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24.03.2012 17:12 Uhr
Auf CNN flimmerten Bilder von Staubwolken über den Bildschirm. Er versuchte sich zu konzentrieren. Die Bildunterschrift lautete „Mount Agung – Bali“. Die Kamera zoomte heraus und der gesamte Vulkan, umgeben von Regenwald, füllte nun den Bildschirm aus. Dann wechselte das Bild. Wieder wurde erst die Nahaufnahme gezeigt, diesmal mit der Unterschrift „Kilauea – Hawaii“, dann die Totale. Die Spitze des Berges verschwand fast in der dichten, schwarzen Wolke, die er ausstieß. Das Bild wechselte erneut. Vesuv, Italien. Llullaillaco, Argentinien. Big Ben, Australien. Tengchong, China. Fujisan, Japan. Nyiragongo Kenia. Mount St. Helens, USA. Die Liste der Asche spuckenden Vulkane nahm kein Ende und die Nervosität des Kommentators war nicht zu überhören. Die Überblende in das CNN-Studio zeigte eine Gruppe von Experten – Vulkanologen, Geowissenschaftler, Meteorologen – deren verschreckte Gesichtszüge eine deutliche Sprache sprachen.
Er wollte zuhören, über das gesamte Ausmaß der Vorkommnisse Bescheid wissen, aber je länger er versuchte, den Wissenschaftlern und ihren komplizierten Ausführungen zu folgen, desto müder wurde er. Die Stimmen wurden zu einem gleichförmigen Murmeln, während er langsam in einen Traum von alten Zeiten abdriftete.


30.03.2012 15:03 Uhr
Eine rosafarbene Strickjacke schob sich zwischen ihn und den Fernseher. „Schwarzen oder Kräutertee?“ Die aufgesetzt freundliche Stimmte erwartete seine volle Konzentration, für diese anscheinend so entscheidende Frage. „Schwarzen!“ gab er unwirsch zurück, während er versuchte, um die die rosafarbene Mauer herum einen Blick auf den Fernseher zu erhaschen. Keine Chance. Der enorme Umfang der Strickjackenträgerin verteitelte seinen Versuch schon im Kern. „Ein Stück Zucker, oder zwei?“ „Zwei!“ - „Und freie Sicht auf den Bildschirm!“ fügte er in Gedanken hinzu. Als ob sie seinen stillen Wunsch gehört hätte, verschwand die rosafarbene Wolle genau in diesem Moment aus seinem Blickfeld und gab die Sicht auf CNN wieder frei.
Mit großem Getöse spuckte der Kilauea seine rot glühende Lava über Hawaii, wurden Tonnen von Gestein in die Luft geschleudert und prasselten rauchend und zischend auf Wälder, Häuser und Menschen nieder. Selbst dem Korrespondenten fiel angesichts dieser Bilder kein Kommentar mehr ein. Das Bild wechselte, die Geschehnisse blieben allerdings nahezu die gleichen. Auch in Japan rannten Menschen um ihr Leben um dem mehrere tausend Grad heißen Lavastrom zu entkommen, der sich träge seinen Weg von der Spitze des Fujiyamas durch die Landschaft bahnte. Halb Tokio stand bereits in Flammen und immer wieder konnte man Wolkenkratzer sehen, die zusammenbrachen und so weitere Teile der Millionenmetropole zerstörten. Ähnliche Bilder wurden auch aus anderen Teilen der Welt gesendet. Italien. Argentinien. Kenia. Überall richteten die Vulkanausbrüche die selben verheerenden Verwüstungen an. Obwohl man im Vorfeld versucht hatte, die Menschen aus den potenziellen Gefahrengebieten zu evakuieren, gab es immer noch hunderttausende, die sich entweder geweigert hatten, zu gehen, oder für die schlichtweg jede Hilfe zu spät kam. Die Vereinten Nationen sahen sich angesichts des Ausmaßes der Katastrophe völlig überfordert. Überall auf der Welt tagten Krisenstäbe, die versuchten der Situation Herr zu werden. Sämtliche verfügbaren Wissenschaftler versuchten erneute Ausbrüche oder deren Folgen vorher zusagen. Jeder Mensch auf der Erde schien in die aktuelle Krise involviert worden zu sein.
Mit ein paar Schlucken Tee nahm er die Tabletten ein, die ihm die Frau gebracht hatte. Dann aß er einen Keks und wischte sich ein paar Krümel aus dem weißen Vollbart. Er wünschte nur, dass er von diesen Medikamenten nicht immer so müde werden würde...


08.04.2012 20:24 Uhr

Hawaii versank im Meer. Und die Menschheit verfolgte die Geschehnisse live vor dem Fernseher. Zumindest in den Teilen der Erde, in denen es noch eine funktionierende Telekommunikation gab Europa war verhältnismäßig wenig von den Vulkanausbrüchen betroffen worden und auch in den USA hatte man einigermaßen souverän mit dem Ausbruch des Mount St. Helens umgehen können. Dutzende von Flugzeugen kreisten hoch über der Insel und die Kameras an ihren Rümpfen sendeten den Todeskampf des fünfzigsten US Bundesstaates in alle Welt.
Der weißhaarige Mann schreckte hoch, als ein Wissenschaftler zugeschaltet wurde, der anhand von Grafiken zu erklären versuchte, wie die Verschiebung der tektonischen Platten, ausgelöst durch die vielen Vulkanausbrüche, dazu führen konnte, dass der Inselstaat jetzt unterging.
Er rutschte ein wenig in seinem Sessel herum um eine bessere Sitzposition zu finden und verfolgte mit einer gewissen Trauer die Prognose die Dwight Kim, der Wissenschaftler, nun erläuterte. Ein Tsunami ungeahnten Ausmaßes würde sich von Hawaii aus ausbreiten und in kürzester Zeit die Westküsten der USA und Mittelamerikas, sowie Japans Ostküste verwüsten. Wie sich die Riesenflutwelle danach weiterentwickeln würde, wäre zum jetzigen Zeitpunkt leider noch völlig unklar, da es zu viele Variablen gäbe denen man Beachtung schenken müsse. Man arbeite aber mit Hochdruck an den verschiedenen Szenarien. Der CNN Kommentator schloss die Berichterstattung mit dem Hinweis darauf, dass die Regierung der Vereinigten Staaten bereits an der Lösung des Problems arbeite und das eine Massenpanik weit mehr Schwierigkeiten verursachen könnte, als der Tsunami selbst. „Auch wenn es Ihnen schwer fällt – bitte bewahren Sie Ruhe!“
Der Mann vor dem Fernseher hätte zu lachen angefangen, wenn er sich nicht so über die Inkompetenz des Sprechers geärgert hätte. Hatte ihm denn niemand gesagt, dass die sicherste Methode eine Massenpanik auszulösen die war, den Menschen zu sagen, sie sollten ganz ruhig bleiben? Ein unwilliges Schnauben entfuhr ihm. Diese Kinder. Er tastete nach seinem Stock, der an der rechten Seite des Sessels lehnt. Langsam drückte er sich hoch und stütze sich dann schwer auf seinen Stock. Die Wege von seinem Zimmer in den Fernsehraum und zurück, nahmen immer mehr Zeit in Anspruch. Er versuchte den Rücken durchzustrecken, aber der Schmerz, der ihm dabei vom Rücken aus das ganze Bein hinunterschoss ließ ihn sofort in seine übliche gebückte Haltung zurückkehren. Langsam schlurfte er in sein Zimmer.


17.04.2012 15:47 Uhr
Anderthalb Wochen, nachdem die Flutwelle Südostasien nahezu entvölkert hatte – dazu weite Teile Mittelamerikas und die Südostküste der USA – stand die Welt völlig unter Schock. Zwar wurden durch die Wassermassen auch ein Großteil der Vulkanausbrüche beendet, dennoch gab es wenig Anlass, der aktuellen Situation etwas Positives abgewinnen zu wollen. Millionen Menschen waren durch den Tsunami umgekommen und in den Ozean gespült worden. Ihre Leichen wurden nun durch die Meeresströme in alle Gewässer der Erde getragen. Die gesundheitlichen Folgen für die Überlebenden, wie zum Beispiel die Verbreitung von Seuchen, waren noch völlig unklar, eben so wie es noch keine konkreten Ideen gab, wie man die vielen toten Körper bergen könnte.
Der alte Mann in seinem roten Ohrensessel wunderte sich so manches Mal, dass sein eigenes Leben von dieser gigantischen Katastrophe nahezu unberührt blieb. Er bekam weiterhin drei Mahlzeiten am Tag, morgens half ihm jemand beim Waschen und Anziehen und selbst seine Medikamente wurden ihm jeden Nachmittag um Punkt 15 Uhr zu seinem Tee und einigen Keksen gereicht. Würde er nicht den Großteil seines Tages vor dem Fernseher verbringen – er hätte vom aktuellen Weltgeschehen nicht viel mitbekommen. Einige seiner “Mitinsassen“, wie er sie im Stillen nannte, ging es tatsächlich so. Wer sein Zimmer nicht mehr selbstständig verlassen und in den Fernsehraum kommen konnte, der war auf die Berichterstattung körperlich fitterer Mitmenschen angewiesen. Und denen konnte man hier weiß Gott nicht alles glauben. Auch an sich selbst bemerkte er seit einiger Zeit den geistigen Verfall. Da tauchten Bruchstücke von Erinnerungen in ihm auf, die er nicht mehr mit anderen in Verbindung bringen konnte und von denen er sich nicht sicher war, ob er sie sich vielleicht doch nur einbildete.
Wie so oft holte ihn die Stimme eines CNN Korrespondenten in die Wirklichkeit zurück. Eine erneute Hiobsbotschaft: in Russland , nahe der Stadt Shigansk war ein Meteor mit einem geschätzten Durchmesser von fünf Metern eingeschlagen. Das circa zehn Kilometer entfernte Atomkraftwerk wurde durch die starke Erschütterung fast vollständig zerstört. Auch wenn bereits Bergungs- und Spezialtruppen in das radioaktiv verseuchte Gebiet unterwegs waren, schien schon jetzt klar zu sein, dass ihr Einsatz diesen Super-Gau kaum einzudämmen vermochte. Das Kraftwerk hatte sein Kühlwasser aus dem benachbarten Fluss Lena bezogen und durch diesen wurde schon zur Stunde das radioaktive Material sowohl in den Baikalsee als auch in den Ozean geleitet. Innerhalb von Tagen würde sämtliches Trinkwasser in Russland kontaminiert sein und sich die aggressive Strahlung durch die Gewässer, Niederschläge und Wolkenbildung, erst in Europa und danach weltweit verbreiten. Der als Super-Gau bezeichnete Störfall in Tschernobyl 1986 sei dagegen ein harmloses Zwischenspiel gewesen.
Mittlerweile wurde in den Nachrichten ganz offen vom scheinbaren Kollaps der Erde gesprochen, von einer Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes. Die Stunde der Weltuntergangs- prediger hatte geschlagen und sämtliche Umweltorganisationen sahen sich in ihren Theorien bestätigt, dass sich die Erde ihrem Untergang rasant näherte.
Der alte Mann hatte das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Etwas aus seiner Vergangenheit? Irgendetwas kam ihm so vertraut vor... Eine Schwester kam mit seinem Tablett durch die Tür. Tee, Kekse und seine Medikamente. „Entschuldigen Sie die Verspätung. Mrs. Simmons ist heute morgen verstorben und ich musste mich um die Formalitäten kümmern. Bitte nehmen Sie ihre Medikamente gleich, wir sind schon eine Dreiviertelstunde über die Zeit.“ Seine Medikamente...? War es das, was ihn so beunruhigt hatte?


22.04.2012 10:53 Uhr
Der CNN-Sprecher kündigte neue Probleme an. „Durch die Millionen Tonnen Asche, die während der jüngsten Vulkanausbrüche überall auf der Welt in die Atmosphäre gelangt sind, scheint es nun zu Problemen mit der Sonneneinstrahlung zu kommen. Die Asche hat sich mittlerweile gleichmäßig in der Luft verteilt und nun kommt, nach neusten Messungen, nur noch die Hälfte der UV-Strahlung durch diese dichte Decke hindurch. Die Folgen sind noch nicht endgültig abzusehen, möglich wäre aber, dass es, auf lange Sicht, zu Temperaturabfällen in weiten Teilen der Erde kommt. Sicher ist allerdings, dass der graue Schleier, den Sie alle sehen können, wenn Sie zum Himmel blicken, nicht so schnell verschwinden wird.“

Der weißhaarige Alte reckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Für einen Tag Ende April erschien es ihm deutlich zu kalt, vom Gefühl her hätte er eher gedacht, an einem schönen Januartag draußen zu sein. Die Schwester schob ihn mit ruhiger Gleichmäßigkeit durch den “Park“ des Altenheimes. Trotz der dicken Sachen und der Decke über seinen Beinen stahl sich die Kälte von seinen Füßen her, die Beine hoch, immer weiter durch seine Körper. An einer Bank hielten Sie an. Schwester Rose zückte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer rosafarbenen Strickjacke, zwinkerte ihm verschwörerisch zu zündete sich eine an und hielt ihm dann die Schachtel hin. Mit leicht zitterigen Händen nahm er eine der Zigaretten und ließ sich dann von der Schwester Feuer geben. Dieser wöchentliche Spaziergang, egal bei welchem Wetter, mit der obligatorischen Zigarette war über die anderthalb Jahre zu einem Ritual der Beiden geworden. Nachdenklich betrachtete er den Himmel. Das diffuse Sonnenlicht erschien ihm schmutzig und wenig kräftig zu sein. Die Konsequenzen würden wohl nicht lange auf sich warten lassen.


28.04.2012 08:37 Uhr
Er trank den letzten Schluck seines inzwischen kalt gewordenen Kaffees und stellte die Tasse ab. Eine Schwester eilte herbei und räumte sein Frühstückstablett ab. Der alte Mann stützte sich auf seinen Stock und stand langsam von seinem Stuhl auf. Der Weg bis zum Fernsehraum erschien ihm heute noch länger als gestern und auch sein Kreislauf wollte heute nicht so richtig in Gang kommen. Fast wäre er mit einem Pfleger zusammengestoßen, der, den Arm voller Bettwäsche, aus einem der Zimmer kam.
In seinem roten Ohrensessel angekommen griff er nach der Fernbedienung auf dem Beistelltisch und schaltete CNN ein. Die Kamera zeigte Bilder von Leichen, die aufgedunsen im Meer trieben. Er stellte den Ton lauter. Da wechselte das Bild und zeigte ein völlig überfülltes Krankenhaus in Hamburg, Deutschland. Überall auf den Gängen saßen und lagen Menschen. Ärzte und Krankenschwestern versuchten sich einen Weg durch die Menschenmengen zu bahnen, Kinder weinten und immer wieder waren Leute zu hören, die um Hilfe baten. Einer der CNN-Korrespondenten kommentierte aus dem Off: „So wie hier in Hamburg, sieht es im Moment in vielen Krankenhäusern überall auf der Welt aus. Das Denguefieber, dass sonst nur von Steckmücken in tropischen Gebieten übertragen wird, ist mutiert und hat sich durch die vielen Toten des Tsunamis von Südostasien aus über die ganze Welt verbreitet. Die medizinische Versorgung ist in großen Teilen der Welt unzureichend, da allerorten noch mit den Folgen der Vulkanausbrüchen und des Tsunamis gekämpft wird. In Russland werden zusätzlich immer mehr Menschen mit Symptomen der Strahlenkrankheit in die Krankenhäuser eingeliefert. Das Trinkwasser dort ist mittlerweile derartig kontaminiert, dass vermutlich dreiviertel der Bevölkerung an der Strahlenkrankheit sterben werden. Viele Menschen sind mittlerweile der Meinung, dass das Ende der Welt kurz bevor steht. Kaum jemand glaubt noch daran, dass die Vorkommnisse der letzten vier Wochen zufällig entstanden sein könnten. Wer noch nicht in einem Krankenhaus liegt oder sonst wie von den Folgen der Katastrophen betroffen ist, pilgert in die Kirchen, Moscheen, Synagogen oder Tempel der großen Weltreligionen. Der Glaube hat plötzlich wieder Hochkonjunktur – genau so wie ein Großteil der Weltuntergangssekten.“


03.05.2012 22:16 Uhr
Der alte Mann stellte seine Zahnbürste in das Glas und wischte sich mit dem Ärmel seines Pyjamas die Reste der Zahnpasta aus dem Mundwinkel. Dann löschte er das Licht über dem Spiegel des Waschbeckens und schlurfte zu seinem Bett. Er kroch unter die Bettdecke und schickte ein kurzes, stilles Gebet gen Himmel. Kurz nachdem er die Augen geschlossen hatte, schief er auch schon tief und fest und ein leises Schnarchen erfüllte den Raum.
Er träumte. Er träumte von alten Zeiten, in denen noch Kaiser die Geschicke der Welt gelenkt hatten. Von Zeiten, in denen man für seinen Lebensunterhalt noch mit seinen eigenen Händen sorgen musste. Er war nie verheiratet gewesen und doch erinnerte er sich nun an Menschen, so viele Menschen von denen er umgeben war, die seinetwegen kamen, um ihn reden zu hören. Und er erinnerte sich an eine Zeit davor, als ihm ein ätherisch schönes Wesen erschienen war, dass ihm Dinge erzählte, schreckliche Dinge, die der Menschheit am Ende der Zeit widerfahren würden, und das Wesen gab ihm den Auftrag alles aufzuschreiben, damit die Menschen die Zeichen erkennen würden, wenn es soweit wäre.
Ihm war, als würde er erwachen und als er die Augen aufschlug sah er sich selbst in seinem Bett liegen und ein strahlend helles Licht erfüllte den ganzen Raum und eine Stimme sprach zu ihm: „Johannes, mein Sohn, siehe, es ist alles so eingetreten, wie ich es dir vorhergesagt habe. Du hast nun mit eigenen Augen gesehen, wie die Welt endet. Komm nach Hause.“


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.12.2008

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