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Beste Freunde

Grelles Licht blendete ihn, als Max die Augen aufschlug und irgendwo in seinem Kopf dröhnte ein undefinierbarer Schmerz. Ein unablässiges Piepsen durchdrang sein Gehirn und seine Zunge klebte ausgetrocknet am Gaumen. Er versuchte aufzustehen, bemühte sich seinen Arm zu heben und den Oberkörper in eine senkrechte Lage zu bringen. Irgendetwas hielt ihn zurück. Irgendetwas war über seine Brust und über seine Arme geschnürt, drückte auf seinen Brustkorb. Ein Seil oder ein Gurt?

Das Piepsen wurde langsamer, leiser, plötzlich nur noch ein Ton, laut durchdringend. Er schlief wieder ein.

 

 

„Ich bin heut Abend bei Rosi.“ Hatte Maja gesagt, als Max wie üblich am Dienstagabend, das Haus verließ und zum Sport ging.

Seit Wochen schon lag er Maja in den Ohren, mal mit Rosi zu reden um eine Lösung zu finden, wie die beiden es realisieren konnten, wieder teilweise abwechselnd zu arbeiten, trotz der Kinder. Endlich hatte sie sich dazu durchgerungen. Maja war mit ihrer Situation schon eine ganze Zeit lang unzufrieden, zwei Kinder und die ganze Zeit nur zu Hause rumglucken, war ihr auf die Dauer ziemlich auf den Geist gegangen.

Aber auch seine Situation war nicht gerade befriedigend. Vor ein paar Monaten hatte seine Firma Personal abgebaut und ihn hatte es auch getroffen. Zwar konnte er anschließend gleich bei einer anderen Firma anfangen, jedoch waren die Umstände dort bei weitem nicht so gut und er suchte verzweifelt nach einer Alternative.

So gab es in letzter Zeit immer wieder Spannungen zwischen ihm und Maja, da jeder seine Probleme mit sich selbst hatte. So war Max froh darüber, dass Maja sich nun mit Rosi treffen wollte und sich offenbar endlich etwas tat.

 

Es war kurz nach halb zehn, als Max – anders als sonst – vom Sport nach Hause kam, in der Absicht eine Flasche Schampus aus dem Kühlschrank zu holen und sie bei Rosi vorbeizubringen, damit die Beiden auf ihre, hoffentlich getroffene Vereinbarung anstoßen konnten. Doch als er bei Rosi klingelte, die ihn völlig verblüfft anschaute, hatte er es vielleicht auch schon im Stillen geahnt - Maja war nicht bei ihr.

Immer wieder in den letzten Wochen hatte es Zeichen gegeben, die er aber nicht sehen wollte und so wusste er jetzt genau wo Maja war. Er stieg ins Auto und fuhr mit klopfendem Herzen und zitternden Händen zum anderen Ende des Ortes.  

Ja, er hatte es vermutet und dann doch wieder nicht glauben können, aber nun war es nicht mehr aus seinem Kopf zu kriegen. Warum hatte er es so lange verdrängt? Vielleicht hatte es ja doch nichts zu sagen, und vielleicht war sie ja auch gar nicht bei ihm? Aber wo sollte sie dann... und wieso hatte sie ihm gesagt... Er wollte es noch immer nicht glauben, doch da, ihr Auto stand, wo er es leider vermutet hatte – direkt vor Georgs Garage!

Max überlegte, was er tun sollte. Einfach wieder nach Hause fahren? Warum musste er auch unbedingt bei Rosi vorbeischauen und warum war er nicht einfach mit den anderen wie üblich nach dem Sport noch auf ein Bier mit in die Kneipe gegangen? Max stieg aus dem Wagen und versuchte auf die Garage zu steigen um eventuell über den Balkon in die Wohnung schauen zu können. Vielleicht war ja alles auch ganz anders als es schien? Vielleicht...?

Die Garage war zu hoch und in seiner jetzigen Verfassung schaffte er es nicht auf das Dach zu gelangen. Er sah nur, dass in der Wohnung Licht brannte, konnte aber nicht viel mehr erkennen. Noch immer hatte er die Sektflasche in der Hand und ging zur Tür. Er läutete zwei, drei Mal und erst nach einer langen Pause meldete sich Georg durch die die Sprechanlage kurz und knapp.

„Ja?“

„Mach schon auf, ich bin´s.“ Max kam es vor, als ob Stunden vergingen, bis endlich der Türöffner summte. Er stürmte die Treppe nach oben und durch die angelehnte Tür in Georg´s Wohnung.

Maja saß auf der Couch in der Ecke, Georg stand direkt vor ihm und beide schauten ziemlich betreten drein. Max schaute von Einem zum Anderen und keiner traute sich seinen Blick zu erwidern. Also doch, in diesem Moment war für ihn alles klar und vor seinem geistigen Auge entstanden Bilder, wie sich die letzten Wochen, oder waren es Monate, abgespielt hatten.

Das Wochenende, zu dem er Maja gedrängt hatte alleine wegzufahren, während er auf die Kinder aufpasste. Jetzt wusste er genau, warum sie erst so spät am Sonntagabend zurück kam. Die vielen Versteckten Blicke, die er nicht beachtet hatte und die komischen Absagen von Georg, seinem besten Freund, der plötzlich keine Zeit mehr hatte mit ihm mal einen trinken zu gehen. Jetzt war ihm schlagartig alles klar.

„Max, wir lieben uns...“ bemerkte Georg endlich „und du musst dir keine Sorgen wegen der Kinder machen, du darfst...“

Max holte aus und donnerte die Sektflasche, an der er sich immer noch festgehalten hatte, gegen die Stereoanlage, so dass der ganze Turm scheppernd auseinander spritzte. Dann drehte er sich um und ging wortlos aus der Wohnung. Wie in Trance setzte er sich in sein Auto und fuhr davon.

 

Wohin sollte er fahren? Sein Kopf war leer und er bediente die Technik des Autos wie in Trance. Automatisch schaltete er einen Gang höher, automatisch folgte er einer imaginären Route und hielt plötzlich an. Wo war er überhaupt? Max schaute sich um und entdeckte einen Hauseingang, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Sein Gehirn arbeitete langsam. Der Traumzustand schien noch immer anzudauern und er stieg automatisch aus dem Wagen. Brigittes Wohnung, ja er war automatisch und ohne darüber nachzudenken zu Brigitte gefahren, der Ex-Freundin von Georg, die er vor ein paar Monaten so kaltblütig abserviert hatte.

Was hatte das zu bedeuten? Erhoffte er sich insgeheim Hilfe von Ihr oder hoffte er darauf, dass sie sich zusammen mit ihm an Georg rächen würde? Nein, was wollte er ausgerechnet hier? Er wollte schon umdrehen und wieder nach Hause fahren, aber irgendwie brachte er es, nach allem, was passiert war, nicht fertig wieder zurück zu fahren und Maja gegenüber zu treten. War Maja überhaupt zu Hause? Die Kinder, ja, vielleicht hatte sie ihre Mutter angerufen und gebeten, Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Was sollte er tun? Er musste doch irgendwo bleiben und langsam begann er auch zu frösteln.

Er drückte automatisch auf den Klingelknopf, dann erst fiel sein Blick auf die Armbanduhr. Oh je, Brigitte würde nicht sehr erfreut sein, wenn er sie so spät noch raus klingelte. Aber nun war es zu spät darüber nachzudenken, denn schon knisterte die Sprechanlage.

„Ja, wer ist da?“ Meldete Brigitte sich verschlafen.

„Tut mir leid, dass ich dich störe, Max hier, hoffentlich hab ich dich nicht geweckt?“

„Max? Nein, ich bin nur vor dem Fernseher eingenickt, aber was... Komm erst mal rauf.“ Brigitte drückte auf den Türöffner und Max spurtete die drei Etagen nach oben. Sie erwartete ihn barfuß an der Wohnungstür und hielt mit beiden Händen verschränkt den kimonoartigen Morgenmantel vor ihren Brüsten zusammen.

Max trat in den Flur und Brigitte schob ihn, nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte weiter ins Wohnzimmer.

„Setz dich erst mal, was machst du denn um diese Zeit hier? Ist etwas passiert?“ Brigitte sah Max auf den ersten Blick an, dass er völlig durch den Wind war und drückte ihn auf´s Sofa. Max fühlte sich plötzlich so verletzt und leer, dass ihm nun die Tränen kamen und er schluchzend stammelte.

„Maja, Georg... „ Mehr brachte er nicht heraus. Er presste beide Hände vor die Augen um den Tränenfluss zu stoppen und schluchzte erbärmlich vor sich hin.

„Oh, ja, ich hatte schon lange den Verdacht, aber ich wusste nicht wie ich es dir sagen sollte. Jetzt ist es also war.“ Maja setzte sich neben Max auf das Sofa und nahm ihn tröstend in den Arm.

„Scheiße, ich weiß wie weh das tut. Als Georg mich abserviert hat hatte ich schon den Verdacht, dass zwischen den beiden etwas ist. Ich wollte damals schon mit dir sprechen, aber nur so auf Verdacht? Ich wusste nicht, wie ich..., na ja, hät´ eh nichts geändert.“

Max war vollkommen in sich zusammengesunken und in seinem Kopf flogen die Gedanken wirr durcheinander. Wann hatte er erstmals den leisen Verdacht? Ja, das konnte hin kommen, damals mit Georgs Trennung von Brigitte. Sonntagmorgens beim Frühstück hatte er ihr aus heiterem Himmel eröffnet, dass er genug von ihr hätte und gab ihr zwei Stunden Zeit, ihre Sachen, die sie bei ihm hatte, zu packen. Nicht mal beim Runtertragen hatte er ihr geholfen. Und jetzt das mit Maja; was für ein Schwein Georg doch war. Und ausgerechnet der war sein bester Freund gewesen. Warum hatte er sich nur so verändert? Oder war er tatsächlich schon immer so skrupellos?

Brigitte war aufgestanden und hatte an dem kleinen Tischchen in der Ecke des Zimmers zwei Gläser mit Whiskey gefüllt. „Komm trink erst mal, das hilft über den ersten Schmerz ein kleines Bisschen hinweg und dann erzähl mir mal genau was passiert ist.“

 

Der Whiskey zeigte seine Wirkung, als Max nach dem vierten Glas mit seinem Bericht fertig war. Brigitte hatte ihn einfach erzählen lassen und ihn ab und zu, wenn die Tränen kamen, in den Arm genommen um ihn zu trösten.

„Jetzt bleibst du erst mal hier und schläfst dich aus und morgen früh fährst du nach Hause und redest in aller Ruhe mit Maja.“ Brigitte holte aus dem Nebenzimmer ein Kissen und eine Wolldecke und bereitete ihm ein Nachtlager auf der Couch.

Max konnte trotz des Alkohols nicht einschlafen und lag noch lange wach. Der Whiskey dröhnte in seinem Kopf und die Gedanken überschlugen sich. Wie sollte es nur weitergehen? Was geschah mit den Kindern? Würde Maja nochmal Einlenken und konnte er ihr dann noch vertrauen? Niemals hätte er erwartet, dass Maja... und schon gar nicht mit Georg, in dem sie immer nur einen Chaoten sah, mit dem sie nach eigener Aussage „niemals zusammenleben könnte“.

Was hatte sie dazu bewogen sich mit ihm einzulassen und dass Georg, als sein bester Freund, das überhaupt zugelassen hatte. Schließlich hatte er ihm geholfen seine Firma aufzubauen und ihm den Skiurlaub finanziert, als er arbeitslos war. Was für ein Mensch war er nur? Max verstand auch nicht, wie er Brigitte abserviert hatte.

 

Brigitte war früh aufgestanden und hatte Max, der doch endlich noch eingeschlafen war, in der Küche einen Kaffee in der Thermoskanne hinterlassen, als sie zur Arbeit ging. Max brummte der Schädel noch immer, als er Aufwachte und auch der Kaffee half nur bedingt. Er konnte einfach den Kopf nicht frei bekommen. So versuchte er sich mit zwei weiteren Whiskey etwas zu beruhigen. Um elf Uhr hatte er sich so viel Mut angetrunken, dass er Georgs Nummer wählte.

„Was willst du?“ Fragte Georg ausgesprochen überheblich.

„Können wir reden? Ich bin um zwölf bei dir.“ Max war nervös und konnte dies nur schwer verbergen.

„Es gibt nichts zu reden. Merkst du nicht, dass du überflüssig bist? Du störst, also pack deine Sachen und hau endlich ab.“

Max war schockiert, er konnte es nicht glauben. So hatte er Georg noch nie erlebt und nun konnte er sich auch sehr gut vorstellen, wie dieses Schwein mit Brigitte umgegangen war. Er musste jetzt schnell mit Maja reden, musste sie umstimme, ihr erzählen, was er selbst kaum glauben konnte. Nein, sie würde ihm sicher auch nicht glauben. Max war verzweifelt, seine Ehe kaputt und sein bester Freund war ein Schwein. Noch ein Whisky und dann zu Maja. Oh Gott, was sollte er ihr nur sagen?

 

Maja stand als Letzte noch da. Sie drehte sich um, die beiden Kinder an der Hand ging sie auf Georg zu, der ein paar Meter weiter auf sie wartete.

„Ich muss leider nochmal weg, ein dringender Termin in der Firma. Ich ruf dich dann heute Abend an.“ Georg hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und beschleunigte seinen Schritt in Richtung Ausgang.

Er hasste Beerdigungen. Warum musste es bei Beerdigungen immer regnen? Und das mit Maja? Ja, er wollte schon immer eine Familie haben, aber jetzt, da alles anders war? Es würde ihn ruinieren, wenn er jetzt für alle drei aufkommen müsste. Warum hatte Max, dieser Arsch sich auch den Kopf so vollgesoffen, dass er sich mit dem Wagen um den nächsten Baum gewickelt hatte? Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Maja war ja ganz attraktiv, aber jetzt...

 

 

 

NACHRUF

 

Alles ist inzwischen über 20 Jahre her und vollkommen authentisch, außer – ich lebe noch! Aber es hätte auch anders kommen können.

 

Maja hat uns, nachdem ich ihr eröffnet hatte, dass sie gehen kann, aber ohne die Kinder, noch eine Chance gegeben. Es hat nicht funktioniert und wir haben uns scheiden lassen. Sie hatte mir immer vorgeworfen, dass ich ihr Glück zerstört hätte und es gab einen ziemlich unschönen Scheidungskrieg.

Georg war inzwischen verheiratet, hat selbst ein Kind und ist geschieden. Er hat seine Firma in den Sand gesetzt und lebt in der Privatinsolvenz.

 

Es gibt Gerechtigkeit!

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gibt es Gerechtigkeit?

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