Cover

Anmerkung

 

 

 

 Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.

Zitat

 

 

 

 

 

Laß dich nie durch's Unglück niederschlagen;

es gibt immer noch Unglücklichere,

mit deren Lage du nicht tauschen würdest.

 

(Äsop)

Wahrnehmungen

Ich saß am Tisch in unserer Kantine und war gerade im Begriff, das kulinarische Highlight der hiesigen Kochkunst zu genießen.

Spaghetti Bolognese.

Um die Spaghetti auf die Gabel zu bekommen, musste ich keine großen Verrenkungen mit dem Aluminiumbesteck unternehmen. Ihr Härtegrad erlaubte es, ein Stück abzuschneiden oder sie einfach nur aufzuspießen und mit etwas Fleischsoße in den Mund zu führen. Wären die Spaghetti nicht so zerkocht gewesen, hätte man das Gericht problemlos als essbar bezeichnen können.

 

Ich schaute aus dem Fenster, als etwas Kaltes dabei war, meinen Nacken hinaufzukriechen. Oder bildete ich es mir nur ein?

Abrupt drehte ich mich um und registrierte das emsige Treiben an der Ausgabestation, begleitet von einer Art ohrenbetäubendem Gemurmel der Mitarbeiter, dem Geklapper der Bestecke und dem Gurgeln der Softdrink-Station. Die nackten hellgrauen Wände stimmten ein trauriges Lied dazu an. Ein verstohlenes Lächeln kam über meine Lippen. Niemand nahm Notiz von mir, während ich allein an dem kleinen eckigen Tisch saß und erneut die Aussicht auf den Parkplatz genoss, der sich langsam mit den Wagen der Mitarbeiter füllte.

Nicht alle Tische waren besetzt. Vermutlich konnte oder wollte nicht jeder den Kampf mit den Nudeln aufnehmen. Es waren hauptsächlich die Jungs aus der Tonabteilung und der Bühnentechnik, die sich gerade die Zeit vertrieben bis zum Dienstbeginn.

Ich stocherte weiter in meinem Essen herum und suchte nach etwas. Was genau, konnte ich nicht sagen. Vermutlich suchte ich darin etwas, das sich als jenes Gericht entpuppte, das es darstellen sollte.

Da! Da war es wieder.

Dieses Gefühl. Ich spürte, wie sich die Blicke der Mitarbeiter in meinen Rücken bohrten und hielt kurz inne.

»Schmeckt’s?«

Ich schreckte zusammen und drehte mich blitzschnell um. Keine Sekunde später heiterte sich meine Miene auf.

»Hallo, Flo!«

Florian, von mir Flo genannt, nahm mir gegenüber Platz. Der Kollege aus der Technikabteilung war sehr schlank, ohne schlaksig zu wirken, gut eineinhalb Köpfe größer als ich. Sein hellblondes Haar hatte er unter einer schwarzen Baseballkappe versteckt. Durch seine Harry-Potter-Brille lächelten mich hellbraune Augen an. Auch er hatte sich einen Teller Spaghetti Bolognese gegönnt und stocherte mit der Gabel im Nudelpamp.

»Ist es essbar?« Seine Frage kam zögernd, sein Bissen indes klatschte von der Gabel zurück auf den Teller.

Ich schüttelte den Kopf. »Nicht die Bohne! Das Essen besteht aus nur einer Nudel.«

Wir prusteten beide laut los.

»Dann ist ja alles wie immer.« Er gab den Versuch nicht auf, Herr der einen zerkochten Nudel zu werden. Zu meinem Amüsement gelang es ihm ebenso wenig wie mir.

»Wann kümmert sich die Theaterleitung darum, dass wir mal vernünftiges Essen bekommen?« Er startete einen weiteren Versuch. Sein hypnotischer Blick schien dem Bissen auf der Gabel mitzuteilen, auf direktem Weg in den Magen zu wandern.

»Ich habe schon mit dem Verantwortlichen gesprochen. Angeblich ist es nicht so einfach, einen neuen Kantinenbetreiber zu finden«, seufzte ich.

»Diese Bürohengste wissen nicht, was es bedeutet, in dieser Kantine essen zu müssen. Wir können nicht mal eben auf die andere Seite schippern und uns was Anständiges zwischen die Kiemen schieben. Dafür ist die Zeit zwischen den beiden Vorstellungen zu kurz.«

Ich nickte. Flo hatte recht. Die Kollegen in ihrem piekfeinen Büro hatten weitaus bessere Möglichkeiten, ihre Mittagspause zu verbringen.

»Ich komme mir vor, als wäre ich auf Alcatraz eingesperrt«, brummte Florian.

»Das nächste Mal bringe ich dir ein Carepaket mit.«

Mein Witz zündete bei ihm nicht. »Mach aber schnell, bevor hier noch eine Meuterei ausbricht.«

Vorsichtig beugte ich mich zu Flo hinüber. »Kommt es mir nur so vor oder starren mich die Kollegen tatsächlich an?« Ich flüsterte die Frage, damit die anderen sie nicht mitbekamen. Außerdem hatte ich die ewige Diskussion um das Kantinenessen gehörig satt. Im Wortsinn.
Florian legte die Gabel zur Seite, straffte den Schultergürtel und ließ seinen Blick in die Runde gleiten, als witterte er eine Verschwörung. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

»Ich denke, du hast recht. Mich sehen die Kollegen auch andauernd an.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich in dem billigen Plastikstuhl zurück, bis die Lehne ein knarzendes Geräusch von sich gab.

»Also weißt du auch nicht, worum es geht?« Meine Neugierde steigerte sich gehörig, doch Flo schüttelte nur den Kopf.

»Nö!«

Ich war unzufrieden mit der Antwort und wollte dem Rätsel um dieses Gefühl nachgehen. Bald. Wenn meine Zeit es zulassen würde. Und dennoch, das merkwürdige Gefühl im Magen blieb, und ich wusste nicht, warum. Wurde ich paranoid?

»Iss erst mal in Ruhe auf.« Flo erhob sich vom Stuhl. »Ich kann mich ja mal umhören.« Er zwinkerte mir zu.

Ich blickte zu ihm hoch.

»Zwei Hirne, ein Gedanke. Das hatte ich auch gerade im Sinn.«

»Guten Abend, meine Damen und Herren!«, hallte es aus den Lautsprechern. »Die Vorstellung beginnt in dreißig Minuten. Bitte alle bereit machen. Das Tanzensemble bitte zum Warm-up auf die Bühne.«

Wir atmeten auf. Die Durchsage rettete uns davor, die Pampe aufzuessen.

Mit einem Mal leerte sich die Kantine, als hätte gerade ein Kaufhaus mit Sonderangeboten seine Pforten geöffnet.

Schatten

Die Uhr zeigte gerade 20:44, als mein Magen sich meldete. Viel hatte ich bisher nicht zu mir genommen. Auch die Verabredung mit Flo konnte ich, sehr zu meinem Bedauern, nicht einhalten. Dabei hätte mir seine Unbeschwertheit gutgetan. Essen mit Florian war wie ein Urlaub am Strand für mich. Sein sonniges Gemüt gepaart mit seiner lockeren Art ließen den Stress, der immer mehr um mich herum anwuchs, wenigstens für eine kurze Zeit ins Nirwana verschwinden. Während der Vorstellung waren technische Schwierigkeiten mit einigen Bühnenelementen aufgetreten, die erst einmal behoben werden mussten. Da Flo der Elektriker unter den Bühnentechnikern war, hatte die Arbeit ihn voll im Griff.

Ich fuhr den Computer herunter.

 

Auf dem Weg zur Kantine kam mir Rolf entgegen.

»Mia, fährst du nicht einen Opel?«

Ich hielt inne. »Ja, schon. Warum?«

»Ist das dein brauner Opel Zafira auf dem Parkplatz?«

»Nein«, winkte ich pikiert ab. »Ich fahre einen silbernen GTC. Der Zafira ist nichts für mich«, entgegnete ich leicht entrüstet.

Rolf schüttelte verständnislos den Kopf. »Und wem gehört dann der Zafira?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Vielleicht hat sich ein Kollege einen neuen Wagen gekauft?«

»Das wüsste ich«, schnaubte unser Pförtner.

»Stimmt.«

Wenn jemand die Autos der Mitarbeiter kannte, dann Rolf. Als alter Autoschrauber gab er den jungen Kollegen immer Tipps, wo sie günstig Ersatzteile kaufen konnten. Manchmal verkaufte er auch selbst welche, um sich so sein Gehalt etwas aufzubessern. Ob das auch immer legal war, entzog sich meiner Kenntnis. Da ich ebenfalls Nutznießerin dieses besonderen Service war, hängte ich es nicht an die große Glocke.

»Möglich, dass ein Besucher ihn einfach dort abgestellt hat, um einen Spaziergang an der Elbe zu machen.«

Unser Pförtner schürzte die Lippen.

»Möglich.« Rolf boxte mir freundschaftlich in den Oberarm. »Und? Was macht dein Traumauto, Mia?«

»Je länger ich warte, desto schwieriger wird es, einen Triumph Spider zu finden, der noch in Schuss und bezahlbar ist.«

»Ich habe einen Freund gebeten, mal Ausschau zu halten. Er meldet sich, wenn er was in Aussicht hat.«

»Das ist nett von dir. Doch ich mache mir keine allzu große Hoffnung mehr.«

»Aber Mia! So kenne ich dich ja gar nicht.« Er hob die buschigen, bereits fast weißen Augenbrauen.

»Wenn es jemanden gibt, der für jedes Problem eine Lösung findet, dann bist du es.«

Das Blut schoss in meine Wangen. Mir wurde plötzlich heiß. Mit dem Handrücken wischte ich mir kurz über die Stirn. Komplimente verursachten bei mir immer diese Reaktion, sodass ich zur Seite blickte, damit Rolf es nicht mitbekam.

»Schön wär’s. Aber danke«, winkte ich ab. »Ich muss jetzt erst einmal etwas essen. Sonst falle ich noch um vor Hunger.«

Ich setzte mich in die Kantine und genehmigte mir ein Stück Marmorkuchen. Der machte seinem Namen alle Ehre. Hinterher benötigte ich erst einmal einige Liter Flüssigkeit, damit ich selbst nicht zu einer Marmorplatte mutierte.

 

Kurz vor Ende der Vorstellung befestigte ich den Besetzungsplan für die kommende Show an der Pinnwand. Chris brachte mir noch den Showreport vorbei. Ich packte meine Sachen zusammen und ging zum Bühneneingang.

»Eine gute Nacht wünsche ich Ihnen. Morgen haben Sie Ruhe. Wie ich gesehen habe, stehen keine Proben an«, sagte Hannes, der heute Nachtschicht hatte.

 

Ich schätzte Hannes auf Ende zwanzig. Er wirkte eher schüchtern, dennoch war er sehr aufgeweckt. Ich wusste, dass er die Nachtschicht hauptsächlich dafür nutzte, um im Internet irgendwelchen Online-Spielen zu frönen. Nachts hatte er dazu ausreichend Gelegenheit und Ruhe. Das machte den Job für ihn so angenehm.

 

»Ich wünsche auch eine ruhige Nacht. Und gut aufpassen, dass niemand das Theater klaut«, verabschiedete ich mich mit einem Augenzwinkern.

Hannes winkte mir kurz zu und begann seinen Rundgang um das Theater. Rolf und die anderen waren bereits lange vor mir gegangen.

 

Mein GTC parkte unter einer Lampe. Es war der einzige Wagen auf dem Parkplatz. Der Wagen des Nachtdienstes parkte vor dem Bühneneingang. Als ich mein Auto fast erreicht hatte, stutzte ich. Was ist das? Was ist da an meinem Scheibenwischer befestigt? Ich schaute mich um. Außer mir war niemand auf dem riesigen Außenbereich. Der Großteil der Parkplatzbeleuchtung war bereits abgeschaltet worden. Wenige Lampen verteilten ein fahles Licht über den Betonboden. Schließlich erkannte ich, was es war. Jemand hatte mir eine dunkelrote Rose unter den linken Scheibenwischer geklemmt. Vorsichtig nahm ich sie in die Hand und roch daran. Sie verströmte einen herrlichen Duft. Die Blätter sahen bereits etwas erschlafft aus. Wenn sie nicht bald Wasser bekäme, wäre sie hinüber. Ich suchte noch nach einer Nachricht, konnte aber nichts finden. Schließlich stieg ich ins Auto, legte die langstielige Rose auf das Armaturenbrett, startete den Motor und fuhr los.

Ob jedes Auto so eine Rose bekommen hatte?

 

Ich fuhr den Ellerholzdamm entlang. Am Ende der Straße sprang die Ampel gerade auf Rot um.

»Oh nein! Diese Ampel macht mich noch wahnsinnig. Um diese Zeit fahren hier keine Autos mehr. Wieso schalten sie das blöde Ding nicht einfach ab?« Verärgert hämmerte ich mit den Fäusten auf das Lenkrad ein, ich regte mich weiterhin künstlich auf. »Es gibt doch Verkehrsschilder, die alles regeln.« Die Ampel einfach zu überfahren, wagte ich nicht. Beim letzten Mal hatte es mir zweihundert Euro Strafe und zwei Punkte in Flensburg sowie einen Monat Fahrverbot eingebracht. Wo sich die Polizei damals versteckte, vermag ich bis heute nicht zu sagen. Ein weiteres Mal wollte ich das Risiko nicht eingehen und wartete.

Wenig später tauchten im Rückspiegel zwei Scheinwerfer auf. 

»Hm. Du scheinst diese hinterlistige Ampel wohl auch zu kennen und fährst gleich sehr langsam ran.« Ich beneidete ihn um seine Umsicht.

Schließlich wechselte das Licht auf Grün. Ich legte den Gang ein und fuhr los.

Der nächtliche Weg aus dem Hafen heraus war einsam. Nach fünfzehn Minuten Fahrzeit hatte ich den Hafen verlassen, als ich bemerkte, dass derselbe Wagen immer noch hinter mir war. Da es bereits dunkel war, konnte ich die Automarke nicht erkennen.

»Ist das ein Zufall?«

Ich sprach häufiger mit mir selbst, wenn ich allein im Wagen saß. Das half mir, die Vorkommnisse des Tages besser zu verarbeiten.

»Na, gut. Dann wollen wir mal sehen, ob wir tatsächlich denselben Weg haben.«

An der nächsten Kreuzung bog ich links ab in Richtung Hauptbahnhof. Das entsprach zwar nicht meiner üblichen Strecke, doch ich musste es einfach wissen, brauchte Klarheit.

Der Wagen folgte mir. Dabei war er sehr vorsichtig und hielt immer Abstand. Nie fuhr er zu dicht auf, sodass sich vielleicht die Möglichkeit ergeben hätte, das Gesicht des Fahrers zu sehen. Selbst am Hauptbahnhof machte er keine Anstalten, einen anderen Weg einzuschlagen.

»Wer zur Hölle bist du? Und willst du wirklich was von mir? Langsam glaube ich nicht mehr an einen Zufall.« In meinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl bemerkbar.

Man glaubt es kaum, doch sonntagnachts können sogar die Straßen einer Großstadt ziemlich leer sein. Vermutlich lag es daran, dass die meisten Menschen am Montag früh wieder aus den Federn mussten, um ihren Jobs nachzugehen.

Ich fuhr den Steindamm herunter in Richtung Wandsbek. Außer einem Fahrradfahrer, der vor mir die Straße überquerte, einem verliebten Pärchen, das knutschend an einer roten Ampel wartete, sowie fünf jungen Männern vor einer Bar, war weit und breit kaum jemand in Sicht. Die Angst kroch langsam in mir hoch. Obwohl draußen noch milde Temperaturen herrschten, fröstelte ich, ich drehte die Heizung auf. Beim Blick in den Rückspiegel sah ich den Wagen noch immer hinter mir herfahren.

»Ich will nicht, dass du mich bis nach Hause verfolgst. Wenn dir bekannt ist, wo ich wohne ...« Angst. Litt ich unter Verfolgungswahn? Oder hatte der Wagen wirklich nur zufällig denselben Weg wie ich?

»Verdammt!« Ich traf eine Entscheidung. Ich blickte mich um. Die Straße war frei. Dann gab ich Gas. Mein GTC schoss wie ein Silberpfeil mit hundertzwanzig Sachen über die Wandsbeker Chaussee. Immer wieder huschte mein Blick in den Rückspiegel. Der Wagen wollte sich nicht abhängen lassen. Nun war mir klar, dass er es auf mich abgesehen hatte. Ab sofort war Rot für mich nicht mehr existent. Jede Ampel, die sich mir in den Weg stellte, überfuhr ich gnadenlos. Ohne Rücksicht auf Verluste. Kalter Schweiß legte sich über meine Stirn. Gleichzeitig begann Furcht meine Gedanken einzukreisen, wie Geier, die ihre Beute erspäht hatten und sich jeden Moment darauf stürzen würden.

»Wo sind die Bullen, wenn man sie mal braucht?« In diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, wenn die Polizei mich wegen überhöhter Geschwindigkeit oder fürs Überfahren einer roten Ampel anhalten würde.

Erneut schaute ich in den Rückspiegel. Entsetzt stellte ich fest, dass mein Verfolger ebenfalls kein Problem damit hatte, rote Ampeln zu ignorieren.

»Das ist jetzt nicht mehr lustig!« Ohne zu bremsen, riss ich das Lenkrad nach rechts herum. Mit quietschenden Reifen zog ich den Wagen in die Schloßstraße. Ein schneller Blick in den Spiegel. Mein Verfolger ifuhr vorbei und preschte die Wandsbeker Marktstraße hinunter. Durch die gute Beleuchtung an der Kreuzung konnte ich kurz einen Blick auf den Wagen erhaschen: ein brauner Zafira. Irgendwo in der Nähe gab es eine Polizeiwache. Es war vertrackt, doch ich war nicht in der Lage mich zu erinnern, wo die Wache genau war. Auf die Hauptstraße wagte ich mich nicht. Das Herz sprang mir fast aus der Brust, sodass ich in die nächste kleine Seitenstraße einbog, die Schweinwerfer löschte, während ich hektisch nach einem Parkplatz suchte. Schließlich entdeckte ich wenige Meter vor mir eine Parklücke. Als ich den Motor abstellen wollte, zitterten die Finger so heftig, dass die Schlüssel am Bund gegeneinander klirrten. Ich drückte den Schalter für die Türverriegelungen. Es klackte, als die Türen für Eindringlinge erst einmal verschlossen waren, doch Erleichterung wollte sich nicht einstellen. Meine Augen suchten die Umgebung ab. Die Straße erschien ruhig. In den Häusern ringsum war alles dunkel. Die Bewohner schienen zu schlafen. Nur das Hämmern meines Herzschlages dröhnte durch den Innenraum des Wagens. Ich atmete hörbar aus. Hatte mein Verfolger aufgegeben?

Plötzlich tauchten zwei Lichtkegel am hinteren Ende der Straße auf. Ein Zittern zog sich über meinen gesamten Körper. Ich hielt die Luft an, tauchte ab und legte mich flach über den Beifahrersitz. Die Position war sehr unbequem, da die Recaro-Sitze mit ihren erhöhten Sitzkanten für alles andere konzipiert waren, als sich quer über die Sitzfläche zu legen. Die Rippen begannen zu schmerzen. Lange hielt ich es nicht aus. Vorsichtig hob ich den Kopf und versuchte einen Blick über die Umgebung zu erhaschen. Ein Wagen kam näher. Er fuhr sehr langsam. Da ich mich nicht sicher fühlte, schob ich den Fahrersitz nach hinten und tauchte bis unter das Lenkrad ab. Die Mittelkonsole presste sich in meine Flanke. Den langsam anschwellenden Schmerz in der Seite ignorierte ich vorerst. Das Motorengeräusch sagte mir, dass der Wagen vorbeifuhr. Ich wollte aufatmen, da hörte ich, wie der Wagen bremste und zum Stillstand kam. Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf.
Hatte er meinen Wagen erkannt? Würde er aussteigen? Jede Synapse in meinem Körper signalisierte: Panik!

Ich war gefangen in meinem eigenen Wagen. Eine schnelle Flucht unmöglich. Im dunklen Fußraum tasteten meine zittrigen Finger nach der Handtasche. Verzweifelt kramte ich das Handy heraus. 

Tränen schossen mir ins Gesicht, während ich wie eine Irre auf dem Display herumtippte. Nichts geschah. Das Handy hatte den Geist aufgegeben. Es war nicht das erste Mal. Ich nutzte es sehr selten, brauchte es eigentlich nur für Notfälle. Jetzt war ein Notfall eingetreten und das Mistding war tot!

Verzweiflung. Immer wieder blickte ich ängstlich nach oben. Schaute, ob ein fremdes Gesicht am Fenster des Wagens auftauchen würde.

Was, wenn er mich hier unten liegen sieht? Eingeklemmt im Fußraum eines Autos! Was wäre, wenn ...? Mein Gehirn weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Ich wusste nicht, wie lange ich mich in dieser unbequemen Lage befand. Irgendwann hielt ich den Schmerz nicht mehr aus. Mit den Händen ertastete ich einen Halt und raffte mich Stück für Stück wieder hoch. Meine vor Angst geweiteten Augen tasteten vorsichtig die Gegend ab. Keine zwanzig Meter weiter hatte ein Mercedes eingeparkt. Eine Frau holte gerade eine Tasche sowie eine Einkaufstüte aus dem Kofferraum heraus. Die Türverriegelung des Mercedes piepste zwei Mal. Sie überquerte die Straße und verschwand in einem der Häuser, ohne sich großartig umzusehen.

»Uff. Noch mal Glück gehabt.« Ich sackte in den Fahrersitz. Das Atmen fiel mir noch immer schwer. Der kalte Schweiß auf der Stirn schien meine Gedanken eingefroren zu haben.

Es dauerte einige Zeit, bis ich endlich in der Verfassung war, nach Hause zu fahren.

 

Meine Finger zitterten noch immer, während ich den Haustürschlüssel umdrehte. Wie ein Einbrecher schlüpfte ich durch den Eingang in meine Wohnung und verschloss sogleich die Haustür hinter mir. Als ich mich in Sicherheit wiegte, gaben meine Knie nach. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, rutschte ich herunter.

»Was war das denn? Bin ich in einem Krimi gelandet?«

Verzweifelt legte ich den Kopf auf die Knie und umfasste die angewinkelten Beine.

Einige Minuten saß ich so da. In meinem Kopf summte es, als böte ich einem Schwarm Hummeln einen Nistplatz.

Schließlich rappelte ich mich auf.

Auf dem Weg zur Küche bemerkte ich im Augenwinkel die blinkende Anzeige des Anrufbeantworters. Doch ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. In der Hoffnung auf eine bessere Nacht holte ich mir eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank.

Der Hinterhalt

»Du hast gelächelt. Bereits als ich dich zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich, dass wir füreinander bestimmt sind. Eine Frau deines Kalibers ist mir noch nicht begegnet. Du bist schön, sexy, stark und gleichzeitig so zerbrechlich und sensibel.«

Er wanderte in der Küche auf und ab. Es war dunkel, keine Lampe brannte. Jedes Mal, wenn er vor dem kleinen Fenster ankam, verharrte er kurz und warf einen flüchtigen Blick hinaus. Der verwilderte Garten wirkte gespenstisch, wie verzaubert von einem bösen Dämon. Nur das kleine Gewächshaus am Rande des zwei Meter hohen Gartenzaunes schien dem Verfall zu trotzen.

»Ich bin deine große Liebe. Und das weißt du, Mia. Wieso gestehst du es dir nicht ein?«

Er drehte sich um und trat nach dem Stuhl in der Essecke, während er wuterfüllt die Fäuste in die Luft reckte.

»Ich werde es dir beweisen! Niemand außer mir darf dich anfassen!«

Langsam kam er wieder zur Ruhe und schaute sich um. Ihm fiel auf, dass er nur die Erinnerungen von ihr in sich trug. Kein Foto, kein persönlicher Gegenstand, der ihm die Genugtuung gab, dass sie ihm nahe war.

»Du bist heute leichtsinnig gewesen. Hast versucht, vor mir zu fliehen. Beim nächsten Mal wirst du mir nicht mehr entkommen.«

Er zog ein langes Messer aus dem Messerblock neben der Spüle. Kurz blitzte es im Mondlicht auf.

»Das verspreche ich dir.«

Der Unfall

Bevor der Trubel beginnen würde, machte ich noch einen Spaziergang um das Theater. An der Elbe blieb ich stehen und schaute hinüber zum anderen Ufer. Es war die Ruhe vor dem Sturm, bevor die ersten Künstler, gefolgt von den Zuschauern, diese Seite der Elbe betreten würden. Ich sinnierte wieder über den mysteriösen Verehrer mit der Rose. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper, als der Wind auffrischte und mir einige Strähnen ins Gesicht wehte. Ich wischte sie weg, versuchte, sie hinter das Ohr zu klemmen, doch die Haare fanden immer wieder einen Weg, die Sicht zu beeinträchtigen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wuchs in mir heran. Immer wieder suchte mein Blick die Umgebung ab, doch es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Langsam machte ich mich auf den Weg zurück ins Büro. Der Vorfall vor zwei Tagen sickerte wieder in meinen Kopf. Es war wie eine Teerschicht, die sich nur mit viel Mühe entfernen ließ, und man hinterher noch immer das Gefühl hatte, sie sei vorhanden.

Ich konnte es einfach nicht verdrängen.

Allein die Tatsache, dass ich hier war, hinterließ einen schalen Geschmack in meiner Mundhöhle. Montags war spielfrei. Unter dem Vorwand einer Migräne hatte ich mir den gestrigen Tag freigenommen, um meine Gefühle zu ordnen und zu sondieren, was dieser Vorfall zu bedeuten hatte. Meine Assistentin Biggi sprang für mich ein und übernahm beide Schichten. Da wir nur zu zweit waren, war dies nicht anders zu bewerkstelligen. Zum Ausgleich übernahm ich heute ihre Schicht.

Kurzum fasste ich den Entschluss, dass ich mit jemandem darüber sprechen musste. Sofort kam mir Ollie in den Sinn. Ich fluchte und steckte das Smartphone in die Tasche zurück – da ich vergessen hatte, es aufzuladen. Es brauchte dringend einen neuen Akku, denn es zeigte gerade noch sieben Prozent an. Zu wenig, um ein vernünftiges Gespräch zu führen. Im Aktenschrank suchte ich in seiner Personalakte die Telefonnummer von ihm heraus. Da er viel unterwegs war, hatten wir in den letzten drei Wochen keinen Kontakt gehabt. Schließlich wollten wir uns geschäftlich zusammentun; wir planten, eine kleine Show auf die Beine zu stellen. Es war an der Zeit, dass ich mich bei ihm meldete, um den Zwischenstand in Erfahrung zu bringen.

 

Aus dem Lautsprecher lauschte ich der Vorstellung. Ein Schwarz-Weiß-Monitor, in der Ecke über der Tür angebracht, übertrug die aktuelle Bühnenshow. So konnte ich live miterleben, ob die Darsteller ihre Auftritte wahrnahmen. Die Show lief gut. Bisher gab es noch keine Patzer, Versprecher oder verpasste Auftritte. Ich wählte Ollies Nummer, bekam aber nur den Anrufbeantworter zu fassen. Vermutlich stand er gerade in einer anderen Show auf der Bühne. Also legte ich wieder auf und setzte mich an den Computer, als es hektisch an meiner Tür klopfte.

»Komm nur rein«, rief ich zur Tür, ohne zu wissen, wer dahinterstand.

Die Tür ging auf und Theo, einer unserer Bühnentechniker, platzte hinein. Die enge schwarze Jeans und der schwarze Pullover ließen ihn fast zerbrechlich erscheinen. Manchmal macht Schwarz schlanker, als es einem guttat.

»Mia, wir brauchen dringend einen Arzt. Eine der Tänzerinnen hat sich gerade hinter der Bühne den Fuß verknackst.«

Ich blickte auf, leicht angespannt. »Wer ist es?« Der Geruch von Schweiß trat mir in die Nase, als der Bühnentechniker vor meinem Schreibtisch stoppte.

»Valerie.«

»Oh, Mann! Ausgerechnet Valerie.« Genervt legte ich den Kopf in die Hände.

Unsere französische Diva. Die einzige Person aus dem Ensemble, mit der ich meine Schwierigkeiten hatte. Wir waren und würden nie beste Freundinnen werden. Ihrer arroganten Art konnte ich einfach nichts abgewinnen. Doch sie war eine der besten Tänzerinnen, die unser Ensemble hatte – mit hervorragender Bühnenpräsenz. Und das war es letztendlich, was zählte.

»Nicht schon wieder ein Ausfall bei den Tänzern«, murrte ich. »Hatte sie am Warm-up vor der Show teilgenommen?«

Theo nickte. »Hat sie. Ich war selbst dabei.«
Ich starrte Theo an. Nachdem ich diese Nachricht verdaut hatte und sie mir auf der Zunge zergehen ließ, konnte ich nicht mehr an mich halten und prustete los.

»Du? Du hast am Warm-up teilgenommen?« Ein herzhaftes Lachen war nun nicht mehr zu unterdrücken.

Theo blickte mich unsicher an. Sofort versuchte ich, mich zu beherrschen, presste die Lippen fest aufeinander, hatte aber so meine Schwierigkeiten damit.

»Entschuldigung. Ich wollte dich nicht auslachen.« Ich tat alles mir in der Macht stehende, die Situation noch zu retten, doch es war bereits zu spät.

»Lisa sagte, dass jeder, der an der Show teilnimmt, egal ob Tänzer, Sänger, Schauspieler oder Techniker, am Warm-up teilnehmen soll. Für das Gemeinschaftsgefühl.«

Ich schluckte und räusperte mich. »Sorry. Das ist mein Ernst. Lisa hat nicht ganz unrecht mit dieser Theorie. Als rechte Hand der Choreografin weiß sie, wie man eine Gruppe zusammenschweißt.«

Unvermittelt drehte ich mich von ihm weg, denn in meinem Kopf spukten wieder die Bilder unserer Bühnentechniker herum, die beim klassischen Tanz Warm-up versuchten, Schritt zu halten. Gestandene Männer, die dieser Art von Tanz nichts abgewinnen konnten. Zum Glück stand das Telefon auf dem Aktenschrank neben mir. So konnte Theo mein Gesicht nicht sehen, während ich die Nummer des Notarztes wählte.

»Ich muss wieder runter zur Bühne!«

Ich hob die Hand zum Zeichen, dass ich verstand. Kaum war Theo verschwunden, kam Lisa durch die Tür gehetzt.

»Hast du schon gehört? Valerie hat sich verletzt. Ich komme gerade aus ihrer Garderobe.«

Mit erhobenem Zeigefinger signalisierte ich ihr, dass sie warten sollte.

»Wir brauchen dringend einen Arzt!«, rief sie schwer atmend.

 Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, wandte ich mich Lisa zu.

»Hab gerade mit ihm telefoniert. Der Notarzt müsste gleich hier sein. Hast du die Besetzung schon umgestellt?«

Lisa nickte eifrig. »Ich springe ein und übernehme die Parts von Valerie.«

»In Ordnung. Ich kümmere mich dann um den Rest.«

 

Ich besuchte Valerie in der Garderobe. Die Glühlampen entlang der Umrandung an den Schminkspiegeln erhellten als einzige Lichtquelle den Raum. Die Perücke neben sich auf dem Tisch deponiert, doch immer noch im Kostüm, saß Valerie auf ihrem Stuhl, den verletzten Fuß auf einem Hocker abgelegt. Den Knöchel hatte jemand mit einem Küchentuch notdürftig bandagiert, in dem zusätzlich ein Eispack eingewickelt war. Valerie war von zarter Statur, mit langen hellblonden Haaren und normalerweise strahlend blauen Augen – und mit einer Arroganz gesegnet, wie sie sich nur Superstars leisten. Nun waren ihre Augen gerötet, während sie leise vor sich hin weinte.

Erst einmal blieb ich im Türrahmen stehen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Einen Künstler, der gerade von der Bühne gekommen war, musste man mit Samthandschuhen anfassen. Und Valerie gehört zu der Sorte Tänzerinnen, denen Hysterie in die Wiege gelegt worden war. Sogar im normalen Alltag schubste sie alles und jeden vor sich her. Kurz gesagt, sie war eine schwierige Person.

»Valerie? Was ist passiert?« Ich fragte ganz vorsichtig.

»Err at misch einfach fallen gelassen ...«, schluchzte sie und vergrub den Kopf in den Händen. »Dieserr Idiot! Err sagte noch vorr derr Show zu mirr, isch sei su dig. Iiiiesch!«

Ihr französischer Akzent war einfach entzückend und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Valerie verstand es falsch und quittierte es umgehend mit einem wütenden Blick.

»Findest du das witzisch?«

Sofort riss ich mich zusammen und wurde ernst.

»Äh. Nein. Natürlich nicht, Valerie.« Irgendwie schaffte sie es immer wieder, dass ich mich schuldig fühlte. »Du bist zu dick?«

Oh je! Das hätte ich vielleicht nicht wiederholen sollen. Tänzerinnen waren ja so sensibel, wenn es um das eigene Körpergewicht ging. Außer

Zigaretten, Kaffee und gelegentlich mal einem Salatblatt nahmen sie nicht viel zu sich.

»Du glaubst auch, isch sei su dig!« Vorwurf und Wut lagen in ihrer Stimme.

Fieberhaft suchte ich nach einem Weg aus diesem Schlamassel.

»Das habe ich so nicht gesagt«, kam es stotternd über meine Lippen. Meine Geduld begann langsam aber sicher abzunehmen. Bevor das Gespräch eskalierte, wechselte ich das Thema.

»Der Arzt kommt gleich. Der schaut sich deinen Fuß an.«

Kaum hatte ich den Satz beendet, betrat der Notarzt die Garderobe und ging auf die weinende Valerie zu. Die Diagnose war schnell gestellt.

»Sie hat eine Bänderüberdehnung oder einen Bänderriss. Sie muss ins Krankenhaus. Das muss geröntgt werden.«

Ich schluckte und Valerie schniefte erneut ihr markerschütterndes Geschluchze. Diesmal noch lauter und klagender als vorher, während nun zusätzlich dicke Tränen ihre Wangen herunterliefen. Ich sah mich um und erblickte die Box mit den Papiertüchern auf einem der Schminktische, griff nach einem Tuch und reichte es ihr. Sie riss es mir förmlich aus der Hand und schnäuzte sich die Nase.

»Keine Sorge. Ich komme dich nach der Show besuchen und sehe nach dir.« Dann wandte ich mich dem Arzt zu. »In welches Krankenhaus werden sie Valerie bringen?«

Valerie wurde auf eine Trage gelegt.

»In die Klinik nach Altona.« Der Assistenzarzt schob mich zur Seite. »Dort ist sie am besten aufgehoben.« Ich folgte ihnen und sah zu, wie sie die Patientin in den Krankenwagen und somit aus meinen Sichtkreis beförderten.

 

Inzwischen war der erste Teil der Vorstellung beendet. Die Pause hatte begonnen, sodassd es in der Garderobe voll wurde. Ich atmete auf und machte mich auf den Weg zum Inspizienten.

Auf der Bühne entdeckte ich Chris zusammen mit unserem Beleuchtungsmeister Mario. Das grelle Arbeitslicht fiel von oben und produzierte weiße Flecke auf dem schwarzen Bühnenboden. In einem dieser Lichtkegel standen die beiden Männer. In dem Strahl wirkten sie wie Geistererscheinungen. Beide hatten den Kopf in den Nacken gelegt, während sie die Traversen mit den vielen Scheinwerfern anstarrten. Mario war heute für die Beleuchtung verantwortlich. Er ging gerade ein paar Lichtkommandos mit Chris durch. Eigentlich musste der Beleuchtungsmeister nicht bei jeder Show anwesend sein. Doch seit einiger Zeit hatten wir immer wieder Ausfälle, sodass Marios Anwesenheit notwendig schien. Heute war erneut einer der Hauptscheinwerfer ausgefallen; unser Beleuchtungsmeister musste schnell neu disponieren und das Beleuchtungspult umprogrammieren. Als ich die ratlosen Mienen der Techniker sah, wusste ich sofort, dass eine Reparatur innerhalb der zwanzigminütigen Pause nicht machbar sein würde.

»Und wenn wir die 254 stattdessen nehmen?«, fragte Chris mit gerunzelter Stirn; er schien bemüht, eine schnelle Lösung zu finden.

Ich trat auf die beiden zu. »Ich störe nur ungern, Chris. Doch ich muss kurz etwas mit dir besprechen.«

Die Männer waren über meine Unterbrechung nicht sehr erfreut. Mit offenen Mündern starrten sie mich an.

»Ich habe aber nicht viel Zeit«, fuhr Chris mich barsch an. 

»Ich weiß«, nickte ich verständnisvoll. »Ich wollte dir nur eben die personellen Änderungen auf der Bühne mitteilen, damit du dich später nicht wunderst.«

»Oh. Valerie fällt somit aus?«

Wieder nickte ich kurz.

»Scheiße. Wo wird sie hingebracht?« Chris war sichtlich besorgt. Man munkelte, dass er etwas mit Valerie am Start hatte.

»Das kannst du später noch klären.« Mario schien leicht ungehalten zu sein.

»Ja. Schon gut. Hast ja recht.« Chris schob das Kinn in meine Richtung. »Schieß los!«

Ich fasste mich kurz. Heute beneidete ich unseren Inspizienten nicht. Erst fiel eine der Tänzerinnen aus und zu guter Letzt gab einer der Hauptscheinwerfer den Geist auf. Der zweite Teil der Show versprach, spannend zu werden. Zumindest für unseren Inspizienten Chris.

 

Nachdem ich die Besetzung für die nächste Show am Brett ausgehängt hatte, fuhr ich ins Krankenhaus zu Valerie.

Alles wird gut

Ich erreichte die ›Asklepios-Klinik Altona‹ und blickte nach oben. Wie eine unbezwingbare Mauer ragte das Gebäude empor. Dabei versprühte der riesige Klotz mit seinen fünfzehn Etagen den Charme eines Bunkers. Krankenhäuser waren mir schon immer ein Gräuel. Allein der Geruch nach Desinfektionsmitteln, der das Todesaroma zu überdecken versuchte, verursachte in mir ein flaues Gefühl in der Magengegend.

Dazu kam das kalte Licht in den endlos wirkenden Korridoren. Es erinnerte mich an einen Bericht über Nahtoderfahrungen, den ich mal gelesen hatte. Man ging einen langen Tunnel entlang, bis man an dessen Ende auf ein gleißendes Licht traf. Allerdings gab es einen Unterschied: Bei mir kam kein Gefühl von Wärme und Willkommen auf. Eher schon ein Frösteln.

Ich hob die Hand, ballte die Faust und klopfte vorsichtig an der Tür.

Nichts.

Langsam öffnete ich die breite Zimmertür. Als ich leise das Krankenzimmer betrat, kam ich mir vor wie eine Einbrecherin. Mit klopfendem Herzen huschte mein Blick durch das Zwei-Bett-Zimmer. Valeries Bett stand am Fenster.

Neben ihr lag eine ältere Dame,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kim Rylee - Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches - auch auszugsweise - sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Bildmaterialien: Covergestaltung: ©VercoDesign, Unna
Cover: ©VercoDesign, Unna
Lektorat: worttaten.de
Satz: Kim Rylee
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2017
ISBN: 978-3-7438-4131-4

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