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Leseprobe

 

 

 

 

Carter Brown

 

 

Drama in Hollywood

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 154

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DRAMA IN HOLLYWOOD 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

 

Das Buch

Wer war es, der dafür gesorgt hatte, dass Della August in jeder Filmgesellschaft der Stadt auf die schwarze Liste gesetzt wurde?

Drei Personen - ihr hinterhältiger Agent Barney Ryan, der mächtige Syndikats-Chef Jerome T. King und der Produzent Erik Stanger - hatten persönliche und ganz besondere Gründe, Della aus der Welt des Films verbannt zu wissen. Und jeder dieser Gründe hing auf geheimnisvolle Weise mit dem Tod des Hollywood-Stars Nummer eins, Rodney Blane, zusammen...

 

Der Roman Drama in Hollywood von Carter Brown (eigentlich Allan Geoffrey Yates; * 1. August 1923 in London; † 5. Mai 1985 in Sydney) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1964.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendären Kriminal-Romane von Carter Brown als durchgesehene Neuausgaben in seiner Reihe APEX CRIME. 

   DRAMA IN HOLLYWOOD

 

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Sie haben mich ermordet«, sagte sie mit dünner, erstarrter Stimme. »Sie haben meine Leiche eiskalt und tot auf dem Markt liegenlassen und sich noch nicht einmal die Mühe gegeben, eine Todesanzeige in die Zeitungen zu setzen.«

Sie zog mit einem Ruck die schweren Vorhänge von der aus einem einzigen Fenster bestehenden Wand zurück, und ihr aus schwerer Seide bestehendes Negligé bildete keinen Schutz gegen das grelle Sonnenlicht, das plötzlich in den Raum flutete. Dann, in dem Bewusstsein, dass sich ihr schöner Körper in einer atemberaubenden Silhouette gegen die Helligkeit abzeichnete, drehte sie sich langsam ins Profil, sodass mich der Anblick ihrer vollen, nach vom geschwungenen Brust und die lange Linie ihrer schönen Beine wie ein elektrischer Schlag traf. Ich erinnerte mich daran, dass Della August eine der drei Spitzenschauspielerinnen von Hollywood war und dass sie selbst auf ein Ein-Mann-Publikum – in diesem Fall mich, Rick Holman – ihre Wirkung nicht verfehlen durfte.

»Ich brauche Hilfe, Rick«, sagte sie mit tiefer rauer Stimme. »Ich bin verzweifelt. Sie sind meine allerletzte Chance.«

Ich hob eine Spur die Brauen. »Della, Süße – ist das als Kompliment gedacht?«

»So habe ich es nicht gemeint«, flüsterte sie vorwurfsvoll. »Und das wissen Sie auch.«

Sie ging zur Couch zurück und setzte sich neben mich. Wieder bildete das Negligé lediglich eine dünne Hülle, die ihre üppigen Rundungen vor meinem wie immer vulgären Blick verbargen. Hinter der Fensterwand flimmerte ein saphirblauer Himmel in blendendem Glanz, aber mit Della Augusts Profillinie konnte er nicht konkurrieren.

»Diese ganzen symbolischen Andeutungen haben mich verwirrt«, gab ich zu. »Wenn die Geschichte einen Anfang haben sollte, wie wär’s, wenn wir dann damit begännen?«

»Der Anfang ist Rod Blane«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme.

»Aber er ist doch tot?«

»Stimmt. Er kam vor sechs Monaten bei einem Autounfall um«, sagte Della und nickte ungeduldig. »Und damals kam man zu dem Schluss, dass ich auch umgebracht werden müsse.«

»Hören Sie zu, Süße«, flehte ich, »lassen Sie uns einmal ein bisschen Logik in die Angelegenheit bringen. Ich meine...«

»Ich habe seit sechs Monaten nicht gearbeitet«, sagte sie schnell. »Wann haben Sie zum letzten Mal irgendwo meinen Namen gehört oder ein Interview in irgendeiner Zeitschrift gelesen? Meinen Namen in einer der Zeitungen gefunden? Bemühen Sie sich nicht, sich darauf zu besinnen, ich werde es Ihnen sagen – es war eine Woche bevor Rod Blane starb.«

»Warum sollte man Ihnen so etwas antun wollen?«, fragte ich.

Sie zuckte hilflos die Schultern. »Ich weiß nicht, warum, und ich möchte ja gerade, dass Sie das herausfinden, Rick. Man hat begonnen, mich langsam umzubringen, und in diesen sechs Monaten ist es beinahe gelungen. Ich fühle mich bereits wie ein Gespenst: keine Arbeit, keine Angebote, nichts! Mein Agent ist zu beschäftigt, um mich zu empfangen, und die Mädchen in der Vermittlung kennen meinen Namen nicht, wenn ich in einem der großen Studios anrufe. Die Bonzen der Filmindustrie sind grundsätzlich weggegangen, wenn Della August anruft, und niemals ruft einer wieder zurück. Es ist so schlimm geworden, dass ich in manchen Nächten nur dasitze und die ganze Zeit meinen Handrücken betrachte – in der Erwartung, die ersten Anzeichen von Lepra zu entdecken.«

»Nehmen Sie’s nicht so tragisch«, sagte ich.

In der Tiefe ihrer verschleierten blauen Augen tauchte ein Ausdruck des Entsetzens auf, und ihre Nägel gruben sich in meinen Unterarm, den sie mit festem Griff gepackt hatte.

»Rick, ich habe Angst«, flüsterte sie. »Sie wollen mich lebend begraben, und sie haben das Grab bereits ausgehoben. Ich weiß nicht, warum nur muss es etwas mit Rod zu tun haben. Es kann kein reiner Zufall sein, dass alles nach seinem Tod begann.«

»Dann erzählen Sie mir also von Rod Blane«, schlug ich vor.

»Der goldene Junge!« In ihrer Stimme lag ein sehnsüchtiger Unterton. »Mit dem Profil und der Figur eines griechischen Gottes – mit der bestechenden grausamen Arroganz der Jugend – einem schauspielerischen Talent, wie es nur einmal in einer Film- und Theatergeneration vorkommt. Sie wussten alles über ihn, Rick – die ganze Welt wusste alles über ihn.«

»Ich wusste nichts von Ihrer Beziehung zu Rod Blane«, sagte ich.

»Ich war verrückt nach ihm«, sagte sie leise, »und auch sonst verrückt, es soweit kommen zu lassen; aber ich konnte nichts dagegen tun. Nach drei Scheidungen und der Himmel weiß wie vielen turbulenten Affären musste ich mich in einen Jungen verlieben, der beinahe zehn Jahre jünger war als ich. Am Anfang fühlte er sich geschmeichelt, dass sich eine anerkannte Schauspielerin so offen um ihn bemühte und nach einer Weile amüsierte ihn das. Später war ich nur einfach jemand, den er gebrauchen – und schließlich missbrauchen konnte. Es war scheußlich, Rick, schlimmer als es je gewesen war, weil ich ihn liebte.«

»Und es war alles zu Ende, bevor er verunglückte?«, fragte ich.

»Vielleicht für Rod«, sagte sie tonlos, »aber nicht für mich!«

Das Sonnenlicht ließ tanzende Reflexe auf ihrem Haar, das die Farbe hellen Kupfers hatte, aufblitzen, betonte die weiche Rundung ihrer Wangen und erinnerte mich daran, dass sie nicht nur eine Spitzenschauspielerin, sondern auch eine schöne und begehrenswerte Frau war.

»Wann haben Sie Blane zum letzten Mal gesehen?«

Della presste den Handrücken gegen ihren Mund und biss einen Augenblick lang scharf in die gestraffte Haut, bevor sie antwortete.

»Es war am frühen Nachmittag des Tages, als es passierte«, flüsterte sie. »Wir hatten einen Streit – einen fürchterlichen, tobsüchtigen Streit – und dann sagte er, er brauche mich nicht mehr und es sei alles zwischen uns aus. Ich sagte ihm, ich liebte ihn noch immer und würde ihn immer lieben; er lachte mir ins Gesicht. Geh, amüsier’ dich mit irgendeinem Knilch deiner eigenen Altersklasse, Baby, sagte er. Aber bleib aus dem hellen Sonnenlicht weg – man sieht sonst deine Runzeln zu deutlich. Ich schlug ihm ins Gesicht. Er blieb eine Weile stehen, starrte mich an – hasserfüllt. Dann schlug er mir mit der geballten Faust auf den Mund und ging hinaus. Drei Stunden später war er tot.«

Sie begann zu weinen, und obwohl die Tränen mühelos flössen, war ihr Schmerz echt. »Vielleicht war es meine Schuld, dass er diesen Unfall hatte, Rick? Ich glaube, ich habe ihn umgebracht!«

»Niemand bringt einen anderen auf diese Weise um«, knurrte ich. »Hören Sie auf, sich selbst leid zu tun. Ja?«

»Entschuldigung.« Sie schnäuzte sich laut. »Nur – alles, was ich nun noch habe, ist meine Karriere. Die Schauspielerei hat seit meinem siebzehnten Jahr das Leben für mich bedeutet. Wenn ich nicht mehr spielen kann, kann ich ebenso gut tot sein. Das wissen sie, und auf diese Weise ermorden sie mich – indem sie es mir unmöglich machen zu arbeiten. Sie müssen herausfinden, warum, Rick, und sie aufhalten! Es ist mir gleich, was es kostet – halten Sie sie auf, und ich gebe Ihnen alles, was Sie verlangen.«

»Alles?«, beharrte ich.

»Alles«, wiederholte sie mit Festigkeit.

»Einschließlich Della August?«

Ihr tränenüberströmtes Gesicht hob sich langsam, und sie starrte mich mit nahezu furchtsamem Ausdruck in den Augen an. »Vermutlich sollte ich mich dadurch geschmeichelt fühlen. Was schlagen Sie vor? Ein verlängertes Wochenende auf dem Land?«

»Mein reguläres Honorar plus eine verlängerte Woche in Palm Springs vielleicht?«

Ich sah zu, wie sich ein paar Sekunden lang ihre Finger in einem unbewussten Rhythmus verschränkten und wieder lösten.

»Sie machen wohl Spaß?« Sie lachte unsicher. »Nein«, ihre Stimme klang plötzlich matt, »Sie machen keinen Spaß. Nicht wahr?«

»Das ist der Preis«, sagte ich.

»Dann bleibt mir wohl keine andere Wahl.« Sie wandte den Blick von mir ab und starrte durch das große Fenster in den flimmernden Himmel hinaus, ohne etwas zu sehen. »Gut. Ihr Honorar in der Höhe Ihrer Forderung und eine verlängerte Woche in Palm Springs.«

Ich setzte mich noch bequemer auf der Couch zurück und zündete eine Zigarette an. »Das Filmgeschäft ist voll von Legenden«, sagte ich im Ton der Unterhaltung. »Ich habe meine besonderen Lieblinge unter ihnen, wie vermutlich alle Leute.«

»Vermutlich.« Ihre Stimme klang abweisend.

»Erinnern Sie sich an die eine von den Mädchen aus Nebraska mit den strahlenden Augen, die nach Hollywood kam, als sie eben siebzehn war und die dachte, die Einladung eines Produzenten zu einem späten Abendessen in seinem Appartement bedeute nur, dass man essen und über ihre zukünftige Karriere sprechen würde? Dann, als er ihr aufs peinlichste klarmachte, was damit in Wirklichkeit gemeint war, schlug sie mit einem Stuhl auf ihn ein, und es bedurfte acht vernähter Stellen und eines dreiwöchigen Aufenthalts im Krankenhaus, bevor der Lump wieder ins Studio kriechen konnte.«

»Das ist lange her«, sagte sie leise.

»Es war der Beginn von Della Augusts Karriere und hat ihren Ruf begründet«, sagte ich. »Das Mädchen, das sich die Sache nicht leicht machte – das Mädchen, das noch nicht einmal auf einer Produzentencouch sitzen wollte, um sich die Rolle zu verschaffen, die sie sich so dringend wünschte!«

»Das bin ich«, sagte sie, um einen leichten Ton bemüht. »Das kleine Mädchen aus Nebraska, das Sex von jeher viel zu sehr genossen hat, um sich das Vergnügen durch Vermengung mit Geschäftlichem zu verderben.«

»All dieses Geschwafel über das, was sie Ihnen antun, Baby«, sagte ich leichthin, »dass sie Sie angeblich ermorden, indem sie Sie nicht mehr spielen lassen – ich habe mich gefragt, wieviel davon Tatsache ist und wieviel geradewegs Ihrer blühenden Phantasie entspringt – wie schlimm die Sache also wirklich steht. Aber wenn Sie bereit sind, mir außer meinem Honorar auch noch Della August selbst zukommen zu lassen, damit ich den Auftrag übernehme, so muss die Sache wirklich schlimm stehen.«

Ihr Gesicht wandte sich mir wieder schnell zu, und die verschleierten blauen Augen waren weit aufgerissen. »Wollen Sie damit sagen, dass das mit der verlängerten Woche in Palm Springs nur Spaß war – dass Sie nur sehen wollten, wie ich reagiere?«

»Klar!« Ich zuckte die Schultern. »Mein Honorar wird ausreichend hoch sein, Della, Süße. Ich bin sehr teuer.«

»Sie haben mich wirklich an der Nase herumgeführt«, gab sie mit unsicherer Stimme zu. »Rick Holman war eigentlich der letzte, dem ich einen solch üblen Vorschlag zugetraut hätte.«

»Wenn ich irgendwo mit einem Mädchen eine verlängerte Woche verbringe, ist es mir lieber, sie ist damit in jeder Beziehung einverstanden«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Aber, um wieder auf Ihr Problem zu sprechen zu kommen – wer sind sie? Wer hat dafür gesorgt, dass Sie bei allen Studios auf Eis gelegt werden?«

»Das weiß ich nicht.« Der gehetzte Ausdruck lag wieder in ihren Augen. »Ich wollte, ich wüsste es, Rick! Niemand will mit mir darüber sprechen. Es ist, als ob man plötzlich eine geräuschsichere Glasglocke über mich gestülpt hätte. Ich kann mir die Lunge aus dem Halse schreien, keiner hört mich!«

»Wer ist Ihr Agent?«, fragte ich.

»Barney Ryan.«

»Wer war Rod Blanes Agent?«

Ihr Mund zuckte krampfhaft. »Barney Ryan Auf diese Weise habe ich Rod kennengelernt – in Barneys Büro.«

»Ich werde mit ihm reden«, sagte ich. »Hatte Blane eine Frau? Einen Bruder? Irgendein anderes Mädchen? Jemand, der Sie für seinen Tod verantwortlich machen und Sie genügend hassen könnte, um Ihnen das anzutun?«

Della schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, niemanden.«

»Wie stand es mit der Beerdigung?«, beharrte ich. »Haben Sie jemanden gesehen, den Sie nicht kannten und der sich die Augen ausweinte?«

»Rods Beerdigung war das klassische Hollywood-Epos«, sagte sie mit einem seltsamen Unterton der Ironie in der Stimme. »Es war ein gewaltiges Schauspiel, Rick. Dreitausend Leute, die über die anderen Grabsteine wegtrampelten, um den Sarg besser sehen zu können – und etwa zweitausendneunhundert davon waren Teenager, die sich die Augen aus dem Kopfe weinten!«

»Ganz recht«, sagte ich gereizt. »Aber wie stand es mit den Leuten in der Kapelle?«

»Ich weiß es nicht.« Erneut wandte sie den Kopf ab. »Ich war nicht dort.«

»Warum nicht?«

»Mein guter Freund und Agent Barney Ryan war strikte dagegen. Schlecht für die Publicity, sagte er, und möglicherweise würden sich dadurch meine Beziehungen zu den Studios noch verschlechtern.« Sie lachte missvergnügt. »Leider hat sich Barney als Prophet immer unterschätzt!«

Sie stand von der Couch auf, ging auf die Fensterwand zu und wieder zeichnete sich ihr prachtvoller Körper scharf als Silhouette dagegen ab. Nach ein paar Sekunden begann ich, an meinem eigenen Verstand zu zweifeln, dass ich freiwillig auf das Versprechen einer verlängerten Woche in Palm Springs verzichtet hatte, nachdem ich es ihr mit soviel Mühe abgerungen hatte. Dann klingelte das Telefon, und die Silhouette verschwand, als Della durch das Zimmer auf das Telefon zuging.

Ihre Hand berührte den Hörer und blieb dort, ohne ihn abzuheben, während sie am ganzen Körper erstarrte. Meine Nerven vibrierten ein wenig bei dem beharrlichen monotonen Geklingel, während ich darauf wartete, dass sie endlich den Hörer abnehmen würde.

»Ist was los, Della?«, fragte ich schließlich.

»Nein.« Sie schluckte krampfhaft. »Es ist nichts.« Dann hob sie den Hörer ab und sagte in schrillem Flüsterton, der beinahe wie ein Kreischen klang: »Hallo?«

Sie lauschte etwa zehn Sekunden, und dann begann ihr Körper, unbeherrscht zu zittern. »Rick!« Sie hielt mir den Hörer hin, die Hand um die Sprechmuschel geklammert.

Der eindringlich flehende Ton ihrer Stimme ließ mich von der Couch aufspringen und schnell durch das Zimmer eilen. Sie warf mir den Hörer förmlich in die Hand und wich schnell zurück, als wäre er mit einer ansteckenden Krankheit behaftet. Ich starrte sie verdutzt an und hob ihn dann ans Ohr.

»...deine Schuld, dass er gestorben ist«, flüsterte eine unheimlich klingende Stimme leidenschaftlich. »Hure! Schlampe! Du hast ihn mit dem süßen Gestank deiner Fleischeslust verführt! Du hast ihn mit deinem Spinnennetz aus Wollust und Lüsternheit vernichtet! Nutte! Abschaum! Nun wirst du selbst vernichtet werden – nicht plötzlich und schnell wie er –, sondern langsam und qualvoll! Hure! Luder! Aus dem Grab schreit er nach Rache, und sein Schrei wird gehört werden! Das Leben und alles, was es für dich bedeutet, entschwindet langsam, und bald wird es ganz verschwunden sein! Dirne! Aas! Bald wird dir nichts mehr übrigbleiben, als dich selbst zu vernichten, und der Teufel, der deinen verfaulten Leib verzehrt und deine unzüchtigen Gedanken...«

»Hier Städtischer Schlachthof«, sagte ich höflich. »Nein, danke, unser Bedarf an Rindviechern ist heute gedeckt...«

Die Flüsterstimme verstummte abrupt, und ich hörte ein paar Sekunden lang heftiges, unregelmäßiges Atmen und dann ein schwaches Klicken. Ich legte den Hörer auf und blickte Della an. »Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Sie?«

Sie schüttelte stumm den Kopf. Ihre Augen hatten einen leicht glasigen Blick, und sie hielt die eine Hand gegen ihren Hals gepresst.

»Seit wann geht das so?«, fragte ich.

»Seit zwei Tagen nach der Beerdigung«, sagte sie langsam und unsicher. »Zwei-, dreimal in der Woche – in jeder Woche seit dieser Zeit. Früher kam der Anruf in den frühen Morgenstunden, um drei Uhr herum. Nach einer Weile ging ich nachts nicht mehr ans Telefon, nun kommt der Anruf während des Tages.« Sie schloss eine Sekunde lang fest die Augen. »Sehen Sie, Rick, sie wissen, dass ich es tagsüber nicht wage, nicht ans Telefon zu gehen, für den Fall, dass es mein Agent oder ein Studio ist oder irgendetwas sonst, das möglicherweise für mich Arbeit bedeuten könnte.«

»Sie haben keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?«

»Ich sage Ihnen doch, ich weiß es nicht«, antwortete sie mit gepresster Stimme. »Wie Sie eben selber gesagt haben, ist es unmöglich, festzustellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Meine Nummer ist natürlich nicht im Telefonbuch aufgeführt, und ich habe sie während der letzten sechs Monate sechs oder siebenmal umändern lassen. Es macht nicht den geringsten Unterschied – diese schreckliche Stimme meldet sich pünktlich ein paarmal in der Woche.«

»Machen Sie eine Anzeige, und die Polizei wird die Leitung kontrollieren«, schlug ich vor. »Ein Irrer, der so oft anruft, wird möglicherweise gelegentlich einmal unvorsichtig und ruft vom Büro oder von zu Hause an, ohne zu überlegen.«

»Sind Sie verrückt?« Della starrte mich mit entsetztem Ausdruck in den Augen an. »Auch noch die Polizei auffordern, sich all diese entsetzlichen Anschuldigungen mit anzuhören? Angenommen, sie glauben ihnen oder die Zeitungen erfahren auf diese Weise davon, was würde dann aus mir werden?«

»Nun ja.« Ich zuckte die Schultern. »Es war nur so ein Gedanke.«

»Derjenige, der hinter der Verschwörung steckt, aufgrund deren es eine Della August so gut wie nie gegeben hat, steckt auch hinter diesen Telefonanrufen«, sagte sie ruhig. »Meine einzige Hoffnung ist nun, dass Sie herausfinden, wer es ist, und ihn davon abhalten, weiterzumachen, Rick!«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Barney Ryans Büro lag im ersten Stock eines eleganten Gebäudes am Wilshire Boulevard. Eine kesse Blonde, die hinter dem Empfangstisch saß, begutachtete mich mit einem einzigen Schwung ihrer künstlichen Augenwimpern und kehrte zu ihrem Comic-Heft, oder was immer sie hinter ihrer Schreibmaschine verborgen halten mochte, zurück. Sie war das genaue Abbild der Mädchen, die alljährlich zu Tausenden die Westküste überfluten, um in der sagenumwobenen Zelluloidstadt – die außerhalb einer Studio-Presseabteilung in dieser Form gar nicht existiert – zu Ruhm und Reichtum zu gelangen.

Vielleicht unterscheiden sich diese Mädchen, wenn sie dort ankommen, noch voneinander, verfügen vielleicht sogar noch über individuelle Eigenarten, aber innerhalb eines halben Jahres sehen sie alle gleich aus. Sie haben alle dasselbe blondgefärbte Haar und dieselbe Frisur; sie lassen sich Jackettkronen auf ihre Vorderzähne machen und ihre Nasen stutzen; sie kaufen alle ihren Büstenhalter im selben Laden – zwei Nummern zu groß, gepolstert und mit dem bewussten Schwung nach oben, vermutlich Marke Blickfang. Ich warte hoffnungsvoll auf den Tag, an dem sich eines dieser Mädchen ihre Warze auf der Nase stehen lässt, und ich wette, es wird innerhalb von drei Jahren seine eigene Produktionsgesellschaft und mehr Sorge um seine Kapitalanlagen haben als irgendeins aus der Konkurrenz der einander völlig gleichenden Blonden.

»Ich möchte gern Mr. Ryan sprechen«, bemerkte ich höflich.

Der Aufwärtsschwung der Wimpern enthüllte ein paar leicht einfältig blickender brauner Augen; und ich fragte mich flüchtig, ob die Blonde wohl heute die blauen Kontaktlinsen vergessen hatte.

»Sind Sie mit ihm verabredet?«, fragte sie mit träger Stimme.

»Nein«, sagte ich. »Aber Mr. Ryan wird mich wahrscheinlich trotzdem empfangen. Ich heiße Rick Holman.«

»Mr. Ryan empfängt niemanden ohne vorhergehende Terminvereinbarung.«

»Sie sollten ihm vielleicht freie Wahl lassen«, schlug ich vor.

»Niemanden«, wiederholte sie mit selbstgefälligem Behagen, »ohne Vereinbarung.«

»Okay.« Ich zuckte kunstvoll die Schultern. »Aber es wird Darryl nicht zusagen.«

»Darryl?« Ihre Augen quollen derartig hervor, dass sie vielleicht Glück gehabt hatte, ihre blauen Kontaktlinsen zu vergessen. »Sind Sie bei der Twentieth Century, Mr. Holman?«

»Wenn Sie solche Fragen stellen müssen, Mädelchen«, sagte ich immens gut gelaunt, »sind Sie vermutlich verdammt neu in der Branche. Wie?«

Sofern sie tatsächlich die Marke Blickfang trug, sorgte sie durch langes, tiefes Atemholen aufs Beste dafür, dass der Büstenhalter seinem Ruf entsprach. »Ich bin seit sechs Monaten hier, Mr. Holman.« Ihre Stimme war so sehr von übertriebener Süßigkeit erfüllt, dass selbst eine Biene vor Neid erblasst wäre. »Ich werde Mr. Ryan gleich Bescheid sagen.«

»Danke.«

»Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Holman.« Ein weiterer schneller, aber noch immer tiefer Atemzug, und dann ließen mir die heftig auf und nieder wippenden Augenwimpern völlig unverschlüsselte Botschaften zukommen. »Ich tue alles für Sie, Mr. Holman, alles.« Das Gekicher sollte sexy und zugleich vertraulich klingen, aber es war einfach schrill und misstönend. »Beverley Britton – meine Nummer steht jetzt zum Glück im Telefonbuch. Rufen Sie an, wann immer Sie wollen, Mr. Holman, jederzeit.«

Ich seufzte leise. »Tausend Dank. Aber was Mr. Ryan anbetrifft – Sie wollten ihn doch wissen lassen, dass ich hier bin?«

»Oh, natürlich.« Sie kicherte erneut. »Ich bin dumm, nicht wahr?«

»Ja«, sagte ich schlicht.

Etwa zwanzig Sekunden später trat ich in Barney Ryans Büro, und er begrüßte mich so überschwänglich, dass ich einen flüchtigen Augenblick lang beinahe glaubte, ich hieße in der Tat Darryl.

»Rick, Baby?« Er ergriff meine Hand und pumpte mit solch muskulösem Enthusiasmus an meinem Arm, dass ich mich fragte, ob er wohl erwartete, Öl aus meinem Mund schießen zu sehen. »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, mein Junge! Zu verdammt lange nicht mehr, Baby, nicht? Zwei Jahre. Stimmt’s?«

»Drei.« Ich zog meine Hand vorsichtig zurück. »Sie sind in der Welt vorangekommen, Barney.«

»Ich habe Glück und ein paar Chancen gehabt«, sagte er mit kleidsamer Bescheidenheit. »Wie wär’s mit etwas zu trinken?«

»Bourbon mit ein bisschen Wasser, danke«, sagte ich.

»Sofort! Setzen Sie sich hierhin«, er drängte mich in einen eleganten antiken Sessel, der eine Imitation war, aber eine teure Imitation, »während ich zu meiner Schatzkammer hinübergehe und etwas von Ihrem Lieblingsgift mixe.«

Ich sah zu, wie er zu der glänzenden Barschrank-Eisbox-Kombination hinüberging, die in die Wand eingebaut war, und überlegte, dass der Erfolg Barney Ryan nicht sonderlich verändert hatte. Er hatte ihn nur noch ein wenig widerwärtiger gemacht. Er war ein untersetzter Bursche von Ende Vierzig, und in den letzten drei Jahren hatte er eine Menge Gewicht angesetzt; und deshalb wirkte er jetzt, trotz der Bemühungen eines erstklassigen Schneiders, ein wenig schwammig. Sein dichtes braunes Haar hatte ein paar zusätzliche graue Strähnen bekommen, und das Haselnussbraun seiner Augen hatte jetzt einen kleinen Stich ins Lehmfarbene.

Vor drei Jahren hatte er, hart an der Grenze des Gesetzmäßigen entlang, von einem Hinterzimmer in Westhollywood aus eine Agentur betrieben. Nun arbeitete er in einem schicken Büro in Beverley Hills und hatte drei Teilhaber als Mitarbeiter. Hatte der Erfolg Barney Ryan verdorben? Kaum, dachte ich; im Grunde war er noch immer derselbe miese kleine Gauner, der er immer gewesen war.

Er drückte mir ein fast volles Glas in die Hand und nahm seinen eigenen Drink mit sich um den gewaltigen Schreibtisch herum zu seinem Stuhl.

»Auf Hollywood, Rick!« Er hob sein Glas und trank gierig. »Und wenn wir schon von Leuten reden, die es zu etwas gebracht haben, wie steht es denn mit

Ihnen, Baby? Sie sind in Ihrer Branche ein ausgesprochen großes Tier geworden, nicht? Wenn heutzutage in diesem verdammten Filmgeschäft jemand irgendwelche Scherereien hat, was tut er dann? Er lässt umgehend Rick Holman kommen! Ich habe gerade neulich mit Axel Monteigne über Sie gesprochen«, in seinem Mund klang der Name des großen unabhängigen Produzenten wie eine quantite negligéable, »und irgendwie kam Ihr Name aufs Tapet, Rick, Baby. Sie hätten ihn hören sollen, wie er von Ihren Fähigkeiten geschwärmt hat, Herzchen! Das hätte Ihrem alten Herzen gut getan!«

»Ihr Herz ist mindestens fünfzehn Jahre älter als meins, Barney, Baby«, sagte ich kalt.

»Klar – ich habe ja bloß Spaß gemacht!« Er grinste breit über das ganze Gesicht und hob erneut

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Carter Brown/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Rosmarie Kahn-Ackermann (OT: Blonde On The Rocks).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6572-1

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