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Leseprobe

 

 

 

 

ERNO FISCHER

 

 

DIE TERRANAUTEN, Band 73:

DIE MASCHINEN VON ULTIMA THULE

 

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE MASCHINEN VON ULTIMA THULE von Erno Fischer 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

Das Buch

Major Gorden befand sich in einem seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Aufwachen. Er wusste genau, dass er in seinem Bett lag, auf dem Rücken, die Arme ruhig auf der Decke liegend, die Augen halb geöffnet. Da war die weiße Zimmerdecke, doch sie war nicht mehr weiß, sondern zeigte ein farbiges Muster. Wie von einem verrückten Künstler. Ein abstraktes Geflecht, das sich langsam veränderte, Ableger losschickte, die sich über die Wände ergossen und herunterrannen wie Blut...

 

DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie erstmals und exklusiv als E-Books.

  DIE MASCHINEN VON ULTIMA THULE

von Erno Fischer

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

Vergangenheit

 

Major Gorden befand sich in einem seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Aufwachen. Er wusste genau, dass er in seinem Bett lag, auf dem Rücken, die Arme ruhig auf der Decke liegend, die Augen halb geöffnet. Da war die weiße Zimmerdecke, doch sie war nicht mehr weiß, sondern zeigte ein farbiges Muster. Wie von einem verrückten Künstler. Ein abstraktes Geflecht, das sich langsam veränderte, Ableger losschickte, die sich über die Wände ergossen und herunterrannen wie Blut.

Alle Farben des Spektrums waren vertreten, doch die Farbe Rot herrschte vor.

Es ist Blut!, dachte Major Gorden und: Ich bin verrückt, total verrückt! Es sind die PSI-Versuche im Weltraum – der Flug ins All, er hat mich verrückt gemacht. 

Er versuchte, augenblicklich aus diesem Albtraum zu erwachen, doch das war ihm nicht möglich.

Weil er es gar nicht wollte!

Fasziniert schaute er den Mustern zu, die immer wieder zerflossen und neu entstanden. Die Ecken des Zimmers waren nicht mehr erkennbar. Der gesamte Raum wurde jetzt von den Mustern beherrscht.

Major Gorden richtete sich auf. Er hatte keine Ahnung, ob ihm das nun wirklich gelang oder ob es nur in seiner Einbildung stattfand. Er richtete sich auf und blickte sich um.

Bis sein Blick auf seine Hände fiel.

Auch hier dieses Muster. Das waren keine Hände mehr, sondern abstrakte Gebilde ohne jeglichen Sinn.

Ohne Sinn? Vielleicht lag es einfach daran, dass er den Sinn nicht erkannte?

»Ich träume!«, brüllte Major Gorden, und seine Worte wurden sofort in die farbigen Muster integriert, wurden ein wichtiger Bestandteil davon.

Ich werde folgen!, dachte er bestürzt. 

Es saugt mich auf, mit Haut und Haaren, mit meinen Worten, ja, sogar mit meinen Gedanken.

Er schrie gepeinigt.

Und da erinnerte er sich an seine Frau.

Paris, sie müsste neben ihm liegen. Ja, er war gar nicht allein in diesem Zimmer.

Er tastete mit seinen Händen umher, weil er nichts sah außer den irren Mustern, die sich jetzt schneller veränderten und ihn dem Wahnsinn stetig näher brachten.

Seine Hände ertasteten Paris nicht.

O Paris, verdammtes Weibsbild, du hast mich im Stich gelassen!

Nein!, durchzuckte ihn ein anderer Gedanke: Sie wurde schon aufgesaugt von den irren Mustern des Wahnsinns. Deshalb ertaste ich nicht sie, sondern nur noch die Muster. Ich folge ihren Unebenheiten, Rissen, Vertiefungen, Erhebungen – und schneide mich an den scharfen Kanten von Violett. Herrlich, wie Weißblau meine Wunden kühlt. Aber warum ist Hellrot so heiß? Verflucht, wie es auf der Haut brennt, wenn man nicht aufpasst.

In der Luft entstand ein dicker Tropfen, in dem es schillerte.

Nun gut, ich weiche der Gewalt und gehe ein in die abstrakten Muster, werde eins mit ihnen, verzichte auf alles andere, bin nur noch …

YGGDRASIL!

Was war das?

Major Gorden atmete keuchend und produzierte dabei lange Farbfahnen, die träge davonschwebten.

Major Gorden sprang vom Bett, das kein Bett mehr war, weil es auch kein Zimmer und nichts mehr gab, was ihm vertraut erschien. Er flog direkt in die Farbhölle der Abstraktheit hinein und wurde von ihr endgültig aufgenommen.

YGGDRASIL!

Das war kein Ruf, kein Name, sondern ein Symbol, das in ihm ein Wort erzeugte.

YGGDRASIL!

Das stand für die nächste Stufe der Vollendung, fernab der Abstraktheit, die in YGGDRASIL Schmerz erzeugte, der sich auf Major Gorden übertrug.

Und auch Major Gorden war nicht mehr er selbst, sondern ein Symbol für das Abstrakte, das Künstliche, weil Unnatürliche.

Die Abstraktheit war er selber! Die ständig sich verändernden Farbkaskaden, die zerfließenden Formen, die scheinbar keinen Sinn ergaben, waren der Ausdruck seines Ichs, sein Denken, sein Wollen, das Streben seiner Existenz.

Und es kam ihm selber so irrsinnig vor, weil er Kontakt mit einem Wesen hatte, das genau das Gegenteil darstellte.

Es war die Natürlichkeit selbst. Es war YGGDRASIL!

Und YGGDRASIL rief! YGGDRASIL erinnerte an ein Versprechen!

Major Gorden und Yggdrasil hatten einen Pakt geschlossen. Aber Major Gorden hatte nie an die Realität dieses Paktes geglaubt. Er hatte ihn zu verdrängen versucht. Jetzt war die Erinnerung wieder da.

Ein einsames Raumschiff, eine schlanke, schimmernde Spindel im kalten Leuchten ferner Sterne. An Bord des Schiffes verzweifelte Menschen, dem Tode nahe. Sie hatten den großen Sprung geschafft. Sie waren die ersten Menschen, die den Abgrund zwischen den Sternen überwunden hatten. Mit den Kräften ihres Geistes hatten sie den Weg zum lodernden Feuer der Wega gefunden. Noch wussten sie selbst nicht, was sie getan hatten. Sie wussten nicht, durch was für einen seltsamen anderen Raum sie das Schiff mit ihren PSI-Kräften gejagt hatten.

Doch sie waren verloren. Die ersten Sternenfahrer der Menschheit hatten keine Chance, jemals zur Erde zurückzufinden. Schon viermal waren sie wieder in den anderen Raum hinübergewechselt – und hatten dort jede Orientierung verloren. Unter dem Licht fremder Sonnen tauchten sie wieder im Normalraum auf. Und jetzt waren sie am Ende. Die Energie des Lebenserhaltungssystems reichte nur noch für wenige Tage. Sie würden hier draußen zwischen unbekannten Sternen sterben, und niemand auf der Erde würde je von ihrem Schicksal erfahren.

In der Zentrale des Schiffes saß ein einsamer Mann unter der großen Sichtkuppel und blickte zum eisigen Feuer der Sterne hinauf. Was erwartete sie noch? Welche Chance gab es? Wo lag der Fehler? Major Gorden zermarterte sich das Gehirn. Seit Stunden saß er hier, erfüllte die sinnlosen Pflichten seiner Bordwache und suchte eine Lösung.

Aber es gab keinen Weg zurück zur Erde. Der andere Raum war zu fremd. Es gab keine Bezugspunkte in ihm. Nichts, das den PSI-Kräften, mit denen die Besatzung ihr Raumschiff bewegte, eine Orientierung bieten konnte. Major Gordens Gedanken wanderten zurück. Ein wildes, verworrenes Leben lag hinter ihm. Vom Farmer zum Wissenschaftler und Söldnerführer. Seine Verwicklungen in die Intrigen der Konzerne. Die Entdeckung seiner ungewöhnlichen PSI-Kräfte. Sein Hass und seine Rache an all jenen, die sich seiner zu bedienen versucht hatten, eine Rache, die mit diesem Flug ihre Erfüllung gefunden hätte. Doch der erste Sternenflug endete im Nichts. Kalte Wut stieg in Major Gorden auf. Er wollte sich nicht mit dem Unvermeidlichen abfinden, wie er sich sein Leben lang nicht damit abgefunden hatte.

Und da war es wieder. Dieser seltsame fremde Einfluss, dieses Wispern am Rande seines Bewusstseins. Früher hatte er dieses fremde Etwas für einen Teil seines Ichs gehalten, der durch die PSI-Kräfte aktiviert worden war und jetzt eine Art Eigenleben führte – eine Neurose, eine PSI-Psychose, mehr nicht! Doch hier draußen in der Stille und Leere des unendlichen Raums wurde das Fremde immer deutlicher. Es war etwas Fremdes, etwas, das rief.

Was hatte der seltsame Eskimo-Schamane damals in Berlin gesagt? Bäume, Weltenbäume, deren Äste den Kosmos umschlingen. Major Gorden starrte zu den Sternen hinaus. Er starrte in das kalte Funkeln, bis das Bild vor seinen Augen verschwamm. Ihm schien plötzlich, als wüchsen Pflanzenarme zwischen den Sternen, schlinge sich ein unendliches Geflecht durch den Kosmos. Die Leere war plötzlich mit Leben erfüllt, und das Schiff schien in einem ungeheuren Wald zu schweben, denn jeder Stern wurde zu einem Baum. Das Wispern schwoll zu einer mächtigen, hallenden Stimme an, die immer wieder unverständliche Worte rief.

YGGDRASIL. Plötzlich wusste er den Namen. Der Weltenbaum rief. YGGDRASIL – die Weltesche, der Baum des Lebens.

YGGDRASIL rief ihn zu sich. YGGDRASIL rief Major Gorden.

Ich komme, antwortete er. Aber ich weiß den Weg nicht. Zeig mir den Weg zurück zur Erde, Yggdrasil, zeig mir den Weg zu dir. 

Aus dem Ruf wurde eine Frage: Wirst du kommen? Zu mir? 

Zeig mir den Weg zur Erde! Ich komme.

Doch Major Gorden wusste, dass es nicht mit dem Weg zur Erde getan war. Er begriff, dass Yggdrasil ihn bei sich haben wollte. Er musste den Baum aufsuchen, musste ihn auf der Erde finden.

Zeig mir den Weg, und ich werde zu dir kommen!

Wie in Trance schaltete Major Gorden den Rundruf an. »Alle Mitglieder des PSI-Kommandos in die Zentrale. Wir machen einen letzten Versuch!«

Es gelang. Major Gorden fand den Weg zurück durch das seltsame Baumgeflecht. Aber die Erinnerung daran verblasste. Major Gorden wurde zum gefeierten Helden. Er wurde reich und mächtig, spielte sein eigenes Spiel im Kampf der mächtigen Interessengruppen der Erde, versuchte, sich auf einer ausgeplünderten, dahinsiechenden Welt ein Stückchen Zukunft zu sichern.

Yggdrasil wurde zu einer fernen Erinnerung. Major Gorden rationalisierte sein Erlebnis als Gespräch mit seinem eigenen Unterbewusstsein. Es gab keine Hinweise auf einen Weltenbaum. Yggdrasil war nur die Weltesche aus der nordischen Sagenwelt. Wo hätte er eine Sage suchen sollen? Der Kampf um Macht und Reichtum nahm ihn gefangen. Die Jahre vergingen, und doch blieb dieses nagende Wispern am Rande seines Bewusstseins. Er leugnete Yggdrasil, er leugnete sein Erlebnis draußen zwischen den Sternen. Sein eigenes Unterbewusstsein musste es gewesen sein, das den Weg zurückgefunden hatte, auch wenn später nie wieder einem Schiff die Rückkehr gelungen war. Schon fünf Expeditionen waren verschollen.

Doch Yggdrasil existierte.

Jetzt wusste er, dass kein Weg mehr an seinem Versprechen vorbeiführte. Er würde Yggdrasil finden oder wahnsinnig werden.

YGGDRASIL, ICH KOMME!

 

*

 

Gegenwart

 

Hauptmann Gerna warf einen Blick durch die gläserne Kuppel auf die öde Steinwüste des Mondes. Der Ringo, in dem er saß, diente als Raumfähre.

Hauptmann Gerna war ein muskelstrotzender Hüne mit kantigem Kinn und sehr herben Gesichtszügen. Seine Wangenmuskeln spielten. Es wurde ihm nicht bewusst.

Eigentlich unterschied der Graugardist sich nur in einem Punkt von anderen in seinem Rang: Er hatte keine Operation hinter sich bringen müssen, die ihn zu einem willenlosen Werkzeug machte.

Gerna war ehemaliger Grauer Treiber und wurde erst in den Stand eines Hauptmanns erhoben, als man die Grauen Treiber nicht mehr brauchte.

Die meisten hatte man nicht ihrer Fähigkeiten beraubt, sondern sie einfach anders eingesetzt.

Es bestand ohnedies kaum eine Möglichkeit, dass ein Grauer Treiber seiner Truppe untreu wurde. Nur derjenige wurde Grauer Treiber, der gewissermaßen von Natur aus vollkommen loyal war. Also war eine entsprechende Anpassungsoperation nicht notwendig.

Gerna schluckte schwer und wünschte sich in diesem Moment, dass es anders wäre. Denn der Anblick der tristen Mondlandschaft erzeugte seltsame Gefühle in ihm.

Er war viel zu stolz, um sich einzugestehen, dass er schlichtweg Angst hatte.

Es war eine Sache, von Raumfahrt zu lesen, Bilder und Filme davon zu sehen, oder auch im Kälteschlaf von einer Welt zur anderen verfrachtet zu werden. Es war eine völlig andere Sache, in einem kleinen Ringo die Erde zu verlassen, die Leere des Alls zu durcheilen und anschließend dem Mond einen Besuch abzustatten.

Verdammt noch mal, dachte Gerna, ich werde mich wohl nie daran gewöhnen können. Überall wimmelte es in der schwarzen Leere von Ortungssatelliten und Überwachungsschiffen, aber sie verloren sich in der Unendlichkeit. Seit dem Start hatte Gerna kein einziges anderes Raumfahrzeug vor die optische Erfassung bekommen. Alle Anrufe wurden vom Bordcomputer mit dem automatischen Identifizierungscode beantwortet.

Der Ringo schwebte in einen Mondkrater hinein. Als die hohen, natürlich entstandenen Wände das Raumfahrzeug verschluckten, atmete Gerna erleichtert auf. 

Er lehnte sich ein wenig entspannter zurück und wartete auf das Öffnen der Nebenschleuse.

Es war der Eingang zu den Kerkern von Luna – jedenfalls einer der Eingänge. Es wurde behauptet, dass es noch niemandem gelungen war, diese Kerker aus eigenem Antrieb zu verlassen. Sie waren hundertprozentig ausbruchssicher.

Gerna wusste, dass dies der offiziellen Version entsprach und keineswegs der Wahrheit.

Es hatte bereits zwei mehr oder weniger erfolgreiche Ausbrüche gegeben, und beide Male waren die Ausbrecher Treiber gewesen.

Die Mitläufer ohne Treiberkräfte zählten bei Gerna nicht. Es kam ihm so schon ungeheuerlich genug vor, dass sich echte Treiber gegen das Konzil und sogar gegen die Grauen Garden zur Wehr gesetzt hatten. Was andere betraf …

Gerna schnalzte mit der Zunge, denn automatisch kehrten seine Gedanken zu dem mehr als eigenartigen Auftrag zurück, den er bekommen hatte.

Von Chan de Nouille, der obersten Führerin der Grauen Garden persönlich!

Hauptmann Gerna verschob das Grübeln auf später. Vor allem, weil er der Meinung war, man sollte stets Taten vor Nachdenken gehen lassen. Die Große Graue würde schon ihre Gründe haben. Vielleicht befand sie ihn, Gerna, als besonders befähigt? Sie war die Große Graue und somit unfehlbar. Man sollte als einfacher Hauptmann keine Gedanken daran verschwenden, weshalb sie etwas tat.

Zufrieden verschränkte Hauptmann Gerna die Arme vor der mächtigen Brust. Die Muskeln spielten. Es wurde ihm nicht bewusst. Nur dem Piloten des Ringos, der große Augen machte und sich glücklich schätzte, dass er zum gleichen Haufen gehörte und deshalb wohl niemals in Gegnerschaft zu dem Hauptmann geraten konnte. 

Er schluckte schwer und steuerte den Ringo auf dem Transportstrahl auf die Landebox zu.

Hauptmann Gerna gönnte ihm keinen Blick, als er ausstieg.

Eine kleine Delegation wartete bereits auf ihn.

»Wir haben unsere Order!«, sagte der Führer des Dreimann-Kommandos ohne Umschweife. »Wir sollen keine Zeit verlieren. Da ist die Person, die Sie abholen sollen.«

Der Kommandoführer war ebenfalls im Range eines Hauptmanns. Ungeniert schielte er an Gerna vorbei in die offene Schleuse des Ringos.

Gerna salutierte eher lässig und knurrte den anderen an: »Ich bin allein. Da ist nur der Pilot. Oder glauben Sie, ich werde mit dem Gefangenen nicht fertig?«

Die drei Wächter salutierten ebenfalls.

Der Gefangene betrachtete das Geschehen belustigt. Man hatte ihm nicht gesagt, um was es ging.

Gerna wandte sich ernst an ihn. »Du bist der Noman Carsen!«

Es hatte tatsächlich eher nach einer Feststellung als nach einer Frage geklungen.

Carsen nickte vorsichtig.

Hauptmann Gerna betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. Ja, die Beschreibung stimmte. Carsen war mittelgroß, dunkelblond, hatte einen buschigen Schnurrbart, gewelltes, nach hinten gekämmtes Haar, blaugraue, eng zusammenstehende, verträumt wirkende Augen. In seiner Gefangenenmontur wirkte er schmächtig. Die Montur hatte überhaupt keinen Schnitt. Carsen bewegte sich sehr schlaksig, doch Gerna hatte einen geübten Blick. Nicht umsonst hatte man dem Gefangenen Magnetfesseln angelegt und ihn von drei ausgewachsenen Graugardisten begleiten lassen.

Chan de Nouille hatte Gerna bereits vorgewarnt. Aber das wäre nicht notwendig gewesen.

Dieser Carsen war ein durchtrainierter Kämpfer mit artistisch anmutender Geschicklichkeit. Er war ungewöhnlich muskulös, mit keinem Gramm Fett am Körper, was Gegner täuschen konnte, wenn er, wie jetzt, einen viel zu weiten Anzug anhatte.

»Nehmt ihm die Fesseln ab!«, befahl Gerna knapp.

Die drei Graugardisten hatten zwar eine Gehirnoperation hinter sich, die ihnen einen Großteil des Gefühlslebens raubte, aber sie kannten dieses Gefühl mit Namen Furcht als Sicherheitsbedürfnis. Notfalls gaben sie ihr Leben für einen Befehl. Nur musste das einen Sinn haben, denn man hatte ihnen eingetrichtert, dass jeder einzelne Graugardist von erheblichem Wert war. Dabei spielten nicht so sehr humanitäre Gründe eine Rolle, sondern effektive Kosten, die bei der Ausbildung eines Gardisten anfielen.

Das war auch der Grund, warum die drei zögerten.

Das handelte ihnen einen missbilligenden Blick von Gerna ein.

»He!«, machte Carsen überrascht, als man ihm tatsächlich die Magnetfesseln abnahm. Stirnrunzelnd massierte er seine Handgelenke.

In seinen Augen blitzte es plötzlich.

»Was hat das zu bedeuten? Soll ich jetzt endlich über die Klinge springen? Oder habt ihr ein medizinisches Experiment mit mir vor?«

Gerna brachte ein hartes Lächeln zustande.

»Nein, mein lieber Noman, viel Schlimmeres: Du bist ab sofort frei!«

»Frei?«, echote Carsen ungläubig.

»Ja, wenn auch unter einer Bedingung.«

»Dachte ich mir doch!«

»Du musst mit meiner ständigen Begleitung vorlieb nehmen. Mit anderen Worten: Wir müssen miteinander auskommen, ob wir wollen oder nicht. Ich habe meine genaue Order, und du unterliegst denselben Zwängen wie ich.«

Hauptmann Gerna salutierte, wie es Vorschrift war, machte auf dem Absatz kehrt und bestieg den Ringo.

Carsen blickte verständnislos von seinen drei Bewachern zum Eingang des Raumschiffs und wieder zurück.

Seines Wissens war diese Situation völlig einmalig. Ein Umstand, der auch den drei Graugardisten bewusst war. Das sah man ihnen an, obwohl bei einem Graugardisten schlecht zu schätzen war, was er im Moment dachte.

Und dann herrschte nur noch ein Gedanke in Carsen vor: Nichts wie weg von den verdammten Kerkern, bevor ich darin verrecke!

Im Eiltempo folgte er Hauptmann Gerna nach.

Der Hauptmann erwartete ihn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Erno Fischer/Apex-Verlag. Published by arrangement with Thomas R. P. Mielke and Rolf W. Liersch.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx. DIE-TERRANAUTEN-Logo by Arndt Drechsler.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Andrea Velten.
Korrektorat: Andrea Velten.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8393-0

Alle Rechte vorbehalten

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