Cover

Fliegen in der Sauna

Der Frühling kam dieses Jahr viel zu früh. Schon Anfang März kletterte das Thermometer auf über zwanzig Grad und Mittags, wenn die Sonne am Himmel stand, konnte man leicht ins Schwitzen kommen. Anfang April wurden bereits die dreißig Grad geknackt. Die Meteorologen redeten vom Jahrhundert Sommer und prophezeiten einen August mit tropischen Wochen. Natürlich blühte die Natur auf, von den trügerischen Temperatur fehlgeleitet, und schon bald flogen unzählige Pollen durch die Luft und bereiteten Allergikern innige Stunden mit ihren Taschentüchern. Mir leider auch.

Ich bin eher ein Wintermensch und kann es nicht ausstehen, wenn es zu heiß ist. Wenn Insekten durch mein Zimmer schwirren, weil ich wegen der übermäßigen Hitze das Fenster offen lassen muss. Die Frischverliebten schwirren genauso lästig durch die Gegend, stechen und beißen aber wenigstens nicht. Ja, ich bin eine Miesmuschel, ein unsympathischer Typ, habe ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und lache paradoxerweise fast ausschließlich, wenn es Regnet. Sie mögen mich nicht? Ich Sie genauso wenig. Ich schreibe diese Geschichte auch nicht für Sie. Ich will Ihre Leselust nicht befriedigen, will sie nicht unterhalten und insofern ist dies hier keine Literatur. Was ich will, ist meine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die mir vor wenigen Tagen widerfahren ist und die so unglaublich ist, dass ich sie nur erfunden haben kann, in einer ganz schwachen Stunde meiner ausbaufähigen Fantasie. Doch sie ist wahr.

Ich fuhr in meinem Auto zur Uni und ärgerte mich über die Hitze draußen, meine Augen tränten, meine Nase war rot und ich hatte verschlafen, da mich die ganze Nacht lang gigantische Moskitos bearbeitet haben, was sich nun in Form von juckenden, entzündeten Stichwunden an meinem ganzen Körper zeigte. Das Fenster konnte ich natürlich nicht schließen, da sonst die Temperatur im Zimmer unerträglich gewesen wäre. Entkräftet und wundgeschlagen vom dauernden Klatschen meiner Hände gegen den unsichtbaren Feind, gab ich irgendwann auf und verfiel in einen unruhigen und qualvollen Schlaf. Ich träumte, ich sei eine Fliege und müsse mich von lauter schwingenden und zischenden Fliegenklatschen davonstehlen. Gejagt wurde ich in einer Sauna und konnte meine Feinde durch den dichten Dampf nicht erkennen. Nur Augenblicke bevor der geriffelte Tod mich erreichte, wich ich geschickt aus und flog weiter, den Schweiß vom Rüssel wischend. Können Fliegen schwitzen? Mein Wissen aus dem Biologieunterricht konnte mir keine sichere Antwort darauf geben und als Fliege in einer Sauna konnte ich es auch schlecht googeln, aber ich schwitzte, so viel stand fest.

Als ich mein Auto verließ, war es kurz nach 10 Uhr morgens. Mein T-Shirt war klatschnass und als ich die Rückseite des Autositzes befühlte, musste ich erschrocken festellen, dass ich diesen auch durchgeschwitzt hatte. Hastig schnappte ich mir meine Tasche und lief los. Unterwegs ließ es sich nicht vermeiden, beim Warten an der Ampel, mein T-Shirt auszuwringen, was mir verwunderte Blicke seitens der Mitwartenden verschuff. Als ob die nicht schwitzen,dachte ich mir und drückte nochmals den Ampelknopf in der Hoffnung, dass es endlich Grün werde. Nach meiner ersten Vorlesung hatte ich zwei Stunden frei und verkroch mich in einer schattigen Ecke auf dem Campus. Doch leider war ich nicht allein. Neben mir saßen zwei verliebte Pärchen und saugten moskitogleich aneinander. Ungeniert tauschten sie das bisschen Körperflüssigkeit, was sie nicht verschwitzten, miteinander aus und ineinander rein. Ich versuchte mich abzulenken und ließ meinen Blick durch die Gegend schweifen, als ich plötzlich das sah, was der Gegenstand und Grund meiner Erzählung ist: Eine Gestalt, wahrscheinlich weiblich, schwebte Richtung Mensa. Sie war komplett schwarz verhüllt, nur ein kleiner Schlitz ließ Platz für die Augen frei. Ihr Gewand ging bis zu den Knöcheln, ließ aber keine Sicht auf ihre Schuhe, weswegen auch der Eindruck von Schweben entstand. Durch die schwülle und dampfende Luft erschien sie mir wie eine Fata Morgana und ich konnte nicht anders, als aufzustehen und ihr zu folgen. Sie ging relativ schnell, beeilte sich anscheinend irgendwohin zu kommen und ich folgte ihr, völlig politisch unkorrekt auf ihre Burka starrend. Bei dem Tempo, das sie vorlegte, kam ich wieder ins Schwitzen und suchte gedanklich schon einen Platz, um meine Hose auszuwringen. Ich wunderte mich, wie sie es überhaupt schaffte, unter ihrem Schleier zu atmen. Ich musste sie einfach fragen, wieso sie sich diesen Qualen unterzog und beschleunigte meinen Gang, um sie einzuholen. Ich rief: „Hey, warte mal, entschuldige.“ Sie drehte sich um und blieb stehen. Sagte nichts. Ihre Augen waren braun und die Wimpern überraschend lang, sogar für eine Frau. „Hi, tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein, aber wie kannst du es so aushalten?“ Sie schaute mich an und sagte nichts. Ich brachte auch keinen Ton heraus. Darauf drehte sie sich um und ging weiter. Als sie sich etwas entfernt hatte, besann ich mich wieder und folgte ihr erneut. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, sie aus ihrer Misslage zu befreien. Ich wollte die Repressionen ihrer Religion abstreifen und sie wieder frei atmen lassen. Wieso es mir so wichtig war, wusste ich nicht. Ich war wie in Trance und rannte von hinten auf sie zu. Entschlossen überholte ich sie, hielt sie an der Schulter fest und rief: „Jetzt bist du frei! Werfe den Stoff der Unterdrückung von dir hernieder.“ Mit diesen Worten riss ich den oberen Teil ihrer Kopfbedeckung ab und atmete selber auf, als ob ich die ganze Zeit verhüllt gewesen wäre. Doch was sich meinem Blick offenbarte, ließ mich erschaudern. Unter der Hülle kam ein riesiger Moskitokopf zum Vorschein. Seine gierigen Glubschaugen fixierten mich blutrünstig und von seinem Nasenstachel tropfte noch frisches Blut. Schreiend warf ich das Stück Stoff weg und rannte los, bevor ich es bemerkt hatte, flog ich plötzlich mit einem lauten Summen durch die Gegend und riesige Fliegenklatschen verfolgen mich. Ich sah mich nicht mehr um und flog so schnell ich konnte weg.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
-

Nächste Seite
Seite 1 /