WERNER STEINBERG
Der Hut des Kommissars
Griessbühls zweiter Fall
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER HUT DES KOMMISSARS
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Das Buch
Ein seltener Fall: Schon in der Mordnacht stellt sich der Arzt Dr. Marahn freiwillig und gibt zu Protokoll, den Geliebten seiner Frau, den Architekten und Baumeister Brumerus, in dessen Jagdhaus erschossen zu haben. Das Tatmotiv ist ebenso ungewöhnlich wie glaubwürdig: Der vielbeschäftigte Arzt beging das Verbrechen, weil er es nicht ertragen konnte, dass die von ihm geliebte Frau für den anderen Mann nur ein Spielzeug war und in ihrer leidenschaftlichen Hingabe an den Architekten ihr Gesicht verlor.
Nur der Rechtsanwalt des Arztes, ein alter Freund des Hauses, glaubt nicht an die Tat und unternimmt auf eigene Faust Recherchen. Das Ergebnis ist verblüffend: Kommissar Griessbühl muss den Fall noch einmal aufnehmen...
Werner Steinberg (* 18. April 1913 in Neurode, Schlesien; † 25. April 1992 in Dessau) war ein deutscher Schriftsteller, der auch unter den Pseudonymen Udo Grebniets und Udo Grebnitz publizierte.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe von Steinbergs München-Krimi Der Hut des Kommissars (erstmals im Jahre 1988 erschienen).
DER HUT DES KOMMISSARS
Erstes Kapitel
1.
Der feuchte Kies knirschte. Der Mörder bemerkte es und trat einen Schritt seitlich auf den Rasen. Er blieb einen Augenblick stehen, sah sich um und stellte mit Genugtuung fest, dass die Fußspuren sich unter dem unablässig nieselnden Regen bald verwischen würden.
Während er weiterging, fasste er mit der Rechten nach der Pistole, die er in die Jackentasche gesteckt hatte. Die Kühle des Metalls beunruhigte ihn nicht. Ohne Zögern näherte er sich dem Bungalow, dessen breites Parterrefenster offenstand. Dort vergewisserte er sich mit einem flüchtigen Blick, dass er nicht beobachtet worden war, und neigte sich ein wenig vor.
Die Gestalt im Zimmer konnte er nur undeutlich erkennen. Offenbar suchte der Mann etwas auf dem Schreibtisch. Der Mörder drückte den halb angelehnten Fensterflügel mit der Linken weiter auf. Das Geräusch, das er so verursachte, war nur gering. Aber es genügte, den Mann im Zimmer aufmerksam zu machen. Er richtete sich auf und wandte den Kopf nach dem Fenster.
Der Mörder zögerte nicht. Er zog die Pistole aus der Tasche und schoss.
Der Knall war nur kurz und hart, und der Mörder dachte in diesem Augenblick, dass der Regen ihn rasch ersticken würde. Das dachte er in den Bruchteilen der Sekunde, bevor der Mann im Zimmer lautlos zusammenbrach.
2.
Erst in dem Augenblick, als in der herbstlichen Kastanienallee eine feuchte braune Blätterhand gegen die Windschutzscheibe klatschte, wurde es Dr. Walter Marahn bewusst, dass er sich in höchster Gefahr befand: Durch den blanken Kreisausschnitt der Scheibe, von dem das zuckende Spinnenbein des Wischers den feinen Staub des Regens wetzte, erkannte er den bedrohlichen Straßenbelag aus modernden Blättern, klaffenden Kastanienschalen, blankbraunen Früchten und Dreck.
Er hob allmählich den Fuß vom Gaspedal, nahm behutsam den Gang heraus und blickte dabei immer wieder aufmerksam auf das Tachometer, dessen rotes Band allmählich von hundertzehn zurückglitt, bei neunzig unruhig schwankte, weil der Wagen ins Rutschen geriet, und dann stetig weiter absank.
Während Marahn vorsichtig den Gang wieder hineinschob und langsam das Gaspedal niederdrückte, wurde ihm plötzlich deutlich, dass er sich wie ein Mörder auf der Flucht benommen hatte – bewusstlos vor pressender Furcht, entdeckt zu werden.
Schweiß trat ihm auf die Stirn.
Freilich – er hatte töten wollen. Aber er hatte sich das nicht vorgestellt wie einen Mord, sondern, nun, wie eine Exekution, wie die Hinrichtung eines Verurteilten, und zwar eines zu Recht Verurteilten.
Während der Motor ruhig summte und Marahn trotzdem nicht, wie sonst, die Gelassenheit des sicheren Fahrers spürte, erinnerte er sich zurück und begriff, dass er sich bereits vor dem Schuss wie ein Mörder verhalten hatte.
Dies alles war noch so verlaufen, wie er es geplant hatte – dass er den Wagen mehrere hundert Meter vom Haus entfernt hinter einer Wegbiegung abgestellt hatte, dass er selbst mit dem uneiligen Schritt des Spaziergängers dem Bungalow des Verurteilten zugestrebt, ja dass er stehengeblieben war, um, gleichsam in Nachdenken versunken, mit spitzem Zeigefinger die aufgesprühte Feuchtigkeit von der Kupferleiste der Pforte zu wischen. Auch diese Geste hatte er geplant, um sich den Anschein der Harmlosigkeit und des Zufalls zu sichern, sollte er von seinem Opfer beobachtet werden.
In dem Augenblick jedoch, da er die Pforte aufdrückte und sicher sein konnte, dass sie entgegen seinen Befürchtungen nicht verriegelt war, schien er völlig umgewandelt: Er spähte hastig über die Schulter, ob ihn auch niemand wahrgenommen hatte, er spürte sein Herz hämmern, seine Schritte wurden kurz und fahrig, und als der feuchte Kies unter seinen Sohlen knirschte, erschrak er tödlich.
Er wich auf den feuchten und weichen Rasen aus, und dessen leises Schmatzen versetzte ihm einen erneuten Schock. Unwillkürlich duckte er sich, und seine unruhigen Augen suchten, ob ihm ein Gesträuch Deckung bieten könnte. In den Achselhöhlen spürte er kalten Schweiß, spürte ihn tropfenweise die Haut hinunterrinnen.
Das kalte Metall der Pistole, die er in der Jackentasche trug und die er jetzt mit der Rechten ergriff, trieb ihn geradezu an, er fand sich überraschend schnell bei dem offenen Fensterflügel, den er mit der Linken ein wenig weiter aufdrückte, ehe er in das dämmrige Zimmer hineinschoss und sich danach – immer noch ein Mörder – nach der Patronenhülse bückte. Nur der leichte Regen, der unaufhörlich niederrieselte, gab ihm die Kraft zur Flucht, weil er denken musste, dieses ständige feine Geräusch werde den kurzen harten Knall rasch ersticken.
Aber er rannte, rannte in langen Sätzen, den Oberkörper vorgebeugt, nach allen Seiten spähend. Vor der Gartentür erschrak er vor seiner eigenen Flucht, schreckte zusammen bei dem Gedanken, er werde durch sein ungewöhnliches Gebahren die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und ging nun langsam. Dabei merkte er selbst, wie gezwungen und steif sein Schritt wurde.
Kaum saß er im Wagen, als er rücksichtslos anfuhr und das Tempo ins Wahnwitzige steigerte, bis ihn endlich diese braune Kastanienhand zur Besinnung brachte.
Marahn empfand Scham: Die Vollstreckung eines Urteils sollte es werden – nun erschien es ihm als ein simpler und verabscheuungswürdiger Meuchelmord.
Er sah das Gesicht seiner Frau Margit vor sich, wenn er es ihr in wenigen Minuten sagen müsste – und er sah, wie es sich in Hass und Ekel verzerren würde.
3.
Margit Marahn stand am Fenster der kleinen Villa, die außerhalb der Stadt in den Faltenwurf zweier Höhenzüge versteckt war. Der Blick des erfahrenen Architekten hatte die Stelle gut gewählt: Sie gestattete zu gleicher Zeit Zurückgezogenheit und Ausblick in das Tal, durch das sich die Straße schlängelte. Hier wehrte sich das Grundstück durch ein schmiedeeisernes Gitter gegen Eindringlinge; wem jedoch der Zugang gestattet worden war, der fand sich vor einem einladenden, weiten englischen Rasen, der jetzt freilich struppig aussah wie das nasse Fell eines Köters.
Die Frau stand bewegungslos und starrte durch den Rauchschleier des Regens; aber sie war ungeduldig und zornig.
Er wusste genau, dass sie beabsichtigte, um diese Stunde wegzugehen, und er wusste, wohin; sie hatte es ihm heute Morgen gesagt, und er hatte genickt, wie er seit drei Jahren zu nicken pflegte, wenn sie ihm dergleichen sagte, mit seinem verschlossenen Gesicht, das ihr manchmal grau erschien.
Obgleich sie wusste, wie ungerecht, ja vermessen sie war, ärgerte sie sich über ihn, weil er sie hinderte, pünktlich zu sein, obwohl ihm bekannt war, welch großen Wert sie darauf legte. Gut, er war Arzt, er hatte den Patienten zu helfen, wenn sie ihn riefen, er hatte sogar zu folgen, wenn sie ihn grundlos mit irgendwelchen Wehwehchen behelligten; er war vierzig, er musste daran denken, sich einen festen Patientenstamm zu schaffen. Das war schwierig; denn die Sommergäste, die Bad Berneck besuchten, kamen kaum je wieder, und die Einheimischen hielten an ihren Traditionen fest, und eine ihrer Traditionen war der alte vollbärtige Doktor Rübeland.
Margit Marahn schob die Unterlippe vor; sie sah auf die Armbanduhr, sie fühlte ihren Zorn wachsen. Niemand hatte vor fünf Jahren ahnen können, dass es so kommen würde. Damals hatte ihr Mann seine Stellung als Stationsarzt an einer Bayreuther Klinik aufgegeben, weil er diese kleine Villa kaufen wollte, von der sie entzückt gewesen war, und selbst jetzt gestand sie sich, dass er damals noch mehr als nur seine Stellung aufgegeben hätte, um die Wünsche seiner Frau zu erfüllen, die er liebte und die gerade einundzwanzig geworden war.
Beide hatten sie geglaubt, hier in einem Traumland leben zu können – die Krokusse hatten den Rasen freundlich gesprenkelt, als sie die Villa besichtigten, der Frühling war angebrochen.
Bis vor drei Jahren...
Sie atmete erleichtert auf: Den Weg herauf glitt ein gefälliger Opel Rekord.
Als ihr Mann ausstieg, um das Tor zu öffnen, ging Margit Marahn mit raschen Schritten in den Flur, schlüpfte in den Mantel und prüfte vor dem Spiegel ihr Gesicht: ein junges Gesicht, in dessen Wangen hinein die tiefschwarzen Haare gebogen waren, die sie schlicht heruntergekämmt hatte, so dass die braunen Augen umso mehr auffielen.
Als sie die leichten Schritte ihres Mannes vor der Tür hörte, wandte sie sich vom Spiegel ab und knöpfte den Mantel zu. Dann stand Marahn im Eingang, hager, mit eingefallenen Wangen und feuchtem Haar, sah sie mit seinen grauen Augen an, rührte sich nicht und bewegte die Lippen, ohne etwas zu sagen.
Sie sagte: »So. Endlich bist du da. Ich gehe jetzt.«
Er fand seine Stimme wieder; er sagte: »Brumerus ist tot« und stand da, hager, mit eingefallenen Wangen und ganz grau. Sie fühlte, wie sie weiß wurde. Ihre Stimme wurde spröde.
»Was?«, fragte sie. »Was?«
»Ja«, antwortete er, »Brumerus ist tot. Ich habe ihn erschossen.« Er rührte sich immer noch nicht.
4.
Brumerus hatten sie vor fast genau drei Jahren in Bayreuth kennengelernt. Sie waren dort auf einem Schaufensterbummel gewesen – eine Leidenschaft, der die junge Frau mit backfischhafter Begeisterung frönte – und hatten dann in der »Goldenen Klause« zu Abend gegessen. Diese Mahlzeiten in versteckten Lokalen hatten sie schon vor ihrer Ehe zu einem verliebten Spiel gemacht, in dem sie die verwöhnte junge Dame, er der aufmerksame Kavalier war. Wenn sie spätnachts ihre kleine Villa betraten, taten sie es wie ein junges Paar, das soeben zueinander gefunden hatte.
Unbewusst füllten sie damit eine Lücke, eine Kluft, ein Vakuum. Er war von seinem ärztlichen Beruf, von dem unablässigen Kampf um die Erweiterung seiner Praxis wie ausgelaugt, und dann reichte es gerade noch zu einer flüchtigen Zeitungslektüre, zu einem gedankenlosen Fernsehen, zum zerstreuenden Blättern in einem Krimi; es reichte nicht mehr zum Studium ärztlicher Fachlektüre und schon gar nicht zur Sonntagsmalerei, die er in seiner Jugend eifrig ausgeübt hatte. Seine Frau wiederum war jung und schön, aber eben nur jung und schön, und sie betrachtete den Beruf der Hausfrau und Ehegattin als eine Art Hobby, das sie allerdings mit Grazie und Liebreiz betrieb. Ernsthafte Arbeit verrichtete sie nicht; den Rasen versorgte ein invalider Gärtner, die wirkliche Hausarbeit tat eine Haushälterin, die sie im Kreise ihrer Freundinnen mit dem Titel Raumpflegerin adelte, ohne es scherzhaft zu meinen.
Und ein Kind war ihnen versagt geblieben.
Obwohl es zwischen ihnen nie einen Streit gegeben hatte, fühlten beide die Leere, mit der die Tage und Wochen an ihnen vorbeistrichen, sie ahnten die Gefahr, dass sie in ferner Zukunft würden feststellen müssen, ihr ganzes Leben sei so vertan worden. Doktor Marahn versuchte dieser Erkenntnis dadurch auszuweichen, dass er noch mehr als bisher berufliche Anstrengungen unternahm Und häufiger und intensiver mit seinem Steuerberater konferierte. Es war, als wollte er aus dem wachsenden Gewinn seiner Praxis wie ein Unternehmer seine eigene wachsende Bedeutung ablesen. Seine Frau wiederum geriet in eine Art Kaufwut; sie erwarb alle nur denkbaren modischen Dinge für sich selbst und das Haus, ünd sie warf sie achtlos weg, sobald etwas anderes ihr modischer zu sein schien. Allerdings haftete dieser nutzlosen Tätigkeit eine Spur von Berechtigung an; denn die einflussreichsten Patienten, die wichtigsten Kollegen nebst ihren Gattinnen waren Gäste des Hauses, und der Erfolg, der so sichtbar präsentiert wurde, schlug sich in neuen Erfolgen Marahns nieder, dessen – nicht ganz gerechtfertigter – Ruf ihm zahlungskräftige Patienten anzog.
Vermutlich hätte sich dieser Kreislauf ins Unendliche fortgesetzt, denn Marahn trug sich schon mit dem Gedanken, in dem schönen Berneck – oder vielmehr im gebirgigen Randgebiet – eine Privatklinik zu eröffnen. Da sie über die Autobahn leicht zu erreichen sein würde, rechnete er sich erheblichen Zuspruch aus. So also wäre es gekommen, wenn nicht Brumerus aufgetaucht wäre.
Er hatte damals an dem Tisch gesessen, den Marahn für sich und seine Frau hatte reservieren lassen. Als der Ober sie dorthin geleitete, war Marahn verstimmt gewesen; aber Brumerus hatte mit so vollendeter weltmännischer Höflichkeit das Feld räumen wollen, dass dem Arzt eigentlich nichts anderes übriggeblieben war, als auf der Anwesenheit von Brumerus an ihrer kleinen Tafelei zu bestehen.
Und seine Verstimmung verflog bald; denn Brumerus erwies sich als ein glänzender Gesellschafter, vollgestopft mit den lustigsten Anekdoten.
Er mochte so alt wie Marahn sein; aber während der Arzt hager war, leicht vornübergebeugt ging und das schmale Gesicht eines Intellektuellen hatte, wirkte Brumerus, obwohl er groß war, eher massig. Er trug das Haar peinlich genau zurückgebürstet, besaß scharfe graue Augen unter leicht vorgezogenen Dächern beinahe buschiger Brauen, füllige Wangen, eine gerade, stumpfe Nase und einen Mund, dessen Lippen abzulesen war, dass er zu genießen wusste – was immer es sein mochte. Seine Hände wirkten keineswegs elegant, und doch fühlte sich die junge Frau von ihnen angezogen, weil sie außerordentlich gepflegt erschienen.
Jedenfalls verlieh Brumerus diesem Abend einen unerwarteten Reiz, und auch Marahn war mehr als versöhnt. Außerdem aber zollte Brumerus der jungen Frau derart ritterliche Aufmerksamkeiten, dass sich zwischen ihm und Marahn bald ein stummer Wettlauf entspann, den sich Margit gern gefallen ließ. Die doppelte Huldigung, die ihr so dargeboten wurde, verwandelte ihr Spiel zu zweit in ein Spiel zu dritt, aber auf jeden Fall vorerst nur in ein Spiel, ein Gesellschaftsspiel, bei dem man die Würfel jederzeit aus der Hand legen konnte, wenn es einen ermüdete oder ärgerte.
Als sich zu später Stunde herausstellte, dass Brumerus in Berneck einen Bungalow gemietet hatte, in dem er sich zur Zeit aufhielt, als die Marahns in ihm also sozusagen einen Mitbürger mit ähnlichem Geschmack an der herben Landschaft fanden, bekam das Gespräch eine neue, persönlichere, ja fast freundschaftliche Note, und es war selbstverständlich, dass man gemeinsam aufbrach, um über die Autobahn nach Berneck zu fahren.
Vor der Klause begab sich dann noch ein kleiner, chevaleresker Zwischenfall.
Brumerus fuhr einen Borgward Isabella. Seit dieser Wagen auf den Markt gekommen war, war es Margit Marahns sehnlicher Wunsch, ihn zu besitzen. Er war ein junger Wagen – er passte zu ihr! Und selbst der Motor, den die Fachpresse tadelte, zog sie an: Der empfindliche Motor für eine empfindsame junge Frau, so etwa mochte sie fühlen.
Aber ihr Mann lächelte diesmal nur zu ihrem Wunsch; er gab nicht nach. Er liebte seinen gelben Opel, dessen freundliche Farbe – er als einer der ersten gewählt hatte, und wenn er das Modell auch wechseln würde – der Farbe würde er treu bleiben und seinem freundlichen Opel auch.
Es war selbstverständlich, dass Brumerus die junge Frau zu einer Art Probefahrt einlud, und Marahn ließ sich gutmütig gefallen, dass sie ihn mit dieser Einladung ein wenig verspottete.
Erst als die Isabella auf der Autobahn sich von hinten langsam gegen seinen Opel vorschob und ihn überholte, wobei Marahn die lustig winkende Hand seiner Frau wahrnahm, begann er sich zu ärgern. Es war ein leichter Ärger, der gleich wieder verflog, als ihn seine Frau in der Villa lachend empfing.
Vielleicht wusste sie um jene Stunde selbst noch nicht, dass es damals begonnen hatte; aber es hatte damals begonnen, und vor Sekunden hatte ihr Mann, reglos in der Tür stehend, gesagt: »Ja, Brumerus ist tot. Ich habe ihn erschossen.«
5.
Margit Marahn fühlte nicht nur, wie sie weiß wurde, sie spürte plötzlich, dass sie fror. Mühsam sagte sie: »Das ist nicht wahr!«
Ihre Worte waren kaum verständlich.
Marahn starrte sie an, er erwiderte: »Ich habe ihn wirklich erschossen, Margit!« Er rührte sich dabei nicht.
Ihre Augen weiteten sich unnatürlich. Sie ging auf ihren Mann zu, und das fiel ihr so schwer, als müsste sie durch ansteigendes körniges Eis waten, und so kalt war es auch; sie fror schrecklich, sie bebte vor Kälte.
Marahn konnte nichts denken; er sah sie auf sich zukommen wie eine aufgezogene Schaufensterpuppe – fremd, leblos.
Vor ihm blieb sie stehen, und im gleichen Augenblick schlug sie mit voller Kraft in sein Gesicht.
Seine Brille klirrte auf den Boden; er bückte sich und tastete mit blinden Fingern danach.
Seine Frau sah ihm zu. Sie konnte nichts sagen, sie konnte sich nicht rühren; er erschien ihr wie ein grauer, fürchterlicher Käfer.
Als er sich aufrichtete und die Brille aufsetzte, schrie seine Frau laut auf, rannte in das Wohnzimmer, schmiss sich in eine Ecke der Couch, krümmte sich zusammen, schrie immer noch und brach dann in verzweifeltes Schluchzen aus.
Das alles hatte sich Doktor Marahn völlig anders vorgestellt; er verabscheute sich selbst. Wie er die Geräusche aus dem Nebenzimmer hörte, verursacht vom maßlosen Jammer seiner Frau, presste er die Augenlider zusammen und verzerrte das Gesicht: Es war ihm unerträglich.
Er atmete tief auf und ging die paar Schritte durch den Korridor zum Zimmer. Dabei sah er unwillkürlich in den Spiegel, in den noch vor welligen Minuten seine junge Frau geschaut hatte, und er erschrak vor seinem verwüsteten Gesicht. Er wollte sie von der Tür her anrufen, aber die Stimme versagte ihm angesichts ihrer Verzweiflung. Niemals hätte er geglaubt, dass seine sanfte und verspielte junge Frau, die ihm immer noch mädchenhaft erschien, eines solchen Ausbruchs fähig wäre.
Vor kurzem war er davon überzeugt gewesen, das Richteramt übernehmen zu müssen. Jetzt stellte er alles in Frage.
Er wusste, dass seine Frau diesen Brumerus liebte, mit einer Leidenschaft und Hingabe, wie sie ihm wahrscheinlich nie zuteil geworden waren. Nach jener Autofahrt hatte sie eine Einladung angenommen und Brumerus in seinem Bungalow besucht. Marahn war durch seinen Beruf gehindert gewesen, daran teilzunehmen. Auch in der Folgezeit trafen sich die beiden, sofern Brumerus sich wieder einmal – was nicht allzu häufig vorkam – in Berneck von seinen Geschäften erholte. Auch gemeinsame Autofahrten unternahmen sie. Anfangs war Marahn dem anderen dafür dankbar gewesen, dass er der jungen Frau einige Abwechslung in dem eintönigen Leben am Rande eines so kleinen Ortes verschaffte.
Nach kurzer Zeit hatte er allerdings eine befremdliche Veränderung im Verhalten seiner Frau bemerkt; sie war ihm gegenüber nervös und unsicher, sie entzog sich seinen Liebkosungen. Erst, als sie ihm vorschlug, getrennte Schlafzimmer einzurichten, fragte er sie.
Sie gestand ihre Leidenschaft, sie gestand, dass sie nicht imstande wäre, sich von Brumerus zu lösen.
Obwohl er Schmerz empfand wie nie in seinem Leben, fühlte er Mitleid mit ihrem hilflosen Ausgeliefertsein.
Wenig später fragte sie ihn, ob er sich von ihr trennen wollte. Sie sah ihn dabei nicht an. Natürlich hatte er diesen Gedanken erwogen, aber er hatte gefunden, es wäre für ihn unvorstellbar, in einem Haus zu leben, in dem sie nicht anwesend wäre, wie er sich auch nicht denken konnte, eine andere Frau zu sich zu holen. Also verneinte er die Frage. Auf seine Gegenfrage, ob sie nicht für immer zu dem anderen gehen möge, zuckte sie nur die Schultern und antwortete nicht. Er forschte ihren Gründen nicht nach.
So blieb nach außen hin alles so, wie es gewesen war. Die Gäste, die sie freundlich empfingen, merkten nichts davon, dass sie vor einer im Grunde zerstörten Ehe standen.
Er hatte versucht, einiges über seinen Rivalen zu erfahren. Aber außer den Tatsachen, dass er in München seinen ständigen Wohnsitz hatte, offenbar über reichliche finanzielle Mittel verfügte und mit dem Bauwesen zu tun hatte, blieben die Nachrichten aus. So musste er sich mit diesem mageren Ergebnis bescheiden.
Allmählich pendelte sich das Leben zwischen Marahn und seiner Frau auf eine Art distanzierter Freundschaft ein. Vermutlich wäre das auf Jahre hinaus so geblieben, wäre Marahn nicht einige Monate vor seiner Tat auf eine ungewöhnliche Fahrigkeit seiner Frau aufmerksam geworden, die dann wieder abgelöst wurde von einem minutenlangen Starren irgendwohin.
Marahn konnte das Rätsel zunächst nicht lösen.
An einem außergewöhnlich blauen Sommertag jedoch kehrte er unerwartet zeitig heim; das Haus war leer. Er war verwundert, argwöhnte jedoch nichts Böses. Die Zimmer indessen, in denen er untätig umherging, wirkten auf ihn wie Höhlen und machten ihn nervös; er trat vor das Haus, der volle Prall der Sonne blendete seine Augen. Er tauchte zum ersten Male wieder in den Sommer ein, den er über seiner Praxis gar nicht mehr wahrgenommen hatte, hörte das dringliche Summen der Bienen, sah den stummen Schaukelflug der Falter, atmete den betörenden Duft des Heus.
Er schlenderte ziellos auf dem Rasen umher, die Hände in den Hosentaschen, das Hemd geöffnet; er stieg den Hang hinan hinter das Haus, wo ein dichter Bestand von Mischwald begann, in den er hineinstrich.
Und blieb plötzlich stehen, weil in einer Mulde unter einem Brombeerstrauch seine Frau lag. Es sah aus, als hätte sie sich in einem Nest versteckt, der Körper war zusammengezogen, die Augen waren geschlossen, über dem rechten Ohr lag ihre Hand: Nichts sehen und nichts hören.
Er betrachtete sie, er stutzte: Das alles war so außergewöhnlich – und plötzlich war er nicht der Ehemann dieser Frau, er war der Arzt. Um sie nicht zu erschrecken, ging er gerade so laut auf sie zu, dass sie es hören musste, und setzte sich neben sie. Er rupfte einen Grashalm aus und spielte damit. Dabei begann er zu erzählen und bemühte sich, seiner Stimme einen harmlosen und beruhigenden Klang zu geben. Eigentlich tat er, als wäre es alltäglich, gerade hier, gerade so zu sitzen und zu sprechen.
Er berichtete von seiner Praxis, von seinen Erfolgen, kleinen Ärgernissen, fragte sie um Rat, gab sich aber selbst die Antworten und steuerte – unbemerkbar, wie er glaubte – auf ihre eigene Situation zu.
Plötzlich setzte sie sich auf und sagte: »Hör auf! Hör doch endlich auf!« Er schwieg.
Sie sagte: »Es ist mir so gleichgültig.«
Mit Kummer sah er, dass ihr Gesicht verweint war, und sagte: »Ach Margit! Sieh dich doch um! Der Sommer...«
Weiter kam er nicht. Sie sprang auf, sie stand zornig vor ihm und fuhr ihn an: »Etwas anderes weißt du nicht! Und mir ist, als wenn mir jemand die Kehle zudrückte!«
Sie drehte sich mit einem Ruck um und rannte weg, auf das Haus zu, in dem sie verschwand.
Er saß da, und seine Linke spielte, ohne dass er es bemerkte, mit einem Stückchen Moos, das er losgerissen hatte. Er sah sie immer noch rennen, die Margit, seine Frau – sie war gerannt wie ein kleines Mädchen.
Langsam stand er auf. In das Haus wollte er jetzt nicht zurück, er wollte ihr nicht begegnen. Unschlüssig wanderte er über das Grundstück.
Dann hörte er drunten auf der Landstraße ein Geräusch; es war der Borgward Isabella. Am Steuer erkannte er Brumerus. Neben Brumerus saß eine Frau. Sie war jung und unbeschwert, sie lachte, und in dem Augenblick, als der Wagen an dem Tor vorbeisurrte, sah Marahn, wie die Frau ihre Hand auf die Schulter von Brumerus legte und mit den Fingerrücken flüchtig liebkosend über seine Wange streichelte.
Er wandte sich ab; das Geräusch des Wagens schwamm weg. Als er zum Hause hinaufstieg durch den duftenden Rasen, den er nicht bemerkte, fasste er den Entschluss, Brumerus zu töten.
6.
Nun stand er also an der Tür und sah den Jammer seiner Frau. Der Regen hatte sich verstärkt, er vernahm das unaufhörliche Rauschen.
Ins Leere hinein sagte er: »Es ist nichts mehr zu ändern, Margit, er ist tot.«
Er blickte vor seine Füße: »Du hättest nie die Kraft aufgebracht, dich von ihm zu trennen. Das weißt du. Du weißt auch, dass du dich von ihm hättest trennen müssen. Ich wollte nicht, dass du dich erniedrigst.«
Das Schluchzen seiner Frau wurde leiser.
Er sagte: »Mögen das andere finden, wie sie wollen, mögen sie mich verurteilen... Und du kannst mich schlagen, ich trage es dir weiß Gott nicht nach... Nur versuche zu verstehen, dass ich einen Menschen, den ich sehr liebe, nicht beschmutzen lassen wollte.«
Hilflos zuckte er die Schultern, wandte sich zum Fenster, schaute hinaus. »Was sollte ich tun? Gespräche mit dir? Du hättest mir immer das gleiche gesagt: Ich weiß das, aber ich liebe ihn, ich kann nicht anders! Mit Brumerus sprechen? Du weißt ebenso gut, dass es nichts genützt hätte. Was er hatte, das hielt er; andere Menschen kümmerten ihn nicht.«
Marahn wusste nicht, ob sie zu schluchzen aufgehört hatte oder ob nur das Regengeräusch so stark geworden war, dass es alle anderen Laute übertönte. Er hätte sich gern umgedreht; er unterließ es, weil er das noch sagen wollte: »Ich verstehe dich deshalb so gut, weil ich dich genauso liebe.« Er seufzte und sagte: »Weil du es nicht konntest, habe ich die Trennung für dich übernommen.«
Erst jetzt wandte er sich um. Seine Frau hatte sich aufgerichtet, sie hockte in der Ecke der Couch, die Beine angezogen, und starrte ihn wortlos an.
Er schwieg ebenfalls.
Welchen Sinn sollte es haben weiterzusprechen? Im Grunde genommen hatte er alles gesagt, was zu sagen war, er hatte Erklärungen abgegeben, ob sie die nun annahm oder nicht, und vor allen Dingen: Irgendwo lag ein Toter, ein Erschossener, und damit waren Schicksale besiegelt, was immer jetzt noch gesprochen werden mochte.
Zum ersten Male fühlte er sich wieder ruhiger, gelassener. Er musterte seine Frau mit Anteilnahme. Er konnte ihre Liebe verstehen, er hatte ihre Qualen begriffen, er wusste um ihren Schmerz.
Aber wenn er sich jetzt in Ruhe fragen konnte, so antwortete er nach wie vor, für Margit wäre die fremde Hand das einzig Mögliche gewesen, seine Hand, die jene Fessel durchschnitten hatte. Irgendwann würde ihr Schmerz aufhören, so wie im Grunde genommen ihre Liebe zu Brumerus zu sterben begonnen haben musste, als sie von seiner Untreue erfuhr, als sie begriff, dass sie für ihn nichts war als ein hübsches und reizvolles Spielzeug.
Marahn seufzte. Er sah die junge Frau immer noch an, und er sah sie so wie vor fünf Jahren, als sie geheiratet hatten. Da war sie für ihn die Erfüllung aller seiner Hoffnungen gewesen; er hatte geglaubt, die Begleiterin für sein ganzes Leben gefunden zu haben, und er war bereit gewesen, alles für sie zu tun und alles für sie zu opfern, so sehr liebte er sie. Nun hatte er alles getan und alles geopfert, nur, dass er sich dieses Opfer niemals so vorgestellt hatte.
Noch einmal hob er die Schultern; er sagte: »Ich will die Sache zu Ende bringen.«
Er bemerkte, dass ihre Augen sich weiteten, als wäre sie erneut erschreckt.
Sie sagte mit ihrer rauen Stimme: »Mein Gott – was willst du noch tun!«
»Ich werde die Polizei anrufen. Schließlich«, er zögerte und sagte es endlich doch, »liegt dort ein Toter.«
Sie zuckte kaum merkbar zusammen. Sie sah schräg zur Seite, ihre Stirn runzelte sich. Langsam sagte sie, ohne ihren Mann dabei anzusehen: »Walter, du hast etwas Schreckliches getan. Ich habe mir nie vorstellen können...« Sie presste sekundenlang die Lippen zusammen, um so einen erneuten Ausbruch ihres Gefühls zurückzudämmen. Sie fuhr fort und sah dabei auf den Fußboden: »Nein, ich habe es mir nie vorstellen können... So etwas nie... Und ich kann gar nicht daran denken, dass du mich liebgehabt hast, dass du mich...«
Ein flüchtiger Blick streifte ihn. Er spürte, dass sie in diesem Augenblick wieder von Schrecken, vielleicht sogar von Abscheu erfüllt war.
Aber das war tatsächlich nur ein flüchtiger Blick, eine Flucht. Er hörte ihrer Stimme an, dass Margit sich zusammenraffte, um sich nichts anmerken zu lassen, als sie sagte: »Aber jetzt, jetzt, da das geschehen ist – und es ist nicht zu ändern, nicht wiedergutzumachen –, es wird doch nichts besser, wenn du dich der Polizei stellst. Es kann alles nur viel schlimmer werden.«
Das klang verwirrt. Marahn glaubte einen Schimmer von Gefühl zu erkennen.
Hart sagte er: »Ich will ihn dort nicht so liegenlassen.«
Daran hatte sie nicht gedacht; sicher hatte sie sich das überhaupt nicht vorgestellt. Er erkannte es an dem Ausdruck ihrer Augen.
Sie schwieg; sie versuchte, jenes Zimmer zu sehen, in dem sie so oft gewesen war, den Toten, den Erschossenen.
Es musste entsetzlich sein, was sie erblickte. Sie sprang auf, rannte geradezu an das Fenster, und sie rieb sinnlos und heftig mit ausgestreckten Fingern ihre Schläfen.
Marahn versuchte Nüchternheit vorzutäuschen. Er sagte: »Außerdem – ich will das nicht, wie ein Mörder...« Sie fuhr herum, schrie ihn plötzlich an: »Das bist du doch!« Er tat, als wäre nichts geschehen. Er fuhr fort: »...wie ein Mörder herumzulaufen, mit Angst, mit Verfolgungswahn, was weiß ich. Nein. Machen wir kurzen Prozess!«
Während er schräg durch das Zimmer zu dem Bücherregal ging, in das er den Telefonapparat gestellt hatte, fügte er hinzu: »Übrigens – welchen Zweck sollte es haben? Ich habe dir damals gesagt, dass du...« Er wollte ausdrücken:... der Sinn meines Lebens bist; aber jetzt kam ihm das melodramatisch vor, und er unterließ es. Er murmelte: »...dass du mir alles bedeutest.«
Das Fenster hinter ihr war grau von Regen; sie stand davor als dunkler Schattenriss; auch der Ausdruck ihrer Augen war nicht mehr erkennbar.
Tatsächlich kümmerte ihn das in diesen Sekunden nicht; er spürte sich nun in jenem sachlichen Zustand, den er sich vor der Tat vorgestellt hatte. Er stutzte vor dem Apparat und sagte: »Die hiesige Polizei...?« Er wandte ihr den Kopf zu: »Das gibt unnötigen Ärger, unnötige Aufregung. Da ist dieser Bifferli. Das Geschwätz der Leute in so einer kleinen Stadt...«
Er atmete auf, nahm das klobige Telefonbuch in die Hand und ging zum zweiten Fenster – Licht machen wollte er nicht (nur ihre Augen nicht sehen!) –, um in dem grauen Schimmer des völlig ermatteten Tages die Nummern entziffern zu können. Sachlich sagte er: »Ich werde die Mordkommission verständigen. In Bayreuth. Oder in Nürnberg.« Er sagte wie zu sich selbst: »Was ist denn vernünftiger, Bayreuth oder Nürnberg...?«
Während er unschlüssig suchte, hörte er ihre Stimme. Zuerst konnte er nicht verstehen, was seine Frau sprach, so sehr war er vernarrt in das, was er zu tun beabsichtigte. Dann machte ihn der Ton aufmerksam: Die Stimme klang ganz anders, als er es seit je gewohnt war, sie klang nicht weich, leise, anschmiegsam, sondern mühevoll akzentuiert, als wenn jemand soeben lerne, Befehle zu erteilen.
Immer noch den Block des Telefonbuches in der Hand, hob er den Kopf, sah jedoch nicht seine Frau an, sondern zum Fenster hinaus und verstand:
»...höre ich dich sagen, dass du mich liebst, seit Jahren, und aus Liebe machst du so etwas Wahnsinniges, wie du behauptest. Es stimmt, du hast mir jede Bitte erfüllt, du bist...«, sie unterbrach sich, und ihre Stimme hastete dann etwas, »so großzügig gewesen, wie ich es niemals erwarten durfte...«, sie fing sich wieder, »aber es mag sein, wie es will. Zum ersten Male bitte ich dich ganz ernsthaft: Rufe nicht an! Niemand hat dich gesehen! Niemand wird es erfahren! Die Jahre werden vergehen! Allmählich werden wir es vergessen können.«
Mehr sagte sie nicht.
In diesem Augenblick wusste er, dass sie von gemeinsamem Leben sprach.
Forschend sah er zu ihr hinüber. Immer noch stand sie am anderen Fenster, und es war inzwischen so dunkel geworden, dass er nicht mehr erkennen konnte, ob der Ausdruck ihres Gesichts seine Vermutung bestätigte.
Er spürte die Schwere des Buchblocks in seiner Hand. Er schob ihn auf das Regal in eine Lücke zwischen die Bücher.
Der Regen draußen lärmte. Unwillkürlich musste er daran denken, dass die geringen Spuren auf dem Kies, auf dem Rasen bald völlig unlesbar sein würden.
Marahn sagte: »Ich fürchte, diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen.«
Sie antwortete von dem grauen Fenster her: »Wem sollte das wohl nützen, wenn du für immer oder auf zehn Jahre ins Zuchthaus gingest? Ich, Walter, wäre doch ganz allein hier.« Es war jetzt so dunkel geworden, dass Marahn die Telefonzahlen mit bloßem Auge nicht mehr hätte lesen können. Dazu würde er Licht machen müssen. Davor scheute er sich, und wusste doch, dass er sich dazu überwinden müsste.
Zweites Kapitel
1.
»Es ist bald Mitternacht«, seufzte Assistent Griessbühl und unterdrückte ein Gähnen, »ich möchte nur wissen, warum uns die Leute so viel Arbeit machen, indem sie sich gegenseitig erschießen, vergiften, erhängen. Da glauben sie, sich aus der Welt zu bringen; aber nichts ist aus der Welt geschafft. Wir haben den Ärger.«
Kriminalkommissar Groll sah den jungen Mann unwillig an. Solche Reden missfielen ihm. Überhaupt missfiel ihm dieser junge Mann. Er missbilligte dessen Brecht-Frisur, er missbilligte den ungesunden fahlen Teint, den Anzug, der um die zu schmale Gestalt schlotterte. Hatten Kriminalassistenten so auszusehen?!
Er wollte etwas sagen; er unterließ es. Er glaubte zu spüren, dass er alt wurde: Wie konnte er um Mitternacht so ermüdet sein?
Missmutig sah er auf die Kaffeetasse aus Steingut; daran fanden sich unschöne Spuren von Kaffeesatz. Mit der flachen Linken rieb er seine mächtige Glatze, er massierte sie geradezu. Manchmal hatte das geholfen, jetzt half es nichts; er war ganz einfach todmüde.
Groll unterdrückte einen Seufzer und schob seinen massigen Körper aus dem Holzsessel. Auf dem Schreibtisch lag keinerlei Papier mehr; er grunzte zufrieden.
Griessbühl half ihm in den Mantel, einen schäbigen alten Lodenmantel von verschossen-grüner Farbe. Davon konnte sich Groll nicht trennen. Trug er diesen Mantel, hatte er immer das Gefühl, ein Jäger auf der Pirsch zu sein, flott auszusehen – und wusste doch, dass sein Gang gebeugt war.
Er zerrte am Mantelkragen und fragte unwirsch: »Na, was ist? Kommen Sie nicht mit?«
Dabei sah er durch die halbgeöffnete Tür auf Griessbühls Schreibtisch nebenan, der noch keineswegs reinlich aussah, und er dachte flüchtig daran, wer wohl sein Nachfolger werden würde – vermutlich und Gott sei Dank doch nicht dieser Griessbühl, so fleißig er auch war, sondern irgendein erfahrener Beamter, den man aus einem anderen Ort hierher versetzen würde, obwohl, wie er gleichzeitig wieder zugab, das Gehalt eine Versetzung kaum lohnte.
»Ich komm’ ja«, antwortete Griessbühl, ging in das andere Zimmer und sah auf seine Akten mit einem Ausdruck, als bedauere er es, sich davon trennen zu müssen, und sei es nur für eine Nacht. Immerhin packte er sie mit raschen Griffen zusammen und verschloss sie in der Schublade.
Groll wartete immer noch an der Tür, und als Griessbühl seinen Mantel anzog, bemerkte er knurrend und ungnädig: »Ein Kriminalbeamter sollte so unauffällig wie möglich ausseh'n! Müssen Sie denn so einen modischen Frack tragen?«
Griessbühl lächelte verzeihend und strich liebevoll mit der linken Handfläche über den olivfarbenen Wildledermantel.
»Geschenkt ist geschenkt!«, sagte er, und: »Ich schieß’ den Hirsch nicht im wilden Forst!«
Groll wusste, dass diese Antwort gezielt war, und schon wollte er irgendetwas von Böckeschießen erwidern, als er sich besann: Im Dienst war Griessbühl ganz brauchbar; so beschied er sich mit der boshaften Bemerkung: »Dass ausgerechnet Sie eine so freigebige Freundin haben, lieber Griessbühl!« Aber der »liebe Griessbühl« kümmerte sich darum nicht, er klemmte die Aktentasche unter den Arm und sagte: »Gehen wir!«
Da läutete das Telefon.
Griessbühl sah Groll fragend an.
»Ach, was!«, knurrte der. »Ich schlafe! Hat sich einer mit einem Strick erschossen! Nee! Ich schlafe und will mit solchem Popelmannskram nicht geweckt werden!«
Also ging Griessbühl ans Telefon. Er beugte den Oberkörper über die Schreibtischplatte, stützte sich mit den Ellenbogen auf, und in dieser bequemen Haltung – die ihm Groll bereits wieder übelnahm – horchte er auf die rasselnde Stimme. Nun bereute Groll doch, nicht selbst den Hörer genommen zu haben: Tatenlos musste er an der Tür stehenbleiben, wusste nicht, worum es ging, war auf die Mitteilungen des »Buben« – wie er ihn ebenfalls manchmal zu nennen beliebte – angewiesen. Ein unwürdiger Zustand.
Laut knurrte er: »Na, was ist denn?«
Aber Griessbühl beachtete ihn nicht. Er sagte in die Muschel: »Moment mal, Moment! Ich muss mir das notieren. Warten Sie!« Er legte den Hörer auf die Tischplatte, sah sich nach Papier und Bleistift um, bekam verzweifelte Augen, weil alles säuberlich weggeräumt war, musste schließlich eine Schublade nochmals öffnen und ihr beides entnehmen.
Dann ging er wieder zum Telefon, klemmte den Hörer mit der Schulter ans Ohr und sagte: »Noch mal! Den ganzen Film von vorn!«
Groll knurrte wieder: Welche Ausdrücke diese jungen Leute hatten! Er horchte noch einen Augenblick hin; aber da er nichts verstehen konnte, tat er, als wollte er nichts verstehen, griff seinen Hut vom Haken und setzte ihn auf.
Seit Jahren besaß er diesen Filz mit dem niedrigen, eingedrückten Hutkopf und der zart gewellten Krempe, diesen ehemals vornehmen Sombrero, der allerdings stark gelitten hatte, verwittert war und über dem Band einen dunkleren Schweißrand aufwies; trotzdem geriet Groll jedes Mal in Spannung, wenn er ihn aufsetzte, weil er nur durch Erproben und Hin- und Herrücken festzustellen vermöchte, welche Seite nach vom gehörte, und auch dann war er seiner Sache nie ganz sicher. Er brachte es nicht übers Herz, sich davon zu trennen; er war ein Chapeaumane von reinstem Geblüt. Früher hatte er verschlissene Hüte in der Eisenbahn liegengelassen, und er hatte sie auf diese gröbliche Weise von seinem Herzen gerissen; jetzt fuhr er nur mit dem Auto, und er verfluchte die Gewissenhaftigkeit der Chauffeure, deren »Ihr Hut, Herr Kriminalkommissar!« den alten Deckel wie mit Leim auf seinen nackten Schädel klebte. Er erwachte aus seiner Versunkenheit erst durch jene Redensart »Schiet am Bein!«, die Griessbühl benutzte, wenn sich etwas Unangenehmes ankündigte.
Groll sah zu ihm hinüber.
Griessbühl stand am Schreibtisch; aber den Hörer hatte er aufgelegt. In seiner Hand hielt er einen Zettel, bedeckt mit Notizen, Griessbühl starrte darauf, als wäre es nicht seine eigene, sondern eine fremde Schrift, die er entziffern müsste.
»Was immer es ist, Herr Griessbühl«, sagte Groll vorsichtig und zurückhaltend, »ich bin müde und gehe schlafen. Mag es stinken, soviel es will; morgen ist auch noch ein Tag, und der Gestank wird nicht aufhören, glauben Sie einem alten Manne!«
»Mag sein«, erwiderte Griessbühl und starrte verdächtig interessiert auf seine Notizen, »ich fürchte trotzdem, wir müssen uns jenen Mann ansehen.«
»Welchen Mann?«, fragte Groll misstrauisch.
»Den Mörder«, erwiderte Griessbühl und sah den Kriminalkommissar freundlich an.
»Den Mörder?«, fragte Groll erstaunt. »Ja, was denn, haben sie ihn schon?« Er fügte beinahe empört hinzu: »Eigentlich ist es doch unsere Sache, den Mörder zu finden.«
»Ich hatte ihn eben an der Strippe«, erklärte Griessbühl, »er hat selbst hier angerufen, dass er einen erschossen hat und wo und wen und dass er uns jetzt erwartet!«
»Zum Teufel«, knurrte Groll und ging nun doch einige Schritte von der Tür weg zu dem Schreibtisch hin. »So etwas gibt es gar nicht! Das hat ja Seltenheitswert!« Er dachte nach, schüttelte den Kopf und sagte entschieden: »Nein! Da hält uns einer zum Narren!«
Griessbühl kümmerte das Murren nicht; er kannte diese Angewohnheit, die dem Kriminalkommissar jene Karriere verbaut hatte, die er eigentlich verdient gehabt hätte. Er sah auf seinen Zettel und sagte scheinbar zusammenhanglos: »Aber wie kommen wir jetzt dorthin?«
»Wohin?«, fragte Groll empört.
»Nach Berneck«, erwiderte Griessbühl. »Auf einen Dienstwagen sollten wir um Mitternacht verzichten. Also müssen Sie sich mir anvertrauen, Herr Kriminalkommissar!«
Groll sah den jungen Mann mit gespieltem Entsetzen an; er wusste natürlich, dass ihm ein Dienstwagen zur Verfügung stand, er wusste aber auch, dass Griessbühl ein inniges Vergnügen empfinden würde, ihn mit seinem eigenen kleinen, ekelhaft bunt gestrichenen, auffallenden Gefährt auf eine unziemlich waghalsige Art zu befördern.
Und da er trotz seines bitteren Berufes im tiefsten Innern ein Spaßvogel war, spielte er mit. »Fahren wir also«, sagte er und rückte wieder an seinem Sombrero.
»Übrigens«, bemerkte er, als Griessbühl ihm die Tür öffnen wollte, »sollten wir zweckmäßigerweise die Ortspolizei verständigen. Die sollen die Mordkommission zusammenrufen und den Tatort sichern:« Er sagte müde: »Es sollen schon Ermordete abhandengekommen sein...«
Wenige Minuten später sah Griessbühl ihn, den Hörer am Ohr, verblüfft an, deckte die Sprechmuschel mit der Hand zu und sagte erstaunt: »Haben die schon veranlasst, Herr Kriminalkommissar. Die hatten soeben auch einen Anruf!«
»Na«, antwortete Groll, »das ist mir ein gründlicher Mörder. Wollen wir uns den Mann mal ansehen!«
2.
Auf dieser Fahrt spürte Groll wieder, dass er alterte. Seine Müdigkeit war groß; er ertappte sich einige Male dabei, dass er einnickte.
Trotzdem fühlte er sich wohl; diese Strecke der Autobahn nördlich nach Hof war noch nicht ein so wildes Getümmel von Warnfeuern und Leuchthupen, ließ noch etwas ahnen von dem angenehmen Eingebettetsein in Wälder und Hügel, und obwohl der strähnige Regen den Blick verkürzte, sah Groll tief in diese herbe Gebirgslandschaft hinein, so oft hatte er sie in den Jahrzehnten seines Dienstes durchfahren.
Bei der Abfahrt Grafenwöhr war die Autobahn gesperrt; Griessbühl fuhr unmutig die 85 hinunter und dann wieder in spitzem Winkel die 2 hinauf.
Groll sagte wehmütig: »Dass die jungen Leute immer rasen müssen, mit wahrer Gier schlingen sie die Autobahn in sich hinein! So eine nächtliche Fahrt die Zwei entlang, durch Bayreuth hindurch, bis Berneck hinein... Allein das Stück an der Pegnitz entlang...« Er sah mit scheelem Blick auf die Tachonadel, lächelte breit und fügte hinzu: »Aber schneller als sechzig ist da nichts zu machen!«
In diesem Augenblick hatte Griessbühl die Autobahn wieder erreicht, mit quietschenden Reifen nahm er die Auffahrt samt ihren höllisch blinkenden Warnfeuern, schlug sich an drei hintereinander donnernden Lastzügen vorüber, sah mit Behagen die Tachonadel die Hundert übersteigen und sagte zu dem erschreckten Kriminalkommissar: »Nur, dass Sie auf dem anderen Wege eine Stunde verlieren können!«
Groll sagte nichts, versuchte sich zu beruhigen, und als er sich wieder gelassen fühlte und die sittsam niedergeschlagenen Scheinwerferaugen der Laster im Dampf des Regens weit hinten zu ertrinken begannen, erwiderte er: »Na, und was haben Sie gewonnen, wenn Sie die eine Stunde nicht verlieren?«
Doch Griessbühl war weit davon entfernt, sich mit philosophischen Erörterungen abzugeben; er versuchte zu verhindern, dass sein farbenfrohes Gefährt von einem lautlosen Mercedes überholt wurde, der sich von hinten heranschob. Tatsächlich gelang es ihm, talab seinem krachenden Gerümpel eine unwahrscheinliche Geschwindigkeit abzuzwingen, aber hangauf musste er den Wettlauf verlieren, und der Mercedes warf mit verächtlichen Hinterläufen eine Schmutzwoge über ihn, die die Windschutzscheibe blind machte.
Griessbühl betätigte leise und heftig fluchend die Scheibenwischer.
Groll grinste und sagte: »Sozialprestige! Die Partie wäre verloren.«
Das war zehn Kilometer vor dem Abzweig Bad Berneck.
Hier lächelte Griessbühl wieder; denn als er den Wagen sanft an die Tankstelle rollen ließ, stand da der Mercedes. Er war stumm. Die Tür beim Fahrersitz war geöffnet.
In seinem blauen Monteuranzug wartete der Tankwart und schaute neugierig, geduldig und mit leisem Spott einem Mann zu, von dem nur die Beine sichtbar waren, weil er nervös in seinem Wagen herumsuchte. Griessbühl hupte.
Der Fremde fuhr aus dem Wagen und starrte sekundenlang herüber, ehe er wieder untertauchte. Groll behielt die dünne rote Mähne, die der Wind zauste, über einem schmalen Gesicht mit dünnen Lippen in Erinnerung.
Griessbühl stieg aus und stelzte steif zu dem Mercedes hinüber.
»Was ist denn los?«, fragte er.
»Der Herr sucht sein Geld«, erwiderte der Tankwart spöttisch.
»Lustiger Wagen«, fuhr er fort und nickte zu Griessbühls buntem Vehikel hinüber.
Griessbühl lächelte und kniff die Augen zusammen. »Wette«, sagte er, »dass Sie die meisten Autofahrer für ein bisschen wahnsinnig halten!« Er nickte vielsagend zu dem Rothaarigen hin, der immer noch wie eine Ente in seinem Wagen gründelte, und setzte hinzu: »Nicht nur mich!«
Der Tankwart zog an seinem Ohrläppchen und erwiderte diplomatisch: »Wenn man’s so nimmt...«
Der langweilige Nachtdienst machte ihn gesprächig; er sagte:-»Manchmal muss man schon den Kopf schütteln. Heute kam einer von meinen Kunden, der fährt immer nach Berneck hinüber, und macht ein Feuerwerk, nur weil eine Verschlusskappe fehlt und ich ihn darauf aufmerksam mache. Ein Zehnpfennigartikel, na ja...«, er rieb die Hände umeinander, es war kühl, »zugegeben, wer lässt sich schon von einem Fünfziger rausgeben, und daraus machen manche einen Nebenverdienst. So eine Verschlusskappe ist schnell weggesteckt, aber sie fehlte wirklich.«
Griessbühl langweilte die umständliche Erklärung. Doch er nickte. In diesem Augenblick drückte Groll auf die Hupe. Erschrocken fuhr der gründelnde Rotkopf wieder aus seinem Mercedes.
Griessbühl sagte: »Dann fahren Sie doch Ihren Wagen beiseite und blockieren Sie nicht die Tankstelle, um Himmels willen! Wir müssen möglichst rasch nach Berneck!«
Die rötlichen Haare bauschte der Wind hoch. Der Rothaarige erwiderte: »Nach Berneck? Muss ich doch ebenfalls!«
3.
Zum Erstaunen Griessbühls erwies sich, dass Groll sich in Berneck genau auskannte.
Nachdem er den Rest der Fahrt schweigsam gewesen war, erklärte er kurz vor der Einfahrt in den Ort: »Sie fahren links ab, dort muss das Haus dieses Doktor Marahn stehen. Ich werde zunächst selbst mit ihm verhandeln. Sie fahren das Stückchen zurück, quer durch ganz Berneck. Passen Sie auf, Sie stoßen auf ein Stoppschild. Dort rechts hinunter, ziemlich weit hinaus, eine Kastanienallee entlang. Da finden Sie den Bungalow. Erlösen Sie unsere arme Ortspolizei, und machen Sie eine genaue Bestandsaufnahme.«
Später sah Griessbühl den Alten nach jenem Zaun gehen, der Regen strömte immer noch, und der Sombrero war in Sekunden dunkel vor Nässe.
Auf den Beifahrersitz gelehnt, hielt Griessbühl die Tür einen Spalt offen; er hörte Groll läuten und kurz danach den langgezogenen Summerton. Da zog er den Schlag zu und setzte den Wagen wieder in Bewegung.
Während der Kriminalkommissar, geduckt unter dem schüttenden Regen, am Rasen entlang aufwärtsstieg, dachte er, dass dies einer der seltenen klaren Fälle wäre; es würde wenig Mühe machen, den Hergang der Tat zu rekonstruieren, er würde es mit einem Manne zu tun haben, der zu einem Geständnis und Bekenntnis bereit wäre, und vermutlich würden auch die Tatmotive offen zutage liegen.
Noch bevor er die Eingangstür erreicht hatte, wurde sie geöffnet; er erkannte eine weibliche Gestalt, die ihn reglos erwartete. Um diese da würde es vermutlich gegangen sein, dachte er, seufzte lautlos und beeilte sich nicht.
Groll grüßte, zog den Sombrero und schüttelte sorgfältig das Wasser von dem Hut. Dann trat er ein. Als er den Mantel ablegte, bemerkte er an der Garderobe einen feuchten Trenchcoat. Aus den Augenwinkeln musterte er im Spiegel die Frau, die stumm seitlich von ihm wartete; sie war ihm angenehm, obwohl sie blass und verweint aussah. Er dachte, dass sie sicher ein reizvoller und ein bisschen verspielter Partner sein mochte. Aber einen Mord, dachte er, ist das doch weiß Gott nicht wert!
Sie führte Groll in das Wohnzimmer, in dem sie Stunden zuvor von ihrem Mann über den Mord unterrichtet worden war. In diesen Stunden hatte sich für diese beiden Menschen die Welt bewegt;
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Werner Steinberg/Apex-Verlag/Successor of Werner Steinberg.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 19.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8326-8
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