Cover

Nervende Mütter, komische Verkäufer und ein ganz kleines bisschen Panik

Moritz

 

Dass es in einer Geisterbahn so dunkel sein konnte … das hätte ich nicht gedacht. Irgendwie war das schon ein bisschen gruselig. Und wo war Lele überhaupt abgeblieben? Bis eben hatte er doch noch genau neben mir gestanden.

Nein, ich werde jetzt bestimmt nicht nach ihm rufen. Das würde so rüberkommen, als wäre ich ein verängstigtes kleines Mädchen. Es reichte schon, wenn ich totales Herzflattern bekam, sobald ich ihn sah, gedankenverloren Herzchen in meine Mathehefter kritzelte (der zum Glück nie eingesammelt wurde, aber da Lele neben mir saß, war es schon das eine oder andere mal etwas peinlich geworden) oder mir vorstellte, wie mein Name mit seinem Nachnamen klang und des Öfteren erschrocken aufschrie, wenn er mich mal wieder hochhob, was er ja leider mit Leichtigkeit konnte. Ich hasste es. Und ich würde jetzt definitiv nicht weiter darüber nachdenken, denn es war wirklich erbärmlich. Ich war ein Typ. Männlich. Und die Tatsache, dass ich ganz offensichtlich auf meinen besten Freund stand, änderte auch nichts daran. Punkt.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich etwas an meinem Nacken spürte und quiekte ängstlich auf als mich zwei starke Arme von hinten umschlangen. Moment, stark? Wurde ich jetzt etwa entführt? Mann, Lele! Du kannst zu den unmöglichsten Zeiten aufkreuzen, aber wenn man dich dann wirklich mal brauchte, warst du natürlich nicht da.

Ich versuchte, mich aus dem Griff zu befreien, was komischerweise auch gar kein Problem war. Müsste er mich nicht eigentlich festhalten? Warum…

Diesmal legte sich eine Hand in meinen Nacken und ich stieß automatisch einen Schrei aus, der jedoch von einem Paar weicher Lippen verschluckt wurde. Ich seufzte entnervt auf. Da war Lele also. Den Geschmack seiner Erdbeerkaugummis würde ich überall wiedererkennen.

Lele löste den Kuss und lehnte seine Stirn an meine. „Du bist ja ganz schön schreckhaft. Wolltest du mir vorhin nicht weismachen, dass Geisterbahnen totaaal langweilig wären?“

Ich funkelte ihn böse an und grummelte vor mich hin. „Idiot“

Sanft wurde ich an die nächste Wand geschoben und spürte gleich darauf Leles warmen Atem an meiner Wange. „Das heißt übersetzt »Ich liebe dich.«“ „Denk doch, was du willst. Aber du bist und bleibst ein verdammter Idiot!“

Und wie ich ihn liebte. Oder ihm zumindest verfallen war. Es war ja fast nicht mehr auszuhalten. Kaum waren wir mal für einen Tag getrennt, nein, eigentlich reichten schon ein paar Stunden, mutierte ich zu einem unausstehlichen, genervten Teenagermädchen. Ich sollte meine Hormone schleunigst in den Griff bekommen, nicht dass meine Eltern am Ende noch dachten, ich sei schwanger.

Aber wie sollte ich das denn bitte schaffen, wenn Leles Lippen auch so verboten gut schmeckten? Kein Wunder, dass Clara davon nicht genug bekommen konnte.

Apropos Clara… Tja, die kleine Schlampe hatte jetzt Pech. Ich hatte Lele fast die gesamten Weihnachtsferien über für mich alleine, denn sie war mit ihren Eltern zu ihrer Tante nach Mexiko geflogen. Hoffentlich fing sie sich da irgendeine fiese Krankheit ein oder kam am besten gar nicht mehr zurück.

Lele hatte derweil meine Jacke geöffnet und seine Hände unter meinen Pullover geschoben. Gott, waren die kalt! Und gleichzeitig so heiß… Ich biss mir auf die Lippen, als ich merkte, dass ich gerade seufzten wollte.

„Au, man Moritz, was soll der Scheiß?“ Lele ließ von mir ab und tastete nach seiner Lippe. Ups, da hatte ich wohl seine erwischt. „Sorry“, nuschelte ich. Er sah mich aus dunklen Augen an und behutsam strich ich über die verletzte Stelle. Er schloss seine Augen und ermutigte mich so, ihn wieder an mich zu ziehen und seine Lippe angemessen zu verarzten.

 

Ich wusste nicht, wie lange wir in dieser Ecke standen und uns einfach nur küssten, aber plötzlich vibrierte mein Handy und wir landeten unsanft wieder in die Realität.

Hastig zog ich es aus der Hosentasche. Jedoch brauchte ich drei Versuche, um das Gespräch anzunehmen, da ich von dem Kuss noch immer etwas benebelt war. Endlich hatte ich es geschafft und Gott sei Dank klang meine Stimme auch relativ gefasst.

 

„Okay, bis dann.“ Ich beendete das Gespräch und sah Lele, der mich aufmerksam musterte, bedauernd an. „Wer war das?“ „Meine Mutter. Sie will, dass wir nach Hause kommen und ihr beim Abendbrot helfen.“

Warum gerade jetzt? Sie wusste doch, dass ich mit Lele unterwegs war und außerdem war heute der erste Ferientag. Konnte sie da nicht mal die gute Mutter spielen und das bisschen Tischdecken alleine machen?

Gut, die letzten Tage war ich etwas angesäuert wegen Cara gewesen, da diese ihre letzte verbliebene Zeit unbedingt noch mit Lele verbringen wollte. Mussten Mädels nicht Koffer packen? Naja, ich war nicht gerade freundlich zu meiner Mutter gewesen und da Lele heute auch mal wieder bei uns übernachtete, war es wohl angemessen. Aber trotzdem scheiße.

„Ach komm schon, Moritz! So schlimm ist es jetzt auch nicht.“ „Hm“ Er schnappte sich meine Hand und zog mich an allerlei schlecht gemachten Geistern und Monstern vorbei zum Ausgang. Ja, Geisterbahnen waren so was von langweilig.

 

Wir traten ins Freie und Lele ließ meine Hand wieder los. Eine Leere breite sich von der Stelle aus und ich warf ihm einen kurzen enttäuschten Blick zu. Ich hatte schon des Öfteren festgestellt, dass es mir nichts ausmachen würde, wenn es die Öffentlichkeit wüsste, aber ich verstand ihn. Immerhin war er offiziell noch mit Clara zusammen. Leider.

Doch Lele schien meinen Stimmungswechsel mitbekommen zu haben, denn er verringerte den Abstand zwischen uns so weit, dass er beim Gehen meinen Arm streifte.

Als wir an dem Verkaufshäuschen vorbeikamen, winkte uns der Mann, der dort saß, zu sich. Unsicher sah ich Lele an. Hatten wir etwas falsch gemacht? Oh nein, sie würden doch keine Überwachungskameras da drinnen haben, oder? Doch, natürlich hatten sie die, aber… Ich schluckte.

„Na, ihr zwei. Was habt ihr denn so lange gemacht? Ihr wart ja ewig weg!“ Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und sah hilfesuchend zu Lele. Der wusste in solchen Situationen meistens, was zu tun war, doch er grinste den Verkäufer nur wissend an. Dabei legte er einen Arm um meine Hüfte und zog mich näher zu sich heran.

„Das wollen sie gar nicht so genau wissen.“ Entsetzt sah ich zu ihm hoch, doch der Mann hinter der Theke lachte nur. „Na, dann wünsche ich euch beiden noch viel Spaß.“ „Den werden wir haben….“

Lele zog mich weiter und ich konnte nicht anders, als ich ihn die ganze Zeit entgeistert anzustarren. Wie konnte er einfach…? Das war doch…. Das….

„Mann, Moritz! Hör auf so dumm zu schauen und komm endlich! Je früher wir da sind, desto eher gibt’s Abendessen und desto schneller sind wir wieder allein.“ Er zwinkerte mir zu, aber mir entging der leicht raue Unterton in seiner Stimme nicht. Allein. Jap, das klang definitiv gut.

 

Wir ließen den überfüllten Weihnachtsmarkt hinter uns und bogen in eine etwas dunklere Gasse ein. Ich schnappte mir Leles Hand und verschränkte unsere Finger miteinander. Er sah weiter nach vorne, aber ich konnte das Lächeln, welches seine Lippen umspielte, sehen.

Warum konnte es nicht immer so einfach sein? Nach seiner Hand greifen zu können, wann immer ich es wollte, uns nicht verstecken zu müssen. Es wäre so schön. Aber leider unmöglich. Zumindest vorerst. Keine Ahnung, wie Lele zu dem Thema stand, ich war mir nicht sicher, ob er es öffentlich machen würde, wenn er nicht mehr mit Clara zusammen war.

Ich schüttelte den Kopf. Es war egal. Ich sollte das genießen, was ich hatte und irgendwann würde auch der Rest dazu kommen.

 

Wir erreichten die Straße, in der ich wohnte und ich fischte schon mal den Schlüssel aus meiner Hosentasche. Es war echt dunkel, ich hatte nicht das Gefühl, dass es erst kurz nach Sieben war. Naja, besser für uns, denn im Hellen war das mit dem Händchenhalten so eine Sache.

Ich schloss auf und Lele und ich stürmten beide wie auf Absprache die Treppe hoch. Er streckte seine Hand aus und hielt mich so davon ab, an ihm vorbeizukommen, doch ich war kleiner als er und duckte mich einfach unter seinem Arm hindurch. „Nein!“ Er hechtete mir hinterher, versuchte mich wieder zu fassen. Ich schrie auf und sprang die letzten zwei Stufen hoch. „Ahhhh! Ha! Erster.“ Grinsend drehte ich mich zu Lele um. „Jaja, das war nur Heimvorteil.“ „Heimvorteil?“ Ich lachte auf. Klar, weil ich ja auch nichts Besseres zu tun hatte, als jeden Tag die Treppen hoch zu rennen. „Ja, Heimvorteil.“ Lele zog eine Schnute. Das sah so süß aus…

Ich trat einen Schritt auf ihn zu und zog ihn an der Jacke noch näher zu mir. „Okay, du hast Recht, das war unfair.“ „Ja“ Er sah mich beleidigt an. „Würde es helfen, wenn ich dich dafür entschädige?“ Ich versuchte, meiner Stimme einen rauen Unterton zu verleihen und sah zufrieden wie Leles Adamsapfel kurz auf und ab hüpfte. „Okay“, hauchte er. Ich grinste schelmisch und trat noch näher an ihn heran, doch genau in diesem Moment öffnete meine Mutter die Wohnungstür und sah uns verwirrt an.

„Ich wusste doch, dass ich was gehört hatte. Ist alles in Ordnung? Leander, du siehst so mitgenommen aus.“ Ich prustete los und stützte mich dabei auf Leles Arm ab. Mitgenommen? Lele? Genial! Meine Mutter hatte auch immer die besten Einfälle. Herrlich!

„Moritz, es reicht. Hör auf zu lachen.“, grummelte Lele neben mir und zog mich in die Wohnung. Ich gab mein Bestes, aber jedes Mal wenn ich in sein beleidigtes Gesicht sah, musste ich wieder grinsen.

Er sah mich böse an und pikte mir in die Seite. „Au!“ Ich wich vor ihm zurück, was er jedoch nur mit einem belustigten Grinsen quittierte. „Tja, das hast du nun davon.“ Ich funkelte ihn böse an und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch meine Mutter kam mir wieder mal zuvor.

„Okay, Jungs, meint ihr nicht, es reicht langsam? Kommt, macht euch mal nützlich und deckt den Tisch. Es gibt Pizza.“ Damit verschwand sie wieder in die Küche, aus der es schon verführerisch nach überbackenem Käse und halt dem typischen Geruch von Pizza duftete. Ich leckte mir über die Lippen. Damit hatte sie das mit dem Tischdecken wieder gut gemacht.

„Mann, Moritz, könntest du das mal bitte lassen?“ Verwirrt sah ich Lele an. „Was?“ „Das Über-die-Lippe-Lecken. Das macht mich wahnsinnig.“ Er hatte seine Stimme gesenkt, weil meine Mutter ja immer noch im Nebenraum war. „Ach, ja? Es macht dich also wahnsinnig. Interessant.“ Ich blieb dicht vor ihm stehen und pustete ihm leicht ins Ohr, ehe ich kurz an seinem Ohrläppchen knabberte und dann ins Wohnzimmer ging, um den Tisch zu decken. Dazu waren wir schließlich hier.

Ich grinste innerlich wie ein Honigkuchenpferd, als Lele wenige Augenblicke später nachkam, um mir zu helfen, dabei aber bewusst den Blickkontakt zu mir mied. Da hatte die Aktion wohl jemanden nicht so ganz kalt gelassen.

 

Nach dem Essen, welches echt lecker gewesen war, verzogen wir uns in mein Zimmer, um noch etwas zu zocken. Offiziell. Inoffiziell hatte ich ja noch ein Versprechen einzulösen. Und außerdem war es der letzte Abend mit Lele, da er morgen auch mit seiner Familie weg fahren würde, weil sie Weihnachten zusammen mit seinen Großeltern verbringen wollten. Wir würden uns also erst nach den Feiertagen wiedersehen. Aber dafür dann die ganzen restlichen Ferien zusammen verbringen.

„Wann musst du morgen los?“ Ich ließ mich von Lele auf seinen Schoß ziehen und schlang meine Arme um seinen Hals. „Keine Ahnung, so gegen elf?“ „So früh schon?“ Traurig blickte ich ihn an. „Ja, leider. Aber es sind doch nur ein paar Tage. Wir schaffen das schon.“ „Na wenn du meinst...“ Ich war davon nicht so überzeugt. Eine Woche ohne Lele! Wie sollte ich das nur aushalten?

„Ach, komm schon, Moritz. Jetzt kein Trübsal blasen. Wir können die Zeit auch sinnvoller nutzen.“ Mit diesen Worten zog er mich näher zu sich heran und begann, an meinem Hals zu knabbern. Ich seufzte leise auf, vergrub meine Hände in seinen Haaren und versuchte, ihm so viel Platz wie möglich zu bieten. Lele ließ sich rücklings auf mein Bett fallen und zog mich dabei mit. Unsere Lippen trafen sich zu einem einfachen Kuss, der jedoch nach kurzer Zeit immer leidenschaftlicher wurde. Lele schmeckte aber auch so verdammt gut. Eigentlich war ich kein Fan des Industrie-Erdbeer-Geschmacks, aber wenn Lele diese Kaugummis kaute, machte er irgendwie süchtig. Apropos Kaugummi…

Ruckartig setzte ich mich auf. Lele sah verwirrt zu mir hoch, doch nachdem ich ihm noch einen kleinen Kuss auf die Lippen gehaucht hatte, lächelte er mich zaghaft an. „Hey, alles okay, aber ich hab noch was für dich.“ Ich kletterte von ihm runter und suchte nach der kleinen Box, die ich gestern fein säuberlich für ihn eingepackt hatte. Mit klopfendem Herzen drehte ich mich wieder zu ihm um. Was machte ich, wenn es ihm nicht gefiel? Ich hatte ja keine Ahnung, ob er sowas überhaupt mochte. Okay, nein! Er war mein bester Freund, ich kannte seinen Geschmack. Er war nicht immer nachvollziehbar, mir aber bekannt. Es würde ihm gefallen. Hoffentlich.

Lele hatte sich mittlerweile aufgerichtet und sah mich fragend an. Dann schien ihm allerdings ein Licht aufzugehen, denn er sprang auf und fischte ebenfalls eine kleine Schachtel aus seinem Rucksack.

„Weil wir uns ja Weihnachten nicht sehen.“ Er überreichte mir sein Geschenk und ich gab ihm meins. „Jap, ich hoffe, es gefällt dir.“ Ich lächelte ihn unsicher an. „Wird es - schließlich ist es von dir.“ Das Blut schoss mir in die Wangen und ich sah zu Boden. „Wart’s ab.“

Leles Socken schoben sich in mein Blickfeld und gleich darauf wurde ich gezwungen, ihn anzusehen. „Hey, ich meine das ernst. Es wird mir gefallen, okay? Außerdem, so viel Mühe wie du dir beim Einpacken gegeben hast…“ „Jaja, sehr witzig.“ Ich stellte die Schachtel auf meinem Schreibtisch ab und griff nach einer Jogginghose. „Ich mach mich dann mal fertig.“ „Okay, bis gleich.“ Ich nickte und verschwand im Bad.

 

Als ich mein Zimmer wieder betrat, lag Lele schon im Bett. Fragend hielt er einen von meinen Filmen hoch. „Woll’n wir?“ Ich überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nee, die letzte Nacht will ich nur dich.“ Erschrocken schlug ich mir die Hände vor den Mund, als ich bemerkte, wie kitschig das klang.

Lele grinste kurz, nickte dann aber. „Klingt gut.“ Er hob die Bettdecke an und ich nahm die Einladung mich an ihn zu kuscheln nur zu gerne an.

 

„Moritz“ Ich brummte und kuschelte mich enger in meine Decke. „Moritz“ Die Stimme klang belustigt. „Was’n?“ „Aufstehen“ „Mhm“ Ich rollte mich auf die andere Seite und vergrub meinen Kopf im Kissen. Jetzt lachte die Stimme wirklich. „Komm schon, Süßer. Wach auf!“ Ein warmer Atem kitzelte mich im Nacken, war aber nicht unangenehm. Ich grummelte. Warum sollte ich da aufstehen? Es war doch so gemütlich…

Warte, Süßer? Meine Mutter nannte mich, wenn dann, Liebling. Aber Süßer? Und überhaupt, die Stimme war männlich.

Ich drehte meinen Kopf. War das nicht Leles Stimme? Warum nannte mich mein bester Freund Süßer? Und seit wann weckte er mich?

Ich entdeckte seinen Rucksack neben meinem Bett und da fiel es mir auch wieder ein: Er hatte ja bei mir übernachtet. Es waren Ferien. Weihnachtsferien und unsere Eltern hatten erlaubt, dass wir eigentlich die ganze Zeit zusammen verbringen konnten. Keine Ahnung warum, aber ich fand es gut. Mit einem Kumpel die Ferien zu verbringen war bei weitem besser, als von einer Familienfeier zur nächsten zu rennen. Ach nee, nicht ganz. Er musste ja jetzt gehen. Noch ein Grund mehr, liegen zu bleiben.

„Du siehst so niedlich aus, wenn du verschlafen bist.“ Er hauchte mir einen Kuss in den Nacken. Was zur Hölle sollte das? Warum küsste… Ich verdrehte innerlich die Augen. Heute Morgen war ich echt zu nichts zu gebrauchen. Klar weckte er mich so - wir waren schließlich zusammen. Wenn auch nur inoffiziell. Ich hätte mir am liebsten mit der Hand gegen die Stirn geschlagen, aber dafür hätte ich mich bewegen müssen. Also drehte ich mich nur träge zu meinem Freund um und nuschelte: „Morgen.“ Er grinste und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. „Morgen, Schlafmütze.“

Er lehnte sich wieder zurück und ich gab die Wärme unter meiner Decke auf. Mühsam befreite ich einen Arm und streckte ihn nach Lele aus. „Hiergeblieben“, murmelte ich und zog ihn wieder zu mir heran. Ich konnte die Vibration spüren, als er lachte. „Moritz, es gibt Frühstück.“ „Hab kein Hunger. Und außerdem musst du danach gehen.“

Lele drehte sich umständlich in meinen Armen um und sah mich schmunzelnd an. „Ich weiß, aber ich liebe dich und deshalb werden wir das auch schaffen.“ Ich blinzelte und versank in seinen Augen. „Ich dich auch. Und jetzt sei ruhig und lass mich schlafen.“

Ich ließ ihn los und drehte mich wieder auf die andere Seite, wo ich zufrieden die Augen schloss, als mir plötzlich mit einem Ruck die Decke weggezogen wurde. „Lele!“ Ich sprang erschrocken auf und sah ihn entgeistert an. Er lachte und zog mich in eine Umarmung. „Geht doch.“ Jeden weiteren Protest erstickte er in einem Kuss und ich hasste ihn dafür. Warum musste er auch so gut küssen können? Und riechen und sich anfühlen und überhaupt, einfach Lele sein?

Widerwillig löste ich mich von ihm. „Lass das, sonst kann ich nicht böse auf dich sein.“ Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Ach, Moritz! Du bist so niedlich.“ Er strich mir über die Wange. „ Na komm, lass und frühstücken!“

Er erhob sich und hielt mir eine Hand hin. Grummelnd ergriff ich sie und folgte ihm ins Esszimmer, wo meine Eltern gerade die Brötchen auf den Tisch stellten. Bei dem Anblick des gedeckten Tischs knurrte mein Magen und Lele warf mir einen wissenden Blick zu.

„Guten Morgen, Liebling!“ Meine Mutter kam auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Bei Lele fühlte sich das irgendwie tausendmal besser an… Er schien meine Gedanken lesen zu können und zwinkerte mir zu. Gruslig die Vorstellung, dass er das wirklich können würde. Das wäre manchmal echt peinlich.

Im Vorbeigehen stieß ich ihm einen Ellenbogen in die Seite und setzte mich. Er ließ sich auf seinen gewohnten Platz neben mit nieder und unterhielt sich munter mit meiner Mutter. Wie konnte man nur so früh am Morgen schon so viel reden? Andererseits, es war mir recht, dann musste ich nichts sagen. Ja, ich war ein Morgenmuffel, aber solange Lele das süß fand, war es mir herzlich egal, was andere dazu sagten. Meine Eltern hatten sich ja schließlich auch damit abgefunden.

 

Das Frühstück war meiner Meinung nach viel zu schnell vorbei und meine Mutter scheuchte uns auch schon wieder in mein Zimmer, damit Lele seine Sachen packen konnte. Dafür übernahm sie sogar das Tischabräumen. Wenn das mal kein Service war… Trotzdem hätte ich lieber tausend Tische sauber gemacht, als Lele gleich verabschieden zu müssen.

Er bemerkte meine geknickte Stimmung und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Hey, es ist nur eine Woche. Du wirst merken, die geht total schnell vorbei.“ Ergeben nickte ich. Was hatte ich auch für eine Wahl?

„Jungs? Kommt ihr? Leanders Eltern sind da!“

Argh, wie ich meinen Vater gerade umbringen könnte. Ich seufzte und gab Lele noch einen flüchtigen Kuss. Dieser erwiderte ihn jedoch leidenschaftlich, sodass wir uns wieder in einer wilden Knutscherei befanden.

 

„Jungs!“ Mein Vater klopfte an die Tür und klang etwas genervt. Ich löste mich widerwillig von Lele und antwortete ebenso genervt: „Gleich!“

Lele schnappte sich seine Tasche, sah mich kurz an, ehe er mich noch einmal küsste und dann zur Tür ging. Ich folgte ihm artig, auch wenn ich ihn am liebsten wieder in mein Zimmer gezerrt und ihn für die nächste Woche eingesperrt hätte.

 

„Und denk dran, erst Weihnachten aufmachen.“ Lele stand in der Haustür und umarmte mich zum Abschied. „Ja, du aber auch, okay?“ „Klar“ Er zwinkerte mir zu, ehe er von seinen Eltern die Treppe hinuntergeschoben wurde. „Bis später, Lele und viel Spaß!“, rief ich im noch hinterher. „Danke, dir auch! Wir schreiben!“ „Okay“

Meine Mutter berührte mich an der Schulter und zog mich zurück in die Wohnung. „Es ist doch nur für eine Woche. Das werdet ihr schon überleben. Und außerdem hast du doch uns.“ Sie zwinkerte mir zu und verschwand wieder in die Küche. Jaja, klar. Tolle Alternative. Und wenn sie wüsste, wie es wirklich war, dann würde sie es auch nicht so auf die leichte Schulter nehmen.

 

Seufzend ging ich zurück in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Es roch alles noch nach Lele. Meine Nase in das Kopfkissen vergrabend rollte ich mich auf den Rücken.

War es eigentlich normal, dass ich ihn jetzt schon wahnsinnig vermisste? Wie sollte ich dann ganze sieben Tage ohne ihn überleben? Ohne seine Nähe, seine Stimme, sein gesamtes Ich?

Jetzt wurde ich auch schon poetisch… Das konnte ja nur heiter werden.

Vaterfreuden?

 

Leander

 

Shit! Fucking Shit!

Zum bestimmt dreihundertsten Mal sah ich auf mein Handy.

Kein Netz. Scheiße!

 

Verzweifelt pfefferte ich das verfluchte Ding auf den Tisch. Mein Opa zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Na na, Leander. Eine Woche ohne Internet wirst du doch wohl mal aushalten, oder?“ Ja, eine Woche ohne Netz schon, aber eine Woche ohne Moritz? Ich hatte ihm auf der Fahrt das letzte Mal geschrieben, weil die Verbindung danach so schlecht geworden war, dass ich es entnervt aufgegeben hatte.

„Außerdem ist Weihnachten das Fest der Familie. Versuch doch wenigstens die Zeit, die du hier bist, zu genießen.“ Meine Oma tätschelte mir die Schulter und stellte noch ein Glas selbstgemachten Kinderpunsch vor mich auf den Tisch. Anscheinend wollte sie mich mit dem Zeug abfüllen. Das war jetzt schon das vierte Glas - binnen einer halben Stunde! Wenn da wenigstens Alk drinnen wäre, dann könnte ich Moritz vielleicht mal für ein paar Stunden aus meinen Gedanken verdrängen. Aber nee, ich war ja noch ein Kind.

„Ich geh dann mal meine Sachen auspacken…“ Ich erhob mich und schlürfte in das eine Gästezimmer meiner Großeltern. Dort warf ich mich wenig begeistert auf mein Bett. Die Woche würde bestimmt toll werden…

Ich konnte ja noch nicht mal sagen, dass es positiv war, weil Clara mich jetzt nicht mehr nerven konnte, denn die hatte in Mexiko auch kein Netz. Was sollte ich denn bitte jetzt die ganze Zeit tun?

 

Es klopfte leise an meiner Zimmertür. „Ja?“ Meine Mutter streckte den Kopf herein. „Ach Schätzchen“ Sie setzte sich besorgt neben mich. „Was ist denn los? Liebeskummer?“ Ich nickte schwach. „Ich denke, Clara wird es genauso gehen. Als ich in deinem Alter war, wollte ich auch am liebsten die ganze Zeit bei meinem Freund verbringen. Doch du wirst sehen, man kann auch ein paar Tage des Getrenntseins überleben.“ Sie lächelte und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Hm“, machte ich nur. Ich war davon immer noch nicht überzeugt. Auch wenn es nicht Clara war, der ich hinterhertrauerte. Aber das musste meine Mutter ja nicht wissen.

„Na, komm. Wir wollen mit Sofia jetzt ins Schwimmbad. Willst du mit?“ Mit meiner zehnjährigen Schwester ins Schwimmbad? Klang super… Aber vielleicht sollte ich wirklich mitkommen. Das waren immerhin einige Stunden Ablenkung.

Ich setzte mich auf und nickte. „Klar.“ Meine Mutter strahlte und erhob sich. „Sehr schön. Dann pack mal deine Sachen, wir treffen uns in zehn Minuten unten.“ „Okay“

Ich stopfte lustlos meine Badehose und ein Handtuch in meinen Rucksack. Dann sah ich nochmal kurz auf mein Handy, vielleicht hatte sich der liebe Gott ja erbarmt und dafür gesorgt, dass es doch Netz gab.

Nein, natürlich nicht. Es wäre auch zu schön gewesen.

Seufzend machte ich mich auf den Weg nach unten. Meine Oma hatte Recht, ich sollte wirklich versuchen, das Beste daraus zu machen. Ändern konnte ich es eh nicht.

 

 

Gegen meine Erwartungen war der Schwimmbadbesuch sogar recht lustig. Ich veranstaltete mit Sofia allerlei Unsinn, sehr zum Leidwesen unserer Großeltern, die uns die gesamte Zeit über kritische Blicke zuwarfen. Aber da hatten sie Pech gehabt, sie wollten schließlich, dass ich mitkam.

Ich schaffte es sogar auch beim darauffolgenden Kaffee, meine Gedanken nicht andauernd um Moritz kreisen zu lassen. Würde es komisch kommen, wenn ich mir dafür selbst auf die Schulter klopfte?

Ich wusste nicht wie ich es geschafft hatte, aber den ersten Tag hatte ich überstanden. Blieben noch sechs. Wenn das so weiterging, würde es doch gar nicht so schlimm werden. Andererseits hatte ich von heute Morgen wahrscheinlich auch noch eine Moritz-Überdosis…

 

 

Hatte ich ihm nicht gesagt, die Woche würde rumgehen wie Nix? Tja, da hatte ich mich wohl geirrt. Es waren gerade mal zwei Tage vergangen und es kam mir vor, als seien es zwei Jahre. Oder zumindest Monate. Wie sollte ich das nur aushalten?

Verzweifelt raufte ich mir die Haare. Es war doch nicht mehr gesund, wie sehr ich ihn vermisste. Meine Fantasien liefen auf Hochtouren, überall in der Stadt entdeckte ich plötzlich Moritze. Ich war dauernd gedanklich abwesend, musste fünfmal angesprochen werden, ehe ich eine halbwegs passable Antwort gab. Zum Glück schoben meine Eltern das darauf, dass ich Clara zurzeit nicht sehen konnte und fragten nicht weiter nach.

Mein einziger Lichtblick war mein Hund. Mopsi (ja, sie hieß wirklich so - war nicht meine Schuld, meine Schwester hatte so lange gebettelt, bis wir sie so getauft hatten, dabei war Mopsi gar nicht fett) und ich gingen jeden Tag mindestens viermal Gassi. Ich glaube, meine Eltern entwickelten mit Oma und Opa schon Theorien, dass ich heimlich rauchte oder drogenabhängig war.

Aber nee, Fehlanzeige. Ich versuchte lediglich, mich von gewissen Gedanken an einen gewissen Typen abzulenken. Ob es mir wirklich gelang war fraglich, aber die Hauptsache war, dass Mopsi sich über den neugewonnenen Auslauf freute. Und wenn sie glücklich war, war ich das auch. Rein theoretisch.

 

Zwischendurch hielt ich immer wieder Moritz‘ Geschenk in der Hand. Was da wohl drin war? Doch weder Schütteln noch ständiges Anstarren half mir da weiter. In besonders schlimmen Momenten war ich kurz davor, es auszupacken, hielt mich jedoch glücklicherweise immer noch gerade so zurück.

 

Am fünften Tag hielt ich es einfach nicht mehr aus und nervte meine Großeltern so lange, bis sie mit mir und meiner Schwester zum Wandern auf einen nahgelegenen Berg fuhren. So würde Sofia es auch nicht mitbekommen, wenn der Weihnachtsmann in der Zwischenzeit kam. War also für alle Seiten von Vorteil, denn hier hatte ich Empfang. Es grenzte ja schon beinahe an ein Wunder.

Je weiter wir fuhren, desto aufgeregter wurde ich. Ein Balken. Mein Opa bog auf einen Nebenweg ein, wir gewannen an Höhe. Zwei Balken. Gleich würde ich ihn anrufen können. Nach fünf Tagen endlich wieder seine Stimme zu hören… Drei Balken! Ich rutschte unruhig auf meinem Sitz hin und her. Opa bedachte diese Aktion mit einem skeptischen Blick, doch meine Oma lächelte still vor sich hin.

Wir hielten an - endlich! Ich riss die Autotür auf, stürmte hinaus und wählte im Rennen schon Moritz‘ Nummer.

„He, Leander! Du wolltest doch unbedingt wandern gehen, also komm jetzt auch!“ Na, das stimmte zwar nur so halb, aber gut. „Ja, okay. Lauft schon mal vor, ich komme nach.“ „Aber…“ Mein Opa runzelte die Stirn, als Oma und Sofia sich gleichzeitig bei ihm unterhakten und ihn den Weg entlang zogen. „Lass den Jungen doch mal in Ruhe telefonieren. Du siehst doch, wie aufgeregt er ist.“

 

Ich grinste in mich hinein. Den Worten meiner Oma hatte Opa nichts entgegenzusetzen. Aber was viel wichtiger war: Ich war allein. Und das mit Empfang!

Hastig drückte ich auf den grünen Hörer. Die paar Sekunden des Wartens kamen mir wie Ewigkeiten vor. Dann, endlich, Moritz‘ Stimme!

„Lele? Ich dachte, du hockst in nem totalen Kaff?“ Beim Klang seiner Stimme machte mein Herz einen gefühlten vierfachen Rückwärtssalto und ich war kurz davor, begeistert aufzukreischen. Was hätte ich gemacht, wenn er nicht drangegangen wäre? Dann hätte ich meine Großeltern ganz umsonst aufgescheucht… Das hätte Ärger gegeben, aber egal, denn er war dran gegangen!

„Lele?“, kam es unsicher von Moritz. „Bist du das?“ „Was? Äh, ja. Sorry.“ Dass ich erstmal realisieren musste, wirklich mit ihm zu sprechen, verschwieg ich lieber. Sonst hätte er wieder etwas gehabt, womit er mich aufziehen konnte.

„Ich hab dich so vermisst“, flüsterte ich ins Telefon. „Ich dich auch. Von wegen, die Woche geht totaal schnell um…“ „Jaja, ist ja gut. Ich hab’s selbst bemerkt, okay?“ Ich konnte mir sein Grinsen bildlich vorstellen. „Hm, du willst gar nicht wissen, was ich für Entzugserscheinungen hatte.“ Ich glaube, da würde ich mithalten können… „Ich kann’s mir vorstellen. Was hast du gemacht, um dich von meiner Wenigkeit abzulenken?“ „Ähm, keine Ahnung. Versucht, die Zeit rumzukriegen. Und dein Geschenk nicht vor heute Abend zu öffnen.“ Ich grinste. Da ging’s ihm wie mir. „Du?“, fragte er neugierig. „In etwa dasselbe.“ Er lachte. Tat das gut, es wieder zu hören… Man könnte meinen, wir hätten uns seit Jahren nicht gesehen.

Ich schüttelte den Kopf und versucht einhändig einen Felsblock hinaufzuklettern. Mit Wandern hatte ich eigentlich nicht Klettern gemeint. Aber für Moritz‘ Stimme hätte ich im Moment alles getan.

 

Ich schaffte es tatsächlich, mich die ganze Wanderung über mit ihm zu unterhalten. Sehr zum Verdruss meines Opas, doch der war mir gerade herzlich egal. Nicht nett, ich weiß, aber im Augenblick gab es für mich Wichtigeres.

So im Nachhinein konnte ich auch gar nicht mehr so wirklich sagen, worüber wir eigentlich gesprochen hatten, aber auch das war mir gleich. Ich hatte seine Stimme gehört, wusste, dass er mich genauso vermisste, wie ich ihn und das reichte mir. Alles andere war nebensächlich.

Auf der Rückfahrt grinste ich debil vor mich hin, sodass ich mir am Ende sehr sicher war, dass zumindest mein Opa mich demnächst einweisen würde. Doch auch das störte mich nicht wirklich - vorausgesetzt man würde Moritz auch mit einweisen. Doch dafür würde ich schon sorgen. Schließlich musste es den Patienten auch mental gut gehen…

Außerdem war meine Schwester keinen Deut besser, denn die turnte voller Vorfreude auf ihrem Sitz herum, sodass Oma sie mehrmals ermahnen musste, sich wieder ruhig hinzusetzen.

 

 

Die Wohnzimmertür war verschlossen und Sofia hüpfte begeistert auf und ab. „Juhu, der Weihnachtsmann war da, der Weihnachtsmann war da!“ Dabei klatschte sie freudig in die Hände. „Wer sagt denn, dass du auch artig warst?“, fragte ich sie lächelnd. Sie sah mich aus großen Augen an. „Aber … ich … ich hab doch immer schön aufgegessen und hab nie gelogen und…“ „Ist schon gut, Sofia, dein Bruder macht nur Witze.“ Beruhigend legt Oma ihr eine Hand auf die Schultern und sofort kehrte das Leuchten in ihren Augen zurück.

Die Tür wurde geöffnet und meine Schwester stürmte jubelnd hinein. Lächelnd folgte ich ihr. Sie saß bereits vor dem Weihnachtsbaum und bestaunte die vielen Geschenke. Dann drehte sie sich grinsend zu mir um. „Schau mal, Lele, das Große da ist für dich!“ Sie zog einen knallgrünen Karton unter dem Baum hervor, der dadurch arg ins Schwanken geriet. „Vorsicht Prinzessin.“ Ich nahm ihr lächelnd das Geschenk ab und setzte mich auf die Couch neben meinen Vater. Sofia verteilte derweil munter weiter Geschenke.

Meine Gedanken wanderten zu Moritz. Was er wohl gerade machte? Ob ihm mein Geschenk gefiel? Leuchteten seine Augen auch so im Kerzenlicht wie Sofias?

Nebenbei packte ich meine Geschenke aus. Doch eigentlich wollte ich nur so schnell wie möglich in mein Zimmer verschwinden und dieses eine aufmachen. Ich hatte es ungern mit zur offiziellen Bescherung nehmen wollen, denn dann hätte es Fragen gegeben. Es war zwar nichts ungewöhnliches, dass Moritz und ich uns was schenkten, doch da ich keine Ahnung hatte, was es war, blieb ich lieber auf Nummer sicher.

 

Als alle Geschenke ausgepackt waren und jeder sich bedankt hatte, nahm ich mein Zeug und verdrückte mich nach oben. Ich schloss die Zimmertür und holte die kleine Schachtel aus meiner Tasche.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die rote Schleife löste. Er hatte sich wirklich viel Mühe gegeben.

Das Erste was mir auffiel war der Geruch nach Erdbeeren. Ich musste grinsen, als ich die Packung Erdbeerkaugummis herauszog. Die Dinger waren für mich überlebenswichtig und anscheinend hatte auch Moritz nichts mehr gegen sie, wenn er sie mir jetzt sogar schon schenkte.

Als nächstes kam ich ein kleiner Zettel zum Vorschein. Mit zittrigen Fingern faltete ich ihn auseinander.

 

Hey, Süßer. Ich wünsche die frohe Weihnachten und einen gaaanz fleißigen Weihnachtsmann. Auch wenn du ja eigentlich nicht besonders artig warst… ;) Ich hoffe, dir gefällt mein Geschenk. Bis bald, vermiss dich jetzt schon!

xx Moritz

 

Seelig grinsend faltete ich den Zettel wieder zusammen. Jetzt gehörte ich auf jeden Fall in ein Irrenhaus. Aber noch war das große Geheimnis ja nicht gelüftet.

Ein flacher Gegenstand, eingewickelt in Papier, fiel mir in die Hände. Langsam und vorsichtig wickelte ich ihn aus. Etwas dunkles, Schwarzes kam zum Vorschein. Ein Lederarmband! Es war wunderschön, aus zwei schwarzen und einem dunkelbraunen Lederband geflochten. Auf der Rückseite enthielt es eine Gravur. Ein M und ein L, welche ebenfalls ineinander verschlungen waren. Das war so süß! Tränen der Rührung liefen mir über die Wangen. Wie gerne hätte ich Moritz jetzt umarmt und geküsst. Doch so musste ich mich - vorerst - damit begnügen, das Armband an meine Brust zu drücken.

 

 

Die letzten zwei Tage vergingen wie im Flug und auch die Heimreise kam mir vergleichsweise schnell vor. Ich hatte absolut keine Ahnung, woran das auf einmal lag, aber beschweren würde ich mich bestimmt nicht.

 

Moritz und ich hatten uns für heute Abend am Kino verabredet. Also war noch genug Zeit, meine Sachen auszuräumen und mir was Ordentliches anzuziehen. Eine etwas engere Jeans und ein einfaches schwarzes T-Shirt sollten eigentlich nicht zu übertrieben sein. Ich stylte meine Haare noch ein wenig und machte mich dann auf den Weg in die Küche, um meinen Eltern Bescheid zu geben, dass ich erstmal verschwinden würde.

Meine Mutter beäugte mich etwas kritisch und meinte: „Ich dachte, Clara kommt erst Samstagabend wieder.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Jaa…“ „Oder machst du dich etwa für Moritz so schick? Seit wann das denn?“ Sie musterte mich von oben bis unten. Also so toll sah ich jetzt ja auch nicht aus. „Wir gehen ins Kino, da geht man nicht im Schlabberlook hin.“ Ich warf mir meine Jacke über und schlüpfte schnell in meine Sneakers, denn das Gespräch entwickelte sich langsam in eine Richtung, die mir nicht gefiel. „Also, Mama, bis später!“ „Mach keinen Unsinn, Leander.“ Sie winkte mir noch kurz, als ich nach draußen flüchtete und schloss dann die Haustür.

Mist, sie durfte davon nichts mitkriegen. Nicht, weil sie etwas gegen Schwule hatte, sondern eher, weil ich ja offiziell mit Clara zusammen war. Und die Beiden verstanden sich prächtig. Leider. Sonst wäre es nicht so schwer.

Aber das war erstmal egal. Jetzt würde ich Moritz wiedersehen und dann konnten wir immer noch weitersehen.

 

Er wartete schon oben an der Treppe auf mich. Lächelnd kam ich auf ihn zu und zog ihn in eine Umarmung. „Hey“, hauchte er mir ins Ohr. „Ich hab dich echt vermisst.“ „Ich dich auch.“ Ich löste mich wieder von ihm und lächelte, als ich das Band um seinen Hals entdeckte. „Gefällt sie dir?“ Moritz folgte meinem Blick und grinste. „Jap, die ist echt cool, danke!“ Er legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich Richtung Kinosäle. „Karten hab ich schon.“

Der Film war nicht gerade voll, sodass ich mich mit Moritz in die hinterste Reihe verdrücken konnte, ohne dass wir weiter auffielen. Er verschränkte seine Hand mit meiner und strich gedankenverloren über das Armband. Ich konnte das Lächeln auf seinem Gesicht im düsteren Licht des Saales erahnen und zog ihn näher zu mir heran.

Im Laufe des Filmes rutschte sein Kopf immer wieder auf meine Schulter, bis er ihn dort einfach liegenließ. Mich störte es nicht - im Gegenteil. Ich genoss das Gefühl, Moritz wieder nahe sein zu können.

 

 

Die nächsten Tage verbrachten wir entweder bei ihm, bei mir oder in der Stadt. Da Weihnachtsferien waren, mussten wir auch nicht befürchten, von irgendjemandem gesehen zu werden. Das machte die ganze Sache erheblich einfacher.

 

 

Den Silvesterabend verbrachten wir alle zusammen bei uns. Moritz‘ Eltern hatten Salat und Käsespieße mitgebracht, meine Eltern kümmerten sich um das Raclette und ich hatte zusammen mit Moritz dafür gesorgt, dass unser Wohnzimmer einen partymäßigen Touch bekam. Zwar sahen dann eher wir wie wandelnde Girlanden und Meereskreaturen mit Luftschlangenhaaren aus, das Endergebnis konnte sich jedoch trotz allem sehen lassen.

Jetzt saßen wir alle zusammen gemütlich am Tisch, den ich an diesem Tag mal nicht dafür verfluchte, dass er so klein war, denn so hatten Moritz und ich einen Grund zum kuscheln.

Mama unterhielt sich gerade mit seiner Mutter über die neue Kochshow im Fernsehen, während unsere Väter darüber diskutierten, wie viel man heutzutage für vergleichsweise schlechte Raketen ausgeben musste, als Sofia angetappst kam und sich auf Moritz‘ Schoß setzte.

„Na du?“ Er hatte sie wirklich gern und konnte überhaupt nicht verstehen, was ich an ihr so nervig fand. Typisch Einzelkind halt.

„Moritz?“, fragte sie. „Ja?“ „Wen küsst du denn an Silvester?“ Sofia sah ihn mit ihren großen Augen an. „Ähm…“ Hilfesuchend wandte sich Moritz an mich. „Hey, Sofi, das macht man nur in Amerika so. Hier in Deutschland ist das nicht so verbreitet.“ „Ach so, schade.“ Sie sah mich traurig an, während Moritz immer noch verwirrt zu sein schien. Ergeben seufzte ich. „Wir haben bei meinen Großeltern Happy New Year geguckt und seit dem fragt sie jeden, wen er zu Silvester küsst.“ „Aha.“ Grinsend sah Moritz meine kleine Schwester wieder an. „Wen küsst du denn?“ Er konnte echt gut mit ihr umgehen.

 

Vor meinem inneren Auge tauchte ein Bild von Moritz in 20 Jahren auf, wie er seine kleine Tochter auf den Arm nahm und sie durchknuddelte. Als ich in dieser Träumerei hinter ihn trat und ihn umarmte, schüttelte ich schnell den Kopf. Wir wollten ja mal nichts überstürzen. Auch wenn die Vorstellung echt was hatte.

Ich konzentrierte mich wieder auf das Gespräch zwischen meinem Freund und meiner Schwester. Sie war doch tatsächlich rot geworden! „Naja…“, fing sie an. „Ich … also, da gibt es schon jemanden. Und der ist auch total süß, aber ich glaube, er mag mich nicht.“ „Aber wieso denkst du das denn? Du bist doch hübsch und niedlich und alles.“ Moritz nahm sie in den Arm. „Ich weiß nicht. Ich glaube, er hat Janina lieber als mich.“ „Hast du ihn den schon mal angesprochen?“ „Nein, ich trau mich das nicht.“ Sie sah ihn wieder mit großen Augen an. Gleich würde sie ihn um irgendetwas bitten.

„Kannst du das nicht machen?“ „Was? Ich soll ihn ansprechen?“ „Ja!“ „Aber … ich kenne ihn doch gar nicht, außerdem, was soll ich denn sagen?“ „Ach, keine Ahnung.“ Sie ließ sich enttäuscht gegen Moritz‘ Brust fallen. „Hey, Kopf hoch! Das wird schon.“

Lächelnd sah er mich an. „Sie ist echt süß, oder?“ „Hm“ Er grinste. „Jaja, schon klar: Ich hab keine Ahnung!“ Jetzt musste auch ich lächeln. „Du hast es erkannt.“

 

„Na, Sofia? Willst du dich lieber schon schlafen legen?“, meldete sich jetzt meine Mutter zu Wort. „Nein! Ich will doch das große Feuerwerk sehen!“ „Okay okay, aber komm mal bitte zu mir und belaste Moritz nicht so.“ „Das ist kein Problem, sie stört mich nicht.“ Er lächelte meine Mutter an. Trotzdem rutschte Sofia von seinem Schoß und kletterte stattdessen auf den von Mama.

„Du bist so ein Schleimer.“ Ich pikste ihn in die Seite. „Und du bist so fies zu deiner Schwester.“ Im Gegenzug streckte er mir seine Zunge raus.

„Ach Jungs, ihr seid schon zwei.“ Sein Vater lächelte uns gutmütig zu. „Klar sind wir das!“, bestätigte Moritz und legte einen Arm um meine Schultern. „Ich find’s gut, dass ihr euch so gut versteht“, lachte sein Vater daraufhin und widmete sich dann wieder seiner Bierflasche.

Grinsend drehte ich mich zu Moritz. „Find ich auch.“ Er grinste ebenfalls und ließ seine Hand tiefer gleiten. „Wa…?“ „Scht“ Er sah mich vielsagend an. Ich musste schlucken und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass Moritz gerade mit seiner Hand unter mein T-Shirt fuhr. Unsichtbar für die anderen strich er meinen Rücken auf und ab, doch so war es für mich nur umso spürbarer. Ich schluckte erneut und versuchte die angenehmen Schauder, die er so immer wieder durch meinen Körper sandte, zu ignorieren. Vergeblich. Ich war kurz davor, wohlig zu seufzen, doch das wäre gar nicht gut.

Konnte der seine Finger nicht bei sich behalten? Ich drängte mich der Berührung entgegen, nahm das zufriedene Lächeln auf Moritz‘ Gesicht war.

Plötzlich keuchte ich erschrocken auf, als seine Hand auf einmal hinten in meine Jeans glitt und meine eine Pobacke umfasste. Warum tat er mir das an? Und warum musste es sich auch noch so gut anfühlen, dass ich ihm nicht mal böse sein konnte? Ich starb innerlich tausend Tode, als meine Mutter fragend zu mir herübersah. Nein, eigentlich sahen alle fragend zu mir herüber. Scheiße.

„Ich … ähm … mir ist … gerade noch was eingefallen. Ich … geh mal schnell hoch und … erledige es.“ Mit hochrotem Kopf stand ich vom Tisch auf und machte mich auf den Weg ins Bad, um mir erstmal eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht zu klatschen. Half zumindest etwas gegen die Hitze in mir. Moritz, der mir gerade hinterhergekommen war, hingegen weniger.

Verschmitzt grinsend lehnte er sich an die Tür und sah mich amüsiert an. „Na, was ist dir denn noch so wichtiges eingefallen?“ „Mann, du bist so ein Idiot! Was sollte das?“ Ich baute mich vor ihm auf, doch das schien ihn kalt zu lassen. „Keine Ahnung, aber war doch ganz lustig.“ Er grinste immer noch. Verdammt! Es war nicht lustig gewesen, sondern heiß. Der Kerl machte mich ganz kirre.

„Du bist echt unmöglich, weißt du das?“ Ich stützte mich neben seinem Kopf an der Tür ab. „Ja, aber du stehst drauf.“ Er lächelte schief. Ich brummte. „Leider.“

Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und presste meine Lippen auf seine. Irgendwie musste man das Grinsen doch aus seinem Gesicht bekommen. Es konnte ja schlecht eingemeißelt sein. Und tatsächlich, es verschwand! Stattdessen forderte seine freche Zunge Einlass in meinen Mund, den ich ihr auch nur zu gerne gewährte. Ich konnte dem Typen aber auch gar nichts abschlagen.

 

Mit wundgeküssten Lippen, roten Wangen und verwuschelten Haaren kehrten wir schließlich ins Wohnzimmer zurück. Lediglich meine Schwester beäugte uns etwas misstrauisch, der Rest hatte schon zu viel getrunken, um sowas noch mitzubekommen. Glück für uns.

„Wollen wir dann langsam mal raus?“, fragte ich in die Runde. „Ist es denn schon so spät?“ Moritz‘ Vater sah neugierig auf die Uhr. Sie zeigte acht vor zwölf an. „Nun gut, dann sollten wir vielleicht wirklich mal, wenn wir das neue Jahr nicht verpassen wollen.“

Zustimmendes Gemurmel erklang, welches jedoch von dem Freudeschrei meiner Schwester übertönt wurde. Tja, da musste man sich schon anstrengen, wenn man den übertrumpfen wollte.

Wir zogen unsere Jacken an, schnappten uns die Raketen und gingen nach draußen in den Garten. Unser Haus lag am Hang, sodass man die Stadt überblicken konnte und da heute auch eine sternklare Nacht war, würde es sicher ein schönes Spektakel werden.

 

Wir stellten die Raketen alle in einer Reihe auf, verbanden die Zündschnüre miteinander und warteten bis kurz vor zwölf.

Ich trat näher an Moritz heran. Wir standen etwas hinter den anderen, deshalb konnte ich meinen Arm um seine Hüfte legen, ohne dass es jemand mitbekam. Er kuschelte sich an mich und zusammen warteten wir, bis meine Schwester anfing den Countdown zu zählen.

„Zehn. Neun. Acht. Sieben.“ Mein Vater zündete die Zündschnur an. „Sechs.“ Unsere Mütter legten fast zeitgleich einen Arm um ihren jeweiligen Mann. „Fünf.“ Auch ich zog Moritz näher zu mir heran. „Vier.“ Die Zündschnur war zu Hälfte angebrannt. „Drei.“ Vor uns knallte die erste Rakete. „Zwei.“ Ich drehte Moritz‘ Gesicht zu mir und küsst ihn. „Eins.“ Raketen stiegen in die Höhe, meine Schwester klatschte begeistert in die Hände, unsere Eltern wünschten sich gegenseitig ein frohes neues Jahr und stießen an. Doch das alles bekam ich nicht mehr mit. Alles was gerade zählte, war Moritz. Nur er, alles andere blendete ich aus.

Lächelnd löste ich mich von ihm und flüsterte: „Alles Gute zum neuen Jahr.“ Ungläubig starrte er mich an. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn hier küssen würde. Wahrscheinlich wegen unserer Eltern. Aber ich ehrlich gesagt auch nicht. Doch als der Countdown lief und er so neben mir stand… Ich musste es einfach tun.

Langsam schien er seine Sprache wiederzufinden. „Dir auch.“ Er lächelte und umarmte mich. Als wir uns wieder voneinander lösten, standen unsere Eltern neben uns, um uns ebenfalls ein erfolgreiches neues Jahr zu wünschen. Sofia sprang mir aufgekratzt in die Arme und drückte erst mir und dann Moritz einen dicken Schmatzer auf die Wange. „So, jetzt seid ihr mein Neujahrskuss.“, verkündete sie stolz. „Oh, na da fühlen wir uns aber geehrt.“ Moritz wuschelte ihr lächelnd durch die Haare.

 

Vielleicht sollte ich das mit der Familienplanung doch gar nicht so weit wegschieben und nochmal überdenken. Moritz wäre ein guter Vater, da war ich mir mittlerweile sicher. Das Leuchten in seinen Augen, wenn er sich mit Sofia unterhielt, ihr etwas vorlas, oder die Geduld, die er aufbrachte, wenn sie es mal versuchte. Selbst Pony spielte er geduldig mit ihr. Was wollte ich mehr? Er war perfekt.

 

Einfach nur perfekt.

Everything I do, I do it for you

 

Moritz

 

Weihnachten war vorbei und trotzdem standen sowohl Weihnachtsbaum als auch Adventskranz noch. Meine Mutter wollte das neue Jahr wohl noch nicht so recht begrüßen, auch wenn das Silvester anders ausgesehen hatte, aber da war auch eine Menge Alkohol im Spiel gewesen. Und eine Menge Lele.

Bei den Erinnerungen musste ich selig grinsen. Er hatte mich geküsst. Vor unseren Eltern! Gut, sie hatten es nicht mitbekommen, aber das Risiko hatte bestanden… Und wie er auf meine Berührungen reagiert hatte… Wäre ich nicht schon ein liebesverrückter Trottel, wäre ich spätestens jetzt einer geworden.

Ich rollte mich herum und sah in Leles von Kerzen beleuchtetes Gesicht. Die Flammen spiegelten sich in seinen braunen Augen und brachten sie dadurch noch mehr zum Leuchten. Er war wunderschön. Seine Augen, die Nase, vor allem die schön geschwungenen Lippen, sein ganzes Gesicht, der Hals, sein Schlüsselbein, die Kuhle darüber, seine Brust, selbst Beine und Füße. Einfach alles.

Ich bettete meinen Kopf auf seine Brust und sog diesen vertrauten Lelegeruch ein. Zufrieden schloss ich meine Augen und genoss das Gefühl, welches seine Finger, die durch meine Haare fuhren, auslösten. Ein angenehmes Kribbeln breitete sich von meinem Kopf langsam über meinen gesamten Körper aus. Ich seufzte wohlig auf und suchte nach seiner Hand. Er verschränkte unsere Finger und tupfte kleine Küsse auf meine Fingerkuppen. Wenn es einen Himmel gab, fühlte er sich wahrscheinlich genau so an.

Ich kuschelte mich noch enger an Lele, versuchte so viel Körperkontakt wie in dieser Position möglich war, herzustellen. In letzter Zeit waren wir eh ziemlich verkuschelt. Doch ich hatte nichts dagegen - im Gegenteil, hier so mit ihm zu liegen war mir fast lieber als wilde Knutschorgien zu veranstalten. Aber nur fast. Es fühlte sich einfach zu gut an.

Wenn wir so dalagen, konnte ich beinahe vergessen, dass in drei Tagen wieder Schule war. Für meinen Geschmack reichten zwei Wochen Ferien definitiv nicht aus. Vor allem, wenn Lele eine davon bei seinen Großeltern verbringen musste.

 

„Hey, wollen wir dann erstmal was essen?“ Lele hob träge seinen Kopf und sah mich fragend an. „Hm“, brummte ich. Für Essen musste man aufstehen. Und dazu benötigte man Energie und den Willen, sich zu bewegen. Beides hatte ich gerade nicht wirklich.

„Wie wär’s wenn wir Pizza bestellen, dann können wir noch nen bisschen liegenbleiben.“ Unter meinem Kopf vibrierte es, als Lele lachte. „Mann Moritz, du bist echt so faul!“ „Na und?“, erwiderte ich trotzig. „Scheint dich ja nicht wirklich zu stören.“ „Ist schon gut, du bekommst deine Pizza. So wie immer?“ Er kramte nach seinem Handy, wodurch ich gezwungen wurde, meine Position doch zu verändern. Aber so musste ich immerhin nicht gänzlich aufstehen. „Jap, bitte.“ „‘kay, geht klar.“

Er tippte eine Nummer ein und bestellte uns zwei Pizzen. Hatte ich schon erwähnt, dass seine Stimme unglaublich sexy klang? Auch beim Pizzabestellen?

„Also der Typ meinte, in circa zwanzig Minuten sind sie hier.“ „Zwanzig Minuten? Dann haben wir ja noch viiieel Zeit…“ Ich richtete mich auf und grinste Lele dreckig an. „Ich dachte, du wolltest dich nicht bewegen.“ „Jaa, zum Essenvorbereiten. Aber für andere Dinge schon und wenn du oben liegst, muss ich auch nicht viel machen. Dann passt das schon.“ Lele runzelte die Stirn, kam offenbar nicht so ganz damit zurecht, dass ich auf einmal so direkt wurde.

Tja, es war schön zu sehen, dass er auch nicht immer eine schlagfertige Antwort parat hatte. Und dennoch, auch beim Nachdenken sah er heiß aus, also ging der Punkt wohl trotzdem an ihn.

Schließlich schien er es aufzugeben und zog mich stattdessen zu sich heran. „Und was machst du, wenn ich unten liegen will?“ Seine raue Stimme ließ mich angenehm erschaudern, doch sein belustigter Blick sorgte dafür, dass ich zumindest noch teilweise klar denken konnte. „Tja, dann musst du wohl damit rechnen, dass ich mich nicht so leicht geschlagen gebe.“ „Ach, muss ich das, ja?“ „Sieht ganz so aus.“

Ich überbrückte den Abstand zwischen uns und küsste ihn. Dabei legte ich mich auf die Seite und zog ihn halb auf mich.

Lele grummelte irgendetwas in den Kuss hinein und rollte uns ohne viel Federlesen erneut herum. Es war aber auch unfair, dass er sowohl größer als auch stärker war. Und das auch noch gnadenlos ausnutzte…

Ich versuchte mehrfach, die Positionen wieder zu wechseln, doch meine Erfolgsbilanz dabei sollte man sich lieber nicht anschauen. Überhaupt, stritt man nicht eher darüber, wer oben lag? Was machten wir bitte falsch?

Irgendwann hatte ich es tatsächlich geschafft, ihn auf mich zu verfrachten. So langsam ging mir jedoch die Luft aus. Zum einen von dem Kuss, den wir nur lösten, wenn es wirklich nötig war, und zum anderen, weil es echt anstrengend war, jemand andauernd auf sich drauf zu hieven, der dabei erbitterten Widerstand leistete.

Mittlerweile waren wir auch bedrohlich nah an die Bettkante gerollt. Aber Lele schien das nicht zu stören, denn er drehte uns beide abermals herum, sodass ich dachte, mich bald übergeben zu müssen. Doch noch war ich geistesgegenwärtig genug, den Schwung zu nutzen und ihn wieder auf mich zu ziehen. Leider hatten wir die Grenze dann wirklich überschritten und purzelten kopfüber aus dem Bett.

Zu meinem Pech lag ich ja gerade unten, sodass Lele auch noch direkt auf mich drauf fiel.

„Aua“ Er grinste mich frech an. „Tja, das hast du jetzt davon.“ ich wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als es an der Haustür klingelte.

„Das wird wohl die Pizza sein. Perfektes Timing sag ich da nur.“ „Und ich sag nur, da du ja momentan oben liegst, dass du jetzt fein die Tür aufmachen darfst.“ Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. „Du drehst aber auch alles zu deinen Gunsten.“ „Natürlich, wozu soll mein Mund sonst gut sein?“ „Oh, da wüsste ich was, aber ich muss ja Pizza holen gehen.“

Er rappelte sich auf, nicht ohne mir noch einen anzüglichen Blick zuzuwerfen, und verschwand dann in Richtung Haustür, um unser Abendessen zu besorgen.

 

Beladen mit zwei Pizzakartons und einer Flasche Cola ließen wir uns im Wohnzimmer auf die Couch fallen. Der verführerische Duft von geschmolzenem Käse und Barbecue-Soße stieg mir in die Nase. Ich sollte wahrscheinlich aufhören, so viel Pizza zu essen, aber noch kam sie mir weder zum Hals wieder raus noch war ich dick und fett geworden.

Lele angelte nach einem Stück und biss beherzt hinein, sodass ein roter Schnurbart sein Gesicht zierte. Ich lachte auf und strich ihm die Tomatensoße von den Lippen. Wie selbstverständlich sich diese Geste schon für mich anfühlte…

Lele schenkte mir ein warmes Lächeln und reichte mir dann ebenfalls ein Stück Pizza. Hungrig schlang ich es in mich hinein und innerhalb der nächsten zehn Minuten hatten wir unsere Pizzen aufgegessen. Das war zwar, glaube ich, auch nicht so ganz gesund, aber wenn man mit genug Cola nachspülte, ging es vielleicht wieder. Die Säure da drin sorgte doch dafür, dass der Mageninhalt schneller zersetzt wurde. Okay, was laberte ich für ‘nen Scheiß? Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Was war denn die letzten Tage nur mit mir los?

„Alles klar?“ Lele musterte mich besorgt. „Ja, mir hat die Pizza wahrscheinlich nur ein bisschen das Hirn verstopft.“ Er grinste. „War es das nicht vorher schon?“ „Hey!“ Ich schnappte mir ein Kissen und schleuderte es ihm entgegen. „Das ist nicht lustig!“ „Doch, ist es.“ Lele kugelte sich vor Lachen auf dem Sofa.

Aber es war wirklich nicht lustig - immerhin sagte man das doch so. Dachte ich zumindest.

„Weißt du was? Du bist ein blöder Idiot.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah Lele eingeschnappt an. Der konnte sich langsam auch mal wieder einkriegen. Oder von der Couch fallen, das ginge auch.

Offenbar hatte er meine Gedanken gehört, denn er setzte sich auf und zog mich versöhnlich zu sich. Schade eigentlich.

„Hey, ich wollte dich nicht ärgern, aber du bist manchmal echt so verpeilt.“ „Ich bin nicht verpeilt“, protestierte ich. „Okay, dann eben niedlich.“ Na toll, das war jetzt auch nicht besser. „Hm“, grummelte ich nur und versuchte, von ihm weg zu rutschen. Doch Lele schlang einen Arm um mich und lehnte seinen Kopf an meine Schulter.

Okay, ich blieb ja schon sitzen. Es fühlte sich eh viel zu gut an, als dass ich jetzt noch abhauen wollen würde. Er wusste aber auch immer, wie er mich rumbekam. Blöder Idiot eben.

 

Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Lele sich aufgesetzt hatte. Erst als sich seine Lippen langsam aber sicher an meinem Hals festsaugten, realisierte ich die Veränderung.

Ich seufzte wohlig auf und drehte meinen Kopf so, dass sich unsere Lippen trafen. Ein Knutschfleck würde mich nur in Erklärungsnot bringen.

Leles Zunge stupste auffordernd meine an und ich ging nur zu gerne auf dieses Spiel ein. Ich ließ mich von ihm nach hinten drücken, sodass er auf mir lag und wanderte mit meinen Händen unter sein T-Shirt. Immer wieder strich ich seine Wirbelsäule hoch und runter, was ihm ein zufriedenes Brummen entlockte.

Er richtete sich etwas auf und ich nutzte die Gelegenheit, um ihm das störende Stück Stoff über den Kopf zu ziehen. Seine Brust war einfach so perfekt, gut definiert. Ganz leicht konnte man die Ansätze eines Sixpacks erkennen. Ehrfürchtig zeichnete ich es mit meinen Fingern nach, ließ Lele damit leise keuchen.

Dadurch ermutigt zog ich ihn wieder zu mir herunter, umfasste seine Hüfte und reckte ihm meine eigene entgegen. Ich konnte deutlich fühlen, dass ihn das Ganze alles andere als kalt gelassen hatte und konnte es mir nicht verkneifen, ihn weiter zu reizen, indem ich meine Hände hinten in seine Jeans gleiten ließ und sanft seine Pobacken massierte.

Lele stöhnte überrascht auf und vorsichtshalber löste ich mich von ihm. Zweifelnd sah ich ihn an und wollte meine Hände schon wieder aus seiner Hose ziehen, als er ein leises „Nein“ murmelte. Nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte, flüsterte ich: „Was?“

Dunkle Augen, in denen ein Ausdruck lag, den ich nicht wirklich deuten konnte, blickten mich an. „Nicht… Mach weiter. Bitte.“ Es war nur ein Flüstern und dennoch brannten sich diese Worte in mein Hirn ein. „Okay“, hauchte ich und verschloss seine Lippen wieder mit meinen.

Trotz seiner Bitte befreite ich eine Hand und legte sie stattdessen in seinen Nacken. Ich kraulte seinen Haaransatz, während ich mich mit meinem Mund seinem Hals widmete. Sanft biss ich in die weiche Haut, leckte über die empfindlichen Stellen und entlockte Lele damit immer wieder kleine Seufzer.

Meine andere Hand war derweil auch wieder nach vorne gekommen und streichelte über seine Brust hinunter zu seinem Bauch, bis ich an seinem Gürtel schließlich stoppte.

Noch einmal sah ich ihn fragend an. Er schien es wirklich ernst zu meinen, denn von ihm kam keine Widerrede.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mit zittrigen Fingern die Gürtelschnalle öffnete und dann langsam mit meiner Hand in seine Unterhose fuhr. Irgendwie war das bei mir selbst einfacher. Und da half es auch nicht, wenn man das schon tausendmal gemacht hatte. Was sollte ich denn jetzt bitte tun?

Ich atmete tief ein. Okay, ganz ruhig. Das ist genauso wie bei mir, nur halt irgendwie doch nicht so ganz.

Vorsichtig umschloss ich seinen Schwanz, beobachtete dabei ganz genau sein Gesicht. Er hatte seine Augen geschlossen und sah entspannt aus. Als ich nichts weiter machte, fing er an, leise zu wimmern und bewegte sich leicht nach vorn.

Ich verstärkte den Druck und begann, langsam auf und ab zu fahren. Lele stöhnte erneut auf und spornte mich damit an, schneller zu werden. Es war wirklich gar nicht so schwer. Nur fühlte es sich um ein Vielfaches besser an.

Leles suchte nach meinen Lippen und wir versanken in einem leidenschaftlichen Kuss, während ich weiter seinen Schwanz bearbeitete. Als ich über seine Spitze fuhr, jaulte er gequält auf. „Moritz, ich… Mach… Hör nicht auf. Ich…“ Ich wusste, dass er kurz davor war, zu kommen und erhöhte das Tempo nochmals. Dabei sah ich ihm fest in die Augen und der Blick, den Lele mir zuwarf erregte mich ungemein. War er schon immer so heiß gewesen? Warum war mir das noch nie aufgefallen?

Lele stieß noch einmal keuchend zu und dann spürte ich etwas Warmes, Klebriges in meiner Hand.

Erschöpft ließ er sich neben mir auf die Couch fallen, während ich meine Hand aus seiner Hose zog und sie mit einem Taschentuch reinigte.

Lele hatte noch immer seine Augen geschlossen und atmete angestrengt. Sanft fuhr ich seine Lippenkonturen nach, als er plötzlich seine Augen öffnete und mich geschockt anstarrte.

Hastig sprang er auf, stolperte mehrfach über seine eigenen Füße und stürmte aus dem Zimmer. Perplex blieb ich auf der Couch zurück. Was war denn auf einmal los? Hatte ich doch was falsch gemacht? Dachte er, ich wäre Clara gewesen? Der Gedanke versetzte mir einen Stich. Nein, das konnte nicht sein, er hatte mir in die Augen gesehen. Und zwar mit Zuneigung. Deutlicher Zuneigung.

Entfernt nahm ich wahr, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und meine Eltern die Wohnung betraten. „Oh, hallo, Leander! Mein Gott, was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja…“, hört ich meine Mutter sagen, doch im gleichen Moment polterte jemand die Treppe hinunter.

Ein sehr, sehr flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Verdammt! Das hätte nicht passieren dürfen, es war ja klar, dass er so guckt, schließlich hatte ich ihm gerade einen runtergeholt! Scheiße, ich hatte es wirklich getan. Ich hatte es meinem besten Freund mit der Hand besorgt. Fuck! Ich glaube, da wäre ich auch wegerannt.

Langsam setzte ich mich auf und starrte auf den Teppich. Andererseits waren wir ja irgendwie zusammen… Oder? Hatte Lele bemerkt, dass er doch nicht schwul war?

 

„Hey, Moritz Schätzchen. Was ist denn mit Leander passiert? Oh, du siehst aber auch nicht gerade gut aus. Habt ihr euch gestritten?“ Meine Mutter setzte sich neben mich und legte mir besorgt einen Arm um die Schultern. „Nein“, krächzte ich heiser. „Was ist denn dann los?“ Sie drückte mich an sich und strich mir eine Strähne aus der Stirn. „Keine Ahnung.“

 

Doch, die hatte ich. Eine überhaupt nicht gute Ahnung und zudem das schlechte Gefühl, alles kaputt gemacht zu haben.

 

Scheiße.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Lektorat: BlackSheep - danköö *-*
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /