Cover

3.Kapitel
Der Schultag verging kriechend langsam. Ich suchte Herr Barohns verhalten nach Merkwürdigkeiten ab, aber mir fiel nichts auf. Nach der dritten Stunde gab ich auf. Aber dann als er in der vierten Stunde die Hausaufgaben kontrollierte passierte es. Als er bei Janine ankam streckte diese ihre Brüste raus, die in einem tiefen Ausschnitt drapiert waren, und lächelte Herr Barohn lasziv an. Der lächelte höflich zurück aber in seinen Augen blitzte etwas auf. Wütend…schadenfroh….Boshaft? Ich konnte es nicht richtig deuten aber bei diesem Blick lief es mir kalt den Rücken hinunter.
Als es klingelte rief Herr Barohn Janine dazu auf nach der Stunde hier zu bleiben. Sie lächelte ihre Freundinnen siegessicher an, doch ich hoffte nur, er würde sie darauf hinweisen, dass das was sie da getan hatte fast so etwas wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz war. An Melindas Auto angekommen drehte ich mich noch einmal um, in der Hoffnung die deprimierte Janine zu sehen, als mir einfiel, dass ich meine Jacke im Klassenraum vergessen hatte. „Warte kurz!“ rief ich Melinda zu und rannte zurück in das Schulgebäude. Es war wie ausgestorben, kein Wunder denn an einem sonnigen Freitag, wie diesem möchte jeder schnell weg von diesem Ort. Ich schlenderte die leeren Gänge entlang, doch blieb abrupt stehen als ich hörte wie eine Tür aufging. Dann lächelte ich und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es nur ein Lehrer der hier noch etwas erledigen musste. Ich lugte um die Ecke und tatsächlich, es war Herr Barohn, er schloss gerade die Tür zur Abstellkammer. Moment mal…die Abstellkammer?! Was hatte er da gemacht! Hatte er sich etwa auf Janine eingelassen? Er ging pfeifend davon, ich erkannte die Melodie als „The Vampire Waltz“ von Hannah Furry. Als ich seine Schritte nicht mehr hörte, schlich ich mich zur Abstellkammer und griff nach der Klinke. Ich weiß was man erwartet wenn man eine Abstellkammer öffnet. Putzsachen, vielleicht einen kaputten Stuhl und die Fundkiste mit den Sachen von vor drei Jahren. Womit man aber nicht rechnete war, das größte Traume seines Lebens zu bekommen. Ich öffnete die Tür und etwas Schweres fiel mir entgegen. Ich spürte etwas Weiches. Haare. Haare? Ich schaute mir das Etwas genauer an. Ja, Haare, Arme, Beine und kalte weiße Haut. Mir wurde übel die Leiche fiel mir aus den Händen, ihr Kopf drehte sich zu mir, schaute mich aus großen Augen anklagend an. Es war Janine. Oh Gott. Oh Gott, Oh Gott, Oh Gott. Erst als ich die Schritte hörte wurde mir klar dass ich schrie. Nun fing auch jemand neben mir an zu schreien, es war Melinda dass hörte ich. Doch sie hörte bald auf während ich noch weiter schrie, immer noch im Blickkontakt zu Janine. Piep, piep, piep. Melinda rief die Polizei. Erste Lehrer kamen. Der Hausmeister auch. Ich schrie immer noch, verlor mich in den kalten starren Augen. Klatsch! Eine Backpfeife, wahrscheinlich von Melinda. Wie lange Schreie ich jetzt schon? „Aus dem Weg, lassen sie uns durch! Machen Sie bitte Platz!“ Aha, lange genug um die Ankunft der Polizei durch schreien zu unterlegen. Ich werde geschüttelt, von kräftigen Männerarmen, der kühle Duft von Moos umfängt mich. Ich beruhige mich bis ich etwas an Janines Hals bemerke. Zwei Löcher in ihrer Haut, daneben Abdrücke von Zähnen. Kein Blut läuft mehr aus der Wunde, wieso auch? Ich schreie wieder und zeige auf die Wunde. Der Polizist, der mich geschüttelt hatte, holt zischend Luft. Ich fing an zu weinen. „Völlig Blutleer.“ stellt ein jüngerer rothaariger Polizist fest. “wie ausgesaugt.“ Ich schaute mich um. Die traurigen, geschockten und entsetzten Gesichter der Lehrer und vereinzelter Schüler. Aus ihnen stach das unverkennbare Gesicht von Herr Barohn. Ich hyperventilierte. Wieder eine Backpfeife von Melinda. Ich schüttelte mich. Der auffang Polizist stellte mir Fragen. Wann habe ich die Leiche entdeckt. Wer ist das? Wieso bin ich noch mal zurückgekommen? Und dann: „Fräulein, wieso haben sie die Abstellkammer geöffnet. Ich überlege fieberhaft, was soll ich tun? „Ich habe jemanden gesehen…“ „Konnten sie denjenigen beschreiben? War es ein Mann oder eine Frau?“ „Ein Mann.“ murmele ich. „Wie sah er aus?“ Scheiße! „Ehm, ich hab ihn nicht genau gesehen, aber er war groß und schlank.“ Mehr sagte ich nicht, die Polizei sperrte den Tatort ab und brachte Janine fort. Der Rothaarige kam zu mir und fragte mich, ob ich vielleicht einen Seelsorge Kurs von der Polizei machen wollte, da ja ich unter Schock stehe. Ich schüttele den Kopf. „Ich möchte nur nach Hause.“ murmelte ich. Melinda legte einen Arm und mich und sagte: „Ich fahre sie nach Hause!“ Wir gingen, während die Anderen respektvoll von uns abwichen und uns mit ernsten Augen anguckten. Auch Herr Barohn stand dort und schüttelte bedauernd den Kopf. Auf seinem weißen Hemd, saß ein blutroter, aber unauffälliger Fleck. Oh, mein Gott! In Melindas Auto brach ich auf dem Sitz zusammen und fing wieder an zu zittern. „Debbie!“ rief sie. „W…w…was?“ „Du hättest das Angebot vom Polizisten annehmen sollen, guck dich doch mal an! Du siehst aus wie ein Häufchen Elend!“ Ich warf ihr einen zornigen Blick zu. Während ich mich anschnallte rief ich, fast hysterisch: „Ich wäre ja hingegangen, unter anderen Umständen! Du hast ja nicht gesehen was ich gesehen hab!“ „Dann könntest du mich verdammt noch mal aufklären!“ fauchte sie. Jetzt wurde ich leise. „Ich bin nicht hingegangen weil ich gelogen hab, ich konnte den Täter genau erkennen.“ Sie sah mich mit großen Augen an. „Wer war es?“ „Herr Barohn.“ Die Worte kamen sachlich aus meinem Mund, ohne jegliche Gefühle oder Zweifel. „Was?!“ schrie Melinda und bemerkte nicht, dass sie über eine rote Ampel fuhr. „Das kann nicht sein!“ „Aber es war so!“ Sie schüttelte mechanisch den Kopf. „Das ist doch total unlogisch! Ich meine, Janine hat ihn genervt aber wegen so was bringt man doch niemanden um!“ „Aber ich habe Blut auf seinem Hemd gesehen!“ Du hättest es der Polizei sagen sollen!“ „Melinda, Herr Barohn ist ein neuer Lehrer, geheimnisvoll, wunderschön und kalt wie eine Leiche. Ein Mädchen hat sich an ihn rangemacht und wird plötzlich tot aufgefunden mit zwei Löchern im Hals und völlig blutleer, weißt du wie sich das anhört?“ Ich hörte förmlich da Klicken in ihrem Kopf. „Wie eine Vampirgeschichte.“ sagte sie verblüfft. „Genau, und glaubt man in dieser Gesellschaft an Vampire?“ „Nein.“ Wir waren bei meinem Haus angekommen. „Siehst du!“ sagte ich und schnallte mich ab. „ Sie hätten mich für verrückt befunden!“ Wieder schüttelte sie den Kopf, aber nicht so energisch wie vorher. „Ich glaube ich komme besser mit rein, damit du nichts Dummes anstellst!“ Ich nickte nur. Es war gut dass sie sich entschlossen hatte bei mir zu bleiben, denn meine Hand zitterte so sehr, dass ich den Schlüssel nicht in das Schloss bekam und sie aufschließen musste. Mir währe es lieber gewesen wenn Mom da gewesen wäre, und mich in ihrer weichen, vertrauten Arme genommen hätte. Aber sie war fast am anderen Ende der Welt. „Ich mach dir eine Tasse Tee.“ sagte Melinda und lief in die Küche. „Ich nehme ein Bad.“ rief ich während ich die Treppe nach oben lief. Wasser beruhigte mich einfach, vor allem wenn es warm war. Ich machte die Wanne randvoll und ließ Rosenschaumbad ein. Dann stellte ich Kerzen drum herum und legte mich hinein. Sofort entspannten sich meine verkrampften Muskeln. Melinda brachte mir meinen Tee und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Badewanne. „Erinnerst du dich noch daran, dass wir mal unser eigenes Schaumbad machen wollten?“ fragte Melinda. Ich lachte. „Ja, dass war unser Kreations-Trip. Wir haben einfach alle Badeextrakte und Schaumbäder die wir hatten zusammen geschmissen und am Ende hat es nach Scheiße gestunken!“ So schwelgten wir in alten Erinnerungen. Wie wir mit versucht hatten Schönheitsmasken zu machen, die dann aber eher an Salat-Dressing erinnerten als an eine Maske. Wie wir unsere eigene Kleidung machen wollten, was in einem Nadelfiasko endete oder wie wir ein Foto von uns beiden an einem Ballon befestigt hatten und diesen in die Luft steigen ließen. Ich wurde zwar langsam ruhig, aber ein kleiner Teil von mir schaute immer noch in Janines leblose Augen. Langsam wurde das Badewasser kalt du die Kerzen brannten hinunter Melinda schaute geflissentlich weg als ich ausstieg, mich abtrocknete und mich schließlich in meinen Bademantel einwickelte. Sie sah mich an, runzelte die Stirn und sagte: „Du hast dich zwar soweit beruhigt aber deine Augen, sehen immer noch genauso aus wie vorher. Ich werde heute Nacht bei dir schlafen“ Und der Ton den sie anschlug ließ klar werden dass man sie nicht umstimmen konnte. Das wollte ich auch gar nicht, ich könnt es jetzt nicht aushalten, alleine zu sein. Melinda rief also ihre Mutter erklärte ihr die Situation und schon nach fünf Minuten stand sie mit Melindas Sachen an der Tür. „Du armes Mädchen!“ rief sie und umarmte mich. Frau Kingsley war eine rundliche, nette Dame, die immer für einen da war. Sie hatte mir sogar eine Tafel Schokolade mitgebracht, als “Nervennahrung“. Nachdem sie mich fünfmal fragte ob sie noch etwas für mich tun könnte fuhr sie weg und wir bereiteten Melindas Schlafplatz vor. „Lass uns einen Film gucken.“ schlug ich vor, denn ich wollte noch nicht schlafen. „Von mir aus. Wie wär’s mit Brokeback Mountain das ist doch dein Lieblingsfilm.“ Ich schüttelte den Kopf, ich würde eh wieder heulen, wenn Jack stirbt und ich wollte irgendetwas Lustiges und Oberflächliches sehen. Also entschied ich mich für Hello Dolly. Der Film beruhigte mich. Die Leute hatten so einfache Beschwerden wie, „Oh-Gott-ich-finde-keine-anständige-Frau“ oder so ähnlich. Langsam sank ich in den Schlaf, bekam die Endsequenz nur noch halb mit. Das letzte an das ich mich erinnern konnte war, das Melinda mich hochhub und mich die Treppe hinauf zu meinem Bett trug.

In meinem Traum war alles grell. Ich war umhüllt von Mustern in allen Farben, alles drehte sich sodass meine Augen wehtaten. Dann wurden die Muster nach oben gezogen und ich stand im Dunkeln. Ein Lichtstrahl fiel auf einen Fleck unmittelbar vor mir. Dort standen Herr Barohn und Janine in Kleidern nach viktorianischer Art. Doch es war die tote Janine, die Herr Barohn dort in den Armen hielt. Sanfte Geigen fingen an zu spielen und die Beiden tanzten. Wobei sich bei Janine nur die Beine bewegten, der Rest schlackerte schlaff umher, und ihr Kopf rollte von der Einen zur anderen Seite. Als das Stück endete ließ Herr Barohn Janine fallen und sie versank im Boden. Herr Barohn sah mich an, lächelte und kam auf mich zu. „Jetzt bist du an der Reihe.“ Sagte er mit sanfter, verführerischer Stimme. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Kleid im gleichen Stil war wie das von Janine. Herr Barohn zog mich in den Lichtpunkt und ich konnte nichts dagegen tun. Das nächste Stück fing an und Herr Barohn, tanzte mit mir so eng wie mit Janine. Ich schaute auf den Boden und sah unter ihm, wie durch Wasser, Körper. Mädchenkörper, alle blass, blutleer. Entsetzt schaute ich in Herr Barohns Gesicht. Er beugte sich zu mir und öffnete seinen Mund. Seine Eckzähne waren spitz und messerscharf. Er beugte sich zu meinem Hals, ich wusste was mit mir passieren würde. Also schrie ich.

Impressum

Texte: Photo: Made by me
Tag der Veröffentlichung: 03.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /