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Leseprobe

 

 

 

 

STEPHEN GRAVE

 

 

MIAMI VICE 2:

Spiel um Rache

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SPIEL UM RACHE 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

 

Das Buch

Ihre Autos sind schnell und schnittig, ihre Kleidung ist teuer und entspricht der neuesten Mode, ihre Freundinnen sind attraktiv und sexy. Sie sind Polizisten – Polizisten in Zivil. Sie arbeiten im Untergrund... für Miami Vice. Ihr Rhythmus ist hart und gewalttätig wie das Leben auf den Straßen von Miami. Sie machen Jagd auf die Dealer, die großen und die kleinen, die eine friedliche Stadt blutrot färben...

Crockett und Tubbs, die Detectives von Miami Vice, setzen sich auf die Fährte von Gangsterboss Calderone, der Miami und seinen Gesetzen den Krieg erklärt hat – und der Tubbs' Bruder auf dem Gewissen hat...

 

MIAMI VICE – die legendäre TV-Crime-Serie (1984 – 1989) von Michael Mann hat wie kaum eine andere TV-Produktion das Bild der 1980er Jahre geprägt. Die Roman-Adaptionen von Stephen Grave fangen diese Atmosphäre und das düstere Neon-Noir-Feeling der Serie perfekt ein, die bis heute Kult-Status innehat.

Der Apex-Verlag veröffentlicht die Roman-Serie als durchgesehene Neu-Ausgabe.

  SPIEL UM RACHE

 

 

 

 

  

 

Für John Brillhart,

die besser aussehende Hälfte der Tom and John Comedy Hour 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vice: Moralische Abartigkeit oder Verdorbenheit, perverses Verhalten, das der Gesundheit oder der Leistungskraft schadet: sexuelle Unmoral, insbesondere Prostitution.

Vice Squad: Polizeieinheit, die damit beauftragt ist, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, die Glücksspiele, Pornographie, Prostitution und den illegalen Konsum von alkoholischen Getränken und Drogen betreffen.

 

 

 

 

 

  1.

 

 

 

Der Deal läuft wie geschmiert, dachte Esteban Barrencia, doch nervös, wie er war, überlegte er weiter: Oder etwa nicht? In einer Minute musste Rudolpho Mendez hier zu einer wichtigen Unterhaltung auftauchen; genauer gesagt: in zweiunddreißig Sekunden, wenn man sich an Barrencias Vierzehntausend-Dollar-Rolex hielt. Ihr Gesprächsthema würde sechzig Kilo chemisch reines, schneeweißes Nasenpulver sein, genug Kokain, um darauf Ski zu fahren. Glatt zwei Millionen vierhunderttausend Dollar wert; genug Stoff, um die hirnrissigen High Schoolers in New York bis ins nächste Jahrtausend zu versorgen. Barrencia wusste, dass Mendez versuchen würde, ihm die Daumenschrauben anzulegen und ihn auf einen Preis von einer Million neunhunderttausend, d. h., zweiunddreißigtausend für ein Kilo, runterzudrücken. Er war darauf eingestellt, bei vierunddreißigtau- send abzuschließen, das würde zwei Millionen einbringen, dazu vierzigtausend für die Unkosten. Das war sowieso leicht verdientes Geld, da. Barrencia gerade diese Partie importierten kolumbianischen Kokains schon eine beträchtliche Zeit festhielt.

Er schnüffelte selbstzufrieden und rieb sich seine großporige Nase mit dem Handrücken. Der Bursche, der ihm gegenüber im Fahrstuhl des Starliner Towers Hilton stand, tat so, als ob er nicht existiere, wie es die Art der meisten Leute im Fahrstuhl ist. Barrencia schob die Hände in die Tasche und musterte den Mann.

Er war vielleicht einsfünfundsiebzig groß und sah auf seine stille, intellektuelle Art ganz gut aus. Er trug eine bescheidene Cordjacke über einem pastellfarbenen Sporthemd, das am Hals offen war. Seine klaren blauen Augen schienen hinter dem Metallgestell seiner Brille vor innerer Freude zu funkeln. Er war tief in Gedanken versunken; aber, so dachte Barrencia, gelassen wie ein erschöpfter High-School-Lehrer. Strubbeliges braunes Haar, halblang. So richtig ein Gesicht aus der Menge, ganz gut aussehend, aber nichts, was man je auf dem Titelblatt von Gentleman's Quarterly sehen würde. So ein bisschen wie Clark Kent. Schlank, trainiert wahrscheinlich dreimal in der Woche in einem Fitnesscenter.

Barrencia trat von einem Bein aufs andere und zog seinen Bauch ein. Ein bisschen zu viel von dem süßen Leben, das der Kokainhandel einem ermöglichte, hatte ihn schwabbelig und kraftlos gemacht.

Also, Señor Schulmeister, dachte er, ich könnte Ihre ganze Familie drei Generationen vor und zurück kaufen und verkaufen mit dem, was ich mit Koks in einem Monat verdiene. Stecken Sie sich das in die Brieftasche. Dieser Bursche war wahrscheinlich hier unten in Miami zu seinem sechstägigen Jahresurlaub, Busreise, billige Mahlzeiten, das ganze Touristenpaket. Barrencia hatte es sich zur Regel gemacht, an jedem Arbeitstag eine Stunde der Arbeit zu widmen und die übrige Zeit dem Vergnügen. Stecken Sie sich das in Ihre imitierte Meerschaumpfeife und atmen Sie das tief ein, Mister Schoolmeister! 

Die Fahrstuhlglocke klingelte sanft, und die polierten Türen glitten zur Seite, um Barrencia auf den zweiundzwanzigsten Stock zu lassen. Seine viel zu teure Uhr sagte ihm, dass zumindest er pünktlich war. Er ließ den Amerikaner mitsamt seiner vermutlich langweiligen Lebensgeschichte hinter sich im Fahrstuhl.

Während er zur Tür ging, zog er den Zimmerschlüssel für die Suite 2010 aus der Manteltasche. Da Mendez sich nicht auf dem Flur herumtrieb, würde er ihn als nächstes anrufen.

Wie es ihm zur Gewohnheit geworden war, schloss er die Tür hinter sich ab. Seine Jacke warf er auf den Schreibtisch. Die Drogen, die er verkaufen wollte, waren in der Tiefgarage in zwei Luxuskoffern im Kofferraum eines gemieteten Cadillac Seville untergebracht. Wenn Mendez das Geld bereithielt, würde Barrencia ihm drei Schlüssel an einem Ring überreichen - den Kofferraumschlüssel und für jeden der Aluminiumkoffer einen Schlüssel - und verraten, in welchem der hundertfünfzig Wagen in der Garage der Schatz wartete. Dann war die Zeit zum Feiern gekommen.

Auch das hatte Barrencia schon geplant. Er dachte darüber nach, während er den Hotel-Farbfernseher einschaltete und mitten in einem Nur-für-Erwachsene-Film aus dem privaten Kabelprogramm des Hotels landete. Da lief irgendein smarter Bursche; mit einem irren Punker-Kampfanzug und mit Stiefeln herausgeputzt, durch ein Polizeirevier, eine Uzi-Maschinenpistole in der einen Hand und eine Pump-Flinte in der anderen und radierte im Alleingang jeden Polizisten aus, der sich zeigte. Es war mitten in der Nacht, und der Bursche trug eine Sonnenbrille und tötete Polizisten - dieser Gedanke gab Barrencia ein Gefühl innerer Sicherheit. Man tötet nur dann Polizisten, wenn man sie nicht kaufen kann, dachte er. Und Polizisten konnte man in Miami zu Ausverkaufspreisen erhalten. Städtische Polizeibeamte wurden nicht gerade fürstlich bezahlt.

Mendez verspätete sich - auch das war in Ordnung. Barrencia wusste das, Kokaindealer funktionierten nun mal nach einem anderen Stundenplan als normale menschliche Wesen, vielleicht lag das an der Chemie, die sie zu sich nahmen. Barrencia wurde nie von seinem eigenen Zeug high... obgleich er, wenn die Scherzartikel von jemand anderem stammten, begeistert dabei war. Aber da Mendez sich verspätete, entschloss sich Barrencia, den Room-Service mit einer Flasche Champagner herbeizurufen, um den Deal begießen zu können. Mendez sollte nicht denken, dass Barrencia knauserig war. Dieser Bursche konnte in Zukunft ein solider Kunde werden, und zwar von der Sorte, die Barrencia besonders schätzte - besonders seit er dabei war, sein kleines Unternehmen auszubauen. In dieser Situation konnte er es sich leisten, ein oder zwei Flaschen von dem Sprudelwasser springen zu lassen.

Er nahm den Hörer des Telefons und drückte den entsprechenden Knopf. »Hallo, ist das der Room-Service?« Er sagte: Room-Serviss, denn auch nach sechs Jahren in Miami hatte er seine Aussprache immer noch nicht ganz amerikanisiert. »Ich brauche zwei Flaschen Taittinger 1976 Blanc de Blancs und sechs Gläser!« Barrencia ließ Champagner nie zweimal hintereinander ins selbe Glas schütten, daher die ausdrückliche Bestellung der Extragläser. Nur er und Mendez würden da sein. »Beeilen Sie sich bitte. Danke. Auf Wiederhören!« Mendez hatte fünf Minuten Verspätung.

Barrencia drehte den Ton laut und schaute für ein paar Minuten dem wüsten Treiben auf dem Bildschirm zu. Ein lautes, beflissenes Klopfen an der Tür - das war sicher nicht Mendez, der würde nicht poch - poch - poch machen. Barrencia hatte viel Zeit in Hotels zugebracht, um zu wissen, wie der Room-Service klopft.

Er warf einen spähenden Blick durch das Guckloch in der Mitte der Tür und sah, dass draußen ein weißlivrierter Kellner mit einem Servierwagen stand. Er schob den Riegel zurück und öffnete die Kette - sein alter Verfolgungswahn würde erst dann zu Ende sein, vermutete er, wenn er tot war. Er drehte den verzierten Türknopf herum und wollte gerade die Tür öffnen, als sie aufgestoßen wurde, sein Gesicht traf und ihm das Nasenbein brach. Die Welt drehte sich seitwärts, er taumelte drei Schritte zurück, fiel jedoch nicht. Seine Hand griff instinktiv nach der .45er Automatik, die er immer unter der Jacke in einem Halfter trug.

Barrencias Blick wurde wieder klar, als er hörte, wie die Zimmertür sanft ins Schloss fiel. Er sah den Schulmeistertyp aus dem Aufzug und registrierte sofort zweierlei, was an ihm nicht stimmte. Das erste war, dass der Mann die weiße Kellnerjacke über seinem Sportjackett trug, so dass diese sich bauschte und schlecht saß. Das zweite war die bereits gezogene Pistole, die ohne Zögern auf Barrencias Solar Plexus gerichtet wurde. Trotz der aussichtslosen Situation versuchte er, seine eigene Waffe zu ziehen.

Die Augen des Fremden lachten noch immer. Seine Waffe war ein .45er Revolver mit einem dicken, schwarzen Schalldämpfer am Ende des Laufs. Als die Waffe feuerte, machte sie ein hustendes Geräusch wie ein festes Händeklatschen - klong! Jemand, der auf dem Hotelflur vorbeiging, wäre wohl kaum von einem solch schwachen Geräusch aufgeschreckt worden.

Die Kugel traf Barrencia in die Brust und hob ihn ein Stück vom Boden hoch. Sie hinterließ eine riesige Austrittswunde in seinem Rücken und durchschlug die gläsernen Schiebetüren des Balkons hinter ihm. Die geschlossenen Vorhänge raschelten, als die abgeplattete Kugel sie durchdrang und das Glas zerbrach.

Der Schmerz traf ihn wie ein Faustschlag, der ihn rückwärts auf den Boden warf und ihn die eigene Waffe vergessen ließ. Der Fremde trat näher. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Er sah alles - Barrencia, der nach Luft rang, dessen Augen brachen, dessen Blut aus seiner Brust sprudelte - aber nichts davon veränderte sein ruhiges, geschäftsmäßiges Gebaren. Die Augen lachten immer noch, der Mund schien sich zu einem Lächeln zu öffnen, als ob der Mann heimlich einem Witz gelauscht hätte, den ein anderer erzählte.

Barrencia gab sich alle Mühe, Warum? zu fragen. Er bekam keine Luft. Seine Brust war wie ein Eisblock. Mit seinen Lungen stimmte irgendwas nicht. Sie waren weg, und er würde sterben.

Er hätte all das getan, was man in dieser Situation so tat: Er hätte gekämpft; gebettelt; Geld angeboten, versucht, Zeit zu gewinnen; aber der Fremde trat nahe zu ihm heran, hielt den dicken Lauf drei Zentimeter von Barrencias Stirn entfernt und zog wieder den Abzug.

Das letzte, was Barrencia dachte, war, dass der Mörder sehr schlau war. Dass er einen Revolver benutzte, bedeutete, dass keine Patronenhülsen als Beweismaterial zurückblieben. Die zweite Kugel hatte den gewünschten Erfolg. Der Fremde blieb noch lange genug, um die Waffe ganz abzufeuern. Nachdem Barrencias Körper auch noch die übrigen vier Kugeln geschluckt hatte, gab es in ganz Miami nichts, was so tot war, wie er. Der Fremde nahm den Schalldämpfer von der Waffe und steckte beides in eine braune Papiertüte, die er aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Dann wischte er den Türknopf von Raum 2010 mit einem Hilton-Handtuch ab und verschloss hinter sich die Tür.

Barrencias Leiche würde vom Room-Service entdeckt werden. Der Leichenbeschauer von Dade County würde sich veranlasst sehen anzumerken, dass dieser Mord besonders brutal war, selbst für einen Mord im Drogen-Milieu: Der Mörder hatte noch lange, nachdem das Opfer längst tot war, weitergeschossen.

Man würde unterstellen, dass jemand versuchte, ein deutliches Zeichen zu setzen.

Die beiden Koffer voller Kokain im Tiefgeschoss blieben un- entdeckt, bis die Leihwagenfirma ihren Wagen abholte.

 

 

 

 

 

  2.

 

 

 

 

James Sonny Crockett starrte sich im beschlagenen Badezimmerspiegel an. Er hatte weißen Schaum kunstvoll über das ganze Gesicht verteilt und sah aus wie ein unordentlicher Nikolaus. Adios, compadre, dachte er... und der Wegwerf-Rasierer schnitt seine erste Bahn durch den Schaum. Er hielt ein Ohr in Richtung auf die Übertragung, die aus dem Nachbarraum kam. Die Geräusche wurden blechern, wie es typisch war für den Empfang über eine diskret angebrachte Wanze, es war ein Klang, den Sonnys Gehirn automatisch ergänzte. »Iss dein Frühstück, es wird kalt...« Weibliche Stimme.

Dann eine männliche Stimme, ganz offensichtlich am Telefon: »...ja, wir sind hier unten, im wohligen Sonnenschein...« Der Drei-Tage-Bart, den Sonny gewöhnlich pflegte, nahm Abschied von seinem Gesicht. Bloße Haut im Gesicht zu haben, würde ein Schock sein.

Er, jetzt nicht mehr am Telefon: »Das ist ein Leben, was?«

Sie: »Was steht denn für heute auf dem tollen Stundenplan, hmmm?« In ihrer Stimme schwang ein Unterton gelangweilter Ironie mit.

Er: »Wir fahren nach außerhalb. Du und ich, wir werden ein paar Leute in Lauderdale treffen - also sieh zu, dass du heute in die Sonne kommst!« 

Sie, nach einer eisigen Pause: »Und was soll das heißen?« 

Er, nach ebenso eisigem Schweigen, gab mit kalter Stimme zurück: »Das soll heißen, dass ich nicht will, dass wichtige Leute denken, ich sei mit 'ner Leiche frisch aus dem Kühlhaus verheiratet!« 

Sonny schnaubte und spülte seinen Rasierer ab. »Da soll einer sagen, dass Kokainhändler nicht der Gipfel an Charme sind!«

Aus dem Wohnzimmer der teuren, klassisch-modern eingerichteten Eigentumswohnung antwortete ihm ein Lachen. Ricardo Tubbs saß auf einem Lederschemel in der Nähe des Balkonfensters. Zu seiner Rechten stand ein TEAC-Tonbandgerät mit 25-Zentimeter-Tonbändern, das sich langsam drehte und Felix Castronovas arrogantes morgendliches Geschwätz aufnahm. Tubbs hatte wie üblich seine leichte Jacke und ein Seidenhemd an. Er war wohlgekleidet, gepflegt, roch nach Baron-Eau-de-Cologne und trank seine dritte Tasse Kaffee.

Sonny war zwischen seinen morgendlichen Aktivitäten noch mit seiner ersten Tasse beschäftigt.

Tubbs legte sein Auge an das auf ein Stativ montierte starke Fernglas, das durch einen Spalt in den Balkonfenster-Vorhängen nach draußen gerichtet war. Im Blickwinkel lag das Penthaus im elften Stockwerk des Gebäudes auf der anderen Straßenseite, wo Castronova und seine Frau die Frühstücks-Vorstellung gaben.

»Das ist ein Verbrechen!«, sagte Tubbs in Richtung Badezimmertür. »Ich würde so was Wohlgeformtes nie und nimmer versehentlich für 'ne Leiche halten!«

Wie eine Antwort kam Susan Castronovas Stimme: »Vielleicht fühl ich mich wie 'ne Leiche! Ich weiß immer noch nicht richtig, warum wir aus New Jersey weg sind, um diese Müllkippe zu besuchen!« 

»Na, das ist doch 'ne Frau nach deinem Herzen, Tubbs!«

»Amen!«, sagte Tubbs.

»Sind zwei Millionen mehr im Jahr vielleicht Grund genug, Schätzchen?« Castronova sprach den Kosenamen mit wenig Zuneigung aus. »Florida ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten!« 

Tubbs rollte die Augen. Die beiden wollten wohl immer so weiter herumbummeln und dieses nichtssagende Geschwätz weiterführen. Er löste den Feststeller am Fernglas und musterte den Bienenstock von Balkonen auf der anderen Straßenseite. Auf einem Dachgarten im zwölften Stock sichtete er ein süßes junges Ding, das sich in einen String-Bikini gezwängt hatte, der wie gemalt an ihren Aerobic-verschönten Kurven klebte. Ihre Brüste versuchten, das sparsam geschnittene Oberteil zu sprengen - und sie tropfte - sie kam gerade aus dem Pool im zwölften Stock. Langes, glänzendes, nasses Haar. Tubbs Phantasie erdachte sich einen Duft für sie. Ihr Körper war schmal, pantherartig, und ihre sanfte Bräune war gleichmäßig verteilt. Sie war ein leckerer Happen. Und ohne Begleitung. Tubbs behielt sie im Blick, während sie über den Dachgarten ging. In einer plötzlichen Laune bewegte sich seine Hand zu der Überwachungskamera, die auf einer Plattform unterhalb des Fernglases befestigt war.

Er stellte sie scharf auf die junge Frau ein und machte einen Schnappschuss für seine Sammlung. »Hm...«, dachte er erfreut, »eine Überwachung hat auch ihre guten Seiten...!«

»Ist ja toll!«, sagte Susan Castronova. Die Anzeiger für die Lautstärke sprangen zusammen mit ihrer Stimme in die Höhe. »Geschäft - immer das Geschäft.«

Tubbs richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schönheit im Bikini, gerade als ein abenteuerlustiger, reicher, sechzigjähriger Freier sie von hinten umarmte. Sie schnurrte und schmiegte sich an ihn. Tubbs drehte sich der Magen um.

»Wenn ich nicht ungefähr fünfzehn Millionen Dollar erbe«, sagte er zu Sonny, »hab' ich in dieser Stadt überhaupt keine Chancen!«

Aber andererseits, überlegte er, wie viele tolle Frauen spazierten mit praktisch nichts am Leib durch Brooklyn, so wie sie das hier taten?

Darüber hinaus: Wie viele ehemalige New Yorker Streifenpolizisten konnten ihre Polizeikarriere retten, indem sie, wie er es getan hatte, in der Spitzeneinheit der Vice Squad von Dade County, Florida, dem Tor zum Kokainhandel der ganzen Welt, Fuß fassten? Noch vor zwei Monaten hatte er sich auf eigene Faust hier durchschlagen müssen, mit einer gefälschten Identität, wobei er seine Rechnungen mit Falschgeld bezahlte, das ihm seine New Yorker Freunde besorgt hatten. Hier unten in Miami hatte er sich mit Sonny Crockett zusammengetan - und auf den ersten Blick konnte man sich kaum ein komischeres Paar vorstellen als sie beide. Sonny war, wie sich herausstellte, wild darauf, den kolumbianischen Drogenhändler auffliegen zu lassen, der in New York Rafael, Tubbs Bruder, umgebracht hatte. Zwei Gehirne, eine gemeinsame Sache. Tubbs hatte seinen Bruder verloren, Crockett seinen Partner, an beidem war Calderone schuld, den der Kokainhandel zum Millionär gemacht hatte. Neben Calderone sah Castronova, der ein aufstrebender Mittelklasse-Dealer war, wie ein Grundschüler aus.

Calderone hatte zweiundvierzig Millionen Dollar Bargeld und war Crockett und Tubbs bei all ihren Anstrengungen, streng nach dem Gesetz vorzugehen, durch die Finger geschlüpft. Er war zurück in die Karibik, oder wo immer er sonst sein Versteck hatte, geflüchtet, nachdem er zwei Millionen Dollar Kaution in den Wind geschrieben hatte. Er hatte mehr Geld im Stich gelassen, als Tubbs je in seinem Leben verdienen konnte. Die ganze Geschichte war ein übler Fehlschlag gewesen, aber Tubbs hatte dabei eine wichtige Empfehlung von Crocketts Boss, Lou Rodriguez, geerntet. Einige Zeit war vergangen. Tubbs hatte aufgehört, sich nach seinem heimatlichen New York zu sehnen, und war ein Teil von Miami Vice geworden. Die Leichtigkeit, mit der sich sein Leben geändert hatte, war beunruhigend, aber in diesen Tagen dachte er weniger darüber nach. Er hatte nichts, was man wirklich Familie nennen konnte, zurückgelassen, keine Freundin... und Sonny hatte sich als guter Freund und professioneller Partner erwiesen. Alles zusammengerechnet, gab es derzeit wenig, worüber er sich Sorgen machen musste, ausgenommen vielleicht, dass die Bikinischönheit auf der anderen Straßenseite ungerechterweise so viel Aufmerksamkeit auf den grobschlächtigen, altersschwachen Spendieronkel mit Verdauungsstörungen verschwendete. Das einzige, wovon sich dessen Hosen beulten, waren kühle grüne Scheinehen.

Natürlich gehörte Susan Castronova auch nicht gerade zum alten Eisen. Tubbs schwenkte die starken Gläser zurück und richtete sie auf die Stelle, an der ihr Bademantel sich öffnete.

»Na, was meinst du?«, sagte Sonny, der sich eben ein steif gestärktes, weißes Hemd zuknöpfte. »Seh' ich etwa aus wie einer, der sich gerade scheiden lässt?«

»Ich wusste nicht, dass man heute wirklich noch >Scheidung< sagt«, meinte Tubbs und schaute nicht hin. »Außer in dem albernen Song!«

»Tammy Wynette ist nicht albern!«, knurrte Crockett und kam auf ihren freundschaftlichen Dauerstreit zurück. »Wann wirst du endlich lernen, dass es nur zwei Arten nichtigen Musik auf der Welt gibt, Tubbs?«

»Zwei?«

»Ja - Country und Western!«

»Der Mann mit dem rasiermesserscharfen Verstand!«, erwiderte Tubbs. Er drehte sich um und erlitt fast einen Schock. Crockett band sich eine Krawatte um. Er wusste tatsächlich, wie man sie band. Er trug nicht sein übliches Fußballerhemd oder ein Comic-Strip-T-Shirt, sondern war tatsächlich in ein 35-Dollar-Markenhemd geschlüpft. Seine blond-braune Haarpracht war gekämmt. »Du hast dich rasiert«, sagte Tubbs mit stiller Ehrfurcht, die zur Bewunderung wurde. »Du siehst aus, als wärest du auf dem aufsteigenden Ast, mein Junge. Ich hab' dir doch gesagt, dass mein Einfluss gut für dich sein wird...!«

Sonny griff sich pathetisch ans Herz. »Erzähl weiter, erzähl mir weiter deine wundervollen Lügen!«

Tubbs machte eine anerkennende Handbewegung. »Klasse!«

In diesem Zustand konnte Crockett fast als junger, aufstrebender Rechtsanwalt durchgehen.

Crockett steckte eine Krawattennadel an.

»Ein Hauch von Gold schmückt den Mann!«, sagte Tubbs. »Was ist aus den beiden Streithähnen geworden?«

Tubbs wies mit dem Kopf zum Fenster. »Sie ist reingegangen. Das Mädchen hat das Frühstücksgeschirr weggeräumt.«

Jemand klopfte an die Zimmertür. Das muss Ernest Switek sein, dachte Tubbs - der klopfte immer zu oft. Komisch, wie schnell er die Gewohnheiten dieser Burschen kennengelernt hatte. Switek würde ein grelles Hawaii-Hemd über seinen Segeltuchhosen tragen. Er würde hereinstrolchen wie ein großer, bärtiger Bär, unter dem Arm wahrscheinlich eine Schachtel mit gefüllten Doughnuts. Switeks Partner, Tommy Ray Zito, würde ein graues T-Shirt tragen, ein Päckchen Zigaretten in den Ärmel gesteckt, hautenge Cordhosen und Joggingschuhe. Zito war dünn wie ein Bindfaden und hatte diesen leicht schmierigen Dealer-Look; er würde auf einem Zahnstocher herumkauen oder an einem kalten Glimmstängel saugen. Er würde einen leicht unrasierten Eindruck machen und Pickel auf dem Kinn haben. Switek und Zito arbeiteten recht erfolgreich bei der Vice Squad, nicht weil sie bei der Polizeiarbeit große Künstler waren, sondern weil bei ihrem Aussehen sie niemand je für Polizisten halten würde.

»Caroline wird dich anflehen, zu ihr zurückzukommen, wenn sie den wahren Sonny sieht«, sagte Tubs, während Crockett zur Tür ging. »Ohne Scherz!«

Switek und Zito schoben sich herein. Tubbs Vorhersage war fast hundertprozentig richtig gewesen.

»Hallo, Mädchen, wie sieht's aus?«

»Wie geht's, wie geht's?«, dröhnte Switek. »Wie geht's Angelique? Hast du uns vermisst, Zuckerpüppchen?«

Tubbs grinste. Angelique war ein Poster, das Switek jedes Mal an die Wand heftete, wenn sie einen Überwachungsauftrag hatten, der sich ja manchmal Wochen oder sogar Monate hinziehen konnte. Sie war eine stattliche Blondine, langbeinig, Silikon-Busen, und ihr Bild stammte aus einem jener Magazine, die man in der NUR FÜR ERWACHSENE-Ecke von Zeitschriftenläden kaufen kann. Im Laufe der Zeit war Angelique so etwas wie das dritte Mitglied des sonst üblichen Zwei-Mann-Bewachungsteams geworden. »Sie hat dich vermisst, Switek, das hab' ich gemerkt«, sagte Tubbs.

»Wer zum Teufel ist das da?«, fragte Zito und wies mit dem Daumen theatralisch auf Sonny.

Switek betrachtete Sonny von oben bis unten. »Smart aussehendes Bürschchen! Willst du mit Angelique anbandeln, Ladykiller?«

Tubbs sagte: »Dieser Kerl ist hier hereinspaziert und behauptet, ein gewisser James Sonny Crockett zu sein. Mich hat er nicht für den Bruchteil einer Sekunde damit täuschen können!«

»Mein Gott, er hat sich rasiert«, sagte Zito mit einem Ausdruck, der nahe an Ehrfurcht heranreichte.

»Schon gut, schon gut, warum tut ihr beiden armen Sünder nicht eure Arbeit?« Sonny nahm sein Jackett von der Rückenlehne eines Stuhls und schwang es sich über die Schulter.

»Und was gibt's Neues bei Amerikas Traumpaar?«, fragte Switek und stellte seine Schachtel ab. Amüsiert bemerkte Tubbs, dass sie keine gefüllten Doughnuts, sondern Bärentatzen enthielt.

»Nada!« Tubbs schaute wieder durchs Fernglas, nichts Neues. »Castronova ist ziemlich einsilbig, was seine Geschäfte angeht. Selbst zu seiner eigenen Frau spricht er kaum darüber. Sie langweilt sich bei der ganzen Sache zu Tode!«

»Die übersättigten Neureichen!«, sagte Zito. »Gott schütze uns!« Er steckte sich eine Zigarette ins Gesicht und entzündete ein Streichholz, indem er es gegen seinen Daumennagel flippte, griff in eine Papiertüte und zog seine Colas hervor. Um seinen Coffein-Spiegel konstant zu halten, verbrauchte Zito täglich zwölf Dosen Cola. Wenn sein Kopf zu dröhnen begann, zerkaute er drei oder vier Excedrin-Tabletten und spülte sie mit dem sprudelnden braunen Zeug runter.

»Wir haben unten auf der Brickle jemanden zum Beschatten abgestellt - ungefähr drei Blocks weiter!«, sagte Crockett. »Nur für den Fall, dass er beschließt, in Aktion zu treten!« Crocketts und Tubbs Dienst, der den größten Teil der Nacht ohne besondere Ereignisse geblieben war, war für die nächsten zwölf Stunden vorbei. Felix Castronova war bedeutend genug, um eine Verhaftung interessant zu machen. Aber wie auch andere im Drogengeschäft, hatte er begonnen, seine Grenzen auszudehnen, damit seine Verbindungen höher hinaufreichten. Und die städtische Vice Squad von Dade County bereitete gerade auf dringlichen Wunsch von Lou Rodriguez eine spektakuläre Verhaftungswelle der Mittelklasse-Dealer vor. Damit konnte man den Bürgermeister in der Wahlzeit beeindrucken und die Existenz der Vice Squad rechtfertigen. Castronova und seine Berufskollegen, mit einem Schlag in der ganzen Stadt eingesammelt, würden als Fang ausreichen, um eine Meldung in den Abendnachrichten zu werden. Der größte Fischzug unter den Drogendealern in der Geschichte von Miami Beach... Es war stumpfsinnige Routinearbeit, genauso wie das Erfüllen von Verhaftungsquoten. Nicht zu vergleichen mit der Jagd auf Calderone, der in zwei Jahren weit mehr als hundert Millionen verdiente, steuerfrei. Aber ohne Mittelsmänner wie Castronova würde Calderones Imperium nicht existieren können, genauso wenig wie die Drogenimperien Dutzend anderer Supermistkerle wie er.

Switek und Zito machten es sich bequem. Mit einer halben Bärentatze im Maul drehte Switek den Lautsprecher auf; Zito bewegte sich in Richtung Badezimmer, um sich von seinen zwei Morgen-Colas zu erleichtern. Er reichte Crockett seinen Waschbeutel.

»Dann viel Spaß, Jungs!«, sagte Sonny, deutete einen militärischen Gruß an und ließ Tubbs mit großartiger Geste an der Tür den Vortritt. Ihr Abgang vollzog sich mit beträchtlich mehr Stil als der Auftritt von Switek und Zito. Mampfend und schluckend beugte sich Switek vor und presste sein Auge ans Fernglas. Susan Castronova war allein auf dem Balkon gegenüber, mit einer losen, wehenden Bluse und Designer-Jeans bekleidet.

»He... du, Zito?«

Zitos Stimme hallte hinter der halbgeschlossenen Tür von den Badezimmerkacheln wider. »Ja?«

»Sie zieht sich das Hemd aus, oh, mein Gott, sie ist nackt!« Zito stürmte aus dem Badezimmer, die Hosen auf halbmast, kämpfte mit dem Reißverschluss und versuchte, quer durchs Zimmer zum Fenster zu rasen. Seine Füße verhakten sich, und er fiel mit lautem Plumps auf den Boden.

Switek schaute nicht vom Fernglas hoch. »Du wirst dir noch wehtun, wenn du so rausstürzt. Du wirst dir was brechen oder sonstwas...«

Zito rutschte auf den Knien heran und schob Switek beiseite. Er spähte durch die Gläser. »Wovon sprichst du eigentlich, Mann?«

Ganz gespielte Unschuld, schaute Switek wieder durch das Fernrohr. Auf dem Balkon war niemand. »Ach, tut mir leid, amigo. Du hast es verpasst. Sie war splitternackt, da drüben!«

Zito schaute mit zusammengekniffenen Augen auf Switek, öffnete schweigend eine Cola und setzte sich, um »Supermann III« anzuschauen.

 

»Du musst langsam lernen, die Dinge von ihrer besten Seite zu sehen, Sonny«, begann Tubbs, als sie sich in Sonnys 84er Corvette durch den morgendlichen Verkehr schoben. Die Corvette stammte aus der Abteilung für beschlagnahmte Güter. Ersatz für einen ähnlichen, schwarzen Corvette, den Sonny vor ein paar Wochen zu Schrott gefahren hatte, als er verhindern wollte, dass Tubbs mit Blei vollgepumpt wurde. Crocketts üblicher Deckname für Aufträge im Untergrund war Sonny T. Burnett. Seine Ausrüstung umfasste ein Hunderttausend-Dollar-Schmuggelboot und ein Zwölfmeterboot, die beide im Jachthafen vor Anker lagen - ebenso beschlagnahmte Güter. Die kleinen und großen Drogenhändler lebten gut, und wenn sie verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurden, dann ließen sie teure Autos, teure Kleidung und teure Wohnungen zurück. All dies verteilte die Vice Squad von Dade County unter ihren Beamten. Es gab keine andere Möglichkeit, sich den falschen Glanz übertriebenen Reichtums anzulegen, um die gutgläubigen Dealer ins Netz zu locken. Tubbs schaute erwartungsvoll diesen kleinen Freuden des Jobs entgegen, in deren Genuß er kommen wird, wenn er erst ein Weilchen länger in Miami war. Aber es gab auch die andere Seite der Medaille. Sonny war Vater eines sechsjährigen Sohnes mit Namen Billy und musste sich praktisch die Zeit stehlen, um ihn zu sehen. Sein Job bei der Vice-Einheit, die oft Wochen und Monate Arbeit im Untergrund erforderte, wobei er die ausgeklügelten Fallen aufbaute, für die er in der Abteilung berühmt war, hatte seiner Ehe mit einer charaktervollen, honigblonden Dame namens Caroline schwer geschadet. Daher hatte er sich für das, was heute auf dem Terminkalender stand, so herausgeputzt. Es ging nämlich um weitere juristische Rangeleien mit den Rechtsanwälten über das, was Tammy Wynette in ihrem Lied Scheidung nannte.

»Zum Teufel, was ist das Gute an 'ner Scheidung, Schwarzbrot?«, kläffte Sonny, hinter seiner getönten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Stephen Grave/Apex-Verlag. Published by arrangement with Alchemy Literary Agency/NBC Universal, New York 10112, USA.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Peter Sladek.
Korrektorat: Peter Sladek.
Übersetzung: Renate Michel und Christian Dörge (OT: Miami Vice Book 2: The Vengeance Game).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8289-6

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