Cover

Leseprobe

 

 

 

 

HENRY ROLAND

 

 

DIE TERRANAUTEN, Band 75:

RAUMSCHIFFJAGD

 

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

RAUMSCHIFFJAGD von Henry Roland 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

Das Buch

Ein Alarmsignal schrillte mit der Aufdringlichkeit eines Hornissenschwarms durch die IRMINSUL. Das war an Bord eines Treiberraumschiffs ein neuer Klang. Auch die Überstürztheit, mit der die ungewöhnlich hohe Anzahl von Besatzungsmitgliedern auf die Stationen hastete, war völlig neuartig und stand in krassem Gegensatz zu der sonst üblichen Lässigkeit, für die man die Treiber eigentlich im Sternenreich kannte. Neue Töne zeigten ebenfalls die Zackigkeit der Anweisungen, die Kurzangebundenheit der Bestätigungen an. Alle Bewegungen fielen sparsam aus, Schritte dröhnten markig. Jeder fand sich unverzüglich zurecht. Kein Zweifel: Diese Männer und Frauen waren ausgiebig gedrillt worden...

 

DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie erstmals und exklusiv als E-Books.

  RAUMSCHIFFJAGD

von Henry Roland

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

Ein Alarmsignal schrillte mit der Aufdringlichkeit eines Hornissenschwarms durch die Irminsul. Das war an Bord eines Treiberraumschiffs ein neuer Klang. Auch die Überstürztheit, mit der die ungewöhnlich hohe Anzahl von Besatzungsmitgliedern auf die Stationen hastete, war völlig neuartig und stand in krassem Gegensatz zu der sonst üblichen Lässigkeit, für die man die Treiber eigentlich im Sternenreich kannte. Neue Töne zeigten ebenfalls die Zackigkeit der Anweisungen, die Kurzangebundenheit der Bestätigungen an. Alle Bewegungen fielen sparsam aus, Schritte dröhnten markig. Jeder fand sich unverzüglich zurecht. Kein Zweifel: Diese Männer und Frauen waren ausgiebig gedrillt worden. 

Im Versammlungsraum – umfunktioniert zu einem Planungszentrum – erhob sich Llewellyn 709 mit gedämpftem Rascheln seiner Riemen von der Sternkartenprojektion. Rote und blaue Kristanelemente markierten zwischen den weißen Pünktchen der Sterne in der dreidimensionalen Holo-Darstellung Positionen und Objekte von strategischer oder taktischer Bedeutung. Daten und Symbole wanderten lautlos über Videoschirme. Mit einem kurzen, heftigen Tastendruck unterbrach Llewellyn die elektronischen Prozesse der Speicheranlagen. Im gleichen Moment leuchtete ein Intercom-Bildschirm auf. »Materialisation eines Kaiserkraft-Raumflugkörpers im Abstand von eineinhalb Lichtsekunden, Chef«, meldete ein bärtiger Mann in forschem Tonfall. »Identifizierung abgeschlossen. Es handelt sich um einen Raumaufklärer der Grauen. Offenbar befindet er sich auf Patrouille.«

Der Riemenmann stieß einen wüsten Fluch aus. Die Irminsul war, während sie sich auf den unsichtbaren Routen des Alls ihrem Ziel näher pirschte, bisher allem Anschein nach nicht entdeckt worden, und insgeheim hatte Llewellyn gehofft, es werde so bleiben. Jetzt sah er ein, dass er zu viel erhofft hatte. Zweifelsfrei schirmten die Grauen ihre Aktivitäten im Finstermann-Bereich besonders wachsam ab. Nun waren sie entdeckt: Die Ortungsinstrumente des Raumaufklärers mussten die Irminsul mittlerweile gleichfalls erfasst haben. Es kam jetzt darauf an zu verhindern, dass diese Begegnung sich auf das geplante Kommandounternehmen katastrophal auswirkte. 

Llewellyn drückte einen Knopf. Trotz seiner Ungeduld wartete er die Meldung des Waffenleitstands ab, ehe er seinen Befehl erteilte. Er hatte diese militärische Disziplin gefordert und musste sich ihr fortan selbst unterwerfen. »Drei Torpedos abschussfertig machen. Feuer bei optimaler Wirkungsdistanz.«

»Verstanden, Chef.« Die Verbindung erlosch.

Llewellyn nahm mit der Zentrale Kontakt auf, während die Entfernung zwischen der Irminsul und dem Raumaufklärer rasch schrumpfte. Die beiden Raumfahrzeuge lagen auf nahezu diametral entgegengesetztem Kurs; der Aufklärer wich um lediglich zwei Grad von der potentiellen Parallelen ab. Schon rasten drei mit Suchköpfen ausgestattete Raumtorpedos hinaus ins All. Ihre Taster waren auf Protopstahl programmiert. Die Torpedos würden ihr Ziel verfolgen, bis sie es vernichteten, es sich ihnen durch den Weltraum II entzog oder ihre Treibsätze ausbrannten. 

»Ach, Llewellyn – ich wollte sowieso gerade anrufen.« Der Glitzerstaub in Janas pechschwarzem schulterlangem Haar machte sich auf der Mattscheibe wie eine optische Verzerrung bemerkbar. Jana, die Hexe, zeichnete sich durch eine seltsam ruhelose Schönheit aus. Das rätselhafte Medaillon in der Kluft zwischen ihren Brüsten glomm wie ein verlockendes Irrlicht. »Dieser Zwischenfall zwingt uns zur Eile. Wir müssen Finstermann mit nur noch einer Flugphase erreichen. Sonst besteht die Gefahr eines Hinterhalts. In dem Aufklärer braucht man bloß Funkkontakt zu Einheiten in benachbarten Sektoren oder zum Mutterschiff herzustellen – wahrscheinlich ist das bereits geschehen –, und ein Kurierboot wird vor uns auf Finstermann eintreffen.« 

»Aber bis dort sind's noch beinahe achtzig Lichtjahre«, wandte Llewellyn ein. »Eine solche Strecke kann eine Loge nicht in einem Durchgang bewältigen.«

»Wir können das«, versicherte Jana. »Dank unseres PSI-Verstärkers Lem haben wir schon größere Entfernungen in einer Phase zurückgelegt.«

»Ich möchte nicht, dass ihr nachher zu erschöpft seid. Es kann sich ergeben, dass wir ziemlich schnell wieder aus dem Finstermann-Bereich verschwinden müssen.« Der Riemenmann schaltete die Außenübertragung auf einen Wandbildschirm.

»Wir wissen sehr gut, was wir leisten können«, entgegnete Jana in scharfem Ton, »und was nicht, und wir verstehen, unseren Raumer in hervorragender Weise zu handhaben. Wir brauchen keine Belehrungen … Auch von dir nicht, Llewellyn.«

Strahlenbahnen fingerten durch den Weltraum. Ehe der Riemenmann auch nur mit einem Achselzucken antworten konnte, explodierte ein Torpedo weitab von seinem Ziel.

Eine Gestalt verdunkelte die Leuchtflächen auf der anderen Seite der holografischen Sternenkarte. Die Gardisten im Raumaufklärer leiten einen Nottransit ein, teilte Silent Chorp dem Riemenmann auf telepathischer Ebene mit. Sie haben erkannt, dass es jetzt darauf ankommt, uns zu entwischen. 

»Verdammt!« Llewellyn unterbrach schroff die Verbindung zur höher gelegenen Zentralebene und schaltete zum Waffenleitstand um. »Lasergeschütze, Feuer frei!«, brüllte er vornüber gebeugt ins Mikrofon. Ohne die weiteren Vorgänge im Innern der Irminsul zu beachten, ließ er sich in den Sessel fallen, lehnte sich zurück und konzentrierte seine PSI-Kräfte, um auf mentale Art einzugreifen. Unterdessen verging der zweite Torpedo, von einem Laserschuss getroffen, in einer grellen Glutwolke. Ich hätte sofort anders reagieren sollen, dachte Llewellyn. Die Kräfte des Geistes sind diesen Dreckswaffen doch jederzeit überlegen. Aber ich habe gemeint, ich könnte auch einmal irgendetwas anderen überlassen. 

Während der Riemenmann mit seinen psionischen Sinnen gedankenschnell ins All hinaustastete, verharrte der junge Treiber Silent Chorp wachsam bei Llewellyn, dessen reglose Gestalt mit geschlossenen Augen im Sessel lag. Die Miene Chorps war ausdruckslos und undurchdringlich. Der Grund war, dass er von Kindheit an jeder Möglichkeit der mündlichen Verständigung entbehrte und sich infolgedessen auch nie das begleitende Mienenspiel angeeignet hatte. Er war stumm. Dafür hatte sich seine telepathische Begabung umso stärker herausgebildet. Aufgrund seines sehr fragilen Körperbaus wirkte seine Erscheinung mädchenhaft zart. Im Verlauf von Llewellyns letztem Aufenthalt auf Veldvald – nach dem unglückseligen Zwischenfall im Wrack-System Türkis, in dem sich die Loge Hadersen Wells' vergeblich aufopferte – war Silent Chorp zunächst zu so etwas wie einem Führer und Gewährsmann, dann zu einer Art Leibwächter und Adjutant des Riemenmannes geworden. Silent Chorps stumme Unterstützung besaß für letzteren alle Vorteile eines unaufdringlichen zweiten Gehirns. Ihre Zusammenarbeit bewährte sich dank der Wechselwirkung von Llewellyns unausgesprochener Würdigung all der zahllosen kleinen, aber unentbehrlichen Hilfestellungen Silent Chorps und dessen von Unterwürfigkeit freier Hilfsbereitschaft so gut, dass die beiden schließlich Veldvald wie selbstverständlich gemeinsam verließen.

Llewellyns mentale Fühler lokalisierten die Bewusstseine der Grauen an Bord des Raumaufklärers. Ihre Konditionierung ermöglichte den sechs Männern ein zielstrebiges, sicheres, von keinen Panikanwandlungen beeinträchtigtes Handeln. In der ersten Nanosekunde des Kontakts verspürte Llewellyn fast Neid. In den folgenden winzigen Sekundenbruchteilen bereitete er einen PSI-Schub vor, um die Grauen zu betäuben.

Die Lasergeschütze der Irminsul verstrahlten sinnlos enorme thermische Energien in den Weltraum. Die Beschleunigung des Raumaufklärers betrug 850 km/sek2 und genügte damit, um der automatischen Zielverfolgung stets um einen entscheidenden Moment voraus zu sein. Die leicht veralteten Elektroniken des zu Kampfzwecken umgerüsteten Treiberraumschiffes waren den ultramodernen Systemen des Raumaufklärers nicht gewachsen. 

Im nächsten Augenblick entglitten die Bewusstseinseinheiten der Gardisten Llewellyns Einflussnahme, als zöge ihm jemand unter der Nase mit urplötzlicher Ruckartigkeit eine Tischdecke mit allem, was sich darauf befand, vom Tisch. Die Egos der Grauen verschwanden, als hätte es sie niemals gegeben. Der Raumaufklärer war in den Weltraum II getaucht.

Llewellyn fuhr aus dem Sessel empor. Der Intercorn-Bildschirm flackerte auf und zeigte Janas Gesicht, bevor er selbst die Verbindung herstellen konnte. »Sie sind entkommen«, rief Jana in sichtlicher Bestürzung.

»Ich weiß!«, fauchte Llewellyn zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Glaubst du, ich hätte kein Hirn im Kopf? Ich …«

»Verschiedene wilde Gerüchte, die im Sternenreich kursieren«, sagte Jana anzüglich, »behaupten tatsächlich, die Riemenumhüllung des legendären Riemenmannes sei in Wirklichkeit hohl und er existiere nur in seiner eigenen Einbildung …«

»Blödsinn!«, unterbrach Llewellyn sie seinerseits. »Verrate mir lieber mal, warum ihr diesen verdammten alten Kahn kein bisschen modernisiert habt. Der Aufklärer hat uns abschmieren lassen, als wäre die Irminsul der allerplumpste Rohstoff-Frachter!« 

»Sobald der Riemenmann geruht«, höhnte Jana, die Hexe, »uns die technologischen und industriellen Kapazitäten Terras und der Grauen Garden zu Füßen zu legen, werden wir binnen kurzem mit der schicksten Flotte durch den Kosmos paradieren.« Ihre Miene verfinsterte sich merklich. »Die offizielle Propaganda nennt uns ›Piraten‹, aber in Wahrheit sind wir Geächtete und Verfolgte. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Das ist dir wohl bekannt, Llewellyn. Deine Vorwürfe sind ungerecht. Das wirst du einsehen, wenn du nur einen Moment länger darüber nachdenkst.« 

Llewellyn senkte seinen Blick vom Bildschirm und starrte ins Geflimmer der holografischen Sternenkarte. Er wusste, dass die Frau recht hatte. Die Zeit der Treiberverfolgungen war unvergessen. Seine wachsende Verunsicherung, seine immer stärkeren Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens, das die jüngste Terranautenkonferenz beschlossen hatte, trugen die Schuld an seinen Stimmungsschwankungen und seiner Reizbarkeit. Er selbst hatte mit allen aufbietbaren Argumenten zum zustande gekommenen Beschluss gedrängt, der lautete: in Zusammenarbeit mit dem Bund der freien Welten gewaltsame Vernichtung aller erreichbaren Kaiserkraft-Raumfahrzeuge und -Installationen, um die galaktischen Kulturen außerhalb des Sternenreichs von der Gutwilligkeit wenigstens eines Teils der Menschheit zu überzeugen. Ohnehin war es dringend notwendig, das Auftreten superphysikalischer Phänomene einzudämmen, um einer zu befürchtenden Kaiserkraft-Katastrophe voraussichtlich kosmischen Maßstabes entgegenzuwirken. Darüber hinaus schwebte nach wie vor das Damoklesschwert jener Drohung der unbekannten anderen raumfahrenden Rassen der Milchstraße – der Schwellenmächte, post-technischen Kulturen sowie der rätselhaften Entitäten – über der Menschheit, sie bei fortgesetzter Nutzung der Kaiserkraft aus Notwehr zu eliminieren. Nur wenige Menschen besaßen eine annähernde Vorstellung von der unvergleichlichen Überlegenheit dieser Superzivilisationen. In dieser prekären Situation hatte Llewellyn nachdrücklich eine Strategie sofortiger, wenngleich provisorischer Maßnahmen vertreten. Der Bund war bereit, die Aktionen inoffiziell zu unterstützen, wenn sie sich gegen Basen der Garden richteten, die für den Bund eine Bedrohung darstellten. Der Riemenmann schielte zum Bildschirm und aufs Abbild von Janas vorwurfsvoller Miene. »Konzentriertes Feuer der Lasergeschütze hätte den Aufklärer erwischen müssen«, meinte er mürrisch.

Janas Gesicht verfärbte sich vor Wut dunkelrot. Ihre Augen blitzten. »Es gab auf den Stationen Kompetenzverfilzungen, und zwar infolge der schwachsinnigen Disziplin, die du uns aufgenötigt hast«, erwiderte sie hitzig. »Vorher kannte jeder an Bord seinen Platz und wusste, was er zu tun hatte. Nun läuft alles kreuz und quer durcheinander, und deine Leute wollen sich nicht einordnen.« Sie verstummte; man sah ihr an, dass sie sich um Mäßigung bemühte. »Llewellyn, glaubst du wirklich«, fügte sie dann beherrscht hinzu, »es sei zur Bekämpfung der Grauen Garden nötig, dass wir uns in ihre miese Imitation verwandeln?«

Wie unter dem Druck einer unsichtbaren Last setzte sich der Riemenmann mit matten Bewegungen wieder in den Sessel und erwiderte den eindringlichen Blick der ›Hexe‹ mit aller Offenheit. »Nein. Ich habe angenommen, Disziplin könne unsere Tätigkeit effizienter machen. Nun sehe ich, dass deine Loge sich damit nicht zurechtfindet. Möglicherweise ist militärische Disziplin ohne entsprechenden Drill von Jugendjahren an nicht praktikabel. Womöglich bedarf es dazu eines besonderen Geisteszustands. Die Grauen werden ja nicht ohne Grund konditioniert.« Llewellyn stieß einen vernehmlichen Seufzer aus. »Aber soll ich jetzt durch Rücknahme meiner Weisungen meine Kommandofunktion untergraben?«

»Ich bin der Meinung, so etwas würde deine Autorität erhöhen.«

»Ich habe eine gegenteilige Auffassung. Außerdem sehe ich nicht derartig schwarz. Die Disziplin hat die dienstlichen Abläufe an Bord der Irminsul erheblich beschleunigt. Nach den Computeranalysen kommt es auf den Stationen zu Zeitersparnissen von rund fünfzehn bis fünfundzwanzig Prozent. Das ist ein beträchtlicher Faktor. Meines Erachtens besteht das Hauptproblem darin, dass du und deine Logenkameraden in den damit verbundenen Unbequemlichkeiten bloß eine lästige Störung seht und infolgedessen eine negative, störrische Einstellung dazu einnehmt.« 

»Ist das an Bord unseres eigenen Schiffes etwa nicht erlaubt?«, brauste Jana auf.

»Ihr seid damit einverstanden gewesen, dass ich – gemäß der Entscheidung unserer Konferenz – den Oberbefehl ausübe!« Die Geduld des Riemenmannes begann nachzulassen. Als Jana zu einer neuen Entgegnung ansetzte, winkte er schroff ab. »Wir haben jetzt schlichtweg keine Zeit zu Diskussionen. Die richtige Zeit zum Diskutieren war während der Konferenz.«

Jana verzog den Mund. »Na gut. Aber wir fallen kein zweites Mal auf dich rein, du männlich-chauvinistisches Gürteltier.« Sie unterbrach die Intercom-Verbindung. Auf der Mattscheibe zerfloss ihr Abbild in Tupfern verwachsener Farben.

Llewellyn stöhnte. Sechs der sieben Mitglieder von Janas Loge waren weiblichen Geschlechts. Das war – neben den umfangreichen operativen Planungen – einer der Gründe, warum er der Zentralebene gerne fernblieb. Längst war er daran gewöhnt, Minderwertigkeitsgefühle lichtschnell zu verdrängen. Doch allein das Getümmel eines halben Dutzends Frauen erzeugte in ihm haarsträubende Nervosität. Erneut stöhnte er auf und stützte den Kopf in die Hände.

Sie meint es nicht so, versicherte ihm Silent Chorp. Sie ist klug, schön und deshalb selbstbewusst. Du brauchst nicht an deinen Führungsqualitäten zu zweifeln. Aber sie lenkt die Dinge lieber selbst, statt sich leiten zu lassen. Deswegen erzeugt jede Form von Unterordnung in ihr starken Widerspruch. 

»Ich weiß, dass sie schön ist«, brummte Llewellyn ungnädig. Sie gefällt mir viel besser, ergänzte er telepathisch, als ich es mir leisten kann. Sofort unterband er in seinen Überlegungen jeden Ansatz, an etwas zu denken, das es für ihn nicht gab, nicht geben konnte. Am schlimmsten ist, dass sie mit ihren Einwänden völlig richtig liegt. Ich war ihr gegenüber ungerecht. Das betraf vor allem die Irminsul. Das ehemalige Treiberfrachtschiff war in so gutem Zustand, wie man ihn beim Fehlen jedes logistischen Apparates erwarten konnte. Zwar half der Bund der Freien Welten mit Proviant, Material und Ausrüstung, aber auf Aqua musste alles notwendige Ersatzgerät auf etwa sechzig Schiffe verteilt werden, die den Fracht-Notdienst aufrecht erhielten, ohne den viele Randwelten nicht lebensfähig waren. Dennoch war die Irminsul zu einem wichtigen Bestandteil der kleinen Flotte geworden, die die Terranauten in Absprache mit dem Planetenbüro des Bundes einzusetzen vermochten – sie hatte einen beachtlichen Vorrat von Misteln an Bord. 

Die Welt ist ungerecht, bemerkte Silent Chorp. Sie ist schon so entstanden. 

Eine pessimistische Philosophie, stellte der Riemenmann fest. Daran haben wir nun wirklich keinen Bedarf. Wir müssen dynamisch und optimistisch sein, durch und durch positiv. Er zögerte. »Ob ich die Aktion abblasen soll?«, meinte er dann laut. 

Auf keinen Fall, entgegnete der Stumme. Noch besteht die Chance, dass wir vor dem Kurierboot im Finstermann-Bereich eintreffen. Zudem wissen die Grauen ja nichts über unsere genauen Absichten. Der Überraschungsvorteil mag uns verloren gehen, aber uns bleiben noch die Vorteile der Wahl von Zeitpunkt und exakter Örtlichkeit des Zuschlagens. 

Ja, gewiss. Trotzdem … Ich werde mich lieber noch einmal mit Kalia beraten. Eine superphysikalische Verzerrung lappte in den parapsychischen Bereich über und kräuselte die PSI-Schwingungen, als sei ein psionischer Störsender aktiviert worden. Llewellyn schaltete die Außenübertragung ein und sah ein wesenloses Wallen, eine unablässige Folge aurenhafter Erscheinungen. Die Loge hatte die Irminsul zur letzten Flugphase in den Weltraum II versetzt. 

 

*

 

Protokollauszug:

 

Z. v. HEISSIG: Wir haben überhaupt noch nicht die Frage diskutiert, ob wir es angesichts der desolaten Situation im Sternenreich – vor allem hinsichtlich der Versorgung – denn eigentlich verantworten können, die Raumfahrt noch weiter als bisher zu schwächen. Kaiserkraft oder nicht? Wer weiß, wie die Lage in den einzelnen Kolonien ist? Wie chaotisch dürfen die Zustände auf der Erde selbst noch werden? Wo müssen wir im Interesse der gesamten Menschheit versuchen, einen Schlusspunkt zu setzen? 

LLEWELLYN: Auch auf die Gefahr hin, wieder einmal missverstanden zu werden – das Risiko der Kaiserkraft und aller damit verbundenen Konsequenzen ist viel, viel größer als alle Nachteile, die mit dem Zerfall des Sternenreichs einhergehen, und zwar tatsächlich für die ganze Menschheit. Ich traue der Menschheit zu, dass sie aus Wirren wieder herausfindet. Aber eine etwaige Auslöschung durch Superzivilisationen oder ein Untergang in einer kosmischen Katastrophe wäre endgültig. Es gäbe nie wieder einen Neuanfang. Vergegenwärtigt euch das mit aller Deutlichkeit!

B.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Henry Roland/Apex-Verlag. Published by arrangement with Thomas R. P. Mielke and Rolf W. Liersch.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx. DIE-TERRANAUTEN-Logo by Arndt Drechsler.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Andrea Velten.
Korrektorat: Andrea Velten.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8395-4

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /