GLEN A. LARSON/ROBERT THURSTON/MIKE RESNICK
KAMPFSTERN GALACTICA
Band 2
Vier Romane in einem Band
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
1. DAS GESCHÜTZ AUF DEM EISPLANETEN NULL
von Glen A. Larson und Robert Thurston
2. DER VERLORENE PLANET DER GÖTTER
von Glen A. Larson und Robert Thurston
3. DIE JUNGEN KRIEGER
von Glen A. Larson und Robert Thurston
4. DIE ENTDECKUNG DER ERDE
von Glen A. Larson und Mike Resnick
Das Buch
Verfolgt von Basisschiffen und bedrängt durch ständige Angriffe der Cylonen werden die Galactica und ihre Flotte in den Wirkungsbereich einer gewaltigen Pulsar-Laserkanone gezwungen, die auf dem lebensfeindlichen Eisplaneten Tairac stationiert ist und die in der Lage ist, ein Schiff selbst von der gewaltigen Größe eines Kampfsterns mit einem einzigen Impuls zu vernichten.
Apollo, Starbuck und Boomer - sowie ein Team bestehend aus Schwerverbrechern - landen auf dem Eisplaneten, um das Geschütz und die cylonische Garnison auszuschalten. Doch es bleibt nur wenig Zeit, bis die Flotte der Menschen zwischen den Basisschiffen der Cylonen und den tödlichen Strahlen des Pulsar-Lasers zermalmt wird...
Kampfstern Galactica – die Romane zur legendären TV-Serie, von Christian Dörge neu und ungekürzt übersetzt. Der zweite Band der Reihe enthält die Romane Das Geschütz auf dem Eisplaneten Null, Der verlorene Planet der Götter, Die jungen Krieger und Die Entdeckung der Erde.
Kampfstern Galactica – eine Science-Fiction-Legende kehrt zurück!
1. DAS GESCHÜTZ AUF DEM EISPLANETEN NULL
von Glen A. Larson und Robert Thurston
Aus den Tagebüchern von Commander Adama:
Croft.
Wer ist er? Woher kommt er? Bin ich wirklich ein Teil seiner Erinnerung oder nur ein Ersatz für Autoritätsfiguren allgemein? Selbst als er beschrieb, wie unsere Wege sich kreuzten, und ich vorgab, mich zu entsinnen, weil er es brauchte, dass ich mich erinnerte, und ich ihn für den Auftrag brauchte, konnte ich keine Spur des Vorfalls in meinem Gedächtnis finden.
Später, als ich mehr Zeit hatte, ging ich in meine Kabine und ließ mir vom Computer der Galactica einen Ausdruck meiner Tagebücher für diese Zeit geben, für die Zeit, zu der ich angeblich die Festnahme seiner Bande und die Beschlagnahme des Schiffes mit ihrer Beute leitete, während sie auf der Flucht von ihrem Überfall auf die Platingruben der Cylonen waren. Der einzige Hinweis auf den Vorfall oder eine Episode, bei der es sich um ihn handeln könnte, war dieser:
»Der Alltag wurde heute durch ein mutmaßliches Piratenschiff gestört, das in unseren Sektor geraten war, augenscheinlich durch eine Kursfehlberechnung. Das Schiff versuchte die Flucht zu ergreifen, aber als man unsere Verfolger im Visier hatte, lehnte es der Kommandant ab, auf uns zu feuern, und Schiff samt Besatzung ging mühelos ins Netz. Tigh gibt an, dass die Frachträume mit Beutegut vollgestopft seien. Ich wies ihn an, korrekt vorzugehen und die Gefangenen dem zuständigen Gericht zu übergeben.«
Kann dieser Kommandant Croft gewesen sein, seine Fracht das bewusste Platin? Warum habe ich den Namen eines Mannes nicht festgehalten, der sich und seine Spießgesellen lieber auslieferte, als auf seinesgleichen zu schießen? Wäre die Tatsache, dass es sich bei der Fracht um cylonisches Platin gehandelt hat, registrierenswert gewesen?
Die Notiz scheint darauf hinzudeuten, dass ich diese Banditen nicht einmal zu Gesicht bekommen habe, obwohl Croft behauptet, wir wären uns gegenübergestanden. Hätte mich denn nicht beeindruckt, dass der Anführer einer Piratenmannschaft früher Kommandeur einer großen Garnison gewesen war, und hätte ich nicht meiner Verwunderung Ausdruck gegeben, dass ein so intelligenter und fähiger Mann sich zu kleinen Gaunereien herablässt?
Die Eintragungen davor und danach lassen nicht erkennen, dass ich mit wichtigeren Dingen beschäftigt gewesen wäre, die mich daran hätten hindern können, ausführlich auf den Vorfall einzugehen. Außerdem ist die Notiz so alltäglich, so sachlich formuliert, dass ich mir nicht vorstellen kann, ich hätte nicht wenigstens eine Andeutung von Crofts Persönlichkeit oder der Besonderheit seines Unternehmens einfließen lassen. Es drängt sich der Schluss auf, dass die Eintragung eine ganz andere Bande betrifft und Croft mich mit jemand anderem verwechselt, einem anderen Commander, der seine normale Pflicht erfüllt hat.
Immerhin, wenn es wirklich Croft und seine Leute gewesen sein sollten, bedaure ich, mich nicht an seine Festnahme erinnern zu können, die ihn während seines Aufenthalts auf dem Gefängnisschiff so beschäftigt hat. Die Episode scheint das Hauptereignis seines Lebens gewesen zu sein. Pech für ihn, dass unsere Begegnung so gar keinen Eindruck auf mich hinterlassen hat, während er seinen Rachegedanken mit solcher Unbedingtheit nachhing.
1. Der Eisplanet
Dieses Mal musste die Falle zuschnappen.
Sie musste es, hatte der Mächtige Führer der Cylonen, der Erhabene, befohlen, um der Raumflotte der Menschen jede Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Es sollte den Menschen nicht mehr gelingen, sich in letzter Sekunde heimtückisch wieder herauszuwinden. Zu lange schon hetzten die cylonischen Flotten Adamas bunt zusammengewürfelte Ansammlung von Raumschiffen (ein Gefangener hatte sie als Lumpensammler-Flotte bezeichnet, ein Ausdruck ohne Sinn, da er nicht in die cylonische Sprache zu übertragen war).
Seine Chefoffiziere, des Kampfes gegen die menschliche Pest überdrüssig, hatten bereitwillig dem Plan des Führers zugestimmt, die Menschenschiffe, vor allem die Galactica, in Reichweite der unvorstellbar leistungsfähigen Laserkanone auf dem Eisplaneten Tairac zu lenken.
Der Mächtige Führer war besonders erbaut von der Vorstellung, dass der endgültig zerstörerische Angriff von Tairac ausgehen sollte, weil die dortige Garnison von dem verbannten Ersten Centurio Vulpa kommandiert wurde. Es passte gut, dass der vorlaute Vulpa den entscheidenden Schlag zu führen hatte. Er würde Unterordnung lernen und gleichzeitig Ruhm gewinnen können.
Der Mächtige Führer erinnerte sich noch gut, wie Vulpa vorgetreten war und zum Entsetzen seiner Offizierskameraden vorgeschlagen hatte, die Verfolgung der Menschen einzustellen. Arrogant weit über seinen Rang hinaus, hatte Vulpa empfohlen, die Menschen ziehen zu lassen.
Solange sie die Einflusssphäre der Cylonen nicht berührten, stellten sie keine wesentliche Bedrohung dar, und das eigentliche Ziel Cylons, die menschliche Rasse bis auf ein versprengtes Häufchen Überlebender und die auf den von Cylon beherrschten Randplaneten noch lebenden, aber versklavten Menschen auszurotten, sei erreicht, der Krieg gewonnen.
»Ihr wünscht meine Entscheidung zu kritisieren?«, hatte der Führer höflich gefragt.
»Führer«, hatte Vulpa erwidert, »Eure Weisheit und Urteilskraft werden auf unseren Heimatwelten dringend gebraucht. Man würde Euch zujubeln, wenn Ihr...«
»Schweigt, Erster Centurio! Ihr maßt Euch meine Unfehlbarkeit an. Solange ein einziger freier Mensch lebt, kann die Gefahr, dass diese Rasse in späterer Zeit in großer Zahl zurückkehrt, keineswegs als gebannt betrachtet werden. Die Menschen pflanzen sich rascher fort als wir, obschon ihre Lebensspanne kürzer ist. Habt Ihr vergessen, wie lange der Krieg gegen. sie gedauert hat, länger, als das irgendjemand von uns für möglich gehalten hatte? Selbst jetzt noch gewinnen die menschlichen Insekten gegen uns Schlachten und Gefechte. Eine kleine Staffel Viperschiffe der Menschen war imstande, die Angriffsmauer unserer Raumjäger bei der Schlacht von Carillon zu vernichten. Ich kann nicht ruhen, bis wir unser Ziel der Ausrottung aller Menschen erreicht haben. Eine Zeit der Verbannung, Erster Centurio, soll Euch Gelegenheit geben, die Bedeutung meiner Ziele zu erkennen - und Euren Ehrgeiz vielleicht ein wenig zu bremsen.«
Als Vulpa vom Kommandodeck geschlichen war, hatte der Mächtige Führer beinahe Mitleid mit dem Gedemütigten empfunden. Es war ihm, dem Führer, aber schon seit langem klar gewesen, dass Vulpa einer solchen Strafe entgegensteuerte. Er, Vulpa, hoffte zuinnerst offenkundig, der nächste Mächtige Führer zu werden, und in der Tat besaß er auch durchaus alle Qualifikationen dafür, wenn er nur aufhören wollte, seinen Ehrgeiz so unverhüllt zu zeigen.
Ehrgeiz war unter Cylonen eine Seltenheit. Der Mächtige Führer hatte nicht geahnt, was das Wort bedeutete, bis ihm das Drittgehirn zugesprochen worden war und er absolute Macht über die Cylonische Allianz erlangt hatte.
Vulpa dagegen war schon als Kampfpilot, nur mit dem Erstgehirn ausgestattet, in hohem Maße aggressiv gewesen, auf beinahe selbstmörderische Weise sogar, so dass es verwunderlich erschien, dass er sein Zweitgehirn erlangt hatte und unter die Chefoffiziere aufgenommen worden war. Der Mächtige Führer hoffte jedenfalls, dass die Verbannung Vulpa zur Vernunft bringen würde, und nun sah es ganz danach aus, als sollte Vulpas Verbannung sich zum Vorteil der Cylonen auswirken. Auf dem Eisplaneten Tairac vermochte der Erhabene sich jedenfalls keinen besseren Kommandeur vorzustellen.
Wie zu jeder Zeit genoß es der Mächtige Führer, die Einzelheiten seines Planes auszuarbeiten. Wenn die Schar der Chefoffiziere um sein Podest seinen Kopf hätte sehen können, der jetzt in einem riesigen Kommunikationshelm steckte, sie wären in der Lage gewesen, aus jedem Auge eine glühende Aura dringen zu sehen. Die wenigen Menschen, die den Führer der fremden Wesen je zu Gesicht bekommen hatten, waren gleichzeitig von Scheu und Abscheu ergriffen worden, zum Teil der vielen Augen des Wesens wegen, zum Teil auf Grund seines ungeschlachten, scheinbar aus dem Lot geratenen Körpers, der in seiner Masse einem hochgetürmten Haufen kantiger, klumpiger Steine glich, zum Teil auch infolge der Großporigkeit der schlammgrauen Haut. Mit der Zunahme seiner Fähigkeit, menschliche Denkprozesse nachzuahmen, wuchs die Erkenntnis in ihm, wie abstoßend er ihren Augen erschien. Ihr Bild von einer ekelerregenden Bestie steigerte seinen Hass auf die Menschenpest noch, umso mehr, als für ihn ein Mensch der denkbar hässlichste Anblick in einem Universum voller Scheußlichkeiten war.
Während er auf die ersten Berichte über die Ansätze zur neuen Strategie wartete, einen Blitzüberfall auf Randbereiche der Menschenflotte, unterzog der Mächtige Führer seinen Gesamtplan einer nochmaligen Überprüfung. Er konnte keinen Makel entdecken, aber Lücken. Er benötigte Informationen, die verhinderten, dass solche Lücken erneut zu Fluchtwegen für die vom Glück begünstigten Menschen wurden. Eine nochmalige Sitzung mit dem Simulator mochte ihm Daten über menschliches Verhalten liefern, die entscheidende Aufschlüsse über scheinbar willkürliche Motive und Handlungen der Menschen geben sollten. Er hatte durch das Gespräch mit mehreren Nachbildungen bereits einige sonderbare Erkenntnisse gewonnen. Er befahl einem Centurio, den Simulator in die Kommandokammer übermitteln zu lassen.
Das Gerät stand vor ihm, als er ausgesprochen hatte.
Mit einem Nicken zur Telepathie-Schablone in der Mitte der Simulator-Konsole forderte er mental die Simulation von Commander Adama, dem Befehlshaber der menschlichen Flotte, an. Wie üblich erwies sich Adama als eine für den Simulator nicht zu bewältigende Aufgabe. Die Ränder seiner Nachbildung verschwammen. Man wusste zu wenig vom Commander - die Datenspeicher des Simulators enthielten nicht genug Informationen über ihn, so dass ein brauchbares Duplikat nicht herzustellen war. Was immer der Führer auch wissen wollte, die nebelhafte Nachbildung Adamas stellte unzureichende Daten zur Verfügung. Häufig vermochte sie gar nicht zu antworten und starrte den Führer nur gleichgültig an. Der Erhabene wies das Ding abrupt fort und rief stattdessen nach Adamas Sohn, Captain Apollo. Diese Nachbildung besaß schärfere Konturen. Menschen galt der junge Mann als gutaussehend, was nur dazu beitrug, dass er dem Mächtigen Führer umso abstoßender erschien. Glücklicherweise vermochte er, der Führer, in seinem Drittgehirn gewisse Synapsen zu unterbrechen und damit physiologische Reaktionen auf die Simulation zu unterbinden. Er stellte dem Apollo einige Fragen, erfuhr aber wenig mehr als bei dem Verhör des Adama-Duplikats. Der Erhabene ordnete eine Durchsicht aller Namen an, über die der Simulator ein Mehr an Wissen gesammelt hatte. Da die meisten Informationen dieser Art von Gefangenen stammten, kannte der Simulator sich oft besser bei rangniedrigeren Offizieren aus, die Kontakt zu Kampf-Cylonen gehabt hatten. Auf der Liste erkannte er den Namen Starbuck, einer heldenhaften (oder was die Menschen als dergleichen ansahen) Persönlichkeit zugehörig, die bei Verhören durch die Cylonen häufig erwähnt zu werden schien. Er forderte von der Schablone eine Simulation dieses Lieutenant Starbuck an.
Plötzlich saß vor dem Mächtigen Führer ein Mensch mit so scharfen, durchdringenden Augen, dass sie ihn an die aus Cylonenhelmen gleißenden Lichtstrahlen erinnerten. Die Starbuck-Gestalt begann sofort zu grinsen. Den Menschen schien das Lächeln eine seltsame Art von Lust zu bereiten. Der Führer war froh, die körperlichen Reaktionen auf den Anblick von Menschen unterdrückt zu haben, sonst wäre er vielleicht nicht in der Lage gewesen, ein Gespräch mit dem abscheulichen Wesen auszuhalten.
»Hallo, Sportsfreund«, sagte der Starbuck-Abklatsch. Die Begrüßung erstaunte den Erhabenen, da Nachbildungen selten die Unterhaltung zu eröffnen pflegten. Schließlich wurden sie ja aus den Datenspeichern des Simulators programmiert.
»Ich habe Lieutenant Starbuck vom Kampfstern Galactica vor mir, wenn ich nicht irre?«
»Geschenkt, Cylone. Du weißt, dass ich so wenig Starbuck bin wie du ein Maiglöckchen. Ich bin eine Reproduktion, und wenn meine Hände zupacken könnten, würde ich dich erwürgen.«
Der Führer warf einen kurzen Blick auf die Schablone und fragte sich, ob ein Defekt vorlag. Es war höchst ungewöhnlich, einer Nachbildung solche Unabhängigkeit zu verleihen - es mochte denn sein, dass sie wegen ihrer Ausgeprägtheit im Urbild dem Simulator-Profil nicht ferngehalten werden konnte.
»Wie viele Schiffe besitzt Eure Flotte noch, Lieutenant?«
Der Starbuck lachte. »So viele, wie du Schmutzkörnchen zwischen den Zehen hast, Cylonen.«
»Cylonen besitzen keine Zehen.«
Der Starbuck zeigte sich überrascht. »Dann haben wir vielleicht gar keine Schiffe«, sagte er.
»Kommt, kommt, wir wissen, dass es noch viele Schiffe in Eurer...«
»Dann solltest du dir den Schmutz zwischen deinen Zehen genauer angucken, Cylone.«
»Aber ich sagte doch, dass Cylonen keine...« Der Erhabene Führer verstummte. Nicht nur eröffnete der Starbuck-Abklatsch von selbst das Gespräch, er unterbrach ihn sogar mitten im Satz. Das Verhör schien schwierig zu werden.
Als die Cylonen heimtückisch angriffen, befand sich Commander Adama in einem Lehrsaal an Bord des Forschungsschiffes Infinty und unterrichtete den unerfahrensten Haufen von Raumkadetten, der ihm je vor Augen gekommen war. Sie kamen ihm vor wie Mittelschüler, denen man die Geschichte der Zwölf Welten beibringen sollte, statt die Feinheiten der Viper-Technik und Kampfmanöver. Einer der Jungen in der ersten Reihe schien nicht viel älter zu sein als Adamas Adoptivenkel Boxey, und der Commander fragte sich, ob er nicht eher dem sechsjährigen Boxey das Steuer eines Viper-Schiffs anvertrauen sollte, als diesem hilflos aussehenden Jüngling. Immerhin, alle waren volljährig, alle hatten sich freiwillig gemeldet. Bei dem Aufruf, der an die vielen hundert Schiffe ergangen war, hatte der Kommandostab genug Bewerbungen erhalten, um Besatzungen für mindestens hundert Staffeln zusammenzustellen. Wenn sie nur genug Raumjäger für hundert Staffeln besessen hätten.
Die verzweifelte Lage der Flotte wurde nicht gebessert durch die unzureichenden und provisorischen Bedingungen, unter denen die neuen Kampfpiloten ausgebildet werden mussten. Ein Forschungsschiff war kein Ersatz für eine ganze Raumfahrtakademie, obschon man riesige Labors in Turnhallen, Simulator-Fluganlagen und Manöver-Kammern verwandelt hatte. Adama selbst hatte die Raumfahrtakademie auf seinem nun zerstörten Heimatplaneten Caprica besucht, wo das Institut über die brillantesten Strategen aller Zwölf Welten verfügt hatte, während die Lehrgänge auf der Infinty von Offizieren und Piloten abgehalten wurden, die durch Erkrankung oder Verwundung nicht mehr einsatzfähig waren. Auf Caprica hatte man sämtliche vorstellbaren Flug-, Kampf- und Nachschubmanöver nachvollziehen können, während man im Forschungsschiff von einem Provisorium ins andere stolperte.
Diese Art des Improvisierens war andererseits der Schlüssel zu den anhaltenden Erfolgen bei dem Bemühen, sich der Hauptmacht der cylonischen Verfolger zu entziehen. Jeder einzelne an Bord aller Schiffe leistete doppelte Arbeit, um Leistungsstärke und Geschwindigkeit der Flotte zu steigern. Ein halbes Dutzend Frachtschiffe war in fliegende Gießereien verwandelt worden, die Schrott und anderes Material in Viper-Jäger für die Kampfpiloten der Galactica umgossen. Wenn man bedachte, woraus die kleinen Schiffe gebaut waren, erwiesen sie sich als erstaunlich raumtüchtig. Gewiss, sie hatten häufiger technische und mechanische Defekte zu verzeichnen als die Raumjäger der ersten Generation, aber das war nur natürlich. Adama wunderte sich immer wieder darüber, was erfahrene Piloten sogar aus zweitrangigem Gerät herauszuholen vermochten. Leute wie Starbuck, Boomer oder Apollo vollbrachten mit jeder fliegenden Kiste, in die sie gesetzt wurden, geradezu Wunderdinge. Die Raumkadetten dagegen besaßen nicht die instinktiven Fähigkeiten, blitzschnelle Kurskorrekturen vorzunehmen, eine trudelnde Maschine abzufangen oder glatt zu landen, auch wenn ringsum alles in Funken sprühte. Trotzdem hielten sie sich bei Kampfeinsätzen gut, nicht zuletzt dank Einsatz und Übersicht der erfahrenen Piloten und Leitoffiziere. Starbuck etwa flößte seiner Staffel solche Zuversicht ein, dass nahezu jeder das erste Mal aus den Startröhren der Galactica abgeschossene Kadett beinahe wundersame Leistungen zu vollbringen vermochte. Selbst Apollo, distanzierter als andere junge Offiziere, holte aus seinen Kadetten Großartiges heraus, auch wenn nicht zu übersehen war, dass bei den Gefechten mit Cylonen zu viele Kadetten ihr Leben verloren.
Das Hauptthema von Adamas Vortrag war der unabweisbare Zwang zur Vorsicht, etwas, das er auch oft bei seinen erfahrenen Offizieren betonen musste. Es sei keine Feigheit, erklärte er, sich im Raum oder über einem Planeten zurückzuziehen, wenn die Instrumente auch nur die Andeutung einer Gefahr anzeigten. Es sei nicht feige, den Kampf mit den Cylonen zu meiden, wenn die Gegner zahlenmäßig zu überlegen waren. Es sei nicht feige, eine wichtige Botschaft zur Flotte zurückzutragen, auch wenn das hieß, Kameraden in einer scheinbar aussichtslosen Lage zurückzulassen.
Adamas Blick wanderte die Reihen der Gesichter entlang, und er spürte, dass sie innerlich aufbegehrten. Adama war nicht einmal davon überzeugt, dass er seine Forderungen mit vorbehaltsloser Aufrichtigkeit vertrat. Er erinnerte sich an Apollos Qual, als er gezwungen worden war, seinen Bruder Zac unter heftigem Beschuss der Cylonen allein zu lassen, um zur Galactica zurückzukehren und die Flotte vor dem Hinterhalt zu warnen. Zac war ums Leben gekommen, und Apollo hatte lange Zeit gebraucht, um seine Schuldgefühle zu überwinden, und selbst jetzt war Adama nicht völlig sicher, dass Apollo mit dem Tod seines Bruders seelisch fertig geworden war. Dabei hatte Apollo richtig gehandelt, und sein Alarm war die unmittelbare Ursache dafür gewesen, dass es wenigstens einige Überlebende gegeben hatte.
Es erschien Adama als tragische Verstrickung, dass Apollo zu keinem Zeitpunkt fähig war, seine Tat als das zu empfinden, was sie war - ein heldenhaftes Opfer.
»Ich bin froh, dass Apollo niemals prahlt«, hatte Athena, Adamas Tochter, zu ihrem Vater gesagt, als sie über das Thema gesprochen hatten. »Ich traue keinem Helden, der sich selbst als Held sieht.«
»Dein Freund Starbuck zeigt weniger Zurückhaltung, wenn es darum geht, seine Taten ins rechte Licht zu rücken.«
»Na, Starbuck ist in vieler Beziehung eine Ausnahme. Und glaub' nur ja nicht, ich hätte deinen sarkastischen Ton nicht bemerkt.«
Adama wusste, dass seine Tochter den jungen Lieutenant liebte, und hatte es deshalb für besser gehalten, nicht näher darauf einzugehen.
Mitten in Adamas Vortrag gellte der Alarm, als die Cylonen angriffen.
Die Kadetten sprangen sofort auf und rannten hinaus. Adama ließ seine Notizblätter fallen und stürzte zur Startbucht, wo Athena mit der Raumfähre wartete. Als er sich angeschnallt hatte, fegte die Fährte durch das Startrohr hinaus.
»Was ist es diesmal?«, fragte er seine Tochter, die dem krächzenden Funkverkehr lauschte.
»Nichts allzu Schlimmes«, erwiderte sie. »Eine Gruppe von Cylon-Raumjägern ist durch eine Lücke im Tarnkraftleid eingedrungen. Wir könnten auf das Tarnfeld ruhig verzichten, so wenig nützt es, und die Energie sparen. Die Cylonen entdecken uns oft genug.«
»Ich fange an, mich zu fragen, ob sie nicht immer wissen, wo wir sind.«
»Du könntest recht haben.«
»Was wird vom Überfall gemeldet?«, fragte er.
»Nur eines unserer Schiffe hat einen Treffer abbekommen, das Gießereischiff Hephaestus. Keine irreparablen Schäden.«
»Verluste der Cylonen?«
»Nicht bekannt. Boomer gab durch, ich zitiere: Wir haben eine Mehrzahl der Rotaugen demoliert, bevor sie die Flucht ergriffen. Ende des Zitats.«
»Wieder einmal Glück gehabt.«
»Starbuck sagt, er gibt von seinem Glück für die anderen etwas ab.« Adama lachte tonlos.
»Irgendetwas bedrückt dich«, sagte sie mit einem Seitenblick.
»Unser Glück. Wir hatten zu viel davon. Wir sind den Cylonen schon sehr lange entwischt. Zum Teil ist das Leistung, zum Teil Glück.«
»Ich verstehe ja, dass du dir Gedanken machst «
»Nein, mich beschäftigt nicht einmal die Gefahr, das Glück könnte sich wenden. Ich glaube ohnehin, dass Glück nur eine instinktive Beherrschung unserer natürlichen Mittel ist. Was mich stört, ist, dass unser Glück ein bisschen zu glatt, zu kalkuliert erscheint.«
»Ich fürchte, da komme ich nicht ganz mit.«
»Ich habe manchmal entschieden das Gefühl, dass die Cylonen uns wie Puppenspieler lenken. So, als sollten ihre Überraschungsangriffe gar nicht erfolgreich sein, als wollten sie uns in eine bestimmte Richtung zwingen, als...«
»Hm, ziemlich phantasievoll. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, läge der Verdacht nahe, dass du an Verfolgungswahn leidest. Und wenn ich nicht wüsste...« Sie verstummte.
»Nur heraus damit«, sagte Adama. »Was wolltest du sagen?«
Sie atmete tief ein.
»Ich habe mir den Bericht über den letzten Cylonen-Überfall angesehen, als unsere Leute fast das ganze Raumjägerkontingent vernichten konnten. Tigh hat einige Stellen unterstrichen und ein Fragezeichen an den Rand gesetzt. Unsere Kameras schienen anzuzeigen - ich wiederhole, schienen -, dass in einigen der vernichteten Raumschiffe keine Lebewesen saßen. Die Abtastung wurde natürlich nur sporadisch vorgenommen und könnte ungenau sein, zumal unter Kampfbedingungen, aber...«
»Aber es ist doch aufschlussreich, und deshalb wollte Tigh uns darauf hinweisen.«
»Genau.«
»Was vermutest du, Athena?«
»Ich bin mir nicht sicher. Wie groß ist die Möglichkeit, dass es sich um ferngesteuerte Raumjäger gehandelt hat, kontrolliert von Cylonen in den entkommenen Schiffen?«
»Man müsste darüber nachdenken.«
»Passt gut in deine Puppenspieler-Theorie, nicht wahr?«
»Darüber nachdenken, sagte ich.« Athena lachte.
»Dein Lachen klingt ein wenig spöttisch, junge Dame.«
»Du lässt dich nur ganz ungern zu schnellen Schlüssen verleiten, Papa.«
»Du sollst mich im Dienst nicht Papa nennen.«
»Wieso, wird das bestraft?«
»Ein paar Wochen Dienst auf einem Gefängnisschiff würden dich schon zur Räson bringen.«
»Verstanden, Sir.«
Die Galactica schwebte vor ihnen. Der Kampfstern erinnerte Adama an ein glitzerndes Juwel, ein stählernes, gleißendes Juwel auf schwarzem Samt. Neben der Galactica wirkte der Rest der Flotte wie Simili neben echtem Diamant. Die Raumfahrzeuge bargen die einzigen Überlebenden des hinterhältigen Cylonen-Angriffs, dem die Zwölf Welten und die meisten ihrer Bewohner zum Opfer gefallen waren.
Adama spürte einen Stich in der Brust, als er sich an den Tag erinnerte, da er hilflos auf der Brücke der Galactica gestanden und zugesehen hatte, wie zwölf Planeten in Flammen aufgegangen waren. Das Überleben der Restflotte bezeugte den Mut derjenigen, die von der Katastrophe verschont geblieben waren und Handelsschiffe, Transporter und Nachschubfahrzeuge in Kampffestungen verwandelt hatten. Adama war stolz auf das, was seine zusammengewürfelte Flotte bisher geleistet hatte, aber die Furcht, dass es eines Tages zu einem Angriff kommen mochte, gegen den menschlicher Einfallsreichtum und Mut nichts mehr würden ausrichten können, suchte die Träume des Commanders häufig heim.
Jedesmal, wenn Starbuck den Hals in die Nackenstütze schob und Jenny, die Chefin der Bodenmannschaft, das Kanzeldach zuklappte, wünschte er sich dasselbe: Wenn er jetzt nur eine Zigarre haben könnte...
Schon hundertmal hatte er Boomer, der Fachmann für die botanischen Aspekte von Rauchzeug war, gebeten, eine Zigarre zu entwickeln, die sich nicht an der Kanzelwand aufspießte oder das enge Cockpit mit dichtem Rauch füllte und zusätzlich durch Atem- und Sprechgerät geschoben werden konnte. Boomer hatte herzlich gelacht und erklärt, er halte es zwar für möglich, den Rauch in einem Brennzylinder angemessener Größe festzuhalten und das Ding vielleicht sogar an das Atemgerät anzuschließen, aber er bezweifle, dass man höheren Orts dergleichen billigen werde. Man sei dort ja oft recht rückständig, hatte er trocken gemeint.
»Lieutenant Starbuck, Sir?«, sagte eine hohe Stimme aus dem Lautsprecher.
»Was gibt's, Kadett Cree?« Starbuck sah das jungenhafte Gesicht des Kadetten vor seinem inneren Auge: kindlicher Blick, halb geöffneter Mund, zerzaustes Haar, Sommersprossen - nein, das nun doch nicht.
Es hätte nur gut dazu gepasst.
»Lieutenant, Sir, was Sie bei der Besprechung sagten - in puncto Vorsicht, und dass wir nicht feuern sollen, bis...«
»Ja, ja, mein Kleiner. Was ist, habe ich zu viele Fremdwörter gebraucht oder was?«
»Nein, das nicht. Ich habe alles verstanden. Man hat uns nur beigebracht, dass zu Zeiten Angriffsinitiative...«
»Hören Sie, Cree«, unterbrach Starbuck seufzend. »Wir sind hier nicht auf der Akademie. Wenn Sie ein paar Einsätze hinter sich haben, wird Ihnen das alles klar sein, ja? Bis dahin halten Sie sich einfach an Starbucks Goldene Regel.«
»Goldene Regel?«
»Wenn einer was von dir will, halt den Mund, überleg dir, wie du ihn später fertigmachen kannst, und melde dich nie freiwillig.«
»Das klingt aber nicht...«
»Mein Junge, das ist so ein Augenblick, in dem du besser den Mund hältst.«
Ja, Sir.«
Boomers leises Lachen tönte aus dem Gerät.
»Der junge Krieger hat eine Lektion gelernt«, sagte er.
»Wie bitte?« fragte Starbuck.
»Jetzt weiß er, was es heißt, einen Starbuckel zu bekommen.«
Starbuck lächelte. Ein Starbuckel war im Jargon der Kampfpiloten jede Situation, bei der man am Ende als Verlierer dastand, sei es beim Glücksspiel, beim Kampf oder bei einer privaten Auseinandersetzung.
Auf den Kontrollanzeigen begann eine blaue Lampe zu blinken - das Zeichen von der Kommandobrücke, dass alle Schiffe startbereit waren. Die tiefe, sonore Stimme von Colonel Tigh tönte aus dem Lautsprecher:
»Tiefraum-Patrouille. Staffel Blau – Start frei.«
Starbuck spannte die Muskeln an. »Start Eins!«
Starbuck wurde gegen Rückenlehne und Nackenstütze gepresst, als sein Raumjäger aus dem Startrohr des Kampfsterns Galactica fegte.
»Start Zwei!«, rief Tigh.
Das war Boomers Jäger im zweiten Rohr.
Starbuck richtete seine Viper gerade, als sie aus dem Rohr schoss, und fegte in weitem Bogen über den Kampfstern. Aus dem Augenwinkel sah er Boomer das gleiche Manöver vollführen, dann schwebte der andere neben ihm.
»Lehrgang, Achtung«, sagte Tigh. »Kadetten Cree, Bow und Shields. Start folgt.«
Die Raumjäger der Kadetten wurden hinausgeschossen, und die fünf Maschinen schlossen sich vor der Galactica zu einer Sternformation zusammen. Starbuck drückte auf einen Signalknopf, um die anderen auf den Schubbeginn vorwärts aufmerksam zu machen. Alle fünf Raumjäger, auch die von den drei Kadetten gesteuerten, beschleunigten gleichmäßig. Der Kampfstern schien hinter ihnen schlagartig zu schrumpfen und in der Feme zu verschwinden.
Starbuck schaute sich im scheinbar leeren Raum um. Selbst die flackernden fernen Sterne gaben ihm nicht die Gewissheit, dass hier draußen wirklich etwas zu finden war. Da ist aber etwas, dachte er. Wenn schon sonst nichts, dann gibt es Cylonen. Irgendwo in der Umgebung. Vor uns, hinter uns, vielleicht über und unter uns. Er lachte leise, als er daran dachte, dass Boomer bei Gesprächen außer Dienst immer wieder darauf beharrte, es gebe im Raum kein Oben und Unten, kein Hinten und Vorn, jede selbst geringfügige Lageveränderung verwandle die Realität um einen im selben Maße.
Starbuck blickte auf den Radarschirm, auf dem in elektronischen Silhouetten die Staffelformation zu sehen war. Eines der Schiffe schien abweichen zu wollen.
»Mach locker, Boomer«, sagte er. »Der Mann neben dir fliegt dir in den Auspuff rein.«
Es blieb kurze Zeit still, dann sagte Boomer: »Kadett Cree, sind Sie das?«
»Ja, Sir«, krächzte die jungenhafte Stimme.
»Wenn Sie noch näher rankommen, schmilzt Ihnen der Bug weg.«
Crees Viperschiff fiel ein wenig zurück.
»Wir haben gelernt, dass wir enge Formation fliegen müssen«, sagte der Kadett selbstbewusst.
Wird wohl eine Tafel aus dem Schulzimmer dabeihaben, dachte Starbuck.
»Ihr Lehrer ist zu Hause und spielt vermutlich Karten«, sagte Boomer. »Wir sind im Einsatz. Alles klar?«
»Alles klar, Sir.«
Starbuck sah auf dem Schirm, dass Cree seinen Platz in der Formation wieder einnahm, und seufzte.
Adama sah Colonel Tigh auf der Sternkarte eine Kurslinie nachziehen. Vor langer Zeit, während des tausendjährigen Krieges, der mit dem falschen Friedensangebot der Cylonen und dem nachfolgenden heimtückischen Überfall geendet hatte, waren er, Adama, und Tigh zwei Kampfpiloten gewesen, ganz in der Art der jungen und wagemutigen Starbuck und Boomer. Adama hätte das Starbuck gegenüber zwar nie zugegeben, aber er war in seiner Tollkühnheit und Unüberlegtheit kaum anders gewesen als der junge Lieutenant. Ähnliches galt für den Tigh von damals. Es war nur schade, dass es keinen zweiten Kampfstern mehr gab; Tigh wäre ein idealer Befehlshaber gewesen, so wie er der engste Mitarbeiter Adamas war.
»Neuer Kurs«, sagte Tigh. »Korrektur eingegeben.«
Adama betrachtete die Kurslinie und den Vektorwechsel, die Tighs Hand nachzeichnete.
»Gefällt mir nicht«, murmelte er.
Tigh sah ihn überrascht an.
»Aber das ist der einzige sinnvolle Kurs, Commander«, sagte er. »Wir halten noch mehr Abstand zu...«
»Gefällt mir dennoch nicht. Alles, was so gut zusammenpasst, so mühelos läuft, muss unter die Lupe genommen werden. Um unserer Sicherheit willen.«
»Ich dachte, Sie freuen sich«, sagte Tigh mit schiefem Lächeln. »Wir haben beim letzten Angriff sechzehn Cylonen abgeschossen.«
»Wie viele waren bemannt?«
Tigh zögerte. »Wir haben fünf geortet. In keiner Kanzel Hinweise auf cylonische Piloten. Aber Sie wissen selbst, dass die Abtaster mitten im Kampf nicht...«
»Man muss sich aber eingestehen, dass es naheliegend wäre, gegen uns unbemannte Raumjäger einzusetzen.«
»Nun, als Spekulation...«
»Die wollen vielleicht, dass wir diese Maschinen ausschalten, damit wir uns in Sicherheit wiegen.«
Tigh nickte. »Ich gebe zu, das ist mir auch durch den Kopf gegangen. Sie haben meinen Bericht gelesen. Andererseits ist ihr Hauptverband hierher zurückgefallen.« Er deutete auf eine Stelle der Sternkarte. »Die Entfernung ist beträchtlich, und es hat den Anschein, als hätten sie uns wieder aus den Augen verloren.«
Adama starrte auf die Lichtpunkte des Kartensektors, auf den Tigh wies.
»Nein, das bezweifle ich. Ich glaube, sie sind immer noch unmittelbar hinter uns. Mit ihren Basisschiffen.« Er wandte sich ab. »Eines steht fest: Umkehren können wir nicht.«
»Wann hätten wir das je getan?«, sagte Tigh gepresst.
Adama zog einen dünnen, kleinen Zylinder aus der Tasche und stellte das Laserlicht auf einen hauchfeinen Strich ein. Er richtete den Strahl auf die Karte, zur Oberseite des Sternenfeldes.
»Sehen Sie«, sagte er. »Über uns ist der Planet Cassarion, im Handbuch als cylonischer Vorposten verzeichnet. Diese Richtung können wir nicht einschlagen.« Er ließ den Lichtstrahl tiefer gleiten. »Unter uns der sellianische Asteroidengürtel. Millionen Fragmente eines Planeten, der von den Cylonen vernichtet worden ist. Wir könnten nicht hindurchkommen. Apollo, Starbuck und Boomer hätten keine Aussicht, einen Weg hindurchzusprengen, wie sie das beim Minenfeld von Carillon getan haben.«
»Dann ist unser einziger möglicher Weg klar«, sagte Tigh. »Geradeaus voran. Die Punktspäher haben eine sichere Bahn angezeigt.«
»Es war zu leicht«, sagte Adama leise.
»Zu leicht?«
»Die letzte Niederlage der cylonischen Angreifer, ihr plötzlicher...« Adamas Stimme wurde lauter.
»Aber die Galactica hat sie bezwungen.«
»Gewiss...so sah es aus.«
Tigh schien zu begreifen. »Und was ist die Wahrheit?«, fragte er.
»Vielleicht ist es nur ein Instinkt«, gab Adama zurück. »Ich glaube, wir werden zu dieser angeblich sicheren Bahn gedrängt, getrieben.«
Athena trat plötzlich zu ihrem Vater und sagte: »Aber warum?« Sie blickte auf die Sternkarte und schien in den Linien, Bogen und flackernden Lichtern die schwarze Leere mit den vereinzelten Sternen zu erkennen, die Wirklichkeit hinter den Symbolen der Karte. »Was ist dort draußen?« fragte sie halblaut.
»Ich weiß es nicht, Athena. Vielleicht Gespenster. Feindselige Planeten; freundliche. Vielleicht stoßen wir diesmal auf die Erde, wenn sie nicht doch nur eine Legende ist.« Er wandte sich Tigh zu. »Ich meine, wir sollten mehr Patrouillenschiffe einsetzen. Was ist, Tigh? Warum zögern Sie?«
»Commander, wir haben unsere Kampfpiloten rund um die Uhr gehetzt. Sie sind erschöpft.«
»Das sind wir alle. Sie beschäftigt mehr, nicht wahr?«
»Sir, es ist nur - nun, wir müssen immer mehr Kadetten einsetzen. Zu viele. Es ist gefährlich.«
Adama dachte an die Schüler, vor denen er gestanden hatte. Am liebsten hätte er alle Raumjäger zurückgerufen, aber das war nicht möglich.
»Natürlich ist es gefährlich. Aber im Augenblick sehe ich keine Alternative.«
Tigh nickte dumpf.
»Colonel, wir müssen die Patrouillen-Geschwader verstärken, auch wenn nur Kadetten zur Verfügung stehen.«
»Papa?«
Adama funkelte seine Tochter an. Sie straffte die Schultern.
»Sir«, sagte sie. »Ich bin als Spähpilotin ausgebildet. Erbitte Auftrag.«
Adama und Tigh lächelten gleichzeitig.
»Athena«, sagte Adama, »du bist hier zu wichtig.«
»Ja, Sir«, sagte sie enttäuscht.
Tigh wandte sich an einen Brückenoffizier und ordnete an, die Einsatzliste auf den Hauptschirm zu bringen.
Starbucks Stimme auf der zentralen Leitung unterbrach ihn.
»Führer Blau an Kommandobrücke. Wir nähern uns einem kleinen Planeten. Können Sie uns eine Ortung geben?«
Tigh nickte dem Cheftechniker zu, der sofort den Schiffscomputer befragte.
»Brücke an Führer Blau. Ortung kommt.« Er wandte sich Adama zu. »Commander?«
»Ja?«
»Ein Objekt in Sektor Sigma.«
Der Offizier schaltete die Ausgabe auf Adamas Schirm. Netzgitter zuckten, in der Schirmecke lief Text. Der von Starbuck angezeigte Planet nahm Form an. Adama verlangte eine Tiefenabtastung. Der Planet war so dunkel, von einer fast schwarzen Wolkenhülle umgeben, dass eine wesentlich bessere Auflösung nicht erreichbar schien. Als die einzelnen Kategorien auf den Bildschirm projiziert wurden, wiederholte sich immer wieder die Angabe: unzureichende Daten.
»Starbuck«, sagte Adama ins Mikro der Zentralleitung.
»Ja, Sir?«
»Sehen Sie eine Sonne oder eine andere astronomische Erscheinung? Von einer geologischen will ich gar nicht reden.«
»Nein, Sir, überhaupt nichts.«
Adama drehte sich an der Konsole um.
»Was ist, Sir?«, fragte Athena. »Warum kann Starbuck nichts feststellen?«
»Wir brauchen mehr Daten, Athena.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wir haben es mit einem kleinen Planeten zu tun, nicht viel größer als ein Asteroid. Er scheint ganz allein durch den Raum zu schweben, ohne Sonne. Es könnte der Überrest eines explodierten Planeten sein, aus einem längst zerfallenen Sonnensystem. Oder... etwas anderes.«
»Sir, Sie meinen - einer der cylonischen Asteroiden?«, sagte Tigh.
»Genau, Tigh.«
»Cylonischer Asteroid?«, platzte Athena heraus. »Ich begreife nichts. Ein Asteroid ist ein geologisches...«
»Richtig, das hatte ich vergessen, das war vor deiner Zeit. Zu Anfang des Tausendjährigen Krieges fanden die Cylonen einen Weg, Asteroiden durch den Weltraum zu bewegen, manchmal mit unglaublicher Geschwindigkeit, um sie für Kampfzwecke einzusetzen. Sie wurden zu einer Art Kampf-Kleinplaneten. Wir haben nie herausfinden können, wie sie das gemacht haben. Vieles von der cylonischen Technologie ist uns nach wie vor ein Rätsel.«
»Und das könnte eine von ihren - wie würdest du das nennen - Kriegswaffen sein?«, fragte Athena. »Dieser Kleinplanet?«
»Nun, er ist vielleicht ein bisschen groß, aber immerhin. Das könnte einer der später aufgegebenen Körper sein. Oder auch nicht aufgegeben.« Adamas Stimme klang gepresst. »Wir brauchen mehr Daten.« Er wandte sich an einen Brückenoffizier: Wie sieht der Bericht jetzt aus?«
»Struktur: Kristalline Elemente Tafel M I.«
»Oberfläche?«, sagte Tigh.
»Gefrorene Meere. Eisfelder. Blizzard-Bedingungen durch Diäthyl-Stürme.«
»Diäthyl?«, sagte Athena. »Nie gehört von...«
»Das ist die Abkürzung für ein viel längeres Wort«, erklärte Tigh.
»Für eines, das sich kein Mensch merken kann. Ein Gas. Ein von den Cylonen erzeugtes Gas. Wenn ich mich recht erinnere, entsteht Diäthyl oft als Abfallprodukt der Laserwaffen, die von den Cylonen entwickelt wurden. Die Anlagen stoßen Diäthyl aus, meist im Boden, manchmal auch in der Luft. Es ist sehr gefährlich, vor allem dann, wenn es in Form von Wolken oder Nebel an die Oberfläche eines Planeten dringt. In der richtigen Dichte kann es für uns tödlich sein - eines der wenigen Beispiele, die ich kenne, wo das Abfallprodukt einer Waffe ebenso gefährlich sein kann wie die Feuerkraft der Waffe selbst.«
Athena zog die Schultern hoch. »Da läuft es einem kalt über den Rücken.«
Adama lächelte. »Kalt ist das richtige Wort, jedenfalls auf diesem Planeten hier. Was meinen Sie, Tigh?«
Tigh warf einen Blick auf Vater und Tochter, dann sah er die Brückenbesatzung an.
»Umwelt: feindselig!«, sagte er.
Als Starbuck den dunklen Wolkenplaneten endlich genauer erkennen konnte, bekam er kalte Hände. Er fragte sich, ob er auf das geisterhafte Aussehen des Planeten reagierte oder ob die dort unzweifelhaft herrschende enorme Kälte eisige Wellen aussandte, vielleicht, um Neugierige abzuschrecken. Er drückte auf die Sprechtaste und sagte: »Sehr hübsche Gegend. Muss ich in einer Urlaubsbroschüre gesehen haben. Sollen wir den Äquator umrunden, oder gibt es eine heiße Zone für...«
»Halten Sie sich dem Schwerkraftbereich fern!«, befahl Tigh.
»Wird gemacht«, sagte Starbuck. Er schaltete ab und auf die Direktverbindung zu den anderen Raumjägern um. »Okay, Jungs«, sagte er. »Der Nachwuchs bleibt in Bereitschaft, während Boomer und ich uns die Oberfläche näher ansehen. Wenn...«
»Lieutenant Starbuck, Sir«, sagte Cree.
»Ja, was gibt's, Cree?«
»Ich war Erster im Abtasterlehrgang, Sir. Ich könnte mitfliegen und ein bisschen Übung...«
»Wir haben keine Zeit zum Üben, Cree. Ich frage Sie später ab, ja? Halten Sie sich an Ihre Anweisungen!«
»Zu Befehl, Sir.«
»Also, formiert Euch! Bow, Sie übernehmen die Führung!«
Die Raumjäger stoben auseinander, und die drei Kadetten formierten sich.
»Los, Boomer!«
Die Schiffe der beiden Lieutenants fegten aus der Gruppe und näherten sich dem Asteroiden. Über Funk hörte Starbuck die Stimme Bows.
»Shields... Cree... Augen auf! Cree, in Formation bleiben!« Seine Stimme klang tiefer und männlicher als die seines Kameraden, aber eine kleine Unsicherheit blieb unüberhörbar.
An Starbucks Kontrollen flammte die Lampe für die Kommunikation mit der Brücke auf.
Er drückte auf die Taste.
»Galactica, kommen«, sagte er.
»Starbuck«, erklärte Adama, »der Planet unter Ihnen hat eine Atmosphäre. Diäthyl-Anteil, sonst verträglich, allerdings kann die Kälte hier und dort dazu führen, dass wir das Gemisch nicht mehr atmen können. Ich wünsche nicht, dass jemand von Ihrer Staffel zu nah herangeht. Das Diäthyl könnte auf das Vorhandensein von Cylonen oder anderen Fremdwesen hindeuten. Seien Sie vorsichtig. Sehen Sie sich um und kommen Sie zurück.«
»Nimmt das Diäthyl die Form von Wolken an?«
»Manchmal.«
»Dicht?«
»Manchmal.«
»Keine Sorge. Wir halten schön Abstand. Klar, Boomer?«
»Vielleicht wünschen der Herr das schriftlich...«
»Boomer, manchmal -« Starbuck wurde von einem blendend-weißen Lichtschein überrascht, der von der anderen Seite des Asteroiden zu kommen schien. Wo die Schiffe der Kadetten waren.
»Bow!«, schrie er ins Mikro. »Was war das?«
»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Bow. »Die tollste Lichtshow, die ich je gesehen habe. Ich kümmere mich mal darum.«
»Nein, Sie warten auf uns«, sagte Starbuck, aber auf dem Kontrollschirm konnte er erkennen, dass Bow sich schon von den beiden anderen Raumjägern gelöst hatte und zu der Stelle fegte, wo das Licht aufgeflammt war.
»Los, Boomer, jetzt aber ran!«, sagte er. »Der Kleine wird...«
»Schon unterwegs, Mann.«
Die beiden Schiffe schossen in weitem Bogen auf die Raumjäger der Kadetten zu. Als diese auftauchten - Bow weit vor Cree und Shields -, raste schlagartig aus der Wolkenhülle des Planeten ein gleißender Lichttropfen. Pulsierend und grell zuckte er hinauf, Bows Maschine entgegen. Zu spät versuchte Bow Schubumkehr und Kursänderung. Der Strahl erfasste den Raumjäger, der in dem funkelnden Lichtspeer wie ein Stäubchen aussah. Bows Kampfmaschine wurde in einer gezackten Linie mittendurch gerissen, bevor sie zu einer Schmelzmasse zerfloss und explodierte. Die Flammen der Explosion wirkten trüb gegen die blendende Leuchtkraft des Strahles, der die Maschine vernichtet hatte.
Der Lichtspeer schoss davon in den Raum, von dem Raumjäger blieb keine Spur zurück.
Aus Starbucks Funkgerät tönte hysterisches Geschnatter der beiden Kadetten.
»Cree! Shields!«, schrie Starbuck. »Weg von dort! Wir kommen!«
»Was ist passiert?«, fragte Boomer, als er seine Maschine neben die von Starbuck lenkte.
»Er ist abgeschossen worden!«, rief Cree. »Es ist eine Art Energiestrahl! Hat Bow erfasst, ihn ausgelöscht, wie ein Pulsar!«
»Was meinst du, Boomer?«, fragte Starbuck. »Laserkanone? Mit Pulsarstrahl?«
»Ausgeschlossen, nicht bei der Entfernung! Ich habe noch von keiner Laserkanone gehört, die durch eine Wolkendecke auf diese Distanz so genau trifft. Ein so gutes Peilsystem gibt es gar nicht.«
»Okay.« Starbuck schaltete auf die Zentralleitung. »Führer Blau an Zentrale. Wir werden angegriffen. Landedeck vorbereiten. Wir haben ein Schiff verloren und kommen zurück.«
Als er den Rückkehrkurs eingegeben hatte, schaute er sich nach Shields und Cree um. Sie waren beide noch auf dem Weg zu dem dunklen Asteroiden.
»Cree! Shields! Rückkehrkurs! Sofort!«
Die beiden Piloten beachteten ihn nicht und setzten ihren Anflug auf die Wolkenhülle des Planeten fort.
2. In der Falle
Apollo sah stumm zu, als Boxey Muffit seine komplizierten Manöver ausführen ließ. Der Daggit-Droid mit seinem Pelz war eine Nachbildung des Tieres, das der Junge beim Angriff auf Caprica verloren hatte. Im Grunde entsprach der Roboterhund dem Original nicht sehr genau, wie Boxey oft zu betonen pflegte. Der Ur-Muffit war zottig und grau gewesen, während die Nachbildung ein dickes braunes Fell hatte und größer war, größer als jeder Daggit, den Apollo je gesehen hatte. Das Labor hatte aber immerhin eingebaut, was an einem Daggit das Wichtigste war: Hingabe und Treue. Boxey liebte ihn heiß und innig.
Während der Junge den Robot-Hund anwies, sich auf den Kabinenboden zu setzen und eine Art Männchen zu machen, wunderte Apollo sich erneut darüber, wie schnell der Junge in der letzten Zeit gewachsen zu sein schien. Die Schwierigkeit, einen so von Lebenskraft erfüllten kleinen Jungen aufzuziehen, ließ wieder die Frage auftauchen, ob er Boxey hätte adoptieren sollen. Aber vielleicht war ein Chefpilot nicht der geeignete Vater. Da die Galactica von den Cylonen ständig verfolgt wurde und der Kampfstern unbekannten Gefahren entgegenflog, bestand die große Gefahr, dass Boxey zum zweiten Mal zur Waise werden würde, und Apollo wusste nicht, ob der Junge das würde verkraften können.
»Pa?«
Apollo schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass der Junge ihn Pa nannte.
»Ja, was ist, Boxey?«
»Du bist jetzt gar nicht dagewesen.«
»Entschuldige, Boxey, ich war ganz in Gedanken. Schlechte Angewohnheit. Was brauchst du?«
»Brauch' gar nichts. Wollte nur sehen, dass du noch da bist.«
Apollo lächelte den Jungen an, ohne sich anmerken zu lassen, wie ihm zumute war. Ich muss wieder fort, Boxey, dachte er, und ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll.
Der Junge befasste sich wieder mit Muffit. »He, du Daggit. Zwanzigmal eine Acht, hab' ich gesagt. Stell dich nicht so an.«
Apollos Gedanken wollten wieder abschweifen, als die Alarmsirenen aufheulten. Er gab Boxey einen Klaps und lief hinaus. Aus den Lautsprechern tönte Adamas Stimme: »Kampfstationen!«
Apollo eilte auf die Brücke und ließ sich rasch von einem Offizier informieren, bevor er zu seinem Vater trat.
»Flugleitung zur Stelle«, sagte er. »Alle Staffeln startbereit.«
Adama nickte und legte die Hand auf die Schulter seines Sohnes.
»Starbucks Patrouille hat etwas ergeben«, sagte er. »Er hat ein Schiff verloren.« Er sah Tigh an. »Lage?«
Tigh beugte sich zum Telekom-Schirm und drückte eine Taste.
»Starbuck, melden«, sagte er.
Starbuck schien außer Atem zu sein, als er antwortete. Auf dem kleinen Bildschirm wirkte sein Gesicht sorgenvoll.
»Es kam von dem Asteroiden, irgendwo im oberen Quadranten. Energiestrahl aus kohärentem Licht. Massiv, gleißend, blendendweiß... wir glauben an eine Laserwaffe mit Pulsarwirkung, aber es muss ein Gigant sein. Tigh, es...«
»Starbuck, wir haben keine Verbindung mit Cree«, sagte Boomers Stimme. »Optisch und Radar.«
»Warten Sie, Colonel. Ein zweites Schiff wird vermisst.«
»Und jetzt Shields!«, schrie Boomer. »Ich habe auch keine Verbindung mehr zu Shields!«
»Unterbreche Sendung, Galactica, sagte Starbuck. »Melde mich in Kürze wieder.«
Apollo sah Adama an.
»Vater, lass mich mit meiner Staffel nachsetzen, damit ich sie...«
»Nein, jetzt noch nicht«, erwiderte Adama ruhig. » Wir müssen mehr wissen. Aber die Staffel kann antreten, Captain Apollo.«
Apollo hetzte hinaus und riss an der Tür eine Pilotenjacke an sich, die ihm ein Adjutant hinhielt.
Starbuck ging verzweifelt alle Frequenzen durch.
»Cree, melden! Shields! Wo seid ihr?«
»Ich hab' sie!«, rief Boomer. »Sie sind im kritischen Schwerkraftbereich.«
Boomer übermittelte Starbuck die Koordinaten der beiden Raumjäger. Die statischen Störungen verrauschten, und Starbuck konnte die durcheinanderbrüllenden Stimmen der Kadetten hören.
»Cree! Shields!«, rief er. »Kommt zurück! Ihr könnt da nicht hinunter!«
»Ich habe gesehen, wo da herkam!«, schrie Cree. »Ich nehm mir das Ding vor!«
»Umkehren! Sofort umkehren!«, befahl Starbuck. »Nicht in die Atmosphäre hineinfliegen! Ich wiederhole für euch beide, auf keinen Fall...«
»Bow war mein Zimmerkamerad!«, stieß Shields mit erstickter Stimme hervor.
»Das ist ein Befehl! Sofort umkehren!« Starbucks Kontrollschirm zeigte an, dass die beiden Raumjäger kein Jota von ihrem Kurs abwichen.
»Ich bin aufs Ziel eingepeilt«, sagte Shields mit erzwungener Ruhe.
»Bin genau hinter dir«, sagte Cree.
Starbuck jagte seine Maschine hinab zur Wolkenhülle des Asteroiden.
»Boomer, wir können sie da nicht allein hinuntergehen lassen!«, rief er.
»Können nicht, aber müssen. Starbuck, dreh ab!«
»Nein, da kennst du mich besser, Boomer. Komm mit oder flieg zurück.«
Nach einer Pause erwiderte Boomer: »Ich weiß nie, ob dir ernst ist damit. Ich bin dabei, Mann.«
Die beiden Viperschiffe schossen auf den Planeten zu.
»Sie sind in den Wolken. Mit der Sicht ist es vorbei«, tönte Boomers Stimme aus dem Funkgerät.
»Kurzbereich-Telemetrie aufzeichnen. Vielleicht bekommen wir eine Peilung.«
Unwillkürlich sog Starbuck scharf den Atem ein, als sein Raumjäger die graue, fast schwarze Wolkenhülle durchfegte und ihn alptraumhafte Dunkelheit verschlang.
Erster Centurio Vulpa, ein Krieger der Eliteklasse, saß majestätisch in seinem Kommandosessel und knurrte seinen Erstgehirn-Untergebenen Befehle zu. Irgendein Eindringling war über den Wolken von Tairac entdeckt worden. Ein Strahl der Laserkanone auf dem Hekla-Berg hatte ein Raumschiff getroffen und vernichtet. Weitere Schiffe waren in der Nähe geortet worden.
Vulpa verspürte ungewohnte Nervosität, was bei Cylonen ganz untypisch war. Schon als Erstgehirn-Kampfpilot hatte er ab und zu Besonderheiten an sich bemerkt, die nicht mit seiner Geschicklichkeit am Steuerknüppel zusammenhingen, mit seinem Talent, Hunderte von feindlichen Kampfmaschinen abzuschießen. Nein, das, was er spürte, hing eher damit zusammen, wie er die Welt wahrnahm, wie er Gedankenverbindungen herstellen konnte, die anderen Erstgehirn-Cylonen versagt blieben. In manchen Kampfsituationen hatte er Reaktionen gezeigt, die allenfalls einem Zweitgehirn-Offizier anstanden. Er war dadurch mehrmals aufgefallen, nicht immer angenehm, und hielt es in der Regel für angemessen, dergleichen geheim zu halten. Seine innere Isolierung hatte Gefühle der Einsamkeit hervorgerufen, erneut ein Zug, den Cylonen kaum kannten.
Nach der Zeremonie der Übertragung seines Zweitgehirns hatte sich seine innere Wahrnehmung mehr als verdoppelt. Er hatte sofort gewusst, dass er zu den wenigen Zweitgehirn-Cylonen gehörte, deren Körper die Einpflanzung eines Drittgehirns zu einem späteren Zeitpunkt nicht verweigern würde. Die meisten Cylonen überstanden mehr als eine Hirneinpflanzung nicht, also kamen nur vereinzelte von ihnen für die Stellung des Mächtigen Führers, des Erhabenen, in Frage. Auch von diesen erwiesen manche sich als nicht geeignet, weil sie aus anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Gründen unbrauchbar waren. Vulpa kam dahinter, dass seine persönliche Eignung durch seine Neigung zu unverhohlenen Äußerungen gefährdet war, durch seine Arroganz und einen gewissen Zwang, andere Offiziere mit Gewalt zu seinen Ansichten bekehren zu wollen. Der derzeitige Mächtige Führer hatte ihn deshalb mehrmals verwarnt und darauf hingewiesen, er werde, sollte er ein Drittgehirn erlangen, auf der Stelle erkennen, weshalb derartige Eigenschaften aus objektiver Sicht als Schwächen gelten müssten.
Vulpa hatte sich große Mühe gegeben, die Ermahnungen des Erhabenen zu beherzigen, ohne vermeiden zu können, dass seine negativen Charakterzüge bei Gelegenheit in den Vordergrund traten. Sein letzter Ausbruch hätte beinahe seinen Untergang bedeutet, aber der Verstoß war dann doch nur damit geahndet worden, dass man ihn auf diesen eisigen, fernen Vorposten verbannte. Es bedeutete zwar eine große Ehre, das Kommando über die gewaltigste Waffe übertragen zu bekommen, die Cylon je entwickelt hatte, aber Vulpa empfand die disziplinarische Maßregelung doch auch als Schande. Er hatte sich vorgenommen, hier derart heroische Taten zu vollbringen, dass der Erhabene ihn zum Kommandostern würde zurückrufen müssen.
Nun schien sich eine Chance zu bieten. Vulpa hatte seine Garnison alarmiert, nachdem die Nachricht kaum eingetroffen war, dass die Restflotte der Menschen in seinen Sektor gedrängt worden sei und es sich als notwendig erweisen könne, dass die ungeheure Feuerkraft der Laserkanone eingesetzt werden müsse.
Ein Techniker schreckte den Ersten Centurio aus seiner Versunkenheit auf.
»Zwei Kampfmaschinen der Kolonien. Abwehrkreis durchbrochen.«
Vulpa stand auf und blickte selbst auf die sechseckigen Bildschirme. Gut. Die vorherigen Berichte waren bestätigt, ebenso, dass die vernichtete Maschine von den Menschenkolonien stammte. Die beiden auf den Schirmen sichtbaren Raumjäger hatten die dichte Wolkendecke durchstoßen und huschten durch die endlosen grauen Unterschichten offenbar einem bestimmten Ziel entgegen. Die armseligen Wichte! Sie planten einen Angriff auf den Hekla-Berg und die Laserkanone. Vulpa hätte laut aufgelacht, wäre ein solcher Ausbruch unter Cylonen nicht mit größtem Argwohn aufgenommen worden.
»Einen davon will ich lebend«, sagte er zu seinen Untergebenen.
Starbucks Schiff stieß durch die Wolken, unmittelbar darauf folgte ihm Boomer. Die Oberfläche des Asteroiden war fast ebenso dunkel wie das Innere der Wolkenhülle. An Licht war nur ein ziemlich helles, kugelförmiges Leuchten in den Vorbergen eines undeutlich abgezeichneten Gipfels zu sehen, dazu die Kondensstreifen der beiden Raumjäger, in denen die Kadetten saßen.
»Ich hab' sie, Boomer.«
Als sie gegenüber den langsameren Maschinen aufholten, forderte Starbuck vom Bordcomputer eine Geländeabtastung an. Der Berg beeindruckte ihn. Obwohl es auf Caprica mächtigere Gipfel gegeben hatte, bot dieser hier auf dem kleinen Asteroiden, fast aus ebener Landschaft emporragend, einen ehrfurchterregenden Anblick. Die schroffen Grate und vergletscherten Wände mochten selbst erfahrene Bergsteiger das Fürchten lehren.
Und die Raumjäger der beiden Kadetten flogen geradewegs auf den Berg zu.
Das fehlt mir gerade noch, dachte Starbuck, auf einem solchen Berg Bruch zu machen, auf der Jagd nach zwei hirnlosen Jungpiloten.
Er ließ sich Nahaufnahmen überspielen. Auf dem Gipfel waren Formationen nichtgeologischer Art zu erkennen. Der Bildschirmtext unter dem Abtastschirm veranlasste Starbuck, den Atem scharf einzuziehen.
»Was ist?«, sagte Boomer.
»Auf dem Berggipfel befindet sich eine Geschützstellung. Riesengroß, das Ding, wie aus dem Eis und Fels herausgemeißelt. Die Waffe selbst scheint in Stahlbeton versenkt zu sein. Und wenn meine Zahlen stimmen, ist die Waffe wirklich so gigantisch, wie wir vermutet haben. Mensch, jetzt bewegt sie sich. Sie ist trotz ihrer Größe nicht stationär, sondern drehbar, wie ein Teleskop. Kaum zu fassen, diese Größenordnung, das muss die größte Laserkanone sein, die es je gegeben hat, Boomer. Größer als - mein Gott!«
Die Kampfmaschinen der Kadetten fegten aufwärts, der Kanone entgegen. Gleichzeitig drehte sich deren Lauf langsam, zielte aber knapp über sie hinweg. Starbuck stieß einen Fluch aus, als Shields Raumjäger in den Unterbereich der Waffe geriet. Plötzlich pulsierte ein unheimlicher, grell leuchtender Strahl aus dem Lauf, erhellte den Himmel und ließ Tausende glitzernder Nebenstrahlen entstehen, die ein Labyrinth-Netz auf der Eisoberfläche des Planeten bildeten. Es hüllte Shields Maschine ein, die einen kurzen Augenblick als scharf umrissener Schatten schwebte, um dann zu einem gleißenden Feuerball zu zerplatzen. Der Strahl schoss auf der linken Seite an Boomer und Starbuck vorbei, tauchte die Landschaft in hellstes Licht, glitt in die Wolken und verlieh ihnen einen rötlichen, scheinbar friedlichen Schimmer.
»Shields!«, kreischte Starbuck im selben Augenblick, als dessen Schiff in Atome zerbarst.
»Zu spät«, sagte Boomer. »Und Crees Signal ist auch ausgefallen.«
»Ich habe ihn aber gesehen. Das Signal wird gestört. Sie wissen, dass wir hier sind, Boomer. Bleib ganz tief, da erreicht uns die Kanone nicht.«
»Verstanden.«
Starbucks Abtastschirm zeigte drei cylonische Kampfmaschinen, die aus einem Bereich hinter der Gigantenwaffe aufstiegen. Als sie zu feuern begannen, wusste Starbuck sofort, wo Cree sich befand.
Vulpa befahl der Kampfstaffel, den überlebenden Feindpiloten zur Bruchlandung zu zwingen. Der Staffelführer der Cylonen feuerte dem Raumjäger einen Schuss vor den Bug. In der eisigen Atmosphäre sahen die Laserstrahlen wie lodernde Eiszapfen aus.
»Achtung, Eindringling«, sagte der Staffelführer der Cylonen. »Überlassen Sie uns die Steuerung deiner Maschine.«
Die Antwort des Piloten bestand darin, das Feuer zu eröffnen.
»Zwingt ihn zu Boden!«, befahl Vulpa.
Die drei Cylonen-Maschinen stürzten sich auf ihren gemeinsamen Feind.
Starbuck und Boomer mussten ohnmächtig zusehen, wie Cree zur Landung gezwungen wurde.
»Starbuck, ich bin umzingelt!«, rief er mit überschnappender Stimme.
»Durchhalten«, sagte Starbuck, obwohl er davon überzeugt war, dass der Arme ihn nicht hören konnte. »Wir kommen.«
»Starbuck, hör auf damit«, zischte Boomer. »Für Cree können wir nichts mehr tun. Bis wir an Ort und Stelle sind, ist er entweder tot oder gefangen.«
»Aber...«
»Kein aber. Wir müssen zurück und die Galactica warnen. Von dieser Waffe steht nichts in unseren Handbüchern. Wir müssen Adama informieren.«
»Ich habe zwei Mann verloren. Ich lasse Cree nicht im Stich.«
»Vergiss es, Starbuck. Wir haben keine Chance gegen diese Waffe. Wir müssen zur Galactica. Ein Leben gegen Tausende, Starbuck.«
Starbuck war in seinem Zorn beinahe entschlossen, Boomers Mahnung zu überhören, aber er wusste, dass sein Staffelkamerad Recht hatte, und drehte mit seinem Raumjäger ab.
Als Vulpa verfolgt hatte, wie der feindliche Pilot zu Boden gezwungen und gefangengenommen wurde, kehrte er zu seinem Kommandosessel zurück.
»Zwei weitere Kampfmaschinen im Tiefflug geortet«, meldete einer der Centurier.
»Zerstören, sobald sie in Reichweite sind«, sagte Vulpa.
Die Cylonen vor den Monitoren beobachteten die beiden Schiffe, sahen sie umkehren und über den nahen Horizont huschen.
»Maschinen auf dem Rückzug.«
»Das könnte unser Vorteil sein. Vielleicht führen sie uns zu ihrem Mutterschiff.«
»Das wird nicht möglich sein, Sir«, sagte der Untergebene. »Unsere Instrumente zeigen nichts mehr an.«
Vulpa nickte. Der rote Lichtstrahl, der aus seinem Helm drang und hin und her ruckte, kam fast zum Stillstand. »Bringt mir den Gefangenen!«, befahl er.
Der Erhabene wandte sich der Starbuck-Simulation zu, die nun auf beleidigende Art im Sessel lungerte, ein abscheuliches Stöckchen im Mund, das die Menschen Zigarre nannten.
»Nun, Lieutenant«, sagte der Mächtige Führer, »Eure Artgenossen argwöhnen nichts. Sie scheinen blind in meine Falle getappt zu sein.«
Der Starbuck-Abklatsch nahm die Zigarre aus dem Mund und erwiderte: »Du hast sie in deinen dreckigen Schleimklauen?«
»Nein, aber wir werden sie bald...«
»Dann sind sie auch nicht in der Falle, Glotzauge.«
»Ihr seid nicht programmiert, mich zu beleidigen, Lieutenant.«
»Pardon. Ein Versehen. Manchmal rutscht eben auch einer Illusion etwas heraus.«
Der Erhabene umklammerte die Armlehnen seines Thronsessels fester.
»Ich möchte mit Euch über Euren Commander sprechen«, sagte er.
»Ah, unseren Eisenschädel Adama meist du.«
»Ich verstehe nicht. Schädel aus Eisen? Ich habe nie gehört, dass er Metallkampfrüstung trägt wie wir Cylonen.«
»Eisenschädel ist eine Sprachfigur, eine Metapher. Gibt es das bei euch nicht?«
»In unserer Dichtung, aber kaum in der gewöhnlichen Sprache.«
»Bei euch gibt es Dichtung?«, antwortete Starbuck. verblüfft.
Der Erhabene bestaunte die scharfen Umrisse der Simulation, die den Eindruck erweckte, als könne man sie berühren. Obwohl er wusste, dass seine Hand nur ins Leere greifen würde, wollte er es versuchen.
»Wir haben Dichter, die in der gesprochenen Dichtung Sprachfiguren gebrauchen. Niedergeschrieben werden sie nicht.«
»Aber ihr habt doch eine Schriftsprache?«
»Gewiss.«
»Warum dürfen eure Dichter nichts aufschreiben?«
»Es ist Tradition, seit urdenklichen Zeiten, viel länger, als Eure armselige Rasse existiert. Dichter schreiben ihre Werke nicht nieder. Das wäre - unziemlich.«
»Unziemlich? Warum denn das?«
»Dichter gehören nicht zu den... unerwünschten Mitgliedern der Gesellschaft. Sie sind Außenseiter, oft Kriminelle. Wir haben festgestellt, dass die Verbannung in die Dichter-Enklaven ihre verbrecherischen Bestrebungen im Zaum hält.«
»Im Zaum hält, siehst du.«
»Was meint Ihr?«
»Das war eine Sprachfigur, Mächtiger Führer. Sei bloß vorsichtig.«
Der Erhabene beschloss, zum eigentlichen Thema zurückzukehren.
»Wir sprachen von Eisenschädel, Eurem Commander.«
»Ja. Der Ausdruck bedeutet nur, dass er ein harter Bursche ist, für gewöhnliche Menschenaugen wie die meinen nicht immer durchsichtig. Die Besatzung nennt ihn manchmal so, vor allem, wenn wir nicht wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Ist das klarer?«
»Klar genug. Commander Adama - besteht Gefahr, dass er die Umrisse unseres Planes durchschaut? Wird er erkennen, dass wir alles daransetzen, ihn zu einem von uns ausgewählten Ziel zu lenken?«
»Das möchte ich annehmen.«
»Warum?«
»Ihr seid ja nicht gerade die raffiniertesten Kreaturen der Geschichte. Ihr könnt manchmal hinterlistig sein, das gebe ich zu, und eure andersartige Denkungsart gibt uns manchmal Rätsel auf, aber in der Kriegführung seid ihr nicht maßlos geschickt. Ihr versteift euch auf schwerste Waffen und große Überzahl, die feinere Strategie ist nicht eure Sache und das war oft unser Vorteil.« .
»Bei manchen Schlachten, ja. Aber dabei vergesst Ihr, dass wir die Sieger sind. Unsere Methoden haben Eure militärische Macht nahezu zerstört, eure Zwölf Welten sind vernichtet, und wir beherrschen das Universum.«
Der Starbuck verlor sein Lächeln und nickte ernst. »Das ist richtig. Durch Heimtücke, Folterungen und völlige Unbarmherzigkeit habt ihr fast gewonnen. Aber nur fast. Es gibt uns noch, und wir sind auf der Flucht, aber eines Tages treten wir euch wieder entgegen, und dann...«
»Ihr zögert. Warum?«
»Eure Datenspeicher können mir die Worte nicht liefern, die genügen würden, meinen Abscheu auszudrücken.« Es klang beinahe mechanisch, und der Erhabene bemerkte, dass die Umrisse des Starbucks zu verschwimmen begannen.
»Ich glaube, dieser Tag wird nie kommen«, sagte der Mächtige Führer. »Euer Commander ist auf einem Weg, der zur endgültigen Auslöschung Eurer Rasse führt. Wenn er in Reichweite unserer Waffen auf Tairac gelangt...«
»Wir haben Euch früher schon besiegt, wir werden es wieder tun.«
»Diese Falle ist, was Euresgleichen narrensicher nennt.«
»Nun, wenn ihr Glück habt, fangt ihr vielleicht ein paar Narren«, sagte Starbuck.
Der Erhabene drückte auf eine Taste an seinem Sessel, und die Simulation verschwand.
Aus den Tagebüchern von Commander Adama:
Ich habe Lieutenant Starbuck während seiner Kadettenzeit nicht gekannt. Allerdings ist mir so einiges zugetragen worden. Für die Wahrheit der Berichte kann ich mich nicht verbürgen.
In der dienstfreien Zeit soll er - mit geborgten Schlüsseln, versteht sich - den Planspiel-Raum geöffnet und in ein Spielkasino verwandelt haben, mit Wetten darüber, wie oft in bestimmter Zeit ein Raumjäger im Simulator feindliche Schiffe abschießen könne; die besten Nahkampfspezialisten trugen, ebenfalls begleitet von Wetteinsätzen, Zweikämpfe aus; mit willkürlich eingegebenen Computerprogrammen wurde eine Art Roulettespiel organisiert. Obwohl er das Kasino mit bis zu einem Drittel der Schüler betrieb, konnte er nie auf frischer Tat ertappt werden. Dabei gaben sich die Lehrer redliche Mühe, ihn zu erwischen.
Ein andermal wandte sich eine Gruppe von Kadetten, die beschlossen hatte, bei den Examen zu betrügen, an ihn, um sich auf diese Weise von der Prüfungsangst zu befreien. Man versprach sich von Starbuck Hilfe.
»Na klar«, soll er gesagt haben, wohl mit seinem bekannten Grinsen. »Was braucht ihr denn, Kumpels? Was steht an? Mal sehen - Mittlere Militärstrategie, nicht? Morgen? Also, Freunde, wir treffen uns im Cylonen-Thronraum kurz vor der Prüfung, und ich bringe die Lösungen mit. Alles klar?«
(Cylonen-Thronraum war die Bezeichnung der Kadetten für die Gemeinschaftsbäder in der Akademie.)
Am nächsten Tag erschienen die zum Betrug entschlossenen Kadetten am vereinbarten Ort, und Starbuck war zur Stelle und verteilte Unterlagen.
Ich weiß nicht, wie die Kadetten sie in den Prüfungsraum geschmuggelt haben. Jedenfalls machten sie sich eifrig an die Arbeit, und ihre Elektronenstifte huschten schneller über die Bildschirme, als irgendein Lehrer das bisher erlebt hatte.
Sie kamen zur letzten Seite des Prüfungsheftes. Am unteren Rand befand sich eine Notiz in Starbucks Handschrift, allerdings nur in den Heften jener Prüflinge, die zum Betrug entschlossen gewesen waren. Da hieß es:
»Alle Lösungen, die ich euch gegeben habe, sind falsch. Wenn ihr sie alle benützt habt, ist keine Aufgabe richtig gelöst. Da es aber auch unter euch ein paar Burschen gibt, die eine Chance verdienen, habt ihr die folgende Möglichkeit: Ihr habt noch genügend Zeit, noch einmal von vorn anzufangen, die Antworten zu ändern, die Fragen genau zu lesen und die richtige Lösung zu finden. Aber zuerst löscht ihr mal diesen Absatz, ja?«
Der Lehrer, der mir diese Geschichte erzählte, schwor Stein und Bein, dass sie nicht wahr sein könne.
Ich habe Starbuck genau beobachtet, seit er bei mir ist. Ich glaube die Geschichte.
3. Der Plan
Wäre die gespannte Atmosphäre auf der Kommandobrücke entzündbar gewesen, es hätte ein Funke genügt, die ganze Galactica zur Explosion zu bringen. Athena schob sich unwillkürlich näher an ihren Vater heran, ohne dass er es bemerkte.
Starbucks Hände hatten nervös an seinem Kampfhelm gezerrt, als er und Boomer dem Commander Meldung erstattet hatten. Tigh hatte einmal beruhigend die Hand auf Starbucks Arm legen müssen, weil der junge Lieutenant seine Erregung nicht mehr zügeln zu können schien. Apollo lief wie ein Tiger auf und ab. Als der Bericht abgeschlossen war, blieb es einige Zeit still.
»Lass das Band ablaufen, das Starbuck von Crees Abtaster übernommen hat«, sagte Adama nach einer Pause zu Athena.
Die Gesichter der Brückenbesatzung verkrampften sich, als die Bilder der Explosion von Shields Raumjäger abliefen. Nicht wenige hielten den Atem an, als der Berggipfel und die gigantische Laserkanone auftauchten.
»Athena, Standbild!«, sagte Adama.
Athena hielt das Band an, ließ es kurz zurücklaufen und brachte das Standbild auf den Monitor, während sie gleichzeitig vom Computer Berechnungen über die Größenordnungen anstellen ließ.
»Der Maßstab kommt, Sir«, sagte sie. »Die Bastionen sind vierzehn Meter hoch. Zerstörungskraft in weitem Umkreis nahezu unendlich.«
»Wir sind noch knapp außer Reichweite«, sagte Tigh tonlos. »Genaue Zieleinstellung auf uns ist nicht möglich, wenngleich uns ein Zufallstreffer erwischen könnte.«
»Die Galactica könnte mit einem einzigen Pulsarstoß vernichtet werden«, flüsterte Adama.
Apollo hieb die Faust auf das Brückengeländer.
»Unfassbar«, sagte er. »Die Cylonen besitzen eine hochentwickelte Zivilisation, gewiss, aber ihre Technologie kann einfach nicht solche Ausmaße erreicht haben. Die Waffen waren in der Regel...«
»Mich kümmert weniger, wer sie gebaut hat, sie ist da, und sie hat mich zwei meiner Piloten gekostet«, sagte Starbuck zornig.
Die beiden Offiziere starrten einander böse an. Adama trat zwischen sie und sagte zu Starbuck: »Verluste verantworte ich. Sie haben das einzige Richtige getan, als Sie mit den Bändern zurückgekommen sind.«
»Sagen Sie das Cree!«, stieß Starbuck hervor. Sein Gesicht war kalkweiß geworden. Verspätet fügte er hinzu: »Sir.«
Adama nickte knapp. Athena wusste, dass er über Insubordination dann hinwegsah, wenn sie durch Trauer über den Verlust von Kameraden bedingt war.
»Das ist also nicht mehr zu übersehen«, sagte der Commander zu Colonel Tigh. »Wir haben die Bestätigung dafür, dass die Cylonen uns bewusst in diese Richtung gedrängt haben.«
»Wie lange wird es dauern, bis sie uns einholen?« fragte Apollo.
»Hängt davon ab, wo ihre Kommandoschiffe sind. Für ihre Angriffsstaffeln ist unsere Feuerkraft zu stark. Sie werden einige Überraschungsangriffe fliegen, aber es kann nicht lange dauern, bis die Basisschiffe kommen.«
Die Brücke war für Augenblicke totenstill, dann sagte Starbuck: »Commander, Staffel Blau kann diese Kanone ausschalten.«
Das sieht ihm ähnlich, dachte Athena. Den Kadetten schärft er ein, sich nie freiwillig zu melden, und was tut er?
»Es wäre Selbstmord«, sagte Adama. »Sie haben die Wirkung der Waffe gesehen.«
»Aber umkehren können wir auch nicht«, sagte Tigh und deutete auf die Sternkarte, wo die zuletzt gemeldete Position des cylonischen Hauptverbandes angezeigt war.
»Nein«, sagte Adama.
»Was bleibt dann?« fragte Boomer.
Adama wandte sich Athena zu.
»Das Abtaster-Programm für den Asteroiden auf den Monitor.«
»Ja, Sir.«
Adama starrte lange Zeit auf den Bildschirm.
»Wir könnten mit einer kleinen, hochspezialisierten Kampfgruppe landen«, sagte er schließlich. »Nach einer Schwäche im Abwehrsystem suchen. Die Waffe vernichten.«
»Wir können nicht sicher sein, dass es eine solche Schwäche überhaupt gibt«, gab Tigh zu bedenken.
Adama nickte. »Das Risiko ist hoch, wie immer. Ich sehe jedoch keine Alternative. Für andere Vorschläge bin ich offen.«
Alles, was er zu hören bekam, war vereinzeltes Husten und unverständliches Gemurmel.
»Programm für die Auswahl geeigneter Leute«, sagte Adama zu einem Offizier. »Erfahrungen mit Eisplaneten, Bergsteigen, Großsprengvorhaben. Wir treffen uns anschließend im Einsatzraum. Bis dahin versuchen alle, die nicht Dienst tun, soviel wie möglich zu schlafen. Sobald das Unternehmen anläuft, werden wir keine Ruhe mehr finden.«
Athena tauschte einen besorgten Blick mit ihrem Bruder. Sie wussten beide, dass Adama seinen eigenen Ratschlag nicht befolgen würde.
Licht... rotes Licht... vor eisig-metallischem Hintergrund hin- und herwandernd... verschwommene Schatten... Kälte... unfassbare Kälte, die das Blut gefrieren ließ... das rote Licht näher rückend... Shields Schrei, als der Strahl sein Schiff traf... die Explosion... zahllose Fetzen... nie mehr zusammenzusetzen... Shields tot, Bow tot, nein ...das rote Licht vor meinen Augen, es will mich einsaugen... rotes Licht, Cylonen, das blöde rote Licht an ihren Helmen... Kälte... Rot... überall Kälte... Eis...
Cree erwachte plötzlich. Das rote Licht, das seinen Traum gestört hatte, befand sich am Helm eines Cylonen, der auf den am Boden Liegenden hinunterstarrte. Schlagartig überfiel ihn alles. Der Laserstrahl, die Vernichtung der Raumjäger seiner Freunde, die erzwungene Landung. Der Wirbel großflockigen Schnees, als er aus der Maschine geklettert war, umstellt von vier Cylonen mit ihren wandernden roten Lichtstrahlen. Er war entwaffnet worden.
»Bringt ihn zu Vulpa«, hatte einer der Cylonen gesagt, bevor er, Cree, das Bewusstsein verloren hatte. Es war dem fremden Wesen darauf angekommen, sich verständlich zu machen, denn es hatte die Sprache der Menschen gebraucht, nicht die cylonische.
Der Cylonen, der ihn jetzt in Augenschein nahm, unterschied sich von den vorherigen. Er hatte mehr schwarze Streifen an den Metallteilen seiner Uniform. Cree kannte die Rangabzeichen der Cylonen vom Unterricht her. Der Offizier vor ihm bekleidete einen hohen Posten. Ein vielfach ausgezeichneter Krieger der Eliteklasse, wenn er die Rangabzeichen richtig verstanden hatte. Was hatte ein so ranghoher Cylonen auf einem Eisplaneten verloren? Und wo war die Flotte?
Cree erinnerte sich an die Instruktionen für den Fall einer Gefangennahme. Name, Rang und Erkennungsnummer, mehr durfte nicht angegeben werden. Schweigsamkeit war erstes Gebot.
»Bei einer Folterung sieht die Sache natürlich anders aus«, hatte der Lehrer erklärt. »Die Flotte besteht dann nicht auf Einhaltung dieser Vorschriften. Es ist uns lieber, wenn keine Informationen gegeben werden, das versteht sich von selbst, aber es ist keine unauslöschliche Schande, wenn man der Folter nicht standhält.« Ein anderer Kadett hatte die Hand gehoben und gefragt, ob es nicht besser sei, Selbstmord zu begehen, als sich der Folter auszuliefern. »Das mag sein«, hatte der Lehrer erwidert, »aber eine solche Entscheidung kann niemand vorschreiben. Die Flotte befürwortet das überleben.« Cree schwor sich, lieber den Tod hinzunehmen, als den Cylonen etwas zu verraten - aber eine kleine Stimme in einem Winkel seines Gehirns schien vor Übereilung zu warnen.
Der Cylone gab sich als Erster Centurio Vulpa zu erkennen, dann sagte er mit gutturaler Stimme: »Du bist ein Kämpfer der Koloniewelten?«
Cree biss die Zähne zusammen und funkelte den überheblichen Offizier böse an.
Vulpa erhob sich aus seinem Kommandosessel und ging auf Cree zu. »Es gibt nur noch einen jämmerlichen Rest deiner Rasse, den Kampfstern Galactica, deine bedeutungslose, armselige, dumme Gruppe von...«
»Ihr uns auch«, entfuhr es Cree. Es war ihm schon immer schwergefallen, sich zu zügeln. Shields hatte ihm oft geraten, vorsichtiger zu sein und manchmal lieber etwas hinunterzuschlucken. Cree sah Shields' Gesicht vor sich, sah ihn in der Kanzel, sah den Raumjäger sich im Laserlicht auflösen, und spürte, wie seine Augen brannten. Er schluckte.
Hoffentlich hatten die Cylonen nichts bemerkt. Was sahen sie überhaupt mit dem roten Lichtstrahl, der langsam von einer Seite zur anderen wanderte?
Wenn Vulpa Crees Tränen bemerkt hatte, war es ihm nicht anzusehen. Er ging um den Kadetten herum.
»Wie viele Raumjäger habt ihr noch?«, fragte er.
Das möchtest du wohl gerne wissen, dachte Cree. Das, und wie wir es fertigbringen, immer neue Raumjäger zu bauen. Cree versuchte diese Gedanken fortzuschieben.
Vulpa starrte Cree ins Gesicht, und der rote Lichtstrahl zuckte schneller hin und her.
»Du bist aus Fleisch und Blut, Mensch. Du hast ein Nervensystem, das Impulse übermittelt, Schmerzempfindung. Grauenhaften Schmerz. Höchste Qual.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Wie viele Kampfschiffe?«
Crees Backenmuskeln spielten unter der Haut. Vulpa ließ sich in seinem Sessel nieder und winkte den Wachen.
»Er soll das Bewusstsein nicht verlieren«, sagte Vulpa kurz. Die anderen Cylonen gingen mit erhobenen Armen auf Cree zu, und der junge Kadett sah sein Spiegelbild auf den Facetten der Rüstungen hundertfach auf sich zukommen.
Starbuck stand abseits, während die anderen die Köpfe zusammensteckten und auf das Ergebnis der Computerauswertung warteten. Er wurde mit dem Tod der beiden Kadetten und der Gefangennahme Crees nicht fertig. Es gelang ihm nicht, die Verantwortung auf den Commander abzuschieben.
Athena riss den Ausdruck aus dem Gerät. »Fünf Spezialisten, drei Mann zur Unterstützung.« Adama nickte.
»In Ordnung.«
»Hier ist die Liste«, sagte Athena.
Adama überflog die Namen und hielt Starbuck das Papier hin. »Das ist das Team, Starbuck. Sie und Boomer holen die Leute. Sie könnten ein bisschen widerspenstig sein. Muntern Sie sie auf, ja?«
Als Starbuck von der Brücke ging, warf er einen Blick auf die Liste. Er blieb plötzlich stehen und fuhr herum.
»Commander, das muss ein Irrtum sein.«
Adama zog die Brauen hoch.
Starbuck trat zu ihm heran und flüsterte: »Das sind - sie sind Verbrecher. Sie sind auf dem Gefängnisschiff.«
Der Commander lächelte schwach, bevor er zurückflüsterte: »Sie haben Vollmacht, sie von dort abzuholen, Lieutenant.«
»Ja, Sir, ich weiß, aber...«
»Sie haben Ihre Befehle.«
»Aye, aye, Sir.«
Starbuck kratzte sich am Hinterkopf und winkte Boomer, ihm zu folgen. Häftlinge?, dachte er. Warum, um alles in Zwölf Welten, liefert der Computer eine Liste von Kriminellen? Er schüttelte den Kopf.
»Was ist los?«, sagte Boomer, als sie durch den Korridor schritten. »Etwas Ernstes?«
»Nein, wir legen die Sicherheit der Flotte nur in die Hände eines Haufens von Mördern und Halsabschneidern aus.«
Boomer machte ein finsteres Gesicht. »Na«, sagte er, »solange es nichts Ernstes ist.«
4. Auf dem Gefängnisschiff
Croft:
In meinem Traum scheine ich mich von meinem Körper zu trennen und emporzuschweben, durch die Decke dieser schäbigen Zelle, durch den Aufbau des Gefängnisschiffes. Eine Zeit schwebe ich über dem Schiff, blicke auf die stumpfgraue Außenhaut, das verbeulte Metall sehe gleichzeitig, so scheint es, die vielen armen Kreaturen, die in den Gitterzellen liegen und sich hin und her wälzen.
Ich kann es nicht mehr ertragen, das Schleppschiff anzustarren, und scheine von einer Luftströmung erfasst zu werden, die sich auf wundersame Weise durch das Vakuum des Weltraums hierher verirrt hat, allein zu dem Zweck, mir die Flucht zu ermöglichen. Flucht, der einzige echte Traum, den ein Gefangener haben kann, gleichgültig, wie er sich tarnen mag. Er kann seinem eigenen Körper entrinnen, wie ich, oder in ein Traum-Schlaraffenland entrinnen.
Ich entgleite in den leeren Raum, lasse die Flotte hinter mir. über die Schulter sehe ich die Schiffe sich in langsam fliegende Insekten verwandeln, die mit der Zeit zu Pünktchen schrumpfen und verschwinden. Die Galactica als größtes der Insekten verschwindet zuletzt. Ich blicke nach vorn und weiß nicht, ob ein guter oder ein Alp-Traum vor mir liegt. Im guten Traum lande ich auf dem Gipfel eines Berges, allein, meine Einsamkeit genießend. Mit voller Ausrüstung, den Eispickel in den Händen, die in dicken Handschuhen stecken, die Steigeisen ins Eis der Gipfelwände stoßend, die Kapuze des Anoraks eng zugezogen, so dass die schroffen Felsen nur in schmaler Sichtbahn zu erkennen sind, einen peitschenden Wind im Gesicht. Und das ist alles, was der gute Traum enthält. Er ist gut, weil ich mich so gut fühle. Ich bin begnadigt, erlöst, ich darf das wieder aufnehmen, was ich als einziges am Leben liebte.
Der Alptraum hat große Ähnlichkeit mit dem guten Traum. Nur bläst mir ein Orkan ins Gesicht, mein Anorak ist zerfetzt, mein Eispickel stürzt davon in die Tiefe, meine Füße gleiten unter mir weg. Und Leda ist da.
Leda ist da und greift nach mir. Ich weiß nicht, ob sie mich retten oder töten will. Und dieses Dilemma ist es, woraus der Alptraum besteht.
Diesmal scheint es der gute Traum zu sein. Oder ist das Leda unter mir, die sich über ein Gesims hochhangelt?
Ich erfahre es nie, denn als ich zu mir komme, hat Jester, der Aufseher mit dem verächtlichen Grinsen, mich wachgerüttelt. Er scheint mir den Kopf am Metallboden zerschmettern zu wollen.
»Hör auf, Jester!«, schreie ich. »Ich bin wach, ich bin wach! Schau dir meine Augen an! Offen, ja? Wach! Offen heißt wach!«
Endlich, widerwillig, hört er auf, mich zu schütteln, und murmelt mit seiner knirschenden Stimme: »Du wirst verlangt.«
»Verlangt?«
»Steh auf. Vom Militär sind zwei da für dich.«
»Sag ihnen, ich empfange nur zur Teezeit Besuch.«
Er zieht mich hoch und stößt mich zur Zellentür hinaus. Als wir zwischen den Gitterwänden den Korridor hinuntergehen, höre ich die verschiedenen Traumlaute der anderen Gefangenen, die in ihren Zellen sind und nicht irgendwo an der Arbeit. Das Stöhnen und Brummen scheint sich zu einem Hass- und Verzweiflungsgesang zu vereinen.
Jester führt mich, was überraschend ist, in einen Besprechungsraum im Verwaltungstrakt. Er ist gut eingerichtet. Polstersessel, schöne Tische, Zierspiegel, schlechte, aber bunte Bilder an der Wand - etwas für Leute, die kein gutes von einem schlechten Bild unterscheiden können.
Auf der anderen Seite des Raumes stehen zwei hochgewachsene Soldaten - einer weiß, der andere schwarz, beide ungemütlich aussehend. Der Schwarze ist offensichtlich intelligent, hat die fragenden Augen, die einem verraten, dass er noch nicht alles gelernt hat und du selber auch nicht. Der Weiße ist ein gutaussehender Bursche, sichtlich etwas für die Ladys, und trotzdem hart durchtrainiert, wie geschaffen für die Ausgehuniform. Kräftig und muskulös, gewiss ein Elitepilot. Aber seine Augen können täuschen. Es heißt, dass er bluffen und andere Bluffs durchschauen kann. Sie haben jeder eine Spur auch vom Hochstapler, vom Narren, vom Helden an sich. Man kann es sich aussuchen. Ich glaube, ich finde sie beide halbwegs sympathisch. Wenn sie nur keine Soldaten wären.
Nun, sie wollen das bequeme Mobiliar offenbar nicht nutzen, aber ich sehe so etwas vielleicht so schnell nicht wieder. Ich setze mich an den Tisch und lege die Beine hoch. Die Herren Offiziere kümmern sich nicht weiter darum, aber Jester stürzt wütend auf mich zu. Bevor er herankommt, winkt der Farbige ab.
Der Weiße beginnt zu sprechen und wendet sich an seinen Begleiter, bezieht sich auf mich in der dritten Person, auf die Bürokratenweise, die ich immer wieder erlebe und verabscheue.
»Croft«, sagte er und liest die Information vom Schirm eines Mini-Computers in seiner Hand ab. »Kommandeur der Schnee-Garnison auf dem Eisplaneten Kalpa. Er und seine Bande überfielen einen cylonischen Vorposten.«
»Ist ja nicht verboten«, meint der andere mit einem Anflug von Ironie.
Kluger Junge.
»Kein militärisches Unternehmen«, sagte der Weiße. »Bewaffneter Raubüberfall. Sie haben eine Platingrube geplündert. Wollten die Beute nicht an die vorgesetzte Stelle abliefern.«
Wie alle anderen behandelt auch dieser Herr unseren Ausflug als Akt der Piraterie. Damals hatten wir nicht dieses Gefühl. Brauchte lange, um genau das richtige Team für mich und Leda zu finden. Neben Wolfe und Thane gab es noch die vier anderen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Ihr Tod hat sie ins Vergessen gerissen.
Und es war kein Spaziergang, sich unbemerkt in den cylonischen Sektor einzuschleichen, die steile Nordwand des Berges über der Cylonen-Garnison und der Platingrube zu erklettern, Haken in zerbröckelnden Fels zu hauen, der sie nicht annehmen wollte, zwei Mann bei der Traversierung des glashart eisigen Hanges zu verlieren, nur weil Thane nicht genügend gesichert hatte. Und dann das Abseilen mitten in der Nacht zum Lager, nachdem wir die Südwand halb hinuntergerutscht waren. Das Seil war gut verankert, aber wir wussten, dass wir ständig in Gefahr schwebten. Vor allem deshalb, weil die Cylonen uns mühelos hätten abschießen können, wenn wir entdeckt worden wären. Aber niemand sah uns. Wir schlichen uns in das Lager, brachten alle cylonischen Soldaten um, verloren dabei wieder zwei Mann von unserem Team. Die übrigen Cylonen, die Arbeiter, ergaben sich, und wir entkamen mit dem ganzen Platin, das wir in dem cylonischen Frachtschiff unterbringen konnten. Mit der Steuerung kannte Wolfe sich so gut aus wie mit der eines Raumjägers. Nach alledem versuchte der arrogante Kommandeur der Kolonialtruppen uns zum Beidrehen zu zwingen (wer waren die Piraten, wir oder sie?) und verlangte die Herausgabe der Beute. Welches Recht hatte er darauf?
»Er hat sich nicht hineingewagt unter die Cylonen, also stand ihm auch nichts zu«, sage ich zu den beiden Männern. »Und wer sind Sie? Ich möchte schon wissen, mit wem ich es zu tun habe.«
Die beiden sehen sich an. »Starbuck«, sagte der Weiße. »Raumjägerpilot. Staffel Blau, Kampfstern Galactica.«
»Boomer. Commander Adamas Einsatzgeschwader.«
Adama, wie? Hätte mir denken können, dass er dahintersteckt. Adama war der hohe Herr, der mir meine Beute abnehmen wollte. Sein spitzes Gesicht mit den eisigen, durchdringenden Augen taucht vor mir auf. Am liebsten möchte ich Starbuck und Boomer auffordern, sich doch schnell ein Schwarzes Loch zu suchen und hineinzuspringen, aber ich beschließe, abzuwarten, um zu erfahren, was sie wollen. Alles ist besser als die Zelle.
»Was gibt es denn?« frage ich.
»Das werden Sie noch früh genug erfahren«, sagt Starbuck und zeigt auf die Tür. Ich schaue hinüber. Da steht auf einmal Wolfe und füllt fast den ganzen Türrahmen aus. Na, jedenfalls die untere Hälfte: Wolfe ist nicht sehr groß, aber das spielt keine Rolle, so, wie sein Körper mit dem niedrigen Schwerpunkt und den muskulösen breiten Schultern gebaut ist. Seine Haare sind so zottig wie immer. Wolfe und Kämme sind unversöhnliche Feinde, und seine tiefliegenden Augen funkeln in gewohnter Wut, vielleicht auch deshalb, weil ich so bequem sitze.
Ein Bewacher stößt ihn in den Raum, und die Ketten, die bei einem bullenhaften Aufrührer von Wolfes Schlag unentbehrlich sind, klirren auf dem Metallboden. Wolfe sieht den Aufseher an, als möchte er ihn in Stücke reißen, wenn nur die Ketten nicht wären.
»Der Computer weiß ja wirklich, was er da tut«, murmelt Starbuck. Er blickt auf den Minicomputer. »Wolfe. Bergsteiger. Muskelmann. Schnee-Garnison. Ein-Mann-Kampfgruppe.«
Wolfe sagt nichts und sieht sich nur dumpf um. Sein ganzes Gesicht sieht zerschlagen aus. Seine Bewacher wenden, wie man sehen kann, rein psychologische Methoden n. Ich will eine spöttische Bemerkung machen, aber meine Aufmerksamkeit wird wieder auf die Tür gelenkt. Ich weiß, dass Thane kommt, noch, bevor er auftaucht. Tatsächlich gleitet sein schlanker Schneeleopardenkörper in den Raum, als hätte er keinen Bewacher bei sich. Mir läuft es kalt über den Rücken. Bei Thane geht es mir immer so. Seine farblosen Augen erinnern mich an Eis oder an den dünnen, gefrorenen, lebensgefährlichen Überzug auf Fels. Sein Haar ist kurzgeschnitten, elfenbeinfarben, kaum wahrzunehmen auf der weißen Kopfhaut und bei der Gefängnisblässe. Ich frage mich, ob er mich immer noch hasst.
»Thane«, sagt Starbuck mit einem Blick auf den Mini-Schirm. »Sprengstoffexperte und Spezialist für Fremdumwelt.«
Thane tritt vor: Seine Stimme entspricht seinen Bewegungen - sanft, scheinbar harmlos.
»Wenn Leute von mir reden, sehe ich gern ihre Augen.«
Starbuck hebt den Kopf. Den Blicktausch zwischen den beiden zu interpretieren ist eine Sache für Fachleute.
»Ich arbeite mit Atemgerät«, sagt Thane halblaut. »Seltene Gase, chemische Mixturen. Ich kann Sie durch Land, Luft, Feuer und Wasser führen.«
»Hier steht, Sie sitzen wegen Mordes«, sagt Starbuck.
»Das auch«, erwidert Thane mit rätselhaftem Lächeln.
Mord. Das hatte ich vergessen. Nach unserer Gefangennahme war Thane auf die Offiziere losgegangen. Vier davon gingen zu Boden. Zwei standen nie mehr auf. Ich hätte mich nicht wundern sollen. Vor unserer Begegnung hatte man sich so manches von Thane erzählt.
Ich starrte Wolfe und Thane an. Ich überlege mir, was ich sagen soll, als eine Stimme von der Tür her mich fast vom Sitz reißt.
»Hallo, Croft, du lausiges Insekt.«
Ich will nicht hinsehen. Ich hätte wohl damit rechnen sollen, dass Leda dabei sein würde. Ich will nicht hinsehen. Ich sehe hin.
Was ich sehe, erstaunt mich nicht. Nicht einmal das Gefängnis kann sie niederdrücken. Sie sieht immer noch überwältigend gut aus. Groß und mit starken Knochen, eine Spur größer sogar als ich. Sie hat sich die Haare kurzgeschnitten, wenn auch nicht so kurz wie Thane - die rötliche Farbe betont ihre Luchsaugen immer noch. Ihre hohen Backenknochen verleihen ihr ein etwas fremdartiges Aussehen. Sie hasst mich. Ich möchte sie in die Arme nehmen und anflehen, mich wieder zu lieben.
Es ist schwer, sich zu erinnern, wann es gut für uns war. Wir kannten uns so lange, vor dem Überfall auf die Platingrube, vor Kalpa - auf unserer gemeinsamen Heimatwelt Scorpia. Nach dem Überfall gab sie mir die Schuld am Tod der vier Männer und Frauen, aber der Bruch zwischen uns lag weiter zurück. Die letzte glückliche Zeit war eine Klettertour auf Caprica gewesen. Wir hatten beide verlängerten Urlaub nach Verwundungen bei Einsätzen und bestiegen diese Berge allein, nahmen nicht einmal Sprechgeräte mit. Wir hätten leicht ums Leben kommen können, in einer Lawine, in einer Gletscherspalte. Aber wir überlebten unser Abenteuer nicht nur, wir besiegten fünf Gipfel; darunter war eine Erstbesteigung.
Was uns danach auseinandertrieb, war eine Reihe von kleinen Rätselhaftigkeiten. Ein Streit um taktische Fragen führte zu einem kleinen Sprung, ein häuslicher Disput verstärkte ihn. Immer neue Differenzen, Unzufriedenheiten, der Sprung wurde zum Spalt, zum Riss, zur Kluft, die uns für immer trennte. Jetzt schienen wir von der Moränenlandschaft unseres zerstörten Lebens umgeben zu sein. Ich treibe den Vergleich zu weit. Leda würde sagen, ich treibe alles zu weit.
»Sie sieht so aus, als könnte sie es mit uns allen aufnehmen«, flüsterte Boomer Starbuck zu, von Leda offenkundig beeindruckt. »Mit oder ohne Ketten.«
»Leda«, sagt Starbuck, seinen Computer zu Rate ziehend. »Medizinerin. Expertin für Laserwunden. Und - Arktiserfahrung. Sie...«
»Wie lautet der Auftrag?«, unterbricht ihn Leda scharf.
»Commander Adama wird Sie unterrichten«, sagt Boomer.
Leda richtet den Blick auf mich.
»Adama, wie? Bist du mit dem jetzt befreundet, Croft?«
Ich lache. »Ganz eng. Wir hängen aneinander wie ein Karabiner am Haken.«
Leda verzieht spöttisch den Mund, dann wendet sie sich an die beiden Lieutenants.
»Croft und mich zusammenzuspannen, kann zu einer Katastrophe führen. Ich schlage vor, dass Sie mich in meine Zelle zurückbringen lassen. Bei dem Dreck dort fühle ich mich wohler als bei Croft.« Starbuck lächelt. Was freut ihn bloß so?
»Ich nehme an, Sie mögen ihn nicht«, sagt er zu Leda.
Leda lächelt, dass man ihre ebenmäßigen Zähne sieht.
»Ich bin mit ihm verheiratet«, sagt sie. Das Lächeln verschwindet so schnell, wie es gekommen ist, und sie sagt leiser: »Nein, ich mag ihn nicht.«
»Hallo, Leda«, sage ich. »Du bist immer noch hübscher als...«
»Halt den Mund, Croft!«, sagt sie laut. »Ich will von deinem Mist nichts mehr hören. Wir alle nicht.«
Boomer sieht uns der Reihe nach an und murmelt: »Gemütlicher kleiner Verein. Das ist ein Auftrag, von dem ich weiß, dass du dich nicht freiwillig dazu meldest, Starbuck.« Ich kann Boomer verstehen.
»Nehmen wir diese... Herren und die Dame mit, Boomer«, sagt Starbuck, klappt seinen Minicomputer zusammen und steckt ihn in die Tasche.
Boomer wirkt sorgenvoll, als er Leda und Wolfe die Ketten abnehmen lässt und uns alle hinausführt. Der Sessel wird mir fehlen.
5. Zwischenspiel
Apollo konnte den Stillstand der Galactica beinahe fühlen, so, als habe der Kampfstern schlagartig angehalten, statt aus der Reichweite der Laserkanone davonzuschweben.
Er klopfte an Adamas Kabinentür. Der Commander drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch. Die Tür glitt zur Seite.
»Komm rein, Apollo. Du siehst bedrückt aus.«
»Nicht bedrückt. Nur zornig.«
Adamas Augen verengten sich. Er verlor sein Lächeln.
»Also?«, sagte er zu seinem Sohn.
»Die Computersuche nach den Mitgliedern des Landetrupps war beeinflusst. Gesteuert.«
»Das ist eine schwerwiegende Behauptung«, antwortete Adama ruhig.
»Ich bin mir klar darüber«, sagte Apollo unbeirrt, »sie ist wirklich schwerwiegend.« Er mühte sich um Beherrschung. »Du willst doch nicht, dass ich gehe, oder?«
Adama drehte sich mit dem Sessel herum und warf Apollo einen vernichtenden Blick zu.
»Du glaubst, ich würde ein Familienmitglied schonen?«
Apollo bemerkte, dass das Aufzeichnungsgerät über dem Schreibtisch in Betrieb war, schon seit er die Anschuldigung erhoben hatte.
»Ich behaupte, dass die Auswahl gesteuert war, sonst wäre ich bestimmt worden«, sagte er entschlossen. »Ich bin in Überlebenstechniken versiert. Ich besitze alle anderen Qualifikationen...«
»Aber mit Tieftemperaturen hast du keine Erfahrung«, sagte Adama.
»Die hat keiner von unseren Leuten.«
Wenn der Computer dich übergangen hat, dann gab es Gründe dafür.« Adama drehte den Sessel wieder herum.
»Und ich kenne den Grund genau. Du bist der einzige, der entscheidet, wer entbehrt werden kann und wer nicht. Und laut Colonel Tigh bin ich nicht entbehrlich.« Adama seufzte.
»Du bist der kampferfahrenste Offizier, den wir haben. Es ist unabdingbar, dass wir...«
»Bist du sicher, dass deine Gefühle dein objektives Urteil nicht trüben?«
Adama starrte auf die Schreibtischplatte.
»Glaubst du, ich verstehe dich nicht?«, sagte Apollo leise. »Du hast so viele Angehörige verloren. Zac. Mutter...«
Sie schwiegen beide. Adama rieb sich die Augen, als wolle er Erinnerungen verscheuchen.
»Verlange nicht...« sagte er stockend, »ich - werde kein neues Suchprogramm eingeben.«
»Das brauchst du nicht. Lass einen Mann mehr mitgehen.«
»Apollo, ich...«
»Wenn ich der kampferfahrenste Offizier bin, wie du sagst, dann muss ich mit. Du weißt, dass es um alles geht. Wenn das Unternehmen scheitert, sind wir alle zum Tod verurteilt.«
Sie starrten einander lange Zeit an, dann senkte Adama den Kopf.
»Gib Colonel Tigh Bescheid, dass ich das anordne«, sagte er und drehte sich mit dem Sessel herum. Apollo berührte kurz seine Hand und erwiderte den kalten Blick mit einem von Zuneigung erfüllten. Für einen Moment wurde Adamas Miene weich. Apollo nickte und verließ die Kabine.
Athena, die sich gegen Apollos Plan ausgesprochen hatte, wurde zornig, als sie die neue Liste mit dem Namen ihres Bruders aus dem Drucker zog. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, zu ihrem Vater zu gehen. Und ihre Absicht, sich an Ledas Stelle zu setzen, war ebenfalls durchkreuzt.
Starbuck stand plötzlich vor ihr. »Ist das die neue Einsatzliste?«, fragte er.
»Ja. Apollo ist dabei. Ich wollte mit, aber die Computer haben sich für diese... diese Leda entschieden. Eine Strafgefangene!«
»Ich sage das ungern, aber sie sind alle Knastbrüder. Sei froh, dass du nicht auf der Liste stehst. Ich kann nur beten, dass Apollo gesund zurückkommt. Sieht mir sehr nach einem Himmelfahrtskommando aus. Nur gut, dass Boomer und ich nicht dabei sind.« Er sah sie lauernd an. Sein Trick hatte, wie gewohnt, Erfolg.
»Starbuck«, flüsterte Athena zornig. »Das kann ich bei dir einfach nicht begreifen. Zuerst willst du mit deiner Staffel ein Selbstmordunternehmen starten, dann freust du dich kindlich darüber, dass dich der Computer nicht ausgewählt hat. Diese Menschen haben eine Chance, die ganze Flotte zu retten. Ich würde wer-weiß-was dafür geben...«
»Gut für die Menschen. Gut für sie, und ich wünsche ihnen alles Gute. Ich persönlich habe eine sehr gefährliche Kartenrunde vor mir. Gib mir den Ausdruck. Ich bringe ihn zum Commander.« Sie sah ihn verwirrt an. Was hatte er nun vor?
»Ich muss ohnehin zur Besprechung«, sagte er drängend. »Ich bin für die Herren Knastbrüder verantwortlich, bis sie den Auftrag annehmen.«
Sie zögerte. Er lächelte sie an, und sie gab ihm die Liste.
»Bleib bei der Besprechung, solange es geht. Vielleicht färbt vom Mut der anderen etwas ab.«
Eine billige Stichelei, sie wusste es, einem Mann gegenüber, der sich schon so oft bewährt hatte.
Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte sie, als sie ihm nachsah. Ich hätte ihn nicht aufbringen sollen. Jetzt sind wir wieder im Streit. Wann werde ich endlich schlauer?
6. Kein Weg zurück
Croft:
Dieser lausige Kerl von Commander erkennt mich nicht einmal. Ich erinnere ihn zornig. Selbst dann sieht er mich verständnislos an. Er sagt dann, ja, er entsinne sich, aber man sieht, dass das nicht der Fall ist. Es war nur ein flüchtiger Augenblick in seinem miserablen Leben, eine Pflichtübung. Ich habe mir seit unserer Gefangennahme jede Einzelheit seines Gesichts eingeprägt, und trotzdem ist deutlich, dass er mich nicht von einem Klumpen Daggit-Fleisch unterscheiden kann. Ich hasse ihn mehr denn je.
»Hegen Sie mir gegenüber Gefühle, die Ihre Leistung bei dem bevorstehenden Unternehmen beeinträchtigen könnten?«, fragt er.
Ich begreife. Das ist meine Chance. Ich kann meiner Verachtung Ausdruck geben und davonkommen, brauche nicht für einen Mann zu tun, den ich lieber töten möchte. Aber aus dem Team auszuscheiden bedeutet Rückkehr ins Gefängnisschiff, in die Zelle, bedeutet, wieder vergessen zu werden, vielleicht diesmal für immer. Ich will nicht zurück in die Zelle. Ich würde alles tun, um ihr zu entgehen. Sogar Adama als langvermissten Freund umarmen.
»Meine Gefühle beeinträchtigen meine Leistung nie«, sage ich.
»Das ist wirklich wahr«, meint Leda und lacht. Das Gelächter hallt von den Wänden der Kommandobrücke wider.
Adama kneift die funkelnden, beinahe grausamen Augen zusammen und starrt tief in die meinen.
»Wie kommt es, dass ein Mann von Ihren Fähigkeiten immer noch im Gefängnis sitzt?«, fragt er plötzlich.
»Das müssten Sie doch wissen. Sie haben mich hineingesteckt.«
»Das meine ich nicht. Nachdem das Gefängnisschiff vom Haftstützpunkt auf Sagittaria entkommen konnte, wurde allen Gefangenen Gelegenheit geboten, sich zu bewähren. Wir brauchen Leute zu dringend, als dass wir alte Sünden nicht übersehen könnten. Nur die Unverbesserlichen wurden festgehalten.«
Ich blicke unwillkürlich zu Wolfe hinüber. Ob ihm die Gelegenheit auch geboten worden ist? Er hätte sie wohl ergriffen, also kann es nicht dazu gekommen sein.
Ich antworte mit einem Achselzucken.
»Im Grunde bin ich wohl Romantiker«, füge ich an. Er zieht die Brauen hoch.
»Was soll das heißen?«
»Ich weiß es nicht. Die Bewährung bestand doch darin, Landedecks zu schrubben und die Gummibänder zu flicken, mit denen diese armselige Flotte betrieben wird. Müllbeseitigung.«
»Mir scheint das weniger Romantik als Stolz gewesen zu sein.«
»Über den Stolz können wir uns ja einmal unterhalten. Sir.«
Adama wird sachlicher und unterrichtet mich über die Einzelheiten des Unternehmens. Es ist gleichzeitig einfach und kompliziert. Die Geschützstellung umfasst nahezu den ganzen Gipfel, ihrer Größe wegen. Es gibt eine kleine Stelle, wo man ein Schiff landen kann, mehr nicht. Nichts außer einem schroffen Berg, der mehr Todesfallen zu bergen scheint als die meisten. In den Vorbergen befindet sich ein großes Lager, offenbar eine vollständige Cylonen-Garnison, daneben ein großes Flugfeld, auf dem den Fernpeilungen zufolge mehrere cylonische Kriegsschiffe stehen. Wunderbar. Nicht viel anders als bei dem Platin-Beutezug. Wenn sie uns am Berg entdecken, dienen wir ihnen als Schießscheiben.
»Und da sollen wir hinauf?«, frage ich Adama.
»So hoch ist das nicht«, wirft Captain Apollo ein. Wer ist der Bursche überhaupt? Macht sich hier wichtig.
»Das zeigt, wieviel Sie vom Bergsteigen verstehen. Seien Sie froh, dass Sie nicht hinaufklettern müssen.«
Apollos Gesicht färbt sich rot. Er versucht, seine Wut zu zügeln.
»Ich gehöre zum Team«, sagt er.
»Gott bewahre«, sage ich. »Hören Sie, wenn Sie das Unternehmen von vornherein sabotieren wollen, Commander, brauchen Sie mir nur einen ahnungslosen Amateur mitzugeben, der keinen Kletterhaken kennt und...«
»Mein Sohn wird dabei sein«, sagt Adama ruhig. Sein Sohn! Großartig. Ich muss seinen Sohn mitschleppen, mir das Kreuz brechen, um ihn überhänge hochzustemmen, muss ihn über Grate hieven, werde vielleicht in einer Schlucht landen, wenn er einen Fehler macht. Wird ja alles gut gehen.
»Ich habe bergsteigerische Erfahrung«, erklärt Apollo, so, als sei damit alles klar.
»Wirklich? Wie können Sie dann so dumm daherreden? Sehen Sie sich den Berg einmal genau an. Nicht so hoch, sagen Sie? Hören Sie, Höhe ist überhaupt kein Maßstab für die Schwierigkeit, wenn Sie einen Berg angehen, schon gar nicht, wenn ihn keiner kennt. Haben Sie schon mal vom Mount Cyimklen gehört, Captain Apollo?«
Apollo macht den Eindruck, als wolle er mit mir nicht über Berge diskutieren, aber er antwortet trotzdem: »Natürlich. Auf meinem Heimatplaneten Caprica.«
»Nun, Mount Cyimklen ist der zweithöchste Berg auf Ihrer Heimatwelt, und Sie sind sicher schon hinaufgeklettert, nicht?«
»Allerdings.«
»Hat jeder gemacht. Nichts dabei. Schafft sogar ein Sechsjähriger. Trotz der Höhe besteht der Berg aus leichten Hängen, gut ausgetretenen Steigen, praktischen Stufen im Fels. Früher mag er eine Herausforderung gewesen sein, weil er so hoch ist, aber das liegt tausend Yahre zurück. Eine andere Frage. Kennen Sie den Mount Pannurana?«
»Hm i.a...«
»Und ich wette meine Essenmarken, dass Sie nie hinaufgestiegen sind.«
»Ich habe es versucht. Einmal.«
»Der Pannurana ist nur gut halb so hoch wie der Cyimklen. Und der Gipfel ist bis jetzt fünfmal erstiegen worden. Zweimal von mir. Und warum? Weil das eine Mausefalle von Berg ist. Kaum irgendwo feste Griffe, Eis wie Flachglas, ein Gipfel, der auf allen Seiten senkrecht und glatt emporragt, die Luft so dünn wie Ihr Verstand, Captain. Auf dem Pannurana sind mehr Leute umgekommen als auf sämtlichen höheren Bergen ringsum. Erzählen Sie mir also nichts von niedrig oder hoch, ja?«
Apollo sieht ziemlich verlegen drein. Wenn er Vernunft annimmt, ist er vielleicht zu gebrauchen. Der Berg gefällt mir nämlich gar nicht.
»Okay«, sage ich. »Dass wir uns verstehen. Es ist keine leichte Klettertour, kein Ausflug in frischer Luft für Spaziergänger. Wenn wir einmal außer Acht lassen wollen, dass wir im Nu ausgelöscht sind, wenn die Heimköpfe uns entdecken, sehe ich keine einzige brauchbare Route auf den Gipfel, jedenfalls nicht nach den Aufnahmen hier. Nord- und Westwand scheiden aus, da ist unter den vorherrschenden Bedingungen überhaupt nichts zu machen. Ost- und Südseite sehen besser aus, aber die Vergletscherung unter dem Gipfel gefällt mir nicht. Südost scheint am besten zu sein, aber noch lange nicht gut. Wenn wir davon ausgehen, dass Sie uns nicht genügend Zeit lassen wollen, den Berg genau zu studieren, damit wir...«
»Wir haben keine Zeit, Croft«, sagt Adama. »Ich weiß, Sie brauchen sie eigentlich, aber wenn die Cylonen uns zwischen Hauptverband und Laserkanone einklemmen, sind wir erledigt.«
»Das ist mir klar, Commander, aber erfreut bin ich nicht gerade. Eine Besteigung muss gut vorbereitet sein. Hier könnten wir ebenso gut mit geschlossenen Augen hinaufklettern. Nachdem wir unsere Pensionszahlungen der Gemeinschaft überschrieben haben, versteht sich. Sind Sie sicher, dass es keine Alternativen gibt?«
»Weiche meinen Sie?«
»Direkte Angriffe mit Kampfmaschinen scheiden wohl aus.«
Er nickt.
»Wie wäre es mit einem Weg im Innern des Berges? Ich habe noch keine cylonische Einrichtung ohne unterirdische Zugänge gesehen. Die Kerle sind ganz verrückt nach Tunnels. Ich wette, dass es im Berg Tunnels gibt, wenn nicht sogar Aufzüge.«
Adama starrt mich kurz an.
»Mag sein, aber wir können es nicht in Erfahrung bringen. Unsere Nahabtastversuche sind alle gestört worden. Ich gebe zu, man sollte einen solchen Weg benützen, wenn es ihn gibt. Zunächst müssen wir aber leider davon ausgehen, dass nur der Weg am Berg hinauf zu der Kanone führt.«
Er ist wenigstens fair, das muss ich ihm lassen. Ich hätte lieber ihn dabei als seinen übereifrigen, unerfahrenen Sohn. Ich hasse ihn zwar, aber ich könnte mich wenigstens auf ihn verlassen.
»Ich akzeptiere Ihre Einschätzung der Lage, Commander. Wir sollten nach allen Seiten hin offen bleiben, aber wenn es nicht anders geht, dann klettern wir.«
Adama scheint zufrieden zu sein. Ich habe nichts dagegen. Wenn wir das Ding wirklich drehen, kann ich auf die Galactica zurückkommen und ihren Commander erdrosseln. Schier unüberwindliche Hindernisse sind leichter zu bewältigen, wenn man ein lohnendes Ziel vor Augen hat.
Adama macht uns mit der Ausrüstung vertraut. Sie haben das meiste von dem, was wir brauchen. Sogar ein paar Kletterhaken mit Molekularbindung. Ich mag Spezialausrüstung eigentlich nicht - zu viele zweitklassige Kletterer schaffen es mehr mit Technik als mit Können - aber bei so vielen Unbekannten ist ein MB-Haken sehr nützlich. Wenn der Fels fest ist, kann man ihn einfach hineinschieben, und er hält. Damit können wir erstens den Aufstieg verkürzen, weil die Haken nicht mühsam hineingeschlagen werden müssen, und zweitens können die Cylonen die Hammerschläge nicht hören. Unsere Seile sind auch eine Sonderanfertigung. Aus Aquarius-Hanf, mit veränderbarer Zugkraft. Wenn du extrem dehnbares Seil brauchst, verdrehst du das Ende nach links, und es wird biegsam wie eine Schlange. Wenn es starr und gerade sein soll, drehst du nach rechts, und es wird so steif wie eine Stahltrosse.
Adama schließt die Unterweisung ab und macht uns Rattenvolk mit den ehrlichen Leuten bekannt, die mitgehen.
»Die Fähre führt eine Schneekatze mit, Widder-Klasse mit Laserwaffen. Sergeant Haals ist der Geschützoffizier.«
Haals nickt. Er ist ein eisenhart aussehender Kerl. Möchte mich mit dem nicht einlassen.
»Vickers gehört zu einer Geschützbesatzung, die den Rückzug von Caprica gedeckt hat.«
Vickers macht den Eindruck, als hielte er viel von sich selbst. Ausgesprochener Heldentyp. Ein Wagehals wie Apollo. Na, offenbar kann er wenigstens schießen. Das ist schon etwas.
»Sie werden einen Lasertechniker brauchen. Voight ist Leiter der Waffeninstandsetzung.«
Voight ist einer, der nicht lange herumredet, das sieht man. Schmallippig, aber zuverlässig. Vielleicht kein guter Boxer, aber das braucht man nicht zu sein, wenn man von Laserwaffen alles versteht.
»Das ist Ihr Team, Commander Croft.«
Ich traue meinen Ohren nicht. »Commander? Ich bekomme meinen alten Rang wieder?«
»Zeitweilig«, erwidert Adama nach einer langen Pause. »Die endgültige Wiedereinsetzung hängt vom Ausgang des Unternehmens ab.«
Auch gut.
»Auf der einen Seite Wiedereinsetzung, auf der anderen Tod«, sage ich.
Thane und Wolfe funkeln mich böse an. Ich merke, dass es ihnen nicht passt, mir unterstellt zu sein. Sie haben sich nie gerne etwas sagen lassen. Leda wirkt neutral.
»Croft«, sagt Adama, »Sie und Ihre Mithäftlinge unterscheiden sich kaum von uns. Wir sitzen alle in einem Gefängnis, das die Cylonen errichtet haben.«
Wolfe lacht sarkastisch. »Ja, Commander, unsere Ketten sind alle ziemlich gleich.« Es bleibt eine Weile still.
»Habe ich das uneingeschränkte Kommando?«, frage ich.
Wenn das Ganze einen Sinn haben soll, muss es so sein.
»Für den Sprengtrupp - ja. Für die Expedition - nein.« Ich wusste, dass das Ganze keinen Sinn hat.
»Die Gesamtleitung hat Captain Apollo, die anderen Krieger unterstehen unmittelbar ihm.«
Ich gebe es auf. Absurder geht es nicht.
Adama sieht sich seine Liste noch einmal an. Was hat er noch an Überraschungen zu bieten?
»Unterstützt wird Ihr Team von zweien meiner besten Leute, den Lieutenants Starbuck und Boomer.«
Na, das ist erträglich. Auf einen Mann wie Boomer kann man sich verlassen, und Starbuck macht einen guten Eindruck. Apollo starrt seinen Vater entgeistert an.
»Starbuck und Boomer?«, wiederholt er.
Starbuck lächelt und grinst Boomer an, der ein bisschen verwirrt erscheint.
Ich schiebe mich ein wenig näher an die beiden heran, um zu hören, was sie einander so zu sagen haben.
»Wir haben durch Fernradar die Annäherung von cylonischen Basisschiffen festgestellt«, sagt Adama. »Sie werden uns in acht- bis neunhundert Centons erreichen. Ob Sie die Pulsarwaffe zerstört haben oder nicht, die Flotte setzt sich in genau siebenhundert Centons in Bewegung.« Er sieht uns alle grimmig an. »Viel Glück. Für uns alle.«
Weder Boomer noch Starbuck bemerken mich.
»Du meinst den Einsatz in der Eisstation Aeria?«, flüstert Boomer. »Da waren wir doch nie.«
»Computer lügen nicht«, gibt Starbuck zurück.
Boome r schüttelt betroffen den Kopf.
Ich überlege mir, ob ich verlauten lassen soll, dass Starbuck etwas gedreht hat, verzichte aber darauf. Es kann nicht schaden, ihn und seinen Freund dabeizuhaben.
Der jugendliche Captain kommt heran und flüstert Starbuck zu: »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, Starbuck, aber Sie gehören nicht zu diesem Team.«
Starbuck richtete sich auf und sieht ihn an. »Dann sind wir ja zu zweit, Captain.«
»Computermanipulation ist strafbar«, sagt Apollo.
»Das kann ich mir vorstellen«, gibt Starbuck zurück.
Mich wundert, dass Apollo so breit grinst. Er scheint also auch froh darüber zu sein, Starbuck dabeizuhaben. Wenigstens ein vernünftiger Zug.
Ich würde mich wohler fühlen, wenn Leda, Wolfe und Thane mich nicht so feindselig anstarrten.
Aus den Tagebüchern von Commander Adama:
Wenn ich besonders frustriert bin, glaube ich immer, dass die Menschen sich nie miteinander verständigen können. Bestenfalls kommt es zu einem Austausch von Wörtern, dem man die Illusion unterlegt, man verstehe den jeweiligen anderen. In besonders bedrückter Stimmung glaube ich sogar, dass man sich einander nicht einmal mitteilen kann, von Verstehen ganz zu schweigen. Zu vieles steht dazwischen.
Im militärischen Leben habe ich oft die Rangunterschiede als besondere Hindernisse empfunden, wenn es darum ging, offen zu sprechen. An Bord der Galactica habe ich klarzustellen versucht, dass der Commander allen Meinungen offensteht. Aber ich bleibe der Chef, und das stört, selbst wenn ich mit offenen Leuten wie Tigh oder Starbuck zu tun habe. Sogar Apollo und Athena erlegen sich zumindest auf der Brücke Zurückhaltung auf. Allenfalls unter vier Augen reden sie ohne Vorbehalte. Im Übrigen scheint das Förmliche zwischen Commander und Stab nicht überwindbar zu sein. Das hat mit Disziplin nur nebenbei zu tun. Die Brücke zu echtem Verständnis ist da, aber sie wird nicht betreten.
Ich habe das Thema bei Tigh angeschnitten. Er lächelte nur und meinte, es ginge alles seinen Gang.
7. Ein Abschied
Boxey konnte Muffit das Männchenmachen nicht beibringen. Der Daggit gab sich alle Mühe, aber er war zu schwergewichtig für solche Übungen. Boxey blickte zur Tür. Apollo stand dort. Er trug einen Schneeanorak.
Als ihre Blicke einander begegneten, lächelte er.
»Du hast ihn gut dressiert«, sagte Apollo.
»Muffit ist sehr intelligent. Für einen Daggit.« Manchmal dachte Boxey an den ersten Muffit, zu Hause auf Caprica. Er war nicht immer sicher, ob ihm Muffit Zwei so gut gefiel wie sein Vorgänger. Der erste Muffit war liebevoller gewesen, vor allem, wenn er ihm mit der feuchten Zunge über das Gesicht gefahren war. Die Zunge von Muffit Zwei war rau und trocken, und er hatte ihm befehlen müssen, ihn nicht abzulecken.
»Boxey, ich muss für eine Weile fort«, sagte Apollo und ging in die Hocke, um mit dem Kind zu sprechen.
Das gefiel Boxey nun gar nicht.
»Wir wollen nicht, dass du weggehst«, sagte er.
»Es wird nicht lange dauern, das verspreche ich.«
Boxey begriff, dass es eine geheimnisvolle Macht gab, die Erwachsene dazu trieb, Entscheidungen zu fällen, die sie oder andere nicht schätzten. Er wusste nicht, ob diese Macht der Gott war, zu dem er jeden Abend betete, oder ob Erwachsene einfach Regeln gehorchten, wie sie Kindern auch auferlegt wurden.
»Wohin gehst du?«, fragte Boxey.
»Auf den Eisplaneten hinunter. Mit Starbuck und Boomer.« Boxey runzelte die Stirn.
»Eisplanet!«, rief er. »Können Muffit und ich auch mitkommen? Wir haben noch nie echten Schnee gesehen.«
»Diesmal noch nicht. Es ist ein Spezialauftrag, weißt du. Um der Galactica zu helfen.«
»Aber ich bin doch ein Krieger.«
Apollo lächelte und quetschte Boxeys Schulter.
»Ich weiß«, sagte er, »und da muss man gehorchen, ja?«
»Ja, Sir«, sagte Boxey dumpf.
»Gut. Deine Befehle sind klar. Brav essen und ins Bett gehen, wenn es Zeit ist, und...«
»Meine Gebete sprechen.«
»Ja, auch das.«
Apollo rief Muffit heran. Der Robot-Hund streckte ihm eine Pfote mit Metallklauen hin. Der Captain griff danach, dann umarmte er Boxey und verließ rasch den Raum.
Boxey starrte eine Weile auf die Tür, dann sagte er laut: »Weißt du noch, als Papa uns die Fährrakete gezeigt hat, Muffy?«
Die Sensoren im Daggit erkannten den fragenden Ton. Muffit nickte.
»Na, erinnerst du dich auch an die Luke, die als Notausgang dient?«
Der Daggit nickte erneut. Da die Stimme des Jungen einen Verschwörerton angenommen hatte, hielten die Sensoren ein zusätzliches leises Knurren für angemessen. Muffit knurrte leise.
»Na, weißt du noch, wie er uns erzählt hat, dass er einmal einen Trupp gerettet hat, der in der Falle saß, indem er den Notausgang als Eingang benützte?«
Der Robot-Hund nickte noch einmal.
»Weißt du, ich kann auch auf dem Eisplaneten essen und meine Gebete sprechen. Komm, wir suchen die Luke.«
Muffit reagierte auf die Sensorübertragung und bellte eifrig.
8. Startvorbereitungen
Croft:
Es ist unvermeidlich. In einem Raumschiff sind alle in den letzten Augenblicken vor dem Start ein bisschen nervös. Diese Fähre macht keine Ausnahme. Wolfe schiebt die Beine hin und her, als hingen noch Ketten daran. Leda spielt mit einer Atemmaske und untersucht die Bänder, als käme sie nie damit zurecht. Thane sitzt hoch aufgerichtet und regungslos da. Er sieht ruhig aus. Aber so steif wird Thane nur, wenn er eine Sprengung auslöst oder selbst explodieren will.
Die Fähre ist mit Ausrüstung so vollgestopft, dass man sich kaum umdrehen kann. Ich weiß nicht, was Adama sich dabei denkt, soviel Zeug mitzuschicken. Wir werden die Hälfte nicht brauchen können. Ich habe ihm erklärt, dass nur leichtes Gepäck von Sinn ist, und er nickte, als hätte er begriffen. Leute wie der nicken immer und tun dann, was im Handbuch steht.
Die Herren Geschützoffiziere, die unten im Frachtraum die Schneekatze überprüft haben, stolpern wie Betrunkene herein. Vickers stolpert über Thanes Beine und prallt gegen Wolfes Brust. Thane faucht ihn an, während Wolfe ihn wegstößt: »Pass doch auf, wo du hintrittst.« Vickers richtet sich auf und knurrt: »Zieh die Beine ein.«
Thane starrt ihn verächtlich an und rührt sich nicht. Sergeant Haals stürzt herein, den Arm voller Waffen. »Den Weg freimachen«, sagt Haals.
»Denk gar nicht dran«, gibt Thane zurück.
»Aus dem Weg«, sagt Haals. Er gibt Voight die Waffen und packt Thane am Schultergurt. Ich überlege, ob ich eingreifen soll und lasse es sein. Sollen Sie sich abreagieren. Später müssen wir zusammenarbeiten.
»Hände weg«, sagt Thane leise.
»Hör mal, du Knastbruder«, sagt Vickers, »Wenn dich der Sergeant da weghaben will, dann beeilst du dich, ja?«
Ich wusste, dass Vickers Ärger machen wird. Ich muss mich doch einmischen. Wolfe ist schon aufgesprungen, um Thane beizustehen.
»Knastbruder?«, wiederholt Wolfe erbost.
»Zellenlaus wäre vielleicht besser«, sagt Vickers, dieser Narr.
Wolfe hämmert Vickers an die nächstbeste Wand. Einen Augenblick lang sieht es so aus, als breche der Kanonier durch die Metallwand. Während ich Wolfe aufhalten will, übersehe ich, dass Thane in die Brusttasche greift. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er eine kleine Kapsel zwischen den Fingern hält. Hätte ich mir denken können. Thane findet immer etwas Chemikalisches, wo er auch sein mag. Er bricht die Ampulle unter Vickers Nase auseinander. Vickers Kopf schnellt zurück, sein Körper erschlafft. Glasigen Blicks sinkt er zu Boden. Leda packt Thanes Hand, als er die Ampulle noch näher an Vickers Gesicht führen will. Noch eine Dosis, und der Kanonier wäre tot.
»Du Narr!«, zischt Leda. »Unsere einzige Chance, zu entkommen, ergibt sich auf der Oberfläche.« Das hat sie also vor. Und sie sieht mich an, als wäre ich mit dem Plan einverstanden. »Sollen wir wieder ins Gefängnis kommen?«, zischelt sie.
»Auf mir tritt keiner rum«, sagt Thane und kramt in seiner Hemdtasche, als hätte er noch eine Killerkapsel dabei.
Ich will ihn zur Rede stellen, aber hinter mir geht es los. Ich drehe mich um und sehe Wolfe sich mit Haals prügeln. Sie haben keinen Platz, um richtig auszuholen.
Die drei Offiziere vom Kampfstern stürzen herein. »Haals! Wolfe!«, schreit Apollo. »Sofort aufhören!«
Ich beschließe, ihn zu unterstützen. »Wolfe! Schluß jetzt!«
Sie lassen widerwillig voneinander ab. Den Kampf würde ich gern sehen, unter passenden Bedingungen.
»Wie geht es ihm?«, erkundigt sich Apollo bei Leda, die Vickers' Kehle mit ihren starken, schmalen Händen massiert, damit er atmen kann.
»Er erholt sich. Die Lähmung ist nur kurzfristig.«
Sie spricht sanft mit Apollo. Warum? Weil er ihr gefällt? Oder weil sie ihn einlullen will, um ihren Fluchtplan in die Tat umzusetzen? Boomer zieht ein kleines elektronisches Gerät aus Thanes Jackentasche und zeigt es Apollo.
Thane macht keine Bewegung, sondern sagt nur ruhig: »Nicht auf den Knopf drücken. Das ist eine Hand-Mine.«
Man sieht Boomer an, dass er nicht daran denkt, auf den Knopf zu drücken.
»Und das bei den eigenen Kameraden«, sagt Apollo gereizt.
Wolfe tritt zu Thane. Die beiden sehen gefährlich genug aus, auch ohne Kapseln und Handminen.
»Wir lassen uns nicht beschimpfen«, knurrt Wolfe.
»Merkt euch das«, fügt Thane mit leiser Stimme an.
»Das seht ihr falsch«, sage ich und trete dazwischen. »Natürlich sind wir Knastbrüder und Läuse. Man hat sich uns ausgesucht, weil wir entbehrlich sind.«
»Niemand ist entbehrlich«, setzt Apollo dagegen.
Ich verkneife mir eine Bemerkung. Er ist sicher nicht entbehrlich.
Solange wir ihn dabeihaben, wird Adama alles unternehmen, um uns herauszuholen, wenn etwas schiefgeht. Passiert ihm etwas, wird man nicht einmal Rationen für uns abwerfen.
»Ihr seid von einem Computer ausgesucht worden, der von Knastbrüdern, Läusen oder Soldaten nichts weiß«, fährt Apollo fort. »Ihr seid hier, um die Cylonen zu erledigen, nicht euch gegenseitig.« Er gibt Thane seine Mine zurück, der sie einsteckt. »Verstaut eure Sachen und schnallt euch an. Der Countdown läuft.«
Ein Zittern läuft durch das Schiff, als wir uns dem Startzeitpunkt nähern.
9. Landung auf Tairac
Killer Kilian gehörte nicht zu den Leuten, die sich vorstellen konnten, dass sie im Kampf fallen würden. Ein hartgesottener, muskelbepackter Mann, dem man ansah, dass er oft genug durchs Feuer gegangen war. Sein buschiger Schnurrbart lenkte ab von der Klugheit seiner Augen.
Er presste die Schultern an die Rückenlehne, während er auf das Startsignal für sein Viperschiff wartete. Hätte ihm jemand erklärt, das werde sein letzter Start sein, weil er in wenigen Augenblicken sein Leben verlieren müsse, er hätte das Schnurrbartende gezwirbelt und die Achseln gezuckt.
Über die Korn-Verbindung kam das Kommando: »Start frei!«
Kilians Raumjäger, der die Expeditionsfähre eskortieren sollte, brauste brüllend durch die Startröhre.
Der Erste Centurio Vulpa begann daran zu zweifeln, ob diesem Cree Informationen von Wert zu entlocken sein würden. Das menschliche Insekt hatte der Folter bisher erfolgreich widerstanden und außer seinem Namen und endlosen Zahlen nichts preisgegeben.
»Eindringpeilung«, meldete ein Techniker.
»Wie viele?«, fragte Vulpa.
»Zwei.«
»Identifizierung.«
»Ein großes Raumschiff, nach der humanoiden Terminologie eine Fähre. Das andere ein Raumjäger, offenbar als Begleitschutz.«
»Ursprungshinweis?«
»Negativ.«
Vulpa überlegte, ob er den Schiffen die Landung gestatten sollte, entschied sich aber dagegen. Seine Garnison war unterbesetzt, Verluste beim Kampf gegen ein Entsatz-Unternehmen wollte er ihr nicht zumuten. Die Laserkanone gedachte er nicht einzusetzen, da sich Dr. Ravashol mit einem Gefolge seiner kostbaren Geschöpfe auf dem Gipfel befand, um die Pulsar-Anlage zu warten. Es wäre ein Fehler gewesen, Ravashol auf die Modifizierungen Vulpas an seiner Erfindung aufmerksam zu machen, obgleich Vulpa nicht sicher war, ob der Wissenschaftler nicht schon etwas ahnte. Nein, es war besser, die Eindringlinge auf konventionelle Art zu vernichten.
»Zerstörer-Rumpfmaschine mit Sprengkopf aktivieren.«
Die Rumpfmaschine war eine Abwandlung des neuen cylonischen unbemannten Modells, das von gewöhnlichen, vollständig besetzten Kampfmaschinen aus gelenkt werden konnte. Der Sprengkopf-Typ bestand nur aus den notwendigsten Bauteilen, da er zusammen mit seinem Ziel explodierte. Vulpa hatte zu der Zeit, als er noch im Generalstab des Mächtigen Führers gedient hatte, die Entwicklung dieser Geräte befohlen, um ein Mittel gegen die schweren Verluste durch die menschlichen Raumjäger zu finden.
Er befahl seinen Kommandopiloten, die Sprengkopf-Maschine zur Fähre zu lenken und den fremden Raumjäger selbst abzuschießen.
Apollo kam die dichte Wolkenhülle des Planeten geisterhaft vor. Grau und äußerlich glatt, schien sie unheimliche Rätsel zu bergen. Er blickte über die Schulter.
»Boomer, Navigationspeilung, bevor wir durch die Hülle stoßen. Wir wissen nicht, was uns auf der Oberfläche erwartet. Es könnte dort so dunkel sein wie bei Ihrem ersten Besuch. Keiner weiß, wie der Boden beschaffen ist. Pulverschnee, Packeis, mehr Diäthyl-Wolken als...«
»Cylonen steuerbord unter uns«, unterbrach Starbuck auf dem Copilotensitz.
Apollo ordnete eine Blitzabtastung an. Hinter einem Schiff, das der Abtaster als unbemannt meldete, flog eine cylonische Jagdformation.
»Was kann das sein?«, fragte Apollo Boomer.
»Das ist überhaupt kein richtiges Schiff«, meldete sich Thanes hohle Stimme.
»Thane! Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich hatte keine Lust mehr, in der Kabine zu sitzen.«
»Sie wissen, dass das nicht zulässig...«
»Hören Sie auf, Ihre dummen Vorschriften herunterzubeten, Captain. Das Schiff dort, das gar keines ist, stellt eine Fernlenkwaffe dar, mit Solenit-Sprengkopf, der die Fähre in Millionen Stücke zerfetzen kann. Ich nehme an, dass das Lenksystem auf uns programmiert ist.«
»Ausweichmanöver«, sagte Apollo zu Starbuck, der sofort einen Kurswechsel vornahm.
»So kommen Sie nicht davon«, sagte Thane. »Das ist eine der zuverlässigsten Neuentwicklungen der Cylonen. Mit Ausweichmanövern ist es da nicht getan. Sie müssen das Ding schon zerstören.« Thane verließ die Kanzel.
Kilian, von Starbuck auf die plötzliche Bedrohung hingewiesen, zog mit seinem Raumjäger in weitem Bogen davon, auf die drei cylonischen Kampfmaschinen zu, die unmittelbar hinter dem Geisterschiff flogen. Einer der feindlichen Raumjäger nahm sofort Kurs auf Kilian.
»Starbuck!«, rief Kilian. »In die Wolkenhülle wegtauchen!«
»Keine Chance. Sie sind schneller als wir.«
»Ich lenke sie schon ab, keine Sorge.«
Kilian drückte auf die Feuertaste und setzte ein Dutzend Lasertreffer in einen kleinen Kreis, der dem cylonischen Schiff zuerst das Heck abriss, um es dann in einen Feuerball zu verwandeln. Ein zweiter Cylone fegte Kilian entgegen.
Als Starbuck beschleunigte, wurden alle in ihren Sitzen zurückgerissen. Die Motoren schienen angstvoll aufzubrüllen.
»Starbuck!«, schrie Apollo. »Das ist keine Kampfmaschine! Sie überdrehen den Antrieb!«
»Sagen Sie das doch den Cylonen!«, brüllte Starbuck zurück.
Die Fähre stürzte in die Wolkendecke. Im Cockpit kam das einzige Licht vom Abtastschirm, der Kilians Zweikampf am Himmel zeigte. Sie sahen die zweite cylonische Kampfmaschine zerbersten. Der letzte cylonische Raumjäger und das Fernlenkschiff hatten den Kurs geändert, um die Fähre zu verfolgen.
Kilian flog die letzte Kampfmaschine an, die aber auswich und unter seine Viper tauchte. Der Raumjäger torkelte, als er mittschiffs einen Treffer hinnehmen musste. Kilian ließ sich vom Computer den Schaden anzeigen. Der Cylonen hatte einen Motor zerstört. Bevor Kilian die trudelnde Maschine abfangen konnte, feuerte der Cylone erneut, und aus dem Raumjäger wurde ein ganzes Rumpfstück herausgerissen. Trotzdem konnte Kilian die Maschine noch einmal abfangen. Eine Treibstoffzuleitung war zerfetzt. Die Kampfmaschine musste jeden Augenblick explodieren.
Der Cylone fegte ihm entgegen. Kilian versuchte zu feuern, aber die Laser-Bordkanone verweigerte den Dienst. Kilian riss den Jäger nach rechts und entkam knapp einer Salve.
»Ich kann den Schrotthaufen nicht stärker beschleunigen«, tönte Starbucks Stimme aus dem Funkgerät. »Ich kann dem Sprengkopf nicht ausweichen. Es gibt keine...«
»Maul halten, Starbuck!«, schrie Kilian. »Das ist mein Job!«
Kilian wich der gegnerischen Maschine noch einmal aus und raste auf den Fernlenkrumpf zu. Die noch betriebsbereiten Turbinen auf vollem Schub, zielte er mit seiner Viper direkt auf das Sprengkopf-Gerät. Er brüllte einen Fluch, der auf der Galactica eine uralte Tradition hatte. Kilians Raumjäger und das Fernlenkschiff prallten knapp über der Wolkenhülle des Eisplaneten zusammen. Die Explosion breitete sich als gigantischer Feuerball über den Himmel aus und erfasste den letzten cylonischen Raumjäger, der ebenfalls zerrissen wurde.
Die Fähre bäumte sich heftig auf, und Starbuck riss die Hand vom Beschleunigungshebel, als sei er glühend heiß geworden.
»Was ist?«, schrie Apollo.
»Entweder haben wir einen Streifschuss abbekommen, oder die Geschwindigkeit ist für die Fähre zu hoch. Ich...«
»Captain Apollo!« Leda stand in der Kanzelluke. »Alles wirbelt hier durcheinander. Der Wind ist ungeheuer stark. Im Rumpf muss etwas geplatzt sein. Wir...«
»Versuchen Sie die Kontrolle zu behalten!«, rief Apollo Starbuck zu. »Ich sehe nach!«
»Ich geb' mir Mühe, aber das Schiff reagiert kaum.«
Apollo stürzte in die Kabine. Er entdeckte den Riss in der Rumpfwand sofort.
»Schnell, die Atemgeräte!«
Alle beeilten sich, die Masken aufzusetzen.
»Das Schiff reagiert nicht«, tönte Starbucks Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir stürzen in einen Schneesturm. Sicht Null. Alle Instrumente zeigen Bodennähe an. Countdown: Drei! Zwei! Eins! Köpfe einziehen!«
Ein lautes Grollen ging durch das Schiff, wie um anzuzeigen, dass es in tausend Stücke zerplatzen wollte. Umhergewirbelt von den heftigen Winden, begann die Fähre zu trudeln. Plötzlich gelang es Starbuck, den Bug hochzureißen, kurz bevor sie dann den Boden berührte und dahinschlitterte. Wirbelnder Schnee erzeugte im Inneren einen kleinen Blizzard. Der plötzliche Stillstand des Schiffes schien den Insassen die Knochen knacken zu wollen und hallte in ihren Ohren nach wie ein Todesgong.
Die Brückenbesatzung der Galactica verstummte plötzlich, als die Monitorschirme erloschen. Adama starrte Tigh an.
»Kein Signal mehr von beiden Schiffen«, sagte der Colonel.
Adama spürte einen Eisklumpen in seiner Magengegend.
»Keinerlei Peilung?«, fragte er.
»Viper-Frequenz ausgefallen. Telemetrie zeigt Totalverlust an.«
»Wer war der Pilot?«
»Kilian.«
»Und die Fähre?«
Tigh schwieg kurze Zeit.
»Notfrequenz in Betrieb. Alle Anzeigen rot. Telemetrie zeigt schwere Schäden an. Wir könnten es mit Hochfrequenz versuchen.«
»Nein. Wir schweigen.«
»Aber...«
»Tigh, wir dürfen unsere Position nicht verraten.«
Vulpa ging im Kommandostand hin und her, wo die Techniker die Bildschirme überwachten.
»Ein Schiff zerstört«, kam die Meldung. »Vermutlich auch das zweite.«
»Und die Staffel mit dem Rumpfschiff?«
»Kein Kontakt.«
Vulpa befasste sich mit der Möglichkeit, dass die Staffel gänzlich vernichtet worden war. Das gefiel ihm nicht. Ein volles Kontingent für die Garnison auf Tairac war ihm nicht zugestanden worden, weil man davon ausgegangen war, dass die Menschen kaum versuchen würden, den Abwehrgürtel zu durchbrechen. Und nun waren sie doch hier. Nicht nur das, der Generalstab und der Mächtige Führer hatten sie hierher gelockt, und jetzt erwartete man von Vulpa, dass er jedem Angriff widerstand, obwohl er unzureichend besetzt war. Er fragte sich, ob man sich nicht zu sehr auf die Vernichtungskraft der Laserkanone verließ. Gewiss, die Laserstrahlen der Gigantenwaffe vermochten die Galactica mit ihrer ganzen Begleitflotte mühelos zu vernichten, aber zuerst mussten die Feinde einmal geortet werden.
Vulpa ließ eine Verbindung mit dem Raumjägerkommando herstellen und erfuhr, dass ein Eindringling mit Gewissheit, der andere mit einiger Wahrscheinlichkeit zerstört war.
»Das zweite Schiff trudelte in die Wolken und war außer Kontrolle, bevor unsere Instrumente die Peilung einstellten. Sektor Hekla.«
Vulpa ärgerte sich über die Ungewissheit. »Sofort nach Wrackteilen suchen lassen!«, befahl er. »Keine Überlebenden!«
»Keine Überlebenden.«
Die Fähre musste abgestürzt sein, dachte Vulpa. Wenn die Menschen nicht tot waren, erschwerte das seine Aufgabe ungemein. Die wechselnden Wetterbedingungen auf Tairac riefen bei den Peilanlagen zu viele Störungen hervor. Schneestürme konnten die Eindringlinge verbergen, zerklüftetes Terrain bot ihnen Verstecke, die Dunkelheit Schutz. Wenn es Überlebende gab, mussten sie schnell gefunden werden, bevor sie Gelegenheit fanden, sich die Umstände zunutze zu machen.
10. Ein blinder Passagier
Croft:
Während der wirren Augenblicke nach der Bruchlandung sehe ich Sterne und Feuer. Das kann nicht stimmen, sage ich mir. Passt nicht zu der eisigen Kälte in meinen Knochen. Ich komme mir vor wie eine Eisstatue. Eine Statue wofür? Für meine eigene Dummheit, die stinkende, enge, aber warme, immer warme Zelle auf dem Gefängnisschiff verlassen zu haben? Ich habe Kälte erlebt, sogar solche Kälte schon. Ich bin auf Gipfel gewesen, wo der Eissturm mich wegzufegen drohte. In eine Lawine geraten, aus der ich mich erst in letzter Sekunde befreien konnte.
Ich habe erlebt, dass die Kleidung vor Nässe und Eis zerriss, dass Seile brachen wie Äste.
Als ich zu mir komme, sehe ich zuerst Schnee um die Kabine fetzen.
Die Temperatur ist so rasch gesunken, dass mein Atemgerät nicht richtig funktionieren will. Meine Augen passen sich an, und das Gewirbel lässt nach. Alles liegt durcheinander, Ausrüstung, Leiber, Geräte. Licht. Apollo hat eine Laterne in der Hand. Die Lampe beleuchtet einen klaffenden Riss in der Bordwand. Draußen tobt heulend ein Schneesturm. Ich will nicht hinausgehen. Ich werde hier erfrieren. Trotzdem möchte ich hier bleiben.
Starbuck kriecht aus dem Bug. Aus einer Platzwunde am Kopf rinnt Blut.
»Genau die Landung, von der man immer träumt«, sagt er. »Keine Instrumente, kein Antrieb, kein Flugfeld...«
Boomer robbt hinter ihm heraus, steht sofort auf und sagt: »Nimm eine Lampe.«
Starbuck richtet sich schwankend auf, nimmt eine Lampe und murmelt: »Hast du großartig gemacht, Starbuck. Eine Fähre, die nicht mehr reagierte, sicher zu Boden gebracht. Ein erstklassiger Pilot bist du...«
»Wenn Sie damit fertig sind, sich hier nicht genügend gewürdigt vorzukommen, kümmern Sie sich um die Verletzten«, unterbricht ihn Apollo. »Wir haben die Hälfte vom Rumpf verloren.«
»Aye, aye, Sir.«
Apollo spielt den harten Mann. Ich weiß nicht, wieviel ich davon ertragen kann.
Boomer klopft Starbuck auf die Schulter. »Denk dir nicht zu viel. Jeder andere hätte das Ding voll in den Boden gerammt.«
»Keine Sorge, ich -« Starbuck wirft dem Captain einen zornigen Blick zu. Offenbar verstehen sich die beiden nicht immer. »Es geht schon, Boomer.«
Ich schiebe ein paar schwere Kartons zur Seite und zwänge mich nach hinten durch, wo ich sehen kann, wie ein echtes Wrack aussieht. Ein Teil des Rumpfes ist zusammengedrückt.
Wolfe beugt sich über Voight.
»Wie geht es ihm?«, fragt Apollo.
»Nur eins auf den Schädel bekommen«, erwidert Wolfe. »In einem halben Centon kommt er zu sich.«
»Apollo«, sagt Leda auf der anderen Seite der Kabine. Sie kauert vor Vickers. »Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie meine Tasche finden.«
Apollo beginnt das Durcheinander abzusuchen. Ich will mich ihm anschließen, als mir eine Bewegung Wolfes auffällt. Er beugt sich zu Voight vor, schiebt etwas in seinen Anorak, entfernt sich. Ich beschließe, nachzusehen. Voights Laserpistole fehlt. Wolfe könnte sie eingesteckt haben. Ich kann sie ihm nicht wegnehmen, muss abwarten.
Apollo ist Leda behilflich. Er hat die Arzttasche gefunden.
»Wie sieht es aus?«, fragt er.
»Arm und zwei Rippen gebrochen.« Ihre Stimme klingt ruhig und sachlich. Das ist es, was mir an Leda gefällt, was ich an ihr liebte, vielleicht noch immer liebe. Man kann sich darauf verlassen, dass sie ihre Arbeit tut, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle. »Möglicherweise innere Verletzungen.« Sie schaut sich um. »Sonst noch jemand blessiert?«
»Ich«, sagt Thane leise.
Sie geht sofort zu ihm. »Was fehlt dir?«
Thane grinst schief und beugt sich zu ihr vor, flüstert, aber so laut, dass wir es alle hören können: »Ich bin einsam.«
Typisch Thane. Selbst seine kleinen Späßchen wirken eiskalt. Leda packt ihre Tasche und lässt ihn sitzen.
»Bleib mir vom Leib«, sagt sie. »Ich habe anderes zu tun.« Sie lässt sich wieder neben Vickers nieder.
»Spar dir die Mühe«, sagt Thane. »Wir müssen ihn ohnehin zurücklassen.«
Immer human, unser Thane.
»Wir lassen keinen zurück«, fährt ihn Apollo an.
Thane richtet seinen kalten Blick auf den Captain.
»Das werden wir sehen, Freund.«
Apollo hat nicht hingehört, weil er sich mit Voight beschäftigt. Ich hätte es am liebsten auch nicht getan. Thane ist innerlich völlig verkrampft. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm zurechtkommen soll.
Boomer leuchtet einen zweiten Riss in der Bordwand an und sagt zu
Apollo: »Sieht nicht gut aus. Sie wird nie mehr fliegen.«
Sehr schön.
»Schlimmer noch, man kann im Inneren nicht überleben. Alle Systeme sind ausgefallen.«
Immer besser.
»Nun zur guten Nachricht«, sagte Boomer. »Ich glaube, das Schneemobil läuft noch.«
»Dann nichts wie raus hier, damit wir die Verwundeten hineinlegen können.«
Apollo geht auf den Riss in der Wand zu. Draußen wird das Dröhnen eines fernen Flugzeugs lauter. Apollo versucht hinaus zu starren. Das Dröhnen wird zu einem gellenden Kreischen, als eine cylonische Kampfmaschine über uns hinwegfegt.
»Die kommt wieder«, prophezeit Apollo. » Wir müssen weg von der Fähre. Boomer, Croft, mitkommen!«
Wir klettern zu dritt in den Frachtraum mit dem Schneemobil. Apollo steigt ein und hantiert mit den Hebeln. Als ich neben ihm einsteige, erschreckt mich ein leises Knurren. Apollo zuckt herum und leuchtet in das Heck des Schneefahrzeugs. Ein Kind und ein kleines Tier kauern dort in einer Ecke.
»Boxey!«, schreit Apollo entgeistert. Anscheinend kennt er den Kleinen. Es sei denn, Boxey ist das Tier. Das Kind kriecht nach vorn und versucht mühsam zu lächeln.
»Muffit wollte Schnee sehen«, sagt der Kleine.
Muffit muss der Hund sein. Er ist kein Hund, sondern ein Kleinroboter. Einem Daggit nachgebildet, wie es aussieht, obwohl ich schon seit ewigen Zeiten keinen Daggit mehr gesehen habe.
Apollo will den Kleinen beschimpfen, das sieht man, aber der Junge ist völlig durchgefroren und zu Tode erschrocken.
»Komm her, mein Sohn«, sagte Apollo.
Sohn? Habe ich recht gehört? Das hat gerade noch gefehlt.
Das Kind umarmt Apollo. Er drückt es an sich. »Verzeih«, sagt der Kleine.
»Schon gut. Ist schon gut.«
Ich verkneife es mir zu sagen, das mag vielleicht für dich gut sein, aber wie steht es mit uns? Der Robot-Hund muss Gedanken lesen können. Er starrt mich an und knurrt.
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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Glen A. Larson/Robert Thurston/Mike Resnick. Published by arrangement with Alchemy Agency/NBC Universal. Names and trademarks used by permission.
Bildmaterialien: Christian Dörge/NBC Universal.
Cover: Christian Dörge/NBC Universal/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Christian Dörge (OT: The Gun On Ice Planet Zero/The Tombs OF Kobol/The Young Warriors/Galactica Discovers Earth).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2021
ISBN: 978-3-7487-7549-2
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