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Heimkehr

Es war bereits nach zehn, als er ihr Haus erreicht hatte. Ob das wirklich eine gute Idee gewesen war? Vielleicht gab es Heather das Gefühl, dass er sie für schwach hielt oder sie bevormunden wollte. Noch konnte er umkehren. Dennoch entschied David sich dafür, mit ihr zu reden.

Er parkte sein Auto und stieg aus. Eine Weile stand er noch gegen seine Autotür gelehnt da und grübelte. Dann überquerte er die um diese Zeit vollkommen leere Straße und öffnete vorsichtig das kleine Gartentürchen. Es quietschte. Seine Schritte knirschten auf dem Kies.

 

 ***

 

Es klopfte. Heather sah von ihren Unterlagen auf und blickte zur Tür. Wer wollte denn um diese Zeit noch etwas von ihr? Seufzend stand sie vom Sofa auf und ging in den Flur. Als sie die Tür öffnete, war sie überrascht.

"Captain!"

David nickte. "Parker."

Tja. Nun war er hier. Und er hatte sich nicht einmal eine gute Ausrede zurechtgelegt, sie um diese Zeit zu besuchen.

"Darf ich reinkommen?"

"Natürlich." Heather trat beiseite und David schloss die Tür hinter sich. Im Wohnzimmer sah er die Unterlagen, welche quer über den gesamten Tisch verstreut waren. Er runzelte die Stirn. "Sie arbeiten noch?"

Heather nickte. "Wollen Sie auch einen Tee?"

"Nein. Danke."

Heather ging in die Küche, um Wasser aufzusetzen. David folgte ihr.

"Sir..."

"Parker..."

Stille.

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. "Sie zuerst."

Heather schüttelte den Kopf. "Ich wollte Sie nur fragen, ob es einen bestimmten Grund gibt, aus dem Sie so spät noch herkommen."

David sah zu Boden. Dann nickte er langsam, doch Heather konnte es nicht sehen. Sie holte sich gerade eine Tasse aus dem Schrank und suchte nach einem Teebeutel.

"Der Stabsarzt hat mit mir gesprochen", meinte David nur.

Heather hielt in der Bewegung inne und seufzte. Dann drehte sie sich zu ihm um.

"Sir, ich verspreche Ihnen, in zwei oder drei Tagen bin ich wieder völlig in Ordnung und einsatzbereit. Lieutenant Schubert übernimmt solange meine Aufgaben."

David unterbrach sie mit einer kurzen Handbewegung. "Deswegen bin ich nicht hier."

Heather zog die Augenbrauen nach oben.

"Ehrlich gesagt, ich mache mir Sorgen."

"Sir?" Heather wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Das Teewasser kochte und ließ ihr so ein wenig mehr Zeit. Sie goss es in die Tasse und gab ein Stückchen Zucker dazu. Betont langsam suchte sie in der Besteckschublade nach einem Löffel. David wartete, bis sie ihn wieder ansah.

"Ich glaube... Sie sind in letzter Zeit etwas überfordert."

"Sir. Das sind nur Kopfschmerzen. Geben Sie mir zwei Tage, mehr nicht."

"Und dann?"

Ein fragender Blick war die Antwort.

"Ich meine, wenn Sie in zwei Tagen wieder im Dienst sind... Sie brauchen Urlaub, Parker. Mehr als zwei Tage."

Heather sah betroffen zu Boden. Sie nahm den Teebeutel aus ihrer Tasse, drückte ihn mit dem Löffel aus und warf ihn in den Müll. Dann stieß sie sich von der Tischkante ab, an die sie sich angelehnt hatte, und ging zurück ins Wohnzimmer.

Wieder folgte David ihr wortlos.

"Was macht Sie da so sicher?", wollte Heather wissen.

David zuckte mit den Schultern. Wie sollte er ihr das erklären? Es war ein Gefühl. Ihre Erschöpfung schien in jeder ihrer Bewegungen zu liegen, Gesten und Blicke wirkten müde und stumpf. Und seit einiger Zeit fehlte ihr diese Energie, die sie stets ausstrahlte, die er spüren konnte, wenn sie in seiner Nähe war. Sie war eine seiner wichtigsten Militärs. Doch in letzter Zeit waren ihr bei einfachsten Kalkulationen immer wieder Fehler unterlaufen und sie vergaß wichtige Termine. Heather war völlig überarbeitet und die Stabsärztin hatte ihm anvertraut, dass es ernst war.

Er kannte das Gefühl von Überforderung. Mit all den Dingen umzugehen, die ihnen täglich im Einsatz begegneten, war niemals einfach. Die letzten zwei Jahre waren hart gewesen und jetzt wieder Zuhause zu sein konnte nicht alles ungeschehen machen.

Ein Seufzen entwich ihm und er sah sie lange an. Zaghaft hob sie die Tasse an und blies sanft darüber. Der Dampf wich ihrem Atem und kleine Wellen bildeten sich auf der Oberfläche. Heather benetzte ihre Lippen und nahm dann vorsichtig einen Schluck. Selbst diese einfache Bewegung strahlte Müdigkeit aus. Über dem Glanz ihrer Augen lag ein Schleier.

"Wir brauchen alle Urlaub", versuchte David, das Thema zu verallgemeinern.

Heather schloss die Augen und nahm einen weiteren Schluck. Dann setzte sie die Tasse ab und stellte sie neben sich auf die Kommode. Langsam schüttelte sie den Kopf.

"Nein. Sie haben Recht. Ich bin es. Nur ich." Sie sprach leise, flüsterte fast und es schien, als würde sie es mehr zu sich selbst sagen. David sah zu Boden. Er hasste solche Situationen. Er war einfach nicht gut darin, andere zu trösten. Und schon gar nicht sie.

Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass Heathers Augen glasig schimmerten und sich ihr Blick irgendwo in der Ferne verloren hatte. Wie sie dort stand, die Arme um sich geschlungen, wirkte sie so schrecklich hilflos.

David konnte nicht anders. Er überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz, die zwischen ihnen lag und legte ihr eine Hand auf den Arm. Zaghaft berührte er dann ihre Schulter und zog sie zu sich. Heather ließ es erst nur zögernd geschehen, doch als David dann behutsam auch den zweiten Arm um sie legte, vergrub sie ihren Kopf schluchzend an seiner Schulter und krallte sich in seine Jacke.

David strich ihr zärtlich über die Haare und flüsterte leise beruhigende Worte. Eine Weile standen sie einfach nur da. Es war still im Haus und nur ab und zu drang dumpf Heathers Schluchzen zu ihm hervor. Er spürte, wie sie zitterte, ob vor Kälte oder aus Verzweiflung wusste er nicht.

Nach und nach wurde sie ruhiger. David schloss sie fester in seine Arme und fuhr ihr mit der Hand in gleichmäßigen Bewegungen über den Rücken. Langsam entspannte sie sich wieder. Doch auch, als kein Laut mehr zu ihm vordrang, ließ sie ihn nicht los.

Vorsichtig, fast schon ängstlich, lockerte David seinen Griff und trat einen Schritt zurück. Er hob ihr Kinn an, damit sie ihn ansehen musste. Ihre Augen waren rot und die Pupillen geweitet. Zärtlich strich er ihr eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und fuhr mit den Fingerkuppen die Konturen ihres Gesichtes nach. Heather lächelte, zögernd, dankbar. David erwiderte es und durchbrach schließlich die Stille.

"Sie sollten schlafen gehen."

Heather nickte.

"Ich..."

David sah sie fragend an, doch sie schüttelte den Kopf. "Schon gut." Sie senkte den Blick wieder zu Boden.

"Hey", meinte er und sie sah ihn wieder an.

"Das hat nichts mit Schwäche zu tun oder damit, dass Sie eine Frau sind. Wir haben alle mal solche Phasen."

Heather nickte wieder nur, doch David war sich nicht sicher, ob seine Worte sie erreicht hatten.

"Captain, vielleicht...", setzte sie an, verstummte jedoch wieder. Dann presste sie die Lippen aufeinander und meinte: "Vielleicht sollten Sie jetzt besser gehen."

Und da begriff David, was sie sich nicht auszusprechen traute. Sie wollte nicht alleine sein. Nicht mit diesem Gefühl der Kälte in sich. Sie wollte nur, dass er hier blieb, damit sie wusste, dass da jemand war, dem sie etwas bedeutete. Doch sie konnte ihn nicht fragen. Weil es verboten war. Sie hatten die Grenze bisher nie überschritten. Da waren nie mehr als freundschaftliche Gesten und Berührungen gewesen. Aber wieso sollte das dann verboten sein?

Er würde nur diese eine Nacht hier bleiben, als guter Freund, um ihr das Gefühl von Geborgenheit zu geben, dass sie so dringend brauchte.

"Nein", meinte er schließlich kopfschüttelnd. "Ich werde Sie nicht alleine lassen. Nicht heute Nacht."

In Heathers Blick lagen tausend Fragen. Sie setzte an, um etwas zu erwidern, doch David hielt sie zurück.

"Ich kenne dieses Gefühl, Heather. Und ich weiß, dass jede Minute zur Qual wird, die man allein damit fertig werden muss. Sie werden jetzt schlafen gehen, und ich werde hier bleiben. Die ganze Nacht. Ich werde einfach hier sein, als ein guter Freund, verstehen Sie?"

Er sah ihr direkt in die Augen und Heather nickte langsam. Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie spürte, wie irgendetwas in ihr wärmer wurde. Er würde da sein. Einfach so. So, wie er schon immer gewesen war, wenn sie ihn wirklich brauchte. Und er würde es auch in Zukunft immer sein.

"Gute Nach, Heather", meinte David. Heather nickte erneut und ging dann in ihr Schlafzimmer. Als sie die Tür hinter sich geschlossen, sich unter der Decke verkrochen und das Licht gelöscht hatte, murmelte sie leise: "Gute Nacht, David."

 

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Tag der Veröffentlichung: 10.03.2016

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