Cover

Leseprobe

 

 

 

 

MARC MROSK

 

 

TONI VEGAS

Ein ganz böses Spiel 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

TONI VEGAS - EIN GANZ BÖSES SPIEL 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Hier kommt Toni Vegas.

Pech in der Liebe, Pech im Job, Pech im Spiel.

Einst ein nicht allzu angesehener Kriminalkommissar und ein nicht wirklich erfolgreicher Glücksspieler, nun ein nicht allzu erfolgreicher Detektiv. Doch auf Grund immenser Schulden durch seine Zeit als Zocker muss sich der trinkfeste Privatschnüffler über jeden Auftrag freuen. Auch über den Auftrag des zwielichtigen Anwalts Viktor Ketz, der seine Ehefrau nicht nur verdächtigt, ihn zu betrügen; Ketz vermutet darüber hinaus, dass diese ihn mit Hilfe ihres Liebhabers, der soeben aus dem Knast entlassen wurde, ermorden will...

 

Der Roman Toni Vegas - Ein ganz böses Spiel von Marc Mrosk (Jahrgang 1982) ist der Auftakt einer Serie von Noir-Krimis aus Hannover.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als deutsche Erstveröffentlichung in seiner Reihe APEX CRIME. 

  TONI VEGAS - EIN GANZ BÖSES SPIEL

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Toni saß in seinem Büro, Füße auf dem Tisch, eine Tasse kalten Kaffee in der Hand und verglich seine Rechnungen mit seiner Auftragslage und überlegte, ob es nicht am unkompliziertesten wäre, wenn er sich einfach eine Kugel durch den Kopf jagen würde. Dann wäre der Spuk vorbei. Was soll der ganze Ärger überhaupt noch? Wie er so da saß und einen Blick auf seine alte Kaffeemaschine auf dem Schrank rechts von ihm warf, klopfte es doch tatsächlich an der Tür. Es war kurz nach 18 Uhr und er war eigentlich im Begriff den Laden für heute oder vielleicht sogar für immer zu schließen. Aber wirklich nach Hause wollte er auch nicht und außerdem gab es da ja noch diese Idee mit dem Blei im Schädel.  

»Herein«, rief er, und ein Typ gehobenen Alters trat in Tonis kleines Büro. Der Mann trug einen hellen, feinen Mantel, dazu eine schicke Faltenhose und schwarze Lackschuhe mit flachen Absätzen.  

»Guten Abend«, sagte er und setzte sich ohne Aufforderung auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. 

Toni nahm die Füße vom Tisch, stellte seine Kaffeetasse ab und schaffte ein wenig Ordnung auf dem Tisch.  

»Hallo«, sagte er, »würde Ihnen gerne einen Kaffee anbieten, aber der ist leider schon kalt. Aber ich könnte frischen machen. Könnte auch noch eine Tasse vertragen.« 

»Nein, danke. So spät nicht mehr«, sagte er. 

»Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich kurz die Maschine anschmeiße, während wir reden?«

»Aber nein. Bitte.«

Toni stand auf und ging rüber zur Kommode. Während er die Kanne aus der Maschine nahm, sah er die halbvolle Flasche Bourbon auf einem Regal, das an der Wand hing stehen.

»Ach, was soll's«, sagte er, nahm sich eines der Gläser, von denen, die daneben standen und schenkte sich einen guten Schluck ein.

»Auch was?«, fragte Toni, doch der Mann im Stuhl verneinte wieder.

»Na, schön«, sagte Toni und nahm einen Hieb aus seinem Glas.

»Was kann ich denn für Sie tun?«, fragte Toni und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Ist Toni Vegas ihr richtiger Name?«

Der Mann lehnte sich etwas vor und sah Toni in die Augen.

»Nein«, sagte Toni.

»Warum die Namensänderung?«

»Ist das der Grund warum Sie mich aufgesucht haben? Soll ich das für Sie herausfinden?«

Toni ließ sich zurück in den Stuhl fallen und schwenkte sein Glas locker hin und her.

»Nein.«

Sein neuer potentieller Klient kratzte sich an der Stirn und lehnte sich wieder zurück. Er schien recht nervös zu sein, aber das waren die meisten, die hier herkamen, bzw. von den wenigen, die herkamen, waren die meisten nervös, aber auch Toni war nicht mal ansatzweise so entspannt, wie er es den Anschein machen wollte. Er trank weiter, und es half ein wenig ruhiger zu werden. Dann hörte er sich die Geschichte von dem Mann an, den er so auf Mitte oder Ende 50 schätzte.

»Es geht um meine Frau«, sagte er.

Toni nickte einfach nur. Es ging ganz oft um die Ehefrau oder den Ehemann oder einen sonstigen Familienangehörigen. Sie wurde wahrscheinlich vermisst, dachte er sich, aber wurde schon kurz darauf eines Besseren belehrt.

»Ich denke, sie hat etwas vor. Etwas, das mir schaden könnte.«

»Und das wäre?«

»Ich denke, Sie und ihr Freund, Ihr Liebhaber«, der Mann sprach das Wort aus, als würde es ihm schon seit Stunden quer in der Kehle stecken, »ich denke die beiden möchten, dass ich von der Bildfläche verschwinde.«

»Inwiefern?«

»Sie wollen meinen Tod«, sagte der Mann und schaute fast schon etwas beschämt zu Boden, doch nur einen Moment später war er wieder zurück, mit diesem starre festen Blick, der zeigen wollte, dass er sich niemals unterkriegen lassen würde.

»Und was kann ich da machen?«

Toni leerte sein Glas, stand auf und nahm sich gleich die ganze Flasche mit an den Schreibtisch.

»Ich möchte, dass Sie dafür Beweise finden«, sagte der Mann und schlug das eine Bein über das andere.

»Beweise für einen geplanten Mord, an Ihnen, ausgeübt von ihrer Frau und ihrem Freund oder Liebhaber. Ist dieser Freund nur ein Freund bzw. Liebhaber oder in welcher Beziehung steht oder stand er zu ihrer Frau?«

»Er ist ihr Ex-Freund. Er war zehn Jahre im Gefängnis. Kürzlich kam er wieder raus und hat wohl Kontakt zu meiner Frau aufgenommen. Ich denke, sie wollen an mein Geld.«

»Dann verlassen Sie doch einfach Ihre Frau.«

»So einfach ist das nicht.«

Toni schenkte sich großzügig nach. Für diesen kurzen Augenblick legte sich ein wenig Zuversicht auf sein Gemüt, zumal er bei seinen Rechnungen ganz schön im Rückstand war. Wahrscheinlich würden sie ihm schon nächste Woche den Strom zu Hause abdrehen und dann hier im Büro. Bei der Miete für seine Wohnung lag er schon seit zwei Monaten im Rückstand. Aber nun, gab es da vielleicht doch eine Chance, etwas Geld zu machen, obwohl ihm ein Vermisstenfall lieber gewesen wäre. Bei Vermisstenfällen konnte man in viele Richtungen ermitteln und hatte Anhaltspunkte. Zeugen, Dokumente, Videoaufnahmen, Fotos, etc. Aber diese Geschichte hier drohte einem schon am Anfang zu entwischen, wie ein nasses Stück Seife.

»Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Frau Sie tot sehen will?«

»Ich habe ein Gespräch mit ihrem Ex-Freund mitgehört und da sind ziemlich eindeutige Äußerungen gefallen.«

»Und Sie haben Ihre Frau damit nicht konfrontiert?«

»Nein.«

»Sonst irgendwelche Andeutungen oder Hinweise?«

»Nein.«

»Es ist nicht einfach, einen geplanten Mord nachzuweisen. Schon gar nicht innerhalb einer Ehe. Denken Sie, ich gehe einfach zu Ihrer Frau und Sie gesteht, was sie mit Ihnen vorhat? Sie kann und wird alles abstreiten und im besten Fall ihrem Ex-Freund in die Schuhe schieben. Sie haben doch gesagt, dass er gerade aus dem Knast raus ist. Wie lange hatten Sie gesagt? Zehn Jahre? Was hat er angestellt? Raubüberfall? Schwerer Betrug?«

»Raubüberfall.«

»So, da haben Sie's. Es geht ihm mal wieder ums Geld. Sie wird alles auf ihn schieben. Vielleicht erpresst er auch Ihre Frau.«

»Nein. Ich bin mir sicher, dass sie dahinter steckt. Er ist nur ein Spielfigur.«

»Und warum können Sie sie nicht verlassen?«

»Würde ich dann nicht eine mutmaßliche Mörderin laufen lassen?«

Toni musste kurz lachen. Eine »mutmaßliche Mörderin«. Toni sollte also jemandem etwas nachweisen, was er vorhatte zu tun. Die schlimmste Straftat überhaupt. Vorsätzlicher Mord. So ähnlich wie in diesem Science-Fiction Kinofilm. Er war müde, etwas angetrunken und irgendwie auch ausgebrannt. Doch er brauchte das Geld und konnte nicht mit Sicherheit sagen, wann der nächste Klient oder die nächste Klientin durch seine Tür kommen würde. Die Sache gefiel ihm nicht besonders, aber er hatte keine Wahl. Er trank schnell noch was, kippte nach und beobachtete nachdenklich den Whiskey in seinem Glas. Was soll es schon? Schlag einfach ein. Such seine Frau, beschatte sie eine Weile und versuche ein paar Informationen über Sie zu bekommen, sagte er sich. Im Grunde wäre es ein ganz ruhiger Observierungsjob. Mehr wäre es doch wirklich nicht, auch wenn das Ende dieser Geschichte alles andere als vielversprechend schien. Intrigen, Betrügereien, Lügen und das alles in der heiligen Institution der Ehe. Wäre da nicht der Verdacht eines Mordanschlags, wäre es eine ganz normale Geschichte. Der Teil mit dem Mord gefiel ihm gar nicht.

»Na schön. Ich werde sehen, was ich tun kann. Sie kennen mein Honorar?«

»Ich kenne ja nicht mal ihren richtigen Namen«, sagte er.

»Der ist nicht wichtig. Ihrer hingegen schon.«

»Mein Name ist Ketz. Viktor Ketz. K-E-T-Z. Viktor mit K.«

»Gut, Herr Ketz und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Ich werde vielleicht nichts Handfestes herausbekommen. Und ich koste Sie 200 pro Tag.«

»Ist in Ordnung und einen Versuch ist es wert, Herr...Vegas«, sagte er mit einem verschmitzten Grinsen.

»Sagen Sie einfach Toni.«

»Wollen Sie sonst nichts wissen?«

»Das reicht fürs erste. Ich möchte mir so gut es geht, ein eigenes Bild machen können«, sagte Toni und stand auf.

»Na schön. Morgen früh zwischen acht und neun wird sie wohl ins Fitnessstudio fahren.«

»Okay. Danke für die Info.«

»Treiben Sie Sport, Toni?«, fragte Ketz.

»Ich spiele gerne Mini-Golf«, sagte Toni, »und Sie?« 

»Hin und wieder«, sagte er und erhob sich.  

»Haben Sie eine Karte?«, fragte Toni und trank sein Glas leer. 

»Ja.«  

Ketz zog eine Visitenkarte aus einem Lederetui und warf sie auf den Schreibtisch.  

»Dann viel Erfolg. Wann höre ich wieder von Ihnen?«  

Ketz gab Toni die Hand, er hatte einen festen Händedruck. 

»Welcher Tag ist heute? Samstag? Ich melde mich in einer Woche wieder bei Ihnen. Mal schauen, was ich bis dahin herausgefunden habe. Wie klingt das?«  

»Klingt gut.« 

Sie nickten sich kurz zu und dann verschwand Viktor Ketz aus Tonis Büro. Toni genehmigte sich gleich noch einen guten Schluck vom Whiskey und wanderte ein bisschen durch den Raum. Dieser Fall war eine Sackgasse, aber die Fahrt durch diese Sackgasse wurde eben bezahlt. Auch wenn die 1400 nur ein Tropfen auf dem heißen Stein waren. Vielleicht hätte er mehr verlangen sollen, aber so würde sich Ketz wahrscheinlich nicht unbedingt beschweren, wenn wirklich nichts dabei herauskommen sollte. Außerdem hatte ihn Toni vorgewarnt. Dieser Fall könnte alles andere als gut ausgehen. 

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Es war kurz nach Feierabend, sie war trotzdem noch auf der Arbeit und ihr Handy klingelte. Weil es nicht Samstag oder Sonntag war und sie darum keine familiären Anrufe erwartete, meldete sie sich am Telefon wie üblich: »Hallo Toni, was gibt’s? Bin noch auf der Arbeit.« 

»Davon ging ich aus,« kam prompt die Antwort ihres langjährigen Freundes und irgendwie Ex-Kollegen, der die Beamtenlaufbahn hinter sich gelassen hatte, um nun als Privatermittler untreuen Ehefrauen hinter her zu laufen. 

Sie hatte Toni tatsächlich über die Arbeit kennen gelernt. Als Archivarin hatte sie vor einigen Jahren an einem polizeiwissenschaftlichen Forschungsprojekt mitgearbeitet, bei dem sie vor allem die interne Neukategorisierung tausender Kriminalakten übernommen hatte. Noch immer war sie mit der Datenpflege der entsprechenden Akten in den Datenbanken betraut, doch die direkte Zusammenarbeit war glücklicherweise vorbei. Normalerweise gelang es ihr bei der Arbeit problemlos, Kontakte mit anderen Menschen auf ein Minimum zu reduzieren. Das war etwas, was sie an ihrem Beruf besonders schätzte. Doch während der Zusammenarbeit mit Forschern der Polizeiwissenschaften und Mitarbeitern des Präsidiums wurde das deutlich schwieriger. 

Und vor allem Leute wie Toni Vegas, der damals noch einen normalen Namen hatte und ihr irgendwann bei der Polizeiinspektion Hannover begegnet war, konnte man nur schwer, wirklich sehr schwer ignorieren, wenn er das nicht zuließ. Und irgendwie hatte er es mit viel Ausdauer geschafft, auf die kurze Liste ihrer engen Freunde zu gelangen. 

»Ich rufe nur an, um dir mitzuteilen, dass du absolut falsch lagst mit deiner Prognose.« 

»Mit meiner Prognose bezüglich deiner Auftragslage, meinst du?« 

»Ganz genau. Dir wird gleich die Akte aus der Hand fallen, wenn du hörst was mir untergekommen ist. Ein Knaller-Fall.«  

»Ich vernehme ungesunden Sarkasmus. Aber schieß los.« 

Ihr schwante bereits Übles. Da Toni sie offenbar direkt nach der Auftragsannahme anrief, wollte er vermutlich keineswegs nur mal so erzählen, dass er einen neuen Fall verfolgte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hoffte er, dass sie für ihn irgendetwas herausfand. Mehr als einmal hatte sie für Toni ihre Prinzipien über Bord geworfen und sich in die Datenbank der Kriminalakten eingeloggt, was absolut unmoralisch war und allem widersprach, was sie normalerweise so tat. Und jedes Mal tat sie es mit dem festen Versprechen an sich selbst, dass es das letzte Mal sei. 

»Ich soll herausfinden, dass jemand jemanden umbringen will.« 

»Wow«, entfuhr es ihr, semibeeindruckt. »Wie macht man sowas?« 

»Tja, das weiß ich leider auch noch nicht so genau.« 

»Tut mir leid, Toni, aber ich glaube ich kann dir erst helfen, wenn der jemand dann wirklich tot ist. Denn dann gibt es eine Akte zu dem Fall, und die landet vielleicht mal physisch hier bei mir im Archiv. Entweder wir warten so lange, oder...« 

»Nein, das gilt es natürlich zu verhindern. Aber du könntest mir tatsächlich jetzt schon helfen.« 

Sie hatte es gewusst. Jetzt hieß es: protestieren, protestieren, protestieren. 

»Toni, keine Schnüffeleien mehr, bitte. Keine Akteneinsichten, keine illegalen Rufnummer-Übermittlungen, nichts mehr. Wir haben das abgesprochen, nachdem ich das letzte Mal beinahe…« 

»Jaja, ich weiß, erinnere mich gut. Aber es geht wirklich um eine winzig kleine Kleinigkeit. Schau einfach nur, ob es überhaupt eine Akte gibt, okay?«  

Sie war einfach zu müde zum Protestieren. Also gab sie direkt auf und lenkte ein. 

»Wie heißt die Person?« 

»Viktor Ketz. K-E-T-Z. Viktor mit K.«  

»Und was soll er angestellt haben?« 

»Das will ich ja von dir wissen.« 

»Wie lautet der Vorwurf deines Klienten, meine ich?« 

»Mir liegt kein Vorwurf gegen ihn vor. Er ist mein Klient.« 

»Und gegen den ermittelst du - ach, mir egal, Toni. Ich schau nach und melde mich.« 

»Danke dir, meine Beste. K-E-T-Z…« 

»Und Viktor mit K, ist mir bekannt.« 

Genervt legte sie das Handy ab, schmiss ihre Brille auf die vergilbte Resopalplatte ihres uralten Schreibtisches und einen augenrollenden Blick Richtung Decke. Sie kannte Toni und seine Eigenheiten gut, aber in den Jahren, die seit seinem eigenwilligen Berufswechsel vergangen waren, hatte sie zunehmend den Eindruck, dass er langsam, aber sicher den Bezug zur Realität verlor. Jetzt wusste er offenbar schon nicht mal mehr. 

Aber andererseits war sie etwas erleichtert, denn Toni war der einzige ihr bekannte Mensch, dem sie so gut wie nichts abschlagen konnte. Und eine simple Suchanfrage in der Datenbank war wirklich eine Kleinigkeit und fühlte sich längst nicht so vorschriftswidrig an, wie heimliche Akten-Sichtungen oder gar -kopien (das war einmal passiert) und irgendwelche Datenübermittlungen. Ihr wurde immer noch ganz schwindlig, wenn sie an Tonis letzten Fall dachte, bei dem ihre illegale Mithilfe beinahe aufgeflogen wäre. Ihr hätte neben der Weitergabe von persönlichen Daten eines Angeklagten auch die Blockierung von polizeilichen Ermittlungen vorgeworfen werden können, denn Tonis private Ermittlungen hatten den offiziellen Ermittlungen der Polizei damals ziemlich entgegengewirkt.  

Aber so schlimm würde es diesmal nicht werden.

Definitiv nicht.

Sie schaltete ihre Schreibtischlampe aus, indem sie den Stecker aus der Wand zog. Anders ließ sich die grüne Retrobibliothekslampe, die ihr ehemaliger Geschichtsprofessor ihr zum Studienabschluss geschenkt hatte, nicht mehr ausstellen. Wie sie erst viel später erfuhr, hatte der Mann mittleren Alters sie eigens dazu höchstpersönlich aus der Universitätsbibliothek gestohlen. Damit wurde die ohnehin ungewöhnliche Tatsache, dass er ihr überhaupt etwas zum Abschluss schenkte, noch ein ganzes Stück ungewöhnlicher. Sämtliche Kontaktaufnahmen seinerseits nach dem Abschluss ihres Studiums und dem Rückzug in ihre Heimatstadt Hannover hatte sie abgeblockt. Ganz normaler Verlauf einer Liebesgeschichte für jemanden wie sie.

Sie schloss ihr Büro zweimal ab und machte sich auf den Weg in das Archiv, das zwei Stockwerke unter ihr lag. Von ihrem Büro im Erdgeschoss gelangte man entweder durchs normale Treppenhaus in das Kellerarchiv (das benutzten aber alle, dementsprechend lief man Gefahr, dort andere Leute anzutreffen) oder aber durch eine nur 50 cm breite stählerne Tür, die auf dem Flur zwischen der Damen- und der Herrentoilette in die Wand eingelassen war und hinter der direkt eine schmale Wendeltreppe direkten Zugang zum zweiten Untergeschoss des Gebäudes gebot. Warum es diese Tür gab, hatte sie nie näher hinterfragt. Tatsächlich benutzte sie außer ihr niemand, und mehr musste sie nicht wissen.

Mit schnellen geübten Schritten eilte sie die Treppe hinunter, immer im Kreis, und wie immer war sie kurz vorm Schwindelgefühl, als sie im zweiten Untergeschoss angelangte. Sie kramte ihren Schlüsselbund heraus und hielt den Schlüsselchip an das Lesegerät über der Klinke. Die zusätzlich mit einem Code gesicherte Tür sprang mit einem kurzen Klacken auf, als sie eilig die fünf Ziffern eingegeben hatte. Hier unten wurden Dokumente aufbewahrt, zu denen nicht jedermann Zugang hatte, die allerdings auf Anfrage hin, von den meisten Menschen im Lesesaal eingesehen werden konnten. Außerdem standen hier die Computer, die Zugriff auf verschiedene Datenbanken lieferten, natürlich nur nach Eingabe diverser Passwörter.

Auch die Kriminalaktennachweis-Datenbank war mit den Archivcomputern verknüpft. Nicht jeder hatte das Passwort, aber durch ihre Arbeit am Forschungsprojekt besaß sie noch immer einen Zugang und eine gute Begründung, warum sie sich in regelmäßigen Abständen dort einloggte. 

Sie fuhr einen der Computer hoch. In kurzer Zeit war sie eingeloggt und befand sich in der Datenbank der Kriminalaktennachweise. Noch vor einigen Tagen hatte sie sich ebenfalls eingeloggt, allerdings nicht mit einem mulmigen Gefühl wie jetzt. Da war sie ihrer normalen Arbeit nachgegangen. Aber wer sollte ihr nachweisen, dass sie das jetzt nicht auch tat? Und tat sie in diesem Moment überhaupt etwas Falsches? Die bloße Recherche tat niemandem weh, erst der Moment in dem sie jemandem etwas mitteilte, war fragwürdig. Und: wenn es nun gar keine Akte zu diesem K-E-T-Z gab, hatte sich das ganze doch sowieso erübrigt. Mit immer noch ungutem Gewissen hab sie die vielzitierten vier Buchstaben ein. Nachname muss reichen, Toni, dachte sie bei sich, und überflog mit einem schnellen Blick die sich innerhalb von Sekunden öffnende Liste, die sie mit einem schnellen Klick nach Vornamen sortiert hatte. Bestimmt war die Suche erfolglos, versuchte sie sich wieder einzureden. Wieder irgendeine willkürliche Idee von Toni. Seit wann lässt man seine Klienten gegenprüfen? Und siehe da... Treffer. 

»Oh nein«, entfuhr es ihr. »Scheiße!« 

Dort stand es. Ketz. K-E-T-Z. Und Viktor mit K. Und die Grunddaten ließen keinen Zweifel offen. Es sei denn, es gab zwei mehrfach vorbestrafte Viktor Ketz, die beide in Hannover lebten. 

Das durfte man doch wenigstens noch hoffen, oder?

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Das Telefon klingelte und Toni schreckte auf. Leicht verstört schaute er sich in seinem Büro um. Das Licht brannte noch, die leere Whiskeyflasche und das leere Glas standen auf dem Tisch und sein rechter Arm schmerzte, weil er die ganze Nacht mit seinem Kopf darauf gelegen hatte. Das Klingeln seines Telefons schrillte penetrant durch seinen Gehörgang. Er verzog das Gesicht und nahm den Hörer ab. 

»Ja? Wie spät ist es? Detektei Toni Vegas. Was kann ich für Sie tun?«, sagte er verschlafen.

»Hast du etwa schon wieder im Büro geschlafen?«

Toni erkannte sofort ihre aufgeregte Stimme, mit diesem leicht vorwurfsvollen Unterton. Elisabeth Mär. Elli. Toni stand auf und schaffte seinen müden Körper rüber zur Kaffeemaschine. Er musste das schnurlose Telefon ganz fest halten, weil er Sorge hatte, dass es ihm sonst aus der Hand fallen würde. Leichte unkoordinierte Bewegungen, Griff zum Kaffeefilter, zum Kaffeepulver und alles mit einer Hand. Er war noch nicht ganz wach, bemerkte gar nicht die Stille, die sich ins Gespräch geschlichen hatte.

»Bist du noch dran?«, fragte Elli etwas genervt.

»Ja, ja«, sagte Toni und verlor den Überblick, wie viel Löffel Kaffeepulver er schon in den Filter geschüttet hatte.

»Dein Viktor Ketz ist kein unbeschriebenes Blatt.«

»Ach nein?«

»Nein. Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung, solche Sachen. Allerdings wurde er nie verurteilt und seine Lizenz hat er auch nie verloren.«

»Was für eine Lizenz?«

»Viktor Ketz ist Anwalt.«

»Ja, so viel, weiß ich auch schon. Mir ging es mehr um seine Vergangenheit, Straftaten und so weiter.«

Toni goss Wasser in die Kaffeemaschine und schaltete sie ein.

»Hast du dir das auch gut überlegt oder warst du so froh über einen Auftrag, dass dir das alles egal ist?«

Da war sie wieder, diese vorwurfsvolle Stimme, die ihm sagen sollte, dass er sich vielleicht den ein oder anderen Gedanken mehr, durchaus leisten konnte und in Gedanken sah er wieder Elisabeths Gesichtsausdruck von damals, als er ihr mitteilte, dass er eine Detektei eröffnen wolle. Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? stand damals in diesem Gesicht geschrieben.

»Hör zu. Er hat mich um einen Gefallen gebeten und ich habe zugestimmt, okay?«

»Einen Gefallen? Seit wann bist du denn der barmherzige Samariter?«

Toni schnaufte und torkelte zurück zu seinem Schreibtisch.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Marc Mrosk/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2022
ISBN: 978-3-7554-1065-2

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /