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Leseprobe

 

 

 

 

PIERRE APESTEGUY

 

 

Venus fährt ins Wochenende

 

Roman

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

VENUS FÄHRT INS WOCHENENDE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Venus überlegte. Die Mehrzahl der tödlichen Unfälle geschah auf geraden Straßen. Deshalb minderte sie ihre Geschwindigkeit auf ein vernünftiges Maß von 80 herab, um sicher an der Kreuzung beim Croix-de-Toulouse anzukommen. Der Wagen fuhr brav um die Säule in der Mitte der Kreuzung herum und gelangte wieder auf die Straße nach Thomery in Richtung auf die Seine. Von dem kleinen Sportwagen war keine Spur mehr zu sehen. Drei Kilometer weiter entdeckte Venus plötzlich auf der rechten Seite die kläglichen Überreste des Sunbeams. Auf der Landstraße deuteten eine unendlich lange Schleuderspur und winzige Gummiteilchen darauf hin, dass an dem Wagen ein Reifen geplatzt sein musste. Die Spur endete an einem Baum. Der Sunbeam war an einer mächtigen Lärche zerschellt. Der Fahrer lag mit verrenkten Gliedern regungslos an der Böschung...

 

Der Roman Venus fährt ins Wochenende des französischen Schriftstellers Pierre Apesteguy (* 12. September 1902 in Biarritz; † 17. November 1972 in Cagnes-sur-Mer) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der französischen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  VENUS FÄHRT INS WOCHENENDE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der Kilometerzähler der Ariane stand auf 110. Es war Freitag, der dreizehnte. Venus, die am Steuer saß, hatte dieses ominöse Datum völlig vergessen, bis der Rundfunksprecher, dessen Stimme ihr aus dem Autoradio entgegentönte, es zu Beginn des Wetterberichts erwähnt hatte und sie daran erinnerte. Voller Freude lauschte Venus den nüchternen Worten des Sprechers, der ein herrliches Wochenende unter wolkenlosem blauem Himmel versprach. Die Wetterlage schien in jeder Hinsicht günstig, geeignet für Reisen und Erholung. »Autofahrer, seid vorsichtig«, schloss der Sprecher. »Vorsicht ist das beste Mittel, um Unfälle zu verhüten, besonders an einem Freitag, dem dreizehnten.«

Venus war nicht abergläubisch, das forderte ihrer Meinung nach das Unglück höchstens noch heraus. Sie behielt ihren Fuß auf dem Gaspedal und fuhr schnell auf der Landstraße dahin, die zwar ein wenig schmal war, dafür aber so schnurgerade, dass selbst die lange Reihe der Pappeln, die auf beiden Seiten die Fahrbahn säumten, die Sicht nicht versperrte. Seit Venus in ihrem Wagen die Nationalstraße 5 verlassen hatte, um über die Straße nach Thomery durch den Wald von Fontainebleau zu fahren, schien der Verkehr merklich nachzulassen. Eine ungeheure Lebensfreude ergriff die junge Frau. Das wunderbare Wetter hatte sie dazu verlockt, schon einen Tag früher, ganz allein, zu ihrem Wochenend-Ausflug zu starten. Morgen würde Médéric seiner angebeteten Marie Caroline Demilot, die von ihren Freunden Venus genannt wurde, nachkommen, um über das Wochenende Mühen und Sorgen seiner Arbeit bei der Interpol zu vergessen. Zwei idyllische Tage in der Sonne der Ile-de-France, in der Stille und Harmonie eines stilvoll angelegten Gartens, der ringsum von Mauern umgeben war, und in dem jetzt Kapuzinerblumen, Astern und Herbstprimeln in voller Blüte standen. Achtundvierzig Stunden des Alleinseins zu zweit - auf grünem Rasen oder auf der Terrasse aus rötlichem Stein, oder in dem weißen Haus, an dessen Wänden sich wilder Wein hochrankte. Abgeschlossen von der Außenwelt durch den Obstgarten auf der einen Seite und den Grenz weg des Waldes auf der anderen. Ein kleines Paradies auf Erden, und doch viel gastlicher: ohne den drohenden Schatten der Schlange, ohne die Verlockung des Apfelbaums. Stattdessen gediehen saftige Trauben an den Spalieren, die aufgereiht waren wie ein Regiment von Soldaten. Ein idealer Zufluchtsort, auf den Venus und Médéric ohne Zweifel ein Vorrecht hatten, ähnlich dem Recht, das ein Autor auf sein Buch hat... Denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Venus hatte ihren Biographen dazu überredet, ihr die Schlüssel zu seinem bezaubernden Landhaus Sableuse auszuhändigen, das nahe bei Fontainebleau lag, und mit dem Auto über die südliche Hauptstraße in fünfundvierzig Minuten zu erreichen war.

Konnte der Verfasser dieser Zeilen Venus den Zugang zu der Insel des Friedens verwehren? Er wollte nicht kleinlich sein gegen die junge Frau, mit dem tizianroten Haar und den Jadeaugen, deren Schönheit heitere Ruhe und eine wunderbare Unbefangenheit ausstrahlte, und den bedeutungsvollen Beinamen Venus voll und ganz rechtfertigte. Natürlich plagten den Mann, der genau wusste, wozu diese Amateur-Detektivin unter Umständen fähig war, gewisse Bedenken, als er Venus sein Landhaus frei zur Verfügung stellte. Aber schließlich, warum sollte man gerade dann, wenn sie, die sonst immer irgendein Unheil anstiftete, sich nach Ruhe und Frieden des Landlebens sehnte, diese Pläne durchkreuzen? Außerdem müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn die Heldin so vieler Abenteuer, die das Spiel mit dem Feuer immer wieder reizte, während ihrer kurzen, alltäglichen Fahrt eine Gelegenheit fand, einen der tödlichen Konflikte heraufzubeschwören, die ihre Spezialität zu sein schienen... Natürlich fuhr sie ziemlich schnell, aber doch nur, um recht bald an ihrem Bestimmungsort anzukommen. Sie konnte wirklich nicht ahnen, dass diesmal nicht sie das Abenteuer jagte, sondern dass es ihr bereits im Nacken saß.

Es wäre besser gewesen, die kühne Fahrerin hätte ab und zu in ihren Rückspiegel geblickt. Aber sie gab sich ganz dem Zauber des Herbstnachmittags hin und pfiff heiter zum Rhythmus des letzten Twist von Johnny Halliday, der aus dem Radio erklang. Plötzlich ertönte schrilles Kreischen, das sich zu ohrenbetäubendem Lärm verstärkte. Venus fuhr erschrocken zusammen und riss ihren Wagen nach rechts. Er rutschte an den Straßenrand, und nachdem sie mit knapper Not der Gefahr entronnen war, über die Böschung geradewegs in den Wald hineinzufahren, gelang es ihr schließlich, den Wagen wieder in ihre Gewalt zu bekommen.

»Sie Idiot«, schrie sie dem Verrückten nach, der sie überholt hatte. Es war einfach, sich auszurechnen, dass das rote Sunbeam Cabriolet, das die Ariane beinahe gestreift hatte und sich jetzt in rasendem Tempo entfernte, mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h gefahren sein musste, wenn man bedachte, dass Venus zuvor bereits mit 110 km/h dahingejagt war. Trotzdem hatte die junge Frau die beiden Insassen des Wagens für den Bruchteil einer Sekunde klar unterscheiden können: den rücksichtslosen Fahrer und neben ihm einen riesigen Wolfshund.

Venus überlegte. Die Mehrzahl der tödlichen Unfälle geschah auf geraden Straßen. Deshalb minderte sie ihre Geschwindigkeit auf ein vernünftiges Maß von 80 herab, um sicher an der Kreuzung beim Croix-de-Toulouse anzukommen. Der Wagen fuhr brav um die Säule in der Mitte der Kreuzung herum und gelangte wieder auf die Straße nach Thomery in Richtung auf die Seine. Von dem kleinen Sportwagen war keine Spur mehr zu sehen. Drei Kilometer weiter entdeckte Venus plötzlich auf der rechten Seite die kläglichen Überreste des Sunbeams. Auf der Landstraße deuteten eine unendlich lange Schleuderspur und winzige Gummiteilchen darauf hin, dass an dem Wagen ein Reifen geplatzt sein musste. Die Spur endete an einem Baum. Der Sunbeam war an einer mächtigen Lärche zerschellt. Der Fahrer lag mit verrenkten Gliedern regungslos an der Böschung.

»Um Gottes willen«, rief Venus erschreckt, »der arme Hund!«

Diese Reaktion war durchaus natürlich; denn es fällt wohl keinem ein, Leute zu bemitleiden, die das Leben ihrer Mitmenschen durch rücksichtsloses Fahren gefährden.

Damit wäre einer von den Straßenrowdys außer Gefecht, dachte Venus, während sie ihren Wagen am Straßenrand zum Stehen brachte. Sie stieg aus, obwohl ihre Knie nachzugeben drohten. Benzingeruch hing in der Luft. Der Treibstoff floss noch aus dem durchlöcherten Tank. Die Rinde des Baumes war in Fetzen gerissen, und der nackte Stamm zeigte einen tiefen Einschnitt. Rundherum war alles von Holzsplittern übersät.

Venus wusste, dass sie jedem Menschen, der sich in Todesgefahr befand, Hilfe und Beistand leisten musste. Aber für diesen steifen Körper, der aussah wie eine verrenkte Gliederpuppe, und quer über der Böschung im rotgefärbten Gras lag, gab es keine Hilfe mehr. Der Mann hatte aufgehört zu atmen, er war blutüberströmt, seine starren Augen standen weit offen. Er schien verständnislos und fragend zugleich zu einem Himmel ohne Wolken aufzublicken.

Der Wolfshund, der sicherlich genau wie sein Herr aus dem Wagen geschleudert worden war, blieb verschwunden. Wahrscheinlich hatte sich das arme Tier beim Sturz aus dem Wagen an irgendeinem Hindernis im Wald die Knochen gebrochen. Venus drang einige Schritte in das Unterholz vor und pfiff lang und anhaltend. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie in der Nähe ein Stöhnen vernahm. Sie ging in der Richtung, aus der die Klagelaute kamen. Vorsichtig bog sie die Sträucher auseinander und entdeckte schließlich den Hund in ziemlicher Entfernung von der Straße. Nach dem Unfall war er offenbar durch Zufall zwischen den Bäumen hindurchgeschleudert worden und in die jungen Schösslinge gerollt, die die Wucht des Sturzes gemindert hatten. Er lag auf dem Bauch im Farnkraut und leckte seine verwundete Pfote. Als Venus sich ihm näherte, begann er zu knurren. Sie hielt es für klüger, ihm erst gut zuzureden.

»Komm, mein Braver«, sagte sie mit ihrer süßesten Stimme. »Dir ist es wohl schlecht ergangen, du Armer?«

Der Hund hörte auf sich zu lecken. Er stellte sein Knurren ein und beobachtete aufmerksam die fremde Frau. Sie ging noch näher an ihn heran.

»Komm, mein Schöner. Du weißt doch, dass Gott auch die Tiere beschützt.« Er spitzte die Ohren. »Wenn du mich deine Pfote pflegen lässt, ohne mich zu beißen, dann stiften wir hinterher zusammen dem heiligen Franz von Assisi eine Kerze. Er hat wirklich auf dich achtgegeben.«

Sie beugte sich über das Tier. Es steckte seine Schnauze zwischen die Vorderpfoten, legte die Ohren an und wedelte zaghaft mit dem Schwanz. Der Hund war dankbar, dass jemand in diesem freundlichen und teilnahmsvollen Ton mit ihm sprach. Sein Instinkt sagte ihm, dass diese Unbekannte ihm gut gesinnt war. Vorsichtig streichelte Venus seine Seite. Er rührte sich nicht. Sicherer geworden grub sie ihre Finger in das dichte Fell des Tieres. Der Hund zog nicht einmal die Lefzen hoch. Dann kraulte sie ihn sanft am Kopf. Er seufzte tief voller Behagen. Als die junge Frau es schließlich wagte, ihre Hand auf seine Schnauze zu legen und mutig seine Nase berührte, die heiß und trocken war, ließ er es sich widerstandslos gefallen. Venus schloss daraus, dass sie sein Vertrauen gewonnen hatte und streckte dem Hund fordernd die Hand entgegen.

»Gib Pfote!«

Der deutsche Schäferhund folgte ihr aufs Wort. Er erhob sich, setzte sich in Positur und legte seine große Pfote vertrauensvoll in die Hand der jungen Frau.

»Andere Pfote!«

Er gehorchte mit sichtlichem Widerstreben. Venus betastete zart die blutende Pfote und entdeckte nach einigem Suchen einen langen Dorn, der tief zwischen Ballen und Krallen saß. Es gelang ihr, ihn herauszuziehen. Das Tier zitterte fiebrig und leckte dankbar die Hand, die ihn von dem Schmerz befreit hatte.

»Du bist wirklich ein braves Tier«, sagte sie anerkennend und trat einen Schritt zurück. »Ob du dich wohl auf den Beinen halten kannst?«

Mit einer Handbewegung forderte sie den Hund auf, sich ihr zu nähern. Er folgte ihr ohne Mühe, ja, als er bei Venus angekommen war, erhob er sich sogar auf seine Hinterbeine und legte ihr die Vorderpfoten auf die Schultern. Er war fast so groß wie sie. Ein richtiges wildes Tier. Glücklicherweise schien er trotz seines furchterregenden Aussehens sehr liebebedürftig zu sein. Er blickte Venus mit einem Ausdruck der Dankbarkeit in die Augen, der beinahe menschlich wirkte.

»Du hast ja gar kein Halsband«, stellte Venus fest. »Und einen Herrn hast du auch nicht mehr. Ich adoptiere dich! Bist du einverstanden?« Er bellte freudig, und Venus blickte mit leichtem Schaudern in die tiefe dunkle Höhle seines Rachens und auf die beiden Reihen scharfer weißer Zähne, die wie die Zacken einer Säge in dem Hundemaul standen. Der Hund keuchte; die Zunge, rosa wie ein zartes Stück Schinken, hing ihm aus dem Maul.

»Na komm«, wiederholte Venus und schritt auf die Straße zu. Er folgte ihr hinkend, aber bald blieb er auf ein Zeichen von Venus stehen. Sie lauschte dem Geräusch eines herannahenden Autos. Sicherlich würde der Fahrer an der Unfallstelle anhalten, und jeder Neuankömmling würde wohl erstaunt sein, bei dem verunglückten Wagen die unversehrte Ariane ohne Insassen zu finden. Bremsen kreischten. Eine Tür wurde zugeschlagen, und bestürzte Stimmen - Männerstimmen - ertönten. Der Wolfshund knurrte eigenartig. Venus beobachtete ihn scharf. Mit funkelnden Augen stand er auf der Lauer. Er zeigte die Zähne und ließ von Zeit zu Zeit ein böses Knurren hören. Das Fell in seinem Nacken sträubte sich. Venus hatte sogleich das Gefühl, dass er die Stimmen, die er hörte, kannte, und dass sie ihm durchaus nicht sympathisch waren. Ihr Verdacht wurde bestätigt, als einer der Männer mit gebieterischer Stimme rief:

»Titus!«

Der Hund stieß einen tiefen Seufzer aus, in dem Schreck und Groll mitklangen.

Venus sagte leise: »Bist du das? Titus?«

Er wedelte mit dem Schwanz, und die junge Frau glaubte in seinen Augen einen Hilfeschrei zu lesen. Jetzt riefen bereits zwei Stimmen in allen Lautstärken Titus’ Namen. Venus schüttelte den Kopf. Sie dachte, wie paradox es doch sei, dass der Tod des Fahrers offenbar jeden, der zum Unglücksort kam, kalt ließ, während jedermann sich sogleich um den Hund Sorgen machte.

Venus ließ sich Zeit. Die Situation erregte ihre Neugier. Sie bemühte sich zu verstehen, worüber die unbekannten Ankömmlinge sich unterhielten, wenn man ihre unzusammenhängenden Bemerkungen überhaupt als Unterhaltung bezeichnen konnte. Sie sprachen italienisch, mit jenem Überschwang und ungezügeltem Temperament, das den Italienern eigen ist. Venus verstand die Sprache recht gut. Aber aus der Ferne konnte sie nur Fetzen der Unterhaltung hören.

Sind die aber aufgeregt, dachte sie. Plötzlich trat Stille ein. Sie stand unbeweglich und legte mit einem Blick auf den Hund den Finger an die Lippen. Er kuschte. Es war vielleicht eine Minute vergangen, als am Straßenrand zischend eine dicke Rauchwolke aufstieg. Eine verbrecherische Hand hatte den Wagen in Brand gesteckt. Da alle seine Teile bereits mit Benzin getränkt waren, war er eine leichte Beute der Flammen geworden.

Venus bückte sich, um den Hund zu streicheln und ihm zärtlich kleine Worte der Aufmunterung zuzuflüstern. Sie versprach ihm, dass sie ihn nicht verlassen und ihn beschützen würde, was auch immer geschehen möge. Wie viele Hunde seiner Rasse war er offensichtlich darauf dressiert worden, aus dem Tonfall der menschlichen Stimme die Absichten des Sprechenden zu erkennen, denn er folgte Venus trotz seiner augenscheinlichen Abneigung. Trübsinnig, mit zurückgelegten Ohren und eingekniffenem Schwanz trottete er neben ihr her.

Da der Wind beißende Rauchwolken in den Wald trug, wandte sich die junge Frau der Straße zu, um die Hitze zu umgehen. Sie gelangte zum Rande der Böschung, als plötzlich ein lauter, schussähnlicher Knall ertönte. Sie beschleunigte ihren Schritt und stieg mit dem Hund an ihrer Seite den Abhang hin auf. Sie langten am Schauplatz an, als zwei Beamte der Straßenpolizei dort ihre Motorräder anhielten. Sie kamen kurz vor einem weißen Wagen an, der ebenfalls in Richtung Thomery fuhr und bereits seine Fahrt verlangsamte.

Venus allein wusste, warum die beiden Italiener, die wie angewurzelt neben ihrem Wagen standen, so unruhig und nervös waren, jeder andere musste ihre blassen und erregten Gesichter den Gefühlen zuschreiben, die sie bei dem schrecklichen Anblick des Unfalls empfanden. Wer würde bei einer so grausigen Entdeckung nicht die Farbe wechseln? Die Augen der beiden Männer wanderten unstet zwischen Venus und den Polizeibeamten hin und her. Eine Täuschung war nicht möglich: Als die Brandstifter sahen, dass der Hund Venus begleitete, waren sie sprachlos vor Wut und Überraschung.

Venus spürte, wie Schadenfreude in ihr aufstieg. Doch dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf die Lage des Toten, und sie begriff, dass die Ereignisse einen Lauf zu nehmen begannen, der durchaus nicht vergnüglich war. Als sie weggegangen war, hatte sie den Toten in der gleichen Stellung liegen gelassen, die er nach dem Sturz aus dem Wagen eingenommen hatte: auf dem Rücken, die Augen zum Himmel gerichtet, jetzt aber lag er auf dem Bauch, das Gesicht dem Erdboden zugewandt.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die Polizeibeamten waren bereits bei ihm. An der Stelle, wo der Tote lag, gleich neben dem brennenden Wagen, war es heiß wie in einem Hochofen. Trotzdem hielten sich die Beamten an den Grundsatz, dass kein Opfer eines Unfalls von der Stelle bewegt werden darf, ohne dass der Körper vorher untersucht worden ist. Sie stellten fest, dass der Mann nicht mehr lebte. Dann machten sie sich eilig daran, seine sterbliche Hülle weiter weg in das Gras am Straßenrand zu tragen.

Einer der beiden ging zu seinem Motorrad zurück, zog die Antenne eines Funksenders heraus und versuchte, über Kurzwelle mit dem Polizeirevier in Fontainebleau Verbindung aufzunehmen. Sein Kollege war bei dem Toten geblieben und durchsuchte dessen Taschen. Er zog verschiedene Dinge heraus, wie sie wohl jeder von uns in den Taschen herumträgt. Ein Paket amerikanische Zigaretten, ein deutsches Feuerzeug, ein Taschenmesser, ein Medaillon mit dem Bildnis der heiligen Theresa, ein Röhrchen Aspirin und einen großkalibrigen Revolver. Diese Gegenstände mochten später vielleicht einmal interessant werden, für den Moment waren sie jedoch bei weitem nicht so nützlich, wie es eine Kennkarte oder auch nur der Umschlag eines persönlichen Briefes gewesen wäre. Keine Papiere, keine Brieftasche, konstatierte der Beamte, nachdem er die blutgetränkte Kleidung an allen Nähten abgetastet hatte.

Die Italiener standen noch immer regungslos bei ihrem Wagen, einem schwarzen Lancia Cabriolet, das in Rom zugelassen war. Ihrem Beispiel folgend, stellte sich Venus neben der Ariane auf. Nur ein kurzer Zwischenraum trennte die beiden Wagen. Titus, der Wolfshund, saß brav an der Seite seiner neuen Freundin, bewegungslos wie ein Stofftier. Er war so groß, dass sie sich nicht einmal zu bücken brauchte, um ihm den Kopf zu streicheln, während er seine Augen nicht von den beiden Italienern wandte. Diese wiederum beobachteten Titus mit dem gleichen misstrauischen Interesse, das der Hund ihnen entgegenbrachte. Zweifellos hätte sich zwischen den Missetätern und Venus ein Gespräch angesponnen, wäre nicht ihre Wachsamkeit durch das Hinzukommen einer weiteren Person geweckt worden. Die weiße Dauphine, die den beiden motorisierten Beamten gefolgt war, hatte inzwischen auf der anderen Seite der Straße angehalten. Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters, war nicht ausgestiegen, sondern saß tatenlos hinter dem Steuer und ließ seine Blicke umherschweifen wie jemand, der sich über Verkehrsunfälle seine eigene Meinung gebildet hat.

Mittlerweile hatte der Polizeibeamte mit Fontainebleau Verbindung aufgenommen und forderte einen Krankenwagen des Straßenhilfsdienstes an. Er führte aus, dass ein Arzt nicht nötig sei, ebenso wenig wie irgendwelche Instrumente - leider! Der zweite Beamte näherte sich ebenfalls dem Sender und erklärte, dass es unmöglich sei, das Opfer zu identifizieren und dass es daher gleichgültig sei, wohin der Tote gebracht wurde.

»Wir wissen nicht einmal, ob der arme Kerl im Bereich von Paris gewohnt hat. Sein Ausweis lag wahrscheinlich zusammen mit den Autopapieren im Handschuhkasten. Und der Wagen ist jetzt nur noch ein Haufen glühendes Metall, das Nummernschild inbegriffen. Wir können die Nummer nicht mehr erkennen... Ja, der arme Teufel ist reif für das Leichenschauhaus, bis ihn jemand identifiziert. Nein, er ist nicht zu sehr entstellt. Wie bitte? Hinweise? Ja, ich habe so ein Gefühl, dass der Tote aktiver Offizier gewesen sein könnte. Er ist zwar in Zivil, aber ich habe bei ihm einen Armeerevolver gefunden. Das Modell wird nicht öffentlich verkauft. Das ist alles.«

Beide Beamte hatten ihre ganze Aufmerksamkeit den Funkangaben gewidmet, und so war es ihnen entgangen, dass Venus zu gleicher Zeit eifrig auf den Hund eingesprochen hatte. Sie hatte über das Verhalten der Brandstifter nachgedacht und war zu dem Schluss gelangt, dass ihr Benehmen mehr als verdächtig war. Sie hätten sich die Umstände zunutze machen und verschwinden können, ohne verfolgt zu werden. Die Engel der Landstraße hätten ihre traurige Pflicht bestimmt nicht vernachlässigt, um Zeugen nachzulaufen, die sich einer Aussage entziehen wollten. Es war überflüssig, weitere Überlegungen anzustellen: Wenn diese zweifelhaften Individuen weiterhin am Ort ihrer Schandtat aushielten, so taten sie das nicht wegen der schönen Augen von Venus, so reizvoll sie auch sein mochten, sondern einzig und allein wegen des Hundes. Aber warum, zum Teufel, riefen sie Titus nicht beim Namen? Warum gaben sie vor, das Tier nicht zu kennen, wenn sie nur darauf bedacht waren, sich seiner zu bemächtigen? Venus fürchtete, dass ihnen das sogar gelingen könnte und dass sie dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden würden, nachdem sie der Polizei falsche Personalien angegeben hatten. Sie war fest entschlossen, den beiden einen Strich durch die Rechnung zu machen; denn sie glaubte inzwischen mit Sicherheit zu wissen, dass die Italiener einer Maffia angehörten. Es war nicht Venus’ Gewohnheit, Schurken, die die Vorsehung ihr über den Weg laufen ließ, entwischen zu lassen. Sie fasste deshalb den Entschluss, die Italiener mit zwar gefährlichen aber unzerreißbaren Banden an sich zu fesseln. Der Mann in der Dauphine kümmerte sie wenig. Er war zu weit entfernt, um ihre Worte verstehen zu können, während die Italiener für ihn durchaus in Hörweite waren. Sie warf also ihre Netze mit Hilfe von Titus aus, dem sie die Hintergründe dieser dunklen Affäre enthüllte.

»Pass gut auf, mein Braver«, begann sie. »Die zwei bösen Männer, die du nicht ausstehen kannst... Also stell dir vor, sie haben einfach die Papiere deines Herrn an sich genommen. Aber - sie hatten gute Gründe, die Papiere nicht bei sich zu behalten, damit hätte man sie ja überführen können. Das beweist, dass die beiden Herren ein schlechtes Gewissen haben. Vielleicht haben sie auch gar kein Gewissen, Und wenn sie eines hätten, meinst du, sie hätten die Papiere deines Herrn in seinen Wagen geworfen, bevor sie ihn angezündet haben?«

Titus richtete seine Augen fragend auf Venus und spitzte die Ohren. Derartige Anspielungen überstiegen wahrscheinlich seine bemerkenswerten Fähigkeiten. Einer der beiden Italiener grinste. Der andere folgte seinem Beispiel. Aber in dem Grinsen der beiden lag Hohn und Feindseligkeit. Venus stellte befriedigt fest, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie war sich klar darüber, dass sie sich zwei Feinde geschaffen hatte, die äußerst gefährlich werden konnten, denn sie waren gewarnt und wussten worum es ging.

Während der eine Polizeibeamte seine Radioinstrumente zusammenpackte, kam der andere auf die Anwesenden zu.

»Wer«, fragte er, »ist zuerst am Unfallort angelangt?«

»Ich«, meldete sich Venus und trat vor. Der Hund folgte ihr nicht. »Und ich kann Ihnen auch gleich sagen, dass dieser traurige Anblick mich nicht weiter überrascht hat. Ich selbst wäre beinahe das Opfer dieses Wahnsinnigen - Gott sei seiner Seele gnädig - geworden, als er mich zwischen Table-du-Roy und Croix-de-Toulouse überholte. Er hat mir einen fürchterlichen Schrecken eingejagt und hätte mich fast gestreift. Ich versichere Ihnen, dass er mindestens mit 150 km/h gefahren ist. Sagt Ihnen das etwas? Noch einer, der gedacht hat, er ist ein zweiter Fangio. Und hier haben wir das Resultat. So ein schöner kleiner Wagen. Es ist wirklich schade!«

»Haben Sie erkannt, was für eine Marke es war?«, fragte der Polizeibeamte mit plötzlichem Interesse.

»Ich habe natürlich vor allem versucht, einen Unfall zu vermeiden. Aber soweit ich sehen konnte, war es ein Zweisitzer, Sportwagen, rot... Es kann nur ein Triumph, Alfa Romeo oder ein Sunbeam gewesen sein. Meiner Ansicht nach am ehesten ein Sunbeam. Mir ist hauptsächlich der Wolfshund aufgefallen, der vorne saß. Ich habe das arme Tier im Wald wiedergefunden. Der Hund hat mehr Glück gehabt als sein Herr.«

Der andere Polizist war mittlerweile ebenfalls zu der Gruppe getreten und bemerkte nun:

»Schade, dass der Hund kein Halsband hat. Oft sind doch daran Plaketten angebracht, auf denen die Adresse steht. Sind Sie bereit,- als Zeugin auszusagen, wenn nötig, Madame?«

»Mademoiselle«, berichtigte Venus. »Selbstverständlich. Hier sind meine Papiere.« Sie holte die Papiere aus dem Wagen und übergab sie dem Beamten. »Ich heiße Marie Caroline Demilot und wohne in Paris, Rue du Calvaire Nummer 8.«

Die Italiener lauschten aufmerksam, während der Beamte sich die Aussage der ersten Zeugin notierte.

»Wohin fahren Sie?«

»In das Landhaus eines Freundes, das er mir über das Wochenende zur Verfügung gestellt hat.«

»In der Umgebung?«

»Ja, ganz in der Nähe. Route de Bourgogne Nr. 51, in Venaux-les-Sablons. Deshalb bin ich auf der Straße nach Thomery gefahren.«

Diese wertvollen Einzelheiten, die der Beamte fein säuberlich in sein Notizbuch eintrug, prägten sich unauslöschlich im Gedächtnis der Italiener ein. Dann reichte der Beamte Venus ihre Ausweispapiere zurück, dankte ihr und fragte mit einem Blick auf die beiden Männer:

»Folglich sind diese Herren also nach Ihnen angekommen, Mademoiselle?«

»Bestimmt. Sie waren noch nicht einmal hier, als ich in den Wald ging, um den Hund zu suchen.«

»Wie! Sie haben sich um den Toten gar nicht gekümmert?«

»Ich kann Tote nicht zum Leben erwecken.«

»Und das Auto? Hat es da schon gebrannt?«

Venus warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Sie haben eine komische Art, Fragen zu stellen«, bemerkte sie. »Sie wollen doch nicht vielleicht andeuten, dass ich den Wagen in Brand gesteckt habe, als ich hier ganz allein war, und mich dann entfernt habe!« Sie lächelte entwaffnend. »Sehe ich aus wie eine Brandstifterin?«

Der andere Beamte mischte sich ein. »Sie dürfen das, was mein Kollege gesagt hat, nicht so tragisch nehmen, Mademoiselle. Er hat sich nur ein bisschen ungeschickt ausgedrückt. Glauben Sie, dass der Wagen aufgrund des Zusammenstoßes Feuer gefangen hat?«

Venus warf einen Seitenblick auf die Italiener. Sie erbleichten. Dann sah die junge Frau dem Polizeibeamten direkt in die Augen und sagte laut und deutlich:

»Ganz recht!« Der Ausdruck auf den Gesichtern der beiden zweifelhaften Gesellen war unbezahlbar. »Ich habe schon von weitem am Straßenrand Rauch aufsteigen sehen. Als ich näher kam, sah ich, dass es sich um ein brennendes Auto handelte. Der Fahrer wurde wahrscheinlich herausgeschleudert, ist dann von der Wucht des Sturzes am Boden abgeprallt und gegen den Baum geschleudert worden. Er lag an der Böschung, genau in der gleichen Stellung, in der Sie ihn vorhin gefunden haben.« Sie wandte sich den Italienern zu. »Nicht wahr, meine Herren!«

Die beiden waren noch immer völlig verblüfft. Sie waren aber immerhin in der Lage zu erkennen, wie wertvoll eine so großzügige Lüge für sie war, die noch dazu mit Überzeugungskraft und Unbefangenheit vorgetragen wurde. Nachdem Venus ihren ersten vergifteten Pfeil auf sie abgeschossen hatte, um ihnen zu verstehen zu geben, dass sie ihr Spiel durchschaut hatte, sollten die beiden Verschwörer nun eine angenehme Überraschung nach der anderen erleben. Sie sahen die junge Frau mit demütiger Dankbarkeit an. Soviel Güte war ihnen unbegreiflich. Sie wussten nicht, dass Venus ihrem alten Grundsatz treu blieb und sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als die Polizei bei einer rätselhaften Affäre zu unterstützen, die sie selbst lösen wollte.

»Sehen Sie doch die Spuren auf der Straße«, fuhr sie hastig fort. »Wahrscheinlich ist ein Reifen geplatzt. Der Wagen ist an den Baum gerast und dabei ist der Benzintank explodiert.«

»Ja, das ist eigentlich klar«, pflichtete ihr der Polizeibeamte bei. Dann wandte er sich den Italienern zu. »Und Sie, haben Sie irgendetwas Besonderes bemerkt?«

»Darf ich mich vorstellen?« Der größere der beiden Gauner trat vor, in der einen Hand den Pass, in der anderen das Triptik des Lancia. »Mein Name ist Vittorio Alberti. Ich komme aus Neapel. Ich stehe Ihnen zu Diensten.«

Gut gebrüllt, Löwe, dachte Venus und biss sich nachdenklich auf die Lippe. Der Neapolitaner drückte sich ihrer Meinung nach in der französischen Sprache mit einer Gewandtheit aus, die nur das Ergebnis langer Übung sein konnte. Und dieser kleine provenzialische Akzent gab hinreichend Auskunft über die Gegend, in der er sich am häufigsten aufgehalten hatte. Vittorio Alberti, eine lange Hopfenstange mit glattrasiertem Gesicht und flackernden Augen, trug einen eleganten grauen Filzhut, wahrscheinlich die letzte Schöpfung von Borsalino. Sein gut geschnittener Anzug war ebenfalls grau, mit gefährlich engen Hosenbeinen. Dazu trug er Schuhe aus hellem Schweinsleder, die so spitz waren wie Schnabelschuhe. Er legte ein reichlich schüchternes Benehmen an den Tag, aber das war sicherlich sorgfältig, einstudiert. Gerade so, wie sein Pass aller Wahrscheinlichkeit nach eine gelungene Fälschung war. Mit einer höflichen Geste bat er seinen Landsmann näher zu treten.

»Dies ist mein Mitfahrer«, erklärte er. »Mein alter Freund Guido Toscanino aus Taormina in Sizilien.«

Der alte Freund Guido sah aus wie ein Stehaufmännchen, dick und rund wie eine Kugel. Sein schwarzes Haar, das an den Schläfen schon grau zu werden begann, ringelte sich in öligen kleinen Löckchen; die Nase schien mindestens zweimal gebrochen, wie bei einem alten Boxer, und die unförmigen großen Ohren standen weit von seinem Kopf ab. Er streckte den Beamten seinen Pass entgegen und schlug unterwürfig die Augen nieder.

»Zu Ihren Diensten«, sagte er.

Welch rührende Demut! Zwei ganz üble Speichellecker! Wenn man sie so Seite an Seite sah, Guido Toscanino, den Dickwanst, und Vittorio Alberti, den langen spindeldürren Menschen, musste man unwillkürlich an Don Quichotte und Sancho Pansa denken. Aber dieser schmeichelhafte Vergleich konnte sich wirklich nur auf das Aussehen der beiden beziehen.

 

Vittorio Alberti erklärte in wenigen Worten, dass er der Aussage von Mademoiselle nichts hinzuzufügen habe, Nach ihm führte sein Freund Guido aus, dass sie überrascht gewesen seien, am Unfallort eine leere Ariane zu finden. Auch Guido sprach fließend Französisch. Den Akzent kann er sich nur in Marseille angeeignet haben, dachte Venus.

Guido war am Ende seiner Aussage angekommen. »Und dann sahen wir Mademoiselle mit dem armen Hund aus dem Wald kommen.«

»Der arme Hund ist gar nicht so beklagenswert«, warf der Fahrer der Dauphine plötzlich ein, während er seine Wagentür öffnete. »Sein guter Stern hat ausgerechnet mich an dieser Stelle vorbeikommen lassen. Sehen Sie, was er macht? Ein gutes Tier!«

Nachdem Venus den Hund verlassen hatte, war er weiter bewegungslos neben dem Wagen sitzen geblieben, so lange ihn die Italiener beobachtet hatten. Sobald er bemerkte, dass die beiden ihm nichts anhaben konnten, sondern mit den Polizeibeamten beschäftigt waren, hatte er sich erhoben und war mit langen Schritten am Straßenrand entlang getrottet, bis zu seinem Herrn, und hatte dessen leblosen Körper von allen Seiten beschnuppert. Jetzt schien es, als wolle der Hund seinen toten Herrn nicht mehr verlassen. Er lag ausgestreckt im Gras, die Schnauze zwischen den Pfoten, die Ohren zurückgelegt, offensichtlich tief bekümmert.

Der Mann aus der Dauphine schloss sich der kleinen Gruppe an und fuhr fort zu sprechen. »Wissen Sie, dass es sehr gut möglich ist, dass dieses Tier sich weigern wird, den Platz zu verlassen, wo sein Herr den Tod gefunden hat? Oder dass er möglicherweise ganz allein hierher zurückkommt, um seinem Herrn nahe zu sein, und dann des Hungers sterben wird? Ich habe solche Fälle erlebt.«

Venus versuchte, sich von dem Mann ein Bild zu machen. Er war zweifellos sympathisch. Der Ton, in dem er von dem Hund sprach, ließ darauf schließen, dass er ein Tierfreund war. Sein Alter schätzte sie auf etwa fünfundvierzig, obwohl er eigentlich einen jüngeren Eindruck machte. Er hatte breite Schultern und schmale Hüften, sein Gesicht hatte regelmäßige Züge, wenn auch der Mund schroff wirkte! Sein kastanienbraunes Haar war kurzgeschnitten. Die junge Frau stellte fest, dass er aus guten Kreisen stammen musste. Er trug, ein cremefarbenes Seidenhemd und dazu eine teure Krawatte. Der gutsitzende Glencheck-Anzug unterstrich noch die wohlausgewogenen Proportionen seines athletischen Körpers. Der Mann sah wirklich blendend aus. Ohne die hässliche Narbe, die quer über seine linke Wange, bis hinauf zum Augenwinkel lief, hätte er wie ein Don Juan gewirkt; Das war ohne Zweifel eine Kriegsverletzung. Venus sah die vielen Orden, die das- Revers seines Jacketts schmückten. Ihre Vermutung wurde zur Gewissheit.

»Dieser Polizeihund ist wirklich ein wunderbares Tier«, wiederholte er. »Und ich kenne mich auf dem Gebiet aus. Er ist bestimmt aus erstklassiger Zucht. Wie könnte man wohl seinen Stammbaum finden?«

»Wenn jemand sich des Hundes annehmen würde, wäre das eine gute Tat«, schlug der eine Beamte vor. »Denn sonst müssen wir ihn ins Tierasyl geben, und das wäre sehr schade.«

»Das wäre das reinste Verbrechen«, rief Vittorio Alberti mit Entrüstung. »Mein alter Wachtelhund ist gerade gestorben... Sag, Guido, sollen wir den armen verwaisten Hund adoptieren?«

»Das ist eine wunderbare Idee, Vittorio.«

Als Venus die beiden Männer auf den Hund zugehen sah, war sie sich klar darüber, was für einen Empfang sie zu erwarten hatten. Sobald sie sich dem Hund näherten, erhob er sich und begann böse zu knurren. Er zog die Lefzen hoch und zeigte seine spitzen Zähne. Sein Fell war gesträubt. Sein ganzes Benehmen war eine einzige drohende Warnung.

»Er scheint nicht ganz einverstanden zu sein«, bemerkte der Polizeibeamte. Der Anblick schien ihn zu amüsieren, obwohl er und sein Kollege bereits die Hand am Revolver hatten, da sie fürchteten, das riesige Tier könnte einem der beiden Italiener an die Kehle springen. Guido Toscanino war diese Tatsache nicht entgangen. Vittorio jedoch zuckte verächtlich die Achseln und wagte sich noch einen Schritt weiter vor. Als aber der Hund Anstalten machte sich auf ihn zu stürzen, zog sich der mutige Signor Alberti in eiliger Flucht zurück.

»Das ist natürlich«, brummte er mürrisch. »Er kennt uns ja nicht.«

Venus hüstelte diskret, während Toscanino, durch die Geste der Beamten in seinem Vorhaben ermutigt, eine radikale Lösung vorschlug.

»Sie sind bewaffnet,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Pierre Apesteguy/Apex-Verlag/Successor of Pierre Apesteguy.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Mechtild Sandberg (OT: Les Hold-up De Vénus).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2022
ISBN: 978-3-7554-0709-6

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