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Nudeln der Hoffnung

 

Nudeln der Hoffnung

Der Trost der Veränderung würde mich bald wieder treffen. Dessen bin ich mir sicher.

Schon damals, als ich verliebt meine ersten unsauberen Reime in die Welt hinausschrieb, war ich davon überzeugt, dass sie nur Makulatur und mickrige Vorläufer von jenem waren, was noch kommen sollte. Hoffen ist eine einfache wenn auch sättigende Mahlzeit. Vielleicht kann man es mit Nudeln vergleichen. Ein gutes, schmackhaftes Nudelgericht füllt den Magen und beruhigt einen. So auch Hoffnung.

Sie war älter, nicht dramatisch, aber älter. Ich war ein Welpe, der hinter einem Wollknäuel herjagen wollte. Auch wenn dieser Vergleich makaber klingt, da ihre stämmige Figur in ihren ründlichen Ausmaßen der Form eines Knäuels nicht unähnlich schien, war sie für mich dieses weiche, flauschige Ziel der Begierde, das es zu erforschen galt. Und ich forschte. Auf Papier. Meine Gefühle überschlugen sich auf hastiger Jagd den bunten Fäden nach. Ich war im Wahn und suchte nach Sinn, was mich schließlich zum Wahnsinn führte. Verse purzelten nur so aus mir heraus, ich reimte Schmerz auf Herz und es ging vorwärts. Meine Werke strotzten vor Authentizität, ich fühle mich groß, talentiert, verliebt. Was will man mehr? Für einen Dichter gibt es nichts Höheres und Besseres als diese drei Adjektive.

Ihr gefiel mein zaghaftes Werben allem Anschein nach. Sie wollte bezirzt werden, begehrt sein, Erfüllung finden, von der sie bis dahin in ihren einsamen Lebensjahren so selten zu kosten bekam. Sie erzählte mir von ihren Eltern. Kalte, schroffe Menschen. Sie trennten sich wie sie zusammengelebt haben. Im Streit. Und was sie hinterließen, war ein achtjähriges Mädchen voller Fragen und Ängste in einem fremden Land. Die Sprache hatte sie gerade erst gelernt und musste ihrer Mutter die Scheidungspapiere übersetzen, von denen sie nichts verstand. Nur einzelne Wörter, ein paar Sätze, aber nicht den Sinn, den Zusammenhang. Beamtendeutsch hatte sie in der dritten Klasse nicht gelernt. Der Vater besuchte sie nie zu Hause. Zuwider war ihm das Gesicht der Frau, die ihn die besten Jahre seines Lebens gekostet hatte. Diese habgierige Harpyie, die auch noch Alimente forderte, für seine Tochter, wie sie es immer betonte.

So blieb er in ihrer Erinnerung. Das waren die Fakten, die ihre Mutter nicht müde wurde, jedes Jahr aufs Neue aufzuwärmen. Und sie brannten sich in ihrem Kopf ein. Ihr Vater war ein herzloses Arschloch!

Bei mir fand sie Trost, auch wenn ich ihr nicht helfen konnte, denn ich wusste nie, was ich auf ihre Probleme erwidern sollte. Ich hörte zu und schrieb, verarbeitete alles zu Fragen-Klagen-Gedichten und zeigte sie ihr. Bekam Bestätigung und machte weiter. Ob ich ihr helfen wollte oder nur Stoff für meine Schreibsucht suchte kann ich nicht mehr genau sagen, aber wir beide hatten unseren Nutzen von diesem romantischen Intermezzo. Jeden Tag redeten wir ein wenig und gingen alleine schlafen. Wieso? Ich schätze, nur Katzen kuscheln mit ihren Knäulen. Hunde jagen ihnen bloß nach. Irgendwann redeten wir nicht mehr und sie verschwand aus meinem Leben. Der Grund war wohl meine mangelnde Initiative. Was sie von mir erwartet hatte, wusste ich, es war wohl, was jede Frau irgendwie erwartet ohne es zuzugeben. Sei's drum. Was blieb war das Schreiben, das ich zu der Zeit periodisiert hatte und jeden Tag wie ein Ritual betrieb. Doch ich merkte, dass sich etwas verändert hatte. Ich hatte keine Ideen mehr. Was mir einfiel war langweilig und leer. Die schönen Reime gefielen mir nicht mehr. Mir wurde bewusst, dass ich, ohne zu jagen – egal wie sinn- und zweckentfremdet ich dieses Wort verstand – als Schreiber nicht weiter kam. Also ging ich wieder auf die Jagd.

Mein nächster Wollknäuel entsprach seinem Namen nur im metaphorischen Sinne. Sie war klein, schlank, zierlich und sehr nachdenklich …

… Was für ein komischer Kerl. Redet kaum und schreibt dauernd. Ob er was über mich schreibt? Wer macht den sowas? Wir saßen auf einer Bank bei unserem ersten Treffen und er kritzelte dauernd in seinem Notizbuch, statt mit mir zu reden. Aber wie seine Augen geglänzt haben. Voller Leidenschaft. Und dann hat er sich total süß entschuldigt, und erklärt, dass ihn Gedanken erschlagen und er sie nur indem er schreibt loswerden könnte. Hatte er wegen mir so viele Gedanken? Ich bin doch gar nicht so geheimnisvoll, eigentlich ganz normal, durchschnittlich. Nicht zu dick, nicht zu dünn, obwohl ich wieder paar Kilo zugenommen habe, oh man, ich muss wieder eine Diät anfangen, und meine Haare sehen aus...

… , das hatte ich schon nach wenigen Treffen gemerkt. Sie war sehr nervös und unsicher, zupfte dauernd an ihrem Pullover und zog ihn nach unten, wie um ihre Beine zu verdecken.

„Deine Beine sehen gut aus“, sagte ich überzeugend. Der Blitz meiner Worte ließ mich schon den Donner ahnen, der mir in wenigen Augenblicke die Ohren rot färben und betäuben würde. Was hatte ich da gesagt? 'Deine Beine sehen gut aus?' Eine plumpere Anmache gibt es ja nicht.

„Danke“, antwortete sie zögernd und fügte hinzu: „Du bist sehr direkt mit deinen Komplimenten.“

„Ja“, sagte ich mir gedanklich die Hand über die Stirn wischend.

Ich weiß nicht mehr genau, wie das weitere Date verlief, allein die Nacht ist mir in Erinnerung geblieben. Ich verbrachte sie mit ihr. Auf Papier. Ich schrieb und schrieb und schrieb und schrieb die ganze Nacht hindurch. Ich hatte wieder Ideen, ich war wieder kreativ. Allein die Existenz einer Frau in meinem Leben gab mir Inspiration und Luft zum Atmen. Ich hatte wieder das Gefühl von damals, als ich zum ersten Mal Verse drosch bis jedes Licht erlosch. Doch auch dieser Wollknäuel entrollte sich irgendwann und übrig blieb ein dünner, traurige, roter, langer Faden der mich nicht mehr reizte. Zwar zehrte ich noch einige Zeit von meiner Beute, doch bald waren die Reserven verbraucht und ich litt wieder Hunger. So geht es mir bis heute, wobei es meinem Erinnerungsvermögen nicht mehr unterliegt die Zeitspanne meines literarischen und zwischenmenschlichen Fastens zu erfassen.

Doch der Trost der Veränderung wird mich bald wieder treffen. Dessen bin ich mir sicher. Und so werde ich wieder auf die Jagd gehen. Vielleicht suche ich im Park und lasse mich von der Natur zu lächerlichen Zeilen inspirieren, die mir als dürftige Mahlzeit helfen, die Zwischenzeit meiner fruchtlosen Tage zu überstehen. Auch sie sind nur Makulatur, Zwischenzeugnisse von Gefühlen, die unwiederbringlich vergehen werden. Das erste Mal bleibt zwar in der Erinnerung bestehen, doch abgewandt, genauso wunderschön und unvergesslich wie zuvor, doch wird es mich nie wieder anlächeln.

Ich werde wieder jemanden treffen, wir werden uns unterhalten und etwas unternehmen, dann wird mehr daraus. Es ist immer das selbe. Wir gehen ins Kino, dann schick essen, am Besten beim Italiener. Nudeln der Hoffnung mit Tomatensauce, bis mich wieder die Gewissheit ereilt, dass das einzige, was sich nie ändert, die Veränderung selbst bleibt. Und auch darüber werde ich schreiben.

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2013

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