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Leseprobe

 

 

 

 

KLAUS FRÜHAUF

 

 

Mutanten auf Andromeda

 

 

KOSMOLOGIEN – SCIENCE FICTION AUS DER DDR, Band 13

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

MUTANTEN AUF ANDROMEDA 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

Der Sprung des Raumschiffs in eine andere Galaxis ist gelungen. Unter einer grauen Wolkendecke liegt der Planet, die vermeintliche Quelle der verstümmelten Signale. Eine unbemannte Landerakete bestätigt, dass der Planet die Heimatwelt vernunftbegabter Lebewesen ist. Doch dann geschieht das Unbegreifliche: Von einem Gebäude löst sich eine grünschimmernde Kugel und nähert sich pulsierend der Sonde, die kurz darauf in atomaren Entladungen zerbirst.

Trotz dieses Angriffs suchen die Kosmonauten den Kontakt mit den Fremden...

 

Klaus Frühauf (* 12. Oktober 1933 in Halle (Saale); † 11. November 2005 in Rostock) war ein deutscher Schriftsteller und gilt als einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren der DDR; sein Debüt-Roman Mutanten auf Andromeda erschien  erstmals im Jahre 1974.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe KOSMOLOGIEN - SCIENCE FICTION AUS DER DDR.

MUTANTEN AUF ANDROMEDA

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Wie eine riesige, an den Rändern ausgefranste Linse dreht sich die Galaxis Andromeda. Sie dreht sich seit ewigen Zeiten, und sie wird sich bis in alle Zukunft drehen. Nichts kann ihren Lauf beschleunigen, nichts kann ihn bremsen.

Noch nie hat eines Menschen Auge diese Bewegung erblickt.

Eine Kugel taucht auf aus den schwarzen Tiefen des Raumes. Übergangslos ist sie plötzlich da. Es ist ein Raumschiff, eine winzige Welt mit denkenden Wesen inmitten der eisigen Kälte und mörderischen Leere des Alls.

Die vierzehnte außergalaktische Expedition der Erdbewohner, jener hochentwickelten Intelligenz, die seit Jahrhunderten den Weltraum auf der Suche nach ihr ähnlichem Leben durchkreuzte, hatte sich rematerialisiert. Endlich war es Menschen gelungen, den Sprung zur Nachbargalaxis auszuführen.

Für kosmische Begriffe stand die Raumkugel in unmittelbarer Nähe der beiden äußeren Sonnensysteme eines der am weitesten in den Raum reichenden Spiralarme von Andromeda.

Auf einem der mattgelb schimmernden Sektoren leuchteten in blendendem Rot die Zeichen Gal 1 Sol 3.14. 

Nur einen Augenblick stand der Räumer, dann schoben sich Rezeptoren aus der schützenden Hülle, fühlten sich in die Strömungen der unbekannten Schwerefelder, tasteten die Schwingungen der Gravitation ab und lenkten die empfindlichen elektronischen Objektive auf die am nächsten Mal stehenden Sonnensysteme. Schon begannen die in der Nähe des Räumers stehenden Sterne unter dem gewaltigen Emissionsdruck der Beschleunigung zu verschwimmen.

In die Steuerzentrale der Raumkugel kam Leben. Die Leuchtinformatoren auf dem breiten Pult begannen zu flimmern, Ströme flössen durch hauchdünne Leitungen, Stromtore öffneten und schlossen, verstärkten Informationen, schalteten die Antriebe von Tastern und Objektiven. Langsam füllten sich die Speicher der Rechenanlagen, verglichen die Daten der nahen Systeme mit Bekanntem und hielten ihre Besonderheiten fest.

Milchig-blau flammte das Licht an der Decke der Transitionskammer auf, beleuchtete schattenlos die acht fest mit dem Boden verbundenen Plastikhüllen. Dann löste sich mit leisem Rauschen die breite Düse einer Sauerstoffdusche von der Wand und senkte sich auf die Schmalseite der ersten Hülle herab. Das Rauschen wurde zu einem vibrierenden Zischen, in breitem Schwall traf das belebende Gas das Gesicht des Ersten Ingenieurs der Expedition.

Ants Korojew erwachte aus der Transitionsstarre. Einen Augenblick noch ließ er das Gesicht von dem belebenden Gas umspülen, dann befreite er die breiten Schultern von der Verschnürung und streckte die erstarrten Glieder, in denen noch die bleierne Schwere der Anabiose lastete.

Die Zunge klebte ihm pelzig am Gaumen, und im Mund hatte er einen faden Geschmack, wie immer nach einer Transition. Nur mit Mühe konnte er die Augen aufbekommen. Er schluckte einige Mal, schüttelte den Kopf und saugte sich die Lungen voll Sauerstoff. Langsam kehrte das volle Bewusstsein zurück und auch die Erinnerung...

Vor dem Start von der Erde hatte er als letzter die Raumkugel betreten und durch den Spalt der sich langsam schließenden Außentür der Einstiegsschleuse den letzten langen Blick Dalidas aufgefangen. Ihr von der Sonne getöntes Gesicht schien ihm blasser als sonst zu sein. In ihren immer ins Grüne spielenden Augen verbarg sich die Frage nach dem Wiedersehen. Nur ihr Haar war wie immer, wunderbare weiche Wellen, von der tiefstehenden Sonne in satte goldene Töne getaucht. Ihre Blicke waren in den letzten Sekunden vor dem Start ständig zwischen ihm und Er Halfis hin und her gewandert.

Korojew schüttelte diese Gedanken aus dem Kopf, er hatte jetzt andere Aufgaben, später würde er an Dalida denken können. Die Dusche senkte sich bereits langsam auf die Hülle des neben ihm liegenden Kommandanten herab. Bald würde also auch Er Halfis, Dalidas Vater, erwachen. Es wurde Zeit.

Korojew stemmte sich mit kräftigen Armen hoch und wandte sich mit noch staksigen Schritten der großen Instrumententafel zu, die eine ganze Wand einnahm. Die breiten, jetzt leicht nach oben gezogenen Schultern verrieten eine verhaltene Kraft, von deren Explosivität man sich erst eine Vorstellung machen konnte, wenn man die Geschmeidigkeit der Bewegungen beobachtete, die er schon nach wenigen Schritten wiedergefunden hatte.

Während er sich der Wand näherte, flammte die Sektionsanzeige auf. Korojew blieb stehen. Vorgebeugt, wie auf dem Sprung, umfasste er mit einem Blick die gesamte Darstellung der einzelnen Abteilungen des Raumschiffes. Das große, wie ein farbiger Fächer aufgebaute Bild zeigte nicht die kleinste Unregelmäßigkeit. Der Körper des Ingenieurs entspannte sich.

Da meldete sich auch der Hunger wieder. Der Magen war von der tagelangen Transitionsstarre, während der der Räumer Hunderte von Lichtjahren in entmaterialisierter Form zurücklegte, völlig entwöhnt. Korojew freute sich jetzt auf eine ausgiebige Dusche und noch mehr auf das weit weniger ausgiebige Frühstück. Dann würde er die wichtigsten Geräte überprüfen und mit den Kameraden zusammen die Position bestimmen, die sie in der weitesten Transition der Menschheitsgeschichte erreicht hatten. Sie würden gemeinsam den Kurs festlegen, der sie, so hoffte er, zur Erfüllung des größten Traumes der Menschheit führen würde, zum Kontakt mit Leben im Kosmos, das wenigstens annähernd die gleiche Entwicklungsstufe aufwies wie die der Menschen auf der Erde.

Eine Stunde war nach dem Erwachen des Ersten Ingenieurs vergangen. Im Steuerraum war die Besatzung vollzählig versammelt. Alle hatten den Transitionsschlaf gut überstanden. Geraldine Lundgreen kaute langsam eine bittere Tablette gegen ihre leichten Kopfschmerzen, die sich bei ihr meist nach überlangen Ruhepausen einzustellen pflegten. Karel Knicek, der Pilot der Landungsraketen, tastete seine Kniegelenke ab, in denen er ein Ziehen wie einen unangenehmen Muskelkater verspürte. Korojew schlürfte genießerisch einen leuchtendgelben Fruchtsaft. Trotz des nagenden Hungers mussten die Expeditionsmitglieder ihre Körper langsam an Nahrung gewöhnen, eine Sache, die dem Ingenieur noch nie besonders zugesagt hatte.

Korojew ließ seinen Blick langsam über die Gesichter der Kameraden wandern, mit denen er in den nächsten Tagen und Wochen ein Kollektiv bilden würde, in dem sich jeder auf den anderen voll und ganz verlassen muss und sich auch verlassen kann. Langsam stand er auf, fuhr sich mit der Rechten über die kurzen schwarzen Haare und trat an das Rechnerpult. Mit wenigen Fingerbewegungen rief er die automatische Aufzeichnung der Informatoren ab. Der breite Bildschirm begann zum ersten Mal auf dieser Reise sein geheimnisvolles Leben.

In die graue eintönige Fläche zeichneten sich flimmernde Linien und verdichteten sich schnell zu einem eindrucksvollen Bild. Der sogenannte zweite Abgrund, die sternen- und materiearme Zone zwischen den beiden Nachbargalaxien, schien bis in den Steuerraum zu reichen. Auf einem samtigen schwarzen Hintergrund glommen eine Unzahl kleiner silberner Splitter, die sich zur Schirmmitte hin zu einem breiten leuchtenden Band verdichteten. Andromeda...

Die zwei Sonnen des äußersten Systems schienen bewegungslos vor diesem Band, das die Schwärze der Umgebung noch hervorhob, im Raum zu hängen. Ein blauer Riese und ein roter Zwerg. Erst die Umschaltung der Wiedergabegeräte auf Zeitrafferdarstellung brachte Bewegung in die beiden Sterne. Langsam begannen sie sich zu umkreisen. Durch die künstliche Zeitkontraktion waren ihre Farben stark verschwommen, ihre Bewegungen wirkten grotesk, wie die Bewegungen großer Raubtiere, die ihre Kräfte gegenseitig abschätzten, bevor sie zum Angriff auf den Gegner übergingen. Fröstelnd zogen die Jüngeren der Kosmonauten die Schultern zusammen. Korojew, der Zwo-Eins des Räumers, wie der Chefingenieur in der Terminologie der Kosmonauten genannt wird, legte den beiden ihm zunächst Sitzenden die Hände auf die Schultern. Lächelnd wandten sich der junge Raumassistent Alexejew und die Biologin Grit Donnovan um. Die Sicherheit in den harten Händen des Älteren tat ihnen gut. Sie hatten die heimatliche Galaxis zum ersten Mal verlassen, für den langaufgeschossenen Alexejew war es die erste Raumexpedition überhaupt, er würde hier an Bord sein Studium in Form eines abschließenden Praktikums beenden. Aufmerksam verfolgte er die sparsamen Bewegungen Korojews, als der hinter den Sessel des braunhäutigen Kommandanten trat und die Arme auf die Rückenlehne des Sessels stützte.

»Nun, Er, was sagt der Kommandant zu unserer Position?«, fragte Korojew.

»Wir können, glaube ich, zufrieden sein. Es war eine gute Transition.«

Langsam nur konnte sich Er Halfis von dem vor ihm glimmenden Bildschirm losreißen. Als er sich umdrehte, zeigte das schmale, dunkle Gesicht keine Bewegung. Nur in den schwarzen Augen war ein Funkeln. »Es war eine ausgezeichnete Transition, Ants. Ich gratuliere. Wir sind in unmittelbarer Nähe des großen Spiralarms in Richtung des Systems M17 herausgekommen. Eine bessere Konstellation dürfte kaum zu erreichen gewesen sein.«

Einen Augenblick sah es aus, als wolle der Ingenieur vor Freude über das Lob des Kommandanten einen roten Kopf bekommen, aber es schien wohl nur so.

Alexejew wandte sich wieder dem großen Bildschirm zu, auf dem plötzlich die Aufzeichnung erlosch und dann das Originalbild aufblendete.

Roger Dupree, der Astronom, beugte seinen schmalen Körper weit nach vorn. Mit zusammengekniffenen Augen, das spitze Kinn weit vorgeschoben, betrachtete er den Bewegungsablauf der beiden Sonnen. »Ich schalte nochmals die letzten Sekunden der Aufzeichnung ein! Irgendetwas stimmt mit diesem System nicht. Je näher wir den Sonnen kommen, umso mehr schieben sie sich an den Rand des Bildes.«

Die Augen des Kommandanten folgten dem ausgestreckten Zeigefinger des Astronomen. Er hielt den Kopf schräg, als denke er angestrengt nach, dann nickte er bedächtig. »Du hast recht, Roger. Sie verschieben sich immer mehr. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen. Entweder hält der Steuerautomat nicht genau Kurs auf den Systemschwerpunkt, oder der Schwerpunkt liegt nicht zwischen den beiden Sonnen. Die erste Möglichkeit entfällt, der Kurs liegt genau an. Also...«

Er Halfis beobachtete die schmalen Hände des grauhaarigen Astronomen, die mit spielerischer Sicherheit über die Eingabetastatur des kleinen Analogrechners flogen.

Ein Lichtpunkt zeichnete auf dem Nebenbildschirm huschende Linien, durchwanderte blitzschnell die bleigraue Fläche. Dann plötzlich brach er ab, raste flimmernd über die Fläche, löschte die Kurven in Millisekunden, begann das hastige Spiel von neuem, brach wieder ab. Der Bildschirm blieb dunkel. Dupree streckte den gebeugten Rücken. »Offensichtlich ist das System mit den eingegebenen Daten und den gespeicherten Erfahrungen nicht zu errechnen. Es gibt irgendwo eine Abweichung, die die Analogiekreise nicht erklären können.«

Seine Stimme zeigte keinerlei Erregung, aber die Kosmonauten hatten sofort das Einmalige der Situation begriffen und einen Halbkreis um ihn gebildet. Noch war er sich nicht ganz darüber im Klaren, wie er dem Problem zu Leibe gehen sollte, reichten doch nicht einmal die gesammelten Erfahrungen der Astronomie, die ja lückenlos in dem kleinen Rechner enthalten waren, aus, um dieses Phänomen zu erklären. Dupree entschloss sich, zuerst die Bahndaten der beiden Sonnen zu ermitteln, dem Aufbau des Systems von innen heraus seine Besonderheit abzulauschen. Als der Elektronenstrahl seine komplizierten Kurven auf den Schirm gezeichnet hatte, war das Versagen des Rechners zum Teil erklärt, derartige Bahnen konnten nicht gespeichert sein, weil es derartige Bahnen nicht geben konnte, es sei denn...

»Es ist ein Tripelsystem.« Der Ausruf des jungen Alexejew ließ Dupree herumfahren. Alexejew zog die Schultern hoch. »Es muss ein Tripelsystem sein, anders sind die Bahnen nicht zu erklären.«

Dupree musste über die entschuldigende Geste lächeln. »Es müssen tatsächlich drei Sonnen sein, Pjotr. Alle Achtung.« Er deutete auf den Schirm. »Seht her! Unser Jüngster hat schneller als ich alter Raumfuchs erkannt, um welch ein System es sich handelt. Die Bahnen der beiden Sonnen sind so stark verschoben und vor allem deformiert, dass ein dritter Stern im Spiel sein muss.«

Er legte den Arm um die Schultern Alexejews und zog ihn ein Stück zu sich herab. »Es wird Zeit, Pjotr, dass wir Alten abgelöst werden von solchen wie du. Meinst du nicht auch, Ants?«

Korojew, der nie eine Anspielung auf sein nicht mehr ganz jugendliches Alter vertragen konnte, blies die Backen auf, aber ehe er antworten konnte, wandte sich der Astronom wieder dem Raumassistenten zu. »Wo mag der dritte Stern etwa stehen, Pjotr?«

Alexejew trat zögernd näher an den Bildschirm. »Da wir seine Masse noch nicht kennen, können wir nur die Richtung, in der er sich befinden muss, aus der Deformation der beiden anderen Bahnen herleiten, und da Dunkelsterne im Allgemeinen eine sehr große Masse haben, müsste er etwa hier stehen.«

Sein Finger suchte ein wenig zögernd eine bestimmte Stelle auf dem Bildschirm und stach dann sehr bestimmt zu. Fragend blickte er den Älteren an.

Dupree lachte über sein ganzes faltiges Gesicht. »Ausgezeichnet, Pjotr! Genau da müsste er stehen. Und visuell wahrnehmbar ist er auch nicht. Also ist es ein Dunkelstern. Ich schalte auf Infrasicht um... Na bitte, da ist er.«

Unmittelbar neben Alexejews Finger glühte eine dunkelrote Kugel auf, ein riesiger Dunkelstern. Er lag nur wenig näher am Systemschwerpunkt, als Alexejew vermutet hatte.

Grit Donnovan, die Biologin, sprach das aus, was sie alle in diesem Augenblick dachten. »Zum ersten Mal werden wir Menschen aus nächster Nähe mit einer dieser mächtigen erkalteten Sonnen konfrontiert. Wie anders muss sich das Leben unter diesen drei Sternen entwickelt haben.«

Korojew legte ihr wieder die Hand auf die Schulter. »Wenn einer der Planeten Leben trägt, Grit.«

Er riss sich von dem Anblick der drei Sonnen los, steckte die Hand, die noch warm war von der Schulter des Mädchens, in die Tasche und verfolgte auf dem Nebenschirm die Bahn des Systemschwerpunktes. Ohne sich umzuwenden, ergriff er den Arm Duprees. »Und wie erklärst du dir diese Wellenlinie, Roger?«

»Ich habe es gesehen, Ants. Die drei Sonnen schwingen um die Schwerpunktbahn des Gesamtsystems...«

Schneller als sonst wandte der Kommandant den Kopf. »Aber das bedeutet doch...«

»Das bedeutet«, unterbrach ihn Dupree, »dass vor relativ kurzer Zeit mit diesem System eine gewaltsame Veränderung vor sich gegangen sein muss und dass die Sonnen dabei sind, sich in eine neue Ruhelage einzuschwingen.«

Die schmalen, beweglichen Hände des Astronomen versuchten, diesen Vorgang zu verdeutlichen. Die Kosmonauten nickten. Er Halfis' Frage traf wie immer den Kern der Sache. »Gibt es für den derzeitigen indifferenten Zustand des Systems eine natürliche Erklärung, und kann man sie unter Berücksichtigung der bekannten Werte ermitteln?«

Dupree kniff die Lippen zusammen. »Ich werde es versuchen.« Mit der Tastatur des Analogrechners zog er das System auf dem Bildschirm so nahe heran wie möglich, wartete, bis der Speicher alle feststellbaren Daten übermittelt bekommen hatte, und löschte mit einem Tastendruck das Bild. Von dem huschenden Lichtpunkt gezeichnet, entstanden die Bahnen der Planeten.

»Nun?« Ungeduld klang aus der Frage des Kommandanten.

Der Astronom deutete auf das Bild. »Die drei Sonnen werden von vier Planeten umkreist. Ihre Bahnen schwingen. Sie würden, das ergibt die Rechnung, regelmäßig sein, wenn sich zwischen Planet Drei und Vier ein weiterer Raumkörper befände. Dieser Planet ist verschwunden. Die Ursache dafür kann der Rechner nicht finden.«

Geraldine Lundgreen, die dem Gespräch bisher schweigend gelauscht hatte, trat dicht hinter Duprees Sessel. Sie war die Kybernetikerin der Expedition, und Korojew bewunderte manchmal ihre Art, präzise Fragen zu stellen. Sie war groß und schlank und trug das blonde Haar meist streng zurückgekämmt. Korojew fand, dass ihr diese Frisur einen strengen Ausdruck gebe, aber er musste einräumen, dass sie zu ihrem ein wenig verschlossenen Wesen passte.

»Durch eine kosmische Katastrophe zerstört?«, fragte sie.

Dupree zögerte. »Nein«, sagte er dann. »Das ist kaum anzunehmen. In diesem Falle müssten in der Nähe der ursprünglichen Bahn Trümmerstücke zu orten sein. Es sind aber keine vorhanden. Zumindest nicht in der Größe, die unsere Instrumente noch nachweisen könnten.«

Korojew blickte auf den Bildschirm. Er versuchte sich in das fremdartige System hineinzufühlen. Ein Planet konnte doch nicht einfach spurlos verschwinden? Aber hatte er nicht seine Spuren hinterlassen? Die Schwingungen der drei Sonnen, die die vier restlichen Planeten zum Mitschwingen zwangen, waren Beweis genug. Sollte hier vielleicht keine kosmische, sondern vielmehr die Katastrophe einer Zivilisation die Ursache sein? Würden sie möglicherweise sogar zu spät kommen?

Seit mehreren hundert Jahren hatten die beiden erdfernsten Außenstationen auf Uranus und Pluto in bestimmten Abständen immer wieder verstümmelte Zeichengruppen aufgefangen, die einem Leitstrahl aus suprahohen Frequenzen aufmoduliert und mit Sicherheit nicht natürlichen Ursprungs waren.

Die automatische Winkelmessung der Sonden hatte ergeben, dass die Zeichen etwa aus der vor ihnen liegenden Sphäre Andromedas stammen mussten.

Seit etwa zehn Jahren jedoch waren die Sendungen, die sie bisher nicht zu entziffern in der Lage waren, ausgeblieben. Rechnete man den Raum-Zeit-Sprung hinzu, so waren seit der letzten Aufzeichnung rund zweihundertfünfzig Jahre vergangen.

Und auch hier, in unmittelbarer Nähe des Sendegebietes, war nur das auf- und abschwellende Heulen der Radiocepheiden, das hohle Pfeifen der Radiosterne und das Knattern kosmischer nuklearer Prozesse zu hören. Und Rechenfehler der Außenstationen schieden aus. Der Sendestrahl war scharf gebündelt auf das heimatliche Sonnensystem gerichtet gewesen.

Ein Ausruf Alexejews riss ihn aus seinen Gedanken, Der Raumassistent deutete auf den Hauptbildschirm. Der blaue Riese hatte sich langsam dem sternenlosen Fleck, der den Dunkelstern verriet, genähert. Die schwarze Fläche des kalten Riesen schob sich vor die blaue Glut, wanderte millimeterweise darüber hinweg, glosende Protuberanzen schossen über die dunklen Ränder hinaus ins All, tauchten die Gesichter in flackerndes violettes Licht. Es war, als wolle der Kosmos bereits am Beginn der Reise alle seine Schönheiten und alle seine Rätsel vor den Kosmonauten ausbreiten.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Auf der Stirn Karel Kniceks hatten sich kleine Schweißtropfen gebildet. Mit einer fahrigen Handbewegung wischte er sie weg. Er hatte das Gefühl, dass die glosenden Sonnen auf ihn zuflogen. Der blaue Riese schien über den Rand des Bildschirmes hinauszuwachsen, schien das Bild sprengen zu wollen. Mit einem kurzen Seitenblick stellte er fest, dass sie von dem Tripelsystem noch immer weit entfernt waren. Seit er aus der Transitionsstarre erwacht war, fühlte er sich unwohl. Es war wie ein Ziehen unter der Kopfhaut, als ob Kälteschauer über das Gehirn liefen. Dazu kamen noch die Schmerzen in den Kniegelenken, gegen die auch Pats Tabletten nicht geholfen hatten. Er blickte sich um, aber die Kameraden beachteten ihn nicht, auch nicht Pat Allan, obwohl sie doch als Ärztin für das Wohlbefinden der Expeditonsmitglieder verantwortlich war. Aber auch ihre Augen hingen gebannt an den drei Sonnen.

Knicek schüttelte den Kopf. Pat war eben nicht nur Ärztin, sie war auch Künstlerin. Er versuchte den Schmerz in den Kniegelenken zu überwinden, biss die Zähne zusammen und verließ den Steuerraum. Mit seinen breiten Schultern schob er die Tür hinter sich zu. Er sah nicht mehr, wie die blau-violette Glut des Riesensterns wieder an Kraft gewann, wie sie über die Ränder des Dunklen hinauswuchs, dessen Schwärze zurück ins All tauchte. Er bemerkte auch nicht den langen Blick Korojews, der auf der sich schließenden Tür lag.

Als Dupree das Bild auf dem Schirm wieder in der richtigen Entfernung eingeregelt hatte, richtete sich der Kommandant in seinem Sessel auf. »Ich glaube, dass ich auf Grund der Zusammensetzung dieser Expedition auf längere Erörterungen verzichten kann. Jeder von euch kennt seine Aufgaben und ist mit ihnen vertraut. Jeder von euch weiß, dass er als Abgesandter des Systems Sol in erster Linie den Interessen der friedlichen und schöpferischen Gemeinschaft der Menschen zu dienen hat. Unser Hauptziel ist es, Leben zu suchen, um sein Wissen mit dem der Menschheit auszutauschen zum Wohle allen Lebens im Kosmos. Wir werden zuerst die Planeten des Tripelsystems untersuchen, die in ihren Werten den inneren Planeten unseres Sonnensystems nahekommen. Hoffen wir, unter ihnen einen Lebensträger zu finden.«

Nach dieser für den sonst recht schweigsamen Kommandanten sehr langen Ansprache blickte er fragend in die Gesichter seiner Mannschaft. Hier und da senkte sich bestätigend ein Kopf.

Roger Dupree holte auf einem Nebenschirm den ersten Planeten heran. Langsam schob sich die winzige Kugel ins Bild, begann zu wachsen und füllte schließlich den gesamten Schirm aus. Der Planet war mit weißlichen Schlieren überzogen, die die Oberfläche nicht erkennen ließen. Auf einer rötlichen Skala im unteren Teil des Bildes erschienen nacheinander die Werte des angepeilten Himmelskörpers. Duprees Stimme klang ruhig, für ihn war die Arbeit der nächsten Mal Stunden Routine, tausendmal trainiert. »Temperatur... vierhundertsechzig.« Er blickte auf, aber als ihm Er Halfis kein Zeichen gab, las er weiter die Werte ab. »Gravitation... null Komma vier.«

Mit einer Handbewegung forderte ihn der Kommandant auf, zum zweiten Planeten überzuwechseln. Im Bild erschien ein Riese, wie er in fast allen Sonnensystemen vorkommt. Er hatte zwar annähernd normale Temperaturen, aber eine Gravitation von fast elf g. Er würde durch Menschen kaum zu erforschen sein. Zwar wäre es möglich, mit dem Raumschiff unter dem Einfluss künstlicher Gegenschwere zu landen und auch wieder zu starten, aber an ein Verlassen des künstlichen Feldes wäre nicht zu denken, da die Gravitation des Riesen die Menschen hilflos an den Boden schmieden würde, zumal die Antigravgeräte in Raumanzügen nur für maximal zwei g ausgelegt waren.

Dann zog der dritte Planet ins Bild, riesengroß, plastisch. Die Gesichter zeigten Enttäuschung, als er sich als schmutziggraue, wattige Kugel entpuppte. Erst als der Astronom mit immer lauter werdender Stimme die Daten durchgab, hellten sich die Mienen schnell auf. Dichte, Größe und Temperatur kamen den Werten der Erde erstaunlich nahe. Korojew sah in das ernste Gesicht des Kommandanten, sah das kaum merkliche Neigen des Kopfes und wandte sich dem Steuerkyberneten zu. Sekunden später hatte das Elektronengehirn seine Arbeit aufgenommen, die ersten Berechnungen durchgeführt und kündigte ein Manöver an. »Achtung! Gal 1 Sol 3.14 steuert den dritten Planeten des vor uns liegenden Tripelsystems an.«

Überall in der Raumkugel waren diese Worte zu hören, die Kosmonauten legten sich in ihren Sessel zurück, weiche Klammern schoben sich über Schultern und Oberschenkel. Plötzlich fanden die Beine keinen Halt mehr, der Magen schien sich in den Brustkorb zu schieben, ein Gefühl, gegen das nur tiefes Einatmen half. Dann bremste die Gegenschwere den Sturz auf den Planeten ab. Die Halteklammern verschwanden in den Sesseln. Bis auf Er Halfis und Roger Dupree verließen die Kosmonauten den Steuerraum.

 

Karel Knicek blickte sinnend auf den dünnen Wasserstrahl, der aus der Wanddüse in die kleine Trinkschale spritzte. Das widerliche Brennen im Hals wurde schon vom ersten Schluck, den er von der kühlen Flüssigkeit trank, gemildert, die Benommenheit aber blieb. Es war heiß in der Kabine. Der Geologe drehte an der Reglerscheibe der Klimaanlage, und sofort wehte ein kühler Luftzug um seine Stirn. Die Kopfschmerzen verschwanden nicht. Er spürte das Bedürfnis zu gähnen. Als ihn nach wenigen Minuten wieder das bekannte Frösteln, das unter der Kopfhaut begann, schüttelte, drehte er die Reglerscheibe in die entgegengesetzte Richtung, warf sich auf das Bett und massierte wieder die schmerzenden Kniegelenke.

Er schien die Transition nicht gut überstanden zu haben. Aber seine Trainingsergebnisse auf der Erde waren doch ebenso gut gewesen wie die der Kameraden. Nie wäre er sonst in den Kreis derer aufgenommen worden, die sich auf die bisher größte Reise der Menschheitsgeschichte begaben. Allerdings konnte er sich kaum mit so alten Sternenfüchsen wie Korojew oder gar Er Halfis vergleichen, die die abschließenden Tests und die darauffolgende psychische und physische Prüfung in Rekordzeit absolviert hatten. Aber auch bei ihm hatte es keinerlei Bedenken gegeben. Immerhin, es war sein erster außergalaktischer Einsatz überhaupt, und so gut die Testgebiete auch zusammengestellt sein mochten, ließen sich denn wirklich alle Winkel des menschlichen Seins so genau überprüfen? Wäre es nicht möglich, dass sich nicht alle Belastungen, die sich während derartig weiter Transitionen ergeben, simulieren lassen? Hätte er doch seinen anfänglichen Bedenken nachgeben und sich nicht zu dieser Expedition melden sollen? Hätte er die Arbeit im heimatlichen Sonnensystem der Erforschung unbekannter Räume vorziehen sollen?

Knicek versuchte die Gedanken mit einem Kopfschütteln wegzuwischen, aber sie ließen sich nicht vertreiben. Natürlich hatte ihn auch ein gesunder Schuss Ehrgeiz bewogen, sich um Teilnahme an dieser Expedition zu bewerben. Auch er wollte als einer der ersten seinen Fuß auf fremde Planeten setzen, sich als Entdecker fühlen und den Großen der Raumfahrt zur Seite gestellt werden.

Die Stimme des Steuerkyberneten, der die neue Flugphase ankündigte, verhinderte, dass sich seine Gedanken weiter im Kreise drehten. Die kurzzeitig schwindende Schwerkraft hob die Trinkschale vom Tisch und ließ sie unter der Decke der Kabine seltsame Kapriolen vollführen.

Knicek klammerte sich an den Bettkanten fest. Vor seinen Augen verschwammen die Wände, schienen zurückzuweichen, der Kopfschmerz wurde zu einem qualvollen Pochen. Dann kehrte die Gravitation zurück, ließ die Schale über ihm gegen die Wand prallen, auf den Fußboden fallen und unter den Tisch rollen. Die Kabinenwände waren wieder dort, wo sie hingehörten.

Knicek analysierte sich selbst genau. Die Flüssigkeit in den Augäpfeln hatte keine Zeit, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, und das Resultat war eine Sehstörung. Er kannte das, aber es hatte nie so lange wie diesmal gedauert. Seine Augen hatten viel langsamer als sonst reagiert. Knicek versuchte sich abzulenken. Er betrachtete die Ausstattung seiner Kabine. Es schien ihm an der Zeit zu sein, sich etwas gemütlicher einzurichten, die Standardausrüstung ließ das Gefühl des Heimischen nicht aufkommen. Wie er es sich in den Jahren des einsamen Dienstes als Pilot kleiner Aufklärer angewöhnt hatte, sprach er seine Gedanken laut aus. »Ich werde versuchen, aus dem Labor einige lebende Pflanzen zu bekommen, und auf den Bildschirm, der mir das Fenster ersetzt, werde ich eine Landschaft zaubern, ein paar Berge oder das Meer, wie es über die großen Steine am Ufer brandet.«

Er stand auf, ging auf die Handelektroden des Videomaten zu, stockte aber auf halbem Weg wieder. Er hatte das Bedürfnis zu gähnen, ließ sich in einen Sessel fallen und starrte vor sich auf den Boden. Er konnte sich nicht entschließen, etwas zu unternehmen, er war unsagbar müde. Knicek schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn! Es wäre eine Lüge!«

Er merkte nicht, wie Pat Allan, die ihn schon einige Minuten von der Tür aus beobachtet hatte, ins Zimmer trat. Erst als sie sich ihm gegenüber in den zweiten Sessel setzte und die Beine übereinanderschlug, hob er den Kopf. Lange betrachtete er die vor ihm sitzende Frau.

Patricia Allan, die Ärztin der Expedition, war eine schlanke, aber doch kräftig gebaute, noch sehr junge Frau, die sich auch in dem weichen Sessel sehr gerade hielt. Das schmale Gesicht, das sonst gern lachte, sah jetzt ernst aus, und die hellen Augen waren prüfend auf ihn gerichtet.

Sie legte die Hand auf den Arm des Kameraden. »Warum soll es Lüge sein, Karel, wenn der Mensch sich die Umgebung zu schaffen sucht, die am besten geeignet ist, sein inneres Gleichgewicht zu erhalten?«

Knicek nickte. Unwillkürlich musste er an die langen einsamen Flüge denken, die ihn zu fast allen Planeten des heimatlichen Systems geführt hatten, als er den großen Forschungsaufgaben der Menschheit zugearbeitet hatte. Er war viel allein gewesen. »Du hast recht, Pat. Ich will mich zusammennehmen. Ich glaube, mir ist die Transition nicht bekommen. Aber ich werde es überwinden.«

Die Ärztin musterte den Geologen lange, dann wandte sie sich dem breiten, das Fenster ersetzenden Bildschirm zu. Spielerisch glitten ihre Finger über die Steuerplatte. Auf dem Bildschirm entstand, von ihren Bioströmen geschaffen, eine weite Meereslandschaft, eine sonnendurchglühte Sandfläche mit einzelnen mächtigen Steinblöcken, durch die brausend die Wogen gischteten. Pat wandte sich wieder dem Geologen zu, der gebannt auf das lebende Bild starrte. »Gut so, Karel, oder hättest du lieber eine andere Aussicht?«

Knicek starrte auf das tosende Meer. »Du bist eine große Künstlerin, Pat. Wenn du als Ärztin und Psychologin soviel kannst wie auf dem Gebiet des Videoramas, brauchen wir vor keiner Krankheit Angst zu haben.«

Die junge Frau zuckte zusammen, dann aber hatte sie. den leichten Ton, der ihr jetzt angebracht schien, gefunden. »Wo ist da ein Unterschied, Karel? Vielleicht gehört das sogar zu meinen Spezialgebieten. Oder findest du nicht, dass sich beim Anblick dieses Meeres dein psychischer Zustand stabilisiert?«

Der Geologe betrachtete das Meer, wie es lebte, sich veränderte, und ihm schien, als weiche die Beklemmung langsam. Er lächelte. »Du bist eine große Künstlerin, Pat, und eine ausgezeichnete Medizinerin.« Spontan ergriff er ihre Hand und hielt sie fest.

Patricia Allan blickte den Geologen erstaunt an, dann zogen sich ihre Brauen zusammen. Sie erwartete offensichtlich einen Gefühlsausbruch, aber der burschikose Ton in Kniceks Stimme beruhigte sie sofort wieder. »Gehen wir zu den anderen, ich werde ihnen erzählen, welches Kleinod wir an Bord haben, du wirst dich nicht mehr vor ihnen retten können, alle werden sich um solch ein Videorama reißen.«

Pat blickte verwundert, schrieb aber dann Kniceks Überschwang dem plötzlichen, durch das Bild verursachten Stimmungsumschwung zu.

Als sie den Steuerraum betraten, sahen sie zuerst nur den gebeugten Rücken Duprees, der seit Stunden hinter dem Funkmesspult saß. Seit Stunden peilte er mit den mächtigen Außenantennen den Planeten des Systems an, der als Lebensträger in Betracht kam, schwenkte hin und wieder auch über die anderen, veränderte Frequenzen, schaltete auf Radar um. Mit wachsender Ungeduld beobachtete er die huschenden Linien auf den Bildschirmen, versuchte aus den natürlichen Geräuschen Tausender von Raumkörpern eine Unregelmäßigkeit herauszufiltern, die nicht hineinpasste in die Sinfonie der Töne des Weltraums, die auf die Anwesenheit von intelligentem Leben schließen ließ. Von Zeit zu Zeit zuckte er die schmalen Schultern und blickte hinüber zu dem Steuerpult, an dem der Kommandant die Annäherung der Raumkugel an den Zielplaneten überwachte. Die Signale blieben aus.

Leise nahmen Pat und Karel in ihren Sesseln Platz, um den Anflug zu beobachten. Hinter ihnen betrat Korojew den Kommandoraum, stellte sich hinter den Astronomen und blickte ihm lange über die Schulter. »Noch immer nichts?«

Dupree schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Ants! Sie schweigen, schweigen seit zweihundertfünfzig Jahren.«

»Also doch der verschwundene Planet...« Korojew sprach den Satz nicht zu Ende.

Der Astronom wischte über den Tisch, als wollte er diesen Gedanken so weit wie möglich von sich wegschieben. »Nein, das meine ich nicht. Es gibt eine Menge anderer Möglichkeiten. Vielleicht unterliegt der Leitstrahl einer Ablenkung zwischen den Galaxien und erreichte uns nur aufgrund einer Anomalie. Was wissen wir von Suprafrequenzen?« Er erwartete Einwände von Korojew, Fragen, die das Gebäude seiner Hoffnungen zusammenbrechen lassen würden, aber der Ingenieur wandte sich wortlos ab. Natürlich, auch er hoffte ja noch auf eine Begegnung mit intelligenten Wesen.

Das Bild auf dem Bugschirm hatte sich in den letzten Minuten immer mehr verändert. Langsam war der dritte Planet, das erste Ziel der Expedition, in das Bild gelaufen. Seine wattige Kugel überstrahlte minutenlang alle anderen Sterne und lief dann nach unten weg. Kurz darauf tauchte sie auf dem Bodenbildschirm auf und schien dann ihre Lage nicht mehr zu verändern. Der Steuerkybernet schaltete auf Datenermittlung um und verkündete: »Gal 1 Sol 3.14 erreicht Parkbahn.«

Sekunden danach klapperte aus einem seitlichen Schlitz ein durchsichtiges Modell mit der Darstellung und den Maßen der anliegenden Bahn im Verhältnis zum Gesamtsystem. Die Kosmonauten lehnten sich in ihren Sesseln zurück, die Anspannung der letzten Stunden verflog. Nur einer blieb vornübergeneigt sitzen: Roger Dupree, der Astronom.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

In der kleinen, behaglich eingerichteten Gemeinschaftskabine verklang das Klappern der Messer und Gabeln. Hier und da schob einer der Kosmonauten den Teller mit einer abschließenden Bewegung zur Mitte des Tisches, zur Klappe des Speisenliftes und lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück. Geraldine Lundgreen streckte die langen Beine unter den Tisch und blickte ihr Gegenüber, den Raumassistenten Alexejew, versonnen an. Der junge Mann mit dem hübschen schmalen Gesicht schien verschlossen zu sein. Nicht dass er sich von den Kameraden absonderte, nein, es war wohl mehr ein Gefühl der mangelnden Erfahrung, das ihn mehr zuhören als mitreden ließ. Und wenn er doch einmal mit einer Bemerkung herausplatzte, sah er hinterher aus, als wolle er sich am liebsten sofort entschuldigen. Es war natürlich möglich, dass dies nicht so sehr an ihm selbst als an den alten Sternenfüchsen lag, die sich in den Tagen des Trainings gegenseitig mit guten Ratschlägen übertroffen hatten. Dabei war sicher, dass Alexejew einen guten Teil des Vorsprungs an Erfahrungen, den die anderen hatten, durch seine Klugheit und durch die Tatsache, dass sein Wissen dem letzten Stand entsprach, ausglich. Sie wird über den Jungen mit Er Halfis sprechen.

Die Stimme des Kommandanten unterbrach ihre Überlegungen. »Die erste Landegruppe, Ants Korojew, Klaus Wilden und Geraldine Lundgreen, bitte in den Steuerraum!«

Die Kybernetikerin stand langsam auf. Korojew und Wilden hatten die Gemeinschaftskabine bereits verlassen und waren sicher schon auf dem Weg zum Steuerraum. Sie berührte Alexejews Arm. »Komm mit, Pjotr, es scheint loszugehen. Du kannst uns bei der Vorbereitung der automatischen Landerakete helfen!« Sie hatte die Hand auf seinen Rücken gelegt und schob ihn resolut zur Tür.

Während Korojew mit geübten Griffen die Deckplatte vor den Programmkontakten der automatischen Landerakete entfernte, ließ er seinen Gedanken freien Lauf. Würden sie auch auf diesem Planeten Leben finden, wie sie es in den ihrem Heimatsystem benachbarten Sonnensystemen gefunden hatten? Und wenn ja, würde es auf höherer Stufe stehen, und wie würden die Lebewesen aussehen? Längst war die Theorie, dass sich alles höhere Leben im Kosmos im Prinzip gleicht und nur eine eng begrenzte Ökosphäre intelligente Lebewesen hervorbringen kann, als unhaltbar aufgegeben worden. Jetzt wusste man, dass die Gesetze des Kosmos viel weiter gesteckt waren, als es die Menschen jemals vermutet hatten. Die Kosmosbiologie hatte Lebensformen klassifiziert, die denen auf der Erde in nahezu nichts ähnelten. Korojew sah die riesigen Pflanzenherden vor sich, die den Boden des zweiten Planeten der für irdische Begriffe äußerst heißen Sonne Fomalhaut mit ihren knotigen Wurzeln völlig auslaugten und dann weiterzogen, bis der heiße Wind und der heftige Mineralregen neue Nährstoffe herangeführt hatten. In Gedanken durchlebte er noch einmal das Grauen, das ihn und Er Halfis gepackt hatte, als sie auf dem ersten Planeten der gleichen Sonne von riesigen, von Mineralien und Metallen lebenden Siliziumwesen eingeschlossen waren. Diese rhombisch flachen Tiere verarbeiteten alle unter ihre tonnenschweren Körper geratenden Stoffe durch Foto- und Wärmesynthese unter den glühenden Strahlen Fomalhauts. Damals hatten der Assistent Korojew und der mehrere Jahre ältere Pilot Er Halfis Freundschaft geschlossen. Einer ihrer Freunde, der Biologe Wilden, fand bei dieser Expedition den Tod. Und er, Korojew, fühlte sich lange Zeit nicht ganz schuldlos daran. Mit der Zeit erreichten die Kameraden, die ihm immer wieder sagten, dass er sich in ein Schuldgefühl verrenne, das kein Motiv habe, dass er darüber hinwegkam. Als jedoch der Sohn des Verunglückten, der junge Klaus Wilden, der Forschungsgruppe Halfis zugeteilt worden war, fühlte er sich erneut bedrückt.

Während jetzt der junge Ingenieur mit der Steuerfolie in der Hand neben ihm stand, versuchte er immer wieder in den Mienen des hageren Gesichts zu lesen. Aber er sah nicht die Spur eines Vorwurfs darin. Wilden legte die Steuerfolie vorsichtig in die geöffnete Klappe und überprüfte nochmals den Kodeaufdruck. Dann verriegelte Korojew den Verschlug und programmierte den Laderoboter. Als sich hinter den beiden Ingenieuren die Tür des Laderaumes schloss, schob der Roboter den lanzettförmigen Flugkörper bereits in das Startrohr.

Minuten später flammte in der Schwärze des Weltraums ein Blitz auf, riss die Flächen des Kugelraumers aus der Dunkelheit und verlor sich in wenigen Sekunden in der Ferne. Die Plasmatriebwerke des Aufklärers hatten gezündet. Er begann auf den Planeten zuzustürzen, über dessen Rand langsam der rote Zwerg emporstieg. Die wattige Kugel wurde von einem rosa Leuchten übergossen, das nur noch stellenweise von einem dumpfen Grau unterbrochen war. Alexejew rig sich mit Mühe von diesem Anblick los. Er sah die breiten Sessellehnen, die sich vor dem in unwirklichem Licht schimmernden Bildschirm nur schemenhaft abzeichneten. In wenigen Sekunden würde die Landerakete mit ihrer Übertragung beginnen. Er spürte die Spannung, die auch die anderen Kosmonauten ergriffen hatte.

Endlich huschten dunkle Linien über den Schirm der Kontrollanlage, dann flammte das Bild in grellrosa Farben auf. Korojew begann mit ruhiger Stimme Höhenangaben abzulesen. Alexejew konnte keine Erregung aus dieser Stimme heraushören, und er bewunderte die Ruhe des Zwo-Eins, die von einer Sicherheit zeugte, wie sie nur jahrelange Erfahrung hervorbrachte.

Der Bildschirm zeigte seit Minuten ein rosa Meer, dem sich der Aufklärer, den Höhenangaben zufolge, jedoch schnell näherte. Dann waren die Farben schlagartig weggewischt. Auf dem Schirm erschien ein kontrastloses Inferno brodelnden Dampfes.

Alexejew hörte in der Stimme Duprees eine ganz kleine Unsicherheit, als der sagte: »Nebel, einfacher grauer Nebel. Ist es nicht, als ob die Rakete in einen Tunnel flöge?«

Schon zu Beginn der Übertragung vom Aufklärer hatte sich der Astronom in seinem Sessel umgedreht und blickte mit den anderen auf den Nebenschirm. Erst als der graue Nebel zu zerreißen begann, als trotz der Geschwindigkeit Kontraste in den Nebel kamen, atmete er auf und drehte sich für Sekunden wieder zu seinen Instrumenten um. Nachdem jedoch Korojew die Abrufanlage für die Atmosphärenzusammensetzung eingeschaltet hatte, gab es auch für ihn nur noch den landenden Aufklärer.

Korojew blickte in die Gesichter der Kameraden, der Kommandant hatte die Lippen zusammengekniffen, um Mund und Augen lagen scharfe Falten. In den nächsten Mal Minuten musste eine der wichtigsten Entscheidungen der Expedition fallen. Schon die ersten Worte des Analyseautomaten an Bord des Aufklärers zerstreuten alle Bedenken. »Sauerstoff... 26 – Stickstoff... 62.«

Ein unterdrücktes Raunen ging durch den Steuerraum. Korojews Augen strahlten.

»Helium... 9.«

Die Entscheidung war fast schon gefallen. Die Luftzusammensetzung entsprach der eines Lebensträgers der Erdklasse. Der Kommandant schwang sich mit seinem Sessel herum. Die Falten um Mund und Augen waren verschwunden, das dunkle Gesicht machte einen gelösten Eindruck, und doch war in seiner Stimme Erregung spürbar. »In der bisherigen Geschichte der Raumfahrt wurde noch kein Weltkörper entdeckt, der in Luftzusammensetzung, Temperatur und Masseverhältnissen der Erde so ähnelt wie dieser Planet.«

Korojew rieb sich die Hände, seine Freude war grenzenlos. »Viel freier Sauerstoff, Heliumüberschuss, hohe Luftfeuchte, sehr warm, aber Luft, richtige Luft.«

Sein Zeigefinger stach in Richtung auf die braunhaarige Biologin. »Was sagt uns der freie Sauerstoff, Grit?«

Grit Donnovans Augen blitzten den Ingenieur voll Übermut an, sie sprang auf und schnarrte die Antwort herunter wie ein Musterschüler in einer Lehranstalt. »Das Vorhandensein freien Sauerstoffs lässt sich nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand nur aus der Anwesenheit von Pflanzen erklären, die bei der Assimilation Sauerstoff abspalten. In der unbelebten Natur ist das Element Sauerstoff ausschließlich in chemisch gebundener Form vorhanden.« Sie setzte sich lachend und legte die Hand auf die kleine grüne Taste an ihrem Pult. Ihre Stimme klang wieder völlig ernst. »Ich führe den Bakterientest durch. Wenn auch er positiv ausfällt...«

Es war, als zögere ihre Hand einen Augenblick, aber dann drückte sie entschlossen die Taste nieder, die sofort rhythmisch zu blinken begann. Am liebsten wäre sie dem neben ihr stehenden Raumassistenten um den Hals gefallen, die Gewissheit war da: Der Planet trug Leben.

Sie blickte auf Alexejew, der jedoch die kleine grüne Taste genauso wenig wie ihre Freude beachtete, sondern mit zusammengezogenen Brauen auf ein Anzeigegerät im unteren Drittel des Nebenbildschirms deutete. »Die Ionisation ist in den letzten Minuten stark gestiegen. Die obersten Schichten der Atmosphäre scheinen mit radioaktiven Stoffen angereichert zu sein.«

Korojew nickte. »Das muss noch nichts Negatives bedeuten und kann mehrere Ursachen haben. Die Werte liegen nicht allzu weit über denen der Erde. Sie können durchaus normal für diesen Planeten sein.«

Pat Allan wandte sich zu ihm. »Es gab eine Zeit auf der Erde, Ants, in der die Ionisation weit höher lag, als das hier der Fall ist. Trotzdem sollten wir die Tatsache, dass in der Lufthülle radioaktive Zerfallsprodukte enthalten sind, nicht unterbewerten. Viele Möglichkeiten der Entstehung der Radioaktivität gibt es nicht.«

Pat Allan, die kurz vor dem Start der Expedition mit einem Thema über Zusammenhänge zwischen der negativen Beeinflussung der Umwelt und der Klassengesellschaft ihren zweiten akademischen Grad erworben hatte, warf mit einer schnellen Kopfbewegung eine Haarsträhne aus der Stirn. Einen großen Raum in ihrer Arbeit hatte die Radioaktivität der Erdatmosphäre kurz vor der Vereinigung der gesamten Menschheit und die Normalisierung danach eingenommen. Aus ihren Gedanken heraus sagte sie: »Das Schlimmste, das wir hier vorfinden können, ist eine Welt, die den Atomtod gestorben ist.«

»Unsinn, Pat!« Korojew richtete sich auf. »Hier können ganz andere Maßstäbe als auf der Erde gelten. Die Natur geht nicht sklavisch den gleichen Weg. Wir werden keine Zweitausgabe des biologischen Systems Mensch finden. Vielleicht ist diese Radioaktivität für die hier lebenden Wesen das Optimum.«

Geraldine Lundgreen hob die Schultern. »Trotzdem sollte man Pats Bedenken bei der Wahl unserer nächsten Mal Schritte berücksichtigen.«

Der Ingenieur winkte ab. »Ich glaube nicht daran. Dann schon lieber atomgetriebene Spinnen, die darauf warten, uns in Netzen aus gebündelten Gammastrahlen zu fangen.«

Die Kybernetikerin sprang auf und stellte sich neben Pat Allan. Ihre Antwort war leise, gewann aber dadurch noch an Schärfe. »Solange du über nebensächliche Probleme Witze machst, kannst du das ruhig tun. Aber man darf seine Augen auch nicht vor Dingen verschließen, die unangenehm oder gar lebensgefährlich werden können. Wir sollten also alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, auch die, die nicht mit unseren Hoffnungen und Wünschen übereinstimmen. Wenn es sein muss, bin ich sogar bereit, mit dir über deine Spinnen zu diskutieren. Als erfahrener Kosmonaut weißt du genau, dass nur äußerste Umsicht die potentiell vorhandenen Gefahren auf ein Minimum reduzieren kann.«

Korojew war einen Schein blasser geworden. Unwillkürlich wandte er den Kopf, um zu sehen, ob der junge Wilden die Zurechtweisung gehört hatte. Aber der Ingenieur blickte wie gebannt auf den Bildschirm, auf dem die letzten Wolkenbänke verschwanden. Darunter lag eine Fläche, die bei der großen Flughöhe völlig eben erschien und die durch Streifen von dunkler Tönung in regelmäßige Teile gegliedert war. Es wurde zur Gewissheit, dass hier denkende Wesen die Umwelt zu ihrem Vorteil verändert hatten. Aber die aufflackernde freudige Erregung kam nicht zum Durchbruch. Zwar war es jetzt sicher, dass sie die ersten Menschen sein würden, die Kontakt zu denkenden Wesen eines anderen Sterns bekommen würden, aber die Fremden schwiegen noch immer, gaben kein Lebenszeichen.

Als Korojew die Gesichter der Kameraden betrachtete, die im Lichtschein des Bildschirms scharfe Linien zeigten, blieben seine Augen an Karel Knicek hängen. Deutlich konnte er in diesem Augenblick den sehnlichsten Wunsch des Geologen von dessen Mienen ablesen: Erde unter die Füße zu bekommen, Erde oder etwas Ähnliches, mit nackten Füßen durch warmen Sand zu laufen an einem nach Tang riechenden Meer; auf einem von der Sonne in gleißendes Licht getauchten, warmen Felsen sitzen und die Füße in kühles salziges Wasser tauchen. Korojew wusste genau, welche Gedanken hinter den zusammengezogenen Brauen über den weit aufgerissenen Augen gedacht wurden. Er konnte sich gut in die Gefühle des anderen hineindenken, aber er wusste auch um die Gefahren, die drohten, wenn es ihnen nicht gelingen sollte, dem Geologen die innere Sicherheit wiederzugeben. Sie würden ihn sehr genau beobachten müssen.

»Dieser Planet ist zweifellos bewohnt. Wie soll man es aber erklären, dass alle unsere Zeichen unbeantwortet geblieben sind, ja dass nicht einmal so etwas wie ein planetarer Funkverkehr stattfindet?«, sagte der Kommandant nachdenklich.

Er blickte auf den Astronomen, der immer noch über sein Pult gebeugt saß und die Hörer an die Ohren presste. Dann versuchte er seine Frage selbst zu beantworten. »Entweder sie kennen keine Signalgebung in unserem Sinne, oder sie legen keinen Wert auf Kontakte mit anderen Lebewesen. An die Möglichkeit, dass sie diesen Planeten verlassen haben oder gar ausgestorben sind, mag ich nicht denken.«

Korojew schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht, Er. Ich glaube vielmehr, dass sie technisch unsere Entwicklungsstufe noch nicht erreicht haben und deshalb weder Zeichen geben noch Zeichen empfangen können.«

»Und die Signale, die die Erdaußenstationen aufgefangen haben...?«

»...kamen von einem anderen Planeten.«

Grit Donnovan trat auf den Ingenieur zu und fasste ihn am Arm. Ihr Griff war so fest, dass Korojew das Gesicht verzog. »Belüge dich nicht selbst, Ants. Erinnere dich an deine Frage nach dem freien Sauerstoff!«

Vorsichtig nahm er ihre Hand von seinem Arm und hielt sie fest. »Das beweist noch gar nichts, Grit. Mag auch die Entwicklungsdauer dieses Planeten nach der Sauerstoffhypothese etwa die gleiche wie die der Erde sein, die Evolutionsgeschwindigkeit kann langsamer sein. Die Natur wiederholt sich nicht sklavisch.«

Die Biologin entzog ihm langsam ihre Hand. »Du wiederholst dich, Ants. Ich gebe zu, dass sich diese längst bewiesene Theorie, die so viel für sich hat, jetzt gegen uns wendet, ich gebe auch zu, dass du nicht der einzige bist, der auf eine Ausnahme hofft, aber den Tatsachen muss man nun mal ins Auge sehen.«

Korojew senkte den Kopf und starrte wieder auf den Bildschirm. »Wir werden bald Gewissheit haben. Ich schlage vor, den Aufklärer zu landen.«

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Mit der Sicherheit eines Uhrzeigers kreiste die Rakete seit Stunden auf einer niedrigen Umlaufbahn um den Planeten. Immer noch übermittelte sie die gleichen Bilder wie kurz nach dem Durchstoßen der Wolkendecke: Dunkelbraune Wolkenbänke über dem Blaugrün einer klar gegliederten Landschaft, das Glitzern einiger Seen oder das Blau eines Meeres, das schlagartig durch die sich spiegelnden Sonnen in einem blendenden Farbenchaos von Rot und Violett unterging, dann wieder das blendende Weiß tief liegender Nebelbänke im Licht beider Sonnen. Aber es waren keine Berge, keine verschneiten Gipfel zu sehen – und außer der Gliederung der Landschaft keine Spur höheren Lebens.

Im Kommandoraum herrschte Ruhe. Korojew warf ab und zu einen Blick auf die Instrumente, doch war nicht sicher, ob er die kleinen Zeigerausschläge überhaupt wahrnahm.

Der Kommandant richtete sich in seinem Sessel auf, er hatte einen Entschluss gefasst. »Wir werden den Aufklärer in fünf Stunden landen. Bis zum Beginn der Landung werden wir uns etwas ausruhen. Ihr seht abgespannt aus. Da die Rakete und auch unser Räumer auf einer stabilen Bahn laufen, ist keine Wache erforderlich.«

 

In seiner Kabine warf sich Korojew auf die schmale Koje und starrte zur Decke. Ihm ging die Bemerkung der Kybernetikerin nicht aus dem Kopf: »Die potentiell vorhandenen Gefahren auf ein Minimum reduzieren, durch Umsicht reduzieren.«

Natürlich hatte Geraldine in ihrer geraden Art, die nichts beschönigte, das Richtige getroffen, aber neigte er tatsächlich zu Leichtsinn oder gar dazu. Wesentliches zu übersehen? Zugegeben, er verließ sich häufig auf sein Gefühl oder auf seine Erfahrung, in vielen Fällen traf er Entscheidungen ohne genaues Abwägen, emotionell. Aber eigentlich waren seine Entscheidungen doch immer richtig... Immer?

Nein, nicht immer, aber er war sehr jung gewesen damals unter den glühenden Strahlen der Sonne Fomalhaut. Korojew erinnerte sich in quälenden Bildern.

Der erste Planet dieser heißen Sonne ist eine in den äußersten Gasschleiern des Zentralgestirns kreisende, auf den ersten Blick tote und wüste Welt. Aber sie birgt ein gefährliches Leben. Korojew sieht sich wieder in weiten Sätzen über die qualmenden Steine springen. Das Keuchen des neben ihm her hetzenden Er Halfis wird in den Kopfhörern von den gellenden Schreien eines ihrer Kameraden übertönt. Diese Schreie spornen sie zur Hergabe der letzten Kräfte an. Als sie um einen Vorsprung der Felsenkette biegen, sehen sie das Entsetzliche.

Nur wenige Meter unter ihnen, am Fuße eines steilen Abhangs, liegt der Biologe der Expedition unter einem der riesigen, flachen und steinharten Tiere, die sich auf unzähligen gepanzerten Füßen über den heißen Sand schieben.

Auch jetzt noch fühlte er das Entsetzen, das ihn damals gepackt hatte. Er hatte einen verhängnisvollen Fehler begangen, als er den Laserstrahler mit einem Ruck hochriss und die Oberfläche des Kolosses in einen dampfenden, stinkend aufkochenden Brei verwandelte. Der Riese war langsam über dem Biologen zusammengebrochen, hatte die Schreie mit seiner Masse erstickt.

Keiner hatte ihm jemals einen Vorwurf aus seiner Handlungsweise gemacht, denn der Biologe, der sich im Übereifer zu weit von der Forschungsgruppe entfernt hatte, wäre ohnehin nicht mehr zu retten gewesen. Aber die Selbstvorwürfe, übereilt gehandelt zu haben, blieben, zumal durch den Schuss und den Gestank nach verbrannter Körpersubstanz eine Unmenge der gefährlichen Rhomben herbeigelockt worden waren, denen er und Er Halfis nur mit letzter Mühe entgingen. Die letzten Kilometer hatte er den einige Jahre älteren, völlig erschöpften Er Halfis getragen, auf einer furchtbaren Flucht vor dem Tode.

Der so entsetzlich umgekommene Biologe hieß Erik Wilden, und Klaus Wilden war sein Sohn. Mit keiner Bemerkung, mit keinem Blick hatte der junge Ingenieur bis jetzt zu verstehen gegeben, dass er um die Umstände wusste, unter denen sein Vater umgekommen war. Würde er dem Jungen noch unbekümmert in die Augen sehen können, wenn der erfuhr, dass er nicht ganz unschuldig am Tod seines Vaters war?

 

Klaus Wilden spürte die Spannung im Steuerraum. Aber er fühlte auch Korojews breite Hand auf seiner Schulter, fühlte die Ruhe, die von diesem Mann ausging. Er holte noch einmal tief Luft, stemmte die Füße in die Seitenruder der Fernsteueranlage, griff zum Höhenregler und machte die Bewegungen der Automatik mit. Dann schaltete er mit einem Ruck die Pilotanlage auf Handsteuerung um. Ruhig lag der Aufklärer in seinen Händen. Das Bild auf dem Kontrollschirm reagierte auf jede Steuerbewegung in Gedankenschnelle. Es wirkte so echt, dass sich die Kosmonauten des Gefühls, selbst in der Rakete zu sitzen, nicht erwehren konnten. Schon jetzt stemmten sie gewohnheitsmäßig die Füße gegen den Boden und lehnten sich in ihren Sesseln zurück, als Wilden den Höhenregler gleitend nach vorn schob und die unter der Kamera dahinziehende Fläche sich zu drehen begann, bis sie den gesamten Bildschirm ausfüllte. Die dunklen Linien kippten zur Seite, wurden breiter und verschwanden an den Rändern. Dann fing Wilden die Maschine ab und nahm den Fahrthebel um einige Strich zurück. Die Geschwindigkeit des Aufklärers fiel auf ein Minimum.

Automatisch schaltete sich die Infrasichtanlage ein. Das Bild wurde kontrastreicher, farbiger und tiefer. Unter der Rakete zogen sich unübersehbare bläuliche Wälder hin. Die Art der Pflanzen war aus dieser Höhe nicht auszumachen. Wilden zog die Maschine in steilem Bogen herum und steuerte sie im Sturzflug auf eine der dunklen Linien zu. Langsam löste sich das flächige Band in viele kleine Erhebungen auf. Korojew schüttelte den Kopf. »Das sah zuerst wie eine Straße aus, und jetzt ist es ein mit gewölbten Schuppen bedecktes Band.«

Grit Donnovan beugte sich weit über Wildens Schulter und blickte angestrengt auf den Schirm. »Diese Schneisen in den Wäldern können nicht natürlichen Ursprungs sein. Ich tippe auf Straßen, die seit langem nicht mehr benutzt werden.« Sie blickte den neben ihr stehenden Korojew an. »Vielleicht seit zweihundert Jahren.«

»Der Treibstoff reicht nur noch für etwa zehn Minuten.« Wilden deutete mit einer Kopfbewegung auf die Treibstoffanzeige.

Er Halfis stand auf und trat ebenfalls hinter den jungen Ingenieur. »Wenn wir in fünf Minuten keinen geeigneteren Platz zum Landen finden, setzt du die Rakete auf einer dieser mit violetten Erhebungen gepflasterten Straßen ab.«

»Da vorn scheint sie zu Ende zu sein.« Die Biologin zeigte auf eine schnell näher kommende Stelle, an der die Straße vom Wald verschluckt wurde. »Da... Gebäude!«

Wilden reagierte sofort, wendete über einem dichten Waldgebiet, hinter dem in weiter Ferne eine Wasserfläche sichtbar wurde, und suchte die Straße wiederzufinden, die übergangslos in einem Gewirr von Steinklötzen endete.

»Da vorn ist die Straße wieder. Langsamer fliegen, man kann ja bei dieser Geschwindigkeit nichts erkennen.« In den Stoßseufzer der Biologin mischte sich ein hoher Summton.

Korojew schob sie ein Stück zur Seite. »Du musst landen, Klaus! Der Treibstoff geht zu Ende.«

»Achtung!« Wildens jungenhafte Stimme füllte den Kommandoraum aus. Und diesmal sahen es alle. Unter ihnen lagen eng an den Boden geduckte Würfel, Quader und Kugeln; die Bebauung endete schlagartig an der Straße mit dem violetten Pflaster.

Steil zog Wilden die Maschine in die Höhe, schaltete blitzschnell auf Landeautomatik um und lehnte sich in den Sessel zurück. Auf dem Kontrollschirm erschien das von der Heckkamera aufgenommene Bild, das in der erhitzten Luft flimmerte. Der Aufklärer sank auf dem Treibgasstrahl langsam tiefer. Die Wälder zu beiden Seiten kamen schnell näher, die Straße, die die Bildmitte durchschnitt, wurde immer breiter. Jetzt waren auch schräg unten die Gebäude wieder sichtbar. Die Kosmonauten drängten sich um den Bildschirm, sogar Roger Dupree, der die Hörer immer noch über die Ohren gestülpt hatte, war näher herangerückt und ließ keinen Blick von den fremden Bauwerken.

»Jetzt müssten doch schon Menschen zu sehen sein.«

»Sehr strenge Bauformen. Nahezu exakt geometrisch.«

»Dort ein Turm. Schlank und hoch. Obenauf eine Antenne.«

»Alle Achtung, Karel, du hast ausgezeichnete Augen. Es sieht tatsächlich wie eine Antenne aus.«

Tiefer sank der Aufklärer. Seine Geschwindigkeit näherte sich der Nullmarke. Langsam wuchs der Boden der Rakete entgegen. Noch hatte sie die Höhe der Baumwipfel nicht erreicht; die Pflanzen wiesen enorme Maße auf. Die Spitze des Turmes lag ein gutes Stück tiefer. Da plötzlich gaben die Fremden ein erstes Lebenszeichen. Von der Spitze des Turmes löste sich zögernd eine grünschimmernde Kugel und schwebte pulsierend auf die Landerakete zu. Instinktiv spürten die Kosmonauten die sich nähernde Gefahr. Aber es war zu spät.

Ehe Wilden wieder zur Handsteuerung greifen konnte, erreichte die Kugel den Aufklärer in Höhe der Triebwerke, und während in der Kommandokabine des Räumers entsetztes Schweigen herrschte, erlosch der Bildschirm nach einem Inferno blitzender Funken. Die Kosmonauten waren sekundenlang wie gelähmt; es war etwas eingetreten, mit dem sie nicht gerechnet hatten, der Aufklärer war vernichtet worden, beim ersten Versuch der Kontaktaufnahme mit den Fremden.

Und dann zirpten Zeichen durch den Kommandoraum, begannen die auf Suprakurzwelle eingestellten Geräte zu arbeiten, hämmerten ihre Nachrichten in den Plaststreifen, malten zuckende Kurven auf den Bildschirm.

Während sich die Kosmonauten im Raumschiff um die tickenden Apparate drängten, als könnten die ihnen Antwort geben auf ihre Frage nach dem Warum der Vernichtungstat, schlug eine Hitzewelle auf den Boden des Planeten, ließ links und rechts der Straße Bäume aufflammen und knisternd zusammenbrechen. Niedrige Pflanzen mit violetten Schirmen verwandelten sich in bläulichen Dampf. Dort, wo Pflanzenmasse verkochte, erhob sich in den niedrigen unversehrten Büschen am Rande der Straße ein seltsames Wesen und hastete, schrille Schreie ausstoßend, durch den Wald. Noch lange waren das Schreien und dazu das schwere Stampfen blinkender metallischer Glieder zu hören.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

Abergläubische Furcht ließ Ka Loo zusammenbrechen. Wimmernd presste er sich an die Wurzeln der niedrigen Bäume, die auf der Straße der Weisen wuchsen. Über ihm breiteten sich die Scheiben der violetten Pflanzen aus, die sich auf dieser Straße erhoben und denen man sich nicht nähern durfte, weil sie nach Meinung der Weisen die Sinne verwirrten und Krankheit verbreiteten. Hätte er nur auf die Weisen gehört und die Höhle, in der er mit vielen anderen Koarnalen lebte, nicht verlassen. Nicht umsonst warnten die Weisen immer wieder vor den Briganten. Aber er, Ka Loo, wollte das Licht sehen, das Licht, das nur den Weisen Vorbehalten war, und die Bäume und die Straße. Wäre er nur in der Höhle geblieben, denn jetzt war er verloren. Die Angst schüttelte ihn, als er versuchte, nach dem Grausigen zu sehen, das von dort oben, von den schwimmenden Bergen, hinter denen die Briganten wohnten, auf ihn zugekommen war.

Gehetzt blickte er um sich. Rings um ihn ragten die schlanken Stämme der Schirmpflanzen. Flackerndes Licht brach durch die Spalten zwischen den schwebenden Scheiben, malte in grellen Farben Reflexe auf die verknoteten Wurzeln und auf die geborstenen Platten am Boden. Und über den Scheiben heulten die Briganten. Zur Flucht war es zu spät. Zwar könnte er aufstehen und sich unter die Bäume des nahen Waldes tragen lassen, aber

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Klaus Frühauf/Apex-Verlag/Successor of Klaus Frühauf.
Bildmaterialien: Karl Fischer/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Karl Fischer/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1740-8

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