Cover

Leseprobe

 

 

 

 

JOAN D. VINGE/MIKE COGAN/

ROBERT TINE/JOEL NORST/

CRAIG SHAW GARDNER

 

 

80s ACTION

 

 

 

 

Fünf Romane in einem Band

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Joan D. Vinge: MAD MAX 3: JENSEITS DER DONNERKUPPEL 

(Mad Max 3: Beyond Thunderdome) 

 

Mike Cogan: TOP GUN – SIE FÜRCHTETEN WEDER TOD NOCH TEUFEL (Top Gun) 

 

Robert Tine: BEVERLY HILLS COP 2 (Beverly Hills Cop 2) 

 

Joel Norst: LETHAL WEAPON – ZWEI STAHLHARTE PROFIS (Lethal Weapons) 

 

Craig Shaw Gardner: LOST BOYS (The Lost Boys) 

 

Das Buch

Die 1980er Jahre - ein Jahrzehnt erfüllt von unvergessener Musik, ebenso schrägen wie bunten Klamotten, die Zeit, als Nachmittage im Kino noch einem (überaus erschwinglichen) Abenteuer glichen, Jahre mit VHS-Kassetten, verschworenen Video-Abenden und Videotheken, die oft einem Wunderland entsprungen zu sein schienen. Damals musste man in der Regel jahrelang darauf warten, bis man sich sein Kino-Erlebnis endlich nach Hause für den heimischen Videorekorder holen konnte. Eine beliebte Alternative waren indes die Romane zu den jeweiligen Filmen, Adaptionen, die zeitnah ein Wiedersehen mit Leinwald-Helden und -Heldinnen ermöglichten: eine Tradition, die im Zeitalter von DVD, Blu-ray und Streaming völlig in Vergessenheit geraten ist.

 

Der Apex-Verlag möchte mit dem Band 80s Action diese Nostalgie wiederbeleben:  mit den Romanen zu den Filmen Mad Max 3 - Jenseits der Donnerkuppel von Joan D. Vinge, Top Gun von Mike Cogan, Beverly Hills Cop 2 von Robert Tine, Lethal Weapon von Joel Norst und Lost Boys von Craig Shaw Gardner.

Lassen Sie die Zeitreise beginnen...

  Joan D. Vinge: MAD MAX 3: JENSEITS DER DONNERKUPPEL (Mad Max 3: Beyond Thunderdome)

 

 

 

 

 

Kapitel 1: Der Hinterhalt

 

 

Man nannte sie die Wüste der Verzweiflung.

Sie hatte noch einen anderen Namen getragen, vielleicht sogar zwei oder drei weitere, damals, als es noch Landkarten gegeben hatte, und Menschen, die sich für die Eintragungen auf ihnen interessiert hatten. Doch dies war der Name, der überlebt hatte - der einzige, der immer noch eine gewisse Bedeutung besaß. Außer dem roten ruhelosen Sand, der Körnchen für Körnchen einem unbekannten Ziel entgegenkroch, bewegte sich nichts auf dieser endlosen, von Luftspiegelungen heimgesuchten Fläche. Sie hatte Jahrhunderte, sogar Jahrtausende unverändert überdauert... ganz anders als die sie umgebende Welt, die sich wieder und wieder gewandelt hatte, bis schließlich ein Atomkrieg allem außer der Trostlosigkeit ein Ende gesetzt hatte.

Der Wind seufzte und kreiste über der Öde, zerrte an dem halb unter einer Düne verschütteten, sandzerfressenen Schädel eines toten Wildschweins, pfiff einen Grabgesang durch das leere Maul und die offenen Augenhöhlen. Der Wind, der immer unzufriedene, strich weiter, hob sich weit im Norden vor einem Berg alter Felsen und Klippen, vor einem Wirrwarr von roten Sandsteinen, die mit dem zarten Grün von Pflanzen durchsetzt waren. Die Hügel wölbten sich wie große Brandblasen aus der versengten, fiebernden Ebene und stellten, soweit das Auge sehen konnte, und soweit es überhaupt betrachtende Augen gab, die einzigen nennenswerten Erhebungen dar.

Falls es Augen gab, hätten sie auch das klapprige Vehikel gesehen - die Überreste eines einmotorigen Flugzeugs -, das jetzt, unpassend wie ein Flugsaurier, über den Klippen schwebte. Es kreiste, sank in endlos suchenden Kurven durch die unberechenbaren Strömungen der heißen Luft, rastlos wie der alles ebnende Wind.

Im Cockpit saß Jedediah an den Kontrollen; seine blutunterlaufenen Augen wirkten hinter den dicken Brillengläsern wie die eines Insekts. Er hatte seinen Tropenhelm bis über die Ohren heruntergezogen - ein Sucher des Neuen Zeitalters, der die seltenste aller Beuten jagte: Leben.

»Dort!«, schrie ihm eine Jungenstimme ins Ohr.

Er sah zu Jedediah Junior, betrachtete dessen Augen und Hände, folgte der Richtung, in die sein Sohn deutete. Weit unten und immer noch weit vor ihnen erhob sich eine unverwechselbare Staubwolke in die Wüstenluft. Jedediah stieß ein bellendes Lachen aus und schob den Steuerknüppel nach vorn. Das Flugzeug sank wie ein Geier, stürzte weiter, überholte langsam die verräterische Staubfahne. Als er die ersten Details ausmachen konnte, drosselte Jedediah die Maschine - in der leeren Wüste war das Motorengeräusch meilenweit zu hören. Der Propeller wurde langsamer, kam flatternd zum Stehen. Nun vernahmen sie nur noch das Brausen des vorbeirauschenden Windes. »Übernimm die Kontrollen«, sagte er zu dem Jungen.

Weit unter ihnen glaubte der Führer des Kamelzuges, nichts als das Geräusch des Windes zu hören... denn das war tatsächlich alles, was er in den letzten Wochen außer dem Grunzen der Kamele und seiner eigenen Stimme vernommen hatte. Er saß rittlings auf der Motorhaube eines Geländewagens. Er war von Kopf bis Fuß in weite schwarze Tücher gekleidet - ein nachapokalyptischer Beduine. Nur seine Augen waren zu sehen, und wenn er gekonnt hätte, hätte er auch sie verhüllt. Er blinzelte in das grelle Licht und den Staub, beobachtete die hin und her schwankenden Höcker der acht Kamele, die vor das Wrack des Strandbuggys gespannt waren und ihn mit unermüdlicher Geduld seinem Ziel entgegenzogen. Nach so langer Einsamkeit in schweigender Hitze, nach so langem Blick auf immer denselben Horizont, nach immer derselben hypnotisierenden Bewegung, Tag um Tag, hatte er fast schon vergessen, dass es außer ihm noch andere Menschen gab; dass sie ihn berauben könnten, statt mit ihm zu handeln. Der Teil seines Gehirns, der nie vergaß, hatte es schon lange aufgegeben, den Himmel nach möglichen Gefahren abzusuchen.

Der hintere Teil seines improvisierten Gefährts, auf dessen Überrollbügel er einen notdürftigen Leinwandbaldachin gespannt hatte, war schwer mit den typischen Handelsgütern eines Überlebenden beladen - gebündeltes Feuerholz, geschwärzte Töpfe und Tiegel, Auspufftöpfe und Rohre aus anderen, ausgeschlachteten Fahrzeugen, Säcke mit gemischten Kleinteilen; alles, was Irgendjemand irgendwo brauchen könnte, der bereit war, im Austausch etwas anderes anzubieten. Sogar ein kompletter Kühler aus einem Lastwagen war dabei. Er dachte, er könnte an seinem Ziel - einem Ort namens Bartertown - einen guten Profit aus seinen Waren schlagen. Allerdings hätte er auf eine entsprechende Frage kaum sagen können, was er im Austausch haben wollte.

Er gab einen Grunzlaut von sich, als die Karawane in ein ausgetrocknetes Flussbett hinunterratterte, schlug mechanisch nach den ewig lästigen Fliegen, die ihn und die Kamele verfolgten und" ihr und sein Blut saugen wollten. Um das Handgelenk hatte er eine Fliegenklatsche geschlungen, die aus einem Stück hellem Plastik und einem stabilen Holzschaft bestand. Er nannte sie seinen Lebensretter.

Eine der beiden räudigen Ziegen, die hinten an den Wagen gebunden waren, meckerte. Der Fahrer, plötzlich besorgt, sah nach hinten, dann nach oben. Er riss den Mund auf.

Aus heiterem Himmel stürzte ein einmotoriges Flugzeug auf ihn herab. Er konnte nur noch den Mund aufreißen; zu weiteren Reaktionen blieb ihm keine Zeit mehr, denn das ausgefahrene Rad der sinkenden Maschine traf ihn seitlich im Gesicht und warf ihn mit dem Kopf zuerst aus dem Sitz. Er schlug hart auf den Boden und rollte sich ab, kämpfte sich hoch, versuchte auf die Füße zu kommen... brach wieder zusammen und keuchte. Er saß auf Händen und Knien im Sand und hob den Kopf; in seinen gepeinigten Ohren brüllte der Motor des Flugzeugs, als die Angreifer zum zweitenmal auf seine Karawane herabstürzten. Er zwang seine Augen, scharf zu sehen, und erkannte, dass jemand am Flügel der immer tiefer herabstoßenden Maschine hing.

In der Kanzel spähte Jedediah Junior nach draußen und schätzte Geschwindigkeit und Angriffswinkel ab. »Bomben ab!«, rief er fröhlich. Sein Vater ließ das Fahrgestell des Flugzeuges los und fiel breitbeinig auf das Gepäck auf dem Rücken des überrumpelten Führungskamels. Er nahm die Zügel auf und stieß dem Tier die Stiefelabsätze in die Rippen.

»Auf geht's! Hüh!«, schrie er.

Das vor Angst und Schrecken fast besinnungslose Kamel blökte und begann schwankend zu rennen. Die anderen Kamele spürten seine Aufregung und folgten, zogen den Strandbuggy und die meckernden Ziegen galoppierend hinterdrein. Jedediah, der sich wie eine Klette auf dem Kamelrücken festklammerte, lachte wild und triumphierend; sein Kojotengelächter prallte wie ein Steinhagel auf den Kopf des Fahrers, der immer noch auf den Knien im Sand hockte und schnell zurückblieb.

Der Fahrer rappelte sich auf die Füße und sah einen Herzschlag lang ungläubig zum Himmel, dem Flugzeug nach, das wieder hochstieg und auf die fernen Hügel zuflog. Der heiße Sand verbrannte seine nackten Fußsohlen; er verfluchte sich selbst, weil er beim Fahren die Stiefel ausgezogen hatte. Dann wandte er sich mit geballten Fäusten um, und seine Augen verrieten tödliche Entschlossenheit. Er war verdammt sorglos gewesen... aber er war kein Dummkopf. Er begann zu rennen.

Jedediah drehte sich im Reiten um und sah zurück, sah das Flugzeug nur noch als kleinen Punkt, sicher und außer Reichweite. Etwas näher erkannte er den Fahrer, der wie verrückt hinter der erstickenden Staubwolke herrannte. Er trieb dem Kamel wieder seine Stiefelabsätze in die Flanken, und es schoss vor und wurde noch schneller. Der Rest des Zuges donnerte hinterdrein.

Der Fahrer, der seine Karawane und alles, was er besaß, davonziehen sah, wurde ebenfalls schneller. Dieses Rennen zu gewinnen oder zu verlieren, war gleichbedeutend mit Leben oder Tod. Vom Staub halb blind, mit kurzen, keuchenden Atemstößen, holte er wieder auf.

Die Rückseite des Strandbuggys tauchte langsam aus der Staubwolke auf, während er verzweifelt Inch um Inch aufholte. Als er das schattige, mit Waren vollgestopfte Innere des Wagens deutlich überblicken konnte, sah er plötzlich das kleine, runde, erschreckte Gesicht eines Affen.

Mein Gott, der Affe -

Der Affe war das einzige in der Welt, das ihm wirklich etwas bedeutete. Tiere waren die einzigen Wesen, denen er in dieser gottverdammten Wildnis traute... und der Affe vertraute ihm. Das Tier sprang auf und nieder, kreischte verzweifelt, drängte ihn näherzukommen. Vorne prügelte der Angreifer die Kamele zu immer höherer Geschwindigkeit, während der Affe von Wand zu Wand sprang und in schriller Panik schrie. Der Fahrer rannte und rannte, die Rückseite des Wagens lag jetzt unmittelbar vor seiner ausgestreckten Hand... einen Meter... einen halben Meter... Er streckte die Hand noch weiter, mobilisierte seine letzten Kräfte, während das Kreischen des Affen laut in seinen Ohren klang. Fast... fast...

Die Rückseite des Buggys zog wieder davon, entfernte sich einige schreckliche Zentimeter... Meter.

Der Fahrer ließ den gestreckten Arm sinken; sein Lauf verlangsamte sich zu einem taumelnden Trott, dann ging er nur noch. Dann blieb er stehen, sein Brustkorb hob und senkte sich schwer, die wunden Füße waren rot von Blut und Staub. Er blieb stehen und sah seine ganze Welt in einer Staubwolke verschwinden; plötzlich wurde ihm mit betäubender Schärfe der Schmerz in seinen Füßen, in der Brust und im Kopf bewusst. Er schlug sich wütend und frustriert die Fliegenklatsche gegen die Wade. Hinten im Buggy raste und schrie immer noch der Affe, während der Wagen langsam in einer Staubwolke verschwand. Schließlich, nachdem der Zug hinter einem Dünenkamm weggetaucht war, lag nur noch die leere Wüste vor ihm.

Der Fahrer blieb noch eine Weile keuchend stehen und starrte mit blicklosen Augen die funkelnde Bahn der Gegenstände an, die zwischen die tiefen Wagenspuren geschleudert worden waren. Dann ging er weiter, folgte benommen der Spur, bückte sich ab und zu und hob die Reste seiner Habe auf. Nach ein paar Schritten hielt er inne und sah zurück. Hoch über ihm und weit entfernt kreiste das schrottreife Flugzeug triumphierend über den roten Felsen. Er hörte das ferne Surren des Motors und - vielleicht bildete er es sich auch nur ein - das schrille, höhnische Lachen des Räubers. Er starrte noch einen Augenblick zum Flugzeug; er war betäubt von der Vorstellung, seine ganze Welt verloren zu haben, ausgerechnet in dem Moment, da er seit mehr als fünfzehn Jahren wieder ein Flugzeug gesehen hatte... und das Zielgebiet der Maschine brannte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis.

Er senkte den Blick und ließ die paar Dinge, die er. schon aufgesammelt hatte, in den Sand fallen. Er wickelte seinen Turban ab. Er dachte, dass er Glück gehabt hatte, weil er ihn getragen hatte, als er überfallen wurde, denn sonst hätte ihm das Rad des Flugzeuges den Schädel aufgeschlagen wie ein Ei, statt ihm nur eine baseballgroße Beule an der Seite seines Kopfes zu bescheren. Er ging nicht gerne barhäuptig weiter, aber er brauchte etwas, um seine verbliebenen Besitztümer zu tragen. Er zog die letzten Windungen des Turbans ab und setzte sein Gesicht und seinen Kopf der erbarmungslos brennenden Sonne aus. Während er das Tuch zu einem Sack zusammenknotete, starrte er über die leere Wüste.

Sein braunes Haar, das er einmal militärisch kurz getragen hatte, war an den Schläfen bereits ergraut. Er war fast in mittleren Jahren, aber das Leben, das er führte, ließ einen Mann vor seiner Zeit altern. Auf seinen eingefallenen Wangen sprossen zwei Tage alte Bartstoppeln. Über die Stirn und die linke Wange verlief eine breite, helle Narbe, die sich um das Auge wand. Es war ein verblüffend blaues Auge, hell wie der Wüstenhimmel; er hatte es im Kampf beinahe verloren. Doch er lebte noch, und der Mann, dem er die Narbe zu verdanken hatte, war tot.

Man nannte ihn Mad Max, falls man ihn überhaupt beim Namen rief. Heutzutage war ein Name wie ein Totem, war mehr als eine bloße Unterschrift für ein dazugehöriges Gesicht. Schriftzüge waren etwas für Grabsteine. Einst hatte er einen Namen besessen, genau wie die Brandblasen von Bergen, die in der heißen Luft hinter ihm flimmerten...und alle anderen Menschen auch. Max Rockatansky hatte sein Name gelautet. Doch das lag ein halbes Lebensalter zurück - vor der Apokalypse, als Namen und das Leben selbst noch einen Sinn zu haben schienen... bevor Australien und alles andere zum Teufel gegangen war.

Er riss sich aus seinen Erinnerungen und ging weiter. Bei jedem Schritt klirrte leise der Ring, den er für sein verletztes Bein angefertigt hatte, und der jetzt unter den Gewändern versteckt war. Ein Stück weiter fand er eine Wasserflasche. Sie war nicht sehr schwer. Er schüttelte sie, hörte das Wasser im Innern gluckern. Nicht einmal halbvoll. Er befestigte sie auf dem Rücken und ging weiter. Nach einigen Schritten sah er einen Stiefel, kurz danach den zweiten. Er zog sie schweigend und dankbar an. Wenn er auch sonst nichts erreichte, so wollte er wenigstens den Räuber finden und seinen Affen zurückbekommen.

Selbst nach all den Jahren hatten sich manche Dinge nicht geändert. Max zahlte alle Schulden.

Er wanderte weiter und fand schließlich eine letzte Erinnerung an den Affen... eine kleine Pfeife, auf die ein heimtückisch blickender Totenschädel geritzt war. Er setzte sie fast unbewusst an die Lippen und blies hinein. Aus den Zähnen des Schädels drang ein gespenstisches, schrilles Kreischen, das unheilvoll und drohend über die Wildnis hallte, bis es sich wie ein fliehender Geist in den fernen Hügeln verlor.

Max hängte sich die Schnur der Pfeife um den Hals und ging schweigend weiter.

 

 

 

Kapitel 2: Bartertown

 

 

Vier Tage später mündete der Karawanenweg in etwas ein, das als vierspurige Straße galt - die rissigen und vom Sand ausgewaschenen Überbleibsel eines einstmals asphaltierten Highways... der jetzt von Nirgendwo nach Nirgendwo verlief. Max trat dankbar auf die Straße, denn nun wurde das Gehen leichter. Er wanderte geistesabwesend in einem schwankenden Trott, hielt seinen Kopf bewusst leer. Er folgte der Straße wie die Sonne ihrer Bahn am Himmel folgt, ließ Zeit und Raum mit grimmiger Gleichgültigkeit vorbeiziehen.

Der dunkle Schatten, der plötzlich über seinen Weg fiel, überraschte ihn wie ein Schlagloch. Er blieb stehen und starrte den dunklen Umriss eine Weile an. Dann hob er den Blick und blinzelte. Vor ihm stand ein Wegweiser wie ein Grabmal - hier mündeten mehrere Seitenwege in die Hauptstraße. An den Pfahl waren mehrere graue, zersplitterte Holzplanken genagelt, die in verschiedene Richtungen wiesen. Auf jedem Hinweisschild war der Name einer anderen Großstadt zu lesen - die Symbole einer untergegangenen Zivilisation.

Sydney 500 km, las er. Tokio 5.600 km. New York 9.800 km. Moskau... Er hörte auf zu lesen. Jedes Schild war mit schwarzer Farbe und ebenso schwarzem Humor durchgekreuzt. Nur ein Name war übrig. Auf den Steinhaufen gemalt, der den Pfahl verankerte. Ein ungelenker Pfeil deutete in die Richtung von BARTERTOWN. Auf der kochend heißen Oberfläche der Steine sonnten sich einige Schlangen, die ihn schlitzäugig musterten. Eine glitt herab und verschwand.

Max' rissige Lippen waren zu einer unbestimmten Grimasse

verzogen. Er machte sich wieder auf den Weg, folgte der Richtung des Pfeils und blinzelte in den Sonnenuntergang. Bartertown war sein Ziel gewesen. Es war immer noch sein Ziel...

Nach Sonnenuntergang stieg ein buckliger Mond in den Nachthimmel und füllte die sternübersäte Schwärze wie eine riesige japanische Laterne. Max wanderte die ganze Nacht und nutzte das Licht und die gnädige Abwesenheit der Sonne. Er hatte seit dem Verlust seiner Kamele und des Wagens nicht mehr gegessen, und vor zwei Tagen, war ihm das Wasser ausgegangen. Seine Chancen, einen weiteren Tag in dieser Hitze zu überstehen, waren schlecht. Er hoffte, Bartertown zu erreichen, bevor ihn alle Kraft verließ. Der Boden wurde jetzt unebener, denn der Weg stieg über steinige Hügel und senkte sich in tiefe Rinnen.

Endlich, der neue Tag brach gerade an, erklomm er eine letzte Erhebung und blieb stehen. Auf einem Stein zu seinen Füßen döste ein Leguan. Er erwog, ihn zu töten und zu essen. Doch als er sich nach einem passenden Stein umsah, fiel sein Blick über die Hügelkuppe auf das Gelände dahinter. Dort unten erstreckte sich eine weite Ebene, die an einer Seite von der blendenden Weite eines riesigen Salzsees begrenzt wurde. Die Morgensonne ließ den trockenen See glitzern wie ein Bett aus Glasscherben. Das Bild passte. Ein Salzsee war so mörderisch, die Hitze so stark, dass die Wüste, aus der er gerade gekommen war, wie der Garten Eden erschien. Die Menschen der Stadt dort unten nannten den See Devil's Anvil, den Amboss des Teufels.

Die Stadt dort unten. In der Hitze am Seeufer flimmerte der Krater eines ehemaligen Übertagebergwerks wie eine Fata Morgana. In diesem von Menschen gemachten Loch, das einst ein Hügel gewesen war, lebten jetzt einige hundert Menschen - für die Verhältnisse nach dem Holocaust eine wahre Metropole.

Bartertown. Drei staubverhüllte Straßen und eine aufgelassene Eisenbahnstrecke durchschnitten die Ebene dort unten und trafen sich in der Stadt. Aus allen Richtungen kamen bunt zusammengewürfelte Überlebende auf den Straßen heran und brachten ihre Handelsgüter in den Ort. Max leckte sich die rissigen Lippen und ballte die Hände zu Fäusten. Er hatte das Ziel seiner Reise erreicht. Nun brauchte er nur noch den Mann zu finden, der mit seiner Habe vor ihm dort eingetroffen war.

Max wanderte den Hügel hinab, ein weiterer Überlebender, der diese Oase der Zivilisation besuchen wollte. Eine halbe Stunde später blieb er unter einem massiven Schild stehen, das am Eingang der Stadt auf einem Metallrahmen befestigt war. Er sah hinauf.

 

BARTERTOWN

Wir bauen an einer besseren Zukunft

 

Er verzog den Mund. Dann ging er weiter und ließ sich in dem buntscheckigen Strom der Händler treiben, die unter dem Schild hindurchgingen. Im Gehen sah er sich um, musterte die anderen. Nach den langen Entbehrungen in der Wüste erwachten seine Sinne wieder zum Leben. Adrenalin schoss in sein Blut und weckte seinen betäubten Geist und den müden Körper; die Gesellschaft so vieler menschlicher Wesen auf einmal, nach so langer Zeit, machte ihn nervös. Eine Menschenmenge bedeutete Gefahr; eine unkontrollierbare Situation, zu viele Alternativen - Kiefer voller Zähne, die darauf warteten, einen sorglosen Mann zu zerfleischen. Doch der Räuber war hergekommen, und so musste auch er für den Augenblick hier sein.

Er überholte zwei nörgelnde Frauen in mittlerem Alter, die sich wie Zugtiere aneinander gebunden hatten, um einen polternden Holzkarren in die Stadt zu ziehen. Auf der Ladefläche lagen die geschwärzten Überbleibsel eines Flugzeugmotors. Dann kam er an zwei Männern vorbei, die, bis an die Zähne bewaffnet, auf Ponys ritten und eine Herde zum Markt trieben. Die aneinandergebundene Herde schloss einige magere Ziegen und Kühe ein und außerdem einige Männer mit rasierten Köpfen, die besudelte gelbe Gewänder trugen. Die Männer sangen im Laufen mit matten Stimmen: »Hare Krishna, Hare Krishna... Hare Hare... Hare Rama...« 

Max fragte sich einen Moment, ob er in diesem Augenblick die letzten Hare Krishna-Leute auf der Erde sah. Er hatte weiß Gott schon eine Menge gesehen. Als er die Männer überholt hatte, begegnete er zwei gefesselten Frauen. Eine war extrem fett, die andere schlank und schön wie eine Porzellanfigur - und ebenso zerbrechlich. Sie ging mit zarten, zitternden Bewegungen, als könnte jeder Schritt ihr letzter sein. Max wandte hastig den Blick ab. Er konnte es nicht ertragen.

Vor ihm tauchte ab und zu ein winziger bunter Regenschirm aus der Menge auf wie ein Wasserball auf einer Welle. Er saß wie ein Hut auf dem Kopf eines Händlers mit einem verkniffenen Gesicht, der sich so mit Flaschen und Tassen bepackt hatte, dass er aussah wie ein übriggebliebener Hofnarr. Er stand vor einem Wagen mit einem großen Metalltank und rief die Passanten mit einem nasalen Singsang an: »Wasser... Wasser... hier gibt's Wasser. Wirklich Wasser - keine Cola!« Sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Richtiges Wasser...«

Zivilisation. Max beobachtete durstige Wanderer, die stehenblieben, um eine Tasse zu kaufen und hinunterzustürzen.

Max näherte sich mit gebannten Augen dem Ort, an dem die glänzende Flüssigkeit so leicht in so viele Tassen floss. Er schluckte wieder und wieder.

»Wasser«, rief der Verkäufer, immer noch grinsend, »Das Beste, was die Natur zu bieten hat... kein Zuckerzusatz... keine Konservierungsstoffe... reines Wasser. Offizielles Getränk der fünfundzwanzigsten Olympischen Spiele... Wasser...« Über der Schulter trug er einen Stock, an dem ein leerer, hölzerner Vogelkäfig baumelte. Als Max näherkam, sah sich der Mann um und schätzte den dürstenden, sonnenverbrannten Wanderer als sicheren Kunden für mindestens eine Viertel Gallone ein.

Das Grinsen des Wasserverkäufers wurde breiter. »Komm nur her, mein Junge«, sagte er freundlich. »Lass uns ein wenig handeln. H2O, das macht so froh...«

Zu leicht... Max zwang sich, den Blick abzuwenden und ging weiter. Der Wasserhändler schob seinen Wagen herum und folgte ihm, hielt Schritt mit Max, während der Redestrom weiterplätscherte. »Was haste denn? Kugeln? Medikamente? Was zu rauchen? Was zu kauen?«

Max schüttelte den Kopf und ging weiter.

»Verstehst du denn nicht?« Der Wasserverkäufer schob sich vor ihn und hielt ihn auf. »Das ist Wasser. Du kannst nicht ohne Wasser leben...«Er hob eine Feldflasche und goss einen Strom der klaren Flüssigkeit in einen markierten Becher, während er Max wie ein Habicht beobachtete. Dieser arme Schlucker schien nicht viel bei sich zu haben, das den Handel lohnte, aber er sah aus, als wäre er bereit, sein eigenes Blut gegen Wasser einzutauschen. »Ich sag dir was - einen Becher für zwei Joints...« Er schwenkte den Becher unter Max' Nase.

Max starrte ihn an und schluckte wieder, bis seine Stimme funktionierte. »Du trinkst zuerst...«, sagte er rau.

Der Wasserverkäufer lachte beeindruckt. »Du bist vorsichtig - das gefällt mir. Aber es dauert manchmal Tage, bis das Gift wirkt...«Er langte in eine versteckte Innentasche seiner Jacke und holte einen Kanarienvogel heraus. »Auf der anderen Seite, einer dieser kleinen Vögel...«Er drückte den Schnabel des Vogels auf und goss ein kleines Rinnsal hinein. Dann schob er den Vogel sanft in den Käfig, der über seiner Schulter hing. »Siehst du?« Der Fremde zögerte immer noch. Der Händler grinste gereizt und hob die Hand, hielt Max wieder den Becher hin. »Schlag vor dem Weihnachtsrummel zu. Einen Becher für zwei Joints.«

Max fasste in die Falten seines lockeren Überkleides. Der Wasserhändler versteifte sich, als etwas in der Hand des Fremden erschien, das wie ein Pistolenlauf aussah, der direkt auf seine Brust zielte. Doch Max bewegte den Lauf weiter, bis er dicht über dem Becher mit dem Wasser schwebte. Das Ding, das nach einer Waffe aussah, begann wie wild zu knarren. Der Wasserhändler platzte lachend heraus, als er erkannte, dass der Fremde nichts weiter als einen Geigerzähler in der Hand hatte. »Na, ein kleiner Fallout, was?«, sagte er.

Max wandte sich wortlos um und ging weiter.

»Einen schönen Tag noch.« Diesmal folgte ihm der Wasserverkäufer nicht. Er hätte einen Kunden verloren, aber das war zum Glück auch alles, was er verloren hatte. Immer noch grinsend drehte er sich um und fasste den nächsten Kunden ins Auge, der die Straße herunterkam. »Wasser... Wasser...«, rief er. »Das Beste, was die Natur zu bieten hat. Wasser...«

Max warf einen Blick zurück und sah, wie der Kunde stehenblieb und in seiner Tasche suchte. Er holte einige Gewehrkugeln heraus, und der Wasserhändler gab ihm den Becher. Er trank gierig. Max sah wieder nach vorn.

Vor ihm erhob sich jetzt das Seltsamste, das er seit langem gesehen hatte. Es war ein alter Tunnel, der in die steile Hügelflanke gebohrt war. Er hatte einst zu der Mine im Innern des Berges geführt. Jetzt aber, gesichert mit einem schweren Eisengitter und von bewaffneten Posten bewacht, stellte er den einzigen Zugang zu Bartertown dar. Max konnte von der Stadt im Herzen des Berges nichts sehen; nur das Gitter und die klaffende Tunnelmündung und an den Wänden des Tunnels die gespenstischen Schatten der unpassenden künstlichen Lichter, die an der Decke hingen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so viele Lampen gesehen hatte - funktionierende elektrische Lampen, und alle eingeschaltet; er fragte sich, woher sie den Brennstoff für die Energie bekamen. Die Luft war dunstig von Rauch und Staub und behinderte den Blick in das Gelobte Land im Berg.

Am Eingang des Tunnels saß in einer aus dem Felsen geschnittenen Kabine ein Pförtner, der die vor das Tor tretenden Händler taxierte und Gebühren kassierte. Die Apokalypse, oder zumindest Bartertown, war ihm gut bekommen, denn sein großer Eunuchenkörper hinter der Lederschürze war fett und schlaff, die Haut rosig und weich.

Max stellte sich hinter einem Trapper an, dessen Karren hoch mit Fellen und erlegten Tieren beladen war. Der Pförtner beugte sich in seinem wackligen Lehnstuhl vor und lugte durch das Fenster, während er dem Trapper Bartertowns Gesetz erklärte. »Auf Felle von kleinen Tieren«, sagte er, indem er den schwerbeladenen Karren beäugte, »nehmen wir zehn Prozent. Das ist unser Anteil... der Rest gehört dir - du kannst es eintauschen gegen was du willst.«

Der Trapper zögerte, dachte stirnrunzelnd über die zehn Prozent nach.

Der Pförtner beugte sich weiter vor und senkte die Stimme. »Pass auf«, murmelte er, »der Kurs steht gut. Vier Felle bringen dir einen Sack Korn... oder zwei Stunden mit einer Frau...« Er hob die Augenbrauen.

Der Trapper begann bei dieser Aussicht zu strahlen. Er spuckte sich in die Hand. Der Pförtner tat desgleichen, und sie gaben sich die Hände und besiegelten den Vertrag.

Vier schwerbewaffnete Männer, drei von ihnen trugen Gasmasken, traten auf ein Zeichen des Pförtners vor und durchsuchten den Karren und legten den Zoll beiseite. Sie waren Bartertowns Garde. Ihr Haar war im Stil der Mohawk-Indianer geschnitten, und sie trugen grobe Uniformen aus Eidechsenhaut und Lederharnische, die ebenso viel freiließen, wie sie bedeckten - ein Beweis ihrer Verwegenheit oder ein Zugeständnis an die Macht der Wüstensonne. Max musterte sie unauffällig, besonders den Mann, der keine Gasmaske trug. Sein Kopf war kunstvoll mit Federn geschmückt, in deren Band ein kleiner Schädel wie ein Edelstein eingearbeitet war. Er war ein grober Klotz von Mann, nicht so groß wie die anderen, sondern von der Statur eines Panzers. Sein muskelbepackter Oberkörper und die Arme waren mit komplizierten Tätowierungen bedeckt. Er war der Captain der Polizei von Bartertown, und sein Name war Ironbar Bassey, der Knochenbrecher.

Jeder, der das Pech hatte, ihm in die Quere zu kommen, konnte sich davon überzeugen, dass dieser Name richtig gewählt war.

Als der Trapper in der Tunnelmündung verschwunden war, trat Max vor die Pförtnerloge.

Der Pförtner beäugte ihn von oben bis unten, registrierte das hagere, sonnenverbrannte Gesicht und die fehlenden Handelswaren mit unverhohlener Skepsis. »Mit was handelst du?«, fragte er.

Max schluckte wieder und versuchte, genügend Speichel in seinen wunden Hals zu zwangen, damit die Worte herauskommen konnten.

»Ich suche nach einem Mann«, flüsterte er.

»Hast du was zum Handeln oder nicht?« unterbrach ihn der Pförtner.

»Er ist mit einem Kamelzug gekommen...«, fuhr Max mit rauer, schwankender Stimme fort. »Er hat ein verrücktes Lachen...«

Der Pförtner verzog sein rosafarbenes Schweinchengesicht. Er beugte sich vor und deutete mit einer fetten Hand auf das Schild. An beiden Armen trug er je ein halbes Dutzend Uhren.

»Das hier ist Bartertown - kapiert?«, sagte er mit hoher, schneidender Stimme. »Die Leute kommen her, um zu handeln - um Geschäfte zu machen und was zu verdienen. Wenn du nichts zum Handeln hast, dann hast du in Bartertown nichts zu suchen.«

»Eine Stunde«, sagte Max. »Mehr brauche ich nicht.«

Der Pförtner sah an ihm vorbei zum nächsten Mann in der Schlange, als existierte Max nicht mehr. »Der nächste.« Der Händler hinter Max drängte sich ungeduldig vor.

Max blieb stur an seinem Platz stehen. »Ich bin geschickt - ich kann arbeiten«, sagte er, während seine Stimme verzweifelt kratzte. Jetzt abgewiesen zu werden, war sein Todesurteil; er hatte keine Wahl mehr.

Der Pförtner beäugte ihn mit hämischem Vergnügen. »Tut mir leid«, sagte er. »Der Puff ist schon überbelegt.«

Max' Hand schoss vor und packte die lederbepackte Brust des Dicken. Er zog den Pförtner aus der Loge, bis der fast haarlose Kopf und das Schweinsgesicht des Mannes nur noch wenige Zentimeter von Max' Gesicht entfernt war.

Ironbar Bassey und seine Männer sprangen vor. Der Captain der Wache schwang eine riesige, mit Nägeln gespickte Keule.

Max, der den Pförtner keinen Augenblick aus den Augen ließ, langte mit der freien Rechten unter seinen Rock und zog die abgesägte Schrotflinte heraus, die er an der Hüfte getragen hatte. Er schoss.

Die Garbe fegte die Federn von Ironbars Schädel und rasierte über seinen Kahlkopf. Die Wächter blieben stolpernd stehen, während um sie her Federn wie Schneeflocken fielen. Sie standen wie gebannt, und wie alle anderen, die in Sicht- oder Hörweite waren, sahen sie Max in dem drückenden Schweigen an, das dem Schuss folgte.

Max, der immer noch den Lederumhang des Pförtners hielt, starrte sie entschlossen an. Er hatte den Lauf an die Schläfe des Mannes gesetzt. Dann wandte er sich wieder an den Pförtner.

Der hob die Hand und winkte die Wachen zurück.

»Wie ich schon sagte«, krächzte Max, »brauche ich nur eine Stunde.«

Der inzwischen stark schwitzende Pförtner erwiderte seinen Blick. »Und wenn du ihn findest - was dann?«

»Ich werde ihn bitten, mir zurückzugeben, was mir gehört«, murmelte Max.

»Natürlich.« Der Pförtner nickte zustimmend, während seine Augen weiße Ringe bekamen. »Er wird sicher so vernünftig sein, es sich noch einmal zu überlegen.«

»Allerdings.« Max' Augen wurden hart. »Das wird er.«

Der Blick des Pförtners wurde stechend. Die ironische Haltung fiel von ihm ab wie eine nutzlose Maske. Er musterte Max mit plötzlichem Interesse. »Wir glauben wohl, wir sind gut, was?«, fragte er.

Max nickte, ohne mit der Wimper zu zucken. »Gut genug.«

Der Pförtner schielte zu Ironbar. Der Fremde war gut genug, um sie beide in eine Situation zu bringen, die sie noch nie erlebt hatten.

»Dann hat er vielleicht doch was zum Handeln«, murmelte er. Ironbar beantwortete nickend eine unausgesprochene Frage.

»Und was wäre das?«, fragte Max, während er den Griff um den Kragen des Pförtners ein wenig verstärkte.

Der Pförtner sah ihn wieder an und begann jetzt ernsthaft zu handeln. »Vierundzwanzig Stunden deiner Zeit. Als Gegenleistung bekommst du zurück, was dir gestohlen wurde.«

Max' Gesicht entspannte sich etwas, und er lockerte seinen Griff. »Klingt wie ein gutes Angebot.«

»Das ist es nicht«, sagte der Pförtner. Er machte eine Geste mit dem Kopf. »Lass uns reden. Hier drinnen...«

Max erwiderte seinen Blick, schätzte seine Vertrauenswürdigkeit ab, dachte nach... er lockerte seine Hand und nahm das Gewehr vom Kopf des Pförtners, der sofort zurücksprang und in seiner Kabine verschwand.

Gleichzeitig drangen die Wachen wieder vor. Max schwang reflexartig die Waffe herum, bis sie fast vor Ironbar Basseys Nase prallte.

»Lasst ihn!«, rief der Pförtner, der wild gestikulierend aus einem Seiteneingang auftauchte. Ironbar trat zurück, als der Pförtner sich zu Max gesellte und ihn zum Eingang von Bartertown komplimentierte. Max verzog das Gesicht und ließ das Gewehr sinken. Ironbar folgte ihm schweigend, schritt mit der Keule in der Faust wie ein schwerbewaffneter, böse gerupfter Puter durch den Gang hinter ihm her. Seine Mannen folgten kommentarlos.

Auf halbem Weg durch den düsteren Tunnel gelangten sie an eine Art Bankschalter, an eine mit Gittern gesicherte Öffnung. Der Raum dahinter war ebenfalls aus dem Felsen geschnitten. Der Pförtner blieb vor dem Fenster stehen. »Da wäre noch eine Sache...«Er deutete auf das Schild über dem Gitter, auf dem in krakeligen Buchstaben stand:

 

Keine Schusswaffen in Bartertown

Geben Sie Ihre Waffen hier ab

 

Ein Mann mit mehreren Zahnlücken, der einen Blendschirm und eine Lederschürze trug, tauchte hinter dem Schalter auf und lächelte freundlich. Sein Name war Wristman, und er überwachte die Waffensammlung aller Gäste Bartertowns.

Max sah zu dem Schild hoch, dann wieder zu Wristman hinab und schüttelte den Kopf.

»So ist hier das Gesetz«, sagte der Pförtner leise, während er näher an seine Seite trat. Auch die Phalanx der Wachen rückte näher und kreiste Max ein. »Es gibt keine Ausnahmen.«

Max zögerte einen Augenblick, spürte den Druck des halben Dutzends Körper, die ihn umzingelten, alle mit Armbrüsten, Totschlägern oder Keulen bewaffnet, spürte ihren vereinten Willen gegen den seinen drängen... Er knallte die Flinte auf die Theke. Dann schlug er seine Kleider zurück, nahm eine Armbrust vom Gürtel und legte sie daneben, löste den Pfeilwerfer vom Unterarm, hakte die Tasche mit den Kugeln vom Gürtel. Wristman sah ihm lächelnd zu, als er wortlos den Geigerzähler auf den Stapel legte. Er schob den Haufen unter dem Gitter durch und trat zurück.

Der Pförtner begutachtete mit geübtem Blick die Ausbeute. »Kein Messer?«, fragte er scheinheilig lächelnd.

Max nahm resigniert seine Fliegenklatsche zwischen die Zähne, bückte sich und zog ein Messer aus dem Stiefel. Dann langte er über die Schulter und zog ein zweites Messer aus der Scheide, die er auf dem Rücken befestigt hatte. Er wog in jeder Hand ein Messer, dann warf er sie, so dass sich ihre Klingen dicht vor Wristman zitternd nebeneinander in die Theke gruben. Max zuckte mit leeren Händen die Achseln. Die Fliegenklatsche hatte er noch zwischen die Zähne geklemmt.

Ironbar Bassey beugte sich vor und ließ die Hände über Max' Hüften gleiten, als er ihn durchsuchte. Max versteifte sich wie ein wildes Tier; er drehte sich halb zu ihm herum und ballte die Fäuste.

Als der Pförtner Max' Gesicht sah, streckte er einen Arm aus und unterbrach die Durchsuchung. »Das ist nicht nötig«, murmelte er. Max entspannte sich und drehte sich zu ihm um. »Oder?«, fragte der Pförtner bedeutungsvoll. Er ging weiter den Tunnel hinunter. Max holte tief Luft und folgte ihm und wurde seinerseits von den Wachen verfolgt.

Als sie gerade losmarschiert waren, glitt Wristman aus seinem Kabuff. Er holte den Pförtner ein und lauschte angespannt, was ihm der dicke Mann ins Ohr flüsterte. Er nickte und ging rasch weiter, bis er im heller werdenden Tunneleingang verschwunden war.

Max, nun nur noch mit seiner Fliegenklatsche bewaffnet, betrat Bartertown.

Der Schock des Anblicks, der auf ihn wartete, ließ ihn blinzeln; das volle Tageslicht und die Stadt beleidigten seine betäubten Sinne. Langjähriges Training ließ sein Gesicht regungslos bleiben, doch seine Augen weiteten sich, als sie das Durcheinander von Hütten und Zelten, von Baracken und Höhlen, von Verschlügen und Ständen gewahrten, das die Felsenterrassen der ehemaligen Mine bedeckte. Durch ein Wirrwarr von Leitern und Wegen verbunden, lag die wimmelnde Müllkippenstadt vor ihm, erstreckte sich bis hinunter zur ebenen Grundfläche des Kraters, umgab einen zentralen Platz, der dem Handel Vorbehalten war. Weit mehr Menschen, als er auf den ersten Blick zählen konnte, schwärmten durch die Straßen. Überall ragten gewaltige schwarze Rohre aus dem Boden, aus denen Rauch, Dampf oder Flammen quollen, als seien sie Kamine der Hölle.

Auf dem überlaufenen Platz, der sich weiter erstreckte, als er sehen konnte, hämmerten eifrig Schmiede und Stellmacher, die aus dem Schrott von Gestern die Werkzeuge von Morgen formten. Ihre dröhnenden Schläge vermengten sich mit den Rufen der Händler, die ihre Waren anpriesen, und dem Brüllen der Tiere. Überall wurde gehandelt, wie er hätte handeln sollen - Hühner gegen Getreide, Getreide gegen Alkohol, Alkohol gegen Sex. Tausend verschiedene Gerüche multiplizierten und verstärkten einander zu einem Miasma, das seine an die klare Wüstenluft gewöhnten Sinne betäubte. Es war eine Gettostadt, eine düstere, mittelalterliche Ruine, der Leiche einer Zivilisation entsprungen, die sich weigerte, sich zum Sterben niederzulegen... und doch pulsierte hier neues Leben und eine dickköpfige Vitalität, die der Zeit vor dem Desaster näherkam als alles, das Max während der letzten fast zwanzig Jahre gesehen hatte.

Im Zentrum der Stadt erhob sich, alles überragend, ein Turm. Auf seiner Spitze lag das einzige Penthouse des Ödlandes, das dem Bewohner einen Rundumblick auf das Elend darunter erlaubte. Max starrte hinauf und fragte sich einen Augenblick, wer dort oben wohnte. Wer auch immer es war, musste leben wie ein Herrscher, wie ein König.

Direkt vor ihm, in der Nähe des Eingangs, stand wieder ein Schild, dessen gezackte Holztafeln in alle Himmelsrichtungen deuteten. Sie wiesen Neuankömmlinge zu den verschiedenen Dienstleistungen und Genüssen, die Bartertown anzubieten hatte:

 

Kleintiere/Felle/Mäntel

Hufschmied/Knocheneinrichter/Amputation

Paradise Alley

Garten der Freuden/Alles was das Herz begehrt

Fool's Way

 

Max fragte sich finster, ob er bereits den letzten Weg, die Straße der Narren, gewählt hatte. Über der Tafel hockten zwei Gardeleute auf einem Wachturm und beobachteten jeden, der die Stadt betrat oder verließ. Als Max zu ihnen hinaufschaute, wurde sein Blick von einer vorbeitorkelnden, bizarren Erscheinung behindert, die genauso groß wie der Wachturm war. Eine dürre, große Gestalt mit einer riesigen Schutzbrille und einem Helm, der aussah wie eine Fliegende Untertasse, stakste mit weit ausgreifenden Giraffenschritten vorbei. Auf dem Helm war eine brennende Glühbirne befestigt, die auf dem schlaksigen Körper wie das Symbol der Erleuchtung erschien; sie wurde von Batterien gespeist, die er auf dem Rücken trug. Die lebende Witzfigur ging eine Seitenstraße hinunter und folgte der Lichterkette, die den Weg beleuchtete wie eine Weihnachtsdekoration. Max konnte sehen, dass der Birnenmann eine Lampe nach der anderen überprüfte und die ausgebrannten durch neue Birnen ersetzte. Max wurde endlich mit einiger Erleichterung klar, dass der Mann auf Stelzen ging. Der Birnenmann verschwand gerade hinter einigen Gebäuden, als Max von seiner Eskorte aufgefordert wurde, auf einem der Wege seinem unbekannten Ziel entgegenzugehen.

Max folgte schweigend dem Pförtner, und während sie sich durch die überfüllten Straßen drängten, blieb sein ruheloser Blick nirgendwo länger als einen Augenblick hängen. Er versuchte so viel wie möglich von dem zu sehen, so viel wie möglich von dem zu erfassen, was diese unbekannte Größe Bartertown ausmachte. Wissen war gleichbedeutend mit Überleben. Und irgendwo in diesem byzantinischen Wirrwarr waren seine gestohlene Habe und dieser Hundesohn, der sie ihm geraubt hatte.

Er passierte beängstigend enge Gassen, die himmelhoch mit allen nur erdenklichen Gütern vollgestopft waren; es gab Reparaturwerkstätten, in denen Dinge auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt und zu neuem Leben gezwungen wurden, von denen er nicht gedacht hätte, dass sie noch existierten. Er beobachtete einen Zahnarzt, der passenderweise mit der blutbesudelten Schürze eines Schlächters bekleidet war - er bohrte in den Zähnen eines heulenden Patienten herum, der auf einem Fass hockte. Der Zahnarzt war, wenn man dem Schild über seinem Laden glauben konnte, zugleich auch Hufschmied.

Die Schreie, das Heulen, das Gekreisch eines Freiluftmarktes für Vögel und Kleinvieh beleidigte als nächstes seine Sinne; er ließ den Blick darüber streichen, doch er konnte in keinem der Käfige einen Affen entdecken.

Das Geschrei und das Jaulen und Pfeifen der Menge vor dem Freudenpalast war kaum zivilisierter; Händler und Einwohner genossen eine Bühnenshow, bei der nackte und fast nackte wirbelnde Körper die Gaffer zu den weitaus besseren und intensiveren Genüssen im Innern verlockten.

Hinter dem Bordell betraten sie einen weiten, offenen Platz, auf dem ein Mann auf einer Plattform über der Menge stand. Er trug einen zerknautschten Zylinder und einen Smoking über der nackten Brust. Er war als Dr. Dealgood bekannt - Bartertowns hochangesehener Chefauktionator, und eine gewaltige Stimmungskanone. Ihm zur Seite standen zwei außergewöhnlich hübsche Frauen in winzigen befransten Bikinis. Sie hoben Schilder mit der Aufschrift: DAS HEUTIGE SPITZENANGEBOT, und wackelten verführerisch mit den Hüften, um die Menge bei Laune zu halten. Als er ihre leeren, verzerrten Gesichter sah, taufte Max sie auf der Stelle SCHUBIDU und SCHUBIDUMMDUMM. Er wandte wenig beeindruckt den Blick wieder ab.

»Es ist ein irres Tier...«, rief Dr. Dealgood, »das einzige Geländefahrzeug, das einen nie im Stich lässt...«Er deutete auf die hinter ihm liegende Viehhürde und warf die Arme hoch. »Wüste, Dünen, salzige Pflanzen. Du sagst, was du willst, und das Kamel packt alles...«

Kamele? Max erstarrte und sah sich mit plötzlich gewecktem Interesse um. Er hob den Kopf und versuchte, über die Menge hinwegzuschauen. »Denk dran«, rief Dr. Dealgood, »dies ist das Fortbewegungsmittel, das Detroit pleite machte - achthundert Kilometer pro Gallone.«

Max schob sich durch die Menge, und der Pförtner und Ironbar Bassey folgten dichtauf. Die Händler murrten, als Max sich mit den Ellbogen zwischen ihnen hindurchschob; ihre Wut verwandelte sich in Angst, als sie sahen, wer ihm folgte. Die Menge wich zur Seite und gab den Weg zur Plattform frei, auf der sich die ausgestellten Tiere rastlos bewegten. Acht Kamele... seine Kamele, die ihm geraubt worden waren und jetzt verkauft werden sollten.

Dr. Dealgood sah zu Max hinunter, der sich rücksichtslos zu den Kamelen vordrängte; er bemerkte sein ungewöhnliches Interesse. »Sie haben Einzelradaufhängung und Servolenkung...« Eins der Kamele schlug den Schwanz zur Seite und ließ zwischen den Hinterläufen einen Haufen Dung fallen. Dr. Dealgood rümpfte die Nase. »Und keinen Katalysator.« Er grinste, hob die Augenbrauen und sah Max an. »Eines Tages wird ein Modell auf den Markt kommen...«

Max langte hinauf und streichelte die Nase des nächsten Kamels; es knabberte an seiner Hand und reagierte mit einem breiten, blöden Grinsen auf den vertrauten Geruch. »Wo haben Sie die her?«, fragte er.

»Von einem Durchreisenden...« Dr. Dealgood zuckte die Achseln. »Hab sie erst gestern bekommen.«

Max' Augen glitten rasch über die Menge, dann wieder zurück. »Hat dieser Fremde komisch gelacht?« Er ahmte das irre Gelächter des Räubers so gut er konnte nach.

Dr. Dealgood nickte. »Ja. Das war er.« Er ahmte selbst das Lachen nach - perfekt, und die Menge antwortete lachend.

Max wollte gerade wieder den Mund öffnen, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Ironbar Bassey riss ihn zurück.

»Das sind meine Kamele!« Max' Hand deutete protestierend zur Plattform und unterstrich seinen Anspruch.

»Das waren deine Kamele«, knurrte Bassey. »Komm mit.« Die Hand schloss sich schmerzhaft, drückte auf einen Nerv. Max fuhr zusammen und ließ sich abführen, während hinter ihm Dr. Dealgood achselzuckend sein Pech abtat und sich wieder lockend an die Menge wandte. »Reitet jetzt gleich mit ihnen fort... macht mir Angebote!«

»Ein Hengst und drei Indianer!«, rief der Kopfjäger mit den Hare Krishnas.

»Ich nehme das Pferd.« Dr. Dealgood bedeutete ihm vorzutreten. »Die Gurus kannst du behalten...«

Max ging mit geballten Fäusten weiter, ohne sich umzudrehen.

 

 

 

Kapitel 3: Entity

 

 

Max und seine Begleiter erreichten endlich ihr Ziel: die mit Beton verkleidete Basis des Turms, dessen Stahl- und Holzgerüst mit dem Penthouse darauf er schon vorher gesehen hatte. Während er in das komplizierte, zusammengeschweißte Durcheinander des Gerüstes hinaufschaute, dachte Max, dass er nun wahrscheinlich doch erfahren sollte, wer dort oben wohnte. Er fragte sich, ob er die Begegnung danach als erfreulich oder als bedauerlich empfinden würde.

Wristman, der Waffenkontrolleur, erwartete sie vor einem grob gezimmerten Holzkäfig, der anscheinend Bartertowns Version eines Aufzugs darstellte. Er erinnerte Max an einen Vogelkäfig, groß genug, um drei oder vier Menschen einzusperren. Er hing an einem System von Umlenkrollen und Kabeln. Der Pförtner trat ohne zu zögern hinein. Max folgte ihm, und Ironbar schloss sich ihnen an.

Wristman sicherte die leichte Tür und gab ein Signal. Der Lift begann krachend und schwankend seinen Aufstieg. Max klammerte sich an das Gitter und sah zu der Holzplattform über ihnen hinauf. Dann senkte er den Blick und betrachtete das wachsende Panorama des wuchernden Ortes unter ihnen. Er versuchte, den Weg zu finden, den sie durch das Straßenlabyrinth genommen hatten, doch es gelang ihm nicht. Und plötzlich wurde sein Ausblick behindert, denn der Aufzug stieg durch den Boden des Penthouse.

Der Korb hielt mit einem leichten Ruck an. Max wandte sich um und sah zwei weitere Gardisten; einer von ihnen hatte noch die Hand auf dem Hebel, der den Aufzug steuerte.

Der Pförtner stieß die Tür auf und stieg aus. Max folgte ihm und sah sich schweigend um. Er hatte das Gefühl, einen Traum betreten zu haben. Es war wunderschön; er hatte länger als sein Gedächtnis zurückreichte nichts Schönes mehr gesehen. Der Raum war in einen strahlenden Glanz gebadet; es war, als habe er einen Raum aus reinem Licht betreten. Wo ein stabiles Dach und Wände hätten sein sollen, war nichts als feines Musselin, mit dem ein leichter Wind spielte; es schien zu atmen und sich zu regen wie ein Lebewesen. Das spinnwebzarte Tuch war makellos weiß. Die warme Luft trug Musik zu ihnen, die die Unwirklichkeit des Augenblicks noch verstärkte - es war der verwunschene, klagende Gesang eines Saxophons. Obwohl er sich kurz fragte, ob er noch bei Sinnen wäre, erkannte Max, dass der Saxophonspieler sehr, sehr gut war.

Der Pförtner ging wortlos voran. Ironbar Bassey gab Max einen unsanften Stoß, der ihn aufforderte zu folgen. Sie gingen durch einen Gazevorhang und betraten einen noch größeren Raum.

Das Zimmer hinter dem Vorhang war von fast orientalischer Schlichtheit, als sei es entworfen worden, um dem Geist friedvolle Meditation und dem Auge Ruhe zu gewähren. Das Zentrum des Raumes wurde von einem langen, niedrigen Tisch eingenommen, auf dem ein Zinnkrug und ein Silbertablett mit Früchten standen; im hinteren Teil sah Max eine Hängematte aus kunstvoll geknüpfter Seide. Ringsum standen leuchtend grüne Topfpflanzen, und an der Decke summte leise ein Ventilator, der die Luft kühlte und eine leichte Brise erzeugte. Der Saxophonspieler saß auf einem Kissen am Tisch. Er trug nur einen Lendenschurz und einige Perlenkettchen. Er war schwarz, von mittleren Jahren, und sein Kopf war zum größten Teil kahlrasiert. Die Haut auf seinem stämmigen Oberkörper und auf seiner Stirn war mit komplizierten, geschmackvollen Tätowierungen verziert. Er hieß Tonton Tattoo.

Seine Finger glitten in fließenden Bewegungen über die Tasten des Instruments; er schien völlig in seiner Musik versunken. Max starrte ihn an - er konnte nicht glauben, dass jemand ihr Eindringen derart ignorieren konnte... bis er die Augen des Mannes sah, trübe und kalt wie Stein. Der Mann war blind.

»Rachmaninoff«, sagte eine tiefe, volle Frauenstimme.

Max sah erschreckt wieder auf. Auf der anderen Seite des Raumes teilten zwei Hände mit schlanken, langen Fingern einen Gazevorhang, und eine Frau trat hindurch. Nicht einfach eine Frau.

Aunty Entity.

Sie war nicht mehr jung - er vermutete, dass sie mindestens so alt war wie er selbst -, doch ihr Körper schien straff und fest; ihr knielanges Kleid, aus Silberfäden gewoben, überließ fast nichts seiner Phantasie. Sie hatte silberblondes Haar, das wie die Mähne eines Falken fiel, und ihre Haut war getönt wie Milchkaffee. Sie trug Unmengen von Armbändern und schwere Ohrringe... und, unglaublich, Stöckelschuhe. »Erinnern Sie sich an Rachmaninoff?«, fragte sie leise.

Max antwortete nicht. Ihr Körper war auch einen zweiten Blick wert, aber seine Augen blieben vor allem an ihrem Gesicht hängen: starke, sinnliche Züge, die abschätzende Intelligenz in ihren Augen - diese Selbstsicherheit und der schiere, überwältigende Magnetismus ihres Blicks, der ihn durchfuhr wie ein elektrischer Schlag.

Der Pförtner trat neben Max. »Er ist ein Kämpfer, Aunty... er will ein Geschäft machen.« Seine Hand zuckte vor und deutete auf Max' Brust. Max erkannte plötzlich, dass diese Frau die Eigentümerin des Penthouse war... die Herrscherin, die Königin von Bartertown. Eine Frau. Man sah in jenen Tagen nicht viele Frauen mit einer derartigen Macht. Und doch, als er sie ansah, war er irgendwie nicht mehr überrascht.

Die Frau musterte ihrerseits Max von oben bis unten; ihr Blick erkundete seine zerrissenen, verdreckten Kleider, das störrische Haar und das ausgezehrte Gesicht. Sie verschränkte die Arme und musterte Ironbar, betrachtete die zersiebten Überbleibsel seiner Captainswürde. »Und er hat dich geschlagen?«

Bassey senkte den Kopf und studierte seine Füße, während sein Skalp rot anlief.

»Ihr werdet zu weich, Ironbar«, murmelte sie mit einer Spur Sarkasmus, mit einem winzigen Spritzer Gift. Sie wandte sich wieder an Max. »Sieh ihn dir doch an - er ist nur ein zerlumpter Mann.« Ihre Stimme war weich und doch beißend, wie guter Whisky.

Ironbar sah verletzt auf. »Er ist schnell«, protestierte er.

Aunty Entity trat näher an Max heran; jede Bewegung verriet die geschmeidige Anmut einer schreitenden Katze. Sie streckte die Hand aus und nahm ihm vorsichtig die Fliegenklatsche aus der Hand. Seine Hände spannten und lösten sich, während sie ihn taxierend umkreiste und sich mit der Fliegenklatsche in die Hand klopfte. »Meinst du, er könnte es schaffen?« Sie wandte sich wieder an Ironbar.

Ironbar zögerte, er wirkte unter ihrem Blick wie das Kaninchen vor der Schlange. »Weiß ich nich'...«, murmelte er, »vielleicht...« Er warf dem Fremden einen hasserfüllten Blick zu.

Sie drehte sich wieder zu Max herum, stand ihm zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber. »Was haben Sie gemacht?«, fragte sie. »Vorher, meine ich.«

Irgendwie wusste er, dass sie nicht nur die Zeit vor Bartertown meinte. »Ich war Cop«, stammelte er rau. »Fahrer.« Die Worte, die Identität, schienen inzwischen fast bedeutungslos.

Doch Entity hob die Augenbrauen. »Ein Bulle?«, sagte sie. »Mann, dann waren Sie ja wirklich Spitze!« Ihre Worte verspotteten ihn, doch ihre Augen musterten ihn mit neuem Respekt. Sie streckte den Arm aus und schob die Fliegenklatsche unter den Saum seiner Gewänder. Sie hob sie lässig hoch, wie jemand, der ein Pferd begutachtet. »Wie sich die Welt doch verändert hat...«, murmelte sie nachdenklich und amüsiert.

Sie musterte seine fleckigen, fadenscheinigen Hosen, den rostigen Metallreifen, den er für sein schlimmes Knie gemacht hatte. »Früher bist du stolziert wie der Hahn im Hühnerhof...« Sie hob seine Kleider bis zur Hüfte hoch, und ihre Augen folgten der Bewegung frech bis zur Gürtelschnalle: ein Teil der früheren Dienstkleidung - in das unzerstörbare Messing waren die Buchstaben MFP eingebrannt. »Und dann jagst du fremde Federn in die Luft.« Sie verzog den Mund.

Sie ließ seine Kleider fallen und warf ihm die Fliegenklatsche zu. Er fing sie geschickt auf, ein wenig zu hastig, während sie sich umdrehte. »Spiel was, Tonton«, sagte sie. »Etwas Tragisches.«

Der Musiker hatte zu spielen aufgehört und schweigend dagesessen, seit sie den Raum betreten hatte. Nun hob er sein Instrument mit sicheren Bewegungen an die Lippen und begann wieder zu spielen - eine klagende, getragene Melodie.

Entity wandte sich wieder an Max. Sie hatte die Mundwinkel zu einem seltsamen Lächeln hochgezogen. Dann verblasste das Lächeln. »Wissen Sie, wer ich war?«, fragte sie. »Niemand. Aber am Tag danach lebte ich noch.« Sie bückte sich und nahm einen frischen Apfel von dem glänzenden Tablett auf dem Tisch. Sie wog ihn in der Hand wie die Göttin der Gerechtigkeit. »Der Niemand hatte die Chance, ein Jemand zu werden.« Sie blickte ihm einen langen Moment in die Augen, und in diesem Moment sah er in ihrem Gesicht mehr Regungen, als er in einem ganzen Leben hätte benennen können.

Sie kehrte ihm abrupt den Rücken zu und kappte die Spannung zwischen ihnen. »So viel zur Geschichte.« Sie machte eine beiläufige Geste zum Tisch. »Nun, bedienen Sie sich - Wasser, Früchte...«

Max spürte in seinem Rücken eine schwache Bewegung unter den Wächtern. Er zögerte, ließ seine Augen auf dem nun ausdruckslosen Gesicht der Frau ruhen; dann senkte er den Blick, betrachtete die Früchte, über denen bereits seine Hand schwebte. Entity, die ihn beobachtete, biss in ihren Apfel. Das plötzliche, saftige Krachen der frischen Frucht erfüllte den Raum, konnte aber ein zweites, viel vertrauteres Geräusch, nicht ganz übertönen.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung wischte Max die Früchte vom Tablett und packte es am Rand, wirbelte herum und schleuderte das Tablett wie einen Diskus. Das Tablett traf Ironbar genau an der Kehle und warf ihn rücklings auf den Boden. Die Machete, die Ironbar gezogen hatte, als Entity in den Apfel gebissen hatte, flog aus seiner Hand, als er stürzte. Das Tablett hatte seinen Hals tief eingedrückt.

Im gleichen Augenblick hob ein zweiter Wächter den Arm, zielte mit einer kleinen Armbrust auf Max und feuerte. Max sah die Bewegung aus den Augenwinkeln und duckte sich gerade noch rechtzeitig, so dass der Pfeil über seinen Kopf zischte. Der Bolzen traf Tonton Tattoos Saxophon; es jaulte wie ein tödlich getroffenes Schaf. Tonton fuhr überrascht auf und ließ das Instrument mit einem Schrei fallen.

Max sprang vor, packte den Wächter am Arm, riss ihn aus der Balance und setzte einen Schulterwurf an. Der Wächter prallte auf ein Ende des langen niedrigen Tischs, so dass das andere Ende hochwippte und das Gesicht des gerade vorstürzenden zweiten Wächters wie eine Schaukel traf. Er wurde zurückgeschleudert und fiel rückwärts durch die Vorhänge, die wie dünnes Papier zerrissen. Max hörte seine Schreie, als er drei Stockwerke tief auf die Straße stürzte.

Der Wächter brach sich das Kreuz, als er mit dem Rücken auf das hochgereckte Ende einer Akrobatenwippe prallte. Die Frau, die auf dem anderen Ende stand, wurde hoch in die Luft katapultiert. Sie segelte quer über die Straße und landete in den Armen des Birnenmannes. Der unerwartete Aufprall riss ihm die Stelzen weg; im Fallen griff er verzweifelt nach dem Beleuchtungskabel. Das Kabel riss, und er und die Frau stürzten rücklings in ein Zelt voller Waren und kreischender Hühner. Das gerissene Kabel zuckte wie eine Schlange, die ihre Beute gepackt hat; die Menschen in der Nähe rannten schreiend fort.

Die Geräusche des unten ausgebrochenen Chaos drangen deutlich bis in das Penthouse hoch, doch Max hatte im Augenblick Dringenderes zu erledigen. Er schoss vor, als Ironbar, eine Hand vor der schwer verletzten Kehle, sich vom Boden aufrappeln wollte, und machte sich bereit, den Gardehauptmann mit einem Tritt ins Gesicht auszuschalten. Da bemerkte er seitlich eine Bewegung; er wirbelte herum und sah, dass der Pförtner ihn von rechts angriff. Er schwang eine zweischneidige Axt, doch Max ließ sich zurückfallen und wich dem Schlag aus, der ihm einen Arm abgetrennt hätte; die Axt grub sich zwischen seinen Stiefeln tief in den Boden.

Der Pförtner riss wild am Griff und sah zu Max auf, während er versuchte, die Axt freizubekommen. Max erwiderte eine Sekunde, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, seinen Blick. Dann drang er vor und trat den Axtgriff hoch, der mit einem dumpfen Knall zwischen die Beine des Pförtners fuhr. Der Mann taumelte zurück. Seine Augen traten vor, und er riss zu einem stummen, qualvollen Schrei den Mund auf. Max hob eine Frucht auf und stopfte sie ihm in den offenen Mund.

Max wich schweratmend zurück und drehte sich um. Er suchte den Raum ab - ein Seil fiel über seinen Kopf. Ironbar, der hinter Max stand, zog die Schlinge um seinen Hals und knebelte sie mit dem Ende eines schweren Pfahls zusammen.

Max griff sich an den Hals und packte die Schlinge, die sich immer enger um seine Kehle zog. Seine Luftröhre wurde zusammengequetscht, und er konnte nicht mehr atmen. Je mehr er sich wehrte, desto enger wurde die Schlinge - sein Kopf summte, seine Lungen kreischten; Ironbars höhnisches Grinsen, Entitys kühler, unbeteiligter Blick verschwammen blutrot vor seinen Augen, wichen nicht mehr aus seinem Gesichtsfeld... er langte verzweifelt nach der Fliegenklatsche, die an seinem Handgelenk baumelte. Er packte den Griff und riss sie auseinander. Licht spiegelte sich in Metall, als er eine lange Klinge aus dem hohlen Griff zog.

Er hob blind die Hand und schnitt die Schlinge durch, holte rasselnd Luft und packte den Pfahl mit beiden Händen, zerrte hart daran und drehte. Das andere Ende war fest mit Basseys Handgelenk verknotet. Max sprang auf und riss den Pfahl hoch, zwang Ironbars Arm zu folgen. Bassey taumelte zurück, als seine eigene Faust vor seinen Mund knallte. Max riss den Pfahl immer wieder hoch, trieb Ironbar immer wieder die eigene Faust ins Gesicht, bis er bewusstlos vornüber auf den Teppich fiel.

Das Klicken einer gespannten Waffe hallte laut durch die plötzlich eintretende Stille.

Max drehte sich langsam um. Entity beobachtete ihn immer noch unbeteiligt von der anderen Seite des Raumes aus. Doch nun hielt sie eine kleine, starke Armbrust in den Händen, die direkt auf sein Herz zielte. Max lockerte seine verkrampften Hände; er blieb reglos stehen. Sein Atem ging rasselnd, und sein erschöpfter Körper zuckte.

Hinter ihm rappelte sich der Pförtner, der starke Schmerzen hatte, auf die Beine. Er humpelte an Max vorbei und stellte sich neben Entity. »Ich sagte doch, dass er gut ist...«, schnaufte er.

Max starrte ihn an und zog eine Grimasse. »Nein«, sagte er rau. »Ich habe nur Glück.«

Aus der Richtung des Aufzugs brachen zwei Gardisten durch die Vorhänge; sie hatten die Kampfgeräusche gehört und waren heraufgekommen, um zu helfen. Sie drangen mit gezückten Waffen auf Max ein.

Entity hob die Hand und gebot ihnen innezuhalten. Sie senkte ihre Armbrust.

»Meinen Glückwunsch«, sagte sie. »Sie sind der erste, der die Probe überlebt hat.«

Sie warf einen raschen Blick durch ihr ruiniertes Wohnzimmer und bückte sich, um den halbleeren Wasserkrug aufzuheben, der neben dem umgestürzten Tisch auf dem Boden lag. Sie bot ihn Max schweigend an.

Max presste seine gesprungenen Lippen zusammen. Er machte ein finsteres Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Es ist in Ordnung«, sagte sie etwas überrascht. »Es ist gut...«

Max' Hände ruhten reglos an seinen Hüften.

Entity hob den Krug an die Lippen und nahm einen Schluck, spülte ihren Mund und schluckte.

Max stürzte vor und riss ihr den Krug aus der Hand. Er trank den Krug leer; die klare, kalte Flüssigkeit spritzte ihm über Kinn und Brust und löschte das Feuer in seiner Kehle. Er setzte den Krug ab. Dann schnappte er sich eine der verstreuten Früchte und verschlang sie mit großen Bissen. Er hatte seit zwei oder drei Jahren keine Früchte wie diese gesehen, doch was ein erlesener Genuss hätte sein sollen, war nichts weiter als Nahrung für seinen ausgehungerten Körper und etwas, mit dem er seinen leeren, schmerzenden Magen füllen konnte. Max hörte, wie hinter ihm Ironbar und der andere Gardist wieder zu sich kamen und sich unsicher erhoben. Er nahm noch eine Frucht und aß unbeeindruckt weiter, ignorierte die Menschen, die ihn schweigend anstarrten.

Entity wartete, bis Max seinen Durst und seinen Hunger gestillt hatte, dann bedeutete sie ihm, ihr zu folgen. Er durchquerte den Raum und stellte sich neben sie, als sie den Gazeschleier beiseite zog und den Blick auf Bartertown freigab.

»Sehen Sie sich um, Mister«, sagte sie, während sie das wimmelnde Leben zu ihren Füßen überblickten. Max warf einen kurzen Blick hinaus, dann aß er weiter. Sein Hunger war jetzt so weit betäubt, dass er genießen konnte, was er zu sich nahm. Das süße, volle Fruchtfleisch und der Saft weckten in seinem Hals ein fast erotisches Gefühl.

»All dies habe ich erbaut«, sagte Entity so stolz, dass seine Aufmerksamkeit gefesselt wurde. »Ich habe bis zu den Achseln in Blut und Scheiße gewühlt - und wo einst Wüste war, ist jetzt eine Stadt; wo es Räuber gab, wird jetzt gehandelt; wo Verzweiflung war, ist Hoffnung...« Sie kehrte dem Ausblick den Rücken und wandte sich wieder an ihn, zwang ihn, sie anzusehen. Er erwiderte wortlos kauend ihren Blick.

»Ich würde mein Leben geben, um es zu beschützen«, sagte sie, und er glaubte ihr. »Und nun ist es nötig, einen Mann zu töten.« Ihre Augen verengten sich. »Interessiert?«

Max hielt inne, und die Orange verharrte auf halbem Weg zu seinen Lippen. Er biss hinein. »Was zahlen Sie?«, fragte er mit ausdruckslosem Gesicht.

»Ich gebe Ihnen Ihre Ausrüstung zurück, Ihren Wagen - die Tiere, alles.« Sie beobachtete ihn, wartete auf seine Reaktion. »Auch Treibstoff, wenn Sie wollen...« Sie bot ihm etwas an, das wertvoller war als Gold.

Max sagte nichts.

»Das ist ein großzügiges Angebot.« Sie bewegte sich unruhig, stützte die Arme in die Hüften.

»Warum gerade ich?«, fragte Max schließlich. »Sie haben Waffen, Krieger, geben Sie doch einfach Befehl...«

»Hör ihn dir nur an, Aunty«, sagte Ironbar knirschend, während er sich die Kehle hielt. »Das bringt doch nichts, diese Wortklauberei.«

Entity beachtete ihn nicht, sondern betrachtete Max mit dunklen, nachdenklichen Augen. »Ich habe es hier mit klugen Köpfen zu tun - es ist beinahe eine Familie...« Er glaubte fast, so etwas wie Bedauern zu hören. Sie wandte zum ersten Mal den Blick ab und sah hinaus.

Max verzog den Mund. »Eine wahre Zivilisation«, sagte er wenig beeindruckt.

Sie runzelte ihre glatte Stirn. Dann sah sie ihn wieder an. »Die Gründe gehen Sie nichts an.« Ihre Stimme wurde schärfer und erinnerte ihn daran, wer und wo er war. »Nur die Bedingungen sind für Sie von Interesse. Wollen Sie nun oder nicht?«

Max nickte, denn er hatte die Alternativen schon bedacht.

Ihr Gesicht verriet nicht, wie seine Entscheidung auf sie wirkte.

»Erstens«, sagte sie, jedes Wort stark betonend, »weiß niemand, dass Sie für mich arbeiten. Sie schlagen zu und gehen wieder. Zweitens ist es ein fairer Kampf. Drittens - es geht auf Leben und Tod.«

Max nickte wieder. Es klang aufrichtiger, als er erwartet hätte. Vielleicht meinte sie doch, was sie sagte. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte... »Und wer soll dran glauben?«

Entity drehte sich herum und führte ihn durch das verwüstete Wohnzimmer zur anderen Seite des Penthouse. Sie blieben vor einem langen Rohr stehen, das im Boden steckte; es kam Max irgendwie bekannt vor, und er erkannte in ihm eine Art Periskop. Es reichte bis weit unter das Penthouse, durch das Fundament des Turms bis tief in die Eingeweide der aufgegebenen Minen unter ihnen. Mit Hilfe eines primitiven aber trickreich angebrachten Systems von Spiegeln und Lampen erlaubte es Entity einen vollkommen sicheren Blick in das weitläufige Stollensystem, das Bartertowns Unterwelt darstellte. Ironbar zog den Sehschlitz von der Decke bis in Augenhöhe herunter, Und der Pförtner schob einen Stuhl für Entity heran, die den Griff des Periskops nahm und sich setzte.

Entity winkte Max an ihre Seite und lud ihn ein, mit ihr durch den Sichtschlitz zu blicken. Max setzte sich unsicher auf die Stuhlkante. Er streifte ihre Schulter, und ihre Gesichter berührten sich fast. Seine wiedererwachten Sinne begannen die Berührung ihrer und seiner Haut zu registrieren, den Duft und den Anblick und die Nähe einer schönen Frau. Er sah sie kurz an; ihre Augen wichen ihm aus, ihr Körper nicht. Sie wusste, was sie mit ihm tat... er hätte gerne gewusst, warum. Er zwang seine Aufmerksamkeit zum Periskop zurück und versuchte, seine Augen auf das Dämmerlicht einzustellen, das alles war, was er im Augenblick sehen konnte. Dann flackerte eine verwirrende Vielzahl bizarrer Lichter vorbei, als das Periskop gesenkt wurde und in einem großen Bogen eine unterirdische Welt durchmaß, deren Existenz unter der Welt, auf der er jetzt stand, er nie für möglich gehalten hätte.

Die Linse folgte einem wirren Bündel von Rohren, die an der Decke befestigt waren, durchbrach Dampfwolken und verharrte schließlich bei dem ersten Ding, das er klar erkennen konnte. Zwischen dem höllischen Wald von Kesseln, Rohren und schweren Holzbalken hing eine Tafel an einer Kette. Die Aufschrift lautete: DIE HENNE ATTILA BEOBACHTET DICH. Ohne den Kopf zu bewegen, warf Max wieder einen kurzen Blick zu der Frau neben ihm. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, während die Linse des Periskops an dem Schild vorbeiglitt, das wie ein trotzig gestreckter Finger wirkte. Jedes Ding hatte eben zwei Seiten... mindestens zwei.

Als Max wieder in den Schlitz sah, riss er die Augen auf. Hinter dem Schild öffnete sich die Höhle zu einem riesigen Gewirr von Rohren und Maschinen, die schwach von Bogenlampen und fernen Balken von Sonnenlicht beleuchtet wurden; die Sonne fiel durch gewaltige Lüftungsgitter in der Decke. Max machte sich klar, dass dies alles unter dem Marktplatz liegen musste, den er auf dem Weg zum Penthouse überquert hatte. Das Herzstück der Anlage war ein alter Lokomotivenmotor, der noch auf Schienen stand; man hatte ihn wohl aus den Tiefen der Mine heraufgeschleppt. Nun hatte er sich in ein ortsfestes Kraftwerk verwandelt. Die verrostete Karosserie war mit Teilen eines alten Lastwagens verkleidet, und die alte Maschine war für alle Zeiten in der Unterwelt gefangen und an eine verwirrende Vielfalt von Rohren und Messgeräten gekettet.

Doch die technischen Wunder der Zeit nach der Katastrophe waren nicht das, was Max' Augen am schwersten fassen konnten. Es war die Gegenwart tausender Schweine, wohin das Auge blickte. Ihre Verschläge und Ställe verloren sich in der halbdunklen Weite, Reihe auf Reihe, und alle grunzten, fraßen und misteten, als sei ihre Anwesenheit dort unten das Selbstverständlichste der Welt. Ihre Behausungen waren, für tierische und sogar menschliche Maßstäbe in dieser Zeit, wahrhaft luxuriös - reichlich mit vollen Trögen mit Fressen und Wasser ausgestattet. Zahllose menschliche Pfleger bewegten sich zwischen ihnen, spritzten sie ab, rieben sie sauber, schaufelten ihren Dung auf Schubkarren. Im Vordergrund des Bildausschnittes standen mehrere Arbeiter beisammen und massierten eine riesige alte Sau; Max konnte sich keinen Grund für ihr Tun vorstellen. Es schien ihm, als könne er fast das Grunzen und die Geräusche der schweren Maschinen vernehmen, die durch die Höhlen dort unten hallten; es war, als könne er fast den beißenden Gestank riechen... Er bemerkte, dass das Periskoprohr nicht nur die Optik versorgte.

»Das ist die Unterwelt«, sagte Entity. »Von dort bekommt Bartertown seine Energie.«

Max riss sich von dem unglaublichen Anblick los und sah sie an. »Was?«, fragte er. »Öl, Erdgas?«

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Ohrringe schlugen leicht gegen ihren Hals. »Schweine.«

Max sah noch einmal durch das Periskop. »Sie meinen - richtige Schweine wie die da unten?«

Entity nickte. »Genau.«

Max zog die Mundwinkel herunter. »Blödsinn.«

Sie erwiderte seinen hämischen Blick, ertrug ihn, zuckte mit keiner Wimper, bis er zu glauben begann, dass sie es wirklich ernst meinte. »Schweinemist«, sagte sie.

»Was denn?« Max sah sie fassungslos an.

»Das Licht, die kleineren Maschinen - unsere Fahrzeuge - sie laufen alle mit einem energiereichen Gas.« Sie lächelte wie eine amüsierte Lehrerin, die einen schwierigen Schüler unterrichtet. »Es heißt Methan. Und man kann Methan aus Schweinemist herstellen.« Sie hob die Hand und schloss sanft, fast zärtlich, sein Kinn in ihre Finger. Sie zog sein Gesicht wieder vor den Sehschlitz und stellte mit der freien Hand die Schärfe nach. Eng aneinandergedrängt sahen sie wieder durch das Periskop.

Diesmal wurde Max eine Gruppe von Männern in der Unterwelt gezeigt, deren Gesichter hinter den Mundstücken und Gläsern von Gasmasken an Schweine erinnerten. Sie leerten mit Schaufeln und Eimern die halbflüssigen Exkremente aus einem Fahrzeug, das wie eine Lore aussah. Die Linse wandte sich wieder der umgewandelten Lokomotive zu, suchte, bis sie eine hohe Holzplattform gefunden hatte, über der ein Bündel von Rohren verlief. Auf der Plattform stand ein großer verrosteter Kessel, der reichlich mit Anzeigen und Skalen bestückt war. Hinter der Plattform sah Max zwei Männer, Arbeiter, wie es ihm schien, die von einem viel kleineren Mann zurechtgewiesen wurden. Der Kleine trug eine Schutzbrille und so etwas wie einen Samuraihelm. Er war nicht nur klein, sondern auch alt, und Max war überrascht, als er die Angst in den Augen der Arbeiter sah.

Und dann begann der kleine Mann aufzusteigen, höher und höher hinauf, und die beiden Techniker traten zurück und sahen ihm nach. Der kleine Mann, der gerade so groß war wie ein Kind, saß auf einem Sattel... Er hockte, wie ein kümmerlicher Vogel auf dem Rücken eines Nashorns, auf den Schultern des größten und stärksten Mannes, den Max je gesehen hatte. Gesicht und Kopf des großen Mannes waren vollständig in einem verworren unterteilten Metallhelm verborgen. Der Anblick war nicht einfach bizarr, sondern erschreckend; es' sah aus wie der Rückenpanzer eines stark vergrößerten Insekts. Doch er war real. Die beiden Arbeiter wichen mit offensichtlicher Hast zurück.

Man konnte sehen, dass der kleine Mann sich vorbeugte und Anweisungen in ein Hörrohr sprach, das in den Helm des großen Mannes eingelassen war. Dann lehnte er sich auf den Schultern des Giganten bequem und sicher zurück und zog an einer langen Zigarre.

Das groteske Symbiontenpaar begann die Stufen zur Plattform hinaufzusteigen, die, wie Max jetzt erkannte, rings um die gefangene Lokomotive gebaut waren. Als sie die nur halb erleuchtete Plattform überquerten, schienen sie Max wie ein einziges Wesen. Der Gigant blieb am vorderen Rand der Plattform stehen und umklammerte das Geländer mit einer tellergroßen, behandschuhten Hand, während sein kleiner, verschrumpelter Partner ihr Reich mit einem selbstzufriedenen Lächeln überblickte.

Sie kamen genau ins Zentrum des Sichtschlitzes, als Entity das Periskop direkt auf sie einstellte.

»Wer ist das?«, fragte Max, doch er hatte bereits erraten, warum sie seine Aufmerksamkeit auf diese beiden gelenkt hatte. Das war also sein Gegner...

»MasterBlaster«, sagte Entity. »Er ist der Mann, der alles zum Funktionieren bringt. Er hält die Unterwelt am Laufen.«

Max sah wieder die Frau an. »Welcher von den beiden?«, fragte er, überrascht über die Stärke seiner Neugier.

»Sie sind Eins.« Sie nickte zum Periskop. »Sie haben sogar einen, wenn auch zusammengesetzten Namen. Der Kleine ist das Gehirn - deshalb heißt er Master. Der andere ist der Muskel - er heißt Blaster.« Max sah wieder durch die Linse. »Zusammen sind sie sehr stark...«

Das war eher eine Untertreibung. Als Max wieder hinuntersah, schaute der kleine Mann - Master - auf, und sein Gesicht gefror zu einem Ausdruck, der nur Hass sein konnte, während er Max' Blick direkt erwiderte. Max zog sich zurück, bis ihm einfiel, dass alles, was Master sehen konnte, das gesenkte Periskop war, das ihn beobachtete. Master rief etwas in Blasters Ohr, und Blaster begann, auf der Plattform auszuschreiten. Als sie an zwei Arbeitern vorbeikamen, die eine große, mit einer braunen Flüssigkeit gefüllte Lore schoben, sprach Master wieder in das Hörrohr. Blaster beugte sich gehorsam vor und nahm eine Handvoll der Masse heraus, die wie Schlamm aussah und doch kein Schlamm war. Er folgte dem Arm seines Herrn, drehte sich um und warf.

Max und Entity zuckten unwillkürlich zurück, als der Schweinemist exakt die Linse traf. Während Entity das Periskop wieder einfuhr, hörten sie Masters schrilles, irres Gelächter.

»Arrogant sind sie auch noch«, murmelte Entity trocken. Sie schloss den Sehschlitz. Ihre Bewegungen waren abrupt, sie konnte ihre Wut kaum beherrschen. »Ich will das Gehirn behalten. Der Körper muss weg.« Sie stand auf und sah auf ihn herab. »Sind Sie gut genug, um Blaster zu töten?«

Max stand auf und erwiderte einen langen Moment ihren Blick, ehe er antwortete. »Er ist groß. Wie gut ist er?«

Entity hob das Periskop. »Bei den meisten Männern reicht es schon, wenn er sie anpustet.«

Ironbar und der Pförtner flankierten sie wie Statuen. Sie stützte die Arme in die Hüften und wartete auf seine Antwort.

»Ich will ihn aus der Nähe sehen«, sagte Max schließlich. »Wie komme ich da runter?«

Entity zuckte eine geschmackvoll verhüllte Schulter. »Es ist eine Fabrik. Fragen Sie nach Arbeit.« Während sie ihn ansah, wich die sengende Hitze aus ihren Augen. Nun verstand er: Nur Sieger wurden belohnt... Sie wandte sich ab und schob sich zwischen Ironbar und dem Pförtner durch, als existierte Max nicht mehr.

Max schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich weiß absolut nichts über Methan...«

Entity drehte sich abrupt um, ihre Augen waren hart wie Feuerstein. »Sie können doch Scheiße schaufeln, oder?« Sie kehrte ihm wieder den Rücken und verschwand hinter den wehenden weißen Vorhängen.

 

 

 

 

 

Kapitel 4: Unterwelt

 

 

Max schaufelte Mist. Es war leicht gewesen, den Job zu bekommen... die Mistbrigade bekam nicht viele Freiwillige. Die anderen drei Mitglieder seiner Arbeitsgruppe waren Sträflinge. An ihren Brustkörben baumelten Anhänger, die ihre Verbrechen auswiesen: Thief; Deal Buster; Pig Killer. Dieb, Betrüger und Schweinemörder. Sie trugen Metallkrägen um die Hälse und Ketten an den Handgelenken; das schwere Metall klapperte und quetschte jedes Mal, wenn sie einen Schritt machten oder eine Schaufel hoben, ihre Arme und Seiten.

Max beförderte die nächste Schaufel Mist in die wartende Lore, die schon fast gefüllt war. Seine an die Anstrengung nicht gewöhnten Armmuskeln schmerzten. Er dachte, dass er inzwischen drei oder vier Stunden hier unten war, und hoffte schon darauf, nie wieder ein Schwein sehen zu müssen. Sein Geruchssinn hatte einen schnellen, unerfreulichen Tod erlitten - das einzige, für das er im Augenblick dankbar sein konnte. Er hatte seine locker fallenden Kleider fortgeworfen, die bei diesem Job wie ein Magnet den Dreck anzogen; sein zerfetztes schwarzes T-Shirt war mit Schweiß getränkt und mit Mist vollgespritzt.

Er richtete sich auf, streckte seine verkrampften Rückenmuskeln, wischte sich mit der behandschuhten Hand wieder einmal den Schweiß aus den Augen. Die Hitze hier unten war genauso schlimm wie oben in der Stadt, und die Luftfeuchtigkeit war höher. Die Luft war zum Schneiden dick. Er sah in die Schatten der düsteren Höhle und bemühte sich, gleichgültig zu wirken. In seiner Nähe arbeiteten Dutzende anderer Männer und Frauen - Sträflinge, Sklaven und Ausgestoßene wie er selbst. Sie bewegten sich wie die Verdammten im untersten Kreis der Hölle und gingen ihren unterschiedlichen Aufgaben nach; die meisten waren angenehmer als seine eigene. Er machte die drei Hare Krishnas aus, die er früh am Morgen gesehen hatte; sie waren immer noch aneinander gekettet und rieben einige große, dümmlich grinsende Schweine ab.

Endlich näherte sich seine Sammelgruppe der Aufseherplattform; sie hatten sich den ganzen Morgen Schaufel um Schaufel darauf zugearbeitet. Max stemmte zusammen mit einem Sträfling die Schulter gegen die Lore und schob sie weitere zehn Schritte seinem Ziel entgegen. Dann richtete er sich wieder auf und holte tief und schmerzhaft Luft. Von hier aus konnte er endlich die Plattform deutlich sehen. Master und Blaster standen dort oben mit dem Rücken zu ihm. Er hörte Masters gackerndes Gelächter und Blasters gespenstisches Echo. Sie schienen mit etwas zu spielen.

Max entfernte sich etwas von der Lore. Er legte die Schaufel über die Schulter und versuchte, einen deutlicheren Blick auf Blaster zu bekommen. Plötzlich tauchte ein kleines braunes Fellgesicht über Blasters mächtiger Schulter auf, und die Augen darin begegneten über Schweine und Menschen hinweg seinem Blick. Max erschrak, als er seinen Affen in den Händen von MasterBlaster sah. Er machte einen Schritt vorwärts, dann noch einen, zog die Schaufel hinter sich her, während er zur Plattform ging.

Der Affe schnatterte schrill und entzückt und klatschte in die Hände. Er kletterte rasch an Blasters Arm herunter und wollte zur Treppe, Max entgegen. Max schob sich ohne nachzudenken durch das Meer von Schweinen weiter und streckte die Hand aus. Hinter ihm hörte der Sträfling zu schaufeln auf und starrte neugierig herüber.

Plötzlich wandte sich Blasters gewaltiger Körper um und setzte dem Affen nach. MasterBlaster ragte vor Max auf der Plattform auf, größer noch, als er ihn sich vorgestellt hatte, und zerrte an einer Leine, die am Kragen des Affen befestigt war - er riss den Affen kurz hoch und zog ihn wieder die Stufen hinauf.

»Heh!«, schrie Max wütend. »Lass ihn los.«

Blaster lachte, und sein Gelächter hallte irr in seinem Helm, wie ein Geräusch, das vom Grund eines Brunnens aufgestiegen war. Er zog noch einmal an der Leine und zerrte den kreischenden Affen über die Plattform zurück.

Max, mit brennender Wut im Bauch, stürzte weiter vor. Er hatte gedacht, dass es schwierig würde, Blaster herauszufordern, ihn zu reizen... er hatte sich geirrt. Es würde leicht. Und vielleicht würde es viel schneller gelingen, als alle angenommen hatten...

Eine Hand, die in einem stinkenden Lederhandschuh steckte, senkte sich auf seine Schulter und hielt ihn fest.

Max wirbelte herum, seine Augen funkelten wie Glas... und sah sich einem der Sträflinge aus seiner Arbeitsgruppe gegenüber. Es war Pig Killer, der vorher schweigend seinem Gang ins Verderben zugeschaut hatte. »Komm schon, freier Mann«, sagte Pig Killer leise und mit einem gutmütigen Grinsen, das nicht zu dem warnenden Ausdruck seiner Augen passte. »Hilf einem Sträfling...« Seine Hand blieb auf Max' Schulter liegen und zog ihn mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt zu den Misteimern zurück. »Du willst doch nicht enden wie ich.« Er hob die Augenbrauen.

Max starrte Pig Killer einen langen Augenblick an - dieses dreckverschmierte Gesicht und die Ketten, die vor seiner Brust baumelten. Dann wandte er den Blick ab, betrachtete die riesige, lärmende Höhle, bedrückend wie ein Gefängnis... und genauso gut bewacht. Langsam verrauchte seine Wut, und sein klarer Verstand gewann die Oberhand. Er sah wieder Pig Killer an, eigentlich bemerkte er ihn erst in diesem Augenblick wirklich. Pig Killer war etwa genauso groß wie er selbst, vermutlich Ende zwanzig, mit kurzgeschnittenem braunem Haar und braunen Augen. Sein verschwitztes Gesicht sah eigentlich nicht so aus, als könnte es Max oder jemand anders unter diesen Umständen anlächeln. Max seufzte, zuckte die Achseln und folgte Pig Killer zum nächsten Fass.

»Wieviel hast du gekriegt?«, fragte Max.

Pig Killer zuckte mit einer Schulter. »Die volle Ladung. Lebenslänglich.«

»Weil du ein Schwein getötet hast?«, sagte Max ungläubig. Wer würde denn hier eins vermissen? Aber Max wusste genau, wer eins vermissen würde, und er wusste auch genau, warum.

»Nein...« Pig Killers Lächeln verschwand. »Weil ich versucht habe, meine Familie zu ernähren.« Seine dunklen Augen blickten zu Boden. Max spürte das Gefühl eines verdrängten Verlustes, doch er schüttelte die Regung ab, bevor sein Bewusstsein einen Namen dafür finden konnte. Pig Killer sah ihn wieder an und hob abermals die Mundwinkel zu diesem unpassenden Schmunzeln. »Aber ich mach mir deshalb keine Sorgen. Hier unten lebt man nicht länger als zweieinhalb Jahre.«

Max starrte ihn an. Er erinnerte sich plötzlich - es schien ihm nicht angebracht - an einen alten Witz über einen unverbesserlichen Optimisten: Ein Kind war bei einem Experiment in einen Raum voller Pferdemist gesperrt worden. Als die Psychologen zu dem Kind zurückkamen, sahen sie, wie es sich glücklich durch den Mist wühlte und sagte: »Hier muss irgendwo ein Pony sein...« Max schüttelte den Kopf und legte die Schulter gegen das Fass mit dem Mist. Zusammen schoben sie den Behälter mit seinem schwappenden Inhalt durch die Heerscharen der grunzenden Tiere und um die Vorderseite der gefangenen Lokomotive.

Max hörte den Affen auf der Plattform wimmern, als Blaster ihn zu sich zurückriss. Er blickte über die Schulter und sah, wie der Riese den Affen mit einer gewaltigen Faust aufhob und seinen Rücken streichelte. MasterBlaster drehte sich um und verfolgte Max, der sich unten seinen Weg durch die Schweine bahnte. Master runzelte die Stirn, spürte Max' mürrisches, heißes Starren, erwiderte seinen Blick und prägte sich das Gesicht des Mannes ein, der ihn beinahe herausgefordert hätte. Er musterte Max noch einen Augenblick, dann gab er Blaster ein Zeichen, und mit einem letzten, warnenden Blick drehten sich die beiden um und gingen fort.

Max atmete aus; er hatte nicht bemerkt, dass er den Atem angehalten hatte. Sie erreichten die Lore, hoben zusammen das Fass mit dem Schweinemist hoch und kippten es in den braunen Schlammsee. »Hast du dich schon mal gefragt, was in deinem Bauch passiert?«, fragte Pig Killer.

Max fühlte, wie sein verkrampfter Mund plötzlich zu grinsen versuchte. Er schüttelte entschieden den Kopf.

»Du siehst es dir gerade an«, sagte Pig Killer munter. »Ist alles dieselbe chemische Reaktion.« Sie setzten den Eimer wieder ab und warfen ihr vereintes Gewicht gegen die Lore, die auf den Schienen durch den quietschenden Schweineteppich rollte. »Diese ganze Scheiße... fermentiert... gibt ein Gas ab. Die Rohre da oben fangen es auf -« er bewegte den Kopf und deutete mit dem Kinn zur Plattform hinauf, »und dort leiten sie es in den Kessel.«

Als sie an der Plattform entlang zurückgingen, bemerkte Max weiter hinten auf dem Podest ein winziges Haus, das einmal ein bunt bemalter Zirkuswagen gewesen war. Er stand jetzt auf einem flachen Eisenbahnwaggon. MasterBlasters Heim. Seine fröhlichen, grellen Farben wirkten an einem Ort wie diesem beinahe surrealistisch. Max fragte sich, ob MasterBlaster sich jemals auf dem Boden bewegte. Das würde seine Chancen etwas verbessern...

Sie kamen an den drei Hare Krishnas vorbei, die jetzt eine andere grinsende Sau massierten. Pig Killer plapperte unterdessen weiter über Methan; es schien ihn nicht weiter zu kümmern, ob Max auch wirklich zuhörte. »Das Gas geht da rein, und heraus kommt Energie, und die Lampen gehen an. Es ist nicht gerade Superbenzin - aber es läuft. Das ist die Macht dieses kleinen Burschen - sein Wissen...«

Während Pig Killer sprach, tauchte MasterBlaster wieder hinter der Lokomotive auf. Er wanderte auf dem Podest herum wie ein Monster aus einem japanischen Film - der Gott des Todes. Max folgte jeder Bewegung Blasters mit den Augen und suchte nach einem schwachen Punkt; sein Gesicht verhärtete sich wieder.

»Du kannst den Mann vielleicht nicht leiden«, sagte Pig Killer. Er hob die Stimme, als er sah, wie sich Max' Muskeln spannten, »aber den Verstand musst du bewundern...«

Max warf ihm einen abwesenden Blick zu. »Ja«, murmelte er. Er zwang sich, interessiert zu scheinen. »Aber wieviel Gas könnt ihr hier erzeugen?« Er wandte den Blick wieder ab, als ein Mechaniker mit einer Baseballmütze gestikulierend zu MasterBlaster kam und erregt zu sprechen begann. Ihre Worte waren in dem hallenden Chor der grunzenden und quietschenden Schweine nicht zu verstehen. MasterBlaster folgte dem Mechaniker über einen Laufsteg in einen anderen Raum.

»Das kommt auf das Fressen an«, sagte Pig Killer erleichtert; er bemerkte nicht, dass er Max' Aufmerksamkeit schon wieder verloren hatte. »Schweine sind wie Menschen. Mit Bohnen geht's am besten.« Er lachte, sah Max an und wartete auf eine Reaktion.

Max war verschwunden.

Pig Killer hörte auf, die Lore weiterzuschieben und sah sich überrascht und verwirrt in der Höhle um. Max, der schon weit entfernt war, verschwand in einem Tunnel. Er folgte MasterBlaster in die andere Kaverne. Pig Killer schüttelte den Kopf und schob die Lore allein weiter.

Max verließ den Tunnel und betrat einen Teil der Unterwelt, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Diese Kammer hatte man in eine Werkstatt verwandelt; hier standen Reihen von Strandbuggys und Geländefahrzeugen, und an den Wänden lehnten bizarr aussehende Geländemotorräder. Sie waren alle stark verändert, was wohl auf notdürftige Reparaturen mit unpassenden Ersatzteilen zurückzuführen war. Teilweise hatten sie auch zusätzliche Verstärkungen und Stabilisierungen erhalten. Die meisten schienen hier auf weitere Reparaturen zu warten. Alle hatten Gaszylinder an Stelle der Benzintanks; sie waren auf Methan umgerüstet.

Im Zentrum der Werkstatt war eine Gruppe von Mechanikern versammelt, zu denen sich der alles überragende MasterBlaster gesellt hatte. Sie umringten ein Geländefahrzeug, das so bizarr und beschädigt war wie die anderen - und doch schien es irgendwie vertraut... Als Max sich ihnen von hinten näherte, kam ihm plötzlich die Erleuchtung. Es war sein eigener Strandbuggy. Ein Stiefelpaar ragte darunter hervor wie die Füße eines Verstorbenen im Schubfach eines Leichenkellers.

Max blieb in den Schatten am Eingang der Werkstatt stehen, beobachtete und lauschte. Blaster stieß mit dem Fuß vor einen der Stiefel; Blackfinger, Entitys Chefmechaniker, glitt unter dem Wagen hervor und machte ein besorgtes Gesicht.

»Edsel hat Recht«, sagte der Mechaniker. Er deutete mit einer verschmierten Hand zum Wagen hoch. »Wir haben da ein Problem. Mindestens zwölf Pfund Gelatinedynamit.«

Master runzelte die Stirn und zuckte ungeduldig mit den Achseln. »Problem? Ihr seid die Fachleute. Entschärft es.« Blaster trat gegen Blackfingers Rollbrett, das mit dem Mechaniker unter den Wagen zurückrollte.

»Wenn ich bloß wüsste, wie es verdrahtet ist.« Blackfingers Stimme drang durch die offene Motorhaube des Wagens, während er die unter dem Boden befestigten Dynamitstäbe betrachtete. »Das ist gute Arbeit.« Er tauchte wieder auf, diesmal vorsichtshalber auf der anderen Seite des Fahrzeuges. »Eine falsche Bewegung, und wir haben die Kacke am Dampfen. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Masters Stirnrunzeln vertiefte sich. »Und was jetzt?«, schrie er wütend. »Sollen Weggehen? Schlechtes Geschäft. Ich fahren.« Er klopfte sich mit der Hand auf die Brust. Max wunderte sich, als er hörte, dass Master den Sprachrhythmus eines Dreijährigen hatte.

Der Mechaniker trat vor den Wagen und begutachtete das Problem aus einer neuen Perspektive. Er fuhr sich mit einer dreckverschmierten Hand durch die schwarzen, lockigen Haare. »Ich könnte vielleicht die Batterie abklemmen...«

»Das würde ich nicht tun.« Max trat aus den Schatten, und sie fuhren herum und starrten ihn an. Er machte noch einen Schritt, damit sie sein Gesicht besser sehen konnten. »Die Klemmen lösen den Zünder aus.«

Master verrenkte sich auf Blasters Schulter den Rücken und" starrte Max an wie ein beleidigter Papagei aus einem Baum. Blaster bewegte sich auf sein Signal ein Stück vorwärts. »Wer bist du?«, fragte Master.

»Max.« Max ging weiter, während er hämisch den Mund verzog, bis er Blaster nur noch eine Armeslänge vor sich hatte. Es gab nur diese eine Möglichkeit, nahe genug an MasterBlaster heranzukommen; er musste wissen, gegen wen er kämpfte... Max blieb stehen. Die Mechaniker starrten ihn an; sie bekamen fast Stielaugen vor Neugierde. Sein Kopf reichte Blaster kaum bis an die Schulter; der Gigant war wahrscheinlich um die Hälfte schwerer als er.

Master funkelte ihn düster an. »Bist schlau«, sagte er mit boshaft wimmernder Stimme. »Superschlau.«

Max streckte den Arm aus. »Das ist mein Auto.«

Masters Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Du lebst. Entschärfe es.«

»Wieviel?« Max stemmte die Arme in die Hüften.

»Kein Handel«, kreischte Master. »Mach es!«

Max schüttelte den Kopf und wollte sich abwenden.

Master beugte sich über das Hörrohr und gab Blaster einen Befehl: »Fass!«

Blaster rückte vor wie ein Panzer, erreichte Max mit einem Riesenschritt und packte ihn im Genick. Max drehte sich herum, wehrte sich instinktiv, doch es war zu spät. Blasters zweite Hand schloss sich um seine Kehle. Der Riese riss ihn vom Boden hoch, als wäre er nicht schwerer als Master. Max hob die Hände und suchte die Finger mit den stählernen Sehnen, die seine Kehle umklammerten. Seine vom Boden gelösten Beine strampelten wild umher, suchten nach einem Ziel oder einer verwundbaren Stelle. Doch Blaster verstärkte nur unbeeindruckt seinen Griff, als wäre sein Körper aus Stein, und würgte den Gefangenen, bis er sich ergab.

Max gab seinen Widerstand auf, denn er hatte schnell die Zwecklosigkeit seiner Gegenwehr erkannt. Blaster hielt ihn auf Augenhöhe mit dem finster dreinschauenden Master. »Ich geb' Befehle«, zischte das winzige Schrumpelgesicht. »Ich Master. Halte Bartertown am Laufen.«

»Klar«, keuchte Max, »deshalb lebst du auch in der Scheiße.«

»Keine Scheiße«, sagte Master kalt. »Energie.«

Max presste die Lippen zusammen. »Nenn es, wie du willst, es stinkt immer noch nach Scheiße.«

»Energie!«, schrie Master. Blaster schüttelte seinen Gefangenen wie eine Dogge, die eine Ratte beutelt. »Keine Energie, keine Stadt. Ich König Arab.« Master schlug sich wieder vor die Brust.

»Oh, klar doch«, sagte Max mit knirschenden Zähnen. »Und ich - Märchenprinzessin.«

Masters Gesicht bekam vor Wut rote Flecken, er konnte es nicht fassen. »Sperren. Los!«, schrie er in Blasters Hörrohr. Blaster ließ Max sinken, bis seine Füße wieder auf dem Boden standen. Dann packte er Max wie ein Schraubstock am Hemd und verließ die Werkstatt und zerrte den Gefangenen hinterher.

MasterBlaster zog Max wie einen nassen Sack die Treppe zum Laufsteg hoch, der die Lokomotive umgab, und bugsierte ihn vor die Hauptkontrolltafel, die ganz Bartertown mit Energie versorgte. Max sah ein Gewirr von Anzeigeinstrumenten, Hebeln und Schaltern und ein Ding, das aussah wie ein altes Lenkrad. Master legte verdrossen einen Schalter um und sah Blaster zu, der langsam und mit offenkundiger Anstrengung am Rad zu drehen begann.

Und droben in der Stadt begannen Dinge zu geschehen... oder sie hörten zu geschehen auf. Das lautstarke Feilschen und Handeln erstarb plötzlich, als die Händler erschreckt nach oben sahen. Jedediah, der um einen Propeller geschachert hatte - er war gerade dabei, Max' letzte Besitztümer abzustoßen - schaute zusammen mit den anderen auf, als das Pochen der Maschinen im Hintergrund aufhörte und irgendwo unter seinen Füßen erstarb. Schweigen senkte sich über die ganze Stadt, als die bunt zusammengewürfelten Einwohner von Bartertown einander in plötzlichem Schrecken ansahen. Auf dem Zentralplatz fiel Dr. Dealgoods brüllendes Mikrophon aus, und es wurde totenstill.

Am Eingangstor standen die Neuankömmlinge geduldig in der Schlange und warteten auf den Pförtner, der sie, einen nach dem anderen, beurteilen sollte. Ironbar Bassey lugte aus seiner Wachbude im Tunneleingang und beobachtete die Händler, die ihre zehn Prozent entrichteten. Sein Hals war dick bandagiert. Er hob wie alle anderen überrascht den Kopf, als die Lampen über ihm flackerten und erloschen. Er warf einen wissenden und angewiderten Blick zum Pförtner.

In Entitys Penthouse spielte Tonton Tattoo eine schmeichelnde Melodie auf seinem Saxophon. Entity lag in der weißen Hängematte und wiegte sich zum sanften Rhythmus der Musik. Sie war zum ersten Mal seit einigen Monaten wieder zufrieden, beruhigt durch den Gedanken, dass ihr das Schicksal endlich das Werkzeug geschickt hatte, das sie brauchte... diesen zerlumpten, düsteren Fremden, ein Sieger, wie ihn sich niemand in Bartertown vorgestellt hätte. Aber als sie seine Augen gesehen hatte...

Der Ventilator an der Decke über ihr wurde langsamer. Entity riss die Augen auf, als er seufzend stehenblieb, und sie hörte... nichts. Sie sprang aus der Hängematte. Ihr Gesicht zeigte kalte Wut.

In der Unterwelt dagegen kicherte Master sichtlich zufrieden. Max konnte nur an dem gleichzeitigen Grinsen erkennen, dass es ein Kichern sein sollte. Master behielt Max ständig im Auge und begann zu zählen: »Vier... drei... zwei...« Seine winzige Hand schoss vor und deutete auf einen Lautsprecher. »Eins.«

Wie aufs Stichwort brüllte Aunty Entitys Stimme: »Um Himmels willen - was jetzt?«

Master wandte sich an Entitys gesenktes Periskop und schrie: »Wer hält Bartertown am Laufen?«

»Verdammte Scheiße!«, rief Entity. Ihre Stimme war heiser vor Wut. »Ich habe dir doch gesagt - keine Sperren mehr.«

Master kicherte wieder und sprach in Blasters Hörrohr. »Weiter.«

Blaster drehte das Rad noch einmal herum. Nun verblassten auch die Lichter in der Unterwelt. Selbst die Schweine verstummten.

Master sah wieder ins Periskop. »Wer hält Bartertown am Laufen?«, schrie er.

Nichts.

»Wer hält Bartertown am Laufen?«, wiederholte Master.

Entity stand hoch droben über der Unterwelt in ihrem hellen, luftigen Penthouse und ballte die Fäuste, bis sich ihre Fingernägel in die Handflächen bohrten. Entity zwang die Worte durch ihre Kehle. »Du weißt doch, wer...«

»Sag es«, forderte Master rachsüchtig und selbstzufrieden.

»MasterBlaster«, flüsterte Entity.

Max konnte nur tatenlos zusehen, wie sich Masters spitznasiges Gesicht zu einem bösen Grinsen teilte. »Sag es lauter!«, befahl er. Er legte einen weiteren Schalter auf seinem Instrumentenbrett um.

Hoch über ihm holte Entity tief Luft. Master würde dafür bezahlen. Zur Hölle mit ihm, er würde mit seinem Blut dafür bezahlen. »MasterBlaster«, knirschte sie. Sie fuhr herum-, als ihre eigene Stimme, tausendfach verstärkt, über Bartertown hallte. In der ganzen Stadt hoben Händler und Käufer die Köpfe. Ihre Gesichter spiegelten ihren Unglauben.

Jetzt hallte MasterBlasters Stimme durch die Lautsprecher. »Was tut MasterBlaster?«

Entity stand einen langen Augenblick schweigend vor dem Periskop und versuchte, ihre hilflose Wut zu bezwingen, die ihre Stimme brechen ließ. »MasterBlaster hält Bartertown am Laufen...« Ihre Stimme hallte zwischen den Schuppen und den hohen Felswänden hin und her.

Die Menschen blieben fassungslos stehen, und alle, die verstanden, was vorging, rissen angesichts MasterBlasters Frechheit ungläubig den Mund auf.

Master gackerte jetzt, schüttelte sich in fröhlichem Lachen. »Sperre aufheben«, befahl er. Blaster drehte langsam das Rad zurück. Die Unterwelt und Bartertown erwachten wieder zum Leben - die Luft füllte sich mit dem Pochen der wiedererweckten Maschinen, mit dem Flirren und Pulsieren der wiederkehrenden Energie, die Höhlen und Tunnel beleuchtete... und mit summenden Gerüchten und Spekulationen.

Der Pförtner sah auf, als die Lampen im Tunnel flackernd angingen. Über die zitternden Wangen seines aufgebrachten rosaroten Gesichts liefen wütende Tränen. Entity war Bartertown, Entity war alles... das Herz, das Leben seiner Welt. Er betete sie an, »und er empfand ihre Erniedrigung als seine eigene. MasterBlaster musste beseitigt werden, ehe sein krankes Ego alles zerstörte, was sie hier aufgebaut hatten... Er erinnerte sich an den Fremden, fragte sich einen Augenblick, ob Max irgendwie die Ereignisse verursacht hatte... ob er wirklich die Lösung ihrer Probleme darstellte oder ob er schon eine Leiche wäre.

In der Unterwelt war Max inzwischen auf dem Rückweg zur Werkstatt und seinem wartenden Auto - getrieben von Blasters unwiderstehlicher Kraft. Sie blieben neben dem Strandbuggy stehen, und Blaster hob ihn abermals von den Füßen, bis er dem arroganten Reiter in die Augen sah.

»Gut aufpassen«, zischte Master. »Du schwach, ich stark. Willst du Fuß in Fresse?«

Max zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.

»Entschärfen!«, befahl Master.

Max nickte ergeben; er brauchte seine Mutlosigkeit nicht zu spielen.

Blaster drehte Max herum, bis er sich seinem Fahrzeug gegenübersah, und setzte ihn wieder ab. Blackfinger und einige andere Mechaniker hatten sich bereits versammelt - um zuzusehen und mit unverhohlener Neugier Max anzustarren, der in den Buggy stieg. Er setzte sich hinter das Lenkrad - es fühlte sich seltsam fremd an, nachdem er monatelang auf dem Kühler gesessen hatte - und legte die Hände darauf. Er hob den Kopf, als er irgendwo auf der anderen Seite der Werkstatt seinen Affen kreischen hörte. Ein Techniker hielt ihn auf dem Arm, und das Tier kämpfte wild, weil es gesehen hatte, wie Max in den Wagen gestiegen war.

Der Affe dachte, Max wollte wegfahren und ihn zurücklassen. Max sah sich in dem halbdunklen Raum um, bis er den Affen entdeckt hatte, und gab ihm ein Zeichen, zu bleiben, wo er war. Keiner von ihnen würde Bartertown bald verlassen... noch nicht.

Die Mechaniker drängten sich heran und beobachteten Max, der den Deckel in der Mitte des Lenkrades mit einer Mischung aus Neugierde und Furcht abschraubte. Der Alarm, der ertönte, als Max die Kappe abnahm, scheuchte sie allesamt in Verstecke, wo immer sie welche finden konnten. Alle in Hörweite... außer Blaster. Max sah das gesichtslose Monster, das offenbar große Schmerzen hatte, in der Werkstatt herumtappen, während es versuchte, das Ende des Hörrohrs mit der Hand zu bedecken. Master klammerte sich verzweifelt an seinen Sattel.

Max legte auf dem Armaturenbrett einen Schalter um, neben dem eine rote Lampe blinkte. Damit war der Selbstzerstörungsmechanismus ausgeschaltet. Die Lampe erlosch, und der Alarm verstummte. Max beobachtete Blaster, der zu Boden ging, während Master, für ihn unhörbar, hektisch flüsterte, als wollte er ihn besänftigen.

Max geriet in Versuchung, streckte den Arm aus und wollte den Alarm wieder einschalten... doch dann hielt er inne, zog die Hand zurück. Stattdessen griff er an seinen Hals und tastete nach dem Lederriemen, an dem die Totenkopfpfeife hing. Sie war eines der wenigen Dinge, die ihm geblieben waren; er zog sie unter dem T-Shirt hervor und drehte sich etwas um, damit Master ihn nicht mehr sehen konnte. Dann, als Blaster sich gerade wieder aufrappeln wollte, blies er hinein.

Ein ohrenbetäubendes Schreien erfüllte den Raum; Blaster jaulte vor Schmerzen, brach wieder zusammen, umklammerte sein Hörrohr. Max versteckte die Pfeife unter dem Hemd.

In der darauf folgenden Stille kämpfte sich Blaster auf die Füße und kam zum Buggy zurück. Doch der Wagen war leer. Max war verschwunden.

Master sah sich mit harten Augen um; sein finsteres Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. »Hat Glück, dass er weg ist«, murmelte er. Seine Sorge um Max' Verschwinden und sein Kummer über Blasters Verwundbarkeit verdichteten sich zu einem tödlichen Versprechen.

Plötzlich tauchte Blackfinger wieder unter der anderen Seite des Wagens auf und hob triumphierend einige Dynamitstäbe hoch.

Master schrie erfreut auf und vergaß Max und seine Wut, als er erkannte, dass er endlich doch noch bekommen hatte, was er wollte. Der Wagen gehörte ihm, ihm allein, und er hatte etwas damit vor...

»Ich will eine Fanfare«, befahl er, »Alufelgen und einen Fuchsschwanz...« Ein Kindheitstraum.

Die Mechaniker zögerten, wechselten zweifelnde Blicke.

»Keine Widerrede!«, knurrte Master, als er ihr Zögern sah. »Und Rallyestreifen...«

Max stand ein Stück entfernt im Schatten der Tunnelmündung und wischte sich über das Gesicht. Er beobachtete und belauschte die Mechaniker, die um sein Auto schwärmten; seine Wut und Erleichterung mischten sich mit einer flüchtigen

Neugierde. Doch er hatte genug gesehen... er kannte Blasters Schwäche. Er brauchte keinen Mist mehr zu schaufeln. Er wandte sich um.

Und prallte mit Pig Killer zusammen.

Pig Killer starrte ihn mit offenkundiger Verwunderung an. »Mister«, sagte er, »was haben Sie vor?«

Max runzelte die Stirn, erbost über seine Sorglosigkeit. »Nichts.« Er versuchte, sich an dem Mann vorbeizuschieben.

Doch Pig Killer stand wie angewachsen. »Wer sind Sie?«, fragte er drängend.

»Ich bin kein Niemand«, sagte Max gereizt.

»Nein.« Pig Killer schüttelte den Kopf, wollte nicht nachgeben, während seine Augen aufgeregt leuchteten. »Das habe ich gemerkt«, murmelte er. »Die Würfel sind gefallen.« Er spuckte in die Hände und ballte sie zu Fäusten.

Max schob sich wortlos an ihm vorbei und ging.

Pig Killer starrte Max' kleiner werdender Gestalt hinterdrein, bis sich ein Gardist vor ihm aufbaute und ihn grob zu den Schweinen zurückstieß. »Geh wieder an deine Arbeit.«

Pig Killer runzelte die Stirn. Dann sah er noch einmal über die Schulter, hob die Schaufel und trottete zu den Koben zurück.

 

Auch als Max das Penthouse von Aunty Entity zum zweitenmal betrat, wurde er wieder von Ironbar Bassey und zwei Wächtern begleitet. Sie hatten ihn vorher duschen lassen - ein Luxus, der fast nur noch mit einer frischen Frucht zu vergleichen war -, und sie hatten ihm sogar saubere Kleider gegeben, bevor er Entity seinen zweiten Besuch abstatten durfte. Er trug jetzt schwarzes Leder, Hosen, eine schwere Jacke und ein im Ort produziertes, aschgraues Hemd. Die Farben eines Trauernden.

Das praktisch unverwüstliche Leder erinnerte ihn an die Zeit, als er noch eine Uniform getragen hatte. Diese Uniform hatte das Gesetz symbolisiert... für ihn, für die Welt. Er vermutete, dass diese Großzügigkeit weniger ihrem Altruismus entsprang, sondern eher der Tatsache, dass Aunty Entity keinen Schweinemist auf ihren Teppichen haben wollte.

Ironbar Bassey hatte seinen ruinierten Federschmuck abgelegt; er trug jetzt eine Kabukimaske. Sie war auf einem hinter seinen Gürtel gesteckten Stab befestigt und schwebte wie ein Totem der Ahnen über seinem rasierten Kopf.

Als sie eintraten, stand Entity gedankenverloren am Fenster und blickte auf ihr Reich hinab. Nichts verriet mehr, dass ihr Wohnzimmer am Morgen noch wie ein Schlachtfeld ausgesehen hatte. Der Pförtner, der neben ihr saß und die Tür im Auge behielt, streckte einen Arm aus und berührte sie sanft an der Schulter. Entity drehte sich zu Max um und stellte mit den Augen die Frage.

»Also gut«, sagte Max mit eiskalten blauen Augen. Er schritt über den Teppich und trat neben sie. »Ich will meine Kamele, meinen Affen und mein Auto.«

Entity lächelte. Sie spuckte sich in die Hand und reichte sie ihm. Max tat es ihr nach. Sie gaben sich die Hände und besiegelten den Vertrag und damit Blasters Tod.

»Sie sagten, es sollte ein fairer Kampf werden«, murmelte Max. Er dachte an seine Erlebnisse in der Unterwelt - dort konnte es auf keinen Fall geschehen. »Wie?«

»Wie es das Gesetz verlangt.« Der Pförtner stand auf und deutete aus dem Fenster.

Entity führte Max zur anderen Seite des Penthouse. Von dort aus konnten sie eine große, offene Kuppel sehen, die aus schweren Metallträgern gebaut war. »Donnerkuppel«, sagte sie. Max starrte den schweigend wartenden Käfig an. »Dort kämpfen Männer, Hand in Hand und Wange an Wange...« Die Worte klirrten wie Stahl, als sei es ein Ritual. »Es gibt keine Jury, keine Berufung, keine Schonung.« Sie sah ihn an. »Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus.«

Hinter ihr wiederholten Ironbar Bassey und der Pförtner die Worte: »Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus.«

. Max wandte den Blick von ihnen und fragte Entity: »Waffen?«

»Alles ist erlaubt.« Sie zuckte die Achseln. »Das Glück entscheidet.«

Max nickte und sah wieder zur Arena hinunter. »Dieser Donnerdom - wie komme ich da hinein?«

Sie lächelte. »Ganz einfach. Sie fordern ihn heraus.« Ihr kühler Blick suchte sein Gesicht, wurde plötzlich zugleich durchdringend und begierig, als versuchte sie zu erkennen, was hinter seinen Augen lag, als wollte sie sehen, was er sah, als wollte sie in die Zukunft sehen...

»Betrachten Sie es als erledigt.« Max entzog sich ihrem prüfenden, bohrenden Blick. Er ging zum Aufzug, und die Gardisten folgten ihm auf dem Fuß.

 

 

 

 

Kapitel 5: Samstagnacht

 

 

Nach dem Sonnenuntergang senkte sich die willkommene Nachtkühle über Bartertown. Die Straßen und Stände summten immer noch - hier wurde unter dem taghellen Glanz elektrischer Lichter rund um die Uhr gehandelt, doch das Schachern war nun, wie die Luft, nicht mehr so fiebrig. Zwei Wächter standen auf dem Belltower und musterten mit beständigem, ruhigem Blick den Wirrwarr unter ihnen.

Ihre Köpfe ruckten gleichzeitig herum, als die Lautsprecher auf dem Turm, die früher am Tage die Demütigung ihrer Führerin übertragen hatten, plötzlich eine laute und verrückte Musik herausbrüllten. Auf der anderen Straßenseite flammte ein von Blitzlichtern eingerahmtes Schild mit blendender Helligkeit auf. MasterBlaster verkündete:

 

Samstagnacht

 

Darunter blinkte ein zweites Wort:

 

Live! Live!

 

Von unten schaute ein kauziger Alter, der mehrere Zahnlücken hatte und eine Augenbinde trug, aufgeregt hinauf und rannte wie ein Irrer die Straße hinunter, während er brüllte: »Samstagnacht!«

Die Wächter sahen einander grinsend an, als unten immer mehr Händler und Einwohner des Ortes die Köpfe hoben und hinaufsahen - wie sie aus Fensterläden, aus verhängten Türen und von Dächern blickten, und wie die Aufregung immer weiter um sich griff. In der ganzen Stadt ließen die normalerweise eher gelassenen Einwohner Bartertowns buchstäblich alles stehen und liegen, als die Ankündigung und die Musik zu dröhnen begann, und nahmen sich frei.

Im Atomic Café kippte der Oberkellner/Chefkoch den dampfenden Inhalt eines Tellers über einen Tisch und auf die Schöße der hungrigen Händler und Reisenden, als er zum baufälligen Eingang der Bar und weiter hinaus stürmte. Ein Stück die Straße hinunter warf der Zahnarzt/Hufschmied, der gerade bei einem Patienten/Opfer nach Öl bohrte, seinen Bohrer fort und rannte los und ließ seinen angeschnallten Patienten hilflos heulend und gestikulierend zurück. Überall strömten die Einwohner aus Türen und Ständen, rutschten an Rohren herab oder kletterten Leitern herauf, verließen ihre Arbeit für ein Abendliches Vergnügen, bei dem alles außer Mord nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht war. Dr. Dealgood stand, von Schubidu und Schubidummdumm flankiert, auf seiner Plattform und hob ein Glas Wein, um die gute Nachricht zu würdigen: eine Nacht voller Vergnügen und Unterhaltung... und später gab es vielleicht noch einige interessante Ergänzungen.

Und hoch über allem stand Entity am Fenster ihres Penthouse und starrte über das um sich greifende Spektakel. Ihr Gesicht war wütend und grimmig, und sie hatte um die zurückgezogene Gaze des Vorhangs die Fäuste geballt. »Das ist schon die vierte Samstagnacht in dieser Woche...« Die Worte fielen wie Säuretropfen.

Die Samstagnächte waren Masters liebstes Vergnügen, und sie stellten Bartertown völlig auf den Kopf, verwandelten ihre disziplinierte und ordentliche Stadt in eine große Orgie mit Sex, Drogen und Schlägereien. Sie hatte sie geduldet, weil sie wusste, dass Bartertown nicht überleben konnte, wenn seine ständig wechselnde Bevölkerung nicht ihren Dampf auf eine halbwegs vernünftige, kontrollierte Weise ablassen konnte. Doch MasterBlaster war außer Kontrolle...

Es fiel ihr inzwischen schwer, sich an die Zeit zu erinnern, in der sie noch als Kameraden, sogar Freunde, zusammengearbeitet hatten - sie hatten diese Stadt aus dem Chaos geschmiedet, hatten etwas von Wert erschaffen, hatten die Zivilisation mitten in dieser Wüste wieder zum Leben erweckt. Sie hatte seine technischen Fähigkeiten gebraucht und er ihren Weitblick; zusammen waren sie ein perfektes Team gewesen. Doch als der Traum verwirklicht, als ihrer beider Macht gesichert war, schien das Gleichgewicht nicht mehr genug. Er hatte mehr gewollt... doch es war ihr Traum, ihr Plan, ihr Gesetz... ihre Stadt. Sie brauchte seinen Verstand immer noch, aber sie war nicht bereit zuzulassen, dass seine krankhafte Selbstsucht alles zerstörte, das sie hier geschaffen hatte. Heute würde er sich zum letzten Mal über ihre Regeln lustig machen...

Sie hatte das Richtige getan, als sie den Fremden anheuerte, um ihn herauszufordern. Wenn überhaupt jemand mit Blaster fertigwerden konnte, dann war er es. Sie verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Er war der, auf den sie gewartet hatte... oberflächlich betrachtet, war er nichts Besonderes, einfach ein elender Überlebender, zerlumpt, halb verkrüppelt, ausgebrannt... Und dennoch hatte er ihre besten Kämpfer ausgeschaltet. Und es war keine reine Körperkraft gewesen.

Sie hatte ihre jetzige Position nicht erreichen können, ohne eine scharfäugige Menschenkennerin zu sein. Sie wusste, wie man einen Mann auswählte, auf den man sich verlassen konnte... und dieser Fremde trug etwas in sich, das seltener war als ein Diamant - und genauso hart, genauso klar, genauso vollkommen. Er würde tun, was getan werden musste, und zwar nicht nur, weil er ein Mann war, der keine Wahl mehr hatte, sondern seltsamerweise, weil er ein Ehrenmann war. Und dann würde er auf seinem Weg weiterziehen; irgendwie wusste sie, dass es hier nichts gab, was er wollte...

Ab morgen würde Bartertown wieder sicher sein, und die Stadt würde ihr allein gehören. Sie wollte nicht wissen, wer der Fremde war, und so sollte es auch bleiben. Es war besser, wenn sie nicht zu viel wusste... besser für sie beide. Weil er ihre Neugier erregte, weil er sie erregte...

Sie wandte sich von dem Tumult unten ab und betrachtete ihr unberührtes Penthouse. Da stand der geduldig wartende Pförtner, dessen Gesicht hilflose Frustration zeigte, als er die Schreie und Rufe vernahm, die von den Straßen heraufhallten. Er war ein guter Mann, wenn man es ihm auch nicht ansehen konnte... völlig ergeben, einer ihrer Besten. Sie schüttelte traurig den Kopf und berührte im Gehen ermunternd seinen Arm.

Unten auf dem Marktplatz saß Ironbar Bassey mit einem halben Dutzend seiner Polizisten in einer Bar und beobachtete lässig die Menge von Bummlern, die tranken, brüllten und direkt vor seinen Augen obszöne Handlungen vollzogen. Er stürzte noch einen Drink herunter und zupfte abwesend an seinem gefiederten Ohrring. Die richtige Gelegenheit war gekommen, es war nur noch eine Frage der Zeit... Ironbar runzelte die Stirn und sah über die Schulter, als er hinter sich eine übermäßig laute Unruhe vernahm, die sich schnell in seine Richtung bewegte. Er glitt vom Stuhl und nickte seinen Männern zu, ihm zu folgen.

Zwischen den baufälligen Schuppen einer Seitenstraße kam Max' aufpolierter Buggy wild schleudernd und mit lautem Hupen heran. Auf Masters Geheiß hatte man ihn mit einem riesigen Methantank versehen und total aufgemotzt; Alufelgen, Blinklichter und ein Fuchsschwanz. Blaster saß am Steuer. Master hockte auf seinem Schoss und schwenkte eine Flasche Schnaps, während er wie wild und völlig unberechenbar am Lenkrad kurbelte und Angst und Schrecken unter Bartertowns Bürgern verbreitete.

»Runter mit dem Fuß!«, rief er ins Hörrohr, und Blaster drückte noch fester aufs Gaspedal. Master lachte wie ein ausgeflippter Halbwüchsiger. Er genoss jede Sekunde, als der Buggy ausbrach und schlingerte, so dass die verängstigten Passanten in alle Richtungen auseinanderspritzten. Die löwenmähnige Blondine, die neben ihm saß, kreischte und kicherte.

Hinten im Wagen verrenkten sich Blackfinger, der Mechaniker, und einige hysterisch lachende Mädchen und freuten sich noch eine Weile am Leben, während sie reinen Alkohol aus einer dicken, vollen Flasche tranken. MasterBlaster umkreiste mit quietschenden Reifen die Donnerkuppel und hätte beinahe zwei Polizisten über den Haufen gefahren, die verrückt genug waren, ihn stoppen zu wollen.

Er fuhr vor ihren geparkten Wagen, schleuderte quer über die Straße und prallte vor das Lokal unterhalb von Entity^ Turm. Der Buggy fetzte durch die Leinwand und warf Essen und Menschen durcheinander. Schließlich knallte er mit dem Heck zuerst vor einen Stapel Fässer, die hinter dem Zelt aufgetürmt waren.

Dann blieb der Wagen zwischen den Trümmern des Küchenzelts verkeilt stehen. Als Neugierde die Angst überwand, sammelte sich davor eine Menschenmenge.

Plötzlich fraß sich die Flamme einer schweren Lötlampe durch die dicke Leinwand und sengte ein schnell wachsendes Loch heraus, bis das Zelt beiseite fiel und die wild lachenden Menschen befreite.

»Feine Sache!«, rief Blackfinger. »Hier gibt's Schnaps!« Er begann, ihn mit einer Kelle auszuteilen, und die beiden kichernden Frauen halfen ihm.

Max drängte sich vor, schob sich durch die Menge nach vorn und hielt ihm einen Krug hin. Als Blackfinger ihm Schnaps einschenkte, sprang der Affe aus Blasters Armen und auf die Kopfstütze und begrüßte schnatternd seinen Herrn. Der verblüffte Blaster riss an der Leine und zerrte das kreischende Tier zurück.

Max sprang vor und schüttete den vollen Schnapskrug direkt vor Blasters Helm. Die Flüssigkeit schlug klatschend auf und spritzte über Blaster und Master. Der überrumpelte Blaster ließ die Leine fallen.

Max nahm sein Tier auf und drückte es an seine Brust, um es zu beruhigen. Master wandte sich mit funkelnden Augen um und sah den Mann, der ihn erst heute Nachmittag zum Narren gehalten hatte und entkommen war.

»Sag deinem Gorilla, dass er meinen Affen in Ruhe lassen soll«, sagte Max mit eiskalter Berechnung.

Die ihn umringende, lachende Menge verstummte schlagartig, und die Menschen starrten ihn erschreckt und in plötzlicher Überraschung an.

Master schlug sich in gespieltem Unglauben vor das Ohr. »Ich glaub', ich hör' nicht recht«, sagte er. »Sagte da jemand Gorilla?«

Max nickte ungerührt. »Ganz recht. Gorilla.«

Die Menge wich vor ihm zurück, als die Furcht die Oberhand gewann. Wer so mit MasterBlaster redete, musste verrückt sein... schlimmer als verrückt: ein Selbstmörder.

MasterBlaster bewegte sich im Sitz und kam Max und der zögernden Menschenmenge etwas näher.

»Herr Jesus«, schrie Master, während er sich schnell zur Menge umsah, für die er jetzt eine Vorstellung gab, »armer Mann.« Er deutete auf Max. »Total matschig im Kopf.« Dann wandte er sich wieder an Max. »Das hier Blaster.« Er klopfte dem Giganten auf die Schulter. »Knochenbrecher. Schädelknacker. Gleich abgemurkst. Kapiert?«

»Tja«, sagte Max süffisant, »das klingt immer noch wie'n Gorilla.« Er kehrte den beiden den Rücken und marschierte durch die gaffenden Zuschauer davon.

»BANZAI!«, schrie Master in Blasters Hörrohr, während er auf seinen Rücken krabbelte.

Blaster schoss vor, streckte den Arm aus und packte Max an der Gurgel. Er zog ihn zum Wagen zurück und begann gleichzeitig, den Affen aus Max' eisernem Griff zu zerren. Max ließ los, als das Tier schmerzvoll aufschrie; zum zweitenmal an diesem Tag war er hilflos Blasters Monsterpranken ausgeliefert. Blasters Hände legten sich fester um seinen Hals und zwangen seinen Kopf zurück. Max suchte fieberhaft mit den Augen die Menge ab. Wo, zum Teufel, blieb Bassey? .

»Drei Sekunden«, zischte Master wild. Er beugte sich über Max' Gesicht. »Dann Hals brechen. Eins... zwei...«

Plötzlich umgab sie eine Mauer aus Armbrüsten, Keulen, Harpunen und Speeren. Der Pförtner und Ironbar Bassey traten vor, flankiert von einem halben Dutzend Gardisten, die allesamt ihre Waffen gezogen hatten. Blaster ließ zögernd Max' Hals los.

»MasterBlaster!«, schnarrte Ironbar; seine Stimme war noch von der morgendlichen Begegnung mit der fliegenden Obstplatte angeschlagen. »Höre, was das Gesetz sagt!« Der Pförtner deutete auf Entitys Penthouse. Entity stand, scheinbar unbeteiligt, hoch oben auf der Plattform. Die Vorhänge waren zurückgezogen, und sie sah zu ihnen herunter.

»Aunty«, rief Ironbar. »Zwei Männer haben Streit.«

»Hier sind unsere Zeugen, Aunty«, rief Master, indem er auf die Menge deutete, »Uns übel mitgespielt. Wollen Gerechtigkeit. Wollen Donnerkuppel.«

Entity stemmte die Hände in die Hüften. »Du kennst das Gesetz.« Sie rief die rituelle Warnung. »Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus...«

»Zwei Männer gehen hinein«, murmelte die Menge um Max; es klang wie ein Seufzen. »Nur einer kommt heraus.«

»Das hier BLASTER!«, schrie Master verächtlich. »Zwanzig Männer gehen hinein. Nur er kommt wieder raus.«

Entity zuckte die Achseln. »Ihr habt es so gewollt. Thunderdome...« Sie hob eine Armbrust und schoss einen brennenden Pfeil ab, der über den Köpfen der Menschen einen Bogen beschrieb und auf dem Dach des Donnerdoms vor einen Hebel prallte. Der Hebel kippte, und hoch über ihnen erwachte ein neues Neonlicht zum Leben:

 

Thunderdome

 

Die Menge schaute hinauf und brach in Hochrufe aus. Max hörte, wie sich der Jubel gleich einer Woge ausbreitete und durch die Straßen Bartertowns brandete. »Thunderdome! Donnerkuppel!«

Die Menschen drängten sich um ihn, lachten und schrien, klopften ihm begeistert auf den Rücken, weil er so verrückt war, ihnen die beste Unterhaltung zu verschaffen, die eine Samstagnacht nur bieten konnte - die Gelegenheit, Blaster dabei zuzuschauen, wie er einen lebendigen Menschen zu Hackfleisch verarbeitete. Die Menge strömte an ihm vorbei und rannte um die besten Plätze für das bevorstehende Massaker.

MasterBlaster brauste mit dem Strandbuggy davon. Er konnte das Schlachtfest kaum erwarten, und er war absolut sicher, dass das einzige Blut, das am Abend fließen würde, von Max stammen würde.

Max blieb eine Weile wie angewurzelt stehen, der einzige Mann in Bartertown, der in diesem Augenblick nicht lächeln konnte. Plötzlich schien sein Kopf ganz leicht, seine Kehle gespannt, und sein Herz klopfte fest. Er senkte den Blick: In der hohlen Hand lag die Totenkopfpfeife. Er ballte die Faust darum. Dann begann er langsam zu gehen, folgte der Menge zur Donnerkuppel.

 

 

 

Kapitel 6: Thunderdome

 

 

Unter grellem Neonlicht eilten die Bürger von Bartertown zum Thunderdome, schwärmten wie Ameisen hinein, bis sich der Raum hinter den Stahlrohren, die die Arena wie ein Käfig umgaben, in eine brodelnde Menge menschlicher Körper verwandelt hatte. Der Innenraum war nicht sehr groß, aber mehr als ausreichend für zwei Männer, die in einem Kampf auf Leben und Tod aufeinandertrafen, und die Ränge boten genug Platz für fast alle Bewohner der Stadt. Auf Entitys Befehl waren sogar Sträflinge und Sklaven von ihrer Arbeit freigestellt worden, damit sie Bartertowns wichtigstem Ereignis beiwohnen konnten, das zugleich lehrreich und höchst unterhaltsam war.

Pig Killer, der an die drei Hare Krishnas gekettet war, schaute mit einer Mischung aus Neugier und bösen Vorahnungen durch das Stahlgerüst des Thunderdomes hinunter, während die Sklaven den ihnen zugewiesenen Platz an der Südseite der Kuppel einnahmen. Angeblich hatte jemand Blaster herausgefordert... was bedeutete, dass dieser Jemand schön so gut wie tot war. Doch die seltsamen Dinge, die er am Nachmittag in der Unterwelt gesehen hatte, waren ihm noch gut im Gedächtnis, und er konnte die Ahnung nicht abschütteln, dass er wusste, wer der Herausforderer war. Da war etwas im Gesicht des Fremden gewesen, als er MasterBlaster beobachtet hatte... Pig Killer konnte sich dieses komische Gefühl in seinem Bauch nicht erklären, und ebenso wenig, warum er glaubte, dass am Nachmittag etwas begonnen hatte, das nicht einfach damit enden würde, dass die Leiche des Fremden zu Blasters Füßen liegen würde.

Er hob den Blick, als ein Murmeln durch die Menge lief. Aunty Entity trat hoch über der Kuppel auf die Plattform ihres Penthouse. Sie hielt einen Flugfuchs wie einen Drachenflieger zwischen den ausgestreckten Armen und sprang herunter. Sie gab eine elegante Vorstellung aus Nervenstärke und Geschicklichkeit, als sie zum Thunderdome herabsegelte und mit perfekter Anmut in der Königsloge im hinteren Teil der Arena landete; die Loge stellte den einzigen Sitzplatz dar, der sich direkt zum Schauplatz des Kampfes öffnete. Ironbar Bassey und der Pförtner erwarteten sie bereits wie üblich, und heute Abend saß auch Master - ohne Blaster - bei ihnen. Die Menge sah sie erwartungsvoll an.

»Willkommen zum heutigen Ereignis im Thunderdome«, rief sie mit ihrer vollen kräftigen Stimme. Sie schien unter einer Art elektrischer Energie zu knistern, so, als bündelte sie die Aufregung der Menge wie ein Blitzableiter.

Die Menge antwortete mit freudigem Gebrüll; man wartete begierig auf den Beginn des Spektakels. Unten sprang Dr. Dealgood in die Arena. Er schwenkte grüßend seinen Zylinder. Hinter ihm stolzierten Schubidu und Schubidummdumm in das Rund. Sie zogen einen kleinen Karren, der mit einem ganzen Arsenal von Schlag-, Stich- und Wurfwaffen beladen war: Messer, Keulen, ein riesiger Vorschlaghammer, sogar eine Kettensäge. Während sich Dr. Dealgood an die Zuschauer wandte, reichten seine albernen Assistentinnen die Waffen zu den Zuschauern hinauf, die sie auf hoch in den Wänden der Manege befestigte Plattformen legten.

»Hört her... hört zu«, rief Dr. Dealgood, und das Geschrei der Menge erstarb. »Hört die Wahrheit«, schrie er, die Worte wiederholend, die er vor jedem Kampf sprach. Heißblütiger Priester, leidenschaftlicher Lehrer und zynischer Showstar vereinten sich zu einem überwältigenden Auftritt. »Kämpfen bedeutet. Tod, und Tod bedeutet Krieg. Und der Krieg hätte beinahe uns alle das Leben gekostet... seht uns heute an, zerlumpt wie wir sind, reden wir über radioaktiven Regen.

Doch wir haben gelernt. Beim Staub aller Vorfahren, Bartertown hat gelernt...« Er hielt inne, teils um Luft zu holen, und teils der dramatischen Wirkung wegen, und senkte die Arme wieder. »Wenn heute Männer kämpfen wollen, dann tun sie es hier. Und es endet hier. Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus.«

Die Menge wiederholte die Worte wie ein Credo: »Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus...«

Dr. Dealgood grinste; jetzt brach der Showstar durch, jetzt kam der Teil, den er besonders genoss. »Und hier und heute habe ich zwei Männer... zwei Männer, die sich vor Angst fast in die Hosen machen. Meine Damen und Herren, Jungs und Mädchen - die Zeit zum Sterben ist gekommen...« Die Menge brüllte begeistert, lauter als zuvor.

An einem Ende der Arena wurde ein Tor aufgestoßen, und Dr. Dealgood drehte sich mit einer Verbeugung in diese Richtung. »Dort ist der Knochenbrecher. Der Schädelknacker. Ihr kennt ihn. Ihr liebt ihn...«

Die Hochrufe der Menge verwandelten sich in Buhrufe und Flüche, denn sie wussten, wessen Namen er sogleich nennen würde.

»Es ist Blaster...« Dr. Dealgood streckte den Arm aus, und Blaster, der seinen gewohnten Helm trug, stolzierte in die Arena. Er war nackt, und seine Haut war eingeölt.

Dr. Dealgood drehte sich wieder zurück und sah zu den Zuschauern hoch. »Der Herausforderer - direkt aus der Wüste gekommen. Er ist böse. Er ist herrlich. Er ist verrückt...«Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Es ist...«Er brach ab, und sein Gesicht geriet sichtlich außer Kontrolle, als er bemerkte, dass er den Namen des Herausforderers vergessen hatte. »Es ist... der Mann ohne Namen...« Er winkte unbestimmt zur anderen Seite der Arena.

Max betrat das Rund, immer noch in die Sachen gekleidet, die er auf der Straße getragen hatte. Bei einem Kampf war Leder widerstandsfähiger als die nackte Haut. Er blieb direkt hinter dem Eingang in der Arena stehen und sah zu den Zuschauern hoch. Sie starrten ihn mit tödlichem Schweigen an. Dann hörte er von irgendwo auf der anderen Seite der Kuppel zaghaften Beifall. Pig Killer schlug mit seiner Kette gegen einen Stahlträger des Thunderdome und grüßte den Mann in Schwarz; die Hare Krishnas starrten ihn verständnislos an. Max' Gesicht zeigte keine Regung.

Dann traten zwei Wachen vor, die je ein Geschirr trugen. Die Geschirre hingen an Federzügen - zwei Rollen mit elastischen Kabeln, die unter dem Dach der Kuppel befestigt waren. Max überblickte rasch die Arena, und seine Unsicherheit wuchs, als ihm die Wache das Geschirr umschnallte. Endlich sah er die Waffen auf den Plattformen hoch in den Wänden der Kuppel. Er verzog das Gesicht; er begann zu verstehen. Es spielte keine Rolle, welche Vorstellung man sich von einer Sache machte... weil es niemals so kam, wie man es erwartet hatte. Normalerweise kam es schlimmer. Er wischte sich mit der Hand den Mund ab.

Noch während die Wachen den beiden Männern die Geschirre anlegten, platzten weitere Menschen in die Manege. Max starrte sie an; hinter ihm erwachte die Menge wieder zum Leben... was er da sah, konnte nur die Jubelbrigade sein. Es waren zwei Abteilungen, deren erste aus den hübschesten Mitarbeiterinnen des Palace of Dream bestand. Die Mädchen tragen winzige Kostüme, die ihre Reize freigiebig zur Schau stellten. Sie hakten die Arme unter und begannen einen unbeholfenen und etwas obszönen Stepptanz, während sie laut sangen: »Los, Blaster! Los, Blaster! Auf ihn mit Gebrüll!«

Die zweite Truppe, angeführt von einem unglaublich fetten Ballon von Frau, schien ausschließlich aufgrund besonderer Hässlichkeit ausgewählt worden zu sein. Sie trugen Schilder mit Buchstaben, die wohl ihre Botschaft verkünden sollten: L-O-S M-A-X! Allerdings schien das zweite Auswahlkriterium mangelnde Intelligenz gewesen zu sein, denn sie formierten sich zu den Worten: S-O-L M-A-X. Sie brauchten mehrere Anläufe, bis sie richtig postiert waren.

Max blieb unbeteiligt stehen. Er ignorierte das groteske Spektakel ebenso, wie er das Gelächter der Menge ignoriert hatte. Lass sie ihren Spaß haben - es war unwichtig. Demütigung war nichts im Vergleich zu Schmerzen...

Er hob den Blick zu den Waffenlagern, dann sah er wieder zu Blaster. Er zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen und ruhig zu bleiben. Du hast getan, was getan werden musste, du hast erlitten, was nötig war. Hatte denn jemals jemand eine andere Wahl gehabt?

Er wurde buchstäblich aus seinen Gedanken gerissen, als das Seil über ihm straff gespannt wurde und ihn knapp über den Boden hob. Er hing mit baumelnden Füßen in der Luft wie ein Würstchen am Haken. Drüben geschah dasselbe mit Blaster.

Dr. Dealgood trat zwischen sie und erklärte ihnen: »Der Kampf im Thunderdome ist einfach. Holt euch die Waffen - und benutzt sie, so gut ihr könnt.« Er lächelte hämisch. »Ich weiß, dass ihr nicht die Regeln verletzen werdet - weil es keine gibt.« Er wich eilig zurück und rannte zum Ausgang. Die Jubelbrigaden hatten schon vor ihm das Tor erreicht und hasteten hinaus. Eine der wartenden Wachen packte Max' Schild von hinten und zog ihn bis zur Bande der Kuppel zurück. Der andere verfuhr mit Blaster auf die gleiche Weise.

Aunty Entity stand auf, und abermals verstummte das aufgeregte Gemurmel der Menge. Sie blickte mit ernstem Gesicht die beiden Kämpfer an. Ihre Stimme war rauchig. »Vergesst nicht, wo ihr seid«, murmelte sie, als spräche sie einen Segen. »Dies ist der Thunderdome, und der Tod hat gute Ohren. Er wird den Mann mit sich nehmen, der als erster schreit...« Sie hob die Arme.

Auf ihr Zeichen ließen die Wachen die beiden Männer los und drückten sie gleichzeitig mit einem heftigen Stoß ins Zentrum der Arena.

Max segelte auf Blaster zu; er konnte seine Bewegungen einfach nicht koordinieren. Ihre Körper prallten klatschend aufeinander und lösten sich wieder; Max wirbelte hilflos in seinem Geschirr herum. Blaster wand sich und drang auf ihn ein; seine Bewegungen am Ende seines Seils waren völlig kontrolliert. Er klatschte Max eine Riesenhand seitlich vor den Kopf, und Max wirbelte wie ein Kreisel. Blaster schlug noch einmal zu, so dass sich Max' Drehbewegungen beschleunigten.

Die Arena verschwamm zu einem Streifen. Max wurde schwindlig. Er schmeckte sein Blut. Dann sah er Blasters Helm in der Drehung kurz aufblitzen und hörte das unmenschlich hallende Gelächter des Riesen. Es war ein schwereloser Alptraum... es gab keine Regeln, wie Dr. Dealgood versprochen hatte - nicht einmal die Naturgesetze galten. Verzweifelt streckte Max die Arme weit aus. Seine Fäuste prallten nacheinander in Blasters Seite. Max fluchte. Es war, als hätte er eine solide Wand getroffen. Als der Hieb seinen kreiselnden Körper anhielt, schoss Blaster wieder vor - die Schläge hatten ihn nicht im Mindesten beeindruckt. Seine muskelbepackten Arme schlossen sich um Max und pressten seinen Oberkörper zusammen. Max wand sich und keilte aus. Seine Arme waren nutzlos an seiner Seite gefangen, und seine Füße trafen nur die Luft; Blasters zermalmender Griff schloss sich um ihn wie die Arme des Todes. Seine Augen verschwammen, und er spürte, wie sie vortraten... er sah die pochenden Adern in Blasters gespanntem Hals.

Max drehte den Kopf und senkte seine Zähne in Blasters Hals. Blut sprudelte über sein Gesicht, doch der tödliche Griff löste sich nicht. Er biss fester zu, rasend vor Verzweiflung.

Blasters Arme verkrampften sich und gaben ihn frei; die krallenden Hände des Giganten rissen an ihm, als Max sich tretend und stoßend freikämpfte und sich von Blasters Brust abstieß... und wieder verlor er jegliche Kontrolle über seine Bewegungen.

Blaster setzte ihm nach, packte ihn an den Schultern, schleuderte ihn vor die Bande. Max schrie auf, als er mit hochgerissenen Armen und geschlossenen Augen in das Eisengitter knallte. Die Dunkelheit hinter seinen Lidern explodierte zu schmerzenden Sternen, und er segelte wieder davon.

Blaster packte ihn erneut, als er vorbeiglitt, und schob ihn wie einen menschlichen Fußball vor sich her. Diesmal drängten sich die Zuschauer zusammen, als sie ihn kommen sahen. Max prallte mit einem schmerzlichen Grunzen vor die entgegengesetzte Wand, schmeckte frisches Blut, als er sich in die Zunge biss. Doch diesmal war er auf den Aufprall vorbereitet; er schnappte verzweifelt nach den Stäben und schaffte es, die Finger um das Gitter zu legen, so dass er mit einem Ruck verharrte und den verrückten Taumelflug abbremsen konnte. Er zwang Luft in seine krampfenden Lungen, schüttelte Blut und Schweiß aus den Augen und sah hinter sich in die Arena. Ein fairer Kampf, hatte Entity gesagt. Im Donnerdom war jeder Kampf fair... Blaster kannte sich hier aus, während Max einer Katze glich, die in ein Haifischbecken gefallen war... er hatte vergessen, Entity zu fragen, für wen es fair wäre.

Blaster schoss von seinem Standort im Zentrum der Arena vor. Er hob die Beine und flog heran wie eine Kanonenkugel.

Max verharrte grimmig wo er war, wartete... schob sich im letzten Augenblick zur Seite, tauchte weg.

Diesmal krachte Blaster in die Metallstäbe; unter dem Aufprall verbogen sie sich knirschend. Max kletterte hoch, zum nächsten Waffenlager. Blaster war ein Mensch, auch wenn er nicht wie einer handelte. Er blutete wie jeder normale Mensch... er konnte von einem normalen Menschen besiegt werden. Max blockte die Schmerzen seines aufschreienden Körpers mit eiserner Konzentration ab; er achtete sorgfältig auf seine und Blasters Bewegungen, denn er wusste, dass er und nicht Blaster tot wäre, wenn er jetzt den Schmerzen oder der Panik nachgäbe.

Das Waffenlager war jetzt direkt über ihm; er hatte es schon fast erreicht, und er konnte die Klingen von einem halben Dutzend verschiedener Waffen wie Sterne funkeln sehen. Er langte hinauf, kämpfte sich näher... näher... seine Hand schloss sich um den Griff einer Machete.

Blaster ließ die Stäbe los und sprang hoch. Er packte Max am Fußgelenk und riss ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Max wurde das Messer aus der Hand gerissen. Es fiel ein gutes Stück weit weg in den Staub der Arena, während die beiden Männer zusammen abstürzten. Sie erreichten die Dehnungsgrenze der Seile... schossen wie ein Jo-Jo wieder hoch, prallten unter das Dach... fielen... schossen wieder hoch...

Als sie langsamer wurden, ließ Blaster Max los und sprang hoch, klammerte sich an eine Strebe hoch oben in der Kuppel. Er schwang sich in die Richtung der anderen Waffenplattform, während Max hilflos stürzte. Blaster schnappte den Vorschlaghammer und ein Messer, sprang vom Brett herunter und schwang den Hammer wie ein Kriegsbeil.

Max drehte sich, wirbelte durch die Luft, sah den Hammer kommen. Er wand sich mit auspeitschenden Füßen, drückte sich zur Seite, als der Hammer vorbeizischte und ihn nur um Inches verfehlte.

Max hielt sich wieder am Gitter fest und arbeitete sich zu den übriggebliebenen Waffen hoch. Blaster warf das Messer. Max sah sich um, sprang hoch, versuchte, der tödlichen Flugbahn auszuweichen... nicht hoch genug. Das auf seine Brust gezielte Messer näherte sich nun seinem Unterleib. Er trat wild aus, hob die Beine.

Das Messer wirbelte unter ihm durch und traf einen Zuschauer, der sich hinter ihm ans Gitter klammerte. Der Mann daneben lachte hysterisch und überrascht; es war ein hohes, jodelndes Lachen, das Max auf der Stelle erkannte... mitten in dieser Wüste konnte es keine zwei Menschen geben, die so lachten... nicht in der ganzen Welt. Max drehte sich um und konnte zum ersten Mal einen deutlichen Blick auf den Mann werfen, der ihn beraubt hatte... der Mann, der für dies alles verantwortlich war. Die Augen des anderen zeigten kein Wiedererkennen. Doch Max hatte jetzt keine Zeit, seinem Gedächtnis nachzuhelfen. Er riss das blutige Messer an sich und wirbelte zurück, bereitete sich auf Blasters nächsten Angriff vor.

Blaster kam hammerschwingend herangeflogen. Max rollte sich wieder auf den Stäben zur Seite und wich ihm aus.

Jedediah wich hinter dem Gitter plötzlich erschreckt zurück... zu langsam. Der Hammer donnerte vor die Stäbe und zerschmetterte seine Finger. Er heulte auf. Max grinste humorlos und schlug mit dem Messer nach Blaster - doch er verfehlte den Gegner, der das Gitter schon wieder losgelassen hatte und gekonnt abtauchte. Das Messer fuhr gerade noch über Blasters Kopf und schnitt tief in das Seil, das unter Blasters Gewicht zerriss. Max sah ihm nach, als er hart auf den Boden schlug.

Er sprang ihm etwas zuversichtlicher hinterher; er begann ein Gefühl für diesen bizarren Kampfstil zu entwickeln. Er schwang über den Boden der Arena, schlug wieder nach Blaster, hackte ihm die Hälfte seines Hörrohrs ab. Dann war er vorbei, drehte sich um und stürzte sich unerbittlich von neuem auf seinen Gegner.

Diesmal aber war Blaster auf den Füßen und erwartete ihn. Der Gigant schwang den Vorschlaghammer, ließ los, sandte ihn in einem Bogen durch die Luft...

Max wand sich wie ein Aal, doch dieses Mal gab es kein Entkommen. Der Hammer fuhr in seinen Magen, brach einige Rippen, und er überschlug sich mit einem Schmerzensschrei. Das Messer flog aus seiner Hand. Blaster prallte einen Augenblick danach mit seinem vollen Gewicht auf ihn und zog ihn nach unten. Max' Seil riss; zusammen stürzten sie auf den hartgetretenen Boden.

Max lag noch mit seinem Schmerz kämpfend und alle viere von sich gestreckt auf der Erde, als Blaster schon wieder auf den Beinen war und mit erhobenem Hammer langsam auf ihn zukam.

Und plötzlich erinnerte sich Max an das Ding, das sein wirbelnder Verstand schon viel zu lange vergessen hatte... beinahe für immer. Er drückte sich hoch und wühlte verzweifelt in seinem zerfetzten Hemd, zog endlich seine Geheimwaffe heraus. Er setzte die Totenkopfpfeife an seine blutigen Lippen und blies hinein.

Ein ohrenbetäubendes Kreischen hallte durch das Rund. Blaster presste die Hände auf das Hörrohr und ließ den Hammer fallen. Er schwankte, als der schrille Ton in seinem Helm widerhallte.

Master, der neben Entity in der Königsloge hockte, fuhr erschreckt und überrascht in seinem Sitz auf, als Max auf Händen und Knien vorwärtskroch und den Hammer aufnahm. Max rappelte sich vollends auf, hob den Hammer und kämpfte sich durch einen schmerzerfüllten Nebel weiter. Er ließ den Hammer niedersausen und traf von hinten Blasters Helm, der aufklang wie ein Gong. Der Hammer rutschte von dem glatten Metall ab; er hatte es kaum verbeult. Blaster wirbelte herum, als hätte er den Schlag überhaupt nicht gespürt, und wand den Hammer aus Max' zitternden Fingern.

Max pustete in seine Pfeife

Blaster fuhr zurück, ließ den Hammer fallen. Max nahm ihn auf, blies ständig weiter in die Pfeife und trieb Blaster vor sich her, während er Kräfte sammelte, damit sein geschundener Körper den Hammer für den nächsten Schlag heben konnte. Er drückte die Waffe hoch über Blasters Kopf, und dieser Schlag ließ ihn in die Knie gehen. Blaster hockte benommen auf dem Boden. Max schlug noch einmal zu, diesmal von der Seite, so dass der Gigant flach auf den Boden fiel.

Max stolperte vorwärts, stützte sich auf den Hammer wie auf eine Krücke, um seine zitternden Beine zu entlasten. Sein gequälter, blutender Körper wollte nur noch neben Blaster auf den Boden sinken. Doch mit seiner ganzen Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben, denn er wusste, dass Blaster noch nicht endgültig besiegt war. Er musste den Giganten töten, jetzt oder nie...

Blaster rollte weiter, rappelte sich schon wieder auf. Er kämpfte sich in eine sitzende Position hoch und schüttelte den Kopf. Irgendwo hinter ihm konnte Max Masters undeutliche Schreie hören: »Auf, Blaster! Steh auf! Auf!«

Max sammelte noch einmal alle Kräfte und schwang den Hammer zu einem schweren Aufwärtshaken. Er knallte vor Blasters Kopf und riss ihm den Helm so heftig vom Kopf, dass er zum Dach hinaufflog, während Blaster vom Aufschlag zurückgeworfen wurde. Die Menge keuchte wie aus einem Mund, als sie den Helm hinaufsegeln und den reglosen Körper in der Arena liegen sah... und keinen Kopf. Der Helm prallte unter die Kuppel des Thunderdome und fiel wieder auf den Boden, wo er sich wie ein Kreisel drehte. Master schlug die Hände vors Gesicht, während der Pförtner und Ironbar Bassey neben ihm lächelten. Entity sah grimmig schweigend herüber; ihre Miene verriet nicht, was sie dachte.

Max blieb wie angewurzelt stehen, benommen vom Schock, und betrachtete den langsam wirbelnden Helm, der schließlich ruhig im Staub liegenblieb. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Schrecken sah Max, dass er leer war. Er biss die Zähne zusammen und taumelte zu Blasters reglosem Körper. Seine Beine zitterten, die Hände waren glitschig von Schweiß und Blut. Er konnte kaum den Hammer schleppen, und er fragte sich, wie um alles in der Welt er ihn noch einmal vom Boden hochbekommen sollte. Aber dieser Schlag musste der letzte sein - der Schlag, der sein Leben rettete und ihm eine neue Zukunft schenkte. Er wusste, dass er die Kraft finden würde, irgendwie...

Die Zuschauer hoben jetzt die Stimmen, sangen den Spruch: »Zwei Männer gehen hinein, nur einer kommt heraus.«

Schritt für Schritt näherte er sich Blaster; die zehn Fuß weite Reise über den blutbesudelten Boden schien ein Jahrhundert zu dauern. Er erreichte Blasters Füße und hob über den bewusstlosen Körper den Blick zu Blasters Kopf. Ein hochgereckter Arm verdeckte das Gesicht; Max konnte immer noch nicht erkennen, wie es aussah. Er knirschte mit den Zähnen und hob zitternd den Hammer. Diesmal würde er nicht viel Kraft brauchen, diesmal -

Blaster rührte sich; die Hand glitt vom Gesicht, erhob sich abwehrend, als der Gigant die flatternden Lider aufschlug und Max mit dem drohenden Hammer sah.

Max erstarrte, der Hammer hielt über seinem Kopf inne, und sein Gesicht füllte sich mit einem fassungslosen Ausdruck. Er sah nicht in das Gesicht eines Monsters... sondern in das unschuldige und verständnislose Starren, in die leicht verzerrten Züge eines stark retardierten jungen Mannes. Max starrte ihn eine Weile an. Dann gaben seine gespannten Muskeln langsam nach, und der Hammer sank auf seine Schulter. Er blieb wie betäubt stehen, fand keine Kraft mehr für eine Bewegung. Sein Kopf schien leer, während er verzweifelt versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Master krabbelte jetzt aus der Königsloge und hastete so schnell er auf seinen Beinchen konnte, durch die Arena, an Max vorbei, und blieb neben Blaster stehen. Die Menge war wieder verstummt, wartete neugierig ab. Entity, die in der Königsloge zurückgeblieben war, durchbrach das Schweigen und rief Max. Ihre Worte waren zugleich Warnung und Ermunterung: »Zwei Männer gehen hinein. Nur einer kommt heraus...«

Master, der neben Blaster kniete, sah zu Max auf und riss sich den Helm und die Schutzbrille vom Kopf. »Weiß nichts«, sagte Master mit schwankender Stimme und flehenden Augen. »Er kleines Kind. Ist mein Fehler.« Er wiegte Blasters Kopf in den Armen und streichelte sanft das zerschlagene Gesicht. Blaster starrte benommen und verständnislos zu ihm hoch.

»Du kennst das Gesetz«, durchschnitt Entitys scharfe Stimme Masters Flehen. Sie wandte sich drängend, drohend an Max.

»Dies ist der Donnerdom«, rief der Pförtner.

»Töte ihn«, knurrte Ironbar.

Max starrte die beiden Männer vor ihm an - einer lag hilflos auf dem Boden, der andere kniete daneben... einem fehlte ein normaler Körper, dem zweiten ein normaler Verstand. Keiner der beiden hätte in dieser erbarmungslosen Welt nach dem Desaster allein überlebt - hier kennzeichnete jede Schwäche einen Mann als Opfer. Nur zusammen, in dieser unglaublichen Symbiose, waren sie fähig gewesen zu überleben, sogar zu triumphieren...

Max sah wieder zu Entity hinauf und schüttelte den Kopf. Er senkte den Hammer. »Nein«, sagte er. »Das war kein Teil des Handels.«

Master riss den Kopf hoch. »Handel?«, schnappte er. »Was für ein Handel?« Er stand unsicher auf und starrte zur Königsloge hinüber.

Entity stand auf und beugte sich über die Brüstung der Loge. Sie ignorierte Master und starrte Max fassungslos an. Er konnte doch nicht, er konnte sich ihr doch jetzt nicht widersetzen! Nicht jetzt, da er Blaster wirklich geschlagen hatte, da er mit einem - Schlag etwas erreichen konnte, das sie schon fast aufgegeben hatte. Er konnte doch nicht da unten stehen, sich weigern und ihren Verrat der ganzen Stadt enthüllen. Nicht der Mann, der ihr geben konnte, was sie wollte, der Mann, der... sie hätte ihm alles, alles gegeben, was er verlangt hätte...

Ihre Knöchel wurden weiß, als sie die Finger um das Geländer klammerte, doch Max erwiderte ihr unausgesprochenes Verlangen mit der unbeteiligten Kälte eines Gletschers - eben jenes diamantharte Ding, das im Grunde seiner Seele ruhte; die Kraft, die sie gespürt hatte, die sie hatte glauben lassen, er könnte siegen, hatte sich gegen sie gewendet, als er die Wahrheit erkannt hatte. Sie war absolut sicher, dass er von diesem Augenblick an niemals wieder ihrem Befehl gehorchen würde. »Du musst es gespürt haben«, murmelte sie. »Es lag in deiner Hand - alles lag vor dir...« Bei allen Teufeln der Hölle, nur ein Heiliger oder ein Irrer konnte sie auf diese Weise ansehen... und sie war völlig sicher, dass dieser Kämpfer kein Heiliger war.

Max warf den Hammer fort und kehrte ihr den Rücken. Er stolperte schweigend zum Ausgang.

Master folgte ihm; sein kleines Gesicht war wutverzerrt. »Sag es!« verlangte er, während er die Fäuste ballte. »Welcher Handel?« Max antwortete nicht. Master wirbelte herum und wandte sich wieder an Entity. Seine Augen verdunkelten sich, als ihm sein eigener Verdacht plötzlich die Antwort gab. »Ich dumm«, sagte er langsam und so laut, dass es alle Zuschauer hören konnten. »Ich verstehe jetzt. Du hast böses Herz. Dieser Ort zu Ende.« Er wedelte mit der Hand, und Entity, die sah, dass er vor Wut zitterte, wusste, dass er sein Versprechen halten würde.

Neben ihr rückte Ironbar Bassey vor und hob die Armbrust. Sie machte keine Anstalten, ihn aufzuhalten. »Nein«, rasselte Ironbar. »Wir haben gerade erst angefangen.« Grinsend zog er zweimal ab - beide Bolzen schlugen Blaster mitten in die Brust. Die Menge keuchte wie aus einem Mund, als Entitys oberster Polizist ihr Gesetz ermordete.

Max, der das Tor fast schon erreicht hatte, fuhr bei Masters Schreckensschrei herum. Er sah, wie der kleine Mann zu Blaster zurückraste, der im Staub zusammenbrach.

»Und wer hält Bartertown jetzt am Laufen?«, rief Ironbar höhnisch aus der Loge. Er wandte sich mit einem verzerrten, erwartungsvollen Grinsen an Entity, doch das Grinsen verging ihm, als er ihren Gesichtsausdruck sah: Bitterkeit und Abscheu.

Master krümmte sich über Blasters blutigen Leichnam. Die winzigen Finger umklammerten einen Bolzen, zerrten vergeblich daran. Was geschehen war, konnte nicht rückgängig gemacht werden... Blaster war tot. Er schmiegte seinen Kopf seufzend an die Wange des toten Jungen.

Max drehte sich wieder zum Ausgang um und wandte sich an die beiden Wachen, die dahinter postiert waren. »Macht auf.«

Sie blieben mit verschränkten Armen stehen. Ironbar lud seine Armbrust nach; das Lächeln war zurückgekehrt, und seine Augen richteten sich schon auf Max' Rücken.

Max trat näher an das Tor und packte die Stäbe, um sich auf den Beinen zu halten. »Macht auf!«, wiederholte er mit kratzender Stimme. Die Wachen starrten ihn innerlich und äußerlich unbewegt an.

Auf der anderen Seite der Arena rief Pig Killer: »Zwei Männer gehen hinein, einer kommt heraus.«

Jedediah, der jetzt neben ihm stand, hörte auf, seine verletzten Hände zu pflegen und fiel in den Ruf ein. Er hatte keine Ahnung, um wessen Leben er da schrie... und es kümmerte ihn auch nicht, welchen schmutzigen Handel der Mann mit Entity abgeschlossen hatte. Er wusste nur, dass er einen verdammt guten Kampf gesehen hatte. Ein Mann, der Blaster erledigen konnte, verdiente es einfach, zu gehen und zu einem anderen Kampf zurückzukommen. Weitere Zuschauer fielen in den Singsang ein, der schließlich laut durch die Arena hallte: »Zwei Männer gingen hinein. Einer kommt heraus. Einer kommt heraus!« Sie schüttelten das Gitterwerk des Thunderdome, bis die ganze Arena für die Freiheit des Überlebenden rief.

Max stand reglos vor dem Tor; er spürte immer noch den Geschmack seines Blutes. Die Forderung der Menge hallte hohl in seinen Ohren, während er auf die Entscheidung wartete, die, das wusste er, nur in der Königsloge hinter ihm fallen konnte... er wartete auf den brennenden Schmerz eines Bolzens in seinem Rücken.

Ironbar trat vor, ohne das Geschrei der Menge zu beachten und zielte auf Max. Dann schoss plötzlich der Arm des Pförtners vor und zwang die Waffe hinunter. Entity stand wie versteinert da und musterte stirnrunzelnd die heulende Menge. Sie konnte den Fremden jetzt nicht kaltblütig umbringen - noch ein Mord, und der Mob würde sich gegen sie erheben. Aber sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass dieser Hundesohn seine Zusage brach und damit durchkam.

Plötzlich bewegte sie sich, die Entscheidung war gefallen. Sie sprang aus der Loge in die Arena hinunter. Sie wandte sich mit wütend funkelnden Augen an die Menge, während sie an der Bande entlangschritt, und starrte die Zuschauer an wie eine gereizte Löwin; sie verlangte ihre Aufmerksamkeit, ihr Schweigen. Der Fremde hatte ihr Vertrauen missbraucht, hatte sein Wort gebrochen, hatte ihren Plan allen Einwohnern Bartertowns offenbart... und, das Schlimmste von allem, er hatte sie direkt für Blasters Tod verantwortlich gemacht. Ironbar Bassey hatte geschossen, doch er war ihre rechte Hand... sie hätte ebenso gut selbst schießen können. Der Fremde würde nicht davonkommen, ohne dafür zu bezahlen...

«Glaubt ihr, ich kenne das Gesetz nicht?«, rief sie. Sie hob die Arme, schien jetzt von einem messianischen Feuer erfüllt. »Habe ich es nicht selbst geschrieben? Und ich sage euch...« Sie streckte einen Arm aus, zielte mit einem anklagenden Finger auf Max wie mit einem Pfeil, »dieser Mann hat das Gesetz gebrochen. Recht oder Unrecht - wir haben einen Handel abgeschlossen. Und das Gesetz sagt: Wer einen Handel bricht, kommt unters Rad.«

Die Menge war verstummt, alle Augen hatten sich von Max abgewendet und richteten sich auf sie. Schließlich drehte sich auch Max um und sah sie mit resigniertem Gesicht an. Die letzte Widerstandskraft wich aus seinem Körper, als er sah, wie die Menge ihm den Rückhalt entzog und sich hinter Entity stellte. Als ihre Worte durch die Kuppel hallten, nahmen die Zuschauer den rituellen Singsang auf: »Wer einen Handel bricht, kommt unters Rad...«

Die beiden Wächter traten durch das Tor und packten Max von hinten. Max wehrte sich nicht; er war zu zerschunden und zu erschöpft, um Widerstand zu leisten - wenn er überhaupt so dumm gewesen wäre, es zu versuchen. Sie hielten ihn am Rand der Arena fest und warteten; er sah schweigend zu, wie abermals Vorbereitungen getroffen wurden.

Dr. Dealgood hüpfte wieder in die Arena, um die neuen Attraktionen zu überwachen. Dieser Abend verlief sogar noch besser, als er gehofft hatte. Einige Wachen führten seinen milchweißen Hengst, sein Gütezeichen, in die Arena und spannten ihn vor Blasters Leiche. Der Hengst musste sich anstrengen, um den Körper mit den Füßen voran aus dem Thunderdome zu schleifen. Master folgte schweigend an Blasters Seite; sein Gesicht war verzweifelt und tränenüberströmt - Blasters einziger Trauernder in dieser bizarren Begräbnisprozession.

Als Master das Tor erreichte, traten zwei große, muskelbepackte Beine vor ihn und versperrten ihm den Weg. Er sah auf, und sein Gesicht verriet seine Angst. Ironbar Bassey hatte sich vor ihm aufgebaut; den Samuraihelm hatte er schon über den kahlen Schädel gestülpt. Ironbar bückte sich grinsend und pflückte den kleinen Mann von der Erde. Er nahm Master wie ein kleines Kind in die Arme und streichelte sanft drohend sein Gesicht, sang ihm ein zartes Wiegenlied, das mit einer grässlichen Drohung beladen schien, während er ihn durch die Arena trug.

Dr. Dealgood, eskortiert von Schubidu und Schubidummdumm, trat ins Zentrum der Arena und bedeutete der Menge zu schweigen. Entity, die wieder in ihrer Königsloge Platz genommen hatte, sah schweigend zu, wie der scharfgesichtige Zirkusdirektor die nächste Runde einläutete.

»Hört her... hört zu...«, rief Dr. Dealgood. »Eins ist gewiss: unser aller Leben hängt an einem Faden...« Das war das Stichwort für die beiden Wachen, Max ins Zentrum der Arena zu schieben. »Nun haben wir hier einen Mann, der auf den Urteilsspruch wartet...«, sagte Dr. Dealgood, während Schubidu Max salutierend begrüßte und ihn vorstellte, als sei er ein Kandidat bei einer Quizsendung.

»Aber das ist nicht wahr«, schrie Dr. Dealgood, »denn er hat es darauf ankommen lassen, und nun ist die Gerechtigkeit für ihn nichts als ein fallender Würfel, eine Wendung der Münze, eine Drehung am Rad...«

Schubidummdumm deutete vielsagend zum Dach der Donnerkuppel. Dort hing ein riesiges Rad, eine perfekte Imitation der Glücksräder, die man früher bei Quizsendungen im Fernsehen benutzt hatte. Die irdische Zivilisation mochte ausgestorben sein, doch die Erinnerungen lebten weiter... das Rad senkte sich langsam in die Arena. Unter ihm war ein Schild befestigt: DAS RAD DER GERECHTIGKEIT.

Schließlich kam das Rad in Hüfthöhe zwischen Max und Dr. Dealgood zur Ruhe. Die Wächter schoben Max weiter vor, und Dr. Dealgood und die Mädchen sahen ihn erwartungsvoll an.

Max stand hölzern davor, starrte mit trüben Augen auf das Rad. Ein Wächter packte seine Hand und drückte sie auf die Kante des Rades, so dass es sich zu drehen begann. Seine möglichen Schicksale flirrten als unleserliche Flecken vorbei; das Rad wurde wieder langsamer, als der Gummizeiger gegen die Speichen knatterte.

Max konnte die Worte in den Segmenten erkennen, die immer langsamer vorüberzogen, während sich das Rad dem Urteilsspruch näherte: LEBENSLÄNGLICHE HAFT, NOCH EIN VERSUCH, ALLES EIGENTUM VERWIRKT, AUNTYS ENTSCHEIDUNG, UNTERWELT... Die Menge hielt den Atem an, denn sie wusste nicht, welchem Schicksal sich der Zeiger näherte; doch die Zuschauer wussten, dass sie es bald genug erfahren würden.

Entity stand stocksteif am Geländer ihrer Loge. Ihr Gesicht verriet nichts, und ihre Augen waren verhangen; es war, als könnte sie durch ihre bloße Willenskraft das Rad zwingen, das Schicksal für den wie betäubt wartenden Mann auszuwählen, das sie auch selbst für ihn bestimmt hätte.

Max und die Wächter, Dr. Dealgood, Schubidu und Schubidummdumm standen, kaum atmend, dicht beieinander, während die Gerechtigkeit sich knatternd ihrer Entscheidung näherte. Das Rad bewegte sich jetzt kaum noch, verharrte zitternd, während der Zeiger mit FREISPRUCH spielte... dann drückte die letzte Speiche vor den Zeiger... und das Rad sprang noch einmal um in das nächste Segment: GULAG.

Aus Schubidus und Schubidummdumms Gesichtern wich das leere Lächeln einem Ausdruck von extremem Schrecken.

«Gulag!«, rief Dr. Dealgood, und sein Kadavergesicht spaltete sich zu einem Grinsen, als er zurücktrat und der Menge das Urteil verkündete.

Überall in der Arena wichen die Zuschauer erschreckt zurück und flüsterten das Wort. Max wandte sich zu ihnen um, doch der Hoffnungsschimmer in ihm verblasste, als das Flüstern zu einem klagenden Singsang anschwoll, der um ihn hallte wie eine Todesfee, die Seelen zu sich ruft: »Gulag... Gu-gulag!!!«

Was, zum Teufel, war Gulag? Er versuchte, seinem benommenen Gehirn die Erinnerung abzuringen, suchte nach einer Jahrzehnte alten Information: So etwas wie Verbannung, Exil... Verschwinden.

Pig Killer, der sich an das Gitter des Thunderdome klammerte, schüttelte den Kopf und sah in stummer Sorge zu ihm herab. Neben ihm schlug Jedediah unbeholfen ein Kreuz.

Und Ironbar Bassey lächelte. Er ging quer durch die Arena zum Tor und riss an der langen Kette, die er in der Faust hielt. Am anderen Ende hing Master, angekettet wie ein Hund. Er trug jetzt den Metallkragen eines Sklaven, und er krümmte sich bekümmert und barg das Gesicht in seinen Händen. Ironbar zerrte ihn aus der Arena, stellte Masters Hilflosigkeit und seine eigene erstarkte Macht zur Schau, bewies Max die Dummheit seiner Weigerung, den sinnlosen Masochismus, dem er sich mit dieser Strafe hingegeben hatte.

Max blickte zur Königsloge hinauf und sah das erbarmungslose, zufriedene Lächeln, das um Entitys Lippen spielte; er sah ihre Rachsucht, die aus der Bitterkeit ihrer Enttäuschung genährt wurde.

Und rings um ihn schwoll das gierige Rufen der Menge weiter an: »Gulag! Gulag! Gulag!«

 

 

 

Kapitel 7: Gulag

 

 

Über Devil's Anvil dämmerte ein neuer Morgen: Die Sonne klomm in den ewig wolkenlosen Himmel, wie sie es seit Äonen getan hatte und wie sie es noch äonenlang tun würde, und überflutete den glitzernden Boden des ausgetrockneten Sees mit ihrem Licht. Die von der leblosen Salzfläche reflektierte Hitze wallte in schimmernden Schwaden auf.

Die Einwohner und Händler Bartertowns standen in langen Reihen auf der Klippe darüber, oder sie verteilten sich auf dem zum See abfallenden Hang und blinzelten und schirmten ihre Augen ab, während sie in die weiße, salzige Einöde hinausblickten und die Szene beobachteten, die sich unter ihnen abspielte. Jedediah stand zwischen den anderen auf dem Hügel. Er war schwer mit dem neuen Propeller und den anderen Dingen beladen, die er gegen Max' Besitz eingetauscht hatte. Er wartete mit unverhohlener Neugierde auf den Anblick eines letzten Schauspiels, das Bartertown ihm bieten sollte, bevor er sich auf seine einsame Heimreise begab. Unter ihm standen zweiunddreißig hohe Pfähle, die den Beginn oder das Ende von Devil's Anvil, dem Amboss des Teufels, markierten. Auf den Masten, die sich wie starre, knochige Finger in den Himmel reckten, steckten Totenschädel. Auf dem See stand eine schweigende Wachmannschaft, die die Stelle umringte, an der Entity hinter den Pfählen mit Ironbar Bassey und Dr. Dealgood wartete.

Ein weiterer Wächter führte ein altes, abgemagertes Pferd langsam das Ufer herunter und zwischen den Masten hindurch. Max war mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf den Sattel gebunden - er ritt rückwärts, was ihn zwang, alles, was er verlor, noch einmal anzuschauen, während er aus Bartertown geführt wurde und sich immer weiter von jeder möglichen Rettung entfernte. Als der Gardist Entity und die mit ihr wartenden Männer erreichte, hielt er das Pferd an. Max riss seinen Blick von den Zuschauern auf dem Hügel - von Jedediah, der frei war und bepackt mit den Waren, die er mit Max' Schweiß erkauft hatte - und mit seinem Leben. Er verdrehte seinen schmerzenden, geschundenen Körper im Sattel und sah über die Schulter... und zuckte zusammen, als der Amboss des Teufels grelle Lichtfinger in seine Augen drückte.

Das war also Gulag... das Schicksal, das ihm das Rad und seine eigene sture Verweigerung beschert hatte.

Er senkte den Blick, klärte blinzelnd seinen geblendeten Gesichtssinn, gerade rechtzeitig, um Entity vortreten zu sehen. Sie goss einen Becher Wasser in eine Glasflasche, die direkt vor der Nase des Pferdes hing - an einem Ding, das wie eine Angelrute aussah und unter dem Sattel steckte.

Entity sah zu ihm hoch; sie spürte sein Starren und erwiderte seinen Blick - hart und undurchdringlich wie Obsidian. »Überleben für einen Tag«, sagte sie leise, »damit du dich daran erinnerst, was du verloren hast.«

Dr. Dealgood zog Max halb aus dem Sattel, bis Max' Gesicht dicht vor seinem eisernen Lächeln hing. »Der Tod ist dir gewiss, Soldat.« Sein Grinsen verbreiterte sich vielversprechend, als er in die Sonne blinzelte. »Aber er wird dich wie ein Geliebter nehmen - heiß und langsam und voller Schmerz...«

Ironbar Bassey trat vor; er trug eine Maske - ein hohler Pappkopf, der mit einem gehässig lachenden Clownsgesicht bemalt war: das Gesicht des eigenartigen, höhnischen Schicksals, das ihrer aller Leben regierte... das Gesicht eines Narren, der sein Leben für nichts und wieder nichts fortgeworfen hatte. »Du bist schon tot, mein Sohn«, zischte Bassey. Er schob Max die Maske übers Gesicht und nahm ihm damit das Augenlicht und dämpfte sein Gehör.

Max zuckte zusammen und wich zurück; er geriet unvermittelt in Panik, da seine Wahrnehmungsfähigkeit derart eingeschränkt wurde. Wieder rissen ihn Hände herab und banden die Maske fest; der stechende Schmerz seiner gebrochenen Rippen ließ ihn keuchen.

Entity wandte den Blick von Max ab, als Ironbar ihm die Maske anlegte. Sie hob die Stimme und rief zur Menge hinauf: »Zweiunddreißig Pfähle markieren den Weg von zweiunddreißig Männern... alle wurden zum Nichts verurteilt... und vom Sand verschluckt.« Sie sah wieder Max an. »Und heute geht der dreiunddreißigste.«

Sie drehte sich um, wandte den Blick ab, als Ironbar plötzlich ein Brandeisen aus einer Kohlenpfanne zog, die einer seiner Männer trug. Er trat vor Max und packte ihn abermals am Jackenaufschlag. Er drückte das Brandeisen auf ein starres Auge der Maske und wartete grinsend darauf, dass es sich zum lebenden Auge darunter durchfraß. Max wehrte sich vergeblich.

Entity trat vor, packte Ironbars Handgelenk und zwang ihn, das Eisen fallenzulassen.

Ironbar drehte sich um und funkelte sie an. Sein Unterkiefer zuckte, als er Max losließ. »Ein fairer Tausch, Aunty«, rasselte er. »Meine Stimme gegen seine Augen...«

Entity starrte ihn schweigend an. Dann trat sie plötzlich zurück und klatschte die Hand fest auf das Hinterteil des Pferdes.

Das Tier schoss vorwärts, in den ausgetrockneten See hinein - und die Wasserflasche baumelte quälend vor seiner Nase. Entity, Ironbar und Dr. Dealgood standen schweigend beieinander und sahen zu, wie es fortlief. Auch über dem Hügel hing ein Schweigen, das an ein Begräbnis erinnerte, während das fliehende Pferd in die blendende, leblose Wüste donnerte. Das Schweigen wurde erst gebrochen, als das Pferd und seine hilflose Last zu einem kleinen Punkt in der weiten, schneehellen Wildnis zusammengeschrumpft waren und wie eine Fata Morgana in einer schimmernden Hitzewelle verschwanden. Schließlich wandten sich die Zuschauer einer nach dem anderen ab und gingen leise miteinander murmelnd zur Stadt zurück.

Das Pferd rannte eine Weile, die Max' gequältem Körper wie Jahre erschien - jedes Aufsetzen der Hufe auf dem Boden zitterte wie der Schlag eines Schmiedehammers durch seine Knochen und jagte ihm neue Schmerzwellen durch den Körper. Doch endlich ließ der besinnungslose Schreck des Pferdes nach, und die wilde Flucht verlangsamte sich von einem panischen Galopp zum Trab, zum Trott, bis es schließlich mit hart arbeitenden Flanken und weiß schäumendem Schweiß in einen taumelnden Schritt verfiel.

In allen Richtungen war jetzt nur noch glitzernder Sand, dessen spiegelnde Oberfläche das Licht der Sonne reflektierte und ihre Hitze verdoppelte und verdreifachte... für das benommene Tier gab es nichts zu tun als weiterzulaufen, Stunde um Stunde, ziellos dem vielversprechenden Geruch des Wassers folgend, den es immer dicht vor sich spürte, ohne jemals verstehen zu können, warum das Wasser nie erreicht wurde.

Auf seinem Rücken wand sich Max im Sattel hin und her. Sein Atem ging in flachen, halberstickten Stößen, sein Gesicht ertrank fast im Schweiß dieses Backofens, in den sich die Maske verwandelt hatte.

Sein Gehirn funktionierte kaum besser als das des Pferdes, als er in ein schmachtendes elendes Dämmern fiel. Er riss mechanisch an den Stricken, die seine Handgelenke auf seinem Rücken festhielten - die einzige Bewegung, zu der er fähig war; er war besessen von dem Gedanken, seine Hände zu befreien, wie das Pferd vom Wasser besessen war. Seine Handgelenke bluteten schon, waren wundgerieben - die Stricke waren von einem Fachmann verknotet worden.

Die Sonne erreichte ihren Höhepunkt und rollte in ihrem endlosen Tanz weiter. Endlich sank sie unter den Horizont und brachte die Nacht und eine kurze Erholung für die gequälten Wesen unter ihr. Sie kämpften sich weiter, bis ein neuer Morgen kam, während die alterslosen Sterne auf das ewige Land herabblickten.

 

In Bartertown, das jetzt schon Meilen hinter ihnen lag, leuchteten beständig die künstlichen Sterne einer zum Tage gemachten Nacht, trieben die Dunkelheit zurück und schienen ebenso dauerhaft und unauslöschlich wie die wirklichen Sterne am Himmel darüber. Und dann flackerten plötzlich die Lichter und wurden trüb, als irgendwo in der Unterwelt ein Rohr an einer belasteten Lasche brach und der Druck zu sinken begann.

Ironbar Bassey, der neue Herrscher der Unterwelt, stand knurrend und frustriert mit zweien seiner Wachen vor der Rohrleitung, die Dampf verlor. Ironbar drehte sich wieder zu der schweren Winde herum, die hinter ihm stand. Am Ende des Kabels baumelte Master über einem vollen Schweinekoben.

Ironbar deutete auf das zischende Leck. »Bring das in Ordnung.«

Master starrte ihn so widerspenstig an wie er konnte. »Du hältst Bartertown am Laufen«, sagte er. »Mach's selbst.«

Ironbar packte den Griff der Winde und senkte Master langsam zu den Schweinen ab.

Hinter ihm fuhr unbemerkt das Periskop aus der Decke, drehte sich, suchte. Und tief in den Schatten stand Pig Killer verborgen und beobachtete alles, was geschah. Er trug Max' Affen auf einem Arm; in der anderen Hand hatte er eine volle Wasserflasche.

Masters Beine sanken herab, bis sie die Kopfhöhe der Schweine erreicht hatten. Das Grunzen und Schnüffeln unter ihm nahm zu, als die Schweine, die frisches Fleisch rochen, herandrängten. Schweine fraßen alles, wie Master mit erschreckender Gewissheit klar war... sogar Menschenfleisch. Und sie kümmerten sich nicht immer besonders darum, ob es sich noch bewegte. Er kreischte voller Angst, als die scharfen Hauer an seinen ungeschützten Beinen zu knabbern und zu zerren begannen. Ironbar ließ ihn grinsend noch etwas weiter hinunter.

»Ich mach's! Ich mach's!«, schrie Master ängstlich. Er berührte jetzt den Boden und sah sich einem Ring aus Schweinen gegenüber, die sämtlich hunderte Pfund schwerer waren als er - und außerdem waren sie hungrig. »Nein!«, kreischte er hysterisch, »Zieh rauf! Bitte - zieh rauf!«

»Das ist genug.« Entitys Stimme ertönte scharf und missbilligend aus den Schatten.

Ironbar drehte sich verblüfft um, als Entity selbst aus der Dunkelheit auftauchte. Er verzog den Mund. »Ich entscheide, wann es genug ist.« Seine Augen brannten, verurteilten ihre Einmischung in sein Reich.

Entity blieb stehen. Ihre Augen verengten sich, und sie presste angesichts seiner Arroganz die Lippen zusammen. Sie hatte geahnt, dass es so kommen würde - er hatte MasterBlasters Position gewollt... und die Korruption, jener Virus, der mit der Macht einherging, hatte ihn bereits infiziert. Sie würde ihn sorgfältiger beobachten müssen und sich darauf vorbereiten, ihn zu zerquetschen, wenn er zu gefährlich wurde. Männer wie Ironbar waren ganz nützlich, aber sie waren austauschbar. Er besaß nicht Masters Hingabe an das, was in der Unterwelt oder in Bartertown geschaffen worden war. Er wollte die Macht um ihrer selbst willen, damit er tun konnte, was ihm Freude machte. Und was Ironbar Bassey Freude machte, erfreute Entity ganz und gar nicht. Sie schluckte ihren Zorn herunter und sagte nur: »Willst du ihn benutzen oder töten? Hol ihn da raus.«

Ironbar drehte sich gehorsam zur Winde - die Vernunft herrschte in gewisser Weise doch noch über seine Instinkte. Er begann, Master hochzuziehen.

Entity wartete, bis Master aus dem Verschlag befreit war und auf Augenhöhe mit ihr baumelte. »Du tust, was Ironbar will - okay?«, fragte sie ihn fast entschuldigend, beinahe verschämt. Ihre dunklen Augen ruhten nur einen Moment auf seinem Gesicht.

Master nickte schweratmend, immer noch sprachlos vor Angst. Entity wandte sich von ihm ab und verschwand in der Dunkelheit. Die Unterwelt war ebenso ein Teil ihres Reiches wie Bartertown, gehörte genauso zu ihrem Besitz wie das Penthouse... aber sie fand wenig Befriedigung darin, die Königin der Hölle zu sein.

Pig Killer glitt tiefer in den Schatten, als Entity mit ihren Leibwächtern vorbeischritt. Er huschte in einen Seitentunnel und fand endlich, was er wirklich gesucht hatte. Er kletterte eine Leiter hoch und schlängelte sich in einen der alten Drainagetunnel, die die Abwässer der Stadt in die Wüste entließen. Er tastete sich durch die dunkle, feuchte Röhre, bis er ihr Ende erreichte. Dort stand eine Reihe von schweren Eisenstäben wie gebleckte Zähne - zu 'eng beieinander, um einen Mann entkommen zu lassen, doch breit genug für einen Affen. Pig Killer schob den Affen vorsichtig zwischen die Stäbe. Auf dem Rücken trug das Tier ein winziges Geschirr, das Pig Killer aus Stricken gebastelt hatte. Rasch befestigte er die Wasserflasche am Geschirr.

Er deutete aus der Tunnelöffnung in die Richtung der Begräbnispfähle und des Sees dahinter und setzte den kleinen Affen auf Max' Fährte. Das Tier schoss in die Nacht hinaus und begann, seinen Herrn zu suchen.

Pig Killer arbeitete sich allein durch den Tunnel zurück. Ihm war bewusst, dass man ihm die Hölle heiß machen würde, wenn man ihn hier fand - oder Schlimmeres, falls Ironbar erfuhr, was er hier getan hatte. Aber nach allem, was er gesehen hatte, konnte er nicht glauben, dass er Max wirklich zum letzten Mal begegnet sein sollte... nicht, solange er noch etwas daran ändern konnte. Irgendwie, trotz allem, was er während seines ganzen Lebens gehört hatte, konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass manche Männer wirklich die Dinge ändern konnten - für sich selbst und für die Zukunft anderer Menschen. Er hoffte, dass er einer von ihnen war... und er wusste, dass der Fremde ein solcher Mann war.

Er glitt an dem immer noch zischenden Rohr vorbei und nutzte die Dunkelheit zu seinem Vorteil. Master stand wieder daneben und arbeitete jetzt mit übertriebener Bereitwilligkeit mit. Pig Killer zögerte, als er sah, dass Master auf dem geborstenen Rohr mit Kreide ein Kreuz zeichnete. »Treten«, sagte er, indem er auf das Kreuz deutete.

Einer der Wächter trat vor das Rohr. Nichts geschah - der Dampf zischte unvermindert in einer weißen Wolke heraus. Ironbar wandte sich mit unheilverkündenden Augen an Master, riss an der Kette und zerrte ihn zu den Schweinen zurück.

»Feste treten«, sagte Master verzweifelt. »Wie Blaster.«

Ironbar schob die Wache beiseite und knallte seinen Stiefel vor das Rohr. Der Dampfstrahl ließ nach und hörte schließlich ganz auf, als die losen Teile der Lasche an ihren Platz zurücksprangen. Nach und nach begannen die Lichter in Bartertown und der Unterwelt flackernd wieder zu leuchten.

Ironbar ließ Masters Kette los und nickte zufrieden. Er wandte sich ab und ließ den zusammengesunkenen Master unbewacht neben der Winde zurück. Wohin sollte er in der Unterwelt auch fliehen? Master wusste besser als jeder andere, dass es kein Entkommen gab. Er blieb liegen wo er war, und Tränen füllten seine Augen, als er daran dachte, was er sich selbst, und schlimmer noch, Blaster, angetan hatte - mit seiner Arroganz und seinem zerstörerischen Stolz.

Eine Hand langte aus den Schatten und berührte sanft Masters Schulter. Master fuhr erschreckt auf, wich vor der Berührung zurück. Als er aufschaute, sah er, dass die Hand nur eine Tasse Wasser hielt. Ein Sträfling, den er nicht kannte und an den er sich ohnehin nicht erinnert hätte, kniete neben ihm nieder. Sein Gesicht zeigte keine Böswilligkeit, nur ein unerklärliches, respektvolles Lächeln. »Komm, Master, trink...«, drängte er behutsam.

Master schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht Master«, murmelte er. »Mein Name ist Elvis Ford. Ich bin fünfunddreißig Inches groß und Sechsundsechzig Jahre alt. Und mein Leben ist vorbei...« Zum ersten Mal seit längerer Zeit als er sich erinnern konnte, sprach er wie ein normaler Mensch und nicht mit diesem Kindergeplapper, das er stets wegen Blaster hatte benutzen müssen.

Pig Killer beugte sich über den kleinen Mann und nahm ihn so vorsichtig in die Arme, als sei er sein eigenes Kind.

 

 

 

Kapitel 8: Der Amboss des Teufels

 

 

Das vor Durst halbverrückte Pferd stolperte durch den neuen Morgen in den Brennofen eines neuen Mittags. Vor seinem Maul stand Schaum, die eingesunkenen Augen waren immer noch mit irrer Gier auf den Wasserbehälter gerichtet. Der Wind hob sich und trieb erstickende Sandwolken hoch. Auf dem Rücken des Pferdes saß Max zusammengesunken im Sattel, verlor das Bewusstsein und kam wieder zu sich, während das Tier auf eine weitere salzüberkrustete Düne kroch. Das Pferd taumelte einmal... zweimal... und brach in die Knie.

Max grunzte. Die plötzliche Bewegung, die ihn schwindeln ließ, hatte ihn aus seiner Stumpfheit gerissen. Er schrie auf, als das Tier auf die Seite sank und sein gefesseltes Bein über den Sand knirschte, während der reglose Körper des Pferdes ganz umkippte und taumelnd die Düne hinabglitt. Max' Kopf knallte auf den harten Sand, und die Clownsmaske platzte auf wie eine Eierschale. Er wurde gedreht und herumgerissen, gequetscht und vom Körper des toten Pferdes fast unter dem Sand begraben. Schließlich blieb das Tier am Fuß der Düne liegen.

Max wand sich wild, rasend vor Schmerzen und Angst, und versuchte, sich vom Gewicht des toten Tieres zu befreien. Er riss verzweifelt an seinen gefesselten Handgelenken, als ihm die Panik neue Kraft gab, spürte durch die Schmerzen seines geschundenen Körpers kaum die Schmerzen in den Händen. Die Stricke knirschten und begannen auf seiner von frischem Blut glitschigen Haut zu rutschen, gaben nach, dehnten sich... mit einem letzten, brutalen Ruck bekam er die Hände frei.

Er tastete blind nach den Stricken, die ihn anderthalb mörderische Tage lang auf dem Pferderücken festgehalten hatten, und zog sein verdrehtes Bein unter dem Kadaver heraus. Dann setzte er sich in den Sand, riss die erstickenden Reste der Maske vom Gesicht und warf sie fort. Er atmete die siedend heiße Luft tief und keuchend ein. Er rieb sich die geschwollenen Augen, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und klärte blinzelnd seinen Blick. Die Sonne, die sich in dem salzüberzogenen Sand spiegelte, schien wie flüssiges Metall, blendete ihn mit grellen Dolchen. Er warf den Arm hoch und zuckte zusammen, schützte seine tränenden Augen vor der Helligkeit. Der Wind winselte um ihn, blies jetzt heftiger. Salz und Sand quälten seine wunde Haut.

Max drückte sich auf die Knie hoch und öffnete wieder die Augen, dieses Mal etwas vorsichtiger. Dann suchte er nach der Wasserflasche, die sein Pferd in den Tod getrieben hatte. Er hob den Kopf und sah die noch halbvolle Flasche auf der Seite im Sand liegen. Das Pferd lag mit dem Kopf nach unten am Fuß einer Düne, und die glasigen, blicklosen Augen fixierten immer noch das Wasser.

Max kroch über die Leiche des Pferdes zur Flasche hinüber und streckte eine blutverschmierte Hand aus... plötzlich sackte das Pferd weg, sank durch sein Gewicht in den Sand. Max fuhr erschrocken zurück. Er sah ungläubig, wie die Wasserflasche plötzlich vom Sand verschluckt wurde, gefolgt vom Kopf des Pferdes...

Auch der Sand unter seinen Knien begann zu gleiten, während das Pferd langsam, mit dem Kopf zuerst, im Treibsand zu verschwinden begann. Max warf sich auf den Hang zurück. Sein Magen verkrampfte sich in neuer Angst, als ihn der Sand mit dem wilden Hunger eines Lebewesens zu verschlingen begann. Er warf sich auf den Bauch und kroch den Abhang hinauf. Der Sand schloss sich fest um seine Beine; der Hang der Düne bröckelte ab, zog ihn abwärts und hinunter.

Hinter ihm brach der ganze Fuß der Düne ein und verschlang einen großen Teil der Tierleiche. Max kämpfte verzweifelt... glitt wieder zurück... kämpfte sich mit der übermenschlichen Kraft, die nackte Angst verleiht, wieder hoch. Er befreite seine Beine aus dem Sand, trat und wand sich, arbeitete sich zum Kamm der Düne hinauf. Dort warf er sich flach auf den Boden und blickte gerade noch rechtzeitig nach unten, um das Pferd völlig verschwinden zu sehen.

Er blieb eine Weile reglos liegen, erleichtert schluchzend, bevor er die Kraft fand, sich wieder aufzurichten. Er sah über die Düne. Vor ihm tauchte ein kleines, nichtmenschliches Gesicht auf und entblößte weiße, funkelnde Zahnreihen. Auch Max schrie auf, zuckte zusammen, weil er sich von seinen überlasteten Nerven betrogen glaubte. Er verlor das Gleichgewicht und rutschte wieder den Hang hinunter.

Er versuchte hastig, seine Rutschpartie zu stoppen und streckte alle viere von sich, kletterte wieder hinauf, während sein benommener Verstand viel zu spät erfasste, dass er da oben seinen eigenen Affen gesehen hatte... und dass er, als er sich umgedreht und schreiend fortgerannt war, eine Wasserflasche mitgeschleppt hatte. Er schob sich wieder auf den Kamm der Düne. Wasser... 

Der Affe erwartete ihn. Max hätte schwören können, dass er verlegen aussah. Er riss die Flasche von seinem Rücken und zog den Stopfen herunter, trank gierig, unfähig, sich zurückzuhalten, bis er fast die Hälfte des Wassers hinuntergestürzt hatte. Dann, als er wieder atmen konnte, gab er auch seinem halbverdursteten Tier ausgiebig zu trinken. Er verschloss die Flasche wieder und schlang sie über die Schulter, nahm den Affen in die Arme und rappelte sich auf, während er in sprachloser Dankbarkeit den Kopf des Tieres kraulte.

Er steckte den Affen vorsichtig in seine Jacke und sah sich auf dem Hügelkamm um. Jetzt erst bekam er einen klaren Überblick über die Salzwüste, die sie beide überwunden hatten, und die sie jetzt abermals überwinden mussten. Das endlos gewellte Salz umgab ihn ringsum, erstreckte sich in allen Richtungen bis zum Horizont, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Der böige Wind trieb heißen Sand auf seine empfindliche Haut - es war fast unmöglich, die Augen offenzuhalten.

Seine hoffnungsvolle Stimmung verflog. Der vom Wind getriebene Sand bedeckte bereits die Schlangenlinie der Fährte des Pferdes und des Affen, die einzige Spur, die ihn aus dieser tödlichen Falle herausführen konnte.

Doch es war zwecklos, wie ein Idiot hier herumzustehen und den Rest der Fährte verschwinden zu sehen wie das Pferd da unten. Max duckte sich vor dem Wind und wanderte, im weichen Sand taumelnd und rutschend, auf der sich langsam auflösenden Spur zurück.

Innerhalb der nächsten Stunde war die Fährte völlig verschwunden, und mit ihr das schwache Gefühl für die richtige Richtung, an das Max sich geklammert hatte. Der Wind konnte nicht als Führer dienen - er kam bald von hier, bald von dort, wechselte ständig die Richtung und peitschte immer wieder aus einem unerwarteten Winkel auf ihn ein. Er konnte durch den wirbelnden Dunst des sich erhebenden Sandsturms kaum noch die Sonne ausmachen, und er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung Bartertown lag, selbst wenn er fähig gewesen wäre, der Sonne oder dem Wind zu folgen. Er wanderte weiter, blieb in Bewegung... weil es die einzige Chance war, die er noch hatte, und er war der einzige Mensch, der sich noch darum scherte, ob er sie nutzte.

Der Rest des Tages verging, und eine neue Nacht kam; ein weiterer Tag, eine weitere Nacht... und immer noch sah er vor sich das gleiche Bild wie hinter sich, immer noch irrte er herum, wanderte im Kreis, soweit er sehen konnte. Am Morgen des dritten Tages konnte sich Max kaum noch an das Leben vor dieser Zeit erinnern, an ein Leben, in dem er nicht durch ein grelles Inferno getaumelt war. Jedes freiliegende Stück seiner Haut war wund und voller Blasen; seine gesprungenen Lippen bluteten, und seine Augen brannten vom Wind, der Salz und Sand hochpeitschte.

Er teilte das letzte Rinnsal des brackigen Wassers aus der Flasche mit dem wimmernden Affen, als es, wie er vermutete, etwa Mittag war. Dann warf er die leere Flasche fort, hasste ihren Anblick, war froh, selbst dieses kleine Gewicht loszuwerden. Er kämpfte sich auf die Füße und ging weiter, watete durch die Verwehungen, während der Sand sich an seine endlose Aufgabe machte: begraben, begraben, fort mit der leeren Wasserflasche, fort mit seinen Fußabdrücken, fort mit jeder Spur, mit der jemals ein Lebewesen die erhabene Leblosigkeit seiner Oberfläche verletzt hatte.

Zwei weitere Tage vergingen, Licht und Dunkel, Hitze und Kälte, das endlose Rad der Zeit... ein Folterrad, auf dem Körper und Seele eines Mannes langsam in Stücke gerissen wurden. Max hatte sein Zeitgefühl eingebüßt, hatte jegliche Erinnerung verloren. Er wusste jetzt nur noch, dass er langsam an seiner geschwollenen Zunge erstickte, dass jeder Atemzug einen stechenden Schmerz durch seinen Körper jagte, als treibe man ihm einen Pflock durchs Herz, dass jeder stolpernde Schritt schwerer war als der letzte, dass der Sandsturm niemals enden würde, dass der heulende Wind ihn bis in alle Ewigkeit zurücktreiben würde, sobald er einen Schritt vorwärts machte. Irgendwo unterwegs musste er gestorben und zur Hölle gefahren sein, und er hatte den Unterschied einfach nicht bemerkt.

Er taumelte, kroch, wankte weiter, ging blind auf seinen eigenen Spuren zurück. Sein Gesicht hatte sich in eine salzüberkrustete Totenmaske verwandelt, die Augen glänzten fiebrig. Immer noch hielt er den Affen verzweifelt an seiner Brust, wie ein Tier getrieben von einem tieferen, entschlosseneren und weit weniger rationalen Drang als bloßer Hoffnung - von dem Ding, das ihn über zwanzig Jahre gegen alle Wahrscheinlichkeit am Leben gehalten hatte... und selbst das war ein Teil seines Fluchs.

Max kämpfte sich abermals einen Hügel hinauf, fiel aufs Gesicht, als der lockere Sand weg glitt und rutschte und ihm zum tausendsten Mal die Füße wegriss. Er fauchte hilflos und versuchte, sich wieder aufzurichten. Sein Körper zitterte unter der Anstrengung. Er sank zurück, und der brennende Sand langte mit der Hitze einer Geliebten nach ihm, begrüßte ihn freudig... er wehrte sich, hob den Kopf...

Aus dem Sand schoss eine Hand und legte sich wild und erstickend über sein Gesicht, zwang ihn wieder zu Boden, nahm ihm den Atem, hüllte ihn ein, sog ihn tiefer und tiefer ins verborgene Herz der Wüste hinab... er brach durch eine Membran wie durch lebendiges Gewebe, während sich ihm von unten weitere Hände entgegenstreckten, ihn packten, krallten...

Max stürzte ins Nichts, stürzte zum unter ihm wartenden Thunderdome hinab, dessen Oberfläche von Körpern wimmelte. Unzählige Hände langten wie sich windende Schlangen zu ihm hoch, um ihn in die Schleife eines endlosen Alptraums hinabzuziehen, zurück zu den Anfängen, so dass er alles immer wieder und wieder durchleben musste...

Max schrie, warf sich, vor Schrecken völlig verkrampft, zurück und hinauf, brach abermals durch die Membran - und aus dem brennenden Bett heraus, fort vom samtenen Kopfkissen des glühenden Sandes - und keuchte nach Luft, als der Fiebertraum von ihm wich. Er kämpfte sich auf die Füße und rannte weiter, stolperte, floh in blinder Panik vor dem Ding, das dort wartend lag, das dort unter dem Sand wartete...

Doch Warten war ein Spiel mit der Zeit, und die Wüste hatte Ewigkeiten zur Verfügung; mit jedem Schritt, den sie schweigend forderte, verging, Schweißtropfen um Schweißtropfen, sein Leben. Sekunde um Sekunde saugte ihn die Wüste aus, zog ihn tiefer und tiefer in ihr auswegloses Stundenglas, füllte ihn Körnchen für Körnchen mit Vergessen. Max taumelte weiter, blind und brennend vor Fieber, während er mit rasselndem Seufzen atmete. Einen Fuß heben, senken, den anderen Fuß heben, senken... er verlor den Boden unter den Füßen, stolperte über den Kamm einer Düne und fiel, fiel eine Ewigkeit - ein fallendes Insekt, verschluckt von seinem eigenen schreienden Maul, ein fallender Mann, wie ein Insekt vom hungrigen Sand verschluckt.

Der Boden kam ihm eilig entgegen, wollte ihn treffen - Max prallte hart in die Salzpfanne am Fuß der Düne und blieb benommen liegen. Der Wind heulte um ihn, sang einen Grabgesang, während er seinen reglosen Körper bedeckte. Korn um Korn löschte ihn der Sand aus, nahm ihn in sich auf. Endlich war die Wüste mit ihrem Geliebten vereint.

 

Als der Tag verblasste, legte sich schließlich auch der Wind. Das Abendrot leckte über den Sandhaufen, der sich über Max' reglosen Körper getürmt hatte; nur das Gesicht und eine Schulter waren noch frei. Und im Westen tanzte, eine scharfe Kontur vor der untergehenden Sonne, eine unbestimmbare Gestalt wie ein Trugbild durch die wabernden Hitzewellen und kam mit einem raumgreifenden, langsamen Trott rasch näher.

Nach und nach nahm die Gestalt die Umrisse eines Menschen an, der vor Stacheln starrte. Als sie noch näher heran war, schälte sich die menschliche Gestalt deutlicher heraus. Sie trug die Fellkleidung eines Jägers, und das dichte braune Lockenhaar war schweißverklebt. Die mit drei langen Speeren und einem schweren Bündel beladene siebzehn Jahre alte Savannah Nix wurde plötzlich langsamer, hob den Kopf, um zu schnüffeln. Sie sah sich verwundert um, suchte, schirmte die Augen mit den Händen ab, runzelte die Stirn, als sie den unnatürlichen Sandhaufen vor sich sah.

Sie trottete weiter und umkreiste den Grabhügel. Dann zuckte sie überrascht zurück, als sie im Windschatten das Gesicht eines Mannes sah. Sie starrte es eine Weile an, während sie in beinahe religiöser Ehrfurcht die Augen aufriss. Schließlich bückte sie sich neben ihm und fegte sanft den Sand beiseite, um seinen Kopf völlig freizulegen.

Sie drückte eine Wange auf sein blasenübersätes Gesicht und spürte seinen schwachen Atem... er lebte noch.

Natürlich lebte er noch... Ein breites Grinsen zog ihre rissigen Lippen auseinander. Es war Walker. Sie hatte ihn gefunden...

Sie grub hastig seinen leblosen Körper aus dem Sand und bemerkte dabei das kleine Tier, das, reglos wie er, in seiner Jacke lag. Sie holte die fast leere Wasserflasche aus ihrem Bündel und ließ ein wenig Flüssigkeit in den Mund des Mannes rinnen. Das Wasser tröpfelte wieder heraus - er hatte sich nicht bewegt. Sie öffnete ihr Bündel, holte Häute und Schnüre heraus und baute eine provisorische Trage. Grunzend zerrte sie den schweren, schlaffen Körper des Mannes auf die Bahre und band ihn fest; den Affen ließ sie in seiner Jacke liegen.

Dann holte sie tief Luft, packte ihr Bündel zusammen und bückte sich, um die Speere anzuheben, die die Griffe der Bahre bildeten. Sie zog mit ihrem ganzen Gewicht an und schleifte sie durch die Wüste.

Der Wind löschte schweigend ihre Spuren aus, und hinter ihr lag das öde Land, stumm wie eh und je.

 

 

 

 

 

Kapitel 9: Crack in the Earth

 

 

Savannah wanderte entschlossen auch während der Dunkelheit weiter; sie orientierte sich nach den Sternen, während sie ihre wertvolle Last nach Hause schleifte, wo sie Hilfe finden würde; sie wusste, dass jede Sekunde zählte, und sie wagte es nicht, eine Rast einzulegen. Sie hatte Walker gefunden, doch wenn sie ihn nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, hatte sie nur seine Leiche gefunden. Sie war schon seit vielen Tagen unterwegs, sie war müde und hungrig, und es fiel ihr immer schwerer, das Gewicht des leblosen Mannes durch den Sand zu zerren.

Endlich, der Morgen dämmerte bereits und das Land um sie her hellte sich auf, erreichte sie mit letzter Kraft den Fuß einer letzten Düne. Sie konnte die Bahre nicht weiterziehen. So ließ sie sie im Sand zurück und kletterte allein auf den Dünenkamm und suchte den Horizont ab.

Ein Lächeln spielte über ihr schweißverklebtes Gesicht. Immer noch weit entfernt, doch bereits in Sichtweite, lag der rote Felsrand eines Canyons, der den tiefen Riss markierte, den die Zeit und fließendes Wasser in die Erde gefressen hatten: Crack in the Earth, der Spalt in der Erde. Sie war zu Hause.

Sie hob die Hände, warf den Kopf zurück und stieß einen hohen, heulenden Schrei aus, der über die weite, mit Sand und Felsen bedeckte Ebene hallte, bis er den Rand des Canyons erreichte.

Oben auf den Klippen lag ein kleiner, schmutziger, sommersprossiger Junge namens Finn McKoo auf den warmen Felsen und beobachtete schweigend eine Kragenechse, die sich auf einem Stein sonnte. Er hob den Kopf; seine Augen weiteten sich, als er das ferne Echo des Rufs hörte. Er stand auf, beugte sich über den Rand der Klippe und gab den Ruf weiter, übermittelte ihn in das grüne Tal, das weit unter ihm lag.

Unten, auf dem Talboden, hielten die winzigen Gestalten seiner Freunde/Verwandten/Stammesmitglieder inne und sahen von ihrer Arbeit auf, als sie seinen Schrei hörten. Er konnte ungefähr

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Authors/Apex-Verlag. Published by arrangement with Alchemy Agency/Sony Pictures Entertainment/Paramount Pictures Corp./The Berkley Publishung Group.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Joachim Honnef/Hans Wolf Sommer/Jürgen Bürger/Jürgen Langowski/Christian Dörge.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2021
ISBN: 978-3-7487-7815-8

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