Cover

Das Mädchen mit dem Band

 

Sie steht mir gegenüber und schaut schüchtern zu Boden. Ich trete an sie heran und streichle sanft ihre Wange. Da ich mir nicht sicher bin, ob sie meine Sprache versteht, spare ich mir viele Worte. Meine Hand gleitet von ihrer Wange an ihrem Hals entlang zu ihrem Schlüsselbein. Mit der Innenfläche des Zeigefingers fahre ich zu Mitte ihrer Brust und wandere weiter zum Bauchnabel. Ihr Atem wird schneller. Ich greife nach ihrer Taille, die wie Schnee unter der Wärme meiner Hände schmilzt, meinem Griff entschwindet, doch schließlich zum Stillstand kommt, als ihr Körper sich an meinen drückt. Meine rechte Hand folgt der Linken und mit einer synchronen Bewegung fahre ich nach unten und umschließe ihre Pobacken. Sie stöhnt leise auf, als ich fester zudrücke. Mit der rechten Hand an meinem Schritt drückt sie leicht zu und vollführt hastige Bewegungen. Ich lehne meinen Mund an ihr Ohr und lasse einen beruhigenden Sch-Laut meinen Lippen entweichen, der sie sofort als Einhalt für ihr übereiltes Treiben versteht. Von ihrem Ohr aus gehe ich weiter herunter zu ihrem Hals. Er riecht nach Blumen. – Welche, weiß ich nicht zu bestimmen, aber ein weites Blumenfeld voller roter Mohnblumen breitet sich vor meinem inneren Auge aus. Und der Mohne betört mich, betäubt meine Sinne, dass ich meine, der Boden täte sich unter meinen Füßen auf. Komme ich dieses Genusses wegen in die Hölle? Es ist Sünde, was ich hier tue, aber eine, gegen die jede Strafe wie ein Klaps auf den Hintern erscheint.

Meine Nase fährt leicht über ihren Hals und ich sauge ihren süßen Duft ein. Dann gehe ich weiter zu ihrem Kinn. Sie hebt ihren Kopf leicht an. Ich sehe, dass ihre Augen geschlossen sind. Ob sie es genießt oder mich verflucht?

 

Immer noch reibt sie an meinem Geschlecht, unentschlossen zu weiteren Taten. Ich führe ihre Hand weg und öffne meinen Hosenverschluss. Ihre Finger schlängeln sich unter den Stoff. Sie greift zu und holt das Ziel ihrer Begierde heraus. Meine Hände schieben den linken dann den rechten Träger ihres Kleides vorsichtig von ihren Schultern. Als ich das Kleid weiter herunterziehe, merke ich, dass sie nichts darunter anhat. Ihre Brüste breiten sich ob der neu gewonnenen Freiheit aus, sie gehen wie schlafende Blüten auf, die gerade das Sonnenlicht erblickt haben. Ohne das Kleid wirken sie viel massiver. Sie liegen in meinen Händen wie zwei warme Brotlaibe und ich fühle, wie es meinen Körper durchfährt. Die Benommenheit breitet sich weiter aus. Es ist nicht das, was ich immer spüre, wenn ich intim mit einer Frau werde. Das hier ist anders. Es geht über meinen Körper hinaus, greift nach meiner Seele und reißt an ihr. Mein Herz pocht. Was ist nur los? Was hat dieses Mädchen, was andere nicht haben? Ich sehe sie an. Ihre Augen sind immer noch gen Boden gewandt. Meine Hand greift nach ihrem Kinn und hebt ihren Kopf. Ich schaue in ihr Gesicht. Ihre Augen wissen nicht, welchen Punkt sie fixieren sollen und versinken in meinen, als sie einander treffen. Sie blinzelt leicht, doch schaut mich immer noch an. Ein tiefes, trauriges Braun erschließt sich meinem Blick. Ich sehe und begreife nicht, was mit mir geschieht. Sie fasziniert mich, mein Atem stockt und ich verliere mich in ihrem Sein. Ihre Aura ist magisch. Sie gibt mir Antworten auf Fragen, die ich nie zu stellen wagte. All der Morast, durch den ich mein Leben lang stampfte, ist vergessen. Ich bin nicht mehr auf dieser Erde. Nichts hält und bindet mich an den Grund, auf dem ich stehe und in den ich mich schon so oft gewünscht hatte. Der unbändige Wunsch nach Leben durchströmt meinen Körper. Es ist wie fliegen, nein, ich bin das Fliegen, ich bin der Wind und die Luft, ein Hauch, hier und überall auf dieser Welt. Es ist die Unendlichkeit in diesem Moment, in mir.

Als sie ihre Augen wieder abwendet, merke ich erst, wo ich gerade bin und was ihre Hand an meinem Glied vollführt. Es ist mir plötzlich unangenehm, diesen Engel zu schänden. Wie könnte ich es wagen, dieses göttliche Geschöpf zu beschmutzen?

Nein, es geht nicht.

 

Ich ziehe ihre Hand weg und die Träger ihres Kleides wieder hoch. Sie schaut mich verdutzt an. Eilig schließe ich meine Hose und weiß nicht, was ich tun soll. Wir haben nur diese eine Nacht. Morgen ist sie wieder weg und wie soll ich ihr all das sagen, was in mir vorgeht? Sie versteht mich nicht und selbst, wenn sie mich verstünde, würde sie es mir nie glauben. Ich bin ein Monster in ihren Augen. Ein Schwein, das sie wie Dreck benutzen will. Doch wie es scheint, können auch Schweine lieben. Wenn es überhaupt Liebe ist.

Ach, du alter Narr, was ist nur los mit dir? Da schreibst du ein paar Geschichten und liest ein paar Liebesromane und schon verfällst du dem erstbesten Mädchen? Nein, das kann kein Zufall sein. Es gibt keine Zufälle. Ich hatte schon genug Frauen und mit manchen habe ich es sogar länger ausgehalten. Nein, das hier ist mehr als nur eine Frau. Das ist meine Frau.

All das schießt in wenigen Augenblicken durch meinen Kopf. Ich stehe immer noch vor ihr und schaue sie ungläubig an. Doch als ihre Augen wieder in meine sehen, weiß ich, was zu tun ist. Ich umschließe ihren Kopf vorsichtig mit meinen Händen, führe meine Lippen an ihre Stirn und presse sie leicht auf diese.

"Wir müssen gehen, mein Schatz", flüstere ich ihr leise zu.

 

Zuvor ...

 

Sie wirkt schüchtern, als sie mit großen Schritten zum Rhythmus der Musik in die Mitte der Sporthalle tritt. Mit einem weißen langen Band, das sie auf einem Stab aufgewickelt hat, steht sie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ihr Kleidchen ist sehr kurz und eng. Im Grunde ist es eine Art Badeanzug mit Rüschen dran, der nicht viel von ihrem Körper verbirgt. Ihre Beine sind schlank doch nicht ohne die zarten Rundungen von weiblichen Reizen. Unter dem Anzug zeichnen sich zwei kaum sichtbare Wölbungen ab, die die zaghaften Bestrebungen der Natur aufzeigen, die im Begriff ist, aus diesem Mädchen eine Frau zu machen. Ihre Haltung ist tadellos, voller Grazie und Anmut steht sie wie eine Erscheinung aus einer Märchenwelt da, das Kinn emporgereckt, die schmalen Augenbrauen, die zur Mitte des Gesichts tropfenförmig zusammenlaufen, streng gehoben. Sie lächelt angestrengt. Wie einstudiert ziehen sich die Mundwinkel nach oben, um jeden Preis – Heiterkeit auf Knopfdruck. Doch ihre Augen sind zwei tiefe, dunkelbraune Krater, die von alldem schweigend erzählen, was dieses Mädchen gesehen und was sich unwiderruflich in den Abgründen ihrer Seele eingebrannt hat.

 

Es mögen vielleicht 30 oder 40 Leute in der Halle sein, von denen gut die Hälfte auf ihre Smartphones starren. Trotzdem wirken die wenigen Augen, die sie begutachten, beunruhigend auf sie. Sie ist nicht gewohnt, vor Publikum aufzutreten. Das sieht man ihr an. Ist es vielleicht ihr erster Auftritt? Ich habe sie jedenfalls noch nie gesehen, was aber nichts zu bedeuten hat. Ich war schon lange nicht mehr bei solchen Veranstaltungen. Sie waren eine Neuerung zum Beleben unseres Geschäftes. In Zeiten der Castingshows wollten wir uns dem Trend anpassen und veranstalteten ebenfalls Auswahlwettbewerbe. Dabei ließen wir die Mädchen ihre Talente vorführen, um die Kunden möglichst auf den Geschmack zu bringen. Nach der Vorstellung konnte jeder bieten, wie viel er für das Mädchen bezahlen wollte. Natürlich gab es auch weniger begabte Mädchen, die nichts Besonderes konnten. Diese wurden dann einfach nach ihrem Aussehen vermittelt, was früher das übliche Prozedere war. Aber nun wollte man Show. Ich fühlte mich einfach zu alt für diesen Unsinn.

 

Wenn man aus dem Geschäft aussteigt, dann tut man es zu 100%. Zumeist ist es eher ein Losreißen als ein friedlicher Abgang. Nicht zuletzt wegen der Milieusitten. Erst mal im Netz gefangen, ist es nur sehr schwer, den vielen Augen und Klauen der Spinne zu entkommen. Es nützt auch nichts, sich lautstark zu wehren oder mit den Händen zu fuchteln. Das macht es nur noch schlimmer. Hände und andere Körperteile gelten bei uns nichts, außer als Präsente für störrische Geschäftspartner und Halsabschneider, denen man die Dringlichkeit des geschäftlichen Anliegens nachdrücklich vermitteln muss.

Nein, um auszusteigen, muss man geschickt vorgehen. Ohne viel Aufsehen zu erregen, habe ich Schnitt für Schnitt das Netz gelockert, und als niemand mehr auf mich achtgab, schlüpfte ich aus dem Geflecht und verschwand in der Anonymität.

So führe ich nun ein ruhiges Leben fernab der Szene. Habe endlich Zeit, mehr für meinen Geist zu tun, lese viel und mache sogar die ersten Schreibversuche, die in kleineren Internetforen zu einigen freundlichen Kommentaren reichen.

 

Man kann es wohl nur als ironisch bezeichnen, wenn in Zeiten der Frauenemanzipation und der Forderung nach gleichen Rechten für beide Geschlechter die Zustände in unserem Arbeitsbereich immer schlimmer werden. Gab es früher wenigstens den Anschein von Anstand, so geriet es jetzt vollends außer Kontrolle. Die brutale Konkurrenz ließ die Preise für die Dienste der Mädchen in Lächerliche sinken. "Flatrateknattern", "Bums dich satt für ein paar Mark" oder "all you can fuck" – das waren die Angebote, mit denen man um jeden Kunden kämpfte. Und wenn die Preise sinken, sinkt auch die Hemmschwelle der Gäste. Wenn du 10 Euro für ein Mädchen bezahlst, dann denkst du zwangsläufig, dass du dir mehr erlauben kannst. So häuften sich auch abscheuliche Gewalttaten, Misshandlungen übelster Sorte. In immer häufigerer Regelmäßigkeit standen auch Morde auf dem Programm, teilweise schlimmer als zu Zeiten von Jack the Ripper. Doch all das kam nie in die Öffentlichkeit. Die Polizei war froh, wenn sie sich möglichst selten die Füße in diesem Sumpf schmutzig machen musste. Außerdem wurde an den richtigen Stellen geschmiert, sodass das Gerüst ohne großes Quietschen die Last des Schweigens zu tragen vermochte.

Das wollte ich nicht mehr mitmachen. Natürlich war ich kein Engel und manches Blut, das an meinen Händen klebte, würde nichts wieder reinwaschen können. Aber jeder hat die Wahl, über sein Schicksal zu bestimmen.

Doch nicht immer besteht die Möglichkeit dazu.

Nachdem ich genug Geld gespart hatte, entschied ich mich die Chance zu nutzen, die sich mir geboten hatte, und stieg unauffällig aus.

 

Aber nun hatte mich wieder die Neugierde gepackt. Es war noch etwas heißes Blut im Köcher meines welken Körpers. So zog es mich wieder in die Höhle des Löwen. Wieder sah ich die vertrauten kalten Augen, die sich allein beim Anblick von goldenen Kettchen und bunten Scheinen entfachten. Ach ja, und natürlich, wenn frische Ware geliefert wurde.

Sie nannten sich Geschäftsmänner, entbehrten aber jeder Ehre und Moral, die diesem Wort anmutet. Es waren schlichtweg Menschenhändler, die ihre Ware in Osteuropa meistens billiger als gutes Fleisch im Supermarkt kauften und dann hier im Westen mit ihr Geschäfte machten.

Sie kennen bestimmt viele Klischees, mit denen man sie beschreibt, und ich kann ihnen versichern: Alle stimmen.

Man sagt, dass jedes Verhalten einen Grund, eine Ursache hat. Bei manchen meiner früheren Kollegen glaube ich aber ernstlich, dass sie einfach nur so veranlagt sind, dass ein Menschenleben für sie nicht mehr wert ist, als es ihnen tatsächlich in die Tasche einbringt.

 

Nun beginnt die Vorstellung. Das Mädchen hebt ihren rechten Arm und entrollt das Band, das jetzt schlaff am Stab hängt. Mit einer Drehbewegung ihres Handgelenkes versetzt sie das Band in spiralförmige Drehungen und schreitet langsam auf Zehenspitzen durch die Halle. Ihr Gang ist konzentriert aber unendlich leicht, sie schwebt fast und setzt jeden Fuß mit einer maßvollen Vorsicht auf. Mit einer fließenden Bewegung umspielt das Band ihren Körper, der nun immer präsenter wird. Sie biegt und formt sich zwischen den Tönen der Musik. Die Musik führt sie, dann ändern sich die Rollen wieder und sie übernimmt das Sagen.Die Musik folgt ihr, als ob das Mädchen genau wüsste, wann welche Note ertönt, nein, vielmehr als ob sie selbst die Noten erzeugen und in den Raum senden würde. In diesem Moment ist sie mehr als nur ein Körper, mehr als die Brüste und Schenkel, auf die es den Gaffern im Publikum ankommt. Sie erhebt sich über das Fleischliche und wird frei, sie fliegt, und das Band umschmeichelt ihren Körper. Ihre Beine, ihre Arme sind mehr als nur Glieder. Sie entwickeln ein Eigenleben und verschmelzen mit dem Takt, mit dem Rhythmus, springen und schwingen, betonen den Ausdruck in ihrem Gesicht, das nun gelöster wirkt. Das Lachen ist aufrichtig, sie lacht mit ihrem ganzen Körper und strahlt diese Fröhlichkeit unvermittelt aus. In den Drehungen und Sprüngen vereint sich die Energie und Eleganz, die Grazie und Kontrolle ihrer Vorstellung.

Und sie fällt auf.

Immer mehr Augen heften sich an ihren Körper. Immer mehr Münder stehen offen, bemüht, keine Speichelfäden zu verlieren. Als die Musik zum Ebben ansetzt und das Mädchen in einer Halbdrehung das Band hochschnellen lässt, hebt jeder in der Halle den Kopf und folgt mit den Augen der Flugkurve des Gerätes. Bevor das Band den Boden wieder erreicht, vollführt das Mädchen drei volle Rollen vorwärts in einem schier atemberaubenden Tempo und fängt mit dem letzten Ton der Musik das Band mit der ausgestreckten rechten Hand.

Verhaltener Applaus erfüllt die Halle. Ich sehe viele überraschte Gesichter. So etwas erlebt man nicht jeden Tag bei dieser Fleischschau. Der Besitzer des Mädchens steht feierlich auf, geht auf sie zu, grinst über beide Backen. Er flüstert ihr etwas ins Ohr. Wieder setzt das Mädchen das falsche Lachen auf, das sie bereits vor der Vorstellung auf dem Gesicht hatte. Sie weiß, was nun folgt.

"Meine Herren, wie ihr seht, hab ich hier eine echt geile Perle. Das wird nicht billig", lässt der Besitzer lauthals verlauten. Doch keiner lässt sich davon abschrecken. Schon schnellen die Hände in die Höhe, die ersten Angebote hallen durch die Halle. Zwei Bieter versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Sie werfen sich immer wieder giftige Blicke zu, bevor sie ein neues, höheres Angebot in den Raum schleudern.

"Ich biete 200", schreit der Erste, holt ein Bündel Scheine aus der Innentasche seiner Lederjacke und wedelt damit durch die Luft. Durch die gelben Gläser seiner Sonnenbrille kann man die Wollust in seinen Augen erkennen. Er brennt, ist nicht mehr er selbst, mehr Tier als Mensch.

"500", brüllt der Zweite. Seine Glatze ist schweißbedeckt. Unter dem hochgestellten Kragen glitzert eine schwere Goldkette.

Ich erhebe mich von meinem Platz und sage mit beherrschter aber nachdrücklicher Stimme die Zahl, die alle verstummen lässt. Sie schauen mich ungläubig an. Ob einer mich wohl wiedererkennen wird? Ich gehe das Risiko gerne ein. Durch meinen Vollbart und die Sonnenbrille sieht keiner den Ausdruck auf meinem Gesicht. Mein Körper ist ein ganz anderer, als sie ihn in Erinnerung hatten. 30 Kilo weniger, komplett andere Klamotten.

"Freundchen, du weißt schon, dass du sie nur für eine Nacht kaufst und nicht für den Rest deines Lebens?", fragt mich der Besitzer.

Ich nicke stumm.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /