ERIC FRANK RUSSELL
PLANET DER VERBANNTEN
- Galaxis Science Fiction, Band 46 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
PLANET DER VERBANNTEN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Das Buch
Nachdem auch die siebzehnte Marsrakete, wie ihre sechzehn Vorgängerinnen, auf unerklärliche Weise explodierte, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte, beschließt John J. Armstrong, der Sache nachzugehen. Er ist an der Konstruktion der achtzehnten Rakete beteiligt und will verhüten, dass ihr dasselbe Schicksal widerfährt, zumal sein Freund George Quinn die Rakete steuern soll. Doch seine Nachforschungen drohen schon im Keim zu ersticken. Bei einem Fernseh-Telefongespräch mit dem Raketentechniker Professor Robert Mandle ist er Zeuge, wie dieser während der Unterhaltung auf geheimnisvolle Weise ermordet wird. Wem nützt es, dass die Raketen ihr Ziel nicht erreichen, und warum setzen sich namhafte amerikanische Senatoren so nachhaltig dafür ein, dass das gesamte Projekt aufgegeben wird? Armstrong forscht auf eigene Faust weiter und gerät in den Strudel einer Verschwörung gigantischen Ausmaßes...
PLANET DER VERBANNTEN von Eric Frank Russell (geboren am 6. Januar 1905 in Sandhurst, Surrey; gestorben am 28. Februar 1978 in Liverpool) erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
PLANET DER VERBANNTEN
Erstes Kapitel
Die vorzeitige Explosion der siebzehnten Raumkapsel auf dem Weg zum Mars ereignete sich im Jahre 1982. Das wirbelte natürlich eine Menge Staub auf.
Dafür gab es zwei Gründe. Erstens boten sich zu dieser Zeit gerade keine anderen Sensationsmeldungen für die Schlagzeilen der Presse. Zweitens war diese Raumkapsel bemannt gewesen. An die Fehlschläge der sechzehn vorangegangenen Raumkapseln zum Mars hatte sich die Öffentlichkeit längst gewöhnt. Der kleine Mann auf der Straße nahm diese Fehlschläge ebenso hin wie etwa den gelegentlichen Absturz eines Flugzeugs. Die Liste der Raumkapseln, die den Mars nicht erreicht hatten, umfasste acht amerikanische, fünf russische, eine britische, eine französische und eine kanadische. Alle waren unbemannt und ferngesteuert gewesen. Es hatte eine Unmenge Dollar, aber keine Menschenleben gekostet.
Die Öffentlichkeit verlangte Erklärungen für diese andauernden Fehlschläge. Im Grunde genommen gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder waren die Techniker doch nicht so unfehlbar, wie sie immer behaupteten, oder der Flug der Raumkapseln wurde von irgendeiner Organisation sabotiert.
Als dann jedoch Mikischenko in einem Unternehmen, das dreißig Millionen Rubel gekostet hatte, mit seiner Kapsel explodierte, sah die Sache plötzlich ganz anders aus. Die Russen konnten jedenfalls nicht dahinterstecken. Erneut schob man den Technikern die Schuld in die Schuhe.
So war die Lage, als John J. Armstrong im Herald einen Artikel von Professor Mandle las. Der Professor vertrat die Ansicht vom Vorhandensein eines tödlichen elektro-magnetischen Strahlenfeldes, das den Mars in einer Entfernung von etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend Kilometern umgab. Das war ein völlig neuer Aspekt, über den es so gut wie keine Unterlagen gab.
Armstrong war ein großer, breitschultriger Mann, der mit der Geschwindigkeit einer Lokomotive durchs Leben stürmte, wenn auch nicht so laut. Er beugte seine zwei Zentner ein wenig vor und studierte den Artikel auf dem Bildschirm seines Fernsehgeräts.
Nach einer Weile wählte er auf dem Vidoefongerät Professor Mandles Nummer. Das jugendliche Gesicht des Professors erschien auf dem kleinen Bildschirm.
»Sie werden mich vermutlich nicht kennen. Ich bin John J. Armstrong und an der Konstruktion der achtzehnten Raumkapsel beteiligt, die zurzeit in New Mexico entsteht. Nach Lage der Dinge bleibt abzuwarten, ob diese Konstruktion je beendet werden wird.«
»Ja, die Situation ist mir bekannt«, bestätigte Mandle.
»Ich habe Ihren Artikel im Herald gelesen«, fuhr Armstrong fort, »und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen. Besteht Ihrer Ansicht nach eine Möglichkeit, dieses Kraftfeld zu messen, ohne dabei gleich eine Explosion der Kapsel herbeizuführen? Und zweitens, halten Sie es für möglich, dass dieses Kraftfeld überhaupt durchdrungen werden kann?« Er legte eine kurze Pause ein und fragte weiter: »Oder wird der Mars für uns immer unerreichbar bleiben?«
»Nun«, antwortete Mandle, »es dürfte nicht mehr der geringste Zweifel daran bestehen, dass die Erde von einem derartigen Kraftfeld umgeben ist. Ergo dürfte auch der Mars von einem umgeben sein, wenn auch vielleicht von anderer Beschaffenheit. Elf der siebzehn Raumkapseln sind in einer Entfernung von fünfzehn- bis zwanzigtausend Kilometern vom Mars explodiert, nachdem sie fünfundneunzig Prozent der Reisestrecke bereits hinter sich hatten. Es handelt sich also Um ein Phänomen, das auf einem bestimmten Gesetz beruht.«
»Hmmm«, machte Armstrong. »Die restlichen sechs sind nicht mal so weit gekommen. Zwei von ihnen explodierten bereits in der Umlaufbahn um die Erde.«
»Wir müssen den menschlichen Faktor berücksichtigen; unpräzise Arbeitsausführungen, fehlerhafte Berechnungen und dergleichen mehr. Alle diese Kapseln waren unbemannt, und deshalb tappen wir größtenteils noch immer im Dunkeln. Trotz aller Anstrengungen war es unvermeidlich, dass die ersten dieser Kapseln explodierten, noch ehe sie den kritischen Punkt in Marsnähe erreichten.«
Armstrong rieb sich das kantige Kinn.
»Mag sein, aber nachdem die Kapseln das Kraftfeld der Erde mühelos durchstießen, verstehe ich nicht recht, warum sie in einem Kraftfeld des Mars explodieren sollten, falls dort ein derartiges Kraftfeld überhaupt existiert.«
»Weil dieses Kraftfeld eben von anderer Beschaffenheit ist«, erwiderte Mandle ungeduldig. »Ich kann seine Existenz begreifen, ohne etwas von seiner Natur zu wissen. Vielleicht löst es die Explosion des Kraftstoffs aus oder der Metallwandung. Ich persönlich neige zu der Ansicht, dass es zu großer Hitzeentwicklung kommt, wie etwa beim Eintritt eines Meteors in unsere Atmosphäre, der ja auch verglüht. Unter Umständen besteht die Möglichkeit, das Kraftfeld zu durchdringen, indem man die Geschwindigkeit der Raumkapsel stark drosselt.«
»Diese achtzehnte Kapsel soll bemannt werden«, versetzte Armstrong grimmig. »Ein Mann namens George Quinn ist ausgebildet worden, um den Platz in der Nase der Kapsel einzunehmen. Wir wollen natürlich nicht, dass er mit der Kapsel explodiert oder verglüht. Wie aber können wir das verhindern?«
Mandle zögerte und dachte eine Weile nach.
»Der einzige Vorschlag, den ich Ihnen machen könnte«, sagte er langsam, »wäre, eine ferngesteuerte Kapsel vorausfliegen zu lassen. Wenn beide Kapseln in ständiger Verbindung stehen und – und -« Seine dunklen Augen waren fest auf Armstrong gerichtet. Sein Gesicht verschwand nach und nach vom Bildschirm. Armstrong wartete eine Weile darauf, dass das Gesicht wieder auftauchen würde. Schließlich wurde er ungeduldig und drückte auf den Vermittlungsknopf.
»Ich habe gerade mit Professor Mandle unter der Nummer Westehester 1042 gesprochen«, beschwerte er sich. »Was ist denn passiert?«
»Bedaure, Sir«, kam die Antwort nach einer knappen Minute, »aber der Teilnehmer meldet sich nicht.«
»Wie lautet seine Adresse?«
»Bedaure, Sir, aber die Adressen unserer Teilnehmer dürfen wir nur der Polizei mitteilen.«
»Dann verbinden Sie mich mit der Polizei von Westchester«, brummte er.
Kurz darauf meldete sich der zuständige Beamte.
»Hier spricht John J. Armstrong, Greenwich 5717. Irgendetwas stimmt nicht in der Wohnung von Professor Mandle, Westchester 1042. Fahren Sie bitte sofort zu seinem Haus.« Er trennte die Verbindung, wählte die Nummer des Herald und ließ sich mit der Nebenstelle zwölf verbinden.
»Guten Morgen, Bill. Kannst du mir gleich die Adresse von Professor Mandle geben, dessen Artikel in eurer heutigen Ausgabe erschien?« Er wartete ein paar Sekunden und brummte. »Danke. Ich ruf dich später nochmal an.«
Er nahm seinen Hut, eilte aus dem Haus, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass Professor Mandle ihm nichts mehr sagen würde – nie mehr.
Mandle würde tatsächlich nie mehr etwas sagen. Er lag auf dem Teppich, und sein Gesicht zeigte keinerlei Spuren eines Todeskampfes.
Ein graubärtiger Beamter stand über den Toten gebeugt und blickte auf.
»Sie sind der Armstrong, der uns angerufen hat? Das nenne ich geistesgegenwärtig. Wir sind sofort hergefahren, aber leider zu spät gekommen.«
»Welches ist die Todesursache?«, fragte Armstrong.
»Lässt sich noch nicht sagen. Es sieht aus, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben. Genaueres wird die Obduktion ergeben.« Er sah Armstrong forschend an. »Machte er bei der Unterhaltung mit Ihnen einen besonders erregten Eindruck?«
»Nein, soweit ich es auf dem kleinen Bildschirm beurteilen konnte, wirkte er völlig normal.« Er blickte auf den Toten hinunter. »Dürfte kaum dreißig Jahre alt sein, was? Ein bisschen ungewöhnlich bei diesem Alter, meinen Sie nicht auch?«
»Ganz und gar nicht«, brummte der Beamte. »So etwas kommt alle Tage vor.« Er wandte sich an einen Kollegen. »Ist der Leichenwagen schon da?«
»Jawohl, Cap.«
»Gut, lassen Sie ihn wegschaffen. Weiter ist hier nichts zu tun.« Er wandte sich wieder an Armstrong. »Wenn Sie Wert darauflegen, gebe ich Ihnen das Resultat der Obduktion telefonisch durch. Greenwich 5717, sagten Sie?«
»Stimmt.«
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein. Ich hatte ihn wegen einiger technischer Fragen angerufen. Es war ein ziemlicher Schlag für mich, als er mit einem Mal vom Bildschirm verschwand.«
»Kann ich mir denken.« Der Beamte setzte sich den Hut auf. »Na, man gewöhnt sich daran.« Damit verließ er den Raum.
Armstrong suchte Bill Norton in der Redaktion des Herald auf und fuhr mit ihm zu einem kleinen Restaurant, das für seine Steaks berühmt war.
»Mandle ist tot«, sagte er nach dem Essen. »Er starb, während er sich mit mir unterhielt. Verteufelte Sache.«
»Ich hab schon schlimmere Sachen gehört«, erwiderte Norton. »Da war zum Beispiel der Fall dieses Mannes, der plötzlich überschnappte und...«
»Lass die journalistischen Reminiszenzen!«, fiel Armstrong ihm ins Wort. »Jetzt weiß ich nicht, ob was an Mandles Theorie dran war oder nicht. Wenn etwas dran war, muss ich es unbedingt erfahren.«
»Zu spät, zu spät«, murmelte Norton. »Der Strom der Zeit hat dich überholt.« Er blickte auf seinen Teller. »Jedenfalls danke ich dir für das Steak.«
»Zum Henker mit dem Steak!« Armstrong stützte die Ellbogen auf den Tisch, dass er in allen Fugen krachte. »War Mandle eigentlich auf seinem Gebiet ein anerkannter Experte?«
»Das kannst du von Ferguson erfahren, denn der hat Mandles Artikel gekauft und veröffentlicht. Meines Wissens wären es Mandles Erkenntnisse und Theorien wert gewesen, in Stein gehauen und von einer kommenden Generation an die nächste weitergereicht zu werden.«
»Du könntest mir einen Gefallen tun und mich durch Ferguson mit einem Mann in Verbindung bringen, der sich auf das gleiche Gebiet spezialisiert hat.«
»Wenn man dich so hört, könnte man meinen, für dich steht eine Menge auf dem Spiel.«
»Nun, unter anderem habe ich Quinn mit einer nagelneuen Farbfilmkamera und ausreichend Filmmaterial versorgt. Das Ding hat mich zwanzigtausend Dollar gekostet, und dafür sind mir alle Vorführungsrechte eingeräumt worden. Irgendwie gefällt mir dieser Quinn, und mir liegt daran, dass er heil zur Erde zurückkommt, ohne sich den Hintern anzusengen.«
»Wie nett von dir!« Norton stand auf, klopfte sich auf den Magen und seufzte zufrieden. »Ein Jammer, dass diese Raumkapseln alle viel zu weit von der Erde explodieren, um sensationelle Fotos abzugeben. Könntest du diesem Quinn nicht gut zureden, dass er seine Kapsel unmittelbar über New York explodieren lässt – vorzugsweise so, dass wir das Empire State Building mit aufs Bild bekommen?«
Damit verabschiedete er sich, und Armstrong bestellte sich noch eine Tasse Kaffee.
Es dauerte nicht lange, bis Norton sich telefonisch meldete.
»Fergie hat mir Mandles Manuskript gezeigt. Ich verstehe natürlich nicht viel von diesem wissenschaftlichen Kram, aber Fergie scheint sehr viel von Mandles Erkenntnissen und Theorien zu halten.«
»Was sonst noch?«, fragte Armstrong.
»Ach ja, der beste Ersatz für den verblichenen Mandle wäre Professor Mandle.«
Armstrong starrte eine Weile stumm auf den kleinen Bildschirm, während Norton keine Miene verzog.
»Sag das nochmal!«, brummte Armstrong.
»Als einziger wissenschaftlich gebildeter Nachfolger von Mandle kommt Professor Mandle in Frage. Die Verbindung scheint bei mir ganz in Ordnung zu sein – oder ist vielleicht etwas mit deinem Gerät los?«
»Ich habe dich genau verstanden. Übrigens finde ich das gar nicht komisch.«
»Ich will auch gar nicht komisch wirken.« Er schnitt eine Grimasse. »Claire Mandle.«
»Eine Frau!«
»Seine Schwester.«
»Hmmm«, murmelte Armstrong beeindruckt.
Norton wurde ernst.
»Fergie behauptet, sie wäre eine ebensolche Kapazität auf diesem Gebiet wie ihr Bruder. Seiner Ansicht nach gäbe es überhaupt nur noch einen Koryphäen auf diesem Gebiet, und zwar einen gewissen Horowitz, der in Wien lebt und wirkt.«
Armstrong bedankte sich und trennte die Verbindung. Kurz darauf rief der Captain der Polizei an, den Armstrong in Mandles Haus getroffen hatte.
»Der Obduktionsbefund lautet: auf cardiac thrombosis«, sagte er. »Das bedeutet in der Laiensprache schlicht und ergreifend: ein Blutpfropfen im Herz.«
»Also ein natürlicher Tod?«
»Natürlich!«, sagte der Captain gereizt. »Warum auch nicht?«
»Na, war nur eine Frage«, beruhigte ihn Armstrong. »Ich bin schließlich kein Spezialist für Gefäßkrankheiten.«
Der Captain wurde noch gereizter.
»Falls Sie auch nur den entferntesten Verdacht hegen, es sei Gewaltanwendung im Spiel, so ist es Ihre Pflicht, uns das zu sagen!«
»Jaja, schon gut.«
Nachdem der Captain abgeschaltet hatte, spielte Armstrong mit dem Gedanken, sich mit Claire Mandle in Verbindung zu setzen. Er entschloss sich jedoch, noch ein wenig zu warten, denn sie hatte bestimmt mit der Beerdigung alle Hände voll zu tun. In der Zwischenzeit konnte er nach New Mexico fliegen und nachsehen, wie weit die Konstruktion gediehen war.
Zweites Kapitel
Die Konstruktionsanlagen in New Mexico standen etwa achtzig Kilometer nördlich von Gallup. Der einzige Vorteil dieses Geländes bestand in der Tatsache, dass es billig gewesen war. Hier war vor zwanzig Jahren die erste Raumkapsel zum Mars gebaut und abgeschossen worden. Nach der Explosion der Kapsel waren die Anlagen jahrelang unbenutzt geblieben. Erst die Konstrukteure der neunten Raumkapsel hatten auf diese Anlagen zurückgegriffen und sie auf den modernsten Stand der Technik gebracht, sie allerdings dann enttäuscht wieder aufgegeben. Die Konstrukteure der achtzehnten Kapsel erhofften sich jetzt mehr Glück.
Eine unnatürliche Ruhe lag über dem Raketengelände. Auf halbem Weg zum Verwaltungsgebäude stieß Armstrong auf Quinn. »Hallo«, sagte Quinn. »Was bringt Sie denn her?«
»Sie haben wohl nicht mal Zeit, Ihrem Wohltäter ein paar Zeilen zu schreiben?«, erwiderte Armstrong.
Quinn grinste.
»Wohltäter ist gut! Ich habe inzwischen von Lawson erfahren, dass Sie an die zehn Millionen Dollar verdienen, wenn ich auch nur einen Farbfilm von zehn Minuten Spieldauer zurückbringe.«
»Davon kassiert die Regierung fünfundsiebzig Prozent, und Sie bekommen weitere fünfzehn.« Armstrong wurde ernst. »Warum ist hier eigentlich alles so ruhig?«
»Die Arbeiten wurden gestern eingestellt, weil Washington alle Zuwendungen gesperrt hat, bis irgendeine hochpolitische Angelegenheit geregelt ist. Außerdem kann die Ribera Steel Company zurzeit kein Beryllium für die Außenhaut liefern.« Quinn grinste wieder. »Daher Siesta.«
»Eine verdammt dumme Sache.«
»Da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Je länger sich die Konstruktion hinzieht, desto länger sind meine Lebenserwartungen.« Armstrong sah ihn forschend an.
»Sie müssen diesen Job nicht übernehmen, George. Sie können jederzeit zurücktreten.«
»Ich weiß.« Quinn warf einen Blick zum Himmel hinauf. »Ich hab doch nur Spaß gemacht. Wenn das Ding erst mal gezündet ist, bringen mich keine hundert Pferde mehr heraus. Ich habe mich für diesen Auftrag zur Verfügung gestellt, und dabei bleibe ich. Vergessen Sie das nie!«
»Falls die Kapsel je fertig wird.«
»Ach, sie wird schon fertig. Da sind lediglich ein paar technische Fragen und eine Menge bürokratischen Tauziehens, aber das Ding wird bestimmt fertig. Mein Gefühl täuscht mich nicht.«
»Na, wenigstens ein Optimist«, murmelte Armstrong.
»Ich bin durchaus kein Optimist. Bei Ihrem letzten Besuch haben Sie meine Ansicht geteilt. Sie sagten selbst, dass die Konstruktion der neunten Kapsel zwei Jahre gedauert habe, während wir hier dem Zeitplan weit voraus sind.« Er streifte Armstrong mit einem neugierigen Blick. »Sie scheinen unter einem vorübergehenden Anfall von Pessimismus zu leiden und sollten ihn möglichst rasch überwinden.«
John J. Armstrong dachte eine Weile nach.
»Vielleicht haben Sie recht«, murmelte er dann. »Ich bin in letzter Zeit ziemlich ruhelos und verbohre mich in allerlei dumme Gedanken.«
»Die Erklärung ist höchst einfach«, versetzte Quinn mit Überzeugung. »Ihr Gehirn hat auf vollen Touren gearbeitet, um alles rechtzeitig fertigzukriegen, und nun ist ein gewisser Leerlauf eingetreten. Zur Abwechslung sollten Sie mal einen handfesten Plan für einen Bankraub austüfteln.«
»Danke für den Rat, Dr. Quinn«, lächelte Armstrong. »Na, dann wollen wir mal unseren Freund Fothergill aufsuchen.«
Sie betraten das Verwaltungsgebäude und gingen in Fothergills Büro. Er war ein dunkelhaariger Mann mit einem Faible für Blumen auf dem Schreibtisch.
»Hallo, John!« Er streckte Armstrong die Hand entgegen, deutete einladend auf zwei Besuchersessel, zupfte seine Krawatte zurecht und rückte die Blumenvase zwei Zentimeter zur Seite. »Nun, nun, nun«, fügte er jovial hinzu, »was verschafft mir das Vergnügen?«
»Ich hatte Langeweile«, antwortete Armstrong.
»Tatsächlich?« Fothergill machte eine nichtssagende Handbewegung. »Sie haben einen unglücklichen Zeitpunkt für Ihren Besuch gewählt. Wir haben Versorgungsschwierigkeiten, und die Regierung gibt sich zurzeit recht unentschlossen. Aber das alles ist hoffentlich nur vorübergehend.«
»Was für Schwierigkeiten?«, fragte Armstrong ohne Umschweife.
»Äh?«
»Sie erwähnten gerade Schwierigkeiten, die das Projekt verzögern.«
Fothergill schluckte, blickte auf die Blumen, zur Decke empor und wieder auf die Blumen.
»Nun?«, bohrte Armstrong.
»Kleinigkeiten«, murmelte Fothergill kaum hörbar.
»Was für Kleinigkeiten? Mit Kleinigkeiten lässt sich ein solches Projekt nicht hinauszögern. Wer sagt, dass es Kleinigkeiten sind?«
Fothergill richtete sich mit hochrotem Gesicht auf.
»So können Sie nicht mit mir reden! Ihre Einstellung missfällt mir außerordentlich!«
»Immer mit der Ruhe, John«, mahnte Quinn.
Armstrong beugte sich vor; seine Augen blitzten.
»Warum lässt uns die Ribera Steel Company warten, wenn Bethlehem Steel genügend Beryllium auf Lager hat, um damit ein ganzes Schlachtschiff zu versenken?«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Fothergill scharf.
»Weil Bethlehem in allen einschlägigen Fachzeitschriften annonciert.«
»Aber ich kann doch nicht vertragsbrüchig werden«, protestierte Fothergill.
»Das verlangt auch kein Mensch. Immerhin könnte Bethlehem doch für Ribera Steel vorübergehend einspringen. Das ist im Geschäftsleben durchaus üblich. Wer hat diesen Vertrag mit Ribera Steel überhaupt abgeschlossen?«
»Womersley.«
»Senator Womersley?« Armstrong zog die Augenbrauen hoch. Fothergill schob die Blumenvase zwei Zentimeter weiter und nickte. Auf sein Gesicht trat der Ausdruck eines Mannes, der ans Kreuz geschlagen werden soll.
»Und weiter?«, fragte Armstrong.
»Du lieber Himmel!« Fothergill blickte mit verdrehten Augen zur Decke hinauf. »Aus Gründen einer genaueren und besseren Geschwindigkeitsregulierung ist man jetzt von Plutonium als Antriebsenergie abgegangen und hat Thorium genommen. Daraufhin sieht North American Jet sich genötigt, stärkere Ventile für die Treibstoffzufuhr in die Aggregate einzubauen. So kommt eins zum anderen.«
»Was sonst noch?«
»Wir mussten ein neues Gerät zur Kontrolle der Schweißnähte anfordern. Es ist bis jetzt noch nicht eingetroffen.«
»Ist das alles?«
»Die Lastwagenfahrer haben gestreikt und erst wieder Vernunft angenommen, als wir drohten, einen Gleisanschluss legen zu lassen.« Fothergill hatte den ersten Schlag überwunden und sah Armstrong an. »Was ist denn in Sie gefahren? Haben Sie eine Diamantenmine auf dem Mars, die Sie ausbeuten wollen?« Armstrong stand lächelnd auf. »Vielen Dank für die Auskünfte. Tut mir leid, dass ich Ihnen auf die Nerven gefallen bin.« Fothergill begleitete ihn zur Tür.
»Sie haben im Augenblick nichts zu tun«, sagte Armstrong draußen zu Quinn. »Wollen Sie mir ein bisschen helfen?«
»Was soll ich machen?«
»Suchen Sie für mich ein paar Namen heraus und schicken Sie sie mir, sobald Sie sie haben. Ich brauche den Namen des Burschen, der uns auf das Prüfgerät warten lässt, weiterhin des Mannes, der für die Umstellung auf Thorium verantwortlich zeichnet; dann will ich wissen, wer bei North American Jet auf einer Verstärkung der Ventile besteht. Falls irgend möglich, ermitteln Sie auch, wer hinter dem Streik der Lastwagenfahrer steckt.«
George Quinn starrte ihn ungläubig an.
»Ich glaube, Sie sind übergeschnappt!«
»Die ganze Welt hält Sie für weitaus verrückter!« Er drückte Quinns Arm. »Wir Verrückten müssen zusammenhalten.«
»Na schön«, brummte Quinn. »Wenn Sie unbedingt Sherlock spielen müssen, dann mache ich halt mit.«
Armstrong nickte wohlwollend, schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Tor.
In seiner New Yorker Wohnung dachte Armstrong noch einmal gründlich über alles nach. Er hatte in Connecticut ein Labor, das den verwöhntesten Ansprüchen gewachsen war. Hier hatte er einen Großteil seiner besten Stunden verlebt und manchen brauchbaren Einfall gehabt. Hier konnte er sich nach Herzenslust von der Außenwelt abkapseln und seinen Gedanken nachhängen.
Schließlich setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach New Jersey, wo er Eddie Drake einen Besuch abstattete.
»He!«, rief Drake. Er machte eine einladende Geste. »Setz dich in den Sessel da, es ist der robusteste im ganzen Haus. Wieviel willst du denn borgen?«
»Eine Zigarette, wenn du schon so großzügig bist.« Armstrong zündete die Zigarette an, schlug die Beine übereinander und betrachtete seine großen Schuhe. »Vor sieben Jahren hast du doch an der neunten Weltraumkapsel zum Mars mitgearbeitet, Eddie.«
»Erinnere mich nicht daran«, brummte Drake missmutig. »Es war zugleich der neunte Fehlschlag.«
»Nicht deine Schuld.«
»Niemand war schuld daran.«
»Bist du dessen ganz sicher?«
Drake ließ sein vollautomatisches Feuerzeug fallen und hob es wieder auf.
»So darfst du nicht über mich herfallen!« Er vergewisserte sich, dass das Feuerzeug keinen Schaden genommen hatte, und steckte es ein. »Die neunte Kapsel ist auf halbem Weg zum Mars explodiert. Jeder, der an diesem Projekt arbeitete, hat sein Bestes gegeben, aber offensichtlich war das Beste noch nicht gut genug.«
»Ich interessiere mich nicht so sehr für die Explosion als für die Zeit vor dem Start.«
»Aha«, murmelte Drake verständnisvoll. »Du hast also Ärger mit Nummer achtzehn und brauchst einen Tipp?«
»Gewissermaßen.«
»Das überrascht mich nicht. Ich bin gern bereit, dir zu helfen.« Seine Gedanken forschten in der Vergangenheit. »Unser schlimmstes Problem waren die Antriebsaggregate. Auf dem Prüfstand und auch nach dem Einbau liefen sie einwandfrei. Beim zweiten Test gingen sie dann zum Teufel, und wir mussten sie durch schwerere ersetzen. Das hat uns fünf Monate und eine Menge Dollar gekostet.«
»Wer hat diese Antriebsaggregate gebaut?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich ließe sich das feststellen.«
»Ich wäre dir zu großem Dank verpflichtet«, sagte Armstrong. »Hattet ihr noch weitere Probleme?«
»Nur Kleinigkeiten.«
»Kannst du dich noch daran erinnern?«
»Nun, die automatischen Kontrolleinrichtungen mussten ein paarmal verbessert werden. Außerdem machten die Anwohner des Abschussgeländes plötzlich Schwierigkeiten – aber der Streit wurde recht schnell von der Regierung beigelegt.«
Eddie Drake flocht eine längere Pause ein und versuchte sich erneut auf die Vergangenheit zu konzentrieren.
»Die eigentlichen Schwierigkeiten kamen erst nach der Explosion.« Er lachte leise in sich hinein. »Na, wenn Nummer achtzehn explodiert, wirst du es ja am eigenen Leibe spüren.«
»Und wem wird die Schuld in die Schuhe geschoben?«
»Den Katholiken, den Juden, den Negern, den Freimaurern, dem Ku-Klux-Klan, der Heilsarmee, den Kriegsveteranen, den Zeugen Jehovas, den Briten, den Russen, den Kapitalisten, den Anarchisten, den Bankiers, den Ölkonzernen -« Er atmete tief ein. »Und so weiter.«
»Verstehe.« Armstrong überlegte. »Weißt du, wo Clark Marshall sich zurzeit aufhält?«
»Ich glaube, irgendwo in Florida.«
»Danke.« Armstrong stand auf und reichte Drake die Hand. »Auf später, Ed. Vergiss nicht, mir die Namen durchzugeben.«
Am nächsten Vormittag fuhr Armstrong mit seinem Wagen nach Tarrytown. Claire Mandle erwies sich als eine zierliche dunkelhaarige Frau; sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem verstorbenen Bruder. Sie trug ein grünes Kostüm und machte einen selbstsicheren Eindruck. Armstrong fand ihre dunklen Augen äußerst attraktiv; sie verliehen ihrem Gesicht etwas elfenhaft Bezauberndes.
Sie saß in einem antiken Sessel mit einer hohen Rückenlehne; ihre Hände ruhten im Schoß, und sie hörte ihm
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Eric Frank Russell/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: N. N./Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: N. N./Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Heinz F. Kliem (OT: Dreadful Sanctuary).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2022
ISBN: 978-3-7554-1971-6
Alle Rechte vorbehalten