Konrad Meise
Schwebezustand
Die meisten kannten nicht die Geschichte von Don Quichotte, aber ihn nannten sie so. Sie riefen ihn so, weil seine Phantasiewelt nicht mit der Realität übereinstimmte – auch seine Träume nicht. Aber niemand nahm Notiz davon, dass Phantasiewelten und Träume das nun mal grundsätzlich nicht tun. Andere nannten ihn Don Quichotte, weil die Realität sich nicht seinen Phantasie und Träumen anpasste. Und ein paar Ausnahmen waren überzeugt, dass er Phantasie, Traum und Wirklichkeit nicht auseinander halten konnte. Die große Menge lief dabei einfach mit. Sie hielten Don Quichotte für irre und sie hielten ihn für irre, weil seine von ihnen wahrgenommene Realität nicht mit der Ihrigen im Einklang stand.
Und er war wohl wirklich zu sehr in seine Tagträume und seinen Wünschen verankert, so sehr, dass die Realität ihn enttäuschte und damit ziemlich niederdrückte. Er hatte dann Angst sich wieder aufzurichten, wusste er doch, dass dort nicht seine Windmühlen warteten. Ja, er lief immer noch seinen Windmühlen hinterher. Und niemand verstand, dass er das leise, hölzerne Stöhnen so liebte. Es klang so sehnsuchtsvoll, traurig – hoffnungslos. Sie winkten mit ihren Armen – was wollten sie? Wer konnte sie retten? Waren sieüberhaupt zu retten? War er noch zu retten? Waren seine Phantasien noch zu retten?
Bei Phantasie konnte er tun und lassen was er wollte. Da gab es keine Zeiten und Vorschriften. Manchmal musste er eben gegen die Windmühlen kämpfen und manchmal musste er ihnen eben einfach nachgeben. Aber plötzlich war da nichts mehr. Keine Realitäten, keine Träume – und nichts davor, dahinter oder dazwischen. Eben nichts. Vielleicht ein unsicheres Gedankenzittern.
Eine Glocke tönte und er wusste, es war Mittag.
Die Tür quietschte – ihm war klar, dass er heute keinen Besuch mehr bekommen würde. Der Tag war also gerettet. Er schrieb an einem Artikel über die Erhaltung der Persönlichkeit in der traditionellen Ehe, der ihn aber langweilte. So begann er den Bericht über einen blutigen Mord, der nie stattgefunden hatte. Die Tageszeitung war zufrieden mit ihm und er füllte so manch leere, überflüssige weiße Stelle mit Blutspritzern oder, je nach Laune, auch mal mit Geschlechtsteilen und Spermaflecken. Aber da Frauen, laut Gesetz, nur gebraucht aber nicht vergewaltigt werden können, schrieb er über die Vergewaltigung des Mannes. Und je phantasievoller er schrieb, desto glaubhafter, glaubwürdiger fraß die breite, idiotische Masse diese täglichen Zeilen. Anschließend gingen sie aufs Klo, wichsten sich einen und benutzten das Tagesblatt zum Arschabwischen. Nur zu gern würden sie mal vergewaltigt werden, würden es genießen mit ihrem abgemagerten Bandarbeitergehirn. Aber was immer man ihnen auch sagte, sie wollten nicht hören, sehen und schon gar nicht überzeugt werden. Ja, sie hatten sogar eine regelrechte übergroße Angst davor, etwas anderes zu erfahren als ihnen von den Spielregeln der menschlichen Gesellschaft zugeschoben, glaubhaft gemacht wurde.
Und die Tinte floss nur so aus dem Bleistift, den er sein Gehirn nannte. Haltlos, nicht lenkbar, spulten sich die Gedanken auf oder ab. Manchmal hatte er Angst dieser Denkerei nachzugeben – eben weil er nichts dagegen tun konnte – nur ganz nachgeben und verfolgen was da wohl kommen mag. Windmühlenweisheiten kamen da – aus allen der vier Zeiten.
Der Mensch ist ein Gemeinschaftstier, er muss in Horden leben. Er braucht den Mitmenschen und sei es nur dem ‚Unterdrücken’ wegen. Sie brauchen den Mitmenschen, weil sonst sogar die Sprache keinen Sinn mehr hätte. Aber sie haben Angst, und Angst bedeutet auch seelische Isolierung. Schließlich wissen sie nicht mehr wohin mit ihren ‚Depressionen im Weltall’. Es ist so, irgendwann eines Tages werden wir zu dem Stern fliegen können, der uns am Entferntesten ist. Bis dahin können wir noch das Universum einigermaßen überblicken. Nehmen wir doch einmal an wir haben jetzt unsere Ferngläser auf diesem Planeten und können also noch weiter schauen und ein ebenso großes, anderes All sehen, dann würden wir vor noch mehr Fragen stehen und gar nichts mehr begreifen.
Ähnlich ist es mit der Seele und den Problemen der Menschen. Die Depressionen, die ein Mensch hat, die Ängste, die er eventuell aussteht, kann ein Psychologe erkennen, analysieren, den Ursprung feststellen und möglicherweise einen Weg zur Lösung oder besser gesagt – zur Auflösung dieser Konflikte finden. Wobei zu beachten ist, dass, stellt man 1000 Menschen das gleiche Problem oder haben sie das gleiche, man 1000 verschiedene Wege zur Auflösung finden muss. Jeder Mensch fasst das Problem anders auf, ordnet es woanders in seinem Seelenmosaik ein, analysiert dieses Problem anders, speziell zu seiner Person, mit seinem eigenen Verstand und Auffassungsvermögen, was es nie zweimal genau gleich geben kann und ordnet es dann noch einmal in irgendeine Seelenstufe ein, inwieweit dieses Problem für ihn wirklich ein Problem darstellt.
Dies ist unser erster – am weitest entferntester Stern. Steht man so weit mit diesem Problem in Konflikt, glaubt man ein Lösung – einen Weg gefunden zu haben, taucht ein neues Universum auf – urplötzlich und unendlich. Hier gibt es keine aus studierten Wege mehr – keine Pole an die man sich halten kann. Hier gibt es keine Hinweisschilder mehr, die den richtigen Weg zeigen. Nein, hier gibt es noch nicht einmal Wege. Nur verwirrende Dunkelheit. So,wie man nie sagen kann, dass Depressionen oder Ängste einen Tiefstand erreichen können, so wird auch die Dunkelheit noch dunkler und immer schwärzer und Angst einflößender.
Und hier startet das willenlose Treiben der Entscheidungen. Das ganze Leben ist ein Treiben und Treiben und Treiben. Hin und her, hoch und runter. Treiben – aber wohin? In welcher Richtung? Der Strom geht seinen Weg, schlängelt sich, quält sich um Biegungen. Schneller, schneller, immer schneller. Die Schnelligkeit nimmt die Übersicht. An den Biegungen kann man nicht mehr wählen – oder nur unüberlegt. Hinterher weiß man, es war die falsche Wahl. Aber den Weg zurück – unmöglich – zu stark die Strömung. Also weiter, paddeln, Gedanken – oben bleiben. Prusten, schnaufen, gucken. Falsche Wahl – wieder, wieder, immer wieder. Die Stromschnellen – bei jeder falschen Entscheidung – schneller, schneller, immer schneller, tückischer, gefährlicher, unberechenbarer.
Dann – nichts mehr – keine Wahl – zu schwach, ausgelaugt. Jetzt die Hauptsache – oben bleiben, leben, Luft haben und oben bleiben – nur noch oben bleiben. Keine Wahl mehr treffen – mehr treffen müssen. Oben, oben, Hauptsache oben. Treiben, treiben, willenlos treiben. Hin und her und hoch und runter. Kraft, Kraft, es fehlt so viel Kraft. Ast, ein Ast, ein Ast – nur einen. So schwach, schwach. Der Weg – ungewiss, fremd – angst, angst, zittern und angst. Kalt – oh wie kalt. Leer die Gefühle, leer der Körper, leer, leer. Schemen kommen – gehen. Zu schnell zum kennen, zu schnell zum lieben. Ziellos ohne Ende, kein Hafen, keine Ruhe. Und wir brauchen Ruhe, Ruhe, Ruhe so dringend, so nötig. Doch weiter, drehen, treiben, ziellos dem Untergang entgegen. Hilfe, Hilfe tät jetzt so gut, so gut. Zu spät – viel zu spät? Kein Entrinnen – gefangen, elendig gefangen. Dunkel ist’s, dunkel. Düster die Ahnung, die Hoffnung. Was bleibt ist der Versuch aus der Stärke der eigenen Schwäche emporzusteigen. Je tiefer man gesunken ist in seinem seelischen Zustand, umso stärker macht sich die andere Stimme bemerkbar, die, die einen wieder aus der Dunkelheit und aus der Dreckbrühe des Stroms der angenommenen Hoffnungslosigkeit ziehen will. Je schwächer man also ist, desto stärker ist der eigentliche Kern. Es ist so, weil sonst viele in ihrer Schwachheit ersticken und umkommen würden. Und Liebe wäre ein Weg die Mauern der Isoliertheit zu durchbrechen. Doch ihre Selbstliebe verstärkt nur diese unüberwindlichen Wälle.
Und er träumt sich weg, verlässt seinen Körper, geht, schwebt den unerreichbaren Sehnsüchten entgegen, die irgendwo hinter der untergehenden Sonne am Horizont zu ahnen sind. Getrieben von der verfluchten Hoffnung eventuell das zu finden, was er nicht beschreiben kann. Selbst die Ahnung ist nur eine Ahnung – ein vager Wunsch. Und ob der Wunsch erwünscht ist, ist ganz und gar nicht sicher. Es sieht alles ein wenig sinnlos aus, weil man die gewohnte Ebene verlassen muss – und nur der Teufel weiß, was einen dort erwartet, dort auf der anderen Ebene, wo man Neues aufnehmen und Altes abstreifen muss.
Er legte den Bleistift beiseite. Er hatte genug für diesen Tag. Der Artikel konnte warten. Und mit Besuch war eh nicht mehr zu rechnen. Er lehnte sich zurück in den Sessel, der nicht seiner war und in einem Haus stand, das nicht ihm gehörte, sondern einem Fremden in einem fremden Land. Er lehnte sich also zurück und hätte sich zu gern an die Zukunft erinnert…
Was nicht alles wird man eines Tages für Abenteuergeschichten von ihm und dem fremden Land erwarten? Und was wird er ihnen erzählen können? Dass er dort war, dass es heiß und auch schön dort ist? Das allein werden sie hören wollen – und das allein werden sie verstehen können. Ansonsten wird es nichts zu erzählen geben, denn sie können nichts mit abenteuerlichen Gefühlen anfangen. Schon allein Kleinigkeiten machen ihnen zu schaffen.
Was, wenn er ihnen erzählt: ‚Stehe da, vor mir der South Pacific Ozean, unendlich groß – und hinter mir nur Buschland, unendlich groß. Und da stehe ich, nicht fassbar! Dazu die Vorstellung, das alles ist nur ein Traum, es ist viel zu weit weg, um wahr zu sein. Da steht der kleine, verrückte Kerl und wird von Gefühlen gerüttelt, von Gefühlen, zu denen er heute schon Heimweh hat.’
Wie soll er ihnen die erlebten Gefühle klarmachen? Wie soll er ihnen verständlich machen, dass das alles so sehr wichtig für ihn war und ist? Könnten sie verstehen wenn er sagt, dass er ein wenig Nähe zu sich selbst gefunden hat? Sie kennen ihn besser als er selber, sagen sie und projektieren ihm ihre Schwachheiten auf ohne das Starke zu sehen, das sie ihm ja nicht zugestehen. Wie könnten sie also verstehen? Er muss behutsam mit ihnen umgehen, muss sein eigenes Tun ein wenig verunglimpfen, damit sie innerlich nicht noch neidischer werden, sonst vermiesen sie ihm noch nachträglich seinen Aufenthalt. Sie werden ihm den Eindruck vermitteln wollen, dass sie besser gehandelt haben, indem sie eben nichts getan haben. Sie müssen das tun, sonst sehen sie ihre schmale Welt zu deutlich. Und er wird es verstehen und ihnen recht geben, ihnen bestätigen, dass er nur blöd und verrückt war. Sie brauchen das unter anderem auch, grade weil sie wissen, dass sie ihn gar nicht so gut kennen, wie sie es gerne wollen. Sie werden ihn nie verstehen können, weil sie gegen den anderen Stein und für die ‚Vergraudummung’ sind und nicht an ihm teilhaben können.
Zugeben tun sie es nie, aber sie haben ein wenig Angst vor ihm, weil er Dinge tut, die sie nicht tun. Darum drängen sie ihm auch ihre Schwachheiten auf – als eigene Entschuldigung und Beruhigung.
Und er wird ruhig sein, sich in seine Gedanken zurückzuziehen und versuchen auf seinem Weg zu bleiben, auf seinem ziellosen Weg mit nur 'nen halben Stein’ in der Hand. Er bedeutet Glück, Sehnsucht, Kraft, Einsamkeit, Freund, Traurigkeit, Freude und – er möchte ihn nicht mehr missen. Mit seiner Bruchstelle ist er ihm ans Herz gewachsen. Was steckt nicht schon alles von ihm in ihm? Er ist nur klein, aber riesengroß im Aufnehmen und Geben. Er ist die Batterie seiner Phantasie, der treibende, antreibende Teil seiner Realität.
Wie soll er ihnen verständlich machen, was ein halber Stein bedeuten kann? Sie werden lächeln, ja, ja sagen und denken, ach, der kleine Doofe. Sie werden Verständnis zeigen wollen – aber in ihren Gesichtern kann man das Gegenteil ablesen. Sie werden mit allen Mitteln ihn davon überzeugen wollen – aber je intensiver sie das tun, umso deutlicher verraten sie sich, sieht man ihre scheinheilige Maske. Sie schrecken ihn, verlieren ihn, weil sie ihn nur als ihre Fassade wollen, weil sie nicht mit ihm, sondern gegen ihn denken. Sie verlieren ihn, weil sie seine Persönlichkeit nicht akzeptieren. Sie verlieren ihn, weil er nicht 'Er' für sie ist. 'Er' ist ihre Schwachheit, ihre Dummheit, ihre Ausrede, ihr schlechtes Beispiel, ihr Witz, ihr Spucknapf, ihr Verrückter – deshalb werden sie ihn verlieren, deshalb wird 'ER' ihre Wege meiden, denn 'Er' kann seine Existenz nicht verleugnen und will es auch nicht. 'Er' ist 'Er' – und das wird ihn noch viele Menschen und Freunde kosten.
'Er' ist 'Er' – und das sagt alles und nichts aus, es ist dunkel und hell, verwirrend und klar, unbeständig wie der Wind, zielsicher wie ein Pfeil, verrückt im Normalen, normal in der 'Verrücktheit' sein. 'Er', das meint – hoch und runter, hin und her, schwarz und weiß, heiß und kalt, tief und flach, schön und hässlich, stark und schwach, plus und minus in allem was man aufzählen kann oder nicht. 'Er' ist 'Er' – und irgendwann hat sogar 'Er' selbst das zu begreifen und zu akzeptieren.
Er versuchte aus dem Sessel zu kommen. Aber es ging nicht. Die Gedanken fraßen seine Muskeln, machten ihn schwach und willenlos. Er musste ihnen weiter folgen, sie zwangen ihn. Konnte nur hoffen, dass die Denkerei irgendwann von alleine aufhören würde. In Zeiten wie dieser fühlte er sich immer unendlich tot. Und die Nacht senkte sich auf sein Gemüt wie das Morgenrot. Angst trat hervor, änderte seine Gedanken, machten ihn Gefühlsirre – kränkelte ihn nieder. Das war der Tag an dem all seine Träume starben, damit er sie endlich leben konnte…
Und er war zurück. Hatte den langen Seeweg endlich hinter sich gebracht und suchte in geahnten Straßen nach irgendwas. Trümmer über Trümmer und über allem - Menschen und Gestöhne. Ihr Jammern und Stöhnen klang fremdartig – wie hinter vorgehaltener Hand. Sie lagen und hockten über den Schutthaufen, an den Schutthaufen, neben den Schutthaufen – hungrig, dreckig, zerrissen – eben vernichtet. Die Wenigen, die gingen, gingen gebückt, langsam, hinkend an Krücken. Sie schauten nicht auf, folgten ihren Füßen, als wüssten die ein Ziel.
Aber auch er hatte kein bestimmtes Ziel. Die Plätze zu denen er hätte gehen können, sind nicht mehr. Nur fremde Menschen mit toten Augen. Überwiegend sieht er Alte, Kranke, Krüppel. Niemand redet mit jemand. Nur ein Murmeln, das jeder bei sich selber führt. Und doch wird er das Gefühl nicht los, auf den Gesichtern Hoffnungsschimmer zu sehen. Er drehte sich eine Zigarette, während er in eine matschige, aufgerissene Straße einbog. Der gleiche Anblick, der gleiche Schmutz, das gleiche Murmeln, der gleiche Tod.
Plötzlich fror er, schlug den Mantelkragen hoch und fror weiter. Wie kalt doch Europa ist! Panikartige Gedanken an Vergangenes schnürten ihm die Kehle. Schweiß aus alten Zeiten brannte in seinen Augen. Verflogene Gefühle brachen erneut aus, stärker, intensiver, verderblicher. Ein nachtloses Schattendasein. Wenn man drinnen erstickt und draußen keine Luft bekommt, wenn man auf dem Nullpunkt steht, in diesem unbekannten, schwarzen, tiefen Loch, wo die Geschehnisse stehen geblieben sind und das Weitergehen schon lange aufgehört hat.
Isoliert in der Seele, losgelöst von allem Vertrautem, getrennt von allen Freunden, schmachten in der eigenen Glaskugel – zeitlos – endlos, mittendrin, dort wo schreien keinen Sinn hat, wo hören keinen Sinn hat. Niemand traut sich zu ihm, niemand will zu ihm. Kaltes Glas stößt warme Gefühle ab, lässt nichts durchdringen – nach keiner Seite. Nur Helle, die man nicht fassen kann. Helle, die Weite vermittelt, die ihm die Enge zeigt. Und er kann nichts tun, gar nichts tun, einfach nichts tun, verdammt noch mal, da gibt’s nichts, was er noch tun könnte!
Eine frostige, leise Stimme in seinen Ohren lässt ihn stehenbleiben. Die Stimme bittet, fleht – und so sind auch die Augen der alten Frau, die vergeblich versucht auf die Beine zu kommen. Ihre kurzen, dicken Arme nach ihm ausgestreckt, jammert sie: ‚Ich bitt’ dich, Brüderchen, hilf mir auf die alten Beine. Ich kann doch nichts dafür, Brüderchen, manchmal wollen sie halt nicht mehr so. Ich bitt’ dich, Brüderchen!’
Sie ist in schwarzblaue Lumpen eingehüllt. Nur die fleischigen Hände und das runde, runzlige Gesicht mit der zu großen, zu breiten Nase und dem mittelschwachstarken Oberlippenbart sind zu sehen. Dickbauschige Augenbrauen hängen weit über die dunklen, tiefen Augenhöhlen und das Ganze ist umhüllt, eingekreist mit Falten und Falten. Die Hautfarbe ist hell und dunkelbraun gesprenkelt.
Er bleibt direkt vor den ausgestreckten Händen stehen, schaut die Alte an und versucht zu lächeln, als er ihr aufhilft. Sie schlingt ihren linken Arm um seine Hüfte und hinkt los.
Er zögert.
‚Bleib nicht stehen, Brüderchen! Ich zeig dir den Weg, den wir gehen müssen.’
Er weiß wirklich nicht, was das bedeuten soll, aber er geht nebenihr, stützt sie, riecht sie, fühlt sie…
Straßen? Gassen? Wege? Er weiß es nicht. Sie gehen und gehen und das Bild der Trümmer ist immer das gleiche, nur die Menschen werden weniger und weniger. Bald sind sie allein, ganz allein und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Konrad Meise
Bildmaterialien: Konrad Meise
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2012
ISBN: 978-3-86479-835-1
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