RICHARD S. SHAVER
ZAUBERBANN DER VENUS
- Galaxis Science Fiction, Band 38 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
ZAUBERBANN DER VENUS
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Das Buch
Von der sterbenden Tyrannin Hecate erhält Jim Steel, der Erdenmann, eine Mikrokarte der südlichen Venus. Dort soll ein ungeheuer wertvoller Schatz verborgen sein. Zusammen mit seiner Amazonenbraut Ceulna begibt sich Jim Steel in einem kleinen Raumschiff auf die gefahrvolle Reise. Sie landen im urwaldbedeckten Krater eines erloschenen, riesigen Vulkans, wo Ceulna und das Schiff auf geheimnisvolle Weise verschwinden...
Der Roman Zauberbann der Venus des amerikanischen Schriftstellers Richard Sharpe Shaver (geboren am 08. Oktober 1907; gestorben am 5. November 1975) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1973.
Zauberbann der Venus erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
ZAUBERBANN DER VENUS
Erstes Kapitel
Lefern, die Amazonenstadt der Tuon-Konföderation, hängt über den himmelhohen Wäldern der Venus und wirft, soweit das Auge reicht, ein zauberhaftes, perlflimmerndes Netz über die unermesslich weiten grünen Vegetationskissen.
Riesiges Immergrün von den Maßen der Mammutbäume und der duftigen Üppigkeit der Goldkiefer stützt die endlosen, ineinander verflochtenen Kabelträger und die schimmernden Wohnkugeln und Tuon, die silber- und smaragdfarben im Spinnennetz der Kabelwege hängen.
Mit jeder Bewegung der langen, anmutigen Glieder und der schlanken, kraftvollen fraulichen Körper, die sich so selbstverständlich an den Kabeln entlangschwingen wie ein Erdenmensch den Gehsteig benützt, funkeln die juwelengeschmückten Harnische der Amazonen. Es sind nackte, kunstvoll tätowierte, sinnliche, lebenssprühende Körper, und die Waffenharnische sind ihre einzigen Kleidungsstücke.
Die riesige Kriegsflotte der Nation der Tuon sucht mit ihren Penetrationsstrahlen den wolkenverhüllten Planeten mit seinen riesigen Wäldern, scharlachfarbenen Seen und schneebedeckten Bergzügen nach Überlebenden von Hecates Streitkräften ab. Kaum ein Schiff steht auf den heimatlichen Landeplattformen der Städte von Tuon. Sie sind, den Facettenaugen der Insekten ähnlich, über die ganze Venus verteilt. Oanu, die Königin der Amazonen, hält in ihrer Zentrale in Lefern alle Fäden in der Hand, und unablässig lauscht sie, um Hinweise darauf zu empfangen, wo sich die noch fehlenden Unsterblichen aus Hecates Terrorgruppe verborgen halten. Auch der letzte Träger der gefürchteten gold- und scharlachfarbenen Roben des inneren Kreises der Hexenmänner muss unschädlich gemacht werden!
Oanu ist Chefin der Geheimpolizei, Kommandantin der Kriegsflotte, nahezu Alleinherrscherin von Lefern und die starke Hand des Rates der Städteföderation.
Sie saß an ihrem Schreibtisch und spielte mit dem juwelenfunkelnden Gürtel ihres Harnisches. Die Nacht senkte sich auf die Stadt Lefern, und die sanften weißen Brüste der ewigen Wolken schienen zu schwellen, als gehe unsichtbar in ihrem Innern etwas Drohendes vor sich. Und dann schoss ein kleiner Flieger aus den Wolkenkissen; Oanu sah ihn auf ihrem Bildschirm. Er landete auf einem der hohen Gebäude.
Sie lächelte, denn sie wusste, dass in dem wassergefüllten Schiff die schöne Oltissa saß, Leutnant der Mer-Marine. Leutnant Oltissa war eine der Zentralfiguren im Kampf gegen die Organisation der mächtigen Hecate. Oanu hatte größten Respekt vor dem Verstand und Charakter der großen Mer-Frau. Sie drückte auf einen Knopf ihres Bildschirms, und über den Strahl schoss ihr Gedanke hinaus: Leutnant Oltissa, hier spricht Oanu. Kann ich dir helfen?
Das kannst du, geliebte Freundin. Sieh zu, dass du diese beiden Liebesvögel findest, Jim Steel und sein Tanzmädchen Ceulna. Ihre Hochzeitspläne müssen warten. Hecate wird im Labor, wo ihr Geist sehr intensiv nach den alten Geheimnissen durchforscht wird, in wenigen Stunden sterben. Sie will ihm etwas geben, eine Landkarte für einen Schatz, und die will sie nur ihm aushändigen, sonst keinem. Wir wollen sie jetzt, da sie ja doch sterben muss, noch ein wenig bei Laune halten. Im Übrigen könnte diese Information vielleicht sogar sehr wichtig sein!
So war es, als ich mit meiner reizenden Tanzmädchenbraut mit Lufthelmen auf den Köpfen und im warmen, wassergefüllten Kriegsrenner Oltissas hoch über die Wolken von Ygdrasil in die beißend kalte Stratosphäre hinaufstieg und über die wolkendurchsetzte Lufthülle schoss.
Hoch über den brodelnden venusischen Seen raste das Schiff Hecates Sterbelager entgegen. Lefern lag, ein schimmerndes Zaubergespinst, über den unermesslichen Wäldern und war von der sterndurchwobenen dunklen Decke der Nacht verhüllt.
Oanu beobachtete unseren Abflug auf dem Bildschirm und sandte uns ihren Suchstrahl nach, bis wir außer Sicht waren. Sie seufzte, denn Oanu beneidete uns um unser Glück: doch dann lächelte sie, denn sie dachte an Hank Farne, der in ihrer Wohnung schlief, an sein Lausbubenlächeln, das selbst im Schlaf noch verschmitzt und durchtrieben wirkte, und mit diesem Gedanken richtete sie den Wachstrahl in seine Richtung. Das hätte sie besser unterlassen, denn in Lefern gab es in diesen Tagen wenig Wächter, und die Flotte war über den ganzen Planeten verstreut. Selbst das Wachschiff, das sonst auf einem Levitorstrahl über Lefern hing, hatte man zu einem Suchauftrag eingesetzt.
Weit draußen über den Wäldern zuckte ein Lichtspeer sein tödliches Signal in den Himmel hinauf. Am Fuß des Schaftes lächelte ein renegater Roter Krieger vom Hitzegürtel voll düsterer Rachsucht.
Oanu war in dieser Nacht die einzige Beobachterin am Wachstrahl. Seit Farnes Rückkehr hatte sie zu viele Kleinigkeiten aus dem weiten Bereich ihrer Pflichten vergessen. Einige Minuten lang lag Lefern in jener Nacht schutzlos da. Eine lange schwarze Nadel raste über den unbeachteten Schirm der himmelumspannenden Überwachungsstelle und wurde zum winzigen Punkt tiefster Schwärze zwischen den Sternen. Auf diese kostbaren Minuten hatte man seit Wochen sehnlichst gewartet, und endlich war der Augenblick gekommen, da kein Auge an den Wachschirmen hing. Weit draußen im Raum hatte das schwarze Schiff auf der Lauer gelegen, denn nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit musste dieser Zufall irgendwann einmal eintreten. Der Abflug von Oltissas Schiff, das weite Ausschwingen des Suchstrahls, der das Schiff der alliierten Merleute begleitete, die unweigerlich folgende Minute der Entspannung – es war wirklich reiner Zufall, dass all dies zusammentraf und das ganze Strahlenwachnetz außer Funktion setzte. Damit war Leferns Schicksal besiegelt.
Von der dahinrasenden Nadel löste sich eine dünne gelbe Wolke, die einer ewig brennenden Gasflamme ähnelte. Sie löste die dicken Wattewolken auf, während sie fiel, breitete sich aus und schnitt einen breiten, tödlichen Pfad in die Wolkendecke, in dessen Mitte das schutzlose Lefern lag. Immer tiefer senkte sich das Band ewigen Feuers; weiter raste die dünne Nadel, und niemand in Lefern bemerkte es. Außer Sicht der Amazonenaugen, vielleicht für immer außer Sicht jener Augen, die nicht sahen, außer Sicht aller Zeit und jeden Lebewesens.
Der Hexenmann in der Warsprite lachte hämisch und triumphierend.
»Der Tod ist über ihnen, und sie wissen es nicht einmal!«, sagte Nonur. »Die Idee mit dem radioaktiven Sand, die aus den Labors der stupiden Erdenmenschen stammt, ist doch wundervoll, nicht wahr? Wenn wir nur eine Möglichkeit hätten, die Wachstrahlen der anderen Tuon-Städte so abzulenken, wie es das Schiff der Merleute tat, dann könnten wir heute noch die ganze Sache erledigen. Hast du einen Vorschlag, Freund Montagna?«
»Ich denke, ein SOS-Strahl ähnlich dem, den ein stürzendes Schiff aussendet, um den Suchern seine Position anzuzeigen, könnte die Wachstrahlen solange ablenken, dass wir einmal ihre Stratosphäre durchfliegen könnten. Das sollten wir versuchen.«
Und weiter schoss die dunkle Nadel von Nonurs Rache über die Städte von Lefern hinweg, um die tödliche Ladung des verseuchten Sandes abzulassen. Ein Jahr lang würde keine Erde, auf die dieser Sand fiel, Leben zulassen. Und wo immer er fiel, schuf er eine Zone langsamen, qualvollen Todes, den einer beschleunigten Alterung.
Zweites Kapitel
Leutnant Oltissa ahnte nichts von dem Unheil, das sich über unserem geliebten Lefern ausbreitete. Wir waren drei – Oltissa von Mer, die schöne Ceulna von den Tuons, deren Augen vor Glück und Vorfreude auf die bevorstehende Hochzeit strahlten, und ich, Jim Steel, Erdenmann und jetzt in die Nation der Tuon als Bürger und Krieger aufgenommen. Wir tauchten mit unserem Schiff in die tiefen Wasser der venusischen See.
In einer Spirale gingen wir hinunter, und der ungeheure Druck drohte unser Schiff zu zerquetschen. Innen sind sie sehr behaglich, diese wassergefüllten Tauch-Raumschiffe der Merleute, deren Innendruck sich automatisch den Bedingungen der Luft-, Raum- und Unterwasserfahrten anpasst.
Dann fuhren wir in die riesigen Druckschleusen der Unterseestadt Merdepon ein. Von hier aus folgten wir der rasch sich schwimmend fortbewegenden Gestalt Oltissas ein wenig schwerfällig durch die wassergefüllten Straßen der Stadt und erreichten wenig später das Laborzentrum.
Hier hatten wir wieder Luft, denn man hatte die Räume für Hecates letzte Tage vorbereitet. Oltissa, Ceulna und ich standen also wieder einmal vor der gefürchteten Hecate.
Diese Luftkammer, in der wir unsere Helme abnehmen konnten, lag tief in einer der ältesten und größten Städte des Seevolkes, die auch die Hauptstadt ihres riesigen Staates war – Merdepon, Hauptstadt von Merdeponal.
Es war ein sehr großes Labor und zu dem Zweck eingerichtet, Hecates jahrhundertealte Weisheit aus ihr herauszuholen, solange noch die Möglichkeit dazu bestand. Die Arbeit eilte, da das hohe Alter ihre Kräfte aufzehrte. Im Mittelpunkt des Raumes saß die einstmals so mächtige Hecate, von deren Macht nichts mehr geblieben war. Sie war von zahlreichen Wissenschaftlern und Technikern umgeben, die ihrem Geist Antworten auf die detailliertesten abstrakten Fragen abverlangten, um sie in Gedankenspeichern festzuhalten.
Als wir uns ihr näherten, entfuhr mir ein Schrei des Entsetzens. Wenn ich auch die Riesin zutiefst verabscheute, so tat sie mir gleichzeitig doch auch unendlich leid.
Sie war zur Mumienhaftigkeit buchstäblich verdorrt. Nur in ihren gelben Augen glühte noch das Leben. Sonst ließ ihr Körper wenig mehr davon ahnen. Auf ihr lag der sehr wirksame Vitalitätsstrahl der Mer-Leute, denn die Zeit zu sterben war für sie noch nicht gekommen. Es gab immer noch so vieles, was man von ihr erfahren konnte, denn sie hatte ein langes Leben hinter sich und wusste vieles von den Wissenschaften der Altrassen. Ich wusste, dass es allein dem Vitalitätsstrahl zu verdanken war, wenn überhaupt noch Leben in ihr war.
Die Riesenknochen von Hecates Nacken und Schultern waren jetzt nur noch von grauen Hautfalten und schlaffen, verkümmerten Muskeln bedeckt, die sich fast unmerklich bewegten, als sie versuchte, ihr Gesicht wegzudrehen, weil meine Augen sie musterten.
»Jim Steel, du und ich – wir beide hätten es sein können«, murmelte sie mehr zu sich selbst, denn ihr Geist verlor sich schon in den Nebeln des Todes. »Herren zweier Planeten, unsterblich wie die Götter – aber das Glück hat sich gegen mich gewandt. Aber ich habe noch ein Geschenk für dich. Es kann dich größer machen als ich je war, denn es ist das Geschenk des Lebens, eine längst vergessene Formel und eine sehr merkwürdige, wundervolle Maschine. Ich hatte keine Zeit mehr, sie ganz zu erfassen, aber ich glaube daran, dass sie das Geheimnis des Lebens enthält. In diesem Medaillon ist die Mikrokarte ihres Verstecks.«
Für einen Augenblick blitzte der mächtige Geist wieder in ihren gelben Augen.
»Aber ich muss dich warnen«, fuhr sie fort, und ihre Stimme wurde immer schwächer. Sie kämpfte gegen die Nebel des Todes an. Ich nahm das Medaillon aus ihren kalten, vertrockneten Fingern und schob es in eine Tasche meines edelsteinfunkelnden Harnisches.
Ceulna hängte sich an meinen Arm, als wir das sterbende Wesen verließen. Hecate schaute uns mit einem trauernden, leeren Blick nach. Ceulna und ich, wir beide wollten heiraten, sobald es sich irgendwie machen ließe und wollten dann in der prachtvollen Baumstadt Lefern wohnen. Diese riesige Stadt mit den smaragdfarbenen Kabelgittern hing mit perlenfarbenen Wohnkugeln an den ungeheuer hohen Bäumen, die für die Venusvegetation so charakteristisch sind, und nirgends anders als dort wollten wir leben. Wir bestiegen ein kleines Schiff, einen Zweisitzer, den die Mer-Leute uns auf Oltissas Anregung als Hochzeitsgeschenk überlassen hatten. Das war ein wundervolles Stück der Schiffsbaukunst der Alten und keine moderne Kopie und stammte aus den Resten von Hecates Armada.
In einer Spirale zogen wir nach oben. Das Seewasser glitzerte auf den Stummel schwingen, als wir uns in die Luft hoben und in die dicke Wolkendecke eintauchten. Immer weiter hinauf stieg unter Ceulnas Führung das starke, unzerstörbare Schiff, bis wir in die strahlenden oberen Luftschichten hinausschossen und unter uns die Kissen der von innen heraus schimmernden Wolkendecke schön, rein und unberührt dalagen wie frischgefallener Schnee auf der Erde.
Neugierig öffnete ich das Medaillon, das die sterbende Riesin mir gegeben hatte. Es enthielt eine ganze Reihe von winzigsten Mikrofilm-Landkarten und ein sehr kleines, ungeheuer starkes Vergrößerungsglas. Damit besah ich mir die Karten.
Es waren die Teile einer Karte der südlichen Venus, jenes Gebietes also, das auf der südlichen Halbkugel von einem hitzedampfenden Gürtel umgeben ist, aber weit unterhalb der heißen Äquatorialzone liegt. Dort lagen die geheimnisvollen Sieben Städte, deren Könige, wie man sagte, unsterblich und namenlos seien. Dieser Feil der Venus versteckt sich hinter einem isolierenden Vorhang der Kontaktlosigkeit.
Ceulna wurde ganz aufgeregt, als ich ihr die Karte beschrieb, denn sie versprach ungeheure Möglichkeiten. Ceulna liebte die Gefahr, und wenn eine Sache riskant wurde, zündeten Funken in ihren Tiefen. Sie sah mich an und stellte mir damit eine Frage. Ich nickte; konnte ich denn Ceulna irgendetwas versagen?
Sie legte unser Schiff in eine weitgezogene Kurve über der unermesslichen Wolkensee und raste dem Äquator entgegen. Hier war die Sonne unbeschreiblich heiß. Da ihre Hitze nicht von dicken Wolkenlagen abgefangen wurde, quoll mir der Schweiß aus allen Poren. Ich öffnete daher eine Luftdüse und ließ die eisige Stratosphärenluft herein.
Ich wusste, dass unter den sonnendurchfluteten Wolkenmassen weite, unbekannte Meere lagen, in denen Inseln schwammen und aus denen Kontinente aufragten, die völlig mit unberührtem Urwald bedeckt waren. Und wir hatten niemandem unsere Pläne mitgeteilt! Wenn wir jetzt in Schwierigkeiten gerieten...
Endlich tauchten wir durch die Wolkendecke in das kühlere, diffuse Licht der südlichen Venus. Am Horizont bemerkte ich den hohen, stumpfen Kegel, den die Landkarte als ersten Richtpunkt angegeben hatte.
Das war ein erloschener Vulkan, den wir langsam mehrere Male umkreisten, um nach anderen Orientierungspunkten Ausschau zu halten, die uns helfen konnten, Hecates Schatz zu lokalisieren. Weder der reizenden Ceulna noch mir, dem Leichtgläubigen, fiel es auch nur im Entferntesten ein, dass Hecate mir etwas hinterlassen haben könnte, mit dem sie an mir Rache nehmen wollte.
Ich kann aber bis heute noch nicht daran glauben, dass sie mir diese Mikrokarte aus einem anderen Grund hinterlassen hat als den, mich zu belohnen oder als Zeichen dafür, dass sie es gut mit mir meinte. Trotzdem führte uns diese Karte in die größten Gefahren und seelischen Ängste und vermittelte uns die entsetzlichsten Erfahrungen. Irgendwie hatte ich eine leise Ahnung, dass dies der Fall sein könnte und dass in diesen unbekannten Regionen der Venus Gefahr lauern musste. Das sagte mir auch das Funkeln in Ceulnas Augen. Immer noch bin ich der Meinung, dass die sterbende Hecate sich von ihrer besten Seite gab, weise und wohlmeinend, denn es kostete ja nichts, wenn sie so war. Sie konnte wahrscheinlich nichts dafür, dass Ceulna und ich uns wie zwei unschuldige Kinder in dieses Abenteuer stürzten.
Wir landeten in einem breiten Tal von merkwürdiger Form, das von senkrechten Felsen aus reinem Basalt eingerahmt war. Die Bäume, die überall auf der Venus zu unglaublicher Größe heranwachsen, hatten sich hier selbst übertroffen, und ein normaler Erdenurwald hätte im Vergleich dazu wie Unterholz gewirkt.
Das Tal selbst war der weiträumige Krater eines alten Vulkans, der vor unendlich langer Zeit ein ganzes Viertel dieses Planeten in ein glühendes Inferno verwandelt hatte. Seit dieser Zeit waren viele zehntausend Jahre vergangen, wie sich aus der enormen Größe und Dicke der Bäume schließen ließ, die am Fuß der Basaltklippen, der ehemaligen Kraterwände, wuchsen.
Den Mittelpunkt des Tales bildeten zahlreiche kleine Seen, die durch Wasserläufe miteinander verbunden waren. Von ihnen war jedoch nicht mehr zu sehen als ein gelegentliches Blitzen, da das dichte Laub der Riesenbäume uns fast jede Sicht nahm. Einige dieser Titanen hatten einen Umfang von dreißig Meter und mehr. Überall sah ich Arten, die ich noch nirgends festgestellt hatte, und ihre Wipfel verloren sich schon in den Nebeln der unteren Wolkenlagen.
Weder der Fuß eines Menschen, noch der Finger der Zeit schien in dieser Urwelt eine Spur hinterlassen zu haben. Alles war neu, strahlend vor Frische und Unberührtheit, alles glänzte vor Feuchtigkeit oder Tau, und jedes Blatt schimmerte, als sei es ein Meisterwerk eines Juweliers. In breiten Bogen hingen blühende Ranken von Baum zu Baum, und sie strahlten in den unwahrscheinlichsten Farbschattierungen, für die es weder Namen noch Beschreibung gibt. Langgeschwänzte bunte Vögel flatterten furchtlos um uns herum. Ceulna war hingerissen und ganz und gar verzaubert, denn nichts hätte vermuten lassen, dass Hecates Karte uns zu einem so märchenhaften Ort führen würde.
Wir sahen nichts Menschliches oder Tierisches unter den Mammutbäumen, vor dem wir hätten Angst haben müssen. Wir verschlossen das Schiff. Ceulna war mit einer recht wirkungsvollen Strahlenpistole bewaffnet, während ich selbst keine Waffe bei mir trug. Mir kam es unwahrscheinlich vor, dass in diesem paradiesischen Tal Gefahren lauern könnten.
Ein Blick aus der Vogelschau täuscht oft. Was in der Luft wie ein Spielzeugtal gewirkt hatte, in dem alles, was lebte, auch Spielzeugdimensionen haben müsste – Pflanzen ebenso wie Tiere –, erwies sich in Wirklichkeit als ein Ort von unvorstellbarer Ausdehnung. Wir hatten geglaubt, an den Felsen müssten Ziegen und ähnliches Getier herumklettern, und dabei hätten wir doch bedenken müssen, dass in einem so absolut von der Umwelt abgeschlossenen Gebiet das Leben sich zu anderen Formen entwickelt haben könnte, die sich von allen anderen grundlegend unterschieden und vielleicht sogar viel gefährlicher waren als diese. Aber Ceulna und ich waren so glücklich, dass für vernünftige und vorsichtige Überlegungen in uns kein Raum war.
Wie Adam und Eva wanderten wir durch dieses Urweltparadies, lachten und unterhielten uns sorglos und folgten einer winzigen Linie auf der Karte, die besagte, dass direkt unter einem markanten Felsvorsprung in den Klippen ein steinerner Tempel zu finden sei. Dieser Felsvorsprung sah etwa einem überdimensionalen Löwenkopf ähnlich und war direkt über unseren Köpfen zu erkennen. Wir mussten am Fuß der Klippen eine kleine Anhöhe umgehen, die unser Ziel verbarg. Als wir um die grasige Schulter des Hügels bogen, ertönten vor uns Schreie in einer uns unbekannten Sprache, und sie drückten verzweifelte Angst aus. Ohne zu überlegen lief ich Ceulna voran um den Hügel herum, denn ich wollte sehen, was dort geschah – und da sah ich auf die merkwürdigste Szene hinunter, die sich dem Auge eines Erdenmenschen bieten kann.
Ein grüner Amphibienmann von den Marschen der Küstenregionen war von schrecklichen Gestalten umgeben, die er mit einem langen Schwert abwehrte, welches er wie ein Meister schwang.
Die grünen Männer sind eine Rasse, die für die Venus charakteristisch ist. Sie ist eine durch veränderte Umweltbedingungen hervorgerufene Abart des Menschen, die mit Sicherheit vom gleichen Urvater abstammt wie dieser. Ihre Füße sind breit und mit Schwimmhäuten ausgestattet, die Haut ist teils schuppig, teils glatt, aber sonst erinnert der ganze Körperbau an den von Erdenmenschen, nur dass die zum Schwimmen benötigten Muskeln ganz besonders gut entwickelt sind. Das ist ebenso wie die Schwimmhäute eine ganz natürliche Folge des Lebens in Wasser und Schlamm, wenn es sich seit vielen zehntausend Jahren dort abspielt. Eine Nase haben sie nicht, und sie atmen durch zwei Öffnungen am Nacken, die gleichzeitig auch Kiemen sind und mit der in der Brust liegenden Lunge in Verbindung stehen. Die Augen sind sehr groß und fast unbeweglich, und auf dem Kopf haben sie einen stacheligen Kamm, der dem der Mermänner ähnelt.
Seine ganze Kleidung bestand aus ein paar glitzernden Kinkerlitzchen, denn die heiße, dampfende Luft der Venus macht Kleidung überflüssig.
Ich beobachtete fasziniert den großartigen Kampf dieses Wilden mit den herrlichen Muskeln, etwa so, wie man ein Schauspiel auf der Bühne bewundert. Plötzlich wandten sich einige dieser furchtbaren Kreaturen gegen mich, und es war eine äußerst unangenehme Empfindung, die mich befiel, weil mir einfiel, dass ich ja unbewaffnet war. Und das mussten die schlimmsten Kreaturen auf der ganzen Venus sein! Als Ceulna hinter mir um den Hügel bog und sie sah, schrie sie laut.
Aber Ceulna hatte wenigstens eine Waffe. Neben dem großen Amphibienmann lagen vier Leichen, seine Gefährten, die von den entsetzlichen Kreaturen schon getötet worden waren. Da löste mich die Tat aus der Erstarrung des Schreckens. Ich tat einen Satz mitten hinein zwischen die großen, schwarzen, gegen den Amphibienmann anstürmenden Leiber, rannte einen mit der Schulter an, so dass ich wie von einem Sprungbrett abfederte und direkt auf der Leiche von einem der riesigen venusischen Marschmänner landete.
Mitten im Schwung bückte ich mich und nahm einem toten Halbmenschen das Schwert aus der Hand, das ihm ja doch nichts mehr nützte. Ich drehte mich auf den Zehen um, wandte meinen Rücken dem des großen Venusiers zu und schwang das Schwert in einem glitzernden Bogen. Der schwarze, glatte Leib zog sich vor dem Schwung meiner Klinge zurück, doch deren Spitze hatte schon eine lange, blutige Linie in dessen Seite gezogen.
Das Gesicht dieser Kreatur war eine große rote Masse und ähnelte fast dem Hinterteil eines Pavians, war auch ebenso anziehend. Die Schultern waren glatt, breit und rund, haarlos und entsetzlich, aber mit riesigen Muskeln bepackt, die drohend rollten und in ihrer Geschmeidigkeit denen der großen Raubkatzen der Erde ähnlich waren. Der Körper selbst hatte nichts, was an Affen oder Menschen erinnerte, war aber unbehaart, glatt und breit wie ein Scheunentor. Irgendwie erinnerte er mich an ein Reptil, glich aber auch dem nicht, sondern sah einfach ungewohnt, fremdartig und abstoßend hässlich aus. Das merkwürdigste daran war der Eindruck der Knochenlosigkeit. Alles an diesen Körpern war fließend und rund, schlangenähnlich. Sie mussten entweder ein Rückgrat aus unzähligen Wirbeln haben oder irgendwie aufrechtgehalten werden durch etwas, das keiner Knochen und keines Skeletts bedurfte. Der Körper ging fließend über in sechs mächtige Tentakelbeine, die in breiten, weichen Ballen endeten, welche aber mit Pelz und steifen Haaren besetzt waren wie etwa die Füße einer Fliege.
Von solchen Kreaturen hatte ich auf der Venus noch nie gehört. Rücken an Rücken focht ich mit meinem unfreiwilligen Kampfgenossen gegen die uns umringenden scheußlichen Tiere, und unsere Schwerter zeichneten Todesmuster auf die Leiber der Angreifer.
»Und wie kommen wir jetzt aus dieser üblen Geschichte wieder heraus?«, rief ich meinem Partner zu.
Der Mann antwortete in einer etwas nuschelnden fremden Sprache, die ganz entfernt jener der Amazonen von Lefern glich und die ich deshalb auch leidlich verstehen konnte.
»Wir kämpfen bis zum Tod – oder wir ziehen uns ganz langsam an einen Ort zurück, an den sie uns nicht folgen können. Wo ist ein solcher Ort?«
Ich stieß mein Schwert in eine Stelle, an der ein Hals hätte sein müssen und prellte mir dabei ein Handgelenk. Es kostete mich viel Kraft, die Klinge wieder herauszuziehen, denn der stürzende Körper hätte es um ein Haar meiner Hand entrissen, und dann war ein weiterer angreifender Horror an der Reihe. Das rote scheußliche Gesicht öffnete ein überaus breites Maul mit langen Reihen spitzer Fänge, die einem Alligator keine Schande gemacht hätten, und dann schrie das Ding wie eine voll aufgedrehte Dampfpfeife.
»Ceulna, pick dir ein paar von diesen Dingern mit deiner Strahlenpistole heraus!«, rief ich in der dem Todesschrei folgenden Stille. »Und dann sieh zu, dass du ins Schiff kommst! Bring es hierher und verbrenne sie alle! Tu etwas!«
Als ich zu reden aufhörte, schloss sich wieder das Schweigen um uns. Nur das Rascheln der haarigen Ballen, mein keuchender Atem und das leise Klatschen der tänzelnden Flossenfüße des Amphibienmannes waren zu hören, als er sein Schwert in blitzschnellen Ausfällen gegen den anscheinend unzerstörbaren Bauch dieses Monsters schwang. Aber von Ceulna war nichts mehr zu hören – kein Schrei, kein Motorengeräusch von unserem Schiff, kein fast unhörbares Klicken der Strahlenpistole, welches das Fauchen der hässlichen Gesichter hätte erstarren lassen. Von Ceulna war nichts mehr zu sehen oder zu hören.
Ich sah hinüber zur Schulter des Hügels, um die wir so sorglos gebogen waren. Wo Ceulna hätte stehen müssen, glitzerte nur ihre Strahlenpistole im federigen Gras. Keine Ceulna – und wo auch immer sie sein mochte, sie hatte ihre einzige Waffe verloren!
Ich kochte vor Wut; und dann kam mir unvorstellbar langsam zu Bewusstsein, was ich verloren hatte, und dieses Bewusstsein verwandelte sich in Verzweiflung. Wut, Verzweiflung, Sorge und das dringende Verlangen und die unabweisbare Notwendigkeit, zu erfahren, was aus meiner geliebten Ceulna geworden war und etwas zu tun, ehe es zu spät war – was konnte ich tun? Mein schweres Schwert schwingen gegen diese grauenhaften Tiere und fluchen, wenn sie mit katzenhafter Leichtigkeit dem tödlichen Bogen entwischten. Sie hatten ja sechs Beine und brauchten daher trotz ihrer Größe wenig Kraft für eine rasche Bewegung.
Die Notwendigkeit und Tödlichkeit des Kampfes ließ mir keine Zeit, Gefühlen nachzuhängen, wenn ich mich in meiner Verzweiflung auch am liebsten ins Gras geworfen hätte. So verlegte ich also meinen ganzen Zorn in meinen Schwertarm und hackte auf die riesigen Biester ein, um nicht denken zu müssen. Ich scheute kein Risiko, denn für mich wäre es leichter gewesen, jetzt sterben zu können, da ich ohne Ceulna nicht leben wollte. Aber da sprach der grüne Mann wieder.
»Wenn wir uns jetzt zusammen langsam zurück auf den alten Tempel zu bewegen, können wir sie unter dem Toreingang abwehren. Da kann immer einer kämpfen und der andere ausruhen. Zwischen diesen massiven Steinen hat immer nur einer von ihnen Platz. Wenn wir bei Einbruch der Nacht noch leben, dann ist es gut. Sie geben auf und kehren zu ihren Nestern zurück.«
»Ich selbst bin nicht sehr daran interessiert, aber deinetwegen will ich den Kampf fortsetzen, da ich nun schon so lange mit dir kämpfe«, antwortete ich. »Führe du an, und ich will deinen Rücken decken.«
Der Fremde tat, kaum dass ich gesprochen hatte, einen riesigen Satz, und ich folgte ihm. So fochten wir einige Sekunden lang, und dann sprang .er wieder die Tiere an, um sie mit gewaltigen Schwertstreichen zurückzutreiben. So bewegten wir uns weiter unter den ungeheuren Bäumen und durch das federige Gras. Unseren Schwertern fielen große Mengen der herrlichen Lianenblüten zum Opfer, doch die winzigen scharlachfarbenen Vögel zwitscherten und flatterten um uns herum, als herrsche tiefster Frieden.
Es war ja auch irgendwie unwirklich, dass es in dieser herrlichen Ur-Parklandschaft solche Monstren gab. Sie waren eine Parodie auf diesen Ort, und ich kam mir vor, als kämpfe ich in einem Traum.
Als wir uns kämpfend und in Abwehr der widerlichen Tiere immer wieder um uns drehten, sah ich unser Refugium. Es war keine hundert Meter mehr entfernt, eine uralte Anhäufung zerfallender massiver Steinblöcke über einem großen, dunkel gähnenden Tor. Dieser Torbogen war aus einem riesigen Stein gehauen und mindestens zwei Meter dick. Es stimmte: Ein Mann, der in diesem Tor stand, konnte sich vor diesen Kreaturen schützen, während der andere ausruhte.
Als es dunkel wurde, kämpften wir abwechselnd und todmüde unter diesem Torbogen und hielten uns diese schauerlichen Ungeheuer aus den Urwäldern der Venus vom Leib. Wir waren einer Erschöpfung nahe, als die Dämmerung sich verdichtete; sie stießen gespenstische Schreie aus und tappten auf weichen Tentakelfüßen in die Schatten davon.
Aber noch immer kein Zeichen von Ceulna – keine Spur unseres Schiffes. Sonst war mir alles gleichgültig. Mein Herz sagte mir, das, was mein Verstand behauptete, könne einfach nicht wahr sein. Wahrscheinlich hatte eines dieser Untiere sie von hinten gepackt und sie verschleppt, als sie ihre Strahlenpistole heben wollte, um mir zu helfen.
Als die Untiere verschwanden und mit ihnen die Notwendigkeit des Kampfes aufhörte, sank ich erschöpft neben meinem fremden Verbündeten zu Boden. Und zu dieser Erschöpfung kam eine nachtschwarze Verzweiflung, wie ich sie noch niemals gefühlt hatte. Das tröstliche Bild Ceulnas hatte mich aufrecht gehalten, wenn ich meine widerliche Rolle in den Diensten Hecates hatte spielen müssen, weil es mir nicht gelungen war, ihr zu entkommen. Ceulna war für mich der Inbegriff des Lebens. Ihr Bild war für mich allmählich zu einem Leitstern geworden, zum Sinnbild meiner Hoffnung auf Neuerschaffung; etwas, das sich mit jeder Faser meines Seins verwoben und verkettet hatte. Sie nun in diesem Urwald an ein scheußliches Untier zu verlieren, erschien mir so sinnlos, dass dadurch auch mein Leben sinnlos wurde. Ich ließ mich erschöpft vom Kampf und von der Verzweiflung auf die Steine dieses uralten Tempels fallen und mich von meiner unendlichen Trauer überschwemmen.
»Freund, du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Richard Sharpe Shaver/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Richard S. Shaver/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Richard S. Shaver/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Marlen Scherm (OT: Gods Of Venus).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2021
ISBN: 978-3-7487-8943-7
Alle Rechte vorbehalten