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Leseprobe

 

 

 

 

ROBERT LORY

 

 

BLUT FÜR DIE VERDAMMTEN

- 13 SHADOWS, Band 58 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

BLUT FÜR DIE VERDAMMTEN 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

 

Das Buch

Der Teufel selbst musste Alex Locke den Weg gewiesen haben, als er ihn in jenen kleinen irischen Ort führte, wo eine Orgie des Grauens ihren Anfang nahm. Ohne es zu wissen, setzte Locke seinen Fuß in ein Dorf der Toten. Er durchbrach den unsichtbaren Kreis, den die Bewohner um ihr diabolisches Treiben gezogen hatten.

Allmählich erkannte Locke die tödliche Gefahr. Doch als er fliehen wollte, war es bereits zu spät...

 

BLUT FÜR DIE VERDAMMTEN von Robert Lory wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1976 veröffentlicht. 

BLUT FÜR DIE VERDAMMTEN erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

BLUT FÜR DIE VERDAMMTEN

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Von oben ergoss sich das bunte Licht der Himmelssphären in die dachlose Halle mit den hohen Wänden aus dunklem, verwittertem Stein und auf den runden Boden mit dem merkwürdigen Muster. In den Steinboden waren gerade Linien gemeißelt, die von der Mitte bis zu den Wänden liefen. Sie teilten den staubbedeckten Boden in zwölf gleich große Sektoren.

In den Boden waren viele Zeichen eingegraben, doch in jedem der zwölf Sektoren bildete jeweils ein anderes den Schwerpunkt. Sie warfen starke Schatten in die Lichtwogen, die sich vom Firmament ergossen, blieben jedoch ohne Bewegung in dem Getöse, das von den Steinmauern widerhallte. Der Lärm kam auch von oben, von den ewig wirbelnden Sphären, die von den Menschen Sterne und Planeten genannt werden. Es klang nach unzähligen Orchestern und Stimmen. Heulen, Stöhnen, Lachen, übergeschnappt, voller Triumph, traurig, wahnsinnig.

Verrückt auch das Lachen, das zwischen den Wänden erklang. Das Lachen der Gestalt im grauen Gewand, die sich jetzt zwischen den staubbedeckten, schattenwerfenden Zeichen bewegte. Ihr Gesicht lag im Schatten einer schweren Kapuze. Die Füße, von denen einer lahm nachgezogen wurde, waren vom Saum des langen Gewands verhüllt, der durch den Staub schleifte. Nur die Hände waren zu sehen. Sie waren weiß wie Kalk und hatten knorrige Gelenke, und die Haut wirkte wie das Gespinst einer heimtückischen Spinne.

Der Alte bewegte sich jetzt fast wie eine Spinne; langsam, vorsichtig, senkte die schwarze Öffnung der Kapuze und betrachtete die beherrschenden Zeichen auf seinem Weg. Eines glich einem Löwen, einem merkwürdigen Löwen mit weit aufgerissenen Augen und einem Maul mit Reißzähnen, das sich zu einem ewigen Schrei geöffnet hatte. Da war ein anderes, ein Widder vielleicht, dessen Zunge aus goldenen Münzen bestand und dessen Hörnerspitzen auf die dunklen Höhlen zielten, in denen eigentlich Augen hätten sein müssen.

Die Gestalt bewegte sich langsam zwischen den Figuren, streckte ab und zu die Hände aus dem Gewand, als wolle sie sie berühren, zog sie wieder zurück, berührte nichts, als sei sie dabei, etwas Wichtiges zu entscheiden und zu einem Entschluss zu kommen.

Und dann befand sich der Alte in der Mitte des Raums und blickte noch immer lachend in das wirbelnde Schauspiel über ihm. Seine Finger hielten die Kapuze, damit sie nicht zurückfallen konnte. Dann richtete er seinen Blick wieder in die Halle und auf einen bestimmten Abschnitt des Bodens, und zugleich zeigte sich dort ein Licht.

Ein schwaches, fahles Licht, das auf eines der steinernen Zeichen fiel.

Auf eine Frau oder ein Mädchen. Es war nackt und nach Art der alten griechischen Bildhauer gemeißelt. Ihr Körper war glatt wie Elfenbein und makellos. Ihre Haltung hatte jedoch etwas Seltsames.

Ihre Beine waren weit gespreizt, ihr Körper aufrecht, als warte sie auf etwas. Die Hände hielt sie in einer bittenden Geste, die aber auch einladend wirkte. Aber die Finger... vielleicht waren sie zu weit gespreizt oder auch nur nicht ganz ebenmäßig. Auf jeden Fall machten sie den Eindruck, als würgten oder erdrückten sie etwas.

Das Gesicht war ebenfalls ungewöhnlich. Es war makellos wie der Leib, der Kopf war jedoch ein wenig zur rechten Schulter geneigt, als lausche das Mädchen auf etwas. Auf etwas anderes als das, worauf sie den Blick gerichtet hatte. Etwas, das die Augen glühend und erwartungsvoll und doch auch wieder leblos aussehen ließ.

Und was den Mund betraf, so stimmte mit dem Lächeln auch irgendetwas nicht. Der Ausdruck des Glücks fehlte. Es war jedoch kein zynisches, kein boshaftes Lächeln. Es war, als wollte das Mädchen mit ihrem Mund zwei Dinge zugleich tun, körperliches und seelisches Verlangen ausdrücken und zugleich auf etwas herumkauen.

Die Gestalt im grauen Gewand nickte, als spüre sie auch das Verlangen, dass etwas seinen Anfang nehme. Sie lachte laut auf und sagte dann zu dem Mädchen: »Du bist die Jungfrau, die Versuchung der Männer, die verderben kann. Deine Reinheit ist nur Schein, nicht wahr, Jungfrau? Dich beherrscht Merkur, der sich ewig wandelt, und das Licht, das du trägst, wird rasch zu Finsternis. Du versprichst reiche Ernte und Segen, aber die Ernte bringt die Dürre. Dein Geschenk des Lebens ist gleichzeitig ein Geschenk des Todes.« Wieder lachte der Alte wie wahnsinnig auf.

»Ich werfe dir das jedoch nicht vor! Soll ich, der Würfler, mich nicht der Wonnen deiner Jungfräulichkeit erfreuen? Sollen wir beide uns nicht ihrer erfreuen? Ja, tun wir das! Spinnen wir also die Fäden, weben wir unsere Geschichten, lenken wir, wen wir wollen, führen wir sie der Ernte zu, der Sense. Wir halten uns an dein Verlangen, Jungfrau, und sagen ihnen nicht, dass es die Ernte des Sensenmannes ist, an der sie teilnehmen.«

Ein kalkweißer Finger deutete auf den Boden vor den Füßen der Statue. Und in dem Staub bewegte sich etwas.

Der Würfler verschränkte erwartungsvoll die Finger. Das Spiel begann.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Ein Wintersturm heult um das alte Haus. Ich sitze in einem Zimmer im ersten Stock und versuche den Sturm zu überhören, die dunklen Schatten zu übersehen, die im Schein der beiden Lampen, die ich auf den Tisch vor mir gestellt habe, ein düsteres Eigenleben zu haben scheinen. Ich versuche alles zu übergehen, was nichts mit dem zu tun hat, womit ich mich augenblicklich abmühe – mit der Niederschrift dieser Geschichte.

Der Tisch ist voller Schrammen, und eins seiner kräftigen Beine ist kürzer als die anderen. Ein Wörterbuch hindert ihn am Wackeln, während sich meine kalten Finger von der frisch geöffneten Flasche Scotch zu den Tasten der Schreibmaschine zurückbewegen, mit deren Hilfe ich die Geschichte erzählen will, die ich einfach erzählen muss. Rechts neben der Maschine liegt ein Stoß kürzlich gekauften Papiers. Der Stuhl, in dem ich sitze, ist eine Art Ohrensessel, dessen Bezug vor langer Zeit einmal leuchtend rot und weiß gewesen sein muss. Jetzt mischt sich ein vergilbtes Weiß mit blasser Fleischfarbe. Das Muster ist nicht mehr zu erkennen. Ich wollte, es gäbe einen anderen Stuhl im Haus, in dem ich arbeiten könnte. In der Küche unten gibt es zwei Metallstühle, aber sie sind unbequem und zu kalt.

Wenn man sie anfasst, erinnern sie einen an den Tod.

Das ganze Haus kommt mir vermodert vor. Ich wollte, ich wäre woanders, irgendwo, wo mir die Lichter einer Stadt das Gefühl von Geborgenheit geben würden, wo die Menge der Leute um mich herum dieses Gefühl noch verstärken könnte. Aber das ist unmöglich. Um in Städten leben zu können, muss man Geld verdienen, und das möchte ich jetzt nicht, bis ich diese Arbeit nicht zu Ende gebracht habe. Den Bericht über unheimliche Ereignisse, der mich, so hoffe ich, wieder Ruhe finden lässt, wenn ich ihn geschrieben vor meinen Augen sehe. Vielleicht kann ich dann die Ereignisse für immer aus meiner Erinnerung vertreiben, vor allem aus dem Teil von mir, der nachts träumt.

Heute, heute Abend muss ich anfangen. Ich habe ja schon begonnen, sage ich mir, und beglückwünsche mich zu den Absätzen, die ich mit der klapprigen Maschine schon getippt habe. Ich habe sie mir von demselben Freund geliehen, der mir gestattet hat, in seinem alten Haus zu bleiben, so lange ich will. Ein Freund aus alten Zeiten. Oder zumindest kommen mir diese Zeiten alt vor. Es ist kaum ein Jahr her, da arbeiteten er und ich noch zusammen in derselben Werbefirma. Es ist kaum zwölf Monate her, dass ich mich entschloss, die Arbeit an den Nagel zu hängen. Ich wollte ein Buch schreiben, ein Buch ganz anders als das hier.

Das Haus steht in Southhampton auf Long Island. Mein Freund sagt, dass er und seine Frau es im nächsten Sommer umbauen wollen, aber jetzt im Winter haben sie keine Lust, Manhattan zu verlassen und in dem öden und kalten Ding zu hausen. Ich kann also hier bleiben, heißt es. Strom und Wasser sind angeschlossen, und es gibt genug Holz für den Kamin, aber obwohl ich wirklich friere – ich habe einen dicken Pullover und eine Jacke an, und meine Finger sind eiskalt –, kann ich mich nicht dazu überwinden, ein Feuer zu machen. Die Flammen würden mich an jene Fackeln erinnern, und meine Träume würden heute Nacht noch klarer sein.

Ich schreibe die Sache nicht richtig auf. Ich rede von einem Haus, einem Tisch und einer Schreibmaschine. Ich rede von Southhampton und alten Freunden. Dabei müsste ich über ein Dorf in Irland sprechen, über die alten Grabsteine hoch oben auf einem düsteren und kalten Hügel.

Aber kann ich mich diesen alten Steinen noch einmal stellen? Kann ich mich im Geist wieder dorthin wenden – was ich schließlich tun muss, wenn ich meine Geschichte erzählen will. Ich weiß nicht, ob ich es kann. Ich muss es jedenfalls versuchen. Auf den knarrenden Holzdielen hinter mir liegt zerknülltes Papier. Falsche Anfänge der Arbeit, die ich mir vorgenommen habe.

Nein, diesmal mache ich weiter. Ich kann nicht anders. Wenn ich um den Abgrund des Wahnsinns herumkommen will, dann kann ich nicht anders. Und wenn mich die überdeutlichen Erinnerungen an Dinge, die ich lieber vergessen möchte, in den Wahnsinn treiben, was dann?

Dann wird es vielleicht wenigstens jemanden geben, der diese Worte liest und weiß, warum ich verrückt wurde.

Ich heiße Alex Locke. Mein letzter Geburtstag war der neununddreißigste. Ein wichtiger Abschnitt meines Lebens. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, muss ich sagen, dass die schrecklichen Dinge, die ich erlebt habe, gar nicht geschehen wären, wenn ich einen anderen Geburtstag gefeiert hätte, wenn ich jünger oder älter gewesen wäre. Ich komme darauf noch zurück.

Was körperliche Merkmale angeht, so bin ich eins achtzig groß und wiege – oder wog – fünfundsiebzig Kilo. Glücklicherweise für mein Aussehen habe ich die Sorte Stoffwechsel, die alles, was hereinkommt, sofort verbrennt. Wie ein Filmstar sah ich nie aus, wirke aber etwas jünger, als ich wirklich bin, wobei meine blauen Augen, die oft jungenhaft genannt wurden, von den grauen Haaren in meinem schwarzen Schopf ablenkten. Ich bin zwar unverheiratet, musste aber kaum weibliche Begleitung entbehren. Durch mein Appartement in New York zog ein Strom von weiblichen Gästen, die gern über Nacht blieben.

Mein Einkommen als Buchhalter hatte vierzigtausend Dollar im Jahr erreicht. Die Arbeit war nicht ganz uninteressant, und ich machte sie gut.

Gute Arbeit, gute Bezahlung, ein Junggeselle, der nicht schlecht aussah und dem sein gesellschaftliches Leben gefiel. Was war also nicht in Ordnung? Warum habe ich den ganzen Kram hingeschmissen?

Ich war neununddreißig. Das war ganz einfach der Grund. Ich war neununddreißig und würde ein Jahr später den vierzigsten Geburtstag feiern. Vier Jahrzehnte würden hinter mir liegen, und wer konnte mir sagen, wie viele ich noch vor mir hatte? Obwohl mich meine Arbeit nicht so sehr belastete, zuckte ich jedes Mal vor Schreck zusammen, wenn ich hörte, dass wieder irgendjemand um die Vierzig oder Fünfzig tot über der Arbeit zusammengebrochen war. Es war nicht so sehr das graue Gespenst des Todes, vor dem ich erschrak. Ich hatte Angst zu sterben, ohne mir einen Namen gemacht zu haben, ohne etwas erreicht zu haben. Diese Angst habe ich heute nicht mehr.

Ich habe etwas erreicht. Ich habe mir einen Namen gemacht, der mich den Rest meines Lebens verfolgen wird. Und vor einem Jahr dachte ich, ich würde es nur vergeuden, wenn ich keine tiefgreifende Veränderung einleitete. Jetzt wünsche ich... aber Wünsche sind sinnlos.

Ich kannte andere Männer, die ebenfalls ausgestiegen waren, die ihren Beruf und manchmal sogar ihre Familien aufgaben, um einen völlig neuen Kurs einzuschlagen. Ich glaube, der Grund, warum ich so viele kannte, lag darin, dass sie, wie ich selbst, mit der Werbung zu tun hatten. Offenbar zieht die Werbung zu oft die Art Menschen heran, deren Begabung und Feingefühl so beschaffen sind, dass sie nicht lange auf dem Gebiet der Werbung arbeiten können. Ich wusste auf jeden Fall, dass ich an meinem vierzigsten Geburtstag mit der Werbung nichts mehr zu tun haben wollte.

Ich hatte natürlich einen Plan. Am Anfang war es eigentlich kein Plan, nur ein Traum, eine Träumerei, die sich beträchtlich von den Alpträumen unterscheidet, die mich jetzt heimsuchen. Ich hatte einen akademischen Grad in englischer Literatur erworben und wollte selbst ein wenig Literatur schaffen. Verstehen Sie mich richtig, ich bildete mir nicht ein, der Shakespeare des zwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Ich wollte eigentlich abenteuerliche Kriminalgeschichten schreiben.

Ein ehrbares Handwerk, wie ich mir sagte, das mich zumindest aus der Waschmittelwerbesphäre befreien würde. Ich hatte schon seit Jahren den Drang verspürt, die Werbung mit dem Romanschreiben zu vertauschen, nur diesmal war der Impuls so stark, dass ich ihn nicht einfach verdrängen konnte. Da ich den Gedanken schon länger hegte, hatte ich auch einen Plan, dessen erster Gesichtspunkt damit zu tun hatte, wie ich wohl bequem mit einem bedeutend kleineren Einkommen auskommen könnte. Zumindest für den Anfang, und vielleicht auch für immer. Ich wollte das Problem auf zwei Arten meistern.

Zum ersten hatte ich ein wenig Kapital angesammelt. Es würde ein wenig Zinsen bringen, und wenn nötig, würde auch Bargeld zur Hand sein. Der Plan lief natürlich darauf hinaus, das Kapital nicht anzugreifen. Das war der zweite Gesichtspunkt meines Plans.

Nur ein erfolgreicher Bücherschreiber kann es sich leisten, in Manhattan oder bei New York zu leben. Ich wusste also von vornherein, dass ich mit der Aufgabe meines Berufs auch die Stadt aufgab. Als ich mir dann überlegte, wo ich billiger leben könnte, dachte ich daran, die Vereinigten Staaten überhaupt zu verlassen. Ich dachte an alles Mögliche, auch an Mexiko und die karibischen Inseln, und ich wäre heute vielleicht noch ganz richtig im Kopf, wenn ich mich für eines dieser Ziele entschieden hätte. Was ich aber nicht tat. Ich entschied mich für Irland. Die Wahl fiel vor allem aus zwei Gründen so aus, wobei einer wichtiger als der andere war. Der weniger wichtige war, dass ich dort keine Sprachschwierigkeiten haben würde, von örtlichen Dialekten abgesehen, die ich mir einbildete, meistern zu können.

Der wichtigere Grund bestand in der Steuergesetzgebung Irlands. Die Regierung dort ist sehr großzügig mit Steuerzahlern, die zur Gruppe Künstler oder Freischaffende gehören. Und selbst ein Schreiber von Taschenkrimis wurde von den Steuerbehörden bevorzugt behandelt.

Wenn ich schon nicht so viel Geld verdienen würde, würde man mir als Steuerbürger Irlands wenigstens einen höheren Prozentsatz davon lassen.

Mein Finanzierungsplan stand, aber es gab noch eine wichtige Sache zu erledigen, bevor ich Beruf und Wohnort wechseln konnte. Ich musste einen Vertrag für das erste Buch haben. Das Glück wollte es, dass ich einen Freund hatte, der selbst schon Romane geschrieben hatte. Er machte mich mit einem Agenten bekannt, der mir zusammen mit meinem Freund half, ein Exposé und ein erstes Kapitel anzufertigen. Wenn ich mich an das Exposé gehalten hätte, wäre es eine der gewalttätigsten, blutrünstigsten Abenteuergeschichten der zeitgenössischen Literatur geworden. Auf jeden Fall brachte es mir einen Vertrag mit einem Taschenbuchverleger ein, und mehr wollte ich nicht. Anfang Juni wurde der Vertrag unterzeichnet, und das fertige Manuskript sollte bis zum 30. Dezember abgegeben werden, also diesen Monat.

Diesen Monat – und die Handlung des anderen Buches ist mir ganz fern, genau wie der Vertrag, den ich nicht einhalten werde.

Mir blieb nichts zu tun, als meine Kündigung einzureichen, meine Angelegenheiten in New York zu ordnen und in dem auserwählten Land meine Bleibe zu suchen. Es gab natürlich einige Hindernisse. Die Werbefirma bat mich, statt der vorgeschlagenen zwei Wochen noch vier zu bleiben, und ich konnte ihr die Bitte nicht abschlagen. Das gab mir Zeit, die meisten meiner Möbel loszuwerden, zufällig an das Paar, das meine Wohnung übernahm. Und dann hatte ich noch etwas Zeit, mich darum zu kümmern, wo ich bleiben wollte, wenn ich mich in Irland niederließ.

Und da tauchte das große Hindernis auf.

Anscheinend wurden nicht nur die Vereinigten Staaten von einer Inflation heimgesucht. Das hätte ich mir auf Grund der Unterlagen, mit denen ich beruflich zu tun hatte, auch denken können. Auf jeden Fall wurde deutlich, dass an die Stadt, auf die ich ein Auge geworfen hatte, Dublin, nicht zu denken war. Für meine zu erwartenden Einkommensverhältnisse war sie einfach zu teuer. Nachforschungen über die Lebenshaltungskosten in anderen Städten waren schwieriger, führten aber zum selben Ergebnis. Wenn ich in Irland über die Runden kommen wollte, musste ich mich in einem der kleineren Dörfer ansiedeln, wo die Mieten nicht so umwerfend hoch waren.

Ich will nicht beschreiben, wie ich bei meiner Wahl weiter vorging. Es genügt, dass ich mich irgendwo im Süden der Republik ansiedeln wollte, weil ich annahm, dort sei das Klima besser. Schließlich hatte ich mich für die Grafschaft Cork entschieden.

Mehr werde ich nicht sagen. Das Grauen, das in jenem Dorf lauerte, wird nicht mehr dort sein. Zumindest glaube ich das. Es wäre nicht gut, einfallsreichen Hexenjägern, Okkultisten und sonstigen merkwürdigen Sektenanhängern ein neues Salem einzureden, auf das sie sich dann hordenweise stürzen würden. Nein, was mich in meinen Erinnerungen heimsucht, kann nicht länger Entsetzen verbreiten.

Wenn ich mich aber täusche?

Wenn ich mich täusche und das Grauenhafte weiterbesteht?

Darüber darf ich mir jedoch nicht den Kopf zerbrechen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Es war in der dritten Augustwoche, an einem Montag, um genau zu sein, als ich das Dorf zum ersten Mal erblickte. Mein Beförderungsmittel war ein Fahrrad, der einzige größere Kauf, den ich seit meiner Ankunft im Land getätigt hatte. Einem oberflächlichen Beobachter musste ich wie ein typischer Landbewohner Vorkommen; so dachte ich wenigstens. Ich hatte die groben Sachen an, die auf dem Land getragen werden, und die Mütze, die mir vor allem das ungeschnittene Haar aus dem Gesicht halten sollte, entsprach ganz dem traditionellen irischen Stil.

Auf dem Gepäckträger des Fahrrads befand sich meine Reiseschreibmaschine. Papier, Bleistifte und Notizen für mein Buch steckten in den beiden Gepäcktaschen, die am Träger hingen. Außerdem führte ich noch einen kleinen, fest zusammengerollten Schlafsack mit. Kleidungsstücke und der Rest meiner wenigen persönlichen Dinge waren in dem Rucksack, den ich auf dem Rücken trug.

Ich war seit anderthalb Wochen mit dem Fahrrad unterwegs und hatte mich in meinem ganzen Leben nie besser gefühlt. Die Landluft, die körperliche Bewegung gaben mir das Gefühl, ein Mensch zu sein, ein freier Mensch, der sich nur noch wundern konnte, dass er sich vor wenigen Monaten vor dem Tod gefürchtet hatte. Ich war in einer Hochstimmung, die mein ganzes Wesen erfüllte. In einer Umgebung wie der hier würde ich noch hundert Jahre leben. Ich würde vielleicht ziemlich mittellos sein, aber von jetzt ab würde ich auch keine großen Bedürfnisse mehr haben. Das Leben war herrlich!

Denen zufolge, die sich mit solchen Dingen beschäftigen, gibt es um uns herum Vorzeichen, Vorzeichen, die uns davon abhalten können, tragische Fehler zu machen, wenn man die Augen hat, sie zu sehen, und auch den Verstand, die Warnungen zu beachten. An jenem Montag im August gab es mehrere solcher Vorzeichen, und wäre nicht mein Hochgefühl von Freiheit und Glück gewesen, hätte sie ein sachlicherer Geist bemerkt.

Zunächst war da der Himmel. Natürlich war es schon spät am Nachmittag, gegen fünf Uhr, aber die Dunkelheit, die über dem Dorf zu hängen schien, war ungewöhnlich. Eine Finsternis, auf die ich in meinem neugewählten Land noch nicht gestoßen war. Ein merkwürdiger Himmel aus Schwarz und dunklem Rot mit langsam ziehenden Schleiern, die fahlgelb waren. Vielleicht ein Unwetter, dachte ich mir, vor dem ich besser Schutz suche.

Von Anfang an sah ich mich also nach einer Art Gasthaus oder Kneipe um, wo ich Quartier für die Nacht finden könnte, und deshalb schaute ich mir jedes Haus genau an, an dem ich auf der schmalen, unbefestigten Straße vorbeikam.

Ich kam aus östlicher Richtung in das Dorf, und von Anfang an fiel mir noch etwas Merkwürdiges auf, vielleicht wieder ein Vorzeichen. Die Häuser, an denen ich vorüberkam, waren seltsam ruhig. Keine Geräusche irgendwelcher Tätigkeiten, keine Kinder, die draußen spielten, keine Männer oder Frauen, die sich unterhielten oder arbeiteten. Es sah aus, als seien die Häuser verlassen. Nein, nicht verlassen. Dazu war der Boden zu wohl bestellt. Dann eben leer, leblos.

Leblos waren auch die Farben der Häuser, jedenfalls machten sie diesen Eindruck auf mich. Die Weißtöne waren nicht in Ordnung, die Grüns und die anderen Schmuckfarben auch nicht. Jedes Haus, an dem ich vorüberkam, war zu blass oder zu wenig lebendig. Einige Häuser sahen sogar so aus, als seien sie erst vor kurzem neu gestrichen worden. Was auch der Grund war, ich fühlte mich ein wenig unbehaglich.

Die Leblosigkeit der Häuser, die Stille und dazu die Farben.

Ich machte für beides dann den bedrohlich aussehenden Himmel verantwortlich. Schließlich suchte ich Schutz vor etwas, das nach einem üblen Unwetter aussah. Und warum sollten die Dörfler nicht ebenfalls vorgesorgt haben und sich in ihren Küchen still einen Tee brauen? Und vielleicht war nur das Licht an den seltsamen Farben schuld.

Das Dorf schien sich weit hinzuziehen. Die Häuser lagen alle an der Straße, auf der ich fuhr und die anscheinend die einzige Verbindung war. Nach etwa zwanzig Gebäuden stieß ich auf einen ungewöhnlich steilen Hügel, bei dem ich nur absteigen und schieben konnte. Oben auf dem Hügel sah ich mich etwas gegenüber, das ich auf die Liste von Vorzeichen hätte setzen können, wenn ich welche gesucht hätte.

Der Friedhof des Dorfes.

Ich glaube, Liebhaber von Friedhöfen sind nicht sehr zahlreich. Abgesehen von den wenigen Personen, die sich für die Inschriften auf den Grabsteinen interessieren oder sich der Kunst des Steinabriebs widmen, fühlen sich die meisten Leute in der Gesellschaft der Toten nicht wohl. Ich habe mich immer alles andere als wohl gefühlt. Je größer der Friedhof, je größer die Steine, desto mehr komme ich aus dem Gleichgewicht. Nicht dass ich solche Anlagen gesucht hätte, im Gegenteil, wenn ich wie jetzt unerwartet auf eine Grabstätte stieß, wandte ich fast immer die Augen ab, bis sich die Umgebung geändert hatte.

Meine Eltern starben bei einem Autounfall, als ich acht Jahre alt war. Ich war bei dem Begräbnis dabei. Und immer wieder stieg der Gedanke in mir auf, dass diese beiden Menschen, auf die ich so sehr angewiesen war, einfach nicht tot sein konnten. Also waren sie noch am Leben. Und deshalb waren sie lebendig begraben. Lebendig begraben und schrien um Hilfe. Ich erinnere mich nicht, eine ähnliche Geschichte gelesen, im Rundfunk gehört oder im Kino gesehen zu haben – aber in einem war ich mir sicher, dass meinen Eltern so etwas zugestoßen war. Meine Tante, die sich dann um mich kümmerte, wollte natürlich nichts davon wissen. Sie hatte recht, wie ich jetzt weiß. Ich kann mich jedoch noch lebhaft an das Gefühl von Genugtuung erinnern, als meine Tante Jahre später starb. Ich träumte immer wieder, dass sie jetzt auch in ihrer finsteren Kammer eingeschlossen war, dass sie auch schrie und mit Händen gegen den geschlossenen Sargdeckel schlug,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Robert Lory/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Darksouls/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Darksouls/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Jürgen Saupe (OT: The Virgo Crypt).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 21.03.2022
ISBN: 978-3-7554-0987-8

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