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Das Haus da steht schon verdammt lange und ich weiß nicht, ob es zuerst da war oder ich. Ich kann mich nicht mehr erinnern, seit wann ich hier bin, nur Eines weiß ich: Ich komme hier nie wieder weg. Wie denn auch? Ich habe keine Beine, ich kann nicht laufen, man hat mich hier aufgestellt und mir meine Aufgabe zugeteilt. Ich nehme die Post entgegen. Gute Post, schlechte Post, Grußkarten und Mahnungen, Liebesbriefe und Vermieterschreiben, über die nächste Mieterhöhung. So viele Menschen sah ich kommen und gehen, bei Regen rennen sie schnell ins Haus und wenn die Sonne scheint, klappen sie ihre Liegestühle auf und bräunen sich bis es Abend wird. Im Winter ist es manchmal schwer für mich, wenn es frostet und meine Klappe zufriert, dann rüttelt und zerrt man an mir bis sie wieder aufgehen kann. Das tut weh, aber ich klage nicht.
Ich kann mich noch genau erinnern, an meinen ersten Tag. Ein etwas korpulenter Zeitgenosse stellte mich auf, es war Sommer und sein kräftiger Geruch wurde, in seiner Pracht, nur vom Umfang seines Bauches übertroffen. An meine erste Post kann ich mich genau erinnern. Werbung vom örtlichen Feinkostladen, dazu ein Willkommensbrief vom Bürgermeister. In einem weißen Umschlag mit einer wunderschönen Briefmarke, Königblau mit einer schwarzen Krone darauf. Mein erster Chef kam damals um Viertel nach Sechs, um mich zu leeren, damals war ich noch frisch und neu und meine Klappe quietschte noch nicht. Doch gleich das erste Aufklappen tat weh, er war grob und nicht gerade zärtlich zu mir. Klatsch! Knallte er mich zu und ging weg. Das tat weh. -Das erste Mal tut weh, selbst für Briefkästen.- Und so ging es jeden Morgen weiter. Je schlimmer mein Inhalt, umso härter die Strafe.
Seine Kinder waren durchaus zärtlicher zu mir, wenn auch nicht so feinfühlig, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Frau des Hauses malte mich bunt an und klebte mir Blümchen auf -wie peinlich. Ich nehme an, sie hatte nicht viel zu tun, als Hausfrau, und so schaffte sie sich Nebenbeschäftigung wie die, mich zu verschönern. Schrecklich! Da stand ich nun in Pink, Gelb und Orange, mit einem Dutzend Blümchen, die mir am Hintern klebten und war die Lachnummer der Nachbarschaft. Ausgelacht von jedem, von Schulmädchen bis Altersheimbingoabendköniginnen.

Und dann ging die Familie. Sie packten ihre Koffer, ein Paar Umzugslaster kamen und weg waren sie. Keiner hatte sich von mir verabschiedet, nur der Fahrer der Umzugslaster war so nett, beim rückwärts Einparken, mir einen Abschiedsschubs zu verpassen. Aber die nächste Familie ließ nicht lange auf sich warten. Mir schien es, dass sie nicht sonderlich beliebt in der Nachbarschaft waren. Eines Abends wurde ich sogar mit einem Baseballschläger umgehauen. Die Blumen und bunten Farben waren zwar weg, aber nun zierte eine große Delle meinen stählernen Körper. So erfuhr ich meinen ersten Schicksalsschlag in meinem unverblümten Lebens als Briefkasten. Man schmierte mir sogar mit einem dicken, schwarzen Edding eine Aufschrift an die Seite: „Schwuchteln raus“. Meine Besitzer waren darüber nicht sehr froh und zogen schon sehr bald aus. Sie gingen ihrer Wege und ließen mich stehen. Schon zum zweiten Mal verließ man mich.

Die dritte Familie war sehr chaotisch, mir schien es, dass sie nicht wirklich gute Menschen waren. Aber als Briefkasten kann man das nicht gut beurteilen. Ihre Post jedenfalls war sehr seltsam. Von Bastlermagazinen bis Chemiefachzeitschriften war alles dabei. Sie schufen auch viele komische Sachen ins Haus. Säcke und Kanister, viele Kabel und Drähte und ähnliches. Schon bald erregten sie Verdacht in der Nachbarschaft und dann kam ein schwarzer Van, der jeden Tag auf der anderen Straßenseite stand. Die Briefe wurden auch weniger. Keine Zeitschriften kamen mehr an. Bis dann eines Tages die Polizei das Haus stürmte und alle Scheiben und Türen einbrach. Es war an einem Montagmorgen, der Wind blies heftig und das Wetter war zum Krankmelden-und-im-Bett-bleiben.

Dann kam lange Zeit keiner mehr, der Garten verwilderte und das Dach bekam immer mehr Risse und Dellen. Erst nach zwei Jahren zog eine kleine Familie ein. Mutter, Vater, Kind. Am ersten Tag kam das kleine Mädchen und schaute mich fragend an. Ich sah wahrscheinlich schrecklich aus; verbeult, die Farbe abgescheppert, meine Klappe voller Rost und Dreck. Sie streckte sich nach mir, war aber zu klein, um meine Klappe zu öffnen. Schnell lief sie zurück ins Haus und kam mit ihrem Vater wieder.
„Was magst du denn machen, Schatz“
„Ich will das schöner machen, Papi.“
„Aber guck doch mal, er ist ganz verrostet und dreckig. Wollen wir nicht einen Neuen kaufen?“
„Nein, ich will diesen hübsch machen.“
„Na gut, dann machen wir das.“
Und so bekam ich einen neuen Look verpasst. Die vielen Blümchen störten mich plötzlich nicht mehr, allein die Tatsache, dass sich jemand so viel Mühe gab, war für mich das Schönste, was ich je erfahren habe.
Auch diese Familie zog aus, als der Vater einen neuen Job bekam, doch sie blieben immer in meinem Herzen. Zum Abschied lief das Mädchen zu mir hin -, in den Paar Jahren, in denen sie hier gelebt hatte, war sie groß geworden, so dass sie an meine Klappe dran kam,- und steckte mir einen roten Umschlag zu. Ich werde wohl nie erfahren, welchen Inhalt er hatte aber ich will es auch gar nicht, nur Eines weiß ich – Das ist der wichtigste Brief, den ich je getragen habe.

Alle gingen sie und ich blieb, als der stille Nachrichtenüberbringer in einer lauten Welt.
Mein Weg ist mir vorgegeben, mein Standpunkt klar doch ich steh gerne hier, denn in meinem Herzen wird es nie wieder leer sein.

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Tag der Veröffentlichung: 19.10.2011

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