Die Spiegelei
Neulich im Spiegel. Neulich im Spiegel ist mir als ich grinste aufgefallen, dass es dort im Gesicht im Spiegel – in meinem Gesicht, herrliche Lachfalten um die Augen gibt.
Da gibt es um die Augen herrliche Lachfalten, die, wenn ich grinse, im Spiegel, in meinem Gesicht zu sehen sind. Der mir dadurch verliehene männliche Gesichtszug veranlasste mich ständig, in Gegenwart von Frauen, kräftig zu grinsen. Kräftig grinsend lief ich umher und fühlte die Männlichkeit buchstäblich mir ins Gesicht geschrieben, gedrückt, gefaltet. Kein Spiegel konnte sich meinem Blick entziehen.
Überall, in Schaufenstern, in den blank geputzten Löffeln und wo immer ich mir diese Falten widerzuspiegeln vermochte, schaute ich hinein. Ich schaute grinsend hinein, überall dort, wo ich mich drin sehen konnte. Selbst im milchlosen Kaffee in der Tasse, in dunklen Sonnengläsern meiner Gesprächspartner oder gar bückend im Rückspiegel eines fremden Autos sah ich mir diese Lachfalten genau an. Je kräftiger ich grinste, desto länger zogen sie sich seitlich aus dem Gesicht, desto tiefer und deutlicher traten sie hervor.
Die beste Wirkung erreichte ich, wenn die Sonne seitlich in das schien, in das ich schaute. Die Sonne brachte Schatten in diese Falten und ließ sie mich dadurch deutlicher sehen, auch wenn ich nicht so kräftig lächelte. Auch wenn ich nicht so kräftig grinste, konnte ich diese Falten durch die Mithilfe der Sonne ganz gut sehen. Manchmal, so beim Sitzen und zuhören oder reden, manchmal, schon ohne mein eigentliches Wissen, saß, lehnte ich so, dass die Hand, die Faust beim Aufstützen die Wange so drückte, so nach oben schob, dass dadurch, auch ohne mein Lächeln, diese Falten entstanden.
Diese Freude, dieses Spiel endete neulich, als ich grinste und mir auffiel, dort im Spiegel, im Gesicht, in meinem Gesicht im Spiegel, in dem Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenschaute, dass also in diesem Gesicht diese Falten um die Augen klebten und deutlich sichtbar waren und blieben, selbst als das Gesicht, mein Gesicht dort im Spiegel, selbst als es in diesem Gesicht dort schon lange aufhörte zu grinsen. Das Grinsen dort im Spiegel hörte keineswegs schlagartig auf, sondern nach und nach – und nach Nichtverschwinden der Falten, immer langsamer und vorsichtiger, bis die Gewissheit unausweichlich wurde, dass dort im Gesicht im Spiegel, in meinem Gesicht, welches da aus dem Spiegel schaute, die Falten blieben.
Das Grinsen verschwand, die Falten blieben. Die Falten blieben im Gesicht, dort im Spiegel, selbst kein Ziehen und Drücken und Quetschen halfen dem Gesicht dort, meinem Gesicht im Spiegel, dem Gesicht, dem ich entgegenschaute, die alte Straffheit wieder zu verschaffen.
Das Gewitter
Die Wolken haben sich geschwärzt, habe ich gesagt. Und der Wind hat plötzlich stärker ums Haus gestürmt. Ja, hast du gesagt. Und die Tür vom Geräteschuppen hat auf und zu geknallt und die Katze in Panik versetzt. Die ist dann krallend den Baumstamm empor und auf dem Dach der Garage verschwunden, habe ich gesagt, aber dort ist sie auch nicht zur Ruhe gekommen. Du hast dich dabei umgeschaut und ich habe nicht mehr nach Hause können.
Wir sind im Geräteschuppen gesessen.
Der Sturm hat sich ganz deutlich aufgedrängt.
Du hast meine Hand halten wollen. Nein, sie ist nicht zur Ruhe gekommen, hast du gesagt, die Katze ist vom Garagendach heruntergesprungen. Wie ein Pfeil ist sie auf dem gestapelten Feuerholz gelandet.
Dabei ist ein Scheit vom Haufen gefallen, habe ich gesagt.
Das Scheit ist im Fallen erst der Katze gefolgt und endlich in den Staub des Hofes geknallt.
Du hast schließlich die Tür des Schuppens so verkeilt, dass wir noch nach draußen haben blicken können, hast du gesagt. Wir sind ganz nahe beisammen gesessen, habe ich gesagt. Wir haben durch den Spalt der Tür gestarrt und auf das Kommende gewartet. Endlich verbringen wir einmal mehr Zeit miteinander, hast du gesagt. Du hast gelächelt, habe ich gesagt. Du hast gelächelt und meine Hand fester umklammert. Du bist vom Hauklotz heruntergerutscht und hast dich näher zu mir und auf den alten Autoreifen gesetzt, hast du gesagt und hast den Arm auf meine Schulter gelegt. Du hast gelächelt und meine Hand fester umklammert. Beim ersten, noch fernen Donner, bist du zusammengezuckt, habe ich gesagt. Du hast die Hand ergriffen, die dir von der Schulter hing, meine Hand und hast die an deine Wange gedrückt. Im Hof, den wir durch den Spalt haben sehen können, ist der Staub wirbelnd aufgestiegen, hast du gesagt. Und dann ist es ganz unangenehm dunkel geworden. Zuerst noch haben wir den Donner hören können und die Geräusche des Windes, Sturmes oder die von ihm verursachten Geräusche, habe ich gesagt. Und dann hat sich Ruhe ausgebreitet, hast du gesagt.
Es ist so ruhig gewesen, dass wir die Katze am Holz haben kratzen hören. Schließlich hämmerten sacht die ersten Regentropfen auf das geteerte Schuppendach, habe ich gesagt. Es ist so langsam angefangen, so, als ob es uns nicht erschrecken mochte. Der Sturm ist keineswegs plötzlich gekommen, hast du gesagt. Er hat sich bedächtig hochgeschraubt, habe ich gesagt. Von Nichts zum bedrohlichen Naturereignis, hast du gesagt. Mit dem neu einsetzenden Wind haben wir die Waschküchentür klirren hören, habe ich gesagt. Niemand ist in dem Haus gewesen.
Du bist ohne zu zögern losgerannt, hast du gesagt. Hast die Tür verschlossen und bist mit der Katze auf dem Arm zurück in den Schuppen gekommen. Die Katze ist unbeteiligt zu deinen Füßen gelegen, wo wir ab und an einen kraulenden Finger in ihr Fell bohrten, habe ich gesagt. Ihr Schnurren ist nicht bis zu unseren Ohren gedrungen, hast du gesagt. Aber durch den Finger hast du es spüren können. Am Anfang brachte jeder Tropfen, der im Hof aufschlug, eine kleine Staubfontäne mit sich, habe ich gesagt. Und dann sind da nur noch große Pfützen und verrinnende Wasserstraßen gewesen.
Manchmal, nach einem heftigen Donnerschlag, ist die Katze aufgesprungen, hast du gesagt. Sie ist aufgesprungen, hat umhergeschaut und sich dann zum Putzen und Lecken hingesetzt. Das Trommeln auf dem Teerdach hat unsere Hände wieder verbunden, habe ich gesagt. Nur schwach haben wir den Donner und anderes heraushören können. Du hast deine Füße nah an dich gezogen, weil der Regen durch den Spalt der Tür geschlagen hat, hast du gesagt. Wir haben den Reifen weiter in den Schuppen schieben müssen. Die Katze ist uns ohne Umstände gefolgt, habe ich gesagt.
Das Bügeleisen der Mutter
Und das von der Mutter bewegte Bügeleisen ist ebenso alt wie die Bettwäsche, die sie dort versucht faltenfrei zu bekommen. Man sieht der Wäsche, sowohl auch dem heißen Eisen das Alter sehr deutlich an. Mutter will nichts anderes. Ein neues Bügeleisen und neue Bettwäsche liegen, verpackt wie eh und je, im Kleiderschrank. Sie liegen dort noch neu verpackt in der untersten Ecke des Schrankes.
Mutter bügelt und verbreitet so einen angenehmen, mir seit Kindheit bekannten, warmen Wäschegeruch. Dieser Geruch ist mit dem Freitagabend auf Ewigkeit verbunden. Selbst wenn Mutter mal durch Krankheit oder irgendeinem anderen wichtigen Zwischenfall, nicht an diesem Abend bügelte, habe ich doch meinen können, den Geruch in der Nase zu verspüren, als würde der Geruch einkehren, weil er immer zu dieser Zeit einkehrte. Zu diesem Geruch gehören natürlich noch das dumpfe Aufsetzen des Eisens, das leise Gleitgeräusch und das Zischen der Spucke oder des nassen Taschentuches. Zu diesem Geruch gehört auch noch der Wind beim Zusammenfalten der Bettwäsche. Der Wind, der die Haare ein wenig bewegt und ganz angenehm in die Nase steigt. Selbst das Klirren des Löffels in der Kaffeetasse gehört zum Bügelabend. Und auch das ständige Klick, Klick, Klick, wenn Mutter um die Knöpfe bügelt. Wenn Mutter um die Knöpfe bügelt, tut sie das mit besonderer Sorgfalt. Manchmal, aber nicht immer, gehört zu diesem Bügelabend auch das Summen der Mutter. Das Summen der Mutter und die Geschwindigkeit des Bügelns harmonieren miteinander.
Manchmal ändert Mutter eine Melodie, um sie zum Bügeln anzupassen, und oft ändert sie die Geschwindigkeit des Eisens oder hält gar inne, bis wieder alles harmoniert. Hin und wieder, so zwischen zwei Wäschestücken, einem bereits faltenfrei gebügeltem und einem völlig zerknittertem, steht sie, die Mutter, mit dem Eisen in der Hand, das Eisen sozusagen in der Schwebe und schaut Gedankenverloren aus dem Fenster.
Da steht die Mutter dann einige Sekunden oder Minuten und rührt sich nicht. Schaut nur aus dem Fenster. Bis dann endlich ein Zucken durch ihren Leib fährt, der sich über die Hüften bis zu den Schultern durchkämpft und sich am Hals und am Kopf durch ein plötzliches Nicken am meisten bemerkbar macht. Dann erinnert sie sich des Eisens, des Wäschestückes und sucht, das Eisen immer noch in der Schwebe, und sucht, indem sie mit der anderen Hand das Wäschestück hin und her zerrt, einen Anfang zum Bügeln. Der Bügelgeruch erfüllt nicht nur die Küche, wo Mutter auf dem Küchentisch bügelt, sondern schleicht sich durch den Flur bis hoch in mein Zimmer. Häufig in meinem Zimmer sitzend, noch bevor ich Mutter habe bügeln sehen, roch ich was sie tat. Dann musste ich stets hinunter in die Küche und mich von der Richtigkeit meines Denkens überzeugen. Hin und wieder irrte ich mich, da roch ich ohne das gebügelt wurde.
Aber ob nun gebügelt wurde oder nicht, ich roch es immer nur an diesem bestimmten Abend, um diese bestimmte Uhrzeit der Woche.
Keinmal aufgeschaut
Keinmal aufgeschaut hätte ich, selbst als sie ihr Rufen verstärkte, ich sei einfach weitergegangen und hätte sie und alle anderen und alles andere wie Luft behandelt.
Du hast nichts und niemanden und selbst mich nicht beachtet, sagt sie, du bist einfach weitergegangen. Ich wäre keineswegs auf dem weichen Rasen gelaufen, sondern auf der harten Straße. Auf der harten Straße wäre ich gelaufen und dabei ständig ausgerutscht. Ständig ausgerutscht mit den Schuhen, deren Sohlen mit Eisenstollen versehen waren. Ich wäre damit nicht nur ausgerutscht, ich wäre auch laut gewesen, mit diesen Stollen unter den Fußballschuhen.
Sie sei auf den Sportplatz gekommen mit ihren Freundinnen. Sie habe mich gerufen, von der Seite des Feldes, und weil ich gewunken hätte, sah sie dies als Erkennungszeichen. Sie habe nicht noch mal gerufen, sagt sie, weil sie annahm, dass ich sie hörte, sah. Dort sei sie gestanden und habe leise gegen ihr Dorf zu meiner Mannschaft oder besser zu mir gehalten. Habe mich angefeuert und doch ihrer Freude keinen zu freien Lauf lassen dürfen. Nur wegen mir sei sie gekommen, sagt sie, nur wegen mir und dann habe sie sich doch nicht von ihren Freundinnen einfach so trennen können. Die hätten sie gehalten und zum Bleiben gezwungen. Die seien gekommen, um ihr Dorf anzufeuern. Die wären doch auch wegen ihren Freunden, die allerdings alle aus dem gleichen Ort und somit in der anderen Mannschaft gewesen seien, erschienen.
Sie sei nur wegen mir gekommen, habe aber nicht zu mir gelangen können als das Spiel zu Ende gewesen wäre. Weil alle geblieben seien, wäre ich sofort losgegangen. Hätte mit dem Schlusspfiff den Platz überquert und wäre davongegangen, hätte, so sagt sie, erst noch ständig mit den Schuhen in die Maulwurfhaufen getreten und dann wären alle Haufen flach gelegen und sie sei mir, soweit das die Umstände zugelassen hätten gefolgt und habe gerufen, als ich schon auf der Straße gegangen wäre, habe gerufen, aber ich hätte nicht einmal den Kopf gehoben.
Dabei sei das Spiel, ihrer Meinung nach, sehr freundlich verlaufen, seien die Tore gleichmäßig verteilt gewesen, sagt sie, niemand brauchte sich ärgern ein Spiel verloren zu haben. Alle wären geblieben und hätten gemeinsam gegessen und getrunken und Spaß gehabt. Nur du bist gegangen, sagt sie, und das ohne Warten. Nichtmal gezögert hätte ich. Damals, meint sie, sei sie böse gewesen, weil alle so eine schöne Zeit gehabt haben, sie selbst ausgenommen, weil ich gegangen wäre. Sie habe schwerlich, wenn überhaupt, verstehen können, warum so eine Kleinigkeit mich hätte so zornig machen können, dass ich lieber gegangen wäre als mit ihr zu sein. Das habe sie wirklich nicht verstanden, sagt sie.
Der Elfmeter in den Schlussminuten sei sicherlich kaum so wichtig gewesen. In anderen Spielen, so wusste sie, hätte ich diese Elfmeter doch alle verwandelt. Was also machte einer aus? Es wäre doch zu unwichtig gewesen, um deswegen die Feier zu verpassen.
Sie sagt, sie meinte damals, dass ich die Feier nicht hätte verpassen sollen wegen so einer Kleinigkeit. Sie meinte damals, böse sein zu müssen, weil sie nicht verstand und heute nur vage mitfühlen kann.
Aber ihr Zorn wäre verhaucht wie Luft, wäre weggeblasen wie Rauch, als der Tormann vom eigenem Dorf zu ihr gekommen wäre und sich bedankte mich so abgelenkt zu haben, dass ich durch ihr Dasein so beeinflusst gewesen wäre und den Ball nur lasch und unsicher geschossen hätte. Ich hätte den Ball nur lasch und unsicher geschossen – aus dem Fehler heraus, ihr imponieren zu wollen. Ihr hätte ich imponieren wollen, sagt sie, damals, da sei sie so glücklich gewesen und stolz, dass mein Dasein oder Wegsein plötzlich keine Rolle mehr spielte. Sie sei glücklich gewesen bei dem Gedanken, dass ich ihr imponieren wollte. Mir hast du imponieren wollen! sagt sie, das war sehr wichtig für mich, damals, meint sie. Damals, sagt sie weiter, habe sie mich ein wenig mit einem Pfau verglichen. Damals, sagt sie, dann lächelt sie nur noch.
Das Gefühl
Jüngst ist mir ganz komisch gewesen, weil ich nicht wusste, wie mir eigentlich wirklich geschah. Jüngst ist mir also ganz komisch zumute gewesen. Da drückte es auf mein Gemüt. Auf mein Gemüt drückte es mit einer Wucht, die mich ganz komisch fühlen ließ. Es drückte so vollkommen grundlos oder doch wenigstens so vollkommen versteckend. Zu nichts war mir eine Lust aufgekommen. Selbst das Lustlose schien zu überwältigend anstrengend zu sein.
Der Stuhl auf dem ich saß, hing, konnte kaum tiefer sein. Kaum tiefer konnte es mich in diesen Stuhl auf dem ich saß oder hing hinunterziehen.
Das Gefühl, das mich jüngst so komisch vorkommen ließ, wurde durch ein unbestimmtes Geräusch ausgelöst. Ausgelöst dadurch, weil dieses Geräusch gehört und verstanden wurde. Es gab da also ein Geräusch, welches mich so fremd und fern fühlen ließ. Und dieses komische Fühlen, das mich jüngst so plagte, zittert leicht durch meinen Körper. Leicht durch meinen Körper zittert es bis zur Ekstase, bis es nicht mehr innen gehalten werden kann, bis es nach außen dringt, dringen will. Es zittert und stößt und sucht nach Löchern zum Hinaus dringen, such nach Wegen und Porenöffnungen, um in die Freiheit zu entfliehen. Kribbelig stößt das Blut in den Sackgassen. So energielos da hängen. So da hängen ohne Energien. So hilflos es über mich sich ergehen lassen. Ein Greifenwollen würde das Gefühl nur verschlimmern, verdoppeln. Ich würde es dadurch, dass ich es greifen wollte, nur verschlimmern.
Verschlimmern und die Lage noch unbequemer machen. Und unbequem ist es schon auf alle Fälle. Da drückt es auch von hinten. Ein Stoßen. Sich bewegen sollen. Nun mach doch, will es sich verdeutlichen. Und da stehen nur das auswegslose Grinsen und schüchterne Röte im Gesicht.
Es ist ein tränenhaftes Gefühl. Wie etwa an einem Ozean stehen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2012
ISBN: 978-3-86479-754-5
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