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Leseprobe

 

 

 

 

HERBERT ADAMS

 

 

Die verräterische Spur

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 205

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE VERRÄTERISCHE SPUR 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

Auf einem Stuhl dicht am Tisch saß reglos der Kandidat. Er war vornüber gefallen, sodass der Kopf und eine der Schultern auf dem Tisch lagen. Das Gesicht war blutüberströmt. Die Arme hingen zu beiden Seiten des Stuhles herab und auf dem Fußboden, nicht weit entfernt von der rechten Hand, lag ein schwerer Revolver.

 

Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller.  Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

Der Roman Die verräterische Spur erschien erstmals im Jahr 1938; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1959.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DIE VERRÄTERISCHE SPUR

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Freust du dich, unser altes England wiederzusehen?«

»Wie man’s nimmt.«

»Ich bin immer sehr glücklich, nach Hause zu kommen, möchte mich aber schon nach ein oder zwei Monaten am liebsten wieder auf die Beine machen. Fünf Jahre bist du also weggewesen?«

»Ungefähr.«

»Dann siehst du nicht so vergnügt aus, wie du eigentlich sein müsstest. Beteiligst du dich nicht an Frobishers Abschiedsgesellschaft?«

»Nein - ich bleibe lieber hier draußen.«

Eine warme Nacht lag über der ruhigen See. Die Musik des Orchesters klang gedämpft an die Ohren der Passagiere, die sich auf dem Deck aufhielten. Viele lehnten gegen die Reling und blickten zu den auf tauchenden Lichtern des Festlandes hinüber. Die beiden Männer, die miteinander sprachen, hatten ein ruhiges Fleckchen auf dem Bootsdeck gefunden, wo sie kaum gestört wurden.

»In Wirklichkeit habe ich nicht an England gedacht. Das Problem deines neuen Films beschäftigte mich.«

Richard Eldridge war ein kräftig gebauter, im Allgemeinen schweigsamer Mann, der den Eindruck erweckte, sich oft und lange Zeit in einsamen Gegenden aufgehalten zu haben. Er mochte Ende der dreißig sein.

»Das Problem meines Films? Möchte wissen, welches besondere Problem du meinst. Der Film wimmelt ja davon.«

Eldridges Gefährte, Peter Karr, war ein untersetzter, rundlicher Mann, kaum über Mittelgröße, ständig zum Schwatzen aufgelegt und immer guter Laune. In seiner Schulzeit hatte man ihm den Beinamen Dickerchen gegeben, der ihm bei Freunden und Bekannten erhalten geblieben war. Aber diejenigen, die vielleicht annahmen, dass seine unwiderstehlich gute Laune ein Zeichen von Schwachheit oder Torheit war, täuschten sich sehr.

»Du sagtest doch, dass du eine Liebesgeschichte brauchst?«

»Da tust du mir unrecht, Richard! Ich sagte, dass die Filmgesellschaft die übliche Liebesgeschichte verlangt - und das ist eine ganz andere Sache. Ich habe nun ein Jahr in Asien verbracht. Mit deiner Hilfe habe ich Aufnahmen gemacht, die noch niemand in einem Film gesehen hat. - Verborgene Städte, merkwürdige Volksstämme, Salzsümpfe, heiße Quellen, deren kochendes Wasser gefriert, wenn es mit der Luft in Berührung kommt, hundert Jahre alte Bäume, die kaum fünfzig Zentimeter hoch sind, unheimliche Tiere - und man will mir erzählen, dass die britischen Kinobesucher das nicht eine Stunde lang unterhalten kann, falls nicht ein entzückendes Mädchen mit ellenlangen Wimpern in dem Film vorkommt?«

»Könnte man nicht die Liebesgeschichte in einer Art Prolog und dann wieder am Ende des Films bringen?«, fragte Eldridge in seiner ruhigen Weise. »Dein Held könnte nach Asien gehen, weil ihm das Mädchen einen Korb gegeben hat. Dort macht er alle deine aufregenden Aufnahmen, kehrt zurück - und das Mädchen findet heraus, dass es ihn doch liebt.«

»Nichts zu machen! Die Schönheit mit den sprechenden Augen muss überall dabei sein. Sie muss im Schneesturm beinahe erfrieren, in einen reißenden Fluss fallen und von Räubern gefangen werden. Und das alles muss sie erdulden, ohne dass ihr Kleid durch einen Fleck verschmutzt oder sie eine ihrer langen Wimpern verliert!«

»Aber sie war doch nicht mit in Asien...«

»Das macht doch nichts! Man wird ein paar Hintergründe aufbauen, die zu meinen Aufnahmen passen, und die Szenen vergnügt mit meinen Aufnahmen mischen.«

Peter Karr steckte seine Pfeife an und lachte leise vor sich hin. Er war jünger als Eldridge, sah aber noch viel jugendlicher aus, als er in Wirklichkeit war.

»Merkwürdige Sache, dass du gerade von einer solchen Liebesgeschichte sprichst. Bei mir war es nämlich so: Veronika hieß das Mädchen, und ich ging erst nach Zentralafrika, aber nicht, um Großwild zu schießen, sondern um interessante Aufnahmen zu machen.

Ich kam dann wieder nach England zurück und fand auf einmal heraus, dass ich der Veronika eigentlich dankbar zu sein hätte. Von der großen Liebe war bei mir nicht mehr viel zu spüren.

Na, und dann machte ich mich wieder auf die Reise - diesmal ging es nach Asien. - Später werde ich vielleicht nach Neuguinea oder nach Südamerika gehen. Würdest du mitkommen?«

»Warum nicht, wenn es nicht schon heute oder morgen sein soll.«

»Jetzt werde ich wohl eine Zeit lang zu Hause bleiben müssen. Meine alten Herrschaften sind schon ganz aufgeregt, dass ich den Mann mitbringe, der mir zweimal das Leben rettete. Sie haben sicher mehr Interesse für dich als für meine Aufnahmen.«

»Mach nur nicht zu viel Aufhebens davon.«

»Zu viel auf keinen Fall! Ich schrieb ihnen lediglich die reinen Tatsachen: Dass du mich aus einem Fluss gezogen hast, als die schwere Kamera mich am Schwimmen hinderte - und dass du gut getroffen hast, als ein hungriger Tiger mich zum Abendessen verspeisen wollte. Nur die reinen Tatsachen. In Kleinigkeiten übertreibe ich nie!«

Eldridge antwortete nicht. Vielleicht lauschte er den leisen Klängen der Musik, vielleicht dachte er an die Heimat und was sie ihm bringen mochte.

»Ich habe mal versucht, mich in die Gefühle eines Mannes hineinzudenken, der in den Urwald ging, weil das Mädchen Nein gesagt hat. War er so verzweifelt, dass sein Leben ihm nichts mehr galt? Fürchtete er das Lächeln der anderen Menschen, weil er abgewiesen worden war? War es vielleicht ihr Mitleid, das ihn verscheuchte? Fand er schließlich heraus, dass die Frau genauso war wie viele Millionen andere auch? War die Kur überhaupt erfolgreich?«

»Ich glaube, ich gehe zu Bett«, entgegnete Eldridge kurz. »Wir landen zwar nicht vor acht, aber das Gepäck wird schon früher eingesammelt. Gute Nacht.«

Karr blickte hinter ihm her. Hatte er da irgendeine wunde Stelle berührt? Eldridge war ruhig und sehr verschlossen und hatte in der ganzen Zeit - jetzt fiel ihm das auf - niemals von Frauen gesprochen.

In Nepal hatten sie sich getroffen. Eldridge befand sich auf einer Jagdexpedition und ging auf den halb scherzhaft gemachten Vorschlag Karrs, ihn zu begleiten, ohne weitere Umschweife ein. Es war ein Glück für Karr gewesen, denn tatsächlich hatte ihn sein Gefährte in zwei lebensgefährlichen Situationen gerettet. Gemeinsam kehrten sie nach England zurück und Eldridge hatte zugesagt, einige Wochen im Hause der Eltern seines Freundes zu verbringen.

 

Wenige Stunden später saßen die beiden in dem Zug, der Richtung Westen fuhr.

»Es wird wohl uns wohl niemand von der Bahn abholen«, sagte Peter. »Das ist mir eigentlich recht. Ich lasse mich nicht gern an den Zug bringen und ebenso ungern abholen. Ich bekam einen Brief von meinen Eltern, in dem sie mir mitteilten, dass sie uns nicht bei der Landung in Empfang nehmen könnten, da das Haus voller Besuch sei. In der Grafschaft findet eine Wahl statt.«

»Dann können sie mich jetzt doch nicht brauchen. Ich komme lieber etwas später, wenn es besser passt.«

»Nichts zu machen, alter Junge! Sie warten darauf, dich kennenzulernen. Meine Mutter lässt dich herzlich grüßen. Wenn ich sage, das Haus ist voll, musst du das natürlich nicht wörtlich nehmen. Wenn auch unser kleines Haus nicht gerade dreihundert Fenster hat - das war doch eine Zeit lang der Ehrgeiz eines jeden Architekten -, so haben wir doch wenigstens ein Dutzend Schlafzimmer, die auf Gäste warten.«

Eldridge hatte immer schon den Eindruck gehabt, dass die Karrs vermögende Leute seien und dass Peter mehr aus Begeisterung als aus wirtschaftlichen Gründen arbeitete. Dass der Haushalt so großzügig geführt wurde, überraschte ihn doch etwas.

»Auch wenn Raum vorhanden ist, können Gäste bisweilen stören.«

»Mein lieber Richard, meinen Eltern ist es nichts weniger als angenehm, dass gerade jetzt die vielen Menschen im Hause sind, da man zu unserem Empfang flaggen wollte.

Ich kann dir die ganze Geschichte nicht genau erzählen, weil meine gute Mutter einen einzigen großen Fehler hat: Sie spart heftig Briefpapier. Sie beschreibt beide Seiten des dünnsten Papiers, das sie auftreiben kann, dann schreibt sie quer über die Zeilen hinweg und fügt noch in allen Ecken und freien Stellen Einzelheiten hinzu. Reichlich schwer, sich da durchzuarbeiten.

Soweit ich verstanden habe, hat unser würdiges Parlamentsmitglied, ein guter Freund meines Vaters und nächster Nachbar, einen Schlaganfall erlitten und hat natürlich zurücktreten müssen. Sein Neffe ist jetzt an seiner Stelle Kandidat, aber eine ganze Menge Menschen scheinen mit ihm nicht einverstanden zu sein. Sie haben einen anderen Kandidaten aufgestellt. Nach Angabe meiner Mutter haben wir jetzt drei Kandidaten: einen Konservativen, einen unabhängigen Konservativen und einen von der Arbeiterpartei. Ob nun der Neffe unabhängig ist oder nicht, weiß ich nicht, aber mein Vater scheint auf ihn zu schwören und hat ihm sein Haus zur Verfügung gestellt, da der Kranke völlige Ruhe nötig hat. Der Neffe wohnt bei uns, ebenso seine Frau und verschiedene seiner männlichen und weiblichen Anhänger. Aber die Sache wird bald vorbei sein.«

»Wäre es nicht besser, ich ginge für die Zeit in einen Gasthof?«

»Lieber nicht. Meine Mutter wartet darauf, den Mann in die Arme zu schließen, der ihren kostbaren Jungen rettete. Und dann hat sie noch zwei andere Gäste - Pat O’Malley und Roger Bennion - ganz besonders für uns eingeladen. Da gibt es wenigstens vier vernünftige Menschen im Hause, die Golf, Tennis und Bridge spielen können, so verrückt auch die anderen sein mögen.«

»Das ist wirklich sehr liebenswürdig von deiner Mutter. Sind die beiden anderen Herren gute Freunde von dir?«

»Keine Herren - wenigstens Pat O’Malley ist keiner. In Wirklichkeit heißt sie Bridget, aber sie ist so entzückend irisch, dass jeder sie Pat nennt. Wenn du sie eine halbe Stunde kennst, sagst du sicher Pat zu ihr, und sie nennt dich Richard, falls ihr nicht etwas Besseres einfällt. Sie sagt die gewagtesten Dinge - ich weiß aber, dass sie sich nie etwas zuschulden kommen lässt. Wenn sie mit ihrer sanften Stimme Wie geht es? fragt und ihre blauen Augen dich dabei anlachen, freust du dich wirklich, so etwas Hübsches zu sehen.«

»Du scheinst dich dabei am meisten zu freuen«, entgegnete Eldridge trocken.

»Und ob! Meine Mutter hat sicher schon Pläne gemacht, um mich in England festzuhalten, das weiß ich sehr gut. Aber Pat und ich verstehen einander da ausgezeichnet. Vielleicht wirst du ihr zum Opfer fallen.«

»Oder auch der andere Mann - Roger Bennion.«

»Hast du nie von ihm gehört?«

»Ich erinnere mich nicht.«

»Er ist ein famoser Kerl. Ich war mit ihm in Cambridge. Er ist ein ganz ausgezeichneter menschlicher Spürhund geworden.«

»Kein Beruf, der mir besonders anziehend erscheint.«

»Es ist ja nicht sein Beruf«, erklärte Peter. »Sein Vater und er kaufen große Güter, teilen sie auf und verkaufen sie dann wieder. Eine sehr einträgliche Geschichte. Aber Roger ist verschiedene Male in rätselhafte Kriminalfälle verwickelt worden, die er lösen konnte, wo die besten Köpfe Scotland Yards versagten.«

»Deine Mutter wird doch wohl kaum Verwendung für diese Fähigkeiten haben?«

»Nein«, lachte Peter Karr. »Eigentlich tut es mir leid, dass ich dir überhaupt davon erzählt habe. Roger ist ein netter Mensch und wird dir sicher gefallen.«

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Zwei junge Frauen standen in dem geräumigen Eingang von Waltham Court. Ein halbes Dutzend Autos parkten in der Nähe.

»Ich kann meinen Mann fahren, falls er das nicht selbst will.«

»Aber natürlich, liebste Dorothy. Nur möchte ich doch so gerne helfen. Ich kann so wenig tun, und Sie sind in anderen Dingen viel geschickter als ich.«

»Lionel wird bestimmt schon eine Beschäftigung für Sie finden.«

»Ja, liebste Dorothy, aber wenn Sie und Harold zusammen fahren, können Sie doch nur halb so viel erreichen, als wenn Sie getrennt arbeiten. Er darf, doch nicht selber fahren, er muss alle seine Gedanken auf seine wundervollen Reden konzentrieren.«

»Glauben Sie, ihm bei dieser Konzentration behilflich sein zu können?«

»Ich versuche es wenigstens.«

Beide näherten sich den dreißig, waren aber sonst grundverschieden. Harolds Frau war hochgewachsene - eine schöne, überlegen blickende Frau. Ihre Begleiterin war klein und zierlich, hatte blaue, erstaunt blickende Augen, goldblonde Locken und sprach für gewöhnlich in affektierter, kindlicher Weise.

»Da ist ja Lionel«, sagte Dorothy. »Fragen wir ihn.«

Ein dunkler, kaum mittelgroßer Mann trat auf sie zu. Die andere Frau ergriff zuerst das Wort.

»Oh, Mr. Grove, halten Sie es nicht auch für das Beste, wenn ich Harold fahre? Dorothy ist doch beinahe so wichtig wie der Kandidat selbst. So viele Menschen werden Dorothy ihre Stimme versprechen. Sie kann sich doch in der Zeit woanders betätigen.«

Lionel Groves scharfe Augen blickten unter den buschigen Brauen von einer Frau zur anderen. Zweifellos erkannte er die zwischen den beiden bestehende Antipathie, aber für ihn gab es im Augenblick nur einen Gedanken: die bevorstehende Wahl!

»Der Einfall ist nicht schlecht. Jetzt geben so viele Frauen ihre Stimme ab, dass ich manchmal glaube, die Frau des Kandidaten hat mehr Bedeutung als er selbst.«

»Sehen Sie, Dorothy! Habe ich das nicht gesagt?«

In diesem Augenblick kam ein anderer Mann aus dem Haus. Er war außergewöhnlich groß, blond und sah gut aus. Er blickte kaum auf seine Frau Dorothy.

»Fertig, Phoebe?«

Er öffnete den Schlag eines Wagens, der mit Rosetten und flatternden Bändern geschmückt war. Die kleine blonde Frau setzte sich schnell hinter das Steuer, und der Wagen fuhr ab. Ihm folgten verschiedene andere, in denen weitere Gäste des Hauses Platz genommen hatten.

Dorothy blickte einige Augenblicke hinterher und ging dann hoch aufgerichtet in die Halle.

Zwei weitere Gäste, die noch mit Kaffee und Zigaretten beschäftigt waren, hatten von dort aus die Szene beobachtet.

»Ich hoffe, wir kommen durch diese ganze Wahlgeschichte hindurch, ohne dass ich irgendjemand ermorde«, sagte Pat O'Malley sanft. »Wenn ich so etwas sehe, schäume ich beinahe.«

»Sie jagen mir aber Angst ein«, neckte Roger Bennion.

»Gattenraub scheint Sie kühl zu lassen«, entgegnete das junge Mädchen.

»Das nun gerade nicht, aber ich mische mich da nicht ein. Ihre Sympathie gilt natürlich Dorothy?«

»Meine? Unser aller Sympathie! Harold ist so ein Narr! Ich kann Phoebe Willows nicht ausstehen. Diese kleinen, puppenhaften Frauen, die mit ihren Unschuldsaugen die Männer anhimmeln, finde ich scheußlich. Sie sitzt bewundernd zu seinen Füßen, während er über Dünger und Schweinezucht spricht, und sieht dabei so entzückt aus, als ob er Poesie deklamierte.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen. Wie kam sie eigentlich hierher? Ist sie denn nicht verheiratet? Derartige Frauen haben ja meistens irgendwo einen Mann sitzen.«

»Es gibt einen Captain Willows, aber der versteht sie nicht! Sie hat es mir selbst gesagt. Sie kam hierher, um dem lieben Harold bei der Wahl zu helfen. Onkel Peter war zuerst entzückt, jetzt ist er verärgert.«

Pat war ungefähr zwanzig Jahre alt, besaß eine angenehme, sympathische Stimme, und ihre Augen funkelten vor Lebenslust und Lebensfreude. Roger, der erst am vorhergehenden Abend eingetroffen war, unterhielt sich zweifellos gern mit ihr. Beide nannten sich schon bei den Vornamen - das machte die Unterhaltung bedeutend angenehmer und einfacher.

»Ich wusste nicht, dass Mr. Karr Ihr Onkel ist«, sagte er.

»Ist er auch nicht. Tante Muriel war die beste Freundin meiner Mutter. Sie und Mr. Karr sind netter zu mir als irgendeine meiner echten Tanten und Onkel. Sind Sie scharf auf Politik, Roger?«

»Nicht besonders. Und Sie?«

»Überhaupt nicht. Aber ich befürchte, dass ich bei der Wahl mithelfen muss - und noch mehr befürchte ich, dass wir auf das falsche Pferd gesetzt haben. Vielleicht kann Peter uns helfen.«

»Was meinen Sie damit eigentlich?«

»Sie wissen doch, dass Harold als Kandidat der Unabhängigen auftritt?«

»Warum eigentlich?«

»Sein Onkel, Sir Ernest Grove-Sutton, war Parlamentsmitglied seit der Zeit der Königin Anna oder noch früher und ist außerdem Onkel Peters bester Freund. Als Sir Ernest den Schlaganfall erlitt, kam Harold - er ist sein Erbe - hierher und sagte, er würde seinen Platz im Parlament übernehmen. Und Onkel Peter sagte: Selbstverständlich!«

»Na und?«

»Aber die Leute hier wollen ihn nicht haben!«

»Warum nicht?«

»Weil er seine Kandidatur als ganz selbstverständlich betrachtet.«

»Ach so - und was sagt London dazu?«

»Eine ganze Masse, aber schließlich überließ man es dem hiesigen Komitee, das dann einen Gegenkandidaten namens Pearson aufstellte.«

»Und was ist das für ein Mensch?«

Pats Augen funkelten. »Wollen Sie meine ehrliche Meinung hören oder die der andere?«

»Beide Meinungen, bitte.«

»Pearson ist in seiner Art ein Sportsmann. Er war übrigens dreimal Bürgermeister von Greater Sallow und ist sehr beliebt. Ich traf eines Tages vor einem Haus mit ihm zusammen. Wollen Sie zuerst mit Mrs. Green sprechen, fragte er, oder lassen Sie mir den Vortritt?«

»Und was sagten Sie?«

»Sprechen wir beide zusammen mit Mrs. Green. - Sie bot uns Tee an und wir verlebten eine ganz vergnügte halbe Stunde. Ich erzählte ihr, dass für Sallow nur Harold Sutton-Grove infrage komme, dass Mr. Pearson sicher ein sehr netter Mensch sei, dass aber jede Stimme für ihn nur den Sozialisten helfen würde.«

»Wie verhielt sich Mr. Pearson?«

»Er sagte, wenn ich der Kandidat wäre, würde er sofort zurücktreten und mir seine Stimme geben, da es sich aber um Harold handele, der als Freund der Bauern und Landarbeiter auftrete und Runkelrüben nicht von Hafermehl unterscheiden könne, müsse er leider auf seinem Posten bleiben.«

»Wie nahm Mrs. Green die Sache auf?«

»Sie schlug uns beiden vor, bald wiederzukommen. So viel Spaß habe sie noch nicht einmal im Kino gehabt.«

Roger lachte.

»Onkel Peter war wütend, als das Komitee von Harold nichts wissen wollte«, fuhr sie fort. »Wenn er selbst auch nicht übermäßig entzückt von Harold ist, so betrachtet er dies als eine Undankbarkeit des Komitees Sir Ernest gegenüber. Harold erklärte sich dann als unabhängiger Kandidat für die Landbevölkerung und wird von Onkel Peter und anderen stark unterstützt.«

»Von den Kandidaten habe ich bis jetzt nur Harold Grove-Sutton kennengelernt. Auf jeden Fall scheint er mir eine Vorliebe für hübsche Frauen zu haben.«

»Es gibt Frauen«, sagte Pat naserümpfend, »die nur für große Männer schwärmen, mögen sie sonst sein, wie sie wollen. Ich kann diese Riesenformate nicht ausstehen.«

»Gott sei Dank, dass ich zeitig aufgehört habe, zu wachsen. Was haben Sie gegen große Männer?«

»Wenn sie zwei Meter groß sind, machen sie sich meistens unangenehm bemerkbar und denken, sie haben sich nur hinzustellen, um angebetet zu werden.«

In diesem Augenblick trat Lionel Grove ein.

»Hallo, Pat! Was machen Sie heute Nachmittag?«

»Ich hole Dickerchen - ich meine Peter - ab.«

»Kann ich mitkommen?«

»Ausgeschlossen. Sie haben doch so viel für Harold zu tun. Roger begleitet mich.«

»Das klingt ja, als ob Sie meine Begleitung nicht wünschen...«

»Ich würde mir zu viele Gewissensbisse machen, wenn ich Sie von Ihren Wahlaktivitäten abhielte.«

»Aber er ist doch kein großer Mann«, murmelte Roger, als Lionel verschwunden war.

»Kleine Männer kann ich auch nicht leiden.«

»Was haben Sie denn an denen auszusetzen?«

»Weil sie ständig in Sorge sind, übersehen zu werden, drängen sie sich fast immer in den Vordergrund. Für uns sind sie ein Meter sechzig groß, sie selbst sehen sich aber als Zweimetermänner!«

»Sie sind schwer zufriedenzustellen.« Roger Bennion lachte. »Aber zwischen ein Meter sechzig und zwei Meter gibt es ja noch reichlich Auswahl. Ist Lionel auch ein Grove-Sutton?«

»Nur Grove. Das ist der eigentliche Familienname. Sir Ernest heiratete die Tochter eines Großindustriellen Sutton, der ihm eine Viertelmillion unter der Bedingung, den Namen Sutton zu führen, hinterließ.«

»Sir Ernest hat keine Kinder?«

»Sein einziger Sohn Vernon verlor vor zwei Jahren bei einem Autounfall das Leben. Wahrscheinlich führte diese Tragödie zum Leiden des alten Herrn,«

»Und dann erschien unser Harold auf der Bildfläche?«

»Ja. Aus Grove wurde ein Grove-Sutton... aber erst als Sir Ernest völlig gelähmt war.«

»Wie ist er mit Lionel verwandt?«

»Lionel ist Harolds Vetter. Wenn Harold durchkommt, hat er es nur Lionel zu verdanken.«

»Sagen Sie, Pat«, wechselte Roger das Thema, »Peter Karr trifft um vier ein. Was machen wir bis dahin?«

»Wie wär’s mit Stimmen werben?«, fragte sie schelmisch.

»Um Gottes willen! Sie und ich sind als Unterhaltung für Peter und seinen Freund gedacht, damit die beiden nicht wieder nach Asien abreisen, um dort Ruhe zu finden. Nein, bloß keine Politik.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Steigen wir in meinen Wagen und sehen wir uns die Gegend an, bis es Zeit ist, zum Bahnhof zu fahren.«

»Famoser Gedanke«, stimmte Pat bei.

 

Nach einer vergnügten Spazierfahrt durch die hübsche Landschaft standen sie rechtzeitig auf dem Bahnsteig.

»Sie meinten vorhin, dass Peter helfen könnte«, sagte Roger. »Befasst er sich auch mit Politik?«

»Das glaube ich kaum«, entgegnete sie. »Reden kann er, falls er sich nicht geändert haben sollte, aber er hat doch keine Ahnung, wie die Dinge hier liegen. Nein, Peter ist nur eine Art Schaustück! Jeder hat ihn gern, er kommt aus dem geheimnisvollen Fernen Osten und muss auf der Plattform sitzen. Alle seine Bekannten kommen natürlich, und Harolds Aktien steigen.«

»Sie verzehren sich vor Ungeduld, ihn wiederzusehen«, neckte Roger. »Ich werde mich wohl hauptsächlich mit Eldridge beschäftigen müssen.«

»Ich bin ungeduldig, beide zu sehen. Dickerchen ist so eine Art großer Bruder von mir - und ich bin neugierig, ob er sich während seiner Abwesenheit sehr verändert hat.«

»Peter ist weder klein noch groß. Die Maße Eldridges sind Ihnen wohl nicht bekannt?«, fragte Roger lachend.

Pat antwortete nicht und wies auf eine sich nähernde Rauchwolke. »Sie kommen!«

Wenige Augenblicke später küssten Peter und Pat einander, offensichtlich erfreut, sich wiederzusehen.

»Beinahe könnte ich Ihnen auch einen Kuss geben«, sagte sie zu Eldridge, und ihre Augen tanzten. »Sie waren so gut zu ihm.«

»Eine edelmütige Regung soll man nie unterdrücken«, gab er lächelnd zurück. »Peter sagte, dass ich Sie in einer halben Stunde Pat nennen würde.«

Er bekam seinen Kuss.

»Wenn Sie ein ganzes Jahr mit Peter zusammen waren und immer noch nicht wissen, dass er Dicker oder Dickerchen heißt, sind Sie doch nicht so weise, wie er uns glauben machen möchte. Wie soll ich Sie nennen?«

Sein offener, klarer Blick, sein fester Händedruck gefielen ihr.

»Meine Freunde nennen mich Richard. Zu meinem Kummer hat aber noch niemand Dick zu mir gesagt.«

»Aber, Pat«, rief Peter, »wo ist denn deine Bildung? Du musst uns doch fragen, wie die Reise, wie die Überfahrt war, ob wir sehr müde sind und so weiter. Die Rufnamen kommen erst später.«

»Auch ich muss mich beklagen«, mischte sich Roger ein. »Jeder bekommt einen Kuss! Wo bleibe ich?«

»Stimmt«, sagte Pat. »Die beiden Weltreisenden sollen das für mich tun.«

Alle lachten und fühlten sich sofort als gute Kameraden. Bald saßen sie, als das Gepäck untergebracht war, in Rogers Wagen und fuhren Waltham Court zu.

»Tante Muriel wollte auch an die Bahn kommen«, sagte Pat, »aber ich habe es ihr nicht erlaubt. Zugige Bahnsteige sind nichts für ältere Damen mit Rheumatismus. Onkel Peter hat den Vorsitz bei einer Versammlung und konnte sich nicht drücken.«

Als sie um eine Wegbiegung kamen, legte Pat ihre Hand auf Rogers Arm.

»Sehen Sie doch! Wenn das nicht Harolds Wagen ist, bin ich nicht mehr Pat. Was macht der denn hier? Wir können doch nicht so tun, als ob wir ihn nicht sähen.«

Ein Wagen stand am Rande der Chaussee. Die flatternden bunten Bänder verrieten, wem das Auto gehörte. Harold und Phoebe waren in eine eifrige Unterhaltung vertieft, saßen unnötig dicht nebeneinander - so schien es wenigstens. Es machte nicht den Eindruck, dass sie über Politik sprachen.

»Hallo«, rief Pat, als Roger neben dem Wagen anhielt. »Sie gehören mit zu den ersten, die heimkehrenden Helden zu begrüßen. Dickerchen, ich stelle dir unser zukünftiges Parlamentsmitglied Mr. Harold Grove-Sutton vor. Aber ich glaube, ihr kennt euch vielleicht schon. - Und das ist Mrs. Willows.«

»Freut mich«, sagte Peter, »Ihre Bekanntschaft zu machen. Ihre Aussichten sind hoffentlich gut?«

Phoebe Willows lächelte ihn an.

»Ich bin so froh, dass wir Sie zuerst sahen; wir warteten in der Hoffnung, dass Sie hier entlang kommen würden. Ist das nicht so, Harold?«

Niemand antwortete. Die beiden Männer, der Kandidat und Eldridge, starrten einander an.

»Mein Freund und Lebensretter«, begann Peter in seiner vergnügten Weise die Vorstellung, als Eldridge ihn unterbrach.

»Wir kennen uns bereits.«

Sein Ton klang so eigenartig, dass im Augenblick niemand sprach.

»Umso besser... aber wir wollen den Kandidaten nicht aufhalten!«

Es war Roger, der die Situation rettete. Er drückte auf den Anlasser, und der Wagen fuhr an.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Waltham Court war ein vornehmer alter Landsitz, und sein Besitzer hatte glücklicherweise Geld genug, ihn entsprechend unterhalten zu können. Das ausgedehnte Gebäude zeigte die Form eines E. Eine weite Halle lag in der Mitte, während die beiden Flügel einen Garten mit zwei Fontänen inmitten wundervoller Blumenanlagen einschlossen. So weit das Auge reichte, dehnte sich der zum Haus gehörige Park aus. Die gepflegten Rasenplätze glichen grünen Samtteppichen, die von Blumenbeeten in allen Farben umgeben waren.

Der Tee erwartete die Ankömmlinge in der Halle. Peter wurde von seinen Eltern freudig willkommen geheißen, und Richard Eldridges Empfang war nicht weniger herzlich.

»Lassen Sie sich durch diese Wahlgeschichte nicht stören«, sagte Mr. Karr zu ihm. »Gott sei Dank wird ja alles bald vorüber sein. Mit Politik beschäftigen Sie sich wohl nicht?«

»Nein, Sir«, entgegnete Eldridge. »Nach fünfjähriger Abwesenheit müsste man wieder von vorn beginnen.«

Roger Bennion hörte interessiert zu. Es konnte kaum ein Zweifel bestehen, dass Pat mit ihrer Behauptung recht hatte, der alte Herr bedauere bereits, sich für die Wahl des Neffen seines kranken Freundes eingesetzt zu haben.

»Eigenartig, dass du und Harold Grove-Sutton einander schon kanntet«, hatte Peter seinen Freund im Auto angesprochen.

»Damals hieß er Grove«, war die Antwort.

»Das ist richtig«, mischte sich Pat ein. »Er wurde erst vor zwei Jahren Grove-Sutton, als Sir Ernests Sohn starb. Er ist der Erbe.«

»Ist... seine Frau auch hier?«, fragte Eldridge langsam.

»Ja«, antwortete das junge Mädchen. »Sie werden sie kennenlernen. Wir alle haben Dorothy sehr gern.«

Aus dem Ton ihrer Worte konnte man leicht zu der Vermutung kommen, dass Dorothys Gatte nicht so beliebt war.

»War er schon vorher Mitglied des Parlaments?«, fragte jetzt Eldridge.

»Ich glaube, er hat ein- oder zweimal kandidiert, fiel aber durch. Hier bietet sich ihm noch einmal eine Gelegenheit. Ich fürchte, seine Aussichten sind nicht allzu gut.«

 

Etwas später war Roger Bennion im Hause unbeabsichtigt Zuhörer einer Unterredung, die sein Interesse aufs Höchste weckte. In der Nähe der großen Halle befand sich eine geräumige Toilette und Roger wusch sich gerade die Hände, als Eldridge hereinkam, dem der Kandidat beinahe auf dem Fuße folgte. Sie blieben im Vorraum, in dem die Garderobe abgelegt wurde, stehen und sahen Roger nicht.

»Sie denken doch nicht daran, hierzubleiben?«, fragte Harold. In merkwürdigem Gegensatz zu seiner auffallenden Größe stand seine schwache und heiser klingende Stimme.

»Ich habe einer sehr liebenswürdigen Einladung Folge geleistet«, entgegnete Eldridge kühl.

»Wir können nicht beide hierbleiben. Das ist doch ausgeschlossen.«

»Ja - dann gibt es doch nur eine Lösung.«

»Unmöglich - ich kann nicht gehen. Sie wissen das ganz genau. Sie sollten heute noch abreisen. Wollen Sie mir meine Aussichten ruinieren?«

»Das würde mich ziemlich kalt lassen. Wie geht es Dorothy?«

»Sehr gut.«

»Wenn sie wünscht, dass ich gehe, werde ich mich fügen.«

»Sie wird...«

In diesem Augenblick hielt Roger es für korrekt, seine Anwesenheit durch leises Pfeifen bemerkbar zu machen und die Unterhaltung brach ab.

 

Fast die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme Dorothys, war jetzt in der Halle versammelt, die Harold einige Male verlassen hatte, vermutlich um mit seiner Frau zu sprechen. Roger wartete gespannt auf ihr Treffen mit dem Weltenbummler und dessen Begrüßung.

Immer mehr Besucher erschienen, die Karr und Eldridge mit Fragen nach ihrer Reise und ihren Abenteuern bestürmten. Natürlich war es Peter, der hauptsächlich die Beantwortung übernahm.

Während dieser Unterhaltung stand der Kandidat verdrossen in einer Ecke. Vielleicht kränkte es ihn, dass die Ankunft der Weltreisenden die Aufmerksamkeit von ihm selbst ablenkte. Unstreitig war er ein stattlicher Mann, der nicht übersehen werden konnte und den manche Frau unwiderstehlich finden mochte.

Phoebe Willows stand neben Harold und schien sich gleichfalls über das Interesse zu kränken, das den beiden Männern entgegengebracht wurde. Sie benutzte die erste Pause, um die Unterhaltung auf das Thema der Wahl zurückzubringen.

»Harold sagte heute Nachmittag etwas wunderbar Kluges. Erzählen Sie es doch, Harold.«

»Ich fragte einen der Ladeninhaber in der High Street«, erklärte der Kandidat mit seiner heiseren Stimme, »Was ist heutzutage unsere wichtigste Beschäftigung?«

Er blickte um sich, nicht etwa, um eine Antwort zu erhalten, sondern um die Aufmerksamkeit zu fesseln.

»Sich wichtigmachen!«, rief Peter prompt.

»Wie bitte?« Harold schien an dieser frivolen Antwort keinen Gefallen zu finden.

»Kleinigkeiten des täglichen Lebens zu wichtigen Ereignissen stempeln. Immer auf der Suche sein nach Abwechslung, immer auf der Suche sein nach Sensationen, die eigentlich keine sind.«

»Sie scheinen vergessen zu haben, um was es sich hier handelt«, sagte Harold etwas von oben herab. »Meine Bemerkung sollte sich auf die Landwirtschaft, von der wir leben, auf unsere Nahrung, auf die Basis unseres ganzen Lebens beziehen.«

Seine salbungsvollen Worte machten nicht den gewünschten Eindruck, denn in diesem Augenblick kam seine Frau herein. Dorothy war eine schöne Frau, deren stolze Haltung Aufmerksamkeit erregen musste.

Sie ging auf Pat zu, die ihrer Tante am Teetisch behilflich war, doch ihre dunklen Augen schweiften umher und fielen auf Richard Eldridge.

Roger Bennion hatte gespannt auf diesen Moment gewartet. Er sah, wie ihr das Blut in die Wangen stieg und beinahe sofort wieder zurückwich; er sah, wie ihr Gatte, der Kandidat, sie aufmerksam beobachtete; aber sonst schien niemandem etwas aufzufallen.

»Dorothy«, sagte Mrs. Karr, »hier ist unser Peter. Sie haben ihn ja noch nicht kennengelernt. Und hier sein Freund - Mr. Eldridge.«

Peter schüttelte ihr die Hand.

»Ich freue mich sehr, Sie im Hause meiner Eltern zu treffen«, sagte er. »Haben Sie sehr viel mit der Wahl zu tun?«

»Es geht«, lächelte sie und reichte Eldridge, der zu ihr herangetreten war, die Hand. Keiner von beiden sprach.

»Wie ist es denn bei Ihnen gegangen, Dorothy?« piepste Phoebe. »Harold und ich haben eine Menge Zusagen erhalten. Aber Sie sehen wirklich sehr abgespannt aus.«

Wahrscheinlich liebt es keine Frau, dass ihr dergleichen erzählt wird. Selten werden derartige Worte durch aufrichtige Zuneigung veranlasst.

»Sie hätten mein Gebiet bearbeiten sollen«, versetzte Dorothy. »Ich habe auch Onkel Ernest besucht und ihm eine Zeit lang vorgelesen.«

»Ihm vorgelesen?«, wiederholte ihr Gatte.

»Ja.«

»Warum denn eine solche Zeitvergeudung? Natürlich war es sehr gut gemeint, aber es gibt doch jetzt viel Wichtigeres zu tun. Ich halte es für sehr töricht, einem Manne etwas vorzulesen, der kein Wort von allem versteht.«

»Können wir das so bestimmt behaupten?«, fragte Dorothy. »Er kann sich nicht bewegen, er kann nicht sprechen. Beweist das, dass sein Gehirn nicht funktioniert, dass er nichts mehr versteht?«

»Die Ärzte sind davon überzeugt.«

»Aber wissen sie es? Und wenn er wirklich nichts versteht, vielleicht fühlt er doch, dass jemand bei ihm ist und ihm zu helfen versucht.«

»Lächerlich«, sagte Harold. »Die Ärzte würden uns schon mitteilen, wenn da etwas zu machen wäre, und ich wäre der Erste, der sich darüber freuen würde.«

»Und doch werde ich ihn wieder aufsuchen«, entgegnete Dorothy ruhig.

Ihr Gatte zuckte ungeduldig mit den Achseln, aber Pat reichte ihm eine Tasse Tee und wechselte das Thema.

»Wir haben noch sehr viel zu tun, um die Wähler in unserem Sinne zu bearbeiten«, erklärte Harold. »Man muss natürlich richtig unterstützt werden. Selbst Hart scheint die Teegesellschaft interessanter zu finden, als um Stimmen zu werben.«

Aller Augen richteten sich auf Charles Hart, Harolds Sekretär, der in einer Ecke mit einem hübschen, rothaarigen Mädchen

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Herbert Adams/Apex-Verlag/Successor of Herbert Adams.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Karlheinz Voight/Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Karlheinz Voight/Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Fritz Pütsch und Christian Dörge (OT: The Damned Spot).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2021
ISBN: 978-3-7487-7725-0

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