BILL KNOX
Der Köder
Roman
Apex Crime, Band 226
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER KÖDER
Vorspiel
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Das Buch
Durch den Tod eines Rauschgift-Kuriers erhält die schottische Sonderabteilung zur Bekämpfung von Verbrechen den ersten Hinweis auf ein illegales Rauschgiftlabor. Colin Thane, frischgebackener Detective Superintendent, arbeitet für diese Eliteabteilung und jagt eine anonyme Bande, deren Spur in die einsamen Hügel im Norden von Schottland führt...
Der Roman Der Köder von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1978; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1980 (unter dem Titel Whisky macht das Kraut nicht fett).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
DER KÖDER
Vorspiel
Der Mann im eleganten dunkelblauen Anzug und mit den sanften braunen Augen saß allein an einem Ecktisch in der gut besuchten Hotelbar. Er sprach mit niemandem, trank mit sichtlichem Genuss seinen echten Gersten Malzwhisky aus dem schottischen Hochland und wurde von den anderen kaum beachtet. Der Mann war seit ungefähr einer Stunde in der Bar und bereits bei seinem vierten Glas Whisky angelangt, wobei er jedes Mal nach sorgfältiger Prüfung des Angebots an der Bar eine andere Marke bestellt hatte.
Ab und zu schweifte sein Blick über die Gäste an den umliegenden Tischen. Außer der Tatsache, dass einige die Uniform einer Fluggesellschaft trugen, interessierten ihn die Leute kaum. Sie erinnerten ihn lediglich daran, dass der Flugplatz nur wenige Auto-Minuten vom Hotel entfernt lag.
Morgen würde er zu Hause sein. Dort wartete das Geld, das er bei Ablieferung der Ware erhalten sollte. Was danach passierte, ging ihn nichts mehr an.
Der Fremde trank erneut einen Schluck Whisky. Es handelte sich diesmal um die Marke Auchentoshan, einen der vielen unvermischten Malzwhiskys aus dem Hochland, die er in den vergangenen Tagen entdeckt hatte. Der Genuss dieser Whiskysorten war mit das Beste, was man in Schottland erleben konnte. Falls er einmal wiederkommen sollte...
In diesem Moment flog die Tür auf und neue Gäste in Uniform strömten herein. Er spannte unwillkürlich die Muskeln, lehnte sich jedoch erleichtert auf seinem Stuhl zurück, als er erkannte, dass die Neuankömmlinge ebenfalls Angehörige einer Fluggesellschaft waren. Die drei Männer und zwei Stewardessen der Swissair gingen geradewegs zu dem Tisch der K. L. M.-Crew und setzten sich.
Eines der Mädchen war groß, schlank und rothaarig. Als sie sich von einem Mitglied der K. L. M.-Crew Feuer geben ließ, trafen sich die Blicke der beiden, aber sie schenkte ihm weiter keine Beachtung.
Der Mann im dunkelblauen Anzug seufzte leise. Die solide Unauffälligkeit seiner Erscheinung war sein bestes Betriebskapital.
Er wandte den Blick von der Rothaarigen ab, trank sein Glas aus und sah auf die Uhr. Es war spät geworden, und er musste früh aufstehen, um am nächsten Morgen rechtzeitig zum Flugplatz zu kommen. Außerdem hatte er die Gewohnheit, vor dem Schlafengehen noch einen Spaziergang zu machen.
Schließlich stand er auf, nickte dem Barkeeper zum Abschied freundlich zu und ging. In der Hotelhalle blieb er einen Moment zögernd stehen und überlegte, ob er seinen Mantel aus dem Zimmer holen sollte. Dann trat er jedoch achselzuckend durch die Drehtür ins Freie.
Sein Atem bildete in der kühlen Nachtluft weiße Schwaden. Nach den vier Gläsern Whisky fühlte er sich wohlig warm und zufrieden. Als er das Ende der Hotelauffahrt erreicht hatte, bog er nach rechts in die Hauptstraße ein. Bei seiner Ankunft hatte er eine Brücke gesehen, die in der Nähe über den Fluss führte. Bis dorthin und zurück wollte er gehen.
Mit den Armen schlenkernd und eine Melodie vor sich hin summend ging er am Straßenrand weiter. Ab und zu fuhr ein Wagen vorbei und tauchte ihn in das grelle Licht der Scheinwerfer. Dann sah er hinter einer Kurve im fahlen Mondlicht bereits die schwarze Silhouette der Brücke vor sich. Darunter glitzerten der Fluss und einige Positionslichter, die vermutlich zu einem kleinen Boot gehörten.
Das Boot interessierte ihn. Und da er annahm, dass er es von der gegenüberliegenden Straßenseite aus besser sehen konnte, ließ er einen Lastwagen passieren und überquerte die Straße. Er hatte gerade die Straßenmitte erreicht, als er einen Wagen um die Kurve kommen hörte. Das Auto fuhr schnell, zu schnell, und er sah sich hastig um.
In den wenigen Sekunden, die dem Mann im dunkelblauen Anzug noch blieben, konnte er gerade noch erkennen, dass der Wagen schleuderte und geradewegs auf ihn zuraste.
Das letzte, was er außer den grellen Scheinwerfern sah, waren zwei weiße Gesichter hinter der Windschutzscheibe, die ihn wie hypnotisiert anstarrten. Dann wurde er vom Wagen erfasst und durch die Luft geschleudert. Er schlug krachend auf das Autodach, bevor er auf die Straße zurückfiel.
Der Wagen schleuderte gefährlich, prallte gegen die Leitplanke, wobei das Glas eines Scheinwerfers zerbrach, und holperte über den Randstreifen. Irgendwie kam er dann auf die Straße zurück. Einen Moment lang sah es so aus, als würde das Auto anhalten, dann heulte jedoch der Motor auf, und die roten Rücklichter waren kurz darauf hinter der nächsten Kurve verschwunden.
Zwei Minuten später erschien ein anderer Wagen. Seine Scheinwerfer erfassten die unnatürlich verrenkte Gestalt auf der Straße, und der Fahrer hielt an. Er trug einen Smoking, und seine Frau war im langen Abendkleid. Sie stiegen aus und stellten fest, dass der Mann in der Blutlache auf der Straße noch lebte.
Der Fahrer zögerte. Er dachte daran, wieviel er getrunken hatte, und dass er einen Alkoholtest nicht unbeschadet überstehen würde. Schließlich wies er seine Frau an, zu behaupten, sie hätte den Wagen gefahren, sah ein anderes Auto näher kommen und hielt es an. Es war ein Service-Wagen vom Flugplatz und hatte ein Funkgerät. Der Fahrer des Kleinbusses rief sofort die Polizei und den Krankenwagen.
Der Mann im blauen Anzug starb, als die Funkmeldung bestätigt wurde.
Drei Kilometer weiter kam ein beschädigter Wagen auf einem Schuttabladeplatz vor einer Stadt zum Stehen.
Zwei fünfzehn Jahre alte Jungen stolperten heraus und rannten davon. Sie hatten den Wagen auf einem Parkplatz in der Stadt gestohlen, nachdem sie ihren letzten Bus verpasst hatten.
Zwanzig Minuten später hatten sie ihre Straße erreicht. Sie waren noch viel zu schockiert und verängstigt um zu reden, und wurden in den folgenden Wochen jedes Mal von blindem Entsetzen gepackt, wenn sie eine Polizeiuniform sahen.
Aber sie wurden nie gefasst.
Erstes Kapitel
Es war Dienstag und ein typischer kalter und klarer schottischer Herbstmorgen. Auf den Dächern der kleinen Bungalows in der schmalen Vorortstraße lag Reif. Doch als er sich rasiert hatte und sich prüfend im Spiegel betrachtete, wusste Chefinspektor Colin Thane, Chef der Millside Division von der Glasgower Kriminalpolizei, dass das klamme Gefühl in Händen und Füßen nichts mit der kalten Witterung zu tun hatte.
Colin Thane hatte bei der Glasgower Polizei als einfacher Streifenpolizist angefangen und sich in verhältnismäßig kurzer Zeit durch harten persönlichen Einsatz zum Chefinspektor hochgearbeitet. Er war ein großer Mann mit grauen Augen, dichtem, schwarzem Haar und einem gutgeschnittenen, freundlichen Gesicht. Er hatte noch immer die muskulöse Figur des jugendlichen Amateurboxers, der er gewesen war. Seit damals hatte er viel gelernt... Unter anderem auch, wie man bei einem reichlich unorthodoxen Kampf in dunklen Hinterhöfen überlebt.
Aber jetzt stand ihm anderes bevor.
In mancher Beziehung war es jedoch ein völlig normaler Morgen. Seine Frau Mary war bereits unten in der Küche und machte das Frühstück für die Kinder. Tommy und Kate verursachten das übliche Durcheinander, als sie gleichzeitig zu frühstücken und ihre Schulbücher zu finden versuchten.
Außergewöhnlich war nur, dass Mary Thane ihrem Mann an diesem Morgen seinen besten grauen Flanellanzug mit einem sauberen weißen Hemd und einer Seidenkrawatte zurechtgelegt hatte.
Es war Beförderungstag. Thane lächelte humorlos, als er die Krawatte band, das Jackett anzog und seine üblichen Utensilien in die Taschen steckte.
Auf dem Programm stand, dass er an diesem Morgen direkt ins Polizeipräsidium fuhr, und wenn er dort wieder herauskam, war er Detective Superintendent Thane. Mit zweiundvierzig Superintendent zu werden, war eine reife Leistung. Die Beförderung bedeutete auch mehr Geld, das er gut gebrauchen konnte.
Allerdings bedeutete es auch, dass er nicht mehr zur Millside Division zurückkehren würde. Alles, was man ihm gesagt hatte, war, dass er versetzt werden würde. Mehr hatte er nicht herausbekommen. Seine berufliche Zukunft lag also völlig im ungewissen.
In wenigen Stunden hatte er sicher das Schlimmste überstanden. Thane warf einen letzten Blick auf sein Spiegelbild und lief dann hinunter. Clyde, der Boxerhund der Familie, lag ausgestreckt auf dem Treppenabsatz, und Thane musste über ihn hinwegsteigen. Der Hund sah kurz auf, wedelte mit dem Stummelschwanz und schlief dann weiter.
Am Frühstückstisch war gerade ein lautstarker Streit zwischen den beiden Kindern entbrannt, dann gingen sie zur Schule. Mary sank stöhnend auf einen Stuhl neben Thane, und sie genossen in Ruhe noch eine Tasse Kaffee und eine Zigarette, bis vor dem Haus das Hupzeichen ertönte.
Mary, eine schlanke, dunkelhaarige und hübsche Frau, brachte ihn zur Tür. Sie konnte noch dieselbe Kleidergröße tragen wie vor ihrer Ehe mit Thane, und sie beklagte sich manchmal darüber, dass es auch noch dieselben Kleider waren.
»Viel Glück«, wünschte sie ihm lächelnd, rückte seine Krawatte zurecht und küsste ihn. »Mach ein freundlicheres Gesicht... und richte Phil viele Grüße von mir aus... falls du ihn besuchst.«
Thane nickte geistesabwesend. Inspektor Phil Moss, der während seiner Zeit bei der Millside Division seine rechte Hand gewesen war, lag im Krankenhaus und erholte sich von einer Magenoperation. Sobald er wieder den Dienst antreten konnte, sollte er ebenfalls versetzt werden, wusste jedoch auch noch nicht, wohin.
Colin Thane ging durch den kleinen Vorgarten und blieb erstaunt auf dem Gehsteig stehen. Der Streifenwagen der Millside Division war frisch gewaschen und glänzte wie nie, und sein Fahrer hielt Thane den Schlag auf und grüßte zum ersten Mal seit Jahren vorschriftsmäßig.
Kaum waren sie abgefahren, merkte Thane, dass sie nicht auf direktem Weg in die Innenstadt zum Präsidium fuhren, sondern einen ziemlichen Umweg machten. Auf der Strecke schien rein zufällig an fast jeder Kreuzung oder Straßenecke ein Streifenwagen zu stehen, der durch Hup- oder Lichtzeichen Thane begrüßte. Am zufriedenen Grinsen des Fahrers erkannte Thane, dass das alles sorgfältig arrangiert worden war.
Thane war beinahe gerührt, ließ sich jedoch nichts anmerken, und lehnte sich in die Polster zurück, als sie den Millside-Distrikt verließen und das Geschäftszentrum von Glasgow mit seinen vielen Bürohochhäusern begann.
Er würde den Millside Distrikt vermissen. Millside war das große, hässliche Hafen-Viertel am Fluss Clyde, mit Slums, Fabriken und einem reizvollen, alten Randbezirk. Der Distrikt hatte eine so hohe Verbrechensrate, dass die städtische Planungskommission das ganze Viertel am liebsten im Meer versenkt hätte. Trotzdem war es Thane im Laufe der Jahre richtig ans Herz gewachsen.
Was hatten die Leute im Präsidium also mit ihm vor?
Thane war noch immer zu keinem vernünftigen Schluss gekommen, als der Streifenwagen vor dem Hauptportal des Präsidiums anhielt. Thane stieg aus, und der Wagen fuhr davon.
Chefinspektor Thane holte tief Luft, betrachtete die hohe Backsteinfassade des Hauptquartiers der größten Polizeitruppe Englands nach der Londoner Metropolitan Police und trat dann durch eine breite Glastür in die Eingangshalle.
Einer der jungen Polizeikadetten, die dort Dienst taten, führte Thane zum Lift, und dieser trug ihn in das oberste Stockwerk hinauf, in dem das Allerheiligste, das Büro des Polizeichefs, lag.
Im Vorzimmer stellte sich Thane ans Ende der langen Schlange wartender Beamter und Beamtinnen, die ebenfalls befördert werden sollten.
Einer nach dem anderen verschwand durch die gepolsterte Tür und kam wenige Minuten später wieder hinaus. Schließlich war Thane an der Reihe. Ein uniformierter Beamter führte ihn in das geräumige, spärlich möblierte Büro des Polizeichefs. Der hagere Mann mit der sanften Stimme hinter dem Schreibtisch stand auf, schüttelte Thane die Hand, gratulierte ihm knapp, verstummte und musterte Thane einen Moment nachdenklich aus seinen stahlblauen Augen.
»Ich kenne Ihre Akte genau, Detective Superintendent.« Es war das erste Mal, dass jemand Thane mit diesem Titel ansprach, der noch sehr fremd klang. »Und ich habe, offen gestanden, den Eindruck, als könnte sich die Verwaltungstätigkeit in der Millside Division nur noch verbessern.«
»Ja, Sir«, murmelte Thane mit ausdrucksloser Miene.
»Wir brauchen eben Leute mit den verschiedensten Fähigkeiten.« Der Polizeichef lächelte. »Zum Glück haben wir eine große Auswahl. Ich glaube, inzwischen wartet draußen bereits ein Herr auf Sie.«
Damit war die Unterredung beendet. Thane ging hinaus und stieß an der Tür beinahe mit einem Sergeant zusammen, der als nächster an der Reihe war. Kurz darauf im Korridor legte sich plötzlich eine schwere Hand auf seine Schulter.
»Tja, jetzt haben Sie’s also geschafft!«, erklärte eine fröhliche Stimme. William Ilford, genannt Buddha, der stellvertretende Polizeichef stand breitbeinig vor ihm. Er war ein großer, fülliger Mann, der keine Förmlichkeiten liebte und ein sehr tatkräftiger, entscheidungsfreudiger Beamter war. Ilford musterte Thane prüfend. »Tja, was machen wir denn mit einem frischgebackenen Detective Superintendent? Wie wär’s mit ’nem ruhigen netten Lehrauftrag an einer Polizeischule?«
»Sind Sie in letzter Zeit mal in einer solchen Schule gewesen? Ich glaube, ich könnte das Tempo nicht mehr mithalten, Sir.« Thane seufzte. »Trotzdem... vielleicht kommt es nur auf einen Versuch an... Ich habe das Gefühl, als hätte man mich ’ne Weile auf Eis gelegt.«
»Stimmt.« Ilford runzelte die Stirn. »Aber das hat seinen Grund. Deshalb bin ich hier.«
Ilford machte Thane ein Zeichen, ihm zu folgen. Kurz darauf betraten sie Ilfords unordentliches Büro. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere und Akten, und an den Wänden hingen reihenweise Fotos, jedes einzelne ein Markstein in Ilfords Karriere bei der Polizei. In der Mitte des Zimmers stand ein mittelgroßer, grauhaariger Mann im eleganten Flanellanzug; er schien in die Betrachtung eines Fotos vertieft zu sein. Als Ilford die Tür schloss, drehte sich der Mann um.
»Ah, Sie haben ihn also gleich mitgebracht.« Der grauhaarige Mann humpelte ein paar Schritte auf Thane zu. »Gratuliere, Superintendent. Sie erinnern sich vermutlich nicht mehr an mich.«
Doch Thane erinnerte sich sogar sehr gut. Der Mann hieß Tom Maxwell, und er hatte drei Jahre zuvor mit ihm zusammen das Versteck einer Bande von Bankräubern in der Nähe von Glasgow ausgehoben. Maxwell war damals bei der Landpolizei und ein ausgebildeter Scharfschütze gewesen. Bei der Aktion gegen die Bankräuber war er bei einer Verfolgungsjagd vom Dach einer Farm gestürzt und hatte sich so schwer am Bein verletzt, dass er seitdem hinkte.
»Detective Superintendent Maxwell«, stellte Ilford lakonisch vor. »Er ist stellvertretender Kommandeur der schottischen Spezialeinheit für Verbrechensbekämpfung, kurz das Crime Squad genannt. Sie arbeiten mit und für ihn, Colin.« Er sah grinsend zu Maxwell. »Tom, von jetzt an ist er Ihr Problem.«
Thane starrte verdutzt von einem zum anderen.
»Tut mir leid, dass wir Sie nicht schon früher einweihen konnten«, sagte Maxwell. »Aber wir hatten Probleme mit unserem Etat. Wir bekommen unser Geld von der Regierung in London, und es sah so aus, als müssten wir nur zwischen einer neuen Kaffeemaschine und Ihnen entscheiden. Aber der Chef wollte Sie, und hat deshalb denen in London Dampf gemacht.« Er zuckte mit den Schultern. »Gestern haben wir die Zustimmung der Regierung bekommen.«
»Das freut mich«, murmelte Thane lahm.
Er hatte mehr Glück gehabt, als er zu hoffen gewagt hatte. Das schottische Crime Squad (oder kurz S.C.S. genannt) war eine kleine Einheit ausgesuchter Polizeibeamter, die völlig unabhängig arbeiten konnte und sich nur mit wichtigen, schwerwiegenden Fällen beschäftigte. Eine Stelle beim S.C.S. war das, was sich die meisten Kriminalbeamten erträumten.
Ilford schenkte drei Gläser Whisky ein. »Vorläufig sind Sie von der Glasgower Polizei nur beurlaubt... bis sie beim Crime Squad rausgeworfen werden oder wir Sie zurückfordern.« Er gab jedem ein Glas Whisky. »Trinken wir auf das Verbrechen.«
»Damit wir immer Arbeit haben«, murmelte Thane und trank vorsichtig einen Schluck Whisky. »Wann fange ich beim S.C.S. an?«
»Morgen«, antwortete Maxwell prompt, sah zu Ilford, und als dieser zustimmend nickte, fuhr er fort: »Wir werden Sie sofort einsetzen, weil wir einen Fall haben, der keinen Aufschub duldet.«
»Sie erklären ihm am besten gleich, worum es geht«, forderte Ilford Maxwell auf.
Maxwell nickte und trank einen Schluck Whisky. »Vor zwei Tagen ist nachts ein Däne namens Carl Pender bei einem Unfall mit Fahrerflucht in der Nähe des Glasgower Flugplatzes getötet worden. Der Wagen war gestohlen und ist von den Tätern später einfach wieder abgestellt worden.«
»Vermutlich sind es Jugendliche gewesen«, warf Ilford mürrisch ein. »Man hat zwei Bürschchen in der Nähe des Parkplatzes herumschleichen sehen, wo der Wagen gestohlen wurde. Sie haben die Zündung einfach kurzgeschlossen... So was lernen sie ja heutzutage schon in der Schule.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir haben kaum eine Chance, sie zu schnappen, aber die örtliche Verkehrspolizei ist sicher, dass es ein Unfall gewesen ist.«
»Dann interessieren wir uns also für diesen Pender?«, erkundigte sich Thane.
»Ja«, antwortete Maxwell. »Er ist ungefähr eine Woche in Schottland gewesen... angeblich als Tourist. Er sollte am nächsten Morgen nach Kopenhagen zurückfliegen.« Maxwell nippte wieder an seinem Glas. »Alles, was wir über Penders einwöchigen Aufenthalt in Schottland wissen, ist, dass er bei einer Mietwagenfirma am Flugplatz ein Auto gemietet hatte, das er am Nachmittag vor seinem Tod zurückbrachte. Anschließend nahm er im Shennan-Hotel ein Zimmer.«
»Also wie ein ganz normaler Tourist?« Thane hob erstaunt eine Augenbraue.
»So sah es zuerst aus«, sagte Maxwell. »Dann aber hat einer der örtlichen Polizeibeamten, ein recht intelligenter Sergeant, Penders Habseligkeiten aus seinem Hotelzimmer geholt. Und dabei hat er zwei kleine Beutel mit einem weißen Pulver in einem Paar Socken gefunden, die er zur Analyse ins Labor brachte.«
Ilford nickte und stahl Maxwell die Pointe. »Der vorläufige Laborbericht besagt, dass es sich dabei um ein hochgradiges Amphetamin handelt. Für jeden Süchtigen ein prima Aufputschmittel, das mindestens zehn Pfund pro Gramm wert ist.«
Thane sah Maxwell abwartend an. Er wusste, dass noch mehr kommen musste, denn bisher klang das alles eher nach einem Routinefall für das Rauschgiftdezernat.
»Daraufhin haben wir diesen Pender natürlich ein wenig genauer unter die Lupe genommen«, fuhr Maxwell fort. »In seinem Pass steht als Berufsbezeichnung Buchhändler. Bei der dänischen Polizei ist er als einer der wichtigsten Kuriere der europäischen Drogenszene bekannt. Und diesmal wussten unsere dänischen Kollegen nicht einmal, dass er sich im Ausland befand.«
»Hm, da wird dort drüben wohl jemand einen anständigen Rüffel bekommen«, murmelte Ilford.
Maxwell nickte. »Colin, falls unsere Vermutung stimmt, ist Penders Tod die Gelegenheit, auf die wir lange gewartet haben... und der Grund für einen Einsatz des S.C.S.« Maxwell leerte sein Glas und stellte es auf Ilfords Schreibtisch. »Wir nehmen an, dass Pender die beiden Säckchen mit Amphetamin irgendwo hier in Schottland bekommen hat, mit dem Auftrag, sie seinen Bossen in Kopenhagen oder irgendwo anders auf dem Kontinent zu überbringen.«
Thane sah völlig verwirrt zu Ilford hinüber. Aber Ilford betrachtete nur versonnen die Knöpfe seiner Weste und schwieg. Zu weiteren Erklärungen schien er nicht aufgelegt zu sein.
»Darf ich erfahren, warum Sie das vermuten?«, erkundigte sich Thane schließlich.
»Es existiert bereits eine Akte. Die gehört ab morgen Ihnen«, antwortete Maxwell aufreizend höflich und gelassen. »Sie werden sich an unsere Arbeitsweise vermutlich noch gewöhnen müssen, Colin. Manchmal besteht sie nur aus Warten, Beobachten... und irgendwann greifen wir dann mit vereinten Kräften ein. Wir vergleichen oft nur die Methoden einzelner Verbrechen in den verschiedenen Distrikten und stellen dabei Ähnlichkeiten fest, die den örtlichen Beamten meistens gar nicht auffallen.«
Ilford räusperte sich mürrisch, doch Maxwell ließ sich nicht beirren. »Ungefähr vor vier Monaten«, fuhr er fort, »kamen wir darauf, dass mehrere kleinere Raubüberfälle immer nach derselben Methode durchgeführt worden waren. Es handelte sich dabei um ein kleines Team, das Postfilialen in Vororten überfiel und nur Bargeld mitgehen ließ.« Maxwell zuckte mit den Achseln. »Keine der Polizeieinheiten, die jeweils mit dem Fall befasst war, konnte eine Spur hin zum Täterkreis entdecken. Dann hörten die Überfälle ebenso plötzlich wieder auf, wie sie begonnen hatten.«
»Ja, ich habe davon gehört«, warf Thane ein, der sich vage an Einzelheiten erinnerte. »Die haben wie Profis gearbeitet, aber...«
»...aber nichts deutete darauf hin, dass es sich um alte Bekannte handelte«, ergänzte Maxwell. »Ehrlich gesagt, haben sich meine Leute zuerst gar nicht für die Burschen interessiert. Insgesamt waren es nur sechs Überfälle, bei denen nicht mehr als zehntausend Pfund erbeutet worden waren... Also kleine Fische, dachten wir wenigstens.«
»Einer der Überfälle passierte im Einzugsbereich der Strathclyde Polizei«, meldete sich Ilford wieder zu Wort. »Um die Postbeamten einzuschüchtern, wurde dabei ein Schuss abgegeben. Wir konnten die Kugel sicherstellen. Sie stammte aus einer Neunmillimeter-Luger-Pistole.«
Maxwell grinste. »Das war praktisch der erste Hinweis auf die Täter. Ein paar Monate nachdem die Überfälle auf die Postämter auf gehört hatten, hatten wir dann wieder Glück. Diesmal war an einem Wochenende in ein Chemikalien-Lager in Edinburgh eingebrochen worden. Daran waren vier Männer beteiligt gewesen, die einen kleinen blauen Lastwagen eines unbekannten Fabrikats benutzt hatten.«
»Und jemand hat die Täter gesehen?«, warf Thane ein.
»Ja, ein Nachtwächter, den die Burschen ins Bein geschossen haben.« Maxwell lächelte humorlos. »Wollen Sie raten, welches Kaliber die Kugel hatte?«
»Stammte sie vielleicht aus einer Neunmillimeter-Luger?«
Maxwell nickte. »Es war dieselbe Waffe wie beim Überfall auf das Postamt. Die Burschen haben sich ziemlich viel Mühe gemacht, das gesamte Lager zu verwüsten, und sind dann mit mehreren Kanistern voller Industriechemikalien verschwunden. Sie haben wirklich alles versucht, um den Anschein zu erwecken, als hätten sie völlig planlos alles mitgehen lassen, was ihnen in die Hände gefallen ist. Aber unter den gestohlenen Chemikalien befanden sich sämtliche Rohstoffe, die zur Herstellung von Amphetaminen benötigt werden. Verstehen Sie jetzt, worum es sich handelt?«
Thane nickte nachdenklich. Es passte alles zusammen. Durch die kleinen Überfälle hatten sich die Burschen das Grundkapital und beim Einbruch in das Chemielager die Rohstoffe beschafft. Und dann war da noch Carl Pender. Das Interesse des Scottish Crime Squad war also durchaus gerechtfertigt. Es war schließlich sehr wahrscheinlich, dass Carl Pender nach Schottland gekommen war, um sich Proben der ersten Amphetaminproduktion für ein europäisches Rauschgiftsyndikat zu besorgen, das später größere Mengen des Suchtmittels in Schottland einkaufen wollte.
»Wie lange dauert es noch, bis die Labortests fertig sind?«, fragte Thane ruhig.
»Mindestens vierundzwanzig Stunden.« Maxwell sah auf die Uhr. »Vielen Dank, dass Sie uns diese Unterredung ermöglicht haben, Sir«, wandte er sich dann an Ilford. »Wir sehen uns dann morgen«, sagte er lächelnd zu Thane. »Sie wissen ja, wo wir zu finden sind. Können Sie um neun Uhr dort sein?«
Thane nickte.
Maxwell humpelte quer durchs Zimmer und ging hinaus. Als sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte, kicherte Ilford unterdrückt und ließ sich dann schwerfällig hinter seinem Schreibtisch nieder.
»Setzen Sie sich und trinken Sie Ihren Whisky aus«, forderte er Thane auf und begann eine Pfeife zu stopfen. »Na, wie fühlen Sie sich jetzt?«, erkundigte er sich anschließend.
»Ein wenig hilflos«, gestand Thane. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mich für das Crime Squad vorzuschlagen?«
»Das habe ich vergessen.« Ilford zündete seine Pfeife an. »Irgendwann habe ich mich mal mit dem Kommandeur unterhalten... Aber wenn Ihnen die Idee natürlich nicht gefällt...«
Thane grinste. »Es gibt Schlimmeres.«
»Finde ich auch«, stimmte Ilford grimmig zu. »Wenn ich denen die wenigen Vorzüge Ihres reichlich undiplomatischen Charakters nicht so gut verkauft hätte, hätten Sie das am eigenen Leib erfahren können. Führungskräfte haben wir bei der Polizei schließlich genug... Nur das brave Fußvolk ist Mangelware.« Seine Miene wurde ernst. »Es ist eine gute Chance für Sie, Colin. Es bringt Ihnen genau die Erfahrung ein, die für Sie wichtig ist, wenn Sie zu uns zurückkommen.«
Thane nickte nur, denn er wusste, dass Ilford nicht erwartete, dass er sich bei ihm bedankte. Er trank den letzten Schluck Whisky und stand auf.
»Wie ich höre, wird heute Abend eine Abschiedsparty für Sie veranstaltet, Colin«, sagte Ilford plötzlich. »Bestellen Sie den Jungs, dass eine Runde Schnaps auf meine Rechnung geht.« Er grinste. »Schade, dass Phil Moss nicht dabei sein kann. Wann ist er operiert worden?«
»Vor vier Tagen«, antwortete Thane. »Ich besuche ihn heute Nachmittag.«
»Moss ohne Magengeschwür...« Ilford schüttelte den Kopf. »Das ist ja mal was ganz Neues... Vielleicht wird er doch noch ein zivilisierter Mensch. Sagen Sie ihm, dass ich meine letzten Kröten zusammenkratze, um ihm ein paar Weintrauben zu bringen.«
»Das mache ich«, versprach Thane und ging zur Tür. Mit der Hand auf der Türklinke drehte er sich noch einmal zu Ilford um. »Ich werde mein Bestes geben.«
»Das würde ich Ihnen auch raten«, entgegnete Ilford trocken. »Ich habe mit Tom Maxwell zehn Pfund darauf gewettet, dass Sie die Burschen in ihrem Amphetaminlabor innerhalb von zwei Wochen ausgehoben haben werden... und das ist genau das Geld, das Sie und Ihre Leute heute Abend versaufen.«
Für die folgenden Stunden hatte Thane sich viel vorgenommen, aber zuerst rief er von einer Telefonzelle aus seine Frau an.
»Ich wusste, dass sie dir nicht irgendeinen langweiligen Verwaltungsposten geben würden«, antwortete Mary, nachdem Thane ihr von seiner Versetzung zum Crime Squad berichtet hatte. »Ich glaube, das ist genau das Richtige für dich.«
»Möglicherweise bin ich viel unterwegs«, warnte er sie. »Keine geregelte Arbeitszeit.«
»Wann hast du schon einmal eine geregelte Arbeitszeit gehabt?«, antwortete Mary. »Aber ich will mich nicht beklagen. Ich wusste schließlich, worauf ich mich einließ, als ich dich geheiratet habe.«
Thane musste unwillkürlich lächeln. »Alles Weitere erzähle ich dir, wenn ich heute Abend nach Hause komme.«
»Nach der Party?« Sie lachte. »Da bin ich längst im Bett. Und falls ich wach bleibe, bis du kommst, dann nicht, damit du mir von deiner Arbeit erzählst.«
Thane lachte, verabschiedete sich und hängte ein. Dann zündete er sich eine Zigarette an. Er wusste, was er als nächstes tun musste. Morgen bekam er die Akte des Scottish Crime Squad über den Fall. Und weil er dort ein Neuling war, konnte es kaum schaden, wenn er schon im Voraus ein paar Fleißaufgaben
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Bill Knox/Apex-Verlag. Published by arrangement with Shelley Morrison, Literary Agent.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Christine Frauendorf-Mössel (OT: Life Bait).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 18.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8313-8
Alle Rechte vorbehalten