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Leseprobe

 

 

 

 

BILL KNOX

 

 

Schüsse auf Mallorca

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 230

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SCHÜSSE AUF MALLORCA 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Der Frachter Pelamis liegt mit Maschinenschaden auf Mallorca fest. Und die Ersatzteile aus London sind verschwunden.

Der Versicherungsdetektiv Andrew Laird soll klären, wo sie geblieben sind - denn jede Verzögerung des Frachters bedeutet einen schweren Verlust.

Doch Lairds Kontaktmann auf der Balearen-Insel ist ertrunken. Oder war es Mord?

 

Der Roman Schüsse auf Mallorca von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1974; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  SCHÜSSE AUF MALLORCA

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Juan Lorenzo war klein und dunkel und adrett. Er blickte durch eine Stahlbrille mit dicken Gläsern in die Welt und hatte das mittlere Alter erreicht, in dem für ihn die größte Befriedigung im Beruf zu finden war.

Als er von der Zosterabucht an der Nordwestküste von Mallorca die Küstenstraße nach Palma zurückfuhr, lag seine Tagesarbeit hinter ihm. Ein glühend heißer Sommernachmittag. Kein Lüftchen rührte sich, und obwohl die Wagenfenster geöffnet waren, kam er sich vor, als sitze er in einem Ofen. Der Körper klebte vor Schweiß, und seine Hände rutschten feucht über das brennendheiße Lenkrad. Und das kühle, klare Blau des Mittelmeers dehnte sich leer und still und verlockend bis zum Horizont.

De acuerdo... die Verlockung war stärker.

Juan Lorenzo stellte seinen Wagen im Schatten eines knorrigen, dichtbelaubten Mandelbaumes ab, dort, wo die Straße eine kleine, menschenleere Bucht berührte. Er versteckte seine lederne Aktentasche unter dem Fahrersitz und zog sich dann rasch aus. Seinen hübschen grauen Anzug legte er sauber zusammengefaltet auf seinen Sitz. Dann folgten Hemd und Krawatte und Socken und Schuhe, und oben drauf legte er Brille und Armbanduhr. Dann stieg er aus.

Klein und schlank stand in er seinen leuchtend blauweiß gestreiften Unterhosen da und sperrte den Wagen ab, versteckte den Schlüssel unter einem Stein und eilte über die Steine zum Wasser und stürzte sich hinein.

Die nächsten paar Minuten schwamm und tauchte er wie ein ausgelassener Schuljunge. Bello... er vergaß seine Schwierigkeiten ganz, die Büroarbeit, die am nächsten Morgen auf ihn wartete, vergaß auch die Kränkung, die man ihm beinahe in der Zosterabucht angetan hätte.

Er ließ sich treiben, lachte laut und sah dann, dass ein zweiter Wagen an der Bucht parkte und dass jemand auf ihn zu schwamm.

Der Neuankömmling war ein großer Mann, der langsam und kräftig kraulte. Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor, aber er war zu kurzsichtig, hatte die Brille nicht auf und war sich nicht sicher.

Der Mann kam näher und winkte ihm zu. Lorenzo winkte zurück und war etwas verlegen, weil man ihn mitten im Vergnügen erwischt hatte, während er doch eigentlich arbeiten sollte.

Fünf Meter vor ihm tauchte der Fremde und war verschwunden. Lorenzo sah sich überrascht um und wartete, dass der Mann wieder auftauchen würde.

Stattdessen packten zwei Hände wie Schraubstöcke plötzlich seine Knöchel und zogen ihn hinunter. Das traf ihn völlig unvorbereitet, und er spuckte und würgte, als sich das Wasser über ihm schloss. Einen Augenblick glaubte er noch, es handle sich um einen Scherz. Lorenzo versuchte freizukommen. Aber der Griff um seine Knöchel lockerte sich nicht. Sein verzweifeltes Strampeln nützte nichts. Mit beinahe berstenden Lungen begriff Lorenzo, dass er am Ertrinken war. Durch seinen Kopf tobte eine Frage, die nicht mehr beantwortet wurde.

Weshalb wollte man ihn töten? Was hatte er getan?

Der große Mann ließ los. Lorenzos Körper sank in die Tiefe, und sein Mörder tauchte auf, schnappte gierig nach Luft, grinste und schwamm langsam zum einsamen Strand zurück.

Eine Stunde später kam ein Polizist der Guardia Civil auf seinem Motorrad die Küstenstraße entlanggefahren und sah den Wagen von Juan Lorenzo. Er hielt an, stieg ab und ging zum Wagen. Er warf einen Blick hinein, sah die sorgfältig zusammengelegten Kleidungsstücke auf dem Fahrersitz und probierte, ob die Türen abgeschlossen waren. Bevor er sich wieder auf seine Maschine schwang, warf er einen neidischen Blick in Richtung Bucht und brauste davon.

Als er auf seiner nächsten Fahrt zwei Stunden später den Wagen wieder sah, blickte er sich genauer in der Bucht um. Dann fluchte er und meldete sich über Funk beim nächsten Gendarmerie-Stützpunkt.

Am nächsten Morgen um vier spülte die Flut Juan Lorenzos Leiche an Land. Kurz nach Beginn der Dämmerung erspähte die Besatzung eines Gendarmerie-Wagens die weißblauen Streifen der Unterhose und dann den dünnen, dunklen Körper, der zwischen zwei Felsen lag.

Man rief einen Krankenwagen und wartete, bis die Leiche abtransportiert war. Dann ging man frühstücken.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Eine Viertelmeile vom Sandstrand der Zosterabucht entfernt lag der 12.000-Tonnen-Frachter Pelamis, der der Ballard Line gehörte, offensichtlich friedlich vor Anker. Hohe Felsen, die die Sonne rosig färbte, gaben dem Schiff einen guten Schutz vor eventuellen Mittelmeerstürmen. Doch die See war ruhig, und die kleine Barkasse, die an der Backbordseite neben einer Leiter festgemacht hatte, wurde nur manchmal von einer kleinen Welle gehoben.

Auf Deck sah es anders aus. Kapitän George Furon war ein großer, schmächtiger Mann mit der roten Hautfarbe eines Menschen, der nie richtig braun wird, und starrte wütend auf zwei große, geöffnete Kisten.

»Möchte hören, was Sie sagen«, wandte er sich an den untersetzten Mann neben ihm, der in Zivil war. »Nur zu. Was würde Ihre verdammte Versicherungsgesellschaft mit diesen da anfangen?« Der Kapitän der Pelamis holte tief Luft, als könne er sich nur mit Mühe noch beherrschen. »Mein Schiff liegt fast schon seit vierzehn Tagen hier fest, während ich ein Vermögen für Telegramme ausgebe, damit man zwei neue Zylinderköpfe für den Maschinenraum herfliegt. Und dann kommen die hier an!«

Andrew Laird warf wieder einen Blick auf die Kisten, schüttelte den Kopf und konnte es sich nicht verkneifen, loszulachen. In den Kisten lagen zwei große Engel aus Beton, moderne religiöse Kunst. Viel konnten sie nicht tun für ein Schiff, dessen fünftausend PS starker Dieselmotor defekt war.

»Was soll denn da so verdammt komisch sein?«, wollte Furon wissen, empört, wie nur ein Engländer sein kann, dem der Spaß vergangen ist.

»Es heißt doch, dass der Glaube Berge versetzen kann, Kapitän«, meinte Laird. »Eine große Gelegenheit für Sie.«

Furon starrte ihn an, murmelte etwas Unverständliches und winkte einen Matrosen her, der taktvoll in einiger Entfernung auf dem sonst menschenleeren Deck wartete.

»Bitten Sie Mr. Walton zu mir herauf«, befahl er. »Sofort, nicht erst in einer Woche.«

Der Matrose eilte davon.

»Ich gebe zu, Sie sind in einer schwierigen Lage«, sagte Andrew Laird nachdenklich. Er umkreiste langsam die Kisten und sah sich noch einmal die aufgeklebten Zettel mit den Adressenangaben an. Beide waren von London aus über den Flughafen von Palma an die Pelamis geschickt worden. »Haben Sie rausbekommen, wo die Kisten eigentlich hinsollten?«

»Sofort. Sie sollten an ein Kloster auf der anderen Seite der Insel gehen. Aber meine Zylinderköpfe sind dort nicht angekommen, heißt es wenigstens.«

»Würde ich sogar glauben«, sagte Laird und verzog keine Miene. »Was sagt man auf dem Flugplatz von Palma?«

»Dort redet man sich in allen Notfällen immer auf mañana heraus.« Furon ballte bei der Erinnerung die Fäuste. »Die sagen immer wieder, dass die beiden Kisten, die an die Pelamis adressiert waren, ungeöffnet den Zoll passiert haben und wie abgemacht hergeschickt worden sind.«

Andrew Laird hatte eigentlich mit dieser Verwechslung nichts zu schaffen - und die warme Sonne und die Brise von der See taten ihm nach London gut. Aber er hatte an Bord der Pelamis zu tun, Arbeit, die selbst schwierig genug sein würde. Er musste für die Clanmore Alliance Insurance Company Seeschadensfälle regeln, für eine Firma, die so schlau und schottisch wie ihr Name war, und was mit der Maschine der Pelamis passiert war, das war wirklich wichtig.

Kapitän Furon war an die Reling getreten und hatte sich gedankenverloren gegen sie gelehnt. Laird hatte Zeit, noch einmal über die Einweisung nachzudenken, die ihm der Leiter der Seeabteilung am Morgen gegeben hatte, bevor er aus London abgeflogen war.

Die Pelamis hatte mit fünftausend Tonnen Stahlrohr als Hauptladung Marseille verlassen und war auf dem Weg nach Westafrika gewesen, wo eine Ölleitung gebaut wurde. Eine Tagesreise vom französischen Hafen entfernt waren zwei der sechs Zylinderköpfe geborsten. Die Pelamis hatte sich noch bis zur Zosterabucht geschleppt und war vor Anker gegangen.

Das war vor zwölf Tagen gewesen. Es hatte neun Tage gedauert, bis man in England Ersatzteile gefunden hatte, und selbst das war noch schnell gewesen, weil Schiffsmaschinenteile kaum auf Lager waren. Am zehnten Tag hatte man die schweren Gussstücke, jedes fast eine Tonne schwer, nach Mallorca geschickt.

Am nächsten Morgen hatte ein Lastwagen die beiden Kisten zur Zosterabucht gebracht, und sie waren mit einer Barkasse zur Pelamis übergesetzt worden, wo man sie erwartungsvoll an Bord gehievt hatte, öffnete...

Und dann hatte das Wutgeschrei eingesetzt.

Andrew Laird lachte in sich hinein, wünschte fast, dabei gewesen zu sein, und warf wieder einen Blick auf die Kisten. Die beiden Betonengel schienen ihn anzugrinsen. Adressenaufkleber konnten durch Zufall vertauscht werden. Die Ersatzteile, die für Kapitän Furon so wertvoll waren, mussten einfach bald auftauchen.

Aber da war immer noch die Panne mit der Maschine. Wenn sie zufällig passiert war, würde die Versicherung zahlen. War sie allerdings auf Unachtsamkeit zurückzuführen, dann gab es keinen Anspruch. So wurde es bei Seeversicherungen gehalten. Auf jeden Fall stand viel Geld auf dem Spiel.

»Ich habe gute Leute im Maschinenraum«, sagte Furon und kam von der Reling auf ihn zu. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als lese er Lairds Gedanken. »Ich glaube an ihre Schilderung, wie es passiert ist.«

»Das nehme ich auch gerne an, Kapitän«, sagte Laird. Dann verzog er den Mund in der üblichen Entschuldigung: »Sie wissen aber, warum ich hier bin.«

Furon nickte kurz. Wenn unangenehme Besucher an Bord kamen, pflegte jeder Kapitän zur letzten Waffe zu greifen: einer Einladung, in seiner Kabine eine Flasche Whisky zu leeren. Aber Furon hatte das Gefühl, dass Laird die Absicht erkennen und sich über ihn lustig machen würde.

Die meisten Leute, die in einer Klemme steckten, hatten bei Andrew Laird dieses Gefühl. Er war um die Dreißig, größer als der Durchschnitt, wirkte aber untersetzt und hatte ein Gesicht, das beinahe hart aussah, bis er zu lächeln anfing und dann plötzlich wie ein Junge war. Er hatte dichtes schwarzes Haar, das an den Schläfen vorzeitig grau wurde, und eine Nase, die einmal gebrochen und dann wieder gerichtet worden war.

Er hatte graugrüne Augen und einen Mund, der rasch mürrisch wirken konnte, eine leise Stimme mit einem leichten schottischen Akzent, und starke Hände mit langen Fingern. Er trug einen grauen Sommeranzug, ein hellblaues Hemd und eine blaue Strickkrawatte. Sein offenes Jackett ließ den Blick frei auf einen Ledergürtel mit einer schweren Seemannsschnalle aus Messing.

Nachdem Kapitän Furon Laird eingehend betrachtet hatte, war er überzeugt, sich richtig verhalten zu haben.

»Ihr - äh - Vertreter hier war anscheinend ganz zufrieden mit der Angelegenheit«, setzte Furon das Gespräch fort.

»Er hat aber keinen Bericht geschrieben.« Lairds Augen wurden plötzlich kalt. »Und jetzt kann er keinen mehr schreiben, was?«

Er war mit Juan Lorenzo ein paarmal zusammengetroffen und hatte ihn gemocht.

»Er ist gestern in der Nähe von Palma beerdigt worden«, sagte Furon leicht verlegen. »Ich wollte hin, aber es kam etwas dazwischen.«

»Da brauchen Sie sich nichts zu denken«, sagte Laird.

Er sah an Furon vorbei. Das Wasser glitzerte, und er kniff die Augen zusammen. Ein kleines Motorboot löste sich vom Strand, wo ein paar Urlauber im seichten Wasser schwammen. Als es an den Schwimmern vorbei war, wurde es schneller und schoss mit weißer Bugwelle auf die Pelamis zu.

Furon drehte sich um und sah es auch. Er reagierte mit einem leisen Fluch, und dann presste er wütend die Lippen aufeinander. Aber einen Augenblick später zwang er sich zu einem Lächeln, als eine Gestalt in einem schmutzigen Overall über Deck auf sie zukam.

»Das ist Franz Walton, unser Erster Ingenieur«, stellte er den Mann rasch vor. »Franz, hier ist Mr. Laird aus London, der ermitteln soll, ob wir einen Versicherungsschwindel gedreht haben.« Er lächelte wieder. »Franz arbeitet schon lange mit mir zusammen.«

»Viel zu lange«, versetzte Walton lustig. Er sprach mit starkem Akzent. »Nur eins, Mr. Laird, wie gut kennen Sie sich mit Schiffsmaschinen aus?«

»Mach keine Schwierigkeiten, Franz«, sagte Kapitän Furon

müde. »Nimm ihn mit runter in dein Loch und zeig ihm, was passiert ist.« Während er redete, hatte er sich wieder nach dem Motorboot umgesehen, das auf sie zu tanzte. Zwei Menschen waren darin, und es war knallrot.

»Okay.« Walton verzog leicht das Gesicht. »Sind Sie so weit, Mr. Laird?«

Sie gingen los, und als sie am Eingang zur Treppe waren, drehte sich Laird immer noch neugierig um.

Das Motorboot machte jetzt eine Kurve, um an der Leiter der Pelamis anzulegen. Am Steuer war ein Junge, der etwa zwanzig war, ein braungebrannter, schlanker junger Mann in einer Badehose, und sein langes blondes Haar wehte im Wind. Neben ihm war ein jüngeres Mädchen mit dunklem Haar, dessen roter Bikini die kleinen Brüste und die schmalen Hüftpartien nur spärlich bedeckte.

»Weiterer Besuch?«, fragte Laird.

»Nee, da wird nur die Tochter vom Alten zurückgebracht«, sagte Walton und lächelte. »Unsere Sara - gerade achtzehn geworden, frisch vom College. Sie ist in Marseille an Bord, um Ferien zu machen.«

»Und der Junge im Boot?«

»Ein Bursche namens Mike Harvey, den sie an Land aufgelesen hat.« Der Erste Ingenieur blinzelte ihm zu. »Sara sagt, er ist in Ordnung, und ich glaub’, die weiß es am besten. Aber der Alte ist vielleicht nicht so froh drüber.«

»Hab’ ich gemerkt«, sagte Laird. »Aber der ist im Augenblick überhaupt nicht glücklich.«

»Wenn man jetzt in seiner Haut steckt, vergeht einem das Lachen«, sagte Walton. »Wir haben fünftausend Tonnen Stahlrohr geladen, für eine Ölleitung in Westafrika. Gestern kam jemand von der Ölfirma an Bord - hergeflogen, um zu fragen, was zum Teufel los sei, und dann hat’s zwischen ihm und dem Alten einen Mordskrach gegeben.«

Er ging wieder voraus. Der Maschinenraum war eine ölige, hell erleuchtete Welt voller Rohrleitungen, blitzendem Metall und glänzenden Messgeräten, die vom Dieselmotor überragt wurden, an dem gearbeitet wurde und dessen Gehäuse zum Teil geöffnet war. Die meisten Männer hörten auf zu arbeiten und sahen neugierig zu, wie Laird hinter Walton über den Steg lief, der über die stillstehende Schraubenwelle lief.

»Macht Pause«, rief ihnen der Erste Ingenieur barsch zu und wandte sich dann stirnrunzelnd an einen der Männer. »Mr. Lewis, Sie blieben lieber hier, glaube ich.«

»Wieso, Chef?« Der bleiche, etwa dreißigjährige Mann mit schmalem Gesicht, dunklem Haar und langen Koteletten sah ihn ausdruckslos an.

»Ich brauch’ jemand, der mir die Hand hält«, sagte Walton bissig. »Aber ihr andern - haut ab.« Er wartete, bis sie sich entfernt hatten, und wandte sich dann an Laird. »Das ist mein Zweiter Ingenieur, John Lewis. Er hatte Wache, als es passierte.«

»Was soll das heißen?«, fragte Lewis beunruhigt und wurde rot.

»Dass ich einfach verdammt Glück hatte, dass ich nicht selbst die Wache hatte«, grinste Walton. »Und wenn uns ein Mann von der Versicherung besucht, dann möchte ich einen Zeugen für alles haben, was ich sage.«

»Ach so«, meinte Lewis. »Klar, Chef, in Ordnung.«

Laird ließ sie einen Moment stehen und ging auf die mittlere Plattform an der Maschine hinauf. Man hatte das Kurbelgehäuse zum Teil geöffnet, und er konnte eine Pleuelstange sehen, die man zerlegt hatte. Bei zwei der sechs Zylinder hatte man die Zylinderköpfe abmontiert.

»In Ordnung, wenn ich anfange?«, wollte Walton wissen, als Laird wieder herunterkam. Er wartete die Antwort nicht ab, sondern zeigte auf die Reihe von Einspritzpumpen, die neben dem Motor angebracht waren. »Hier fängt alles an - der Dieselkraftstoff kommt durch diese Pumpen, und durch die Regelstangen sind sie mit einem Regler verbunden. Verstehen Sie das, Mr. Laird?«

Laird nickte mit ernstem Gesicht. Schiffsdieselmotoren konnten je nach Konstrukteur verschieden und auch sehr kompliziert sein, aber der der Pelamis war anscheinend ziemlich einfach gebaut.

»Schön.« Walton war erleichtert. »Wenn der Regler normal arbeitet, läuft die Maschine mit ungefähr hundertfünfzig Umdrehungen. So war’s auch bis zum Zeitpunkt der Panne. Die Verbindung mit dem Regler löste sich, und die ganze verdammte Maschine wurde schneller und schneller, und der Drehzahlmesser...« Er unterbrach sich und warf Lewis einen Blick zu. »Erzählen Sie’s ihm.«

»Der Zeiger schoss über die Skala hinaus, bevor wir eingreifen konnten«, sagte Lewis gequält. »Die Maschine überdrehte einfach. War eine Sache von Sekunden.«

»Genau«, nickte Walton. »Und dann waren bei Zylinder eins und fünf die Köpfe gebrochen, die Hälfte der Pleuelstangen im Eimer und...«

»Und dabei haben Sie noch Glück gehabt«, meinte Laird.

Es hätte auch zu einer Explosion kommen können, und durch den Maschinenraum wären dann Metallsplitter gefährlich wie Schrapnelle geflogen.

»Haben wir.« Walton sah ihn sich einen Augenblick genau an. »Sind Sie selbst mal zur See gefahren?«

»Ein bisschen. Aber ich bin kein Ingenieur. Allerdings kann ich mir denken, dass sich so ein Regler nicht gerade von selbst löst.«

»Der nächste Punkt ist also, warum«, pflichtete ihm Walton rasch bei. »Unsere Regelstangen sind über einen Bolzen mit dem Regler verbunden, der durch einen Splint gesichert wird.« Er durchwühlte die Taschen seines Overalls. »Ich zeig’s Ihnen lieber.«

Schließlich brachte er einen dicken, aber nicht sehr langen Splint zum Vorschein, den er zwischen Zeigefinger und Daumen in die Höhe hielt.

»Wegen so etwas ist’s passiert. Ein Stück Metall, das kaum ein paar Pennys wert ist, fällt heraus, und aus diesem Maschinenraum wird ein besserer Schrotthaufen.«

Der Zweite Ingenieur mischte sich ein und sagte: »Glauben Sie mir, ich war drüben, so schnell ich konnte. Aber fünftausend wildgewordene PS kann man nicht einfach wie ein Licht ausschalten.«

Laird drückte sich an ihnen vorbei und sah sich an, wo die Regelstangen in den rotgestrichenen Regler mündeten. So groß er auch war, er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die Stelle zu finden, wo ein neuer Splint eingefügt worden war. Seine Enden waren auseinandergespreizt.

»Wo waren Sie, als es passierte, Chef?«, fragte er.

»In meiner Koje. Aber auch wenn ich dagewesen wäre, hätte ich es nicht besser als Lewis machen können. Einfach verdammtes Pech.«

»Kann leicht mal passieren, und schuld ist niemand dran«, sagte Lewis abweisend.

»Was bei euch Versicherungsleuten höhere Gewalt heißt«, sagte Walton erwartungsvoll.

»Den Ausdruck benutzen wir nur, wenn uns gar nichts mehr einfällt.« Bei dem Eifer des kleinen Mannes musste Laird lächeln. »Ich würde gern den Originalsplint sehen.«

»Klar. In meinem Büro.« Walton entließ den Zweiten Ingenieur mit einem Nicken und winkte Laird, ihm zu folgen.

Sie gingen nach achtern in einen winzigen Raum, in dem ein Schreibtisch und ein unaufgeräumtes Bücherregal standen.

»Und jetzt könnt’ ich was zu trinken gebrauchen.« Der kleine rundliche Mann öffnete eine Schublade und holte Flasche und Gläser heraus. »Kein guter polnischer Schnaps, wie ich ihn eigentlich anbieten sollte, Mr. Laird. Nur einfach spanisches Superbenzin. Aber besser als nichts.«

»Wann haben Sie Polen verlassen?«

»Vor vielen Jahren schon.« Walton schenkte ein und schob ihm ein Glas hin. Dann ließ er Laird am Fusel nippen und kramte wieder in der Schublade, reichte ihm eine Zündholzschachtel. Der Splint war darin, und seine Enden standen kaum auseinander.

»Kann ich ihn behalten?«, fragte Laird.

Es gab keine Bedenken, und er steckte die Zündholzschachtel ein. Aber er hatte noch eine Frage.

»Ich kenne Schiffsingenieure, die sagen, dass bei sechs Zylindern der Ausfall von zweien keine vollständige Katastrophe ist. Man würde die defekten Zylinder einfach stilllegen und mit Zweidrittelkraft weiterlaufen.«

»Da haben Sie recht.« Walton griff ungerührt zur Flasche und schenkte nach. »Aber nicht auf der Pelamis. Sie ist nicht gerade die Jüngste, und die Maschine ist nicht sehr stark. Vielleicht war man auch nachlässig beim Entwerfen des Rumpfs. Fragen Sie Kapitän Furon. Er wird’s Ihnen bestätigen.«

»Ich habe ja nur gefragt, sonst nichts.« Laird trank sein Glas diplomatischerweise aus, was einigen Mut erforderte. »Danke. Ich bin morgen wahrscheinlich wieder hier. Und wenn ich inzwischen helfen kann, die verschwundenen Kisten zu finden, so tue ich das.«

»Schön«, strahlte Walton. »Wenn Sie das schaffen, dann versprech’ ich Ihnen, dass wir dann wirklich eine Flasche zusammen austrinken.«

Als Laird wieder in die volle Sonnenhitze hinaufkam, blieb er einen Augenblick stehen, zog sich das Jackett aus und zündete sich eine Zigarette an. Während er rauchte, fuhr er sich mit dem Ärmel über die Stirn, wo ihm schon der Schweiß stand.

»Ganz schöne Hitze, was?«, sagte eine Stimme spöttisch.

Er drehte sich um. In einer Kabinentür stand Sara Furon. Die Tochter des Kapitäns hatte ihren Bikini mit einem leichten Leinenanzug vertauscht, und ihr schwarzes Haar wurde durch ein Band zusammengehalten.

»Ja, aber ich hab’s ganz gern so«, sagte Laird fröhlich.

»In ein paar Stunden lässt sie nach. Die Felsen werfen dann einen langen Schatten.« Sie blickte ihn neugierig an. »Mein Vater sagt, dass hier ein Versicherungsmann herumschnüffelt. Sind Sie das?«

»Genau. Ich heiße Andrew Laird. Und Sie sind Sara - Franz Walton hat es mir gesagt.«

»Naja, die Vorstellung hätten wir hinter uns.« Sie lehnte sich an den Türrahmen. »Verkaufen Sie Versicherungen gegen Väter, die aus der Haut fahren?«

»Eigentlich kommen mehr Väter zu uns, denen wir die Töchter voll versichern müssen«, sagte er ruhig.

»Geschieht mir ganz recht«, lachte Sara Furon und schüttelte den Kopf. »Der arme Pa hat seine Probleme. Wissen Sie, dass die Polizei an Bord ist?«

»Jetzt?«

»Ja. Hat etwas mit diesen Kisten zu tun.« In der Kabine ertönte ein Summen, und sie fuhr auf. »Meine Lockenwickler sind soweit. Bis bald, Mr. Laird.«

Sie verschwand in der Kabine und schloss die Tür. Laird zog tief an seiner Zigarette, schnippte sie über Bord und ging nach vorn. Auf dem Weg hörte er Ketten rasseln, und einen Augenblick später hatte er begriffen.

Ein Ladebaum der Pelamis war in Aktion getreten und hievte eben eine der Kisten mit den Engeln hinunter in ein großes Motorboot, das längsseits wartete. Zwei Guardia-Civil-Beamte mit ihren typischen schwarzen Kopfbedeckungen standen zusammen mit Kapitän Furon neben der zweiten Kiste.

Als Laird zu ihnen stieß, fragte Furon: »Haben Sie alles, was Sie wollten?«

»Für den Augenblick genug«, meinte Laird. Der Ladebaum schwang wieder zurück und konnte die zweite Kiste aufnehmen. »Was läuft hier?«

»Offizielle Beschlagnahme.« Furon sah den Matrosen zu, wie sie die Kiste festmachten. Dann fuhr er fort: »Die Behörden in Palma haben die blödsinnige Vorstellung, es könnte sich um Schmuggel handeln.«

»Geschmuggelte Engel?« Laird zog die Augenbrauen in die Flöhe. »Wie das denn?«

»Fragen Sie mich nicht - und unser Freund mit dem komischen Hut sagt nur, er hat den Befehl, was bedeutet, dass er auch nichts weiß.« Furon führte Laird etwas beiseite und fragte ihn mit ernster Stimme: »Was glauben Sie jetzt? Ich meine den Anspruch auf die Versicherungssumme - ist doch eine glatte Sache?«

»Auf den ersten Blick schon.« Laird schob warnend die Lippen vor. »Kapitän, die endgültige Entscheidung liegt in London. Dort heißt es vielleicht, es gibt mehr als nur eine Art, wie sich ein Splint lösen kann.«

»Was?« Furon starrte ihn an, und als er begriffen hatte, sagte er in ärgerlicher Belustigung: »Soll das heißen, dass wir vielleicht jemand an Bord haben, der das aus Groll getan hat?«

»Ist schon vorgekommen.«

»Auf meinem Schiff nicht«, winkte Furon ab. »Ich habe dreißig Mann an Bord, Mr. Laird. Eine vorschriftsmäßige Mannschaft. Und ich kenne jeden.«

»Dann will ich es vergessen. Ich fahre jetzt nach Palma, Kapitän. Wie heißt der Mann auf dem Flugplatz, der mit den Zylinderköpfen zu tun hat?«

»Ein Frachtmeister namens Manuel Jacca. Wenn Sie dort was für uns erreichen könnten...« Furon sprach nicht zu Ende, weil der Polizeisergeant auf sie zukam.

»Ich komme morgen wieder«, sagte Andrew Laird.

»Essen Sie mit mir zu Mittag«, schlug Furon vor. Dann fügte er lächelnd hinzu: »Über Schiffe und Versicherungen brauchen wir uns dabei nicht zu unterhalten. Abgemacht?«

Laird dankte ihm und ging. In der Barkasse der Pelamis warteten schon ein paar Besatzungsmitglieder, und nachdem hinter Laird noch ein Matrose zugestiegen war, wurde abgelegt. Laird sah sich um und erblickte Sara Furon an der Reling. Sie hatte ein Seidentuch über ihren Lockenwicklern und winkte ihm zu.

Er winkte zurück und machte es sich dann bequem.

Im seichten Wasser der Bucht tummelten sich die Urlauber, und als die Barkasse sich vorsichtig dem kleinen Holzsteg genähert und angelegt hatte, stürmten die Männer von der Pelamis an Land und eilten auf die wenigen Restaurants und Bars zu, die bisher alles an Touristeneinrichtungen in der Bucht waren. Laird fragte sich, wie lange es hier wohl so ruhig bleiben würde. Auf den gebüschbewachsenen Hügeln über der Bucht standen schon Ferienhäuser, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die unvermeidlichen Hotels aus dem Boden schießen würden.

Unter seinen Schuhen brannte der Sand, und er spürte, wie ihm das Hemd am Rücken klebte. Er war froh, als er vom Strand auf die schmale Straße kam.

Der Parkplatz, auf dem er seinen kleinen gemieteten Seat- Sportwagen abgestellt hatte, war jetzt voller Wagen. Er machte einen Bogen und ging auf eine der beiden Bars zu.

Sie hieß Skipper Anton, und die meisten Tische standen im Freien unter Sonnensegeln. Aber dahinter befand sich im kühlen Dunkel ein Tresen mit einem Barmann.

Laird bestellte ein Bier, zahlte und zeigte aufs Telefon. Der Barmann nickte und steckte das Trinkgeld ein, das Laird ihm zuschob.

Laird rief Juan Lorenzos Büro in Palma an. Die Frau, die Lorenzos Sekretärin gewesen war, antwortete, und ihre Stimme klang nach Tränen, als er von ihrem toten Chef

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bill Knox/Apex-Verlag. Published by arrangement with Shelley Morrison, Literary Agent.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Jürgen Saupe und Christian Dörge (OT: All Other Perils).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8421-0

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