berufung
Die optische Täuschung
Vorwort
In so manch geselliger Runde mit Bekannten und Freunden fiel das Gesprächsthema des Öfteren auf den Gendarmeriedienst, und wie er sich im Laufe der vielen Jahre verändert hat. Dabei wurden immer wieder lustige Begebenheiten erzählt. Auch mir kam dabei so manche vergessen geglaubte Geschichte wieder in den Sinn, und ich erzählte sie zum Gaudium einer frohen Runde. Manche Kollegen baten mich, doch einige dieser Geschichten aufzuschreiben, um sie vor der Vergessenheit zu bewahren. Diesem Wunsch komme ich hiermit gerne nach.
Es liegt mir aber fern, ehemalige Kollegen und Vorgesetzte zu diffamieren oder zu denunzieren. Es soll nur ein kleiner, und nicht immer streng dienstlich zu nehmender Einblick in den Alltag eines jungen Gendarmen aus vergangenen Zeiten vermittelt werden. Die Geschichten beruhen alle auf tatsächlichen Begebenheiten, stellen sich aber im Laufe der Jahre aus meiner Erinnerung sicherlich heutzutage etwas anders dar, als sie sich damals zugetragen haben mögen und sind wohl nicht an jeder Stelle ganz so erst zu nehmen.
Hauptsächlich möchte ich mich aber mit der Verfassung dieser Geschichten bei meinem früheren Vorgesetzten, GI Karl Lackner bedanken. Er war wohl einer der besten Vorgesetzten, den man sich wünschen konnte und so manch höherer Chef hätte sich von ihm eine Scheibe abschneiden können, wenn es um gute Mitarbeiterführung ging.
Über mehr als zwei Jahrzehnte lang leitete Karl Lackner den Gendarmerieposten Oberzeiring und begegnete mir gegenüber immer mit Ehrlichkeit, Verantwortungs-Bewusstsein und Güte. Er war für mich ein väterlicher Freund und gab seine umfangreichen Erfahrungen uneingeschränkt an die jüngeren Mitarbeiter weiter. In vielen Belangen setzte er sich tatkräftig für die gesamte Kollegenschaft ein. Von der ersten Stunde an gab er als Chef nicht nur mir selbst sondern uns allen am Posten das Gefühl voll integrierte und geachtete Mitarbeiter zu sein und das war wohl auch der Hauptgrund, warum ich und viele andere Kollegen Oberzeiring so gerne ihren Dienst versahen, wie an keinem anderen Ort.
herzlichen Dank lieber Karl!
Kurzer historischer Abriss
Im Jahre 1850 wurde in Oberzeiring ein Gendarmerieposten etabliert. Vier Beamte zogen damals in den ersten Stock des „Bürgerhauses Hackenschmiede“, Markt 49, heute „Haus Schauer“, Hauptstraße 10, ein. Drei größere Räume und ein kleiner Abstellraum standen seinerzeit zur Verfügung. Das Überwachungsgebiet reichte von Hohentauern bis Oberkurzheim. 1964 wechselte die Unterbringung des Postens. Die Räumlichkeiten übersiedelten in das Gemeindegebäude am Marktplatz.
Ich kam nach meiner Ausbildung 1967 als junger Probegendarm auf eigenen Wunsch nach Oberzeiring. Dort verbrachte ich auch meine ersten 16 Dienstjahre (mit Unterbrechungen wie Ortstafelstreit in Kärnten, Flüchtlingslager Traiskirchen, Fachschule in Mödling und Gendarmerie - Einsatzkommando NÖ usw.) Als ich den ersten Dienst im Silberort antrat, war der Posten mit 6 Mann besetzt. Die Räumlichkeiten bestanden aus drei Kanzleiräumen, einem Abstellraum sowie einem Ledigenzimmer. Es gab weder Funk und als Dienstfahrzeuge standen ein VW Variant und ein Puch Geländefahrzeug zur Verfügung.
1979 wechselte der Posten abermals seinen Standort und übersiedelte in das ehemalige Gerichtsgebäude am Marktplatz, wo die Räumlichkeiten 1998 großzügig renoviert wurden. 2005 wurde die Gendarmerie im Zuge einer Reform mit der Polizei zusammengeführt und ging unter dieser Bezeichnung in einen gesamtheitlichen Exekutivkörper auf.
Patrouillengang
Der damalige Postenkommandant in Oberzeiring Karl N. war an jenem schönen Sommertag guter Dinge, zumal ja der provisorische Gendarm Klaus P. von der Gendarmerieschule kommen und seinen Dienst zum ersten Mal antreten sollte.
Das hatte auch seinen Grund, denn Karl N. sah darin eine gute Möglichkeit. die eigene Autorität anhand einer einführenden Belehrung klarzustellen und ordnete nach einem eher förmlichen Willkommensgruß zunächst an, dass er selbst diese Einführung anhand eines gemeinsamen Fußmarsches mit Klaus P. von Oberzeiring fünf Kilometer nach Möderbrugg vorzunehmen gedachte.
Er schlug vor, dass Klaus P. vor ihm ging und er selbst im Abstand von einigen Schritten hinterher zog, so dass also jederzeit eine gute Verständigung gewährleistet war. Karl N. stellte lapidar fest: Solange keine unmittelbare Veranlassung zu einer dienstlichen Einschreitung bestand, sollte Klaus P. von seinem Chef - also ihm selbst - während des Patrouillenganges auf Herz und Nieren bezüglich Kenntnis der Dienstvorschriften nebst Inhalten der StVO und des KFG geprüft werden. Sollte jedoch eine Gesetzesübertretung oder ein Missstand wahrzunehmen sein, so würde dem Neuling natürlich sofort die Gelegenheit gegeben werden, erste Erfahrungen im Amtshandeln zu sammeln und seine Fähigkeit als tüchtiger und gewissenhafter Beamter unter Beweis stellen zu können.
Nach einem Fußmarsch von etwa fünfzehn Minuten auf der Landesstraße war aber noch immer nichts von einem derartigen Missstand zu bemerken, und es war bis jetzt auch kein Fahrzeug vorbeigefahren, das die Möglichkeit einer Anhaltung bzw. einer Kontrolle bot.
Nach einiger Zeit der Diskussion, die alsbald vom trockenen Gesetzesmaterial zu erquickenderen Wirtshausgeschichten abschweifte, erblickten die beiden schon von der Ferne einen Verkehrsteilnehmer - und somit potentiellen Gesetzesübertreter - auf einem Moped die Landstraße herunterkommen. Das Vehikel zog eine lange Fahne aus blauen Wolken hinterher, die sich langsam auflösten und in die liebliche Landschaft verzogen. Nicht nur aus diesem Grund erkannten die beiden Uniformierten den Mopedfahrer viel früher als umgekehrt – Karl N. aus Gründen der Erfahrung, Klaus P. aus Gründen der anfänglichen Begeisterung und Motivation und umgekehrt der zweirädrige Verkehrsteilnehmer weithin aus Gründen einer nicht vorhandenen Aufmerksamkeit.
Aber ein wenig später dann erkannte auch er die drohende Gefahr in Gestalt der beiden Gesetzeshüter. Es war bereits zu spät, um das Vehikel noch zu wenden. Man hätte ihn anhand seiner großen Buckelkraxn die er auf dem Rücken trug sofort als Bäckergeselle ausgeforscht und womöglich noch daraus später eine Fahrerflucht konstruieren können. Andererseits war aber weder ein Feldweg noch eine kleine Seitenstraße dazwischen, wo man noch ganz legal hätte abbiegen können, um einer Anhaltung und eventuellen Bestrafung zu entgehen.
"So, den hoitens glei amoi aun!" sagte der Chef zu dem noch unerfahrenen Klaus P. Etwas nervös nickte dieser stumm, stellte sich sogleich mitten auf die Straße, erhob die linke Hand und wies mit der Rechten unmissverständlich zum Straßenrand. Der Bäckergeselle war nun schon einigermaßen nahe herangekommen und bekam immer größere Augen. Das hatte auch seinen Grund: Es war ihm vor einigen Tagen das Bremsseil an der Vorderbremse gerissen und die Hinterbremse verhakte sich dann und wann so, dass das Rad dabei kurz blockierte. Deshalb verwendete er sie nur ungern und in äußersten Notfällen. Dies brachte natürlich eine enorme Sturzgefahr mit sich und dessen war sich auch dieser Bäckergeselle bewusst, obwohl er eine eher einfache Persönlichkeitsstruktur aufwies.
Nach einer kurzen Abwägung des Risikos entschloss sich der Geselle langsam zwei Gänge von den dreien, die das Moped hatte, zurückzuschalten, so die schwache Motorbremse eines Zweitakters zu verwenden und die letzte Fahrt mit teils rudernden teils bremsenden Füßen herunterzunehmen. Die Entfernung zu den Beamten reichte dabei allerdings nicht mehr aus, um das Moped noch rechtzeitig zum Stillstand zu bringen.
Die schwarze Puch MV 50 kam daher nach etwa 15 Meter hinter den staunenden Beamten in einer blauen Dunstwolke zum Stehen. Der Bäckergeselle, welcher natürlich keinen Sturzhelm trug, drehte sich mit einem teils ängstlichen teils entschuldigend lächelndem Gesicht um und versuchte mit rauchenden Sohlen seinen "heißen Ofen" etwas weiter rückwärts zu schieben, damit er sich mit den beiden Beamten wenigstens ohne lautes Schreien verständigen konnte. Diese rührten sich nicht von der Stelle und warteten kopfschüttelnd mit einem gleichzeitig lachenden und verärgerten Gesicht ob der groben Verkehrsuntüchtigkeit des Kraftfahrzeugs.
Nach einer kurzen aber sehr lauten und aggressiven Zurechtweisung seitens der beiden Beamten wurde die MV 50 eingehender auf Mängel untersucht und danach das rote Kennzeichen sofort abmontiert. Mangels Werkzeug allerdings nicht gerade sachgemäß. Damit wurde die Weiterfahrt untersagt. Das Moped hatte keinen Ständer mehr und wurde vom Bäckergesellen flugs in den Straßengraben gelegt. Er brachte kein gerades Wort heraus und stammelte ansatzweise Worte der Entschuldigung wie: "Is ma grod do vorher passiert" und Ähnliches.
Der Vorfall wurde seitens des provisorischen Gendarms Klaus P. kurz auf einen Block notiert um ihn später bei der BH zur Anzeige zu bringen.
Der Bäckergeselle war nun gezwungen seine Waren auf Schusters Rappen an die Kundschaft zu verteilen und begann langsam zähneknirschend und ganz leise die pflichtbewussten Beamten zu verfluchen, während diese ihrerseits dem Bäckergesellen laute Vorwürfe machten. Unter leisen, für beide Parteien unhörbar ausgesprochenen Diffamierungen setzten nun beide Parteien ihre Fußmärsche fort, allerdings in die entgegengesetzte Richtung und mit unterschiedlicher Art an Zufriedenheit.
Eine Stunde später nach einer Einkehr in ein Wirtshaus mit anschließender Stärkung in Unterzeiring angekommen, vernahmen die beiden Beamten dass an diesem Tag ein Viehmarkt im Gange war. Nach einer Zeit der Beobachtung inspizierten sie einen Klein - LKW, der entlang des Straßenrandes parkte. Dieser hatte Schlachtvieh geladen. Die jämmerlichen Kreaturen warteten in der immer stechender werdenden Sonne auf ihr nahes Ende. Doch bei genauerer Hinsicht bemerkte Klaus P., dass beide Zwillingsreifen des LKW an der Hinterachse völlig abgefahren und praktisch ohne Profil waren.
Der Fahrzeughalter, ein Landwirt aus der näheren Umgebung, wurde nach einiger Zeit ausfindig gemacht und zum Fahrzeug zitiert. Eine Belehrung seitens Klaus P. erzeugte heftigen Groll im Landwirt, der ob seiner Aussprache schon nicht mehr als ganz nüchtern einzustufen schien. Nachdem die Kennzeichen abgenommen und eine Überstellung der armen Tiere in ein anderes Fahrzeug angeordnet wurde, zog der Landwirt heftig gestikulierend und fluchend in das nächstgelegene Wirtshaus.
Der Postenkommandant Karl N. andererseits, der sich bis dorthin überraschend still verhalten hatte, meldete sich nun aber dann doch zu Wort. Er wies Klaus P. forsch darauf hin, dass eine solche Härte gegenüber der fleißigen Bevölkerung und den Landwirten im Speziellen völlig unangebracht sei, schüttelte über diesen Diensteifer nur den Kopf und sagte, dass er auf eine derartige Weise nicht mehr gewillt sei, die Patrouille fortzusetzen. Mit solchen Worten zog er seinen Rock straff nach unten und verschwand ebenfalls in Richtung des Wirtshauses, wobei er Klaus P. noch im Gehen zurief: "Führen s´ die Patrouille allan weita und erstotten s´ma dann am Ob´nd am Postn an Bericht!"
Daraus hatte Klaus P. seinen Übereifer im Vergleich zur Dienstauffassung seines Chefs schnell erkannt und musste sich langsam den regionalen Üblichkeiten anpassen um drohenden Differenzen mit der Dienstobrigkeit vorzubeugen. Er besorgte sich eine kräftige Jause und marschierte wieder in Richtung Gendarmerieposten. Dort wartete er, bis sich der Postenkommandant nach einer geraumen Zeit ebenfalls wieder einfand, um ihm sodann über das bis dahin Geschehene Bericht zu erstatten.
So endete der erste Tag des provisorischen Gendarmen Klaus P. am Gendarmerieposten zu Oberzeiring.
Erhebung
Der Postenkommandant Karl N. war zwar im Besitz eines Führerscheins, jedoch weigerte er sich standhaft, die Berechtigung zum Lenken eines Dienstkraftwagens zu erwerben. Dies hatte zur Folge, dass ein Außendienst in seinem Beisein immer nur zu zweit durchgeführt werden konnte. Auch galt das für einfache Erhebungen.
Es begab sich nun so, dass ein Vieheinkäufer bei diversen Landwirten aus St. Oswald und Umgebung Schlachtvieh einkaufte. Der Händler besaß jedoch keinen Gewerbeschein dafür, was an sich zumindest über einen gewissen Zeitraum noch nicht auffällig geworden wäre. Aber es brach wegen unterschiedlicher Vorstellungen über Preis und Qualität der Tiere unter den Landwirten ein derartiger Neid aus, dass die Wut über - und Angst vor - eigener Benachteiligung oder Übervorteilung Anderer die einfachen Gemüter zum Schäumen brachte. Somit dauerte es nicht lange als ein Hinweis dieser Gesetzesübertretung über dunkle Wege letztendlich bis zum Gendarmerieposten in Oberzeiring gelang. Es war nach ein paar Rückfragen schnell klar, dass es sich hierbei in 14 Fällen um einen unberechtigten Einkauf von Schlachtvieh handelte, woraus natürlich dann 14 Anzeigen resultierten.
Der Postenkommandant Karl N. wollte zunächst die Erhebung in diesem Fall selbst durchführen. Dazu hätte er sich aber zum Anwesen des Landwirtes Reinhold S. begeben müssen, der als der Erste der 14 Landwirte in der Umgebung ausgesucht wurde, weil er ein guter Bekannter des Karl N. war. In Ermangelung eines Dienstführerscheins war er aber auf die Zuhilfenahme des provisorischen Gendarmen Klaus P. angewiesen. Karl N. hätte auch seinen Kollegen alleine dorthin schicken können um die Erhebungen durchzuführen, damit hätte sich Karl N. allerdings die Chance auf eine hervorragende Brettljause vertan, von der jedermann wusste, dass sie bei Reinhold S. besonders reichhaltig und qualitativ hochwertig war.
Man fuhr also dann doch zu zweit mit dem Dienstauto, einem VW Variant, zum Anwesen des Reinhold S. der die beiden Beamten - wie erhofft oder mehr noch erwartet - mit einer deftigen Brettljause empfing. Dazu wurde Most gereicht. Bereitwillig und mit Freude ließen sich die beiden diese Stärkung von dem Landwirt schmecken. Nachdem es schon recht warm, die Jause würzig und der Durst daher groß war, kam man erst nach einigen Krügerln Most und vielen Geschichten über die Härte des Alltags zum eigentlichen Thema, nämlich dem ungesetzlichen Viehhandel.
Der Landwirt wurde von Klaus P. eingehend nach allen möglichen Umständen befragt, wobei von dem Postenkommandant zwischendurch immer wieder die Güte des Mosts gelobt und die Qualität der Speise gewürdigt wurde. Es war für Klaus P. gar nicht so einfach, nicht zum Thema gehörende Einwürfe und Fettflecken aus dem Protokoll herauszuhalten. Doch letztendlich gelang einigermaßen die Reinschrift der Sachverhaltsdarstellung.
Dieses Protokoll wurde dann dem Landwirt zur Unterzeichnung vorgelegt, wobei die Aufforderung an diesen von Seiten Klaus P. erging, "seine Angaben noch einmal genau durchzulesen". Nach einigem Grübeln und Kratzen von Reinhold S. kam zu Tage, dass der Landwirt des Schreibens praktisch unkundig war und somit ersatzweise eine Vorlesung des Protokolls von Klaus P. vorgenommen wurde.
Der Bauer war richtig froh ob der gut überstandenen Einvernahme und nachdem er seine kindlich anmutende Unterschrift unter das Schriftstück setzte, griff er zur Ziehharmonika und begann darauf einige Volksweisen zum Besten zu geben. Das erfreute nun wiederum den Postenkommandanten recht und er ließ sich von Reinhold S. kräftig Most nachschenken, da er ja keinen Dienstwagen chauffieren brauchte. Gesellig stimmte nun - auch auf Anordnung des Karl N. hin - Klaus P. in den illustren Gesang ein und man verbrachte so einige Stunden mit der Erhebung im Anwesen des Landwirtes Reinhold S.
Da es nun schon spät geworden war und das Dienstende der beiden Beamten immer näher rückte, trat man unter Karl N.´s allgemeinen Lob auf die Bauern und Landwirtschaft sowie deren wunderbaren Produkte - besonders aus diesem Ort hier - die Rückreise an, und Klaus P. war wenigstens für die nachteiligere Position während der Erhebung lukullisch entschädigt worden.
Am Gendarmerieposten Oberzeiring angekommen entließ der Postenkommandant Karl N. den prov. Gendarmen Klaus P. mit den Worten: "Auf de ort führt ma eben Erhebungen durch und in den Sinn kennans die restlichen 13 Unbekannten allanich von Ihnan vorgnommen werden...!"
Belobigung
Es war Anfang Januar. Ein Kälteeinbruch mit arktischen Temperaturen hielt sich tagelang hartnäckig und brachte es mit sich, dass auch in der Gegend um den Dienstposten Oberzeiring langsam die Bäche, Teiche und Flüsse vereisten und zufroren.
Der Postenkommandant Karl N. war nun aber von Haus aus einem wärmeren Klima zugetan und die tagelang anhaltende Kälte stimmte ihn schon beim Aufstehen missmutig. So sehr er sich im Sommer an seinen Rosen im Garten erfreute, doch an der Schönheit der Eisblumen auf den Fenstern des Gendarmeriepostens im Winter konnte er sich so gar nicht erwärmen. Einsätze bei diesen tiefen Temperaturen, noch dazu im Freien, waren also auf das Notwendigste beschränkt und wurden nur zögerlich von ihm selbst vorgenommen.
Der Pölsbach führte nun soviel Eisschollen mit sich, dass es für die alte Holzbrücke mitten in Möderbrugg schon kritisch wurde. Die aufgestauten Massen drohten die Brücke zum Einsturz zu bringen. Es war nun an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen.
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden hatte man erwogen, diese Gefahr am besten durch gezielte Sprengungen seitens der Freiwilligen Feuerwehr Möderbrugg aus dem Weg zu räumen.
Der Postenkommandant Karl N. machte sich nun gemeinsam mit dem provisorischen Gendarmen Klaus P. auf den Weg, um mit den Männern der FF Möderbrugg eine Lagebesprechung auf der Holzbrücke durchzuführen. Klaus P. wunderte sich beim Ankleiden noch ein wenig, dass Karl N. für diese Kälte eine recht dünne Adjustierung wählte, dazumal er ja um Karl N.´s Kälteempfindlichkeit wusste.
Der junge Gendarm wurde nun vorausgeschickt, um den Dienstwagen in Betrieb zu nehmen und die Heizung einzuschalten. Nach einigen Minuten folgte dann Karl N. und stieg in das bereits angenehm vorgewärmte Auto zu.
Die Reise dauerte etwa fünf Minuten und bei der Brücke angekommen zitterte Karl N. schon wenige Augenblicke nach dem Aussteigen wie Espenlaub. Klaus P. hingegen hatte sich entsprechend warm angezogen und für ihn war es kein großes Problem den Kontakt mit den Florianijüngern aufzunehmen.
Am Beginn der Besprechung über die Maßnahmen wie Absperrung während der Sprengung befiel Karl N. außerdem ein etwas mulmiges Gefühl in der Magengegend, denn er war von Natur aus nicht besonders mutig und versuchte wo es nur ging, Gefahren oder Konfrontationen aus dem Weg zu gehen.
Die schneidige Kälte und der Anblick der Sprengladungen machten dem Interesse von Karl N. sofort den Garaus. Unter dem Vorwand, er müsse sich aufwärmen, verabschiedete er sich und ging in das nahe gelegene Wirtshaus. Klaus P. sah sich wieder einmal damit konfrontiert, die Amtshandlung alleine durchführen zu müssen, wobei ihn von nun an der Verdacht nicht mehr losließ, dass Karl N. absichtlich eine leichtere Bekleidung wählte, damit er seine Kälteempfindlichkeit möglichst glaubwürdig darstellen konnte.
Nachdem der Einsatz zwischen den Kräften koordiniert und in allen Details besprochen wurde, ging die Sprengung vonstatten. Alles klappte wie am Schnürchen und die Brücke konnte im Beisein der Bevölkerung von ihrer Bedrängung befreit werden, ohne dass ein Schaden entstanden ist. Danach begaben sich auch die übrigen Männer in das Wirtshaus, wo der Postenkommandant schon von einigen Gläsern Wein erwärmt bei einem Bauernschnapser auf das Eintreffen der anderen Einsatzkräfte wartete. Weiterhin stieß man auf den glücklichen Ausgang der Sprengung an und wärmte sich bis in die Abendstunden neben dem warmen Kachelofen des Wirtshauses.
Damit war die Dienstzeit der Beamten wieder fast um und der mittlerweile erkaltete Dienstwagen musste erneut von Klaus P. einige Minuten vor Abfahrt gestartet werden, damit das Auto warm und der Temperatursturz vom Wirtshaus zum Auto nicht zu groß war.
Die ganze Sache aber hatte einige Zeit später ein unvorhersehbares Nachspiel. Eines Tages kam ein Telefonanruf vom Bezirksgendarmeriekommando. Am Nachmittag sollte eine Abordnung des Bezirkskommandanten am Posten Oberzeiring erscheinen, um Karl N. eine Dankesurkunde zu überreichen. Nebst Abzeichen selbstredend und in aller Form für den dazumal bravourös geleiteten Einsatz.
Der Posten wurde also sauber aufgeräumt und die Überreichung fand dann in Anwesenheit des Oberstleutnants, seiner Gefolgschaft und auch des provisorischen Gendarmen Klaus P. statt, von dem natürlich kein Wort in der Dankesrede war.
Wenn man nun in all die Gesichter blickte, so sah man wohl, dass Klaus P. der einzige war, der diesen Akt der Würdigung und Belobigung zwar an sich für gerechtfertigt aber dennoch für fehlgeleitet hielt.
Verwirrung
Das Einsatzgebiet des Dienstpostens Oberzeiring war weniger durch die Anzahl der Einwohner als durch seine Fläche eines der größten Rayons in der Steiermark. In den schmalen Seitengräben, die alleine schon durch ihre Vielfalt dem Ortsunkundigen Anlass zu leichten Verwirrungen gab und gibt, bewirtschafteten Landwirte ihre Wiesen entlang der Landstraße in jahrhundertealter Tradition auf gewohnte Weise.
Der Postenkommandant Karl N. war über den Neuzugang des provisorischen Gendarmen Klaus P. aus mehreren Gründen recht erfreut. Erstens bot sich nicht nur die Möglichkeit bei Dienstausfahrten am Beifahrersitz bequem und ohne Verantwortung für das Dienstfahrzeug durch diese Gräben gefahren zu werden (Anm.: wie bereits an früherer Stelle erwähnt, besaß er ja keinen Dienstführerschein) und zweitens konnte er über das Megaphon auf dem Dach des bundeseigenen VW Variants den freundlich winkenden Landwirten auch lautstark einen aufmunternden Gruß zukommen lassen.
Nun gab es aber bessere und weniger gute Bekannte von Karl N. in diesen Gräben, insgesamt schien er aber wohl alle Bauern zumindest vom Sehen her zu kennen. Anfangs versuchte der Postenkommandant, übrigens ein leidenschaftlicher Kartenspieler, während der Patrouille einen dieser Bauern über diesen Lautsprecher von der Straße aus zum Kartenspiel aufzufordern, später dann umgekehrt deuteten die Bauern schon mit eindeutigen Gesten auf das vorbeifahrende Gendarmerieauto um ihrerseits denselben Wunsch zu bedeuten.
Es bedurfte es schon einiger Anläufe, da entweder der Dachlautsprecher wegen Rückkoppelung häufig quietschte, oder der beifahrende Karl N. einen bestimmten Schalter für das Gerät erst so spät fand, dass die beiden längst am winkenden Bauern vorbei und fast wieder aus dem Graben heraus auf der nächsten Hauptstraße waren. Nach einiger Einarbeitung in die hohe Technik aber krächzte es bei der richtigen Gelegenheit schon lautstark vom Dienstfahrzeug: "Griaß di Huaba Baua - wos is, gemma an Schnopsa aun?"
Der Landwirt deutete daraufhin, dass er einverstanden sei und lud die Beamten auf sein Anwesen zu einem Viererschnapser ein, da der Bruder des Bauern auch gerade zugegen war und somit alles für eine solche Partie sprach. Während der Auffahrt auf den Hof führte der Chef den noch unerfahrenen Klaus P. kurzerhand mit einigen Tricks in die erweiterte Schule des Kartenspiels ein, wie man sich über Klopf- und Zwinkerzeichen einigen konnte und welche Arten von diesen Zeichen welche Farbe anzeigten.
Das alles war für Klaus P. aber gleich anfangs schon recht verwirrend, weil er nicht sonderlich geübt im Kartenspiel war. Nach einer guten Jause und einem Krügerl Most eröffnete man alsbald das Spiel. Oft ging es hin und her, manchmal gewannen die Gendarmen dann wieder die Bauern. Nach einigen Stunden und einigen Krügerl Most später befiel den Kommandanten ob der aufsteigenden Wärme dann und wann ein leichtes Zucken im Gesicht, das aber mit dem Spiel nichts zu tun hatte und manchmal klopfte er wohl mehr aus Nervosität mit den Fingern einfach so ohne Rhythmus auf den Tisch, ohne dass es ihm aufgefallen wäre.
Dieses Zucken und Klopfen aber interpretierte Klaus P. als eine Art Hinweis für eine bestimmte Farbe die er ins Spiel bringen sollte, war sich aber wegen der Widersprüchlichkeit nicht ganz sicher und glaubte vorhin manche Erklärung in der Eile nicht richtig verstanden zu haben. Zusätzlich vermischte sich diese ungewollte Mimik und Gestik mit der Absichtlichen so unglücklich, dass die Verwirrung von Klaus P. nur immer weiter zunahm.
Immer öfters ging dadurch eine Partie für die Beamten verloren. Sie hatten dabei einen geringen Betrag an die Bauern zu zahlen, der eher als Anerkennung für die gute Jause zählte.
Jedenfalls war für keine der beiden Beamten die Spielweise des anderen nachvollziehbar, andererseits hatten sie aber durch zunehmenden Mostkonsum der Bauern wieder deutlich an Boden gewonnen und waren rasch am Aufholen.
Letztendlich konnte nach zähem Ringen zum Zeitpunkt des Dienstschlusses ein leichter Gewinn für die beiden Gesetzeshüter verzeichnet werden. Sie bedankten sich bei den Landwirten und stiegen gestärkt in ihr Dienstauto, um zum Gendarmerieposten Oberzeiring zurückzukehren.
Während der Heimfahrt sprach der Postenkommandant Karl N. wenig. Er gab nach einiger Fahrt dem Klaus P. zu verstehen, dass zwar an sich alles in Ordnung, er aber zum Schnapsen völlig ungeeignet sei. Unter diesen Umständen und bei diesen Gegnern hätte mehr herausschauen können, meinte er. Dabei war allerdings mehr an die nicht wahrgenommen Gewinnchancen als an den kleinen Geldbetrag gedacht. "I werd ma übalegn, ob I Sie no amoi mitnimm...." sagte er mit etwas verstimmtem Gesichtsausdruck. Der schlug aber bald wieder ins Freundliche um, als er bedachte, dass es ja im Hinblick auf den Dienstplan sehr viel mehr Aufwand war, immer jemand anderen als ihn für diese Art von Außendienst einzuteilen.
Anhaltung
Der Postenkommandant von Oberzeiring Karl N. war ein Mann, der für die Technik im Allgemeinen nicht besonders viel übrig hatte, weshalb ihm auch der Umgang mit dieser Materie nicht gerade leicht fiel. So Manches war ihm schnell zu kompliziert oder einfach zu langweilig.
Der Fortschritt brachte es mit sich, dass auch die Gendarmerie in Oberzeiring mit einem neuen Dienstfahrzeug, nämlich einer schwarzen Puch MV 50 mit rotem BG - Kennzeichen, ausgestattet wurde. Eine Dienstfahrt mit dem "Vehikel", wie es Karl N. nannte, war für ihn aus zwei Gründen undenkbar: Die Bedienung des Fahrzeugs war zu kompliziert und es war nur als Einsitzer zugelassen, weshalb er es immer selbst steuern hätte müssen. Das war ihm aber zu kompliziert.
Er zeigte eine deutliche Abneigung gegen alle Gefährte dieser Bauart, auch fand er allgemein die Lenker dieser Vehikel irgendwie einfach unsympathisch und hatte nicht einmal einen bestimmten Grund dafür. Zumeist waren es jüngere Burschen, die mit den 50ccm Mopeds aufwuchsen und mit deren Umgang bestens vertraut waren. So auch die jüngeren Kollegen des Karl N. insbesondere der provisorische Gendarm Klaus P.
Eine kleiner Zwiespalt begann sich langsam zwischen den Generationen aufzutun, denn einerseits schätzte der Postenkommandant die Lenker dieser Mopeds gering, andererseits hielt er etwas auf Klaus P., vor allem wegen seiner Zuverlässigkeit und guter Auffassungsgabe.
Ganz anders sah man naturgemäß den Stellenwert des neuen Dienstfahrzeugs von Seite der jungen Beamtenschaft am Posten Oberzeiring. Eine Ausfahrt mit der schwarzen MV 50 war eine willkommene Abwechslung in der warmen Jahreszeit und vor allem an jenen Tagen, an denen es im PKW fast unerträglich heiß war. Eine Patrouille auf dem Zweirad kam da sehr gelegen.
Wohlbekannt war die Kunst des "Auffrisierens" und fast alle Burschen der Umgebung kannten die technischen Tricks, mit der man so ein Moped auf eine unzulässige Höchstgeschwindigkeit bringen konnte. Vergaserdüsen, Ritzel, Luftfilter, Zylinderkopf, Auspuff, Bremsen und alles was man so durch kleine Eingriffe tauschen oder verändern konnte trug zur besseren Leistung oder höheren Endgeschwindigkeit bei und waren für Karl N. Worte ohne Wohlklang. Er hatte dafür auch weder Verständnis noch Zugang.
Mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt stand der Postenkommandant oft lange Zeit am Fenster des Postens und schaute auf die Straße hinunter. Fuhr dann ein junger Mann auf so einem Vehikel unten vorbei, sagte er laut vor sich hin: "De Lausbuam san scho wieda untawegs!" und hätte wohl am liebsten all diese Gefährte gleich aus dem Verkehr gezogen, "...damit amoi a Ruah is!"
An einem dieser Sommertage begann der Dienst schon früh am Morgen und die beiden Beamten Karl N. und Klaus P. begaben sich mit dem Dienstauto zum Ortsrand von Oberzeiring. Dort warteten beide geduldig auf einen Verkehrsteilnehmer, den es zu kontrollieren galt. Wie durch einen Zufall war es gleich einer dieser "Lausbuam", der sich während der Fahrt gerade lässig mit einer Hand die Pomade im Haar glatt strich und mit der anderen das Gas im Anschlag hielt, als er mit einem Mal die beiden Grauröcke erblickte.
Sofort wurde Klaus P. mit einem schon leicht verstimmten Unterton vom Chef angewiesen, eine Anhaltung vorzunehmen. Klaus P. erhob seinen rechten Arm und daraufhin bremste der junge Bursche sein Fahrzeug ab.
Abwartend und mit Respekt vor den Uniformierten blieb er am Straßenrand neben ihnen stehen. Nach kurzem Salut kam von Klaus P. ein deutlich lautes "Faaahrzeugkontrolle! - gebns ma amoi die Papiere bitte!" Während der etwas eingeschüchterte Verkehrsteilnehmer umständlich in den Taschen seiner Jacke zu suchen begann, wandte sich der Postenkommandant, der bis zu diesem Zeitpunkt gelangweilt in die entgegengesetzte Fahrtrichtung starrte nun langsam den Blick dem Burschen zu. Aus unerklärbaren Gründen schwenkte Karl N.´s Ignoranz über fades Desinteresse in eine Art übermütiger Lust zur Nörgelei um.
Er begann nun einfach so und mehr spielerisch am Gashebel herumzudrehen und dann und wann am Kupplungshebel zu ziehen, wobei er dem Burschen gleich vorwarf: "Aha - De Vorderbremsen ziagn nix!" Dieser war aber etwas nervös und außerdem mit dem Auffinden seines Zulassungsscheines beschäftigt, so dass er darauf keine Antwort gab. Mit einem leichten Tritt auf das vordere Fußpedal gab es natürlich nach, weil das Moped ja einen Rücktritt als Hinterbremse hatte, und gleichzeitig gab der Postenkommandant seinem Unmut Ausdruck. Nun stellte er dann schon recht aggressiv fest: "De Fuaßbremsn gengan aa ned so guat!" Diesmal wurde der junge Mann aber schon mutiger und setzte zu einer höflichen aber bestimmten Entgegnung technischer Natur an. Er zögerte aber einen Moment lang, weil er es nicht für so besonders günstig hielt, sich mit einem offenbar schlecht gelaunten Gesetzeshüter anzulegen.
Klaus P. aber erkannte schnell die unglückliche Lage in der sich Karl N. selbst hineinzumanövrieren drohte und entschärfte die Situation mit einem schnellen diplomatischen Einwurf sachkundig: "Des is a neix Modö, do san die Hebel aundas baut. De entsprechen oba eh aa den Vorschriften!"
"Guat, dann eben den Zulassungsschein!" zischte Karl N. den Mopedlenker mit strenger Miene an. In diesem Moment hatte der junge Mann auch schon sein kleines Etui in der Hosentasche gefunden und hielt es dem Kommandanten ängstlich vor die Nase. Karl N. setzte nun seine Lesebrillen auf und öffnete das Etui. Hinter dem Zulassungsschein kamen plötzlich auch zwei verpackte Präservative zum Vorschein.
In der Moralvorstellung des Postenkommandanten hatten solche Dinge keinen Platz. Als Karl N. also diese Dinge erblickte, murmelte er leise: "Sie Schwein!", aber doch noch so laut, dass es Klaus P. deutlich hören konnte. Der junge Mann hatte sich derweilen gerade hinuntergebeugt um den Zustand seiner Bremsen zu überprüfen, da er durch die Kritik und den rauen Ton von vorhin doch ein wenig unsicher geworden war. Deshalb hatte er die Beleidigung auch zum Glück nicht gehört. Als er aber überblicksmäßig keine technischen Mängel feststellen konnte, richtete sich der Bursche wieder auf und schaute den Postenkommandanten ein wenig ratlos an. Dieser überreichte ihm grimmig kopfschüttelnd das Etui mit den knappen Worten: "Foahns´ ham!" ohne dabei den Zulassungsschein auch nur angesehen zu haben. Dann wandte er sich nun wiederum der anderen Straßenrichtung zu und ignorierte alles bis auf weiters.
Karl N. war damit ohne Einsicht und weiterhin im technischen Dunkel aber mit viel Glück und durch Diplomatie eines Kollegen einer unangenehmen Belehrung seitens eines "Lausbuam" entgangen und hielt es fortan nicht wert, Lenker dieser oder ähnlicher "Vehikel" ohne Grund anzuhalten oder gar zu kontrollieren.
Nachteinsatz
Natürlich war die personelle Besetzung eines Gendarmeriepostens im Allgemeinen nicht von irgendeiner Tageszeit abhängig, sondern es musste sowohl am Tag als auch in der Nacht immer zumindest ein Vertreter der Exekutive für einen eventuellen Einsatz zur Verfügung stehen. So auch am Posten Oberzeiring.
Bei der Durchsicht des neuen Dienstplanes stellte der provisorische Gendarm Klaus P. fest, dass er für das Wochenende, nämlich am Samstag ab 20.00 Uhr, zum Beidienst eingeteilt worden war. Gemeinsam mit dem Postenkommandanten Karl N. war ein Nachtdienst am Plan. Es war gerade die kalte Jahreszeit, in der viele Bälle und sonstige Veranstaltungen abgehalten wurden. Mit einiger Sicherheit war also irgendwo im Rayon ein Einsatz zu erwarten.
Die beiden Beamten hatten am Nachmittag ein kleines Schläfchen gemacht um den Dienst auch abends ordnungsgemäß und ausgeruht anzutreten. "Foah ma glei außi mit´m Wog´n, dann war ma im Foi des Foi´s schnölla einsotzbereit!" schlug Klaus P. seinem Chef diensteifrig vor. Karl N. aber hatte anderes im Sinn und gab gelassen zur Antwort, dass dies nicht möglich war, da er zurzeit mit Schreibarbeiten beschäftigt sei. Diese Arbeit dulde keinen weiteren Aufschub. So wartete Klaus P. geduldig neben dem kleinen gusseisernen Ofen in der behaglich eingeheizten Wachstube auf weitere Order. Welche Art von Schreibarbeit das genau war, sagte der Chef allerdings nicht. Von Zeit zu Zeit aber hörte man den Anschlag einer Schreibmaschine.
Durch die Wärme begann die Aufmerksamkeit von Klaus P. immer weiter zu sinken, bis der schrille Ton des Telefons beide Beamten jäh aus der Versenkung riss. Karl N. hob den Hörer aus der Gabel und man hörte nur ein: "Jo.. jo.. aha.. aso.. is guat.. mia kumman scho so schnö ma kennan...“ und legte den Hörer wieder auf.
Klaus P. merkte sogleich, dass es sich um einen dringlichen Einsatz womöglich mit Blaulicht handeln müsse und adjustierte sich schnellstens. Karl N. hingegen ließ sich zur Verwunderung des jungen Beamten überraschend viel Zeit. Klaus P. war schon einsatzbereit, als der Chef noch immer umständlich an seinem Gürtel herumzog, während er dem provisorischen Gendarmen diesen väterlich gemeinten Tipp gab: "Merken´s Ihnen des: A guata Beamter geht z´erscht amoi scheiss´n, bevor er sei Patrouill´n aungeht!", wobei er aber den Grund des Einsatzes für sich behielt. Klaus P. war so erstaunt, dass er völlig vergaß danach zu fragen.
Die Beamten stiegen in das ausnahmsweise etwas weniger vorgeheizte Dienstauto - Klaus P. hatte natürlich das Fahrzeug zu lenken - und der Chef wies ihm den Weg zum Einsatzort. Kurz vor Erreichen des Ziels wurde das Tempo etwas forciert und das Blaulicht eingeschaltet, um so den Eindruck größerer Eile zu erwecken.
Schließlich trafen die Beamten in einem Lokal unweit von der Dienststelle ein. Die Wirtin zeigte sogleich wortlos auf einen Tisch, an dem drei junge Männer saßen. Einer davon schlief mit dem Kopf auf seinen überkreuzten Unterarmen am Tisch und die anderen beiden waren sichtlich stark alkoholisiert in ein heftiges Streitgespräch verwickelt. Sie beschuldigten sich gegenseitig und mit fuchtelnder Gestik. Die Worte waren aufgrund des hohen Alkoholspiegels der beiden auch von Nüchternen oder vielleicht gerade deshalb nur von Nüchternen schwer zu verstehen. Schließlich ging der Chef, dem der ganze Einsatz eher unangenehm war, zum Tisch dieser Männer hin und um sich überhaupt die Aufmerksamkeit der Betrunkenen zu verschaffen brüllte er lautstark: "Wos is do los?! Wer mocht do jetzt a Aunzeige über wos? Da bemerkten die beiden erst jetzt, dass die Beamten im Raum waren und begannen sogleich heftig und in einem Kauderwelsch auf diese einzureden.
Nach einiger Zeit des Hin und Hers ständiger Wiederholungen waren die Grauröcke schließlich so entnervt, dass ihr Ton bereits an Rauheit zulegte und nur mit sehr viel Mühe und Aufforderung zur Disziplin gelang es Klaus P. nach geraumer Zeit vorläufig folgenden Sachverhalt zu Protokoll zu bringen, der hier auszugsweise wiedergegeben werden soll:
"... einer der beiden Kontrahenten hat sich vom anderen vor einiger Zeit Geld ausgeborgt. Dieses wollte der andere jetzt wieder zurück haben. Über die Höhe der Summe und das Datum der Rückgabe konnte jedoch seitens beider Parteien keine Einigung erzielt werden. Deshalb kam es zu einem Streitgespräch. Um nach allen Differenzen doch noch zu einem Ende zu kommen, erbat sich nach Angabe der Wirtin der Schuldner einen Teil des strittigen Betrages in Bar von zu Hause zu holen. Dazu benötige er aber ein Auto, da es zu Fuß nicht mehr zu machen war. Der Kontrahent gestattete dies, natürlich in gieriger Aussicht wenigstens den Großteil des aushaftenden Betrages noch am selben Tag rückerstattet zu bekommen. Er stellte sein Auto für diesen Zweck zur Verfügung.
Bei dieser Unternehmung beschädigte der Schuldner den Kotflügel vom Auto des Kontrahenten rechts vorne. Er war gegen einen Laternenmasten gefahren und hatte es nicht bemerkt.
Als der Kontrahent in aller Ungeduld vor dem Wirtshaus wartend beim Eintreffen des Autos den Schaden am Kotflügel sah, ging die Streiterei erst richtig los. Nach Begutachtung des Schadens zogen sich die beiden ins Wirtshaus zurück, da es draußen zu kalt war zum Streiten und setzten den Diskurs neben dem Kachelofen in der warmen Wirtsstube fort.
In diesen Disput mischte sich dann laut Angabe der Wirtin der ebenfalls bereits betrunkene Anton M. in einer lästigen Weise ein, worauf sich nach energischen Zurechtweisungen der beiden anderen und gegenseitigen Beschuldigungen alle Gemüter schnell so entbrannten, dass einer von den Männern dem Anton M. einen Faustschlag versetzte.
Dieser begann heftig aus der Unterlippe zu bluten. Nachdem die Wirtin vergeblich versucht hatte die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, verständigte sie die Gendarmerie und ersuchte um Hilfe. Nach einiger Zeit trafen die Beamten Klaus P. und Karl N. im Wirtshaus ein.
Währenddessen war aber der verletzte Anton M. am Tisch bereits eingeschlafen. Nach einer mühevollen Befragung konnte im Nachhinein nicht mehr eruiert werden, wer genau den Schlag ausführte, da jeder der beiden anderen die Tat bestritt und es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich Anton M. die Verletzung zugefügt hat, indem er sich selbst einen Schlag versetzte. Klar blieb bis dahin jedoch, dass ein zurückzuzahlender Betrag noch offen sei, der jetzt um den Schaden des Kotflügels erweitert war und auch über diesen Schaden bestand Unklarheit, da der Schuldner die Tat abstritt, indem er behauptete, er habe beim Fahren gar nichts Ungewöhnliches bemerkt, es müsse der Schaden also schon vorher bestanden haben, wahrscheinlich sogar durch den Kontrahenten selbst verursacht."
Bis daher ging das von Klaus P. angefertigte Protokoll.
Daraus hätten an sich schon Anzeigen beim BG wegen Körperverletzung, Lenken eines Kfz in alkoholisiertem Zustand, Ordnungsstörung und Anstandsverletzung bei der BH resultiert. Gerade als der provisorische Gendarm Klaus P. vom Kommandanten zur Aufnahme der Anzeige angewiesen wurde und sich so gar nicht sicher war, wie er nun denn diesen Sachverhalt am besten weiter ausformulieren würde, stieß der einer der beiden am Tisch sitzenden Männer ein noch volles Bierglas in einer ungewollten aber heftigen Geste um und der Inhalt ergoss sich über die Hose des Postenkommandanten.
Nun reichte es aber dem Karl N. Er schäumte vor Wut und er schrie laut zu den Männern am Tisch: "Ihr Depp´n! Mocht´s eich den Bledsinn söba aus! Widaschaun!!" Und mit einer unmissverständlichen Handbewegung bedeutete er Klaus P., dass der Einsatz hiermit beendet, das Protokoll zu verwerfen und die Dienstreise zurück auf den Posten anzutreten war.
Damit blieben an diesem Abend einige Gesetzesübertretungen ungeahndet, einerseits zum Vorteil der Kontrahenten und andererseits zum Nachteil des Staates und der braven Steuerzahler. Das Protokoll aber wenigstens blieb auszugsweise erhalten, denn in der Hitze des Gefechtes wurde es von Klaus P. nur zerknüllt und in die Rocktasche gesteckt und dort vergessen. Tags darauf aber nahm es sein damals noch kleiner Sohn unbeachteterweise beim Spielen heraus, versteckte es in einer Dose und vergaß auch diese Dose in einem Kasten. Erst sehr viele Jahre später stieß Klaus P. beim Entrümpeln des Kastens auf diese kleine Erinnerung an das Einschreiten eines jungen Gendarmeriebeamten.
Der vergessene rote Lappen
Der Postenkommandant Karl N. war durchaus darauf bedacht, sein Ansehen in der Bevölkerung hoch zu halten. Aus mehreren Gründen nahm er den jungen provisorischen Gendarmen Klaus P. mit fortschreitender Zusammenarbeit gerne auf Patrouillen mit. Durch diverse Anweisungen und Befehlsausgaben vor Bekannten, konnte er seine Stellung demonstrieren und wenn einmal seine Argumente auf wackeligen Beinen standen, so ließ er sich durch Zustimmung und Ergänzung von Klaus P. diese Argumente bestätigen, um sie dann umso kräftiger in den Raum zu stellen.
Vor einiger Zeit war dem Kommandanten zu Ohren gekommen, dass es angeblich am bäuerlichen Anwesen von Matthias G. irgendwelche Unzulänglichkeiten, wie etwa eine Vernachlässigung der Tiere geben solle. So war ein hinlänglicher Anlass für die Durchführung eines Lokalaugenscheins gegeben, nicht weil mit einer Vernachlässigung eine Gesetzesübertretung verbunden wäre, sondern weil Karl N. gelegentlich die landwirtschaftlichen Produkte von Matthias G. in Form von Speisen und Getränken durchaus wertschätzte.
Die Fahrt mit dem Dienstwagen ging in einen der hintersten Gräben des Tales. Karl N. hatte für den Lokalaugenschein den richtigen Tag und die richtige Uhrzeit gewählt. Es war gerade ein schöner spätsommerlicher Vormittag.
Nach einer gemächlichen Fahrt ohne besondere Vorkommnisse kamen die beiden Beamten am Hof an. Ohne Voranmeldung klopften sie lautstark an die Kellertüre des Hauses, weil Karl N. gleich die Lager- und Vorratsräume für diverse Nahrungsmittel in Augenschein nehmen wollte. Es meldete sich aber niemand. Nach einiger Zeit gingen sie ohne eine Antwort abzuwarten durch die leicht geöffnete Türe hinein und sahen schon die Selchwürstel und den Speck von der Decke hängen. Beide stellten zu ihrer Zufriedenheit fest, dass alles aufgeräumt und in Ordnung war und es sich bei oben genannten Vorwürfen wohl um eine ungerechtfertigte Unterstellung handeln müsse. Es duftete so angenehm nahrhaft, und beide Beamten waren froh (vor allem aber Karl N.), dass alles seine Ordnung hatte und sie gingen erleichtert weiter. Beiden lief jetzt schon das Wasser im Munde zusammen.
Ein klappern von Geschirr aus der Küche ein Stockwerk höher zeigte nun an, dass jemand zu Hause sein musste und die Gesetzeshüter vermuteten, dass ihr Klopfen von vorhin einfach überhört worden war. Bei der Küchentür angekommen klopften sie nochmals, da brummte hinter der verschlossenen Tür die laute und sehr gemütliche Stimme des Bauern: "Wer is´n do?" und die Beamten traten mit einem Gruß in die Stube. Matthias G. war rundlich wohlgenährt und als er die Gesetzeshüter sah, grüßte er gleich freundlich und bat die beiden herein. Er war wegen des warmen Wetters nur mit einem Hemd und einer langen weißen Unterhose bekleidet.
Der Bauer hatte durch eine Krankheit fast sein gesamtes Augenlicht eingebüßt und konnte nur noch Umrisse erkennen. Deshalb verrichtete er den Dienst in der Küche und umgekehrt seine Frau die Arbeit auf Feld und Wiese. Matthias G. war an sich ein sehr gemütlicher Mensch, den nichts so schnell aus der Ruhe bringen konnte. Allerdings hätte er lieber wie alle seine Kollegen die Arbeit im Freien vorgezogen, denn das Kochen war an sich nicht seine Stärke. Bei der Bäuerin war es genau umgekehrt. Die Krankheit aber erzwang den widerwillig akzeptierten Rollentausch.
Oft wenn die Bauersfrau mit ihren beiden Mägden zu Mittag vom Feld kam, und das Essen einnehmen wollte, war das Essen zu früh fertig, war trocken, kalt, verkocht oder zerfallen. Ein andermal wieder wurde es zu spät fertig und ihnen blieb nur die Wahl zwischen „halbgar“ oder „warten“. Jedes Mal gab es ein Gezeter und das ärgerte die Bäuerin immer mehr. Irgendwann reichte es ihr und sie dachte darüber nach, wie sie diesem Dilemma abhelfen konnte. Dabei fand sie auch folgenden Ausweg: Ein großer roter Lappen beim Fenster hinausgehängt hieß, dass das Essen gerade fertig war.
Auch dieses Mal konnte man die Bäuerin in einiger Entfernung auf der gegenüberliegenden Wiese gerade bei der Arbeit sehen. Die beiden Mägde halfen ihr dabei das Heu zu wenden.
Matthias G. war über den hohen Besuch und die willkommene Abwechslung sehr froh. Er fragte nicht nach dem Grund des Besuches sondern bat den Beamten einen Platz am großen Küchentisch an. Diese sagten ihrerseits auch nicht, warum sie eigentlich hier waren – alles hatte sich ja schon erübrigt - und während der Bauer allerhand schwätzte, machte er gleich ohne Aufforderung eine Jause zurecht. Diese wurde dann von allen verspeist und mit einem Krügerl Most hinuntergespült.
Karl N. nahm die neben dem Küchentisch auf der Kommode befindlichen Schnapskarten zur Hand. "Wos is, gemma an Schnopsa an?" Die Frage an sich war überflüssig, denn er mischte die Karten bereits, während Matthias G. den Tisch für das Spiel säuberte. Für solch ein Spiel langte das Augenlicht des Bauern allemal noch. So ging es dann los, eine Partie nach der anderen. Das Spiel wurde nur durch das Besorgen von Most oder durch Toilettengänge kurz unterbrochen.
Die fleißige Bäuerin und ihre Mägde waren aber noch immer bei der Arbeit und bekamen durch die große Anstrengung an der frischen Luft natürlich immer mehr Hunger. Öfter und öfter schauten sie sehnsüchtig zum Küchenfenster hinunter, ob der rote Lappen schon draußen hing. Das Gendarmeriefahrzeug konnten sie aber nicht sehen, da es hinter dem Haus parkte. Also nahmen sie an, dass der Bauer noch mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt sei und wunderten sich, warum er diesmal schon wieder so lange brauchte. Ihrer Vermutung und dem Sonnenstand nach musste es schon weit in den Nachmittag hinein sein.
Nach einer guten Weile kam dann die Bäuerin ziemlich erzürnt samt den Mägden bei der Tür herein geplatzt. Der Herrenrunde aber verging beim Spiel die Zeit so schnell, so dass es ihnen vorkam, sie hätten die Frauen gerade eben durch das Fenster noch beim Wenden des Heus auf der Wiese gesehen. Zuerst machte die Bauersfrau nur ein sauer verzogenes Gesicht. Sie grüßte noch einigermaßen freundlich, aber als sie die drei so beim Schnapsen sah, begann schlechtes Wetter aufzuziehen. Sie schimpfte richtig los und legte dabei noch ungemein zu, als sie gar einen leeren Topf auf dem Herd stehen sah. Während ihrem Sermon deutete sie immer wieder abwechselnd auf den leeren Topf und dann auf den vergessenen roten Lappen hin und die Beamten fühlten sich etwas fehl am Platze.
Schweigend standen beide nun vom Tisch auf und sahen ihren Lokalaugenschein nunmehr als beendet an. Sie gingen kurz grüßend an den Frauen vorbei, denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Matthias G. nützte eine Chance, dem Gewitter zu entkommen und huschte mit einer entschuldigenden Geste den beiden hinterher, während er die Kellertür schnell hinter sich zuzog. Er gab den bereits im Auto sitzenden Beamten noch schnell ein paar Selchwürstl mit und bat sie bei günstigerer Stunde wieder zu kommen.
Karl N. und Klaus P. mussten noch einige male herzhaft lachen, als sie während der Fahrt zum Gendarmerieposten den Wutanfall der Bäuerin nachäfften und gleichzeitig das geduldige Gemüt des Bauern samt der Qualität seiner Selchwürste lobten.
Kurze Zeit, nachdem die Beamten wegen des "schlechten Wetters" vorzeitig abreisten, nahm auch die Bäuerin mit einer guten Jause statt des warmen Mittagessens vorlieb und zwei Krügerl Most und ein Zwetschkener entschädigten sie für das entgangene Mahl. Es war dafür sowieso zu heiß geworden. Damit verzogen sich die Wolken wieder und der Bauer sah jetzt trotz seiner schwachen Augen die Sonne wieder am blauen Himmel scheinen.
Die Therapie
Unbarmherzig schreitet die Zeit voran. Selbst an einem verschlafenen Dienstposten wie Oberzeiring treten mit einer gewissen Regelmäßigkeit Personalwechsel ein, davon sind Chefs nicht ausgenommen. So musste auch der "alte" Postenkommandant Karl N. gegen Ende der 60er Jahre seinen Hut nehmen und sein von allen sehr geschätzter Stellvertreter Karl L. wurde zum Kommandant befördert. Nun war aber die Stelle des Vertreters frei und wurde mit einem bis dahin wenig bekannten oder gar auffälligen Beamten namens Ernst H. besetzt.
Ein sehr eleganter Mann übrigens, die Adjustierung war immer perfekt und auch in Zivil trug er maßgeschneiderte Kleidung. Er beschäftigte sich mit vielen Dingen, einmal interessierte ihn dies dann wieder das, vornehmlich aber galt sein Interesse technischen Spielereien. Seine etwas nüchterne Art wirkte gepaart mit trockenem Humor zeitweise fast arrogant bis unzugänglich.
Der alltägliche Dienstbeginn war bei ihm immer eine Art Zeremonie, bei der ständig die gleichen Handlungen abliefen. Zuerst einmal kam ein kurzes Nicken, wenn er in die Dienststube trat, dann hängte er Kappe und Mantel auf die Garderobe, wobei er nach Möglichkeit immer denselben Haken benutzte und legte dann seine Handschuhe und die dunklen Sonnenbrillen auf seinen Schreibtisch. Danach setzte er sich auf den Sessel und holte aus seiner mitgebrachten Aktentasche eine Thermoskanne mit Becherverschluss.
Nach einiger Zeit goss er sich aus der Flasche einen Becher voll Schwarztee ein. Der Schreibtisch war an dieser Stelle schon durch ein gelegentliches Ausschütten dunkel gefärbt und das Furnier war bereits leicht aufgezogen.
Wenn nichts Dringendes zu erledigen war, holte er gleich ein elektronisches Schachspiel aus der Aktentasche und begann nach einem kurzen Räuspern mit einer Partie. Grundsätzlich war danach nur noch Stille zu hören, unterbrochen von gelegentlichem Piepsen, wenn das Gerät zu einem Spielzug aufforderte.
Einmal in sein Spiel vertieft, ließ er sich natürlich nur ungern durch jemanden in seiner Konzentration unterbrechen. Ein strafender Blick über den Rand seines Brillenglases genügte bereits um einem Menschen das Gefühl von Schuld zu vermitteln, wenngleich auch kein Wort im Raum gefallen war.
Auch an diesem schönen Sommertag war bereits das übliche Ritual abgelaufen, als es an der Türe des Postens klopfte. Neben dem "Vize" waren auch noch die Beamten Klaus P. und Franz R. im Zimmer. Mürrisch, weil gerade in einer spannenden Phase des Schachspiels unterbrochen, forderte Ernst H. zum Eintritt auf. Es trat der allseits bekannte Knecht Vinzenz St. in das Dienstzimmer ein. Er stand in Diensten des Großbauern Anton A. Nachdem der "Vize" den Knecht sah, war er umso verstimmter, da er wusste, es könne sich nicht um eine Sache von Bedeutung handeln. Er hielt ein Anliegen des Knechts gering und den Knecht selbst als zu einfältig und wohl auch zu unfähig, um dadurch eine Unterbrechung des Spiels zu rechtfertigen.
"Wos wüst´n?" kam es recht barsch zwischen den Zähnen des Ernst H. hervor, wobei er gar nicht so recht zu dem Störenfried aufblicken wollte. Die beiden anderen Beamten waren gerade mit Schreibarbeiten beschäftigt und ignorierten bis dahin den Knecht Vinzenz St., wohl auch deshalb, weil sie ihn schon aus anderen Begegnungen kannten und wussten, dass er weder aggressiv noch sonst wie gefährlich war. Sie wussten aber auch, dass er schon immer als etwas sonderbar und mit einem leichten Zug zur Verwirrtheit behaftet galt. Nun begann der Knecht loszulegen: Sein Dienstgeber, der Großbauer Anton A. schicke ihm seit einiger Zeit die Strahlen nach, weshalb er schon mit den Nerven fertig sei und wenn das so weiter gehe und dem nicht seitens der Gendarmerie Einhalt geboten werde, müsste man alsbald mit seinem Ableben rechnen.
Ernst H. blickte von seinem Schachspiel auf und überlegte kurz, ob er ihn einfach hinauswerfen sollte, oder ob dem armen Manne nicht besser mit der Hinzuziehung eines Nervenfacharztes geholfen werden könne. Ersteres barg das Risiko in sich, dass er bald wieder auftauchen und von neuem seine Anliegen darbieten konnte, zweiteres war mit Arbeit verbunden und der Vize Ernst H. war daher noch unschlüssig. Nachdem er aber ein recht guter Stratege war, versuchte er seine intellektuelle Überlegenheit zu einem Zeitgewinn zu nutzen. Damit würde er über die weitere Vorgehensweise nachdenken können und gleichzeitig wohl auch noch ein wenig Spaß in das sonst so ernste Alltagsleben von Gendarmeriebeamten bringen. Er ließ also den Knecht Vinzenz St. ausreden, befragte ihn dann in ruhigem und sachlichem Ton nach Art und Intensität der Strahlen, wobei dieser alles willig erzählte, was ihm so auf der Leber lag. Der Vize hatte alle Mühe sich zu beherrschen, hielt sich aber dennoch ganz gefasst, weil er die Chance auf einen guten Spaß nicht verderben wollte.
"Na, do miaß ma glei wos moch´n" meinte der Vize ganz entschlossen und wies Vinzenz St. gleich an, sich auf den Boden hinzulegen und Füße und Hände auszubreiten. Die Art der Strahlen war zuvor von dem Knecht als von elektrischer Natur beschrieben worden, weshalb der Vize den Knecht in ganz ernstem Ton fragte, ob er die Strahlen aus der Steckdose vor ihm spüre. Dieser war sich zuerst nicht ganz sicher, aber durch geschicktes suggestives Fragen nötigte der Vize Ernst H. gleichsam das einfache Gemüt zu einer vermeintlich deutlichen Empfindung.
Nun bat er den Knecht weiter, sich ganz auf die Strahlen zu konzentrieren und die Augen zu schließen, wobei er ihm mit ruhiger Stimme einredete, dass er gerade jetzt die Strahlen aus dieser Steckdose beseitigen werde. Er drückte dabei die Eingabetaste seines Schachspiels und unmittelbar danach war ein kurzes Piepsen zu hören. "Gspiast as jetz imma noch?" "Na, hiazn neamma". Durch diesen Erfolg in seiner Therapie ermutigt, war sich nun der Vize seiner Taktik noch sicherer geworden und setzte die Behandlungsmethode weiter fort. Die beiden anderen Beamten hatten alles mitverfolgt und hätten am liebsten aus vollem Hals hinausgelacht, wollten aber den Erfolg der Therapie nicht gefährden und beide verließen das Zimmer während sie sich die Bäuche hielten.
Nun hieß der Vize den Knecht aufstehen und die Arme schräg nach oben auszustrecken. "Gspiast de Stroihn von da Obzweigdosn do oben?" "Jo, gaunz stoak!" Kurze Stille und darauf ein Piepser. "Jetzt imma nouch?" "Na, hiazn neamma!" "Na sixt!" "Sou, jetzt tua die Händ owa, moch die Augen zua und konzentrier die auf daham. Wiavü Steckdousn san jetz in deina Kaumma daham?" "Drei!" Dann war für einige Zeit Stille. Der Vize fand die Taste am Schachspiel nicht gleich, weshalb man ganz leise aus dem Nachbarzimmer ein unterdrücktes Lachen hörte. Nach kurzer Zeit ertönten aber drei Piepser des Schachspiels hintereinander und der Vize sagte ganz ernst und mit bedeutender Miene: "Sou, jetzt hob i de Stroihn für imma untabrouchn, dei kennan da nix mea tuan!"
Der Knecht machte die Augen auf, bedankte sich oftmals und sah nun von einer Anzeige gegen seinen Dienstgeber ab, weil sie ja nach der erfolgreichen Therapie gegenstandslos geworden war und zog mit frohem Gemüt von dannen. Sobald er den Posten verlassen hatte, kamen die beiden anderen Beamten laut lachend aus dem Nachbarzimmer und gratulierten ihrem Chef wegen seiner großen Gefaßtheit in dieser Situation. Ernst H. aber konnte sich nun auch nicht mehr halten und unter großem Gelächter entwickelten sie immer skurrilere Therapien für Vinzenz St., falls er jemals wegen dieser Sache wiederkommen sollte. Nachdem das bis zum heutigen Tag nicht der Fall gewesen ist, schien der Erfolg schon bei der ersten Sitzung durchschlagend gewesen zu sein.
Revanche
Der Vizechef des Postens Oberzeiring, Ernst H., war aber nicht immer nur ein gut gelaunter Vorgesetzter. Er konnte manches Mal auch unangenehm werden, wenn etwas nicht seinen Vorstellungen entsprach. "Trottel" war in dieser Laune eines seiner Lieblingswörter. Die Kollegen erzählten viel von ihren Urlauben aus Italien - er hingegen war eher in den heimischen Regionen zu Hause und schätzte die Vorzüge bodenständiger Kultur inklusive regionaler Küche. Trotzdem hatte er auch einen gewissen Hang zur Neugier. Im Zuge eines schwärmerischen Urlaubsberichtes von einem Kollegen entschloss er sich einmal unvermutet zu einem Italienurlaub. Dass dieses Unternehmen nicht so ganz auf seinem eigenen Willen beruhte, konnte man auch an der Wortwahl erkennen, die er für sein Ansinnen benutzte. "Mir foahn vierzehn Tog zu de Katzlmocha am Hausmastastrand owi. Zum Orschbodn!" war typisch für die geringe Wertschätzung anders gearteter Lebensweisen aus seiner Perspektive. Diese Ansicht teilten natürlich die Kollegen nicht, besonders nicht Franz R., der wiederum sehr gerne reiste und das Kennen lernen anderer Kulturen als Bereicherung seines Horizontes betrachtete.
Gemeinsam mit seiner Gattin trat Ernst H. nun zum ersten mal zögernd die Reise zur Adria an und reiste somit samt aller möglichen Bedenken im Gepäck gleichzeitig auch kulturell ins Ungewisse. Er wurde von seinen Kollegen noch mit aufmunternden Worten verabschiedet, sowie mit der Bitte, einige ortstypische Waren wie Wein oder dergleichen mitzubringen.
Aber schon am Tag danach tauchte er spätnachmittags wieder zur großen Überraschung der Kollegen am Posten auf. Auf die Frage, warum er denn schon wieder hier sei, gab er zur Antwort: "De Trotteln hom jo ned amoi a Schnitzel oder a guate Rindsuppen do unten, und auf de Bett´n hams aa ka gscheite Tuchent drauf!" Man darf aber mit einiger Sicherheit annehmen, dass dies nicht allein der Grund für seine vorzeitige Abreise war, denn seine Gattin war nicht minder unaufgeschlossen, was fremde Sitten und Gebräuche anlangte.
"Des woa ka guate Idee" richtete er seinen Missmut an denjenigen, der ihm vermeintlich dieses Vorhaben eingeredet hatte und seine Blicke trafen dabei Franz R. Dieser musste nun schmunzeln, obwohl er es auch als Vorwurf auffasste. Ein wenig betroffen ob des ungerechtfertigten Angriffs wurde Franz R. leicht säuerlich und das Verlangen nach einer Retourkutsche stieg in ihm auf. Da fiel ihm ein, wie der Vize den Knecht Vinzenz St. an der Nase herumgeführt hatte. Und er hatte auch gleich eine Idee, die er tags darauf in die Tat umzusetzen gedachte.
Am nächsten Tag saßen Klaus P., und Franz R. in der Kanzlei. Es war sehr ruhig, als die Türe aufging und der Vize Ernst H. in den Raum trat. Darauf hatte Franz R. gewartet. Es lief das übliche Ritual ab. Als der Vize dann ruhig an seinem Schachspiel saß, und wieder nur das Piepsen des Spiels die Stille im Raum unterbrach, fragte Franz R. ganz plötzlich: "Chef, könntens bitte amal die Sonnenbrillen aufsetzen?" Eigentlich hätte man jetzt erwartet, das Ernst H. wegen der Unterbrechung ärgerlich mit "wiaso?" geantwortet hätte, aber er setzte die Brillen ohne ein Wort auf. "Steigns bitte amoi auf den Sessel do aufi" Klaus P. wurde nun aufmerksam und fragte sich wahrscheinlich gleich wie der Vize, was dies nun zu bedeuten hätte.
Ernst H., nun schon einmal auf diesen Zug aufgesprungen tat auch dies und war schon neugierig, was da passieren würde. Indem er nun den Vize bat "Nehmans bittschen des Funkgerät und tua´ns amoi so als obs a Meldung durchgebatan" reichte er ihm das Funkgerät. "So und jetzt miaßns no a Hand nach vor ausstreckn" Auch das tat er in fragender Erwartung. Dann aber sagte Franz R.: "So, wanns jetzt a no französisch singen kennatn, dann kennt ma jetzt an Fülm drahn, wei jetz schaun´s aus wie da Charles Aznavour" und sogleich musste Klaus P. heftig lachen und gleichzeitig verzog sich die Miene des Vizes ins säuerliche. Dann lief er hochrot im Gesicht an und während er vom Sessel sprang, schrie er: "Du Trottel, du Rauschkind, schleich di!" und er begann Franz R. um den Schreibtisch zu verfolgen. Dieser rannte laut lachend aus der Kanzlei in Richtung Stiegenhaus davon. Noch immer rot im Kopf verließ nach einiger Zeit auch Ernst H. den Posten und zischte immer wieder "a so a Trottel" zwischen den Lippen hervor. Tagelang herrschte noch Funkstille zwischen den beiden. Franz R. sah aber trotz dieses Umstandes darin einen kleinen Erfolg seiner Kulturpolitik.
Fahrerflucht
Der jüngste Zugang am Gendarmerieposten Oberzeiring war ein Kollege von Klaus P. namens Matthias L. Er hatte eine kleine rundliche Statur mit einem ebenso runden Kopf. Seine Augen flackerten ständig und seine roten Wangen waren charakteristisch. Auf die Frage einer englischen Urlauberin nach dem Weg antwortete er einmal: "Mei name is Hisi!" wobei er einen derartig starken bäuerlichen Dialekt sprach, dass alle Kollegen sich vor Lachen die Bäuche hielten. Aus diesem Grund wurde er von allen im Dorf etwas schelmisch "Hisi" genannt.
Hisi wuchs in der "Einschicht" in der westlichen Obersteiermark auf und zu seinem Erscheinungsbild gehörten einerseits eine gewisse Unsicherheit und andererseits wiederum Mut zu unkonventionellen Entscheidungen. Seine Haare standen ihm meist zu Berge und sein Dialekt war sogar für Einheimische schwer zu verstehen. Er sagte z.B. die "deachl Seit´n" und die "dotzige Seit´n" wenn er die gegenüberliegende und die herübere Seite meinte.
Gerne war er aber in Gesellschaft, weshalb er praktisch alle Wirtshäuser im Bezirk kannte. Auch war er dem Kartenspiel nicht gerade abgeneigt und trank mit Vorliebe alkoholische Getränke, diese allerdings nicht besonders wählerisch. Seine nächtlichen Eskapaden kamen meist tags darauf über Umwege an das Ohr des Postenkommandanten, der sich daraufhin natürlich mehr ärgerte als es für ihn lustig war.
Zu Geld hatte Hisi kein ausgeglichenes Verhältnis. Deshalb war er im letzten Monatsdrittel sehr oft auf den Hund gekommen und musste sich mal hier mal da kleinere Summen ausborgen. Für die Geldrückgabe bat er dann seine Gläubiger oft auf die Dienststelle und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem er gerade zu einem Außendienst eingeteilt war. Die Kollegenschaft führte mit Hisi lange und gütige Gespräche in der Hoffnung auf Besserung. Trotz vieler Versprechungen blieben aber ihre Bemühungen darin fruchtlos.
Einmal an einem späten Nachmittag hatten der Beamte Klaus P. und sein Chef Karl L. gerade Verkehrsdienst und standen den fließenden Verkehr beobachtend an einer Straßenkreuzung. Von dort aus war auch ein nahe gelegener Parkplatz vor einem Wirtshaus gut einsichtig. Von südlicher Richtung kam ein PKW mit offensichtlich überhöhter Geschwindigkeit auf den Parkplatz zu und bog ohne zu blinken in diesen ein. Die Beamten sahen das und wollten gerade zwecks einer Kontrolle zu dem Fahrzeug hinfahren, als sie auch schon am typisch runden Profil des Fahrers dessen Identität erkannten: nämlich Hisi. Er wollte gerade Einparken, als er beim Reversieren eine kleine Steinmauer übersah. Es gab einen dumpfen Knall und dann sprang die verbeulte Heckklappe auf. Hisi stieg fluchend aus und begutachtete kurz den Schaden, knallte die Klappe zu, um daraufhin immer noch wild fluchend im Wirtshaus zu verschwinden.
Klaus P. und sein Chef mussten einerseits herzhaft lachen, hatten aber andererseits die Absicht, Hisi kräftig in die Mangel zu nehmen. Dazu kam es aber unglücklicherweise nicht, da ein anderer Verkehrsteilnehmer gerade noch mehr Aufmerksamkeit verlangte. Es war ein in Schlangenlinie herankommender Mopedfahrer, der spontan aus dem Verkehr zu ziehen war. Nach Beendigung der Amtshandlung, setzten die Beamten ihre ursprüngliche Absicht weiter fort, jedoch war Hisi´s Auto plötzlich nicht mehr da. Es war ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass er nach sehr kurzer Zeit das Gasthaus wieder verlassen haben musste und nicht mehr aufzufinden war.
Am nächsten Tag hatte der Hisi Dienst. Offenbar recht verkatert und mit rauer Stimme traf er am Posten ein. Die Kollegen waren als erstes recht verwundert über seine eigenwillige Adjustierung. Ein weißes Hemd und eine rote Krawatte konnte in keiner Bekleidungsvorschrift gefunden werden. Sein Rock war zwar zugeknöpft, aber in der Reihe um ein Knopfloch verschoben. Und dazu trug er grüne Jägersocken. Dieser Stil zeugte davon, dass Hisi es nicht besonders genau nahm mit der farblichen Harmonie. Vielmehr betrachtete er seit jeher Kleidung ausschließlich als Wärmeschutz und jeder modische Trend ging spurlos an ihm vorbei.
Die Kollegen wussten nicht so recht, ob sie jetzt lachen, oder ihn wegen seiner Adjustierung zurechtweisen sollten und blickten sich gegenseitig fragend an. Als aber Hisi darauf ansetzte, einen Sachverhalt zur Anzeige zu bringen, wurde das Staunen immer größer.
Allen Ernstes behauptete er, dass ein Fahrzeug gestern Abend sein Auto beschädigt habe. Der Fahrer sei einfach davongefahren, ohne sich weiter darum zu kümmern und "... do liegt a glotte Fohraflucht vor!". Er wolle somit Anzeige gegen "Unbekannt" erstatten.
Jetzt aber reichte es dem Postenkommandanten und er lief rot im Gesicht an. Mit lauter Stimme schrie er Hisi an und erteilte ihm eine Strafpredigt, die sich gewaschen hatte. Dann war es einen Moment lang ruhig und mit etwas leiserer Stimme schlug der Chef dann vor, dass sich Hisi freiwillig auf einen anderen Posten versetzen lassen solle. Offenbar hatten jetzt alle erkannt, dass es in diesem Beruf - genau wie in andern Berufen auch - Menschen gab, die ihre Berufswahl verfehlt haben. "...und Sie san ana davon!" damit endete der Sermon des Chefs.
Der junge Beamte sah die Situation jetzt ein, er hatte es einfach zu weit getrieben und leistete keinen Widerstand mehr. Er suchte noch am selben Tag um Versetzung in den Nachbarbezirk an. Diesem Ansuchen wurde auch zum Leidwesen der Besatzung des dortigen Gendarmeriepostens stattgegeben.
Weihnachtsbräuche
Hisi war auf unserer Dienststelle der jüngste Beamte. Er bewohnte neben der Dienstkanzlei ein Ledigenzimmer. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet und verfügte nicht einmal über fließendes Wasser. Nachdem er sich gerne und lang in diversen Wirtshäusern der Umgebung aufhielt, blieb sein Nachhausekommen von den Nachbarn meistens nicht unbemerkt. Wenn ihn dann am nächsten Morgen die Kollegen nach seinem Eintreffen in der Nacht befragten, so legte Hisi dieses oft gleich um ein paar Stunden zurück.
Einmal gab es in einem Wirtshaus spät in der Nacht zwischen den Gästen eine Meinungsverschiedenheit. Es wurde dermaßen lautstark gestritten, dass der Postenkommandant Karl N., der in dieser Nacht seinen Dienst versah, durch den Lärm aus dem Schlummer gerissen wurde. Gerade, als er aus dem Fenster auf das Wirtshaus sah, kam auch schon ein unbekannter Mann aus dem Wirtshaus heraus gestürmt. Kurz dahinter lief ein Zweiter nach. Das war nun an der Statur unverkennbar Hisi. Er verfolgte den Unbekannten, der zunächst um das Haus lief, nach der zweiten Runde bog er aber in die Straße ein und lief dort weiter.
Hisi war so auf die Verfolgung konzentriert und hielt den Kopf gesenkt, dass er dies gar nicht bemerkte und nun ohne Kontrahenten einfach um das Haus weiterlief. Der Postenkommandant sah ihm noch eine Weile zu, ehe er herzhaft zu lachen begann. Dann aber nach einer Weile kam Hisi außer Atem. An der Wirtshaustür wieder angekommen zog er es vor, die Verfolgung aufzugeben und in das Gasthaus einzutreten.
Am nächsten Morgen zum Dienst angetreten, sagte Hisi mit etwas geröteten Augen und einer deutlichen Ausdünstung zu Karl N., er sei gestern schon früh schlafen gegangen und deshalb gut ausgeruht für einen Einsatz.
Zusammen mit Klaus P. fuhr nun der Hisi zu einem Künstler, der in einem kleinen Dorf ein schlossähnliches Anwesen bewohnte. Der ortsbekannte Maler und Bildhauer lud alljährlich zu Weihnachten die Beamten des Dienstpostens zu einer Jause ein und bei diesem Anlass wurde über dies und das geplaudert. Gerne nahmen die Beamten diese freundliche Geste wahr und so geschah es auch, dass bei einer Brettljause und bei Bier die im Zimmer befindlichen neuen Skulpturen des Meisters besprochen und auch über andere Angelegenheiten der Künstlerwelt debattiert wurde.
Alle ließen sich die Brettljause gut schmecken. Hisi aber schmeckte das Bier noch besser und er war von dessen besonderer Würzigkeit angetan. Auch befiel ihn bereits vom Vortag herrührend eine besondere Durstigkeit. So nahm er gleich einmal einige Gläser. Trotzdem konnte er sich allerdings nicht für die holde Kunst begeistern, anfangs noch im Dilemma war ihm das Bier jetzt eindeutig wichtiger geworden als die Kunst, so dass er ständig nachverlangte und später auch kein Glas mehr zum Einschenken brauchte um seinen Durst zu stillen, sondern gleich aus der Flasche trank. Nach und nach wurde Hisi immer röter im Gesicht. Bilder, Skulpturen und Menschen – alles ging durcheinander im Raum. Akustisch war er für die anderen nicht mehr zu verstehen und konnte sich seinerseits nur noch mühevoll Gehör verschaffen.
Nach einiger Zeit schließlich kippte er beim Versuch, einem menschlichen Bedürfnis nachzugehen, rücklings von der Sitzbank und kam trotz wiederholter Anstrengung nicht mehr auf die Beine. Fragend schaute nun Klaus P. den Meister an und beide standen vor der schwierigen Aufgabe, den Verunglückten wieder aufzurichten. Dies wollte aber trotz ambitionierter Hilfe nicht gelingen, da Hisi während der Aktion einschlief und wie ein nasser Mehlsack am Boden lag.
Klaus P. holte nun die Pelerine (ein ärmelloser Umhang, der gelegentlich noch getragen wurde) und deckte den Hias einfach zu, bis die Unterhaltung zwischen dem Künstler und dem Beamten fertig geführt war. Nun schafften sie es beide mit vereinten Kräften, den Hisi vor das Haus zu zerren und in das dort parkende Gendarmerieauto, einen VW Variant, hineinzuhieven. Danach verabschiedete sich Klaus P. höflich und fuhr dann mit Hisi zum Dienstposten zurück.
Dort wäre es aber peinlich gewesen, wenn man die beiden so im Auto gesehen hätte. An ein Aussteigen des laut schnarchenden Kollegen war sowieso nicht zu denken, sinnlos ihn also zu wecken. Deshalb fuhr Klaus P. gleich in die Garage und ließ den Hisi dort weiterschlafen. Er wäre sowieso auch zu schwer gewesen, um ihn alleine aus dem Dienstwagen herauszubringen. Nach dem Verschließen der Garagentüre legte sich auch Klaus P. vom Dienst erschöpft zur Ruhe.
Am nächsten Morgen kam Hisi direkt aus der Garage zur Wachstube und war dementsprechend adjustiert. Sein Erscheinungsbild war erbärmlich und er selbst eine Beleidigung für empfindsame Nasen. Der Postenkommandant wollte eine Erklärung für diesen Zustand, worauf Hias nur leise zur Antwort gab: "I woa nix rauschi´gestan, bin eh scho friah hamkemman".
Unfallskizzen
Im Winter sind im Rayon Oberzeiring die Berg- und Seitenstraßen recht unfallträchtig. Die ohnehin schmalen Straßen sind nach einem ergiebigen Schneefall durch die Schneewände und den Wegfall der Bankette oft noch enger und schwieriger zu befahren als sonst und Unfälle waren beinahe an der Tageordnung. Wie üblich wurde die Gendarmerie gerufen, wenn sich die Unfalllenker nicht an Ort und Stelle über das Verschulden einigen konnten. Auch reine Blechschäden mussten von Amts wegen erhoben werden. Die Versicherungsgesellschaften forderten dann den Bericht über die Behörden an.
Wie Unfallskizzen zu zeichnen sind, wird in der Grundschule der Gendarmerie vermittelt. In der Schule erlernte Theorie und alltägliche Praxis weisen manches Mal erhebliche Unterschiede auf, wie es uns beispielsweise eine Unfallaufnahme samt Skizze von Hisi deutlich vor Augen führen kann.
An einem tief verschneiten Vormittag klingelte das Telefon am Gendarmerieposten Oberzeiring. Ein Verkehrsunfall mit Blechschaden wurde auf einer kurvenreichen Bergstraße gemeldet. Verletzte gab es zum Glück dabei nicht. Beide Lenker konnten sich nicht auf das Verschulden einigen, und so wurde eben die Gendarmerie zu Hilfe gerufen.
Hisi hatte an diesem Tag gerade Dienst und fuhr mit dem Dienstfahrzeug zum Unfallsort. Als Hisi dort ankam, blockierten die beiden ineinander verkeilten PKW noch immer die Straße. Nach einer kurzen Befragung stand fest, dass die Verschuldensfrage gar nicht so einfach zu klären war und es wohl zu einer Verhandlung kommen würde. Hisi hielt es für angebracht eine Skizze des Unfallortes anzufertigen. Er holte also zur Befriedigung und Beruhigung der beiden Streitparteien ein Messband aus dem Koffer und begann die Spuren mit wichtigem Gehabe zu vermessen, wobei er alle Daten einfach auf ein Blatt Papier notierte.
Nach Abschluss der Amtshandlung übertrug er diese Daten am Posten dann fein säuberlich auf ein Millimeterpapier und verfertigte die Anzeige.
Wie erwartet konnten sich die beiden Versicherungen auch in diesem Fall nicht eindeutig über den Verursacher einigen und es kam deshalb einige Monate später zu einem Lokalaugenschein. Ein Sachverständiger wurde beigezogen und man traf sich also an Ort und Stelle. Dort aber bot sich natürlich jetzt ein völlig anderes Bild. Der Schnee war geschmolzen, gab die Bankette frei und rundum erblühte alles im schönsten Frühling.
Die Sachverständigen berieten nun über den Hergang und versuchten alles rekonstruieren, suchten in der Unfallskizze nach dem Fixpunkt, dem alle anderen Daten zugrunde lagen. Jetzt aber mussten sie feststellen, dass dieser Fixpunkt in der Landschaft nicht mehr vorhanden war. Hisi hatte nämlich die Spitze eines Schneehaufens als Bezugspunkt angegeben.
Man bemühte sich, natürlich unter vorgehaltener Hand lächelnd, das Beste aus der Situation zu machen, um dennoch die Verschuldensfrage eindeutig klären zu können. Das gelang nach langem hin und her und nur mit viel Mühe. Aber ist es eben so, dass die Verwunderung über die Art der Protokollierung sogar die Laufbahn eines Beamten manches Mal überdauert.
Das Organmandat
Gesetze und Verordnungen sind für ein vernünftiges Zusammenleben in einem Rechtsstaat unumgänglich, wenngleich auch der Vollzug dieser Vorschriften für einige Mitbürger unverständlich ist. Vor allem dann, wenn dabei eine unangenehme Konsequenz für den Bürger entsteht. So ist es auch besonders schwierig, wenn aus einem gegebenen Sachverhalt heraus für den Beamten eine Ermessensfrage entsteht, ob er nun eine Amtshandlung setzt und wenn ja - in welcher Form er dies tut. Es kann beispielsweise die Übertretung einer Rechtsvorschrift eine Abmahnung, ein Organmandat der BH oder eine Anzeige nach sich ziehen.
Oder auch gar nichts, eben je nach Schwere und Ermessen des jeweiligen Beamten sowie der äußeren Umstände. Manches Mal aber ist der Tatbestand der Übertretung einfach klar und von jedem Zweifel erhaben, und trotzdem stößt so mancher hierbei auf einen gewissen Unwillen zur Einsicht, vor allem wenn eine finanzielle Buße, in welcher Höhe auch immer als Folge zu leisten ist.
Die jungen Beamten am Dienstposten Oberzeiring bekamen nach einer Einschulung von der BH Judenburg einen Organmandatblock zugeteilt. Eine nummerierte und streng verrechenbare Drucksorte mit Durchschlag. Sie bot die Möglichkeit einer sofortigen Geldeinhebung an Ort und Stelle. Bei fast allen Verkehrsteilnehmern sind diese Zettel ebenso bekannt wie verhasst.
An einem Sonntagmorgen fuhr der bekannte Landwirt Anton A. mit seiner Frau nach Oberzeiring zum sonntäglichen Gottesdienst. Er war ein Mann der Tradition und hatte immer einen grünen Steireranzug an und einen Hut mit Gamsbart auf. Mit einem großen Anwesen in der Gegend war er bekannt als geltungssüchtig und außerdem war er aufgrund seiner Beziehungen zum Ökonomierat ernannt worden. Darauf war er natürlich sehr stolz und legte wert darauf, mit diesem Titel angesprochen zu werden.
Nun parkte er seinen standesgemäßen PKW mit blau-weißem Emblem auf der Motorhaube mitten am Dorfplatz in Oberzeiring in unmittelbarer Nähe der Kirche. Der Dorfplatz war aber mit einem Halte- und Parkverbot gekennzeichnet. Das hatte auch seinen Grund. Größere KFZ mussten sehr umständlich um die drei in der Mitte befindlichen Säulen herumfahren und der Platz zum rangieren war sehr knapp. Das kümmerte aber den Herrn Ökonomierat wenig, er stieg aus seinem Fahrzeug und ging mit seiner Frau in die Kirche ohne den Tafeln weitere Beachtung zu schenken.
Der junge Gendarm Klaus P. erblickte dies vom Fenster des Gendarmeriepostens im ersten Stock aus zufällig und sah zumindest die Notwendigkeit einer kleinen Lektion in Sachen Verkehrskunde gekommen. Er ging ohne sich die Jacke anzuziehen über die Stiege hinunter und klemmte einen kleinen Zettel hinter die Windschutzscheibe. Dann machte er sich wieder an die vorher begonnene Schreibarbeit.
Nach einer Stunde verließen die Gläubigen die Kirche und standen wie üblich in Trauben vor dem Eingangstor, wo sie einander begrüßten und sich die Hände schüttelten. Es wurden Neuigkeiten ausgetauscht und ein wenig über alles Mögliche geschwätzt. Ein paar Leute bemerkten schon den Zettel hinter dem Scheibenwischer und grinsten sich hämisch an, indem sie mit dem Finger unauffällig auf das Papier hindeuteten. Der Großbauer war ebenso als Choleriker bekannt und bei den Seinen deswegen auch nicht sonderlich beliebt.
Einige stellten sich schon zu dem Fahrzeug hin, um seinen Wutausbruch aus nächster Nähe miterleben zu können und sich dann umso mehr an der Schadenfreude zu ergötzen.
Als nun der Herr Ökonomierat seinerseits den Zettel sah, verzog sich seine Miene finster säuerlich und er lief im Gesicht so rot wie eine Tomate an. Er riss den Zettel förmlich hinter dem Scheibenwischer hervor. Ein kurzer Blick auf den Text ließ ihn schwer Luft holen und vor Aufregung begann sich ein feiner weißer Schaum auf die herabgezogenen Mundwinkel zu bilden. "Alte, steig ein – des homma glei!" schrie er los und schob dabei den Hut in den Nacken.
Dann sah er nochmals kurz auf den Zettel, riss den Hut vom Kopf, schleuderte ihn zu Boden und sprang zuerst mit dem einen dann mit dem anderen Bein darauf, bis der Hut so flach war, dass man ihn unter einer Tür hätte durchschieben können. Dabei brüllte er: "A so a Rotzbua!" Jetzt konnten sich die Leute nicht mehr halten und lachten lauthals heraus, was ihn natürlich nur noch wütender machte.
Kurz darauf flog die Kanzleitür auf und der Landwirt trat mit einem Schwung mitten ins Dienstzimmer. "Sie..., Sie...., schrie er. Mehr brachte er nicht heraus, worauf Klaus P. aufstand und in ruhigem aber bestimmten Ton sagte: "Des is a Dienststelle, do klopft ma vorher an, wenn ma einawü!" und weiters zu dem nach Luft ringenden Öko Rat: "Wolln S´ des Organmandat glei zahln oder wolln´S lieber a Anzeige?" Darauf dieser:"I wü den Post´nkommandant sprechen, wal den kenn i!" in einer Lautstärke, dass es alle unten am Platz hören konnten. "Der is ned do, des segns jo!" "Dann foah I ebn zu eam!" quetschte er heraus. "Wanns wolln, dann kennans jo des Göd aa ausnahmsweise glei bei eahm zoin" kam auch gleich die Antwort.
Wortlos drehte sich der Großbauer auf den Absätzen um und knallte die Türe hinter sich zu. Als er die Stiegen hinunter und bei der Haustüre hinausgegangen war, starrten ihn die unten wartenden Leute an. Einige versuchten, ihr Grinsen zu verbergen und ein ernstes Gesicht aufzusetzen.
"So, des hätt ma erledigt!" mit diesen Worten stieg er in sein Auto und fuhr mit seiner Frau weg. Vom Postenkommandanten war diesbezüglich auch nach einigen Tagen nichts zu vernehmen. Zwei Wochen später bekam Anton A. in dieser Angelegenheit die Rechnung von der BH zugeschickt. Ein Einspruch ist offiziell jedenfalls nicht erfolgt, möglicherweise aber machte die Apotheke des Hausarztes wieder mehr Umsatz mit blutdrucksenkenden Arzneien.
Terminplanung
In den Reihen der Beamten am Dienstposten Oberzeiring gab es auch einen, der außer seiner Tätigkeit bei der Gendarmerie noch andere Verpflichtungen und Ämter auf seine Person konzentrierte: es war der Bürgermeister des Ortes Ferdinand K., zugleich auch Fremdenverkehrsobmann, Kulturbetriebschef und Aufsichtsrat der örtlichen Bank. Außerdem war er noch Besitzer einer Pension und Eigentümer eines Wirtshauses.
Es gab also jede Menge zu tun und man kann sagen, dass ein Einschreiten in seiner Funktion als Gendarm im Ort natürlich nicht immer einfach war. Die Ämterkummulierung zwang ihn geradezu zur Diplomatie und Delegation, anders wären die hohen Klippen des Arbeitsalltags wohl nicht zu umsegeln gewesen.
Es kam daher auch notwendigerweise zu Entbehrlichkeiten seitens der Dienststelle, da Ferdinand K. einmal auf einer Gemeinderatssitzung war, einmal in der Gemeindestube, dann wieder ein wichtiges Gespräch in der Bank, eine Versammlung ein Begräbnis, eine Bienenhütteneröffnung und sonst welchen Verbindlichkeiten beizuwohnen hatte. Stets war er an einem anderen Ort gefragt, er war also im wahrsten Sinne des Wortes ein volksnaher Mensch. Nun konnte er aber schlecht auf einer Gemeinderatsitzung in Uniform erscheinen, oder im Jägergewand seinen Dienst auf den Posten verrichten. Eine einigermaßen korrekte Bekleidung war für einen Mann seines Ranges jedenfalls angebracht. Er legte sich im Laufe der Zeit einen eigenwilligen Stil zu, der in kurzer Zeit ein hohes Maß an Anpassung erlaubte. Dazu gehörten die graue Uniformhose, ein graues Hemd, dazu eine dunkle Krawatte und darüber einen Trachtenjanker, der bei Bedarf sofort gegen einen Uniformrock ausgewechselt werden konnte. Die Dienstkappe konnte natürlich auch spontan gegen einen grünen Hut ausgetauscht werden. Die neutralen schwarzen Schuhe passten praktisch überall dazu. Eine kleine Metallspange hielt dabei die Frisur in Form.
Durch die mannigfaltig verzahnten Aufgaben und Pflichten war es für Ferdinand K. schwierig, die Angelegenheiten immer auseinander zu halten, und so verirrte sich zum Beispiel die eine oder andere Information aus dem Gemeinderat auf den Gendarmerieposten, wo sie von jedem interessiert aufgenommen, dort aber eigentlich nichts zu suchen hatte. Geplante Verkehrserleichterungen und Maßnahmen zur Reinhaltung von Luft insbesondere durch Abgase von Autos verursacht und deren mögliche Alternativen wurden viel besprochen, überlegt, diskutiert um letztendlich doch wieder verworfen zu werden.
In seiner Eigenschaft als Beamter wurden Termine außerhalb des Gendarmeriepostens vom Herrn Bürgermeister natürlich nur allzu gern angenommen, da sich damit leicht die eine oder andere Tätigkeit verbinden ließ. Diese Termine waren meistens unaufschiebbar dringend oder sonst wie gerade nur zu einem bestimmten Zeitpunkt aus Gründen der Ökonomie durchzuführen. Die Kollegenschaft hatte nach einiger Zeit bereits den Verdacht, dass es gar nicht so viele Vereine oder sonstige Organisationen geben könne, wo man seine gestalterische Kraft mit im Spiel hatte und vermutete schon dahinter durchaus banales menschliches Verlangen, mehr jedenfalls noch als bloße organisatorische Umtriebigkeit.
Eines Abends kam nämlich die Gattin des Ortsoberhauptes auf den Gendarmerieposten, ein Abendessen fein säuberlich in einem Korb hergerichtet. Ihre Frage, ob denn der werte Gatte da sei, wurde seitens der Kollegen nur staunend mit einem "na, der is heit nix do" beantwortet. "Jo hot er denn heit ned Zivüstreife?" Man versuchte ihr schonend mitzuteilen, dass auch dies nicht der Fall sei. Sehr nachdenklich verließ sie dann den Posten wieder.
Mit einem leichten Schmunzeln meinte Klaus P., dass der Herr Bürgermeister wahrscheinlich aufgrund seiner zahlreichen Termine vergessen habe, die werten Kollegen über eine etwaige andere Verpflichtung seinerseits zu informieren. Dies sei jedenfalls noch eher wahrscheinlich, als dass er gar keinen so richtig offiziellen Grund für seine Abwesenheit gab. Aber das wird er sicherlich bei nächster Gelegenheit der lieben Gattin erklärt haben, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Jedenfalls erschien er am nächsten Tag wieder auf dem Posten, war nicht allzu gut gelaunt. Nach einiger Zeit klopfte es an der Türe und ein leitender Beamter aus der Wirtschaftsabteilung des LGK trat in das Wachzimmer ein. Er kam in der Angelegenheit von Diensthosen, nämlich uralte Stegschihosen, die noch dazu im Sommer bei Schießübungen als Adjustierung vorgesehen waren. Natürlich fanden diese altmodischen Hosen keinen Zuspruch vor allem nicht bei den jüngeren Beamten. Im Zuge des Gesprächs gerieten die Vorstellungen und Meinungen über angemessene und moderne Bekleidung immer weiter auseinander. Schließlich wurde heftig über diesen Pullover und jene Hose diskutiert und der Beamte des LGK sah sich in seinem persönlichen Geschmack durch die ablehnenden Äußerungen vom Herrn Bürgermeister beleidigt. Da half ihm auch der nette Goldschmuck auf den Schultern nichts. Irgendwann ging das Fass aber über, und der ohnehin schon nicht sehr gut aufgelegte Ferdinand K. schnauzte den Bekleidungsmeister an: "Ich bin hier im Ort und darüber weit hinaus eine bekannte Persönlichkeit. Sie hingegen kennt man nur im LGK, außerhalb dieser Mauern sind Sie trotz Goldaufschläge ein Herr Niemand!"
Das war dann zuviel und unter lautem Gelächter zog der hohe Beamte wieder vom Posten ab. Bald darauf kam eine neue Adjustierungsvorschrift heraus. Ohne Stegschihose. Man weiß aber nicht genau, ob dies in ursächlichem Zusammenhang mit diesen Ereignissen in Oberzeiring stand oder nicht. Jedenfalls bewunderte man in der Kollegenschaft den Mut, mit dem sich der modebewusste Gendarmeriebeamte für seine Kollegen einsetzte, um der Exekutive auch in künftigen Zeiten allein durch das Erscheinungsbild ein gebührendes Maß an Respekt zu sichern!
Der Besuch
Auch an einem Gendarmerieposten wie Oberzeiring war es ganz normal, dass manche Beamten von der Dienststelle abgingen und durch andere ersetzt wurden. Die jüngeren Beamten waren vor allem froh, wenn ein älterer Kollege in den Ruhestand ging und durch einen Jungen ersetzt wurde. Der Zusammenhalt war durch die meist ähnlicheren Interessen untereinander besser und es machte auch einfach mehr Freude beim Einschreiten im Dienst.
So kam an einem Sommertag ein noch junger Probegendarm, Franz R. seinem eigenen Wunsch gemäß auf den Posten nach Oberzeiring um dort den Dienst anzutreten.
Er war ein attraktiver aufgeweckter junger Mann mit blonden Haaren und einem ausgeprägten Sinn für Humor. Ständig hatte er ein kleines Späßchen auf Lager und er schulte bei Gelegenheit gerne sein besonders gutes Auge für wohlgeformte Proportionen der Damenwelt. Er hielt auch recht viel auf sich und versuchte sich nach Möglichkeit immer von der Schokoladenseite zu zeigen. Man darf mit einiger Sicherheit annehmen, dass er durch seine eigene Kombination aus Charme, Humor und gepflegtem Erscheinungsbild durchaus guten Erfolg beim andern Geschlecht zu verbuchen hatte.
Die Einarbeitung funktionierte recht problemlos und nach zwei Jahren Dienst zog bei ihm bereits eine gewisse Routine ein. An einem schönen Wintertag war Franz R. nun zu einem Journaldienst eingeteilt worden. Die Sonne strahlte vom tiefblauen Himmel und es gab keine besonderen Vorkommnisse, weshalb seine Stimmung sehr entspannt war. Zur Mittagszeit öffnete Franz R. die Fenster des Postens - sie waren nach Süden ausgerichtet - und so konnte die Sonne den gesamten Raum durchfluten.
Nachdem er ohnehin durch die Jahreszeit einen etwas blassen Teint aufwies, dachte er sich: Ein kleines Sonnenbad wäre einem vorteilhafteren Aussehen durchaus zuträglich und man könnte ja das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Er stellte also einen Sessel vor das Fenster, zog seinen Rock aus, machte die Krawatte locker und knöpfelte das Hemd auf. Dann setzte er sich auf den Stuhl, legte die Füße auf das Fensterbrett und die Dienstwaffe auf den Schreibtisch. Die Sonne war herrlich, trotz des offenen Fensters entwickelte sie an diesem Tag schon einige Wärme im Raum.
Langsam wichen noch einige unangenehme Gedanken des letzten Einsatzes einer zufriedenen Ruhe und dann weiter einem sanften Dahindösen. Es mag sein, dass er das dumpfe Geräusch einer zufallenden Autotüre vom Parkplatz unten in weiter Ferne wahrnahm, aber wohl mehr zufällig weil ihm seine Lage auf Dauer ein wenig unbequem erschien, stand er dadurch kurz auf und blickte vom ersten Stock nach unten. Er sah gerade noch, wie ein Mann vom Auto in Richtung zur Eingangstüre des Hauses ging, das Kennzeichen des weißen Audis konnte er jedoch aufgrund des Blickwinkels nicht erkennen.
Eigentlich wollte er sich nun etwas durchgestreckt wieder hin- und sein Sonnenbad fortsetzen, aber eine gewisse Intuition sagte ihm, dass dieser Mann sich auf dem Weg zu ihm hinauf befand. Und er sollte Recht haben. Kurz abwägend folgte er vorsichtshalber seiner Eingebung und adjustierte sich, so schnell es eben ging, während er die Schritte des langsam die Stiege heraufgehenden Unbekannten hörte. Dabei war er ob der sich ankündigenden Störung sogar ein wenig verärgert.
Als es aber doch schneller als erwartet kurz an der Tür klopfte und ohne eine Aufforderung abzuwarten jener Mann die Kanzlei betrat, kam Franz R. schon etwas ins Schwitzen. Er versuchte, gleichzeitig die letzten Hemdsknöpfe zuzumachen, seine Krawatte zuzuziehen und sich die Dienstwaffe umzugürten.
Er sah aber aus den Augenwinkeln, dass der Mann eine graue Uniform trug und dachte sich, dass ein Kollege etwas von ihm brauchte oder ihn besuchte. Noch immer voll mit der Adjustierung beschäftigt begrüßte er den Kollegen mit "Servas" ohne auch aufzublicken. Dieser war gerade mit dem Schließen der Türe beschäftigt und kehrte Franz R. den Rücken zu.
Darauf Franz R., der nun mit dem Notwendigsten gerade einmal fertig war, scherzhaft: "Wer sei er?" Der Kollege antwortete darauf gelassen während er sich umdrehte mit: "Kennen Sie mich nicht?" und gerade während er dies sagte, schaute Franz R. zu ihm auf. Die Uniform war mit einem so überbreiten goldenen Balken versehen, dass Franz R. nun dachte: "Hoit, jetz geht die Sunn auf da anderen Seitn auf!" und ihm der Mund offen stehen blieb. Etwas ratlos blickte nun der offensichtlich ranghohe Offizier in der Kanzlei umher: "Ich sehe schon – ich bin hier wohl unbekannt, mein Name ist General Dr. Piegler. Wo ist hier der Postenkommandant dieses Märchenpostens?
Franz R. erstattete nun verlegen aber ordnungsgemäß Meldung, wobei er unauffällig die letzte Sonnencreme aus dem Gesicht strich und seinen Rock zurechtzupfte. Nach kurzem oberflächlichem Gespräch stellte sich heraus, dass der ranghöchste österreichische Gendarmeriebeamte auf dem Weg zu einem Schirennen im Lachtal war und gerade den Posten Oberzeiring besuchte, weil dieser auf dem Weg lag und er den Kommandanten in einer anderen Angelegenheit sprechen wollte.
Man weiß nicht genau, ob er die Diensterleichterung von Franz R. bemerkt hatte und nur so tat, als ob alles in bester Ordnung gewesen war, jedenfalls zog er ohne Groll vom Posten ab und wünschte noch einen angenehmen Dienst. Vielleicht auch deshalb, weil er einige Wochen später seinen Ruhestand antreten und deshalb keine Unannehmlichkeiten mehr bereiten wollte.
Auf dem Posten aber war man noch einige Zeit lang allgemein gespannt, ob das Konsequenzen haben würde oder nicht. Nach und nach aber verflogen die Sorgen und alles löste sich zur Zufriedenheit auf, weshalb der Herr General zumindest an diesem Posten in guter Erinnerung blieb.
Sperrstunde
Wie überall sonst hatten auch im Rayon Oberzeiring die Wirtshäuser vorgeschriebene Sperrstunden. Die Einhaltung dieser Zeiten wurde gelegentlich im Auftrag der Behörde von den Beamten des Dienstpostens Oberzeiring überprüft. Es war und ist für die Wirtsleute natürlich sehr schwierig diese Sperrstunden immer einzuhalten. Bei so manch einer Überziehung liegt es gar nicht am Wirt, sondern eher an den zumeist männlichen Gästen, die sich bei fortgeschrittener Illuminierung mehr oder weniger standhaft weigern, die Heimreise anzutreten. Der Eine, weil er bei ihm zu Hause Eine zu wenig ist, der Andere weil ihm daheim Eine zu viel ist, was aber in beiden Fällen in der Regel Sorgen bereitet. Noch schwieriger ist es aber für die Beamten, die Umsetzung einer solchen Vorschrift zu überprüfen. Dies hat mehrere Gründe.
Erstens besteht zumeist ein dramatischer Unterschied im Grade der Alkoholisierung zwischen den einschreitenden Beamten und den Thekenbewohnern. Daraus ergeben sich unterschiedliche Reaktions- und Begreifenszeiten, deren Konsequenzen erst einmal von beiden Seiten verarbeitet werden müssen. Zweitens handelt es sich bei den Gästen oft um gute Freunde oder Bekannte der Beamten, woraus natürlich ein gewisses Konfliktpotential entsteht. Drittens ist mit dem Überschreiten einer Sperrstunde keine unmittelbare Gefahr im Verzug gegeben, weil sich die Kopfschmerzen der trinkfreudigeren Gäste ja erst am nächsten Tag so richtig bemerkbar machen. Überhaupt ist der Sinn dieser Kontrolle nur dann gegeben, wenn sich jemand belästigt fühlt, ansonsten sollte man im Hinblick auf das wirtschaftliche Gedeihen der Betriebe getrost den Wirten und den Durstigen überlassen, wann sie ihr Maß als voll ansehen.
Wie auch immer man es sehen mag, jedenfalls wurde dem Betreiber eines Lokals seitens der Behörde die Möglichkeit einer Sperrstundenverlängerung eingeräumt, zumeist von zwei Stunden. Diese Verlängerung musste aber im Vormonat beantragt werden und war zum Leidwesen und Ärgernis der Wirte gebührenpflichtig. Oftmals wurde der Wirt oder die Wirtin auch trotz guten Willens von seinen Stammgästen spontan zur Verlängerung der Sperrstunde aufgefordert: "Wannst uns jetz außischmeißt, geh ma nimmer eina zu dir!" Auch andere Argumente waren durchaus zugkräftig: "Wannst a Anzeige kriagst, blechn mia olle de Strof". Manchesmal traf es aber dann doch den Betreiber des Lokals wieder selber, z.B. einmal, weil derjenige der dieses Argument in die Runde warf, im Falle einer drohenden Konsequenz strafrechtlicher Natur von niemanden außer dem Wirt gehört worden war und er selbst sich am nächsten Tag gar nicht mehr daran erinnern konnte, überhaupt in dem Lokal drinnen gewesen zu sein.
Die Kontrollen wurden von der Behörde effizienter Weise meistens am Wochenende angeordnet. An einem dieser Wochenende hatte der Vizechef des Postens, Ernst H., und der Gendarm Franz R. Dienst. Der eine war als Charaktertyp etwas mürrisch, der andere Franz R. eher als lustig und als "Sunny Boy" bereits bekannt.
Gegen ein Uhr morgens trafen die beiden Beamten vor einer noch hell erleuchteten Kneipe ein. Einige Autos parkten davor und laute Musik sowie lachende und kreischende Frauenstimmen drangen aus dem Haus direkt zu den beiden Gesetzeshütern. Das ließ auf eine noch muntere Runde schließen. "Den Hühnerstall ramma auf" knurrte der Vize Ernst H. "Wann der Wirt ka ausgfüllte Verlängerung hat, dann zag ma ihn an". Fest entschlossen betraten die beiden Gesetzeshüter nun die Gaststube. Zur Verwunderung der Beamten befanden sich im Lokal außer derWirtin noch neun bestens gelaunte Damen. Der lustige Anblick der Runde stimmte den Sunny Boy heiter und den Vize Ernst H. milde. Die Damen wiederum waren froh, wenigstens zwei nüchterne Exemplare des anderen Geschlechts bei sich zu wähnen, da offenbar das übliche Theken – Stammpublikum an diesem Tag wegen mangelnden Durchblicks bereits einige Zeit früher zur Nachtruhe gezwungen worden war.
Die beiden Beamten waren so überrumpelt, dass sie nicht einmal dazu kamen, den Grund ihres Besuches vorzubringen. Unter johlendem Gekreische und mit heftigen Gesten wurden die beiden aufgefordert, Platz zu nehmen. Zunächst anstandshalber ablehnend, dann doch zögernd und abwägend gaben sie letztendlich ganz nach und gesellten sich zu der lustigen Runde. Die Wirtin hatte die Situation gleich richtig eingeschätzt und flugs wurden von ihr zwei Getränke vor deren Nasen gesetzt. Unter Beifall und mit einem lautstarken "Prost" fielen die letzten Widerstände, die sich noch insgeheim in den beiden Beamten gehalten hatten.
Die Damen erklärten ihnen nun, dass sie eine Abschiedsparty gaben, weil sie alle als Kellnerinnen auf Saison gehen wollten. Während des Erzählens warf der "Sunny Boy" Franz R. ein paar treffende Pointen ein, wobei die Damen jedes Mal entzückt aufkreischten. Dabei legten sie an Mut noch zu und kamen nach einiger Zeit fast zur Grenze der Dreistigkeit.
So wurden die Kappen der beiden Gesetzeshüter abgenommen und aufprobiert und die Musik wurde immer lauter aufgedreht und schließlich die Beiden zum Tanz aufgefordert. Anfangs noch widerwillig konnten sie aber dem Druck und dem Charme der jungen Damen nicht standhalten und tanzten nun eine Polka nach der andern. Das bot auch der unauffälligen Wirtin hinter der Theke ein lustiges Bild. Die tanzenden Uniformierten wirkten erhitzt und mussten die Krawatten lockern, um noch richtig Luft zu kriegen, ihre Kappen hatten die Damen bereits aufgesetzt und ließen sie im Kreis auf ihren Köpfen wandern. Einige von ihnen trugen Miniröcke, die beim überschwänglichen Tanzen schon einmal pikante Einblicke gewährten und sie lachten und kicherten dabei in einem fort.
Die Pistolenhalfter der Beamten standen beim raschen Herumwirbeln der Landler waagrecht von der Uniform weg und schließlich wurde auch noch die Wirtin zu einer Polka aufgefordert. Erschöpft aber gut aufgelegt löste sich dann die gesamte Runde um vier Uhr morgens auf und alle gingen ihrer Wege. Bis heute hat sich kein Mensch gefunden, der einen Einwand gegen diese überaus lange und gründliche Amtshandlung hätte vorbringen können (wodurch sich natürlich die Sperrstunde selbst um einige Zeit hinauszögerte). Ob so ein ähnlicher Einsatz noch einmal vorgekommen ist, und wenn ja, ob es dann immer so friedlich von statten ging, darf man allerdings getrost bezweifeln.
Beruf und Berufung
Am Gendarmerieposten in Oberzeiring versah seit einiger Zeit ein Kollege namens Hansi F. den Dienst. Er war bäuerlicher Abstammung, seine Eltern besaßen schon seit vielen Generationen einen Hof hoch am Berg oben. Hansi F. hatte nach Abschluss der Hauptschule den Beruf eines Tischlers erlernt und verstand sich darauf bestens. Er war ein recht kräftiger Geselle, immer lustig aufgelegt und mit einem sonnigen, ausgeglichenen Gemüt. Wenn er sprach, dann mit starkem Dialekt, aber meistens hörte er den anderen zu oder brachte mit kurzen Pointen andere zum Schmunzeln. Dafür war er aber sehr gesellig und bei jeder denkbaren sozialen Aktivität engagiert. Er hatte viele Bekannte und wurde wegen seiner freundlichen Art überall gern gesehen.
Er hatte jedoch ein großes Problem. Seine handwerklichen Fähigkeiten waren sehr gefragt und einmal um den Einbau einer Küche gebeten oder um die Errichtung eines Balkons gefragt konnte er einfach nicht ablehnen. Dies brachte ihn in einen ständigen Konflikt mit seiner lieben Ehefrau, die sich praktisch im Alleingang um die beiden gemeinsamen Kinder kümmerte, weil Hansi F. nach Dienst ständig bei irgendeinem Bekannten etwas zu reparieren oder montieren hatte.
Mit der Zeit hatte sich der liebenswürdige Kollege unter seinesgleichen einen Namen als Handwerker gemacht und wurde von allen Seiten bedrängt, den einen oder anderen Auftrag auszuführen, immer öfter auch von seiner Frau, - dies allerdings in eigener Sache – weil sie schon seit langer Zeit in einem halbfertigen Haus auf die unverkleidete Betondecke schauen musste. Trotzdem schaffte er es zum Ärgernis seiner Liebsten nicht, seinen Bekannten einen Freundschaftsdienst zu verweigern, auch wenn man ihm dies vielleicht sogar mit Verständnis nachgesehen hätte.
"Geh Hansi, kummst amoi vorbei und verleimst meine Sessel neich?" Auf solche Fragen kam von Hansi F. fast immer die gleiche Antwort: "Jo sicha, des moch ma scho. I kumm nächste Wochen amoi" wohlwissend, dass sich das nie und nimmer ausgehen würde. Selbst dann nicht, wenn er sich die ganze Woche Urlaub genommen hätte.
Ein Freund von Hansi F. namens Kurt P. hatte sich bei einer Firma Jalousien für seine Wohnung in einem Wohnhaus bestellt. Nun fragte er: "Geh Hansi, kannst ma amoi de Jalousien aufimochen?", wobei er noch nicht ahnte, welche zeitliche Dehnbarkeit in dem Wort "amoi" drinstecken sollte.
"Jo, sicher, des moch ma glei!" "Wann kummst´n?" "De Wochen geht’s neamma, oba nexte Wochn dann amoi" kam zur Antwort. "Na guat" sagte Kurt P. mit einem Schmunzeln, wobei ihn schon so etwas wie eine Ahnung befiel, dass es noch länger mit dem Sonnenschutz dauern würde. Soweit war aber alles wenigstens von ungefähr vereinbart und man wartete und wartete. Aber auch die übernächste Woche verging "erwartungsgemäß" ohne Montageaktion und die darauf folgende auch und die nächste auch.
Dann kam auf eine eine leise Anfrage, wie es denn um die Sache nun stünde: "Ah so jo, des moch ma glei jetzt dann amoi" "Na guat, aba bald wär ned schlecht". Nach weiteren vierzehn Tagen traf man sich wieder zufällig auf ein Bier im Wirtshaus und wieder kamen die Jalousien ins Spiel. "Aah, des miaß ma a no mochen" sagte Hansi F. und konnte sich schon eines leichten Grinsens nicht mehr erwehren, da er zu gleicher Zeit noch mit einem anderen Gesprächspartner am Nachbartisch schon wieder die Anfertigung eines neuen Kastens verhandelt hatte und nun selbst in seinem eigenen Zeitverständnis die Unvereinbarkeit des zeitlichen Rahmens sämtlicher Vorhaben wie eine dunkle Wolke vor seinen Augen aufstieg. Aber man konnte ihm halt einfach nicht böse sein.
Die nächste Woche war Hansi F. durch einen Kurs dienstlich verhindert, die Woche darauf hatte er eine ganz dringende Montage eines Geländers und dann riss Kurt P. aber die Hutschnur.
Er sagte in einem verärgerten Ton zu seinem Freund Hansi F.: "wannst de Wochen neamma kummst, dann nimm i ma a Firma zum Aufimochen für de depperten Schalusien. Jetz woart i scho waß i wie lang, des dearf jo ned woahr sein!" Diese Eindringlichkeit ging nun aber Hansi F. doch sehr nahe und er gab Kurt P. zu verstehen, dass es beim besten Willen diese Woche nicht ginge, weil er für seine Frau noch etwas erledigen müsse, ansonst ließe sie sich von ihm scheiden. Und außerdem habe er auch noch Journaldienst. "Mia wurscht", sagte darauf Kurt P. zornig und der vielen Versprechen müde. Darauf kam dann: "na guat, Mittwoch umma viere bin I bei dir!" "Fix?" "Jo fix!"
Kurt P. wohnte in der Bezirkshauptstadt und wartete am Mittwoch um vier auf den begehrten Handwerker. Da kam auch schon fünfzehn Minuten später ein weißer VW Golf der Gendarmerie und bog auf den Parkplatz vor das Wohnhaus des Kurt P. ein. Im Erdgeschoß wohnten mehrere Parteien und dort war auch ein großes Kaufgeschäft untergebracht. Es herrschte noch reges Einkaufstreiben und Kurt P. traute seinen Augen nicht, als sein Freund in Uniform mit der Bohrmaschine in der linken und dem Werkzeugkoffer in der rechten Hand ausstieg und die Tür des Golf lässig mit einem leichten Fußtritt zumachte. Dann ging er grinsend in den zweiten Stock hinauf und sagte zu Kurt P., der ihn an der Tür schon erwartete: "Is si neamma anders ausgangan." Die Aufwartung eines Erfrischungsgetränkes lehnte er zunächst mit den Worten: Na Daunkscheen, I muaß nocha glei no wohin" ab, sagte aber nicht wohin und gab dann wegen des großen Durstes doch noch der Überredungskunst des Kurt P. nach.
So rasch es eben ging montierte er die Jalousien, wobei er sich im zweiten Stock im Fenster stehend mit einer Hand am Fenstersims anhielt und mit zusammengekniffenen Augen herumbohrte. Für das Ablegen der Dienstwaffe hatte er keine Zeit mehr gehabt. Einige Leute schauten ganz verwundert von unten zu und mussten wohl angesichts der ungewöhnlichen Arbeitskleidung für Handwerker auch ein wenig schmunzeln. Übrigens auch Kurt P. Als er dann fertig war, packte Hansi F. sein Werkzeug wieder ein, trank den letzten Schluck seines Erfrischungsgetränkes aus, verabschiedete sich und ging genau so schnell wie er gekommen war.
Kurz vor dem Einsteigen wischte er sich noch die Holzspäne und den Schleifstaub aus der Uniform, setzte sich in das Auto und brauste davon. Unmittelbar darauf klingelte bei Kurt P. das Telefon und es meldete sich Hansi F.´s allerliebste Dame des Herzens namens Heidi F. "Is da Hansi no bei dir?" Wo bleibt a denn scho wieda? "Der sollert heit no a Leich spün". Hansi F. war nämlich auch bei der örtlichen Blaskapelle in Bretstein und spielte dort die Posaune.
Am nächsten Tag vernahm man dann von Heidi F., dass ihr sehnsüchtig erwarteter Gatte mit Blaulicht an seinem Haus in Bretstein ankam, wie sie von ihrem Fenster aus sehen konnte. Das Haus lag praktisch in Nachbarschaft des Platzes vor der Kirche, wo die Blaskapelle gerade Aufstellung nahm. Das Gendarmerieauto parkte er dann vor den Augen der Begräbnisgäste in die Garage, lief ins Haus, zog sich um, und verschlang dabei so hastig ein Wurstbrot, dass er für zwei Minuten Schluckauf bekam. Während er unter ständigen Hicksern seine Posaune holte, trank er quasi als Gegenmittel noch einen Schluck eines weiteren Erfrischungsgetränkes und hatte gerade im Hinauseilen auf den Platz die Jacke noch irgendwie angezogen, als der Kapellmeister den Stock schwang und die Truppe im Gleichschritt losmarschierte. Er konnte sich gerade noch eingliedern, da ging es dann gemächlich auf den lokalen Friedhof hinaus zum Begräbnis.
Währenddessen hatte er dann genug Gelegenheit, möglichst unauffällig noch einen Rest des Wurstbrotes zu verdrücken und das Hemd ordentlich zuzuknöpfen. So war Hansi F. insgesamt ein sehr liebenswerter Mensch mit einem Beruf und einer Berufung, was sich bei ihm eben nicht immer zu Deckung bringen ließ.
Die optische Täuschung
Zwillinge gleichen vor allem dann einander sehr, wenn sie auch aus einem Ei entstanden sind. Im Falle des Gendarmen Klaus P. traf dies in eindrucksvoller Weise zu, er hatte nämlich einen Zwillingsbruder Ewald P., der ihm dermaßen glich, dass sie kaum voneinander zu unterscheiden waren. Noch dazu war es so, dass beide im selben Jahr zur Gendarmerie berufen waren und nach ihrer Ausbildung an verschiedene Posten im Bezirk Judenburg eingesetzt wurden. In Uniform war es noch schwieriger beide auseinander zu halten und die Vorgesetzten hatten ihre liebe Not damit, aber auch Freunde und Bekannte mussten nicht selten zweimal hinsehen, um sich der richtigen Ansprechperson sicher zu sein.
An einem schönen Sommertag traf es sich gerade so, dass sowohl Klaus P. als auch Ewald P. gemeinsam Verkehrsdienst hatten, allerdings an unterschiedlichen Straßenabschnitten des Bezirks. Ein Verkehrsteilnehmer, der dem Kennzeichen nach nicht aus der Steiermark war, fuhr mit seinem PKW mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Bundesstraße und wurde deshalb von Ewald P. in der Nähe von Judenburg angehalten. Da die Geschwindigkeit des PKWs seitens des Beamten nur geschätzt werden konnte, kam es diesbezüglich immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Exekutive und Verkehrsteilnehmern. So auch hier. Nach kurzer Diskussion aber erklärte sich der eilige Lenker zu einer Staatsspende in Form der Begleichung eines Organmandats bereit, war aber natürlich darüber alles andere als froh.
An sich war das nichts Ungewöhnliches. Nachdem der Verkehrssünder nun seine Fahrt unbehelligt fortsetzen konnte, musste er wegen der Anhaltung noch etwas mehr auf das Gas steigen um so die verlorene Zeit wieder einzuholen und seinen angestrebten Termin halten zu können. Etwa 30 Kilometer weiter in St. Johann, sah er, allerdings zu spät, einen grauen VW Variant mit zwei blauen Lichtern auf der Straßenseite stehen und daneben einen uniformierten Beamten mit einer Kelle in der Hand, die ihn zum Anhalten aufforderte. Wegen der nun abermals deutlich überhöhten Geschwindigkeit war der Fahrer nun sicher, dass es sich bei der Anhaltung nicht um eine routinemäßige Kontrolle, sondern wohl mehr um die nun schon wohlbekannte kurze Unterhaltung mit finanziellen Konsequenzen handeln würde. Halb ertappt und halb verärgert, konnte er nun aber sein Erstaunen nicht verbergen als er Klaus P. in die Augen blickte und darin natürlich Ewald P. sah.
Er ließ den Beamten gar nicht erst grüßen, sondern kurbelte seine Fensterscheibe hinunter und sagte zu ihm völlig verwundert: "Heast, des gibt’s jo ned!" und rieb sich dabei die Augen, wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Spinn I?" Klaus P. sah ihn nun auch mit Erstaunen an, vermutete aber schon das Vorspiel. "I bin jetz vo Judenburg aufa gfoahn und mi hot sicha kana üwaholt – wia san sie jetz do so schnö herkumman?" "Tram I oda wos?"
Nach einigem hin und her und Worte der Aufklärung entspannte sich die Situation. Für dieses Mal ließ aber der Gesetzeshüter noch einmal Gnade vor Recht walten, denn der Ausdruck des Autofahrers und die Art seiner verwunderten Schilderung ließ darauf schließen, dass er die kurz zuvor unternommene Anhaltung von Ewald P. nicht erfunden hatte und er dieses Mal auch wirklich Pech gehabt hatte.
Noch einige Male kam es wegen der großen Ähnlichkeit der beiden Brüder zu Verwechslungen Missverständnissen und Feindseligkeiten, die erst nach so mancher Aufklärung und Beweisführung wieder ins rechte Lot gebracht werden konnten. Insgesamt aber war man erst nach vielen Jahren sicher, mit wem man es zu tun hatte, da Klaus P. um einige Jahre früher in den Ruhestand trat als Ewald P.
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2009
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