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Leseprobe

 

 

 

 

MARGARET SCHERF

 

 

Der Toledaner Degen

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 150

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER TOLEDANER DEGEN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

 

 

Das Buch

Während Henry die letzten Tropfen seines Whiskys genießerisch schlürfte, dachte er über das Royal Rajah nach. Nie würde man ahnen, was seine Mauern bergen, wenn man vor dem imposanten Vordach vorfährt, die blankpolierten Bronzebeschläge und den gold-blau uniformierten Portier sieht und die äußerst vornehme Atmosphäre atmet, welche die Torstufen umgibt. Selbst in dem großen Vestibül, das nicht ganz wie übliche Hotelhallen war, würde man noch nicht merken, dass hier den Göttern des unerschütterlichen Gleichmuts geopfert wird...

 

Margaret Scherf (* 1908 in Fairmont, West Virginia; † März 1979) war eine US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Der Toledaner Degen erschien erstmals im Jahr 1951; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DER TOLEDANER DEGEN

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Henry, bist du dir darüber im Klaren, dass wir seit achtundzwanzig Monaten verheiratet sind, ohne dass etwas passiert wäre?« Emily tunkte den Pinsel in die Farbe und verlieh dem Chinesen-Männlein, das sie aut einen Kaffeetisch malte, ein zweites Auge.

»Du hast mir das Schlüsselbein zerteppert »Das war ein Unglücksfall.«

»Das Atelier hat gebrannt, Di Nobili hat uns auf achthundert Dollar verklagt, Roscoe hat die Windpocken gehabt, deine Mutter ist ihre Brillantnadel losgeworden, und du hast zwölf Pfund zugenommen.«

»Lauter lächerliche Bagatellen!«, sagte Emily und wischte den Pinsel an ihrem Arbeitskittel ab. »Ich meine, mit unserer Ehe ist nichts passiert.«

»Ich frage mich heute noch, wieso es dir gelungen ist, mich zu beschwatzen.« Henry zündete eine Zigarette an und blickte auf die Lexington Avenue hinunter, wo die Taxis und Busse den späten Frühlingsschnee zu braunem Kakao vermanschten. »Vielleicht wird in London etwas passieren -ein Glücksfall, der mir die Freiheit wiederschenkt!«

Emily sagte in entschiedenem Ton: »Wenn in London unsere Ehe kaputtgeht, fahre ich nicht hin.«

»Lieber verzichtest du auf ein Dutzend Männer als auf diese Englandreise!«

»Die ganze Reise ist mir gleichgültig!« Emily griff hach dem Telefon, das seit mehreren Minuten hartnäckig klingelte. »Hallo! Ja, Mrs. Cormorant, er hat sie gerade in Arbeit. Wirklich! Aber Sie können sie nicht vor nächster Woche bekommen. Wir fliegen heute Abend nach England - übers Wochenende. Wunderbar, nicht wahr? Der bedeutendste Innenarchitekt von London hat uns eingeladen. Geld spielt keine Rolle - es. ist ja nicht unser Geld. Ich soll irgendeinem Lord zwei Schränkchen für seinen Salon antikisieren. Henry...« - sie deckte die Hand über die Muschel »...kannst du die Truhe bis nächsten Mittwoch fertigmachen?« Ohne seine Antwort abzuwarten, nahm sie den Hörer wieder hoch. »Ja, Mrs. Cormorant, er versprüht hoch und heilig, sie bis Mittwoch fertig zu haben. Auf Wiedersehen!«

»Emily«, sagte Henry streng, »du weißt, wir können unmöglich nächsten Mittwoch schon wieder in New York sein, geschweige denn Mrs. Cormorants Truhe bis dahin fertig haben!« Emily lächelte. »Du bist so süß und ehrlich, Henry! Ich fürchte, mir wird im, Flugzeug schlecht werden, ich werde das neue Gabardinekostüm lieber erst in London anziehen!«

»Fahr doch so, wie du bist!«, sagte Link, der mit drei Pappbechern Kaffee erschien. Ihm gehörte Lincoln Simpsons Antiquitätengeschäft im Parterre des gleichen Hauses. »Ich dachte mir, ihr würdet heute keine Zeit zum Kaffeetrinken haben, aber wie ich sehe, seid ihr mit der ganzen Arbeit schon fertig und könnt mit ruhigem Gewissen davonfahren.« Sorgenvoll betrachtete er die Tische, Stühle, Betten, Truhen, Sekretäre, Wandleuchter, Standuhren und sonstigen Gegenstände, die Emily Bryce im Aufträge verschiedener Innenarchitekten und Dekorationsfirmen zu antikisieren, also in Pseudoantiquitäten zu verwandeln hatte, damit sie teuer verkauft werden konnten. Manche dieser Gegenstände standen schon so lange im Atelier, dass Emily nicht mehr wusste, wer sie gebracht hatte. Und bei jedem Stück hatten sie heftige Auseinandersetzungen gehabt. Aber Emily war außerstande, einen Auftrag abzulehnen.

»Ich glaube nicht, dass wir das Flugzeug noch erreichen«, sagte Henry aufrichtig. »Es ist bereits vier.«

»Wir kommen zurecht!«, beschwichtigte Emily ihn. »Sollen wir dir etwas mitbringen, Link? Vittorio hat sich ein Paar Epauletten oder ähnliches gewünscht.«

Link wollte nichts einfallen. »Amüsiert euch und schaut euch London an! Und gebt Acht, dass man euch nicht betrügt! Mir wäre lieber, ihr hättet diesen Auftrag nicht gerade von Alfredo Vittorio bekommen.« 

»Einverstanden!«, sagte Henry und begann seine Pinsel wegzuräumen. »Er ist glatt wie ein Büchsenpfirsich.«

»Dir gefallen bloß seine Hemden nicht!«, warf Emily ein. »Alfredo ist in, Ordnung. Denk mal, morgen frühstücken wir im Bett mit dem Herzog von Orange!«

»Der Mann heißt Peel«, berichtigte Henry. »Mr. George Peel - ganz einfach!«

»Wer wird uns glauben, dass wir nach London fliegen, um zwei Schränke für jemand zu antikisieren, der nicht mindestens ein waschechter Herzog ist!«

Roscoe kehrte ans dem Drugstore zurück, in dem er seinen Nachmittagskaffee einzunehmen pflegte, und unkte von bevorstehenden Katastrophen wie zum Beispiel Emilys Flugreise nach London. Er war schon lange, bevor Emily sich mit Henry Bryce verheiratete, im Lentement-Atelier angestellt gewesen, vergötterte sie und fragte sie in allem um Rat, vom Hemdenkauf bis zum Sparbuch. Roscoe hatte nur Sine schlechte Gewohnheit - er pflegte zum Schluss nach seinem eigenen Kopf zu handeln. Emily entließ ihn monatlich zweimal.

»Leben Sie wohl!«, sagte er seufzend. »Wir sehen uns nie wieder.« Er zog seinen Kamm hervor und ordnete sein schwarz gefärbtes Haar, bevor er mit der Untergrundbahn nach Hause fuhr.

»Wir sehen uns am Dienstag!«, sagte Emily heiter. »Nehmen Sie die Post aus dem Kasten und legen Sie sie auf den Schreibtisch, und gehen Sie nicht ans Telefon, es kommen doch nur Beschwerden. Und vergessen Sie nicht, Ihre Pillen zu nehmen!«

Roscoe nickte mit düsterer Miene, und sie sperrten das Atelier zu. Mit Links Hilfe kamen sie sogar noch eine Minute zu früh auf dem La-Guardia-Flugplatz an. Emily trug ihr neues Gabardinekostüm, von der Überlegung ausgehend, dass der Mensch ja doch nur einmal lebe. Es gab einige Scherereien wegen der Farben und Pinsel, die sie in Pappschachteln unter dem Arm trug, aber zu guter Letzt wurde Sie samt Gepäck ins Flugzeug verladen.

Am nächsten Abend um halb sechs trank Henry im Doppelzimmer des Royal-Rajah-Hotels in Kensington ein Glas Whisky und wärmte seine Füße am elektrischen Ofen. Er fühlte sich wohl und schwelgte in Wohlbehagen, weil es den ganzen Tag über so ungemütlich gewesen war. Alle Bekannten hatten he...« Stäuptet, nie schneie es im April in London. Doch es schneite.

Aus dem Badezimmer kam das friedliche Geräusch rauschenden Wassers. Emily war dabei, ihren gestörten Blutkreislauf durch ein heißes Bad wieder anzuregen,

Henry hatte soeben sein Glas zur Hälfte geleert, da hörte er Emily laut aufschreien. In Strümpfen lief er über den eiskalten Fußboden.

Emily stand triefend neben der Wanne.

»Als ich mich hineinsetzte, schlug mir das Wasser über den Kopf.«

»Musstest du die Wanne bis zum Rand füllen?«

»Man will die Ausländer mit Absicht ertränken. Henry, was geht in diesem Badezimmer vor? Die Toilette heißt Alerto und das Papier Bronco.«

»Du hast noch genau vierzig Minuten Zeit, um dich anzuziehen.«

»Warum hat Lord Peel uns nicht auf sein Schloss eingeladen?«

»Mr. Peel hat kein Schloss. Er besaß ein Haus in Marlborough, aber er musste es verkaufen. Die Steuern sind zu hoch.«

»Wozu braucht er dann die beiden Schränke?«

»Er will seiner Tochter in London eine Wohnung einrichten.« Henry kehrte an den Ofen zurück und nahm sein Glas zur Hand.

»Er ist ein lieber Kerl!«, rief Emily, im Wasser planschend. »Nett und rosig, mit zwinkernden Augen.«

Henry brummte vor sich hin. Nach einer Weile erschien Emily und begann ihren Koffer zu durchstöbern. »Was soll ich anziehen, wenn wir in den Eiskeller gehen?«

»Du hast doch wohl ein Kleid mit!«

»Ja, aber es hat keine Ärmel. Na schön, ich werde mir deinen Bademantel umnehmen.«

»Du wirst dich wie eine Dame benehmen, und wenn ich dabei erfrieren muss!«

Emily murmelte, sie bekäme bestimmt Lungenentzündung, Henry kümmerte sich nicht einen Deut um ihre Gesundheit, und wer kein Idiot sei, bleibe schön zu Hause. Aber sie zog das hinten und vorn tief ausgeschnittene Taftkleid an, parfümierte sich im Übermaß und setzte sich hin, um die Fingernägel zu polieren.

»Wie gefällt er dir?«, fragte Emily.

»Wer?«

»Lord Peel natürlich!«

»Ein liebenswürdiger Spross alten Adels! Ein echter Brite! Raucht Pfeife, hasst die Regierung, hat einen kleinen Schnupfen.« Henry streckte die Füße näher ans Feuer. »Es heißt, davon kriegt man Frostbeulen! Peel scheint sehr an seiner Tochter zu hängen.«

Emily sah Henry an. »Was hältst du von Olivia?«

Henry merkte den Blick. »Mir war’s lieber, sie hätte keinen Mann.«

»So, so! Dir gefallen diese billigen hilflosen Wesen! Durchsichtig wie eine Schaufensterscheibe! Nie könnte sie ein Geschäft führen!«

»Das hat sie auch nicht nötig. Sie hat Geld.«

Emily beschmierte den einen Daumen wie eine Wilde mit rotem Lack. »Wenn sie Geld hat, warum wohnt sie in diesem Loch?«

»Ich nehme an, dass das früher einmal ein gutes Hotel war.«

»Ja. Ich kann mir vorstellen, dass die ollen Raubritter sich hier großartig amüsierten.«

Während Henry die letzten Tropfen seines Whiskys genießerisch schlürfte, dachte er über das Royal Rajah nach. Nie würde man ahnen, was seine Mauern bergen, wenn man vor dem imposanten Vordach vorfährt, die blankpolierten Bronzebeschläge und den gold-blau uniformierten Portier sieht und die äußerst vornehme Atmosphäre atmet, welche die Torstufen umgibt. Selbst in dem großen Vestibül, das nicht ganz wie übliche Hotelhallen war, würde man noch nicht merken, dass hier den Göttern des unerschütterlichen Gleichmuts geopfert wird. Die Portiersloge, mit Schlüsseln und Postfächern garniert, macht einen soliden, beruhigenden Eindruck. Mr. Peel aber behauptete, Briefe an Leute, die längst gestorben waren, blieben jahrelang in den Fächern liegen. Briefe an Leute, deren Name mit C beginne, und die aus Versehen in das Fach mit dem Buchstaben R gerieten, wurden für ewige Zeiten im R-Fach aufbewahrt. Neue Gäste, die nicht wüssten, dass sie sich von selbst beim Portier nach Post zu erkundigen hätten, erhielten ihre Post überhaupt nie.

Was den ehrwürdigen Aufzug betraf, so war er eine geheiligte Institution und durfte nicht mutwillig benutzt werden. Rüstige Gäste, behauptete Peel, seien gezwungen, einen Faden von ihrem Zimmer ins Vestibül zu ziehen oder sich aufs Geratewohl wieder zurückzutasten, auf und ab über schmale, mit roten Teppichen belegte Treppen, durch lange Flurtunnels, über glasverkleidete Brücken, die von einem Flügel zum anderen führten; gelegentlich müssten sie sich bei länger ansässigen Gästen nach dem Weg erkundigen... 

»Wahrscheinlich steigen sie aus alter Gewohnheit hier ab«, sagte Henry. »So, wie wir in die Grillbar laufen, obwohl das Essen abscheulich ist. Es gefällt ihnen, weil die schlechte Bedienung eine persönliche Note hat.«

»Ich glaube nicht, dass Olivia vom Pferd gefallen ist«, sagte Emily, zu dem heiklen Thema zurückkehrend. »Ich glaube, sie will bemitleidet werden.«

»Ihr teurer Gatte wird sie sicher nicht bemitleiden«, brummte Henry. »Roy Palling dürfte ebenso viel Herz haben wie unsere Steuerbehörden.«

»Ich finde ihn niedlich«, erwiderte Emily.

»Was? Diesen dicken Ochsen?«

»Er hat Charme. Männer mit Charme gefallen dir nie, Henry!«

Henry zuckte die Schultern. Er hatte das Gefühl, binnen einer Stunde würde Emily ihren Roy samt all seinem Charme gründlich überhaben.

Sie wanderten durch die Korridore und die Treppe hinunter, landeten in einer Besenkammer neben dem Speisesaal und wurden von dem Oberkellner in die Cocktailbar geleitet. Mr. Peel und Roy Palling wärmten ihre Hinterteile vor einem schönen Kohlenfeuer. Olivia saß steif auf einem kalten, harten Chromsessel. Henry fand sie recht schön und merkte an Emilys gerunzelten Brauen, dass sie seine Meinung teilte. Sie waren die einzigen Gäste des uralten und tief melancholischen Barmixers.

»Ich fürchte, wir werden uns beeilen müssen«, sagte Mr. Peel. »Die Stammgäste - die alten Damen, die man überall herumwimmeln sieht - hausen wie die Heuschreckenschwärme. Es ist ratsam, sich nicht zu verspäten.« Er bestellte die Drinks, und dann herrschte Schweigen.

Henry merkte, dass Roy Palling sich den Kopf zermarterte, um etwas zu sagen. Schließlich brachte er es fertig, den Anwesenden mitzuteilen,  dass das Wetter für diese Jahreszeit ungewöhnlich schlecht sei.

Mrs. Palling beobachtete Emily mit ziemlichem Respekt, wie es Henry schien. Ebenso hatte er den Eindruck, dass sie sich vor ihrem Gatten fürchtete.

Mr. Peel reichte seiner Tochter ein Glas. »Bist du sicher, dass es richtig war mitzukommen? Wird es dich nicht zu sehr ermüden?«

Roy sagte ungeduldig: »Sie ist ganz gut auf den Beinen und kann mit uns essen. Es war kein schlimmer Sturz.«

»Soviel ich weiß, warst du nicht mit dabei.« Mr. Peel musterte seinen Schwiegersohn mit finsteren Blicken.

Olivia blickte unruhig von einem zum anderen. »Es war wirklich nicht schlimm, Papa«, sagte sie. »Roy hat recht. Du machst dir zu viele Sorgen um mich.«

»Jedenfalls«, fuhr ihr Vater fort, »wirst du keine Springer mehr reiten, Olivia! Es hat dir nie Freude gemacht. Ich verstehe nicht, warum du unbedingt einen Sport treiben musst, der fast immer mit einem Unglück endet.«

»Das ist genauso wie mit Krabben-Mayonnaise«, sagte Emily liebenswürdig. »Mir wird immer übel davon, aber ich kann nicht widerstehen. Erinnerst du dich noch, Henry, damals bei Pierre, als ich Hals über Kopf vom Tisch aufstehen musste...« Henry machte diesen Erinnerungen mit einem bedeutsamen Blick ein Ende, und Emily wandte sich tief gekränkt den zwei großen Sepiadrucken an der Wand zu. Der eine hieß Die glückliche Mutter und zeigte eine Jagdhündin mit sieben Jungen. Der andere hieß Oh, du entschwundene Hand! und zeigte einen weniger vom Glück gesegneten Köter, der auf einem Handschuh lag und finster dreinschaute.

Sie tranken ihre Gläser leer und begaben sich in den Speisesaal, wo bereits einige der Dauergäste, von denen Mr. Peel gesprochen hatte, den rosaroten Flammeri in sich hineinschlabberten. Die alten Damen saßen allein oder mit einer Gefährtin an kleinen Tischen und hatten sich hinter erschreckenden Bergen von Flaschen und Gläsern mit Fischpastete, Anchovis und Marmelade verbarrikadiert.

»Das ist Cousine Adas Tisch«, sagte Mr. Peel mit einem Kopfnicken, während er Emilys Stuhl zurechtrückte. »Wie gewöhnlich ist sie nicht zu Hause. Aber Sie müssen sie kennenlernen, ehe Sie abreisen - ein Stückchen altes England, die gute Cousine Ada! Fünfundsiebzig und zäh wie Sattelleder.«

Henry stellte fest, dass auf Cousine Adas Tisch alle die kleinen Flaschen fehlten.

»Sie hat das Royal Rajah entdeckt, anno dazumal, als es noch ein bisschen Schwung hatte. Jetzt ist es eine Familieninstitution geworden. Immer wenn wir in die Stadt kommen, steigen wir hier ab.«

»Wenn unsere Wohnung fertig ist, Papa, brauchst du nicht mehr hier abzusteigen«, sagte Olivia. »Das Essen ist schrecklich.«

»Ich wüsste nicht, wie wir jemanden bei uns unterbringen sollten«, erwiderte Roy mit einem Lächeln, und wenn man ihn lächeln sah, hatte man Lust, ihm die Zähne einzuschlagen..

»Aber lieber Roy, wenn es sich um Papa handelt...« Mit einem raschen Lächeln sah sie Henry und Emily an. »Langweilig, sich Familienstreitigkeiten mit anhören zu müssen.«

»Ich ziehe es vor, mitzustreiten«, sagte Emily, und dann näherte sich ihr der Kellner, ein kleines, rosig weißes Karnickel.

»Dick oder klar?«, fragte er unterwürfig.

Mr. Peel erklärte, dass sich das auf die Suppe beziehe, und riet ihnen, die klare Brühe zu nehmen. »Man weiß nie, was sie in die Creme hinein tun. Wir nehmen alle Huhn, Albert!«

Emily erkundigte sich nach der Fleischpastete, und Mr. Peel sagte, das sei eine Art Marmortafel mit eingebetteten Fett-, Schinken- und Wildbrocken, umrahmt von einer wässrigen Kruste.

»Nicht gut genug für amerikanische Gaumen«, sagte Roy säuerlich.

»Nicht für den menschlichen Genuss geeignet«, lächelte Mr. Peel. Er schien entschlossen, jeden Zank zu vermeiden, und Henry hatte den Eindruck, ohne Roy Palling wäre es ein gemütlicher Abend geworden. Peel konnte gut plaudern und verfügte über einen großen Vorrat an Anekdoten aus der Chemie-Branche und aus dem Familienleben in Marlborough. Palling saß da wie ein Igel und gab ab und zu ein abfälliges Brummen von sich.

Henry konnte es sich schließlich nicht mehr verkneifen, ihm eins auszuwischen. »Und was haben Sie für einen Beruf, Palling?«, fragte er nicht allzu höflich.

Roy verzog höhnisch die Lippen. »Ich male keine Boudoirs.«

»Nein? Es ist wohl amüsanter, sie zu besuchen!« Rasch wandte sich Henry an Peel und fragte, wo die Arbeit an den Schränken vor sich gehen sollte.

»Ich will sehr früh anfangen«, gab Emily zu verstehen. »Sagen wir um acht!«

»Die Schränke stehen bei Jerome«, sagte Mr. Peel. »Aber ich fürchte, er macht nicht vor zehn auf.«

»Mrs. Bryce wird nicht vor elf aufstehen«, versicherte Henry. »Sie pflegt jeden Abend heroische Entschlüsse zu fassen.«

»Das ist sehr ungerecht von. dir, Henry! Die Herrschaften kennen mich nicht und werden annehmen, dass du die Wahrheit sagst. Ich will die Schränke morgen fertigmachen und mir am Sonntag London ansehen.«

Mr. Peel lächelte. »Ihr. Amerikaner! Sie werden bestimmt nicht weniger als eine Woche brauchen, Mrs. Bryce. Und dann eine weitere Woche, um sich umzusehen... Wir werden sehr gekränkt sein, wenn Sie sich nicht die Zeit nehmen, unser Land ein wenig kennenzulernen.«

»Es ist sicher ein sehr hübsches Land, aber ich muss am Montag wieder zurück sein. Di Nobili bringt mich um, wenn ich seinen Auftrag nicht bis Ende nächster Woche fertig habe.«

»Papa«, sagte Olivia ruhig, »Mr. Jeromes Geschäft wird morgen nicht auf sein. Es ist Sonnabend.«

Mr. Peel machte den Vorschlag, die Schränke in Olivias Wohnung zu schaffen, dort könne Emily ungestört malen, wann immer es ihr passte.

»Soweit ich die Dekorateure kenne, werden sie uns den Fußboden ruinieren«, bemerkte Roy.

»Mrs. Bryce ist äußerst penibel«, log Henry. »Sie hat oft in neuen Wohnungen gearbeitet, wo bereits die Teppiche lagen und die Möbel standen.«

»Besten Dank, Henry!«, sagte Emily von ganzem Herzen. »Erinnerst du dich, wie ich von der Leiter fiel und einen Topf Farbe auf Mrs. Weissmans Teppich schüttete?«

»Ich kann mich an einen solchen Vorfall nicht erinnern.«

»Oh, doch, Henry! Zuerst legte ich eine Zeitung über den Fleck, dann wurde ich ohnmächtig, weil ich mir den Knöchel verstaucht hatte, und als ich wieder zu mir kam, hatte noch kein Mensch etwas gemerkt. Ich ging also ins Badezimmer, holte mir eine Rasierklinge, schabte die Farbe vom Teppich und trampelte ein bisschen darauf herum - und dann war nichts mehr zu sehen.« Gleich nach dem Käse und den Biskuits begab sich Olivia auf ihr Zimmer. Roy blieb noch bei den anderen, blockierte mit seinen unverschämt großen Füßen den Kamin im Gesellschaftszimmer und ließ, anscheinend völlig unbekümmert, die giftigen Blicke verschiedener alter Damen über sich ergehen.

»Ich habe mir überlegt...«, sagte Roy zu Mr. Peel - Emily und Henry gleichsam beiseite schiebend -, »...dass eine Amerikareise Olivia guttun würde. Sie nimmt ihr Missgeschick viel zu ernst.«

»Ich habe den Eindruck«, erwiderte Mr. Peel, »dass du sie zu diesen Reitübungen zwingst. Olivia ist nie eine begeisterte Jägerin gewesen. Sie muss damit aufhören, bevor sie sich den Hals bricht.«

»Unsinn! Jeder fällt mal aus dem Sattel. Im Grunde genommen reitet sie gern.«

»Ungern!« Mit kurzen, ruckartigen Bewegungen stopfte Mr. Peel seine Pfeife, klopfte seine Taschen ab und fand eine Streichholzschachtel, dann zog er kräftig an seiner Pfeife. »Muss Schluss sein... Verstanden?«

»Ich behaupte trotzdem, dass ihr das Jagen guttut. Es hebt ihr Selbstbewusstsein. Sie muss das Gefühl haben, dass sie etwas beherrscht!«

»Warum?«, fragte Mr. Peel.

»Das ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.«

»Wer sagt das?«

»Sämtliche Psychologen.«

»Pah!« Mr. Peel lehnte sich ärgerlich zurück.

»Vielleicht könnten wir mit demselben Schiff fahren wie Sie, Bryce?«

»Wir sind geflogen.«

»Oh!« Roy runzelte die Brauen. »Ich habe nichts fürs Fliegen übrig.«

»Dann solltest du öfter fliegen«, sagte sein Schwiegervater, »es hebt das Selbstbewusstsein.«

»Und Sie wären nicht geneigt, per Schiff zurückzufahren?«, fuhr Roy fort, sich immer noch an Henry wendend.

»Ich hätte nichts dagegen, aber Emily wird seekrank.«

»Wir können es uns nicht leisten, so lange unterwegs zu sein«, fügte Emily hinzu.

Mr. Peel schien es zu gefallen, dass sie auf Roys Wünsche nicht eingingen. Henry fragte sich, was Roy überhaupt für einen Grund hätte, sich ihnen anzuschließen. Dann fiel ihm ein, dass Engländer stets mit leeren Taschen in Amerika landen. Es würde zweifellos bequemer sein, in Gesellschaft eines Amerikaners zu kommen.

Henry merkte bald, dass Emily zu Bett gehen und sich einen ihrer üblichen Kriminalromane zu Gemüte führen wollte, deshalb sagten sie gute Nacht. Mr. Peel begleitete sie hinauf und beklagte sich über die schlechte Beleuchtung. »Ich wohne gern hier, ich komme schon seit so vielen Jahren hierher. Roy passt es natürlich ganz und gar nicht. Hier - wir gehen durch diesen Korridor und dann die andere Treppe hinauf! Kürzer.« Er ging voran durch einen Rauchsalon, in dem nie jemand rauchte, durch einen anstoßenden finsteren Flur, zwei Stufen hinauf, dann nach rechts, durch einen weiteren Korridor, dann nach links, abermals zwei Stufen hinab, und dann waren sie bei Nummer 35 angelangt. Die Tür nebenan hatte die Nummer 102.

»Roy und Olivia wohnen nebenan«, sagte Mr. Peel. »Ich wohne einen Stock höher, auf Nummer 93. Wenn Sie etwas brauchen, klopfen Sie, bitte, bei mir an. Ich habe einen leichten Schlaf. Wahrscheinlich, werde ich mich ohnedies nicht vor ein Uhr hinlegen. Ich lese noch.«

»Wirklich?«, sagte Emily strahlend. »Ich auch: Wenn Sie sich ein Magazin borgen wollen...«

Henry fiel ihr ins Wort. »Mr. Peel hat genug eigene Lektüre.«

»Im Gegenteil - ich würde gern etwas Amerikanisches lesen.« Emily lief ins Zimmer und erschien mit einer Nummer des Detektivmagazins. Mr. Peel machte erstaunte Augen. Auf dem Umschlag war der halbnackte Oberkörper eines Frauenzimmers abgebildet, das von zwei teuflischen Händen erdrosselt wird.

»Diese Nummer ist ein bisschen zahm«, entschuldigte sich Emily. »Aber wenn Sie so etwas nicht gewöhnt sind, wird sie Ihnen vielleicht gefallen. Können Sie mir dagegen etwas Englisches leihen?«

»Leider nicht in diesem Genre«, sagte er bedauernd. »Sind Sie imstande, nach solcher Lektüre zu schlafen?«

»Oh, ja. Manchmal träume ich schlecht. Wenn ich dann träume, dass ich die Absicht habe, Henry umzubringen, lasse ich’s eine Woche lang sein.«

Mr. Peel zog sich zurück, die Zeitschrift etwas zimperlich an einer Ecke angefasst.

Als sie das riesige Zimmer betraten, schüttelte sich Emily. »Mach die Fenster zu und dreh den Brotröster an! Diese frische Luft ist mein Tod!«

»Englische Fenster bewegen sich nur in einer Richtung, mein Kind - nach oben! Geh zu Bett! Wahrscheinlich hast du eine Wärmflasche bekommen.«

Emily befolgte schnell den Rat ihres Gatten. »Ja, Henry, da ist die Wärmflasche! Wie konntest du das wissen?«

»Intuition! Willst du dich nicht ausziehen?«

»Erst wieder in der 62. Straße! Gib mir, bitte, meinen Mantel!«

Henry warf ihr den Mantel zu und stellte den kleinen elektrischen Heizofen an, der wie eine Kerze in den Katakomben glomm.

Emily las zehn Minuten lang. »Es ist schrecklich still. Ich glaube, kein Mensch schmeißt hier Flaschen aus dem Fenster oder verhaut seine Frau.«

»Mir gefällt es«, sagte Henry. »So friedlich!« Er setzte sich in dem Sessel vor dem Öfchen zurecht und zündete eine Zigarette an.

»Willst du nicht lesen oder sonst etwas tun? Wie kannst du denn so dasitzen, ohne Muh zu sagen?«

»Warum hat Olivia diesen fetten Esel geheiratet?«, murmelte er.

»Du wunderst dich immer, warum Frauen ihre Männer geheiratet haben, anstatt dich zu heiraten!«

»Wäre ich damals hier gewesen, wäre es sicherlich nicht passiert.«

Emily wandte sich wieder ihren gedruckten Orgien zu. Volle drei Minuten lang herrschte Stille. »Ich werde verrückt«, sagte Emily. »Mach Lärm, Henry!«

»Psst!« Er stand auf, ging leise in Strümpfen zu der schweren Draperie hin, die vor der versperrten Tür des Nebenzimmers hing, und legte das Ohr ans Schlüsselloch. Es war Roys Stimme.

»Ja, mein Kind, aber warum bist du gestürzt?«, sagte er. »Es war kein schlechter Sprung. Marie sagte mir schon am Telefon, sie wüsste nicht, warum du gestürzt bist. Was war der Grund?«

»Ich weiß es nicht, Roy. Ich weiß es nicht.«

»Wahrscheinlich hast du Angst gehabt. Du hast immer Angst.« Sie begann leise zu weinen. »Ich möchte nie wieder reiten!«

»Unsinn! Du musst diese absurde Angst überwinden. Es ist nicht gefährlich, solange man nicht feige ist.«

»Es kommt vor, dass Leute sich den Hals brechen.«

»Wenn wir im Herbst die Penningtons besuchen, musst du mit jagen kommen.«

»Nein, Roy! Bitte, sprich nicht mehr davon! Ich will nie wieder auf einem Pferd sitzen.«

»Die beste Methode, um darüber wegzukommen, mein Kind! Oder soll alle Welt wissen, dass du feige bist? Sollen die Leute darüber reden?«

»Ich weiß, dass ich feige bin. Die Leute merken es, Roy. Und der arme Gaul merkt es auch.«

»Er wäre nicht auf den Pfosten gefallen, wenn du nicht plötzlich vor Angst die Zügel angezogen hättest. Ein prächtiger Gaul! Wir werden zahlen müssen. Es gehört sich nicht, gute Pferde zuschanden zu reiten, so dass ihre Gedärme auf der Erde herumliegen!«

»Roy, bitte!«, schluchzte Olivia.

Henry ließ die Draperie fallen und begab sich wieder zu seinem Sessel. »So ein Kerl!«, sagte er leise. »So ein Kerl!«

»Was geht da drin vor?«

»Er quält sie.«

Emily betrachtete den kalten Fußboden und dann die verhängte Tür. »Wenn wir bloß ein Diktaphon oder ein Bandaufnahmegerät hätten!« Sie schlüpfte aus dem Bett und horchte an der Tür. »Sie ist eine dumme Gans«, flüsterte sie laut. »Warum gibt sie ihm keinen Fußtritt? Sie heult bloß! Ich kann heulende Frauen nicht ausstehen.«

Henry bat sie, still zu sein, aber sie horchte weiter und setzte ihre Kommentare fort. »Es muss an seinem Geld liegen, sonst würde sie nicht bei ihm bleiben, Henry. Oder liebt sie ihn? Man kann nie wissen! Schau mich an!«

»Schau dich an! Marsch ins Bett, sie werden dich mit den Zähnen klappern hören.«

»Das ist mir ganz egal. Sollen sie’s hören!«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Wie Henry es vorausgesehen hatte, war Emily am nächsten Morgen nicht vor zehn Uhr wachzurütteln. Der Speisesaal war bereits offiziell geschlossen, aber Mr. Peel ließ ihn wieder öffnen, samt dem Oberkellner und sonstigem Zubehör.

»Wo sind die silbernen Hauben?«, fragte Emily und sah sich in dem dunklen Raum nach den kleinen Tischen um.

»Hören Sie nicht hin!«, sagte Henry zu dem beunruhigten Oberkellner. »Sie bildet sich ein, England müsste eine Mischung von gerösteten Nieren und rosigen Butlern sein.« Er zwang sie, sich mit dem Frühstück zu beeilen, und das war keine große Kunst, da Emily weder geräucherten Hering noch Bratkartoffeln mochte.

Zusammen mit Mr. Peel nahmen sie ein Taxi und fuhren in die Wohnung, wo Mr. Jerome auf sie wartete. Henry missfiel der Mann auf den ersten Blick, aber Emily schien in ihm einen gewöhnlichen Vertreter der Dekorateur-Zunft, wenn auch fremden Gepräges, zu sehen. Er hatte eine schlappe und herablassende Art, aber so benahmen sich ja auch Dutzende vornehmer New Yorker. Mit größter Ausführlichkeit schilderte er, wie die beiden alten Mahagonischränke antiken Charakter zu erhalten hätten. Dann zog er einen Brief aus der Tasche.

»Vittorio schreibt mir«, sagte er, »dass er gern ein Paar Franz-Joseph-Epauletten haben möchte, wenn Sie so lieb sein wollten, sie mitzunehmen.«

»Ich bin so lieb!«, sagte Emily. »Er hat mich darum gebeten.«

»Ich komme am Montag vorbei, um zu sehen, wie weit die Arbeit gediehen ist«, sagte Mr. Jerome, nahm seine Brokatmuster und machte sich davon.

»Am Montag bin ich längst fertig«, sagte Emily zu Mr. Peel, »aber ich wollte es ihm nicht sagen, weil man nichts schafft, wenn einem die Herren Innenarchitekten über die Schulter gucken. Das wird eine nette kleine Wohnung werden, wenn sie erst mal komplett ist«, fügte sie hinzu, mit einem Blick auf den weißen Marmorkamin und die hohen Fenster.

»Hat Roy Jerome engagiert?«, fragte Henry.

»Nein, ich habe ihn engagiert.«

»Mr. Peel bezahlte die Rechnung«, warf Emily unverfroren ein. »Da will er wahrscheinlich sehen, was aus seinem Geld wird.« Sie begann Zeitungen auf den Fußboden zu breiten. »Mach die Dosen auf, Henry! Wo ist das Terpentin? Wo ist mein großer Pinsel? Wir wollen nicht den ganzen Tag herumstehen! Wo kann ich meine Kleider hintun?«

Sie ging ins Nebenzimmer, um sich umzuziehen, und Henry machte Mr. Peel darauf aufmerksam, dass, Emily die Gewohnheit habe, allen anderen die Schuld zu geben, wenn sie sich verspätete.

»Ich nehme an, Roy wird im Laufe des Tages erscheinen«, bemerkte Mr. Peel, ins Leere blickend.

»Er wird sehen wollen, wie die Sache sich macht.« Henry band sich die Schürze um und begann die Dosen aufzustemmen.

»Roy ist im Grund genommen kein übler Mensch«, sagte Mr. Peel. Es klang, als wollte er mehr sich selber überzeugen als Henry Bryce. »Sie müssen wissen, er hat nie richtig gearbeitet. Und das bekommt einem nicht gut.«

»Hat sein Vater Geld gehabt?«

»Ja. Aber er hat Roy nicht viel hinterlassen. Die Erbschaftssteuer hat den größten Teil des Vermögens aufgefressen. Verdammte Regierung!« Er sagte das mehr gewohnheitsmäßig, ohne sonderliche Anteilnahme, so wie man hie und da flucht, ohne sich viel dabei zu denken. »Roy hat in verschiedenen Anwaltsbüros herumgesessen. Ich habe nie gehört, dass er einen Fall behandelt hätte. Aber er ist kein übler Kerl. Ich kann mich nicht beklagen.«

Henry hatte das Gefühl, Mr. Peel würde gern jemandem anvertrauen, was er wirklich von seinem Schwiegersohn hielt. Wenn er im Begriff war, es Henry zu verraten, wurde er daran durch die Rückkehr Emilys gehindert, die eine grün-rot gewürfelte, Hose mit Füßlingen in der Hand hielt.

»Was, um Gottes willen, ist denn das für ein Ding?«, fragte sie.

»Oh, die Hose! Ein Erbstück aus dem Haus in Marlborough. Diese Hose hat Bonnie Prince Charlie auf seiner Flucht vor den Hannoveranern angehabt. Er vertauschte sie mit einer anderen Hose, dem Geschenk einer gütigen Lady, die die Sache der Stuarts unterstützen wollte.« 

»Sie wollen doch nicht behaupten, dass der Prinz sich mit  einer grün-roter. Hose maskiert hat! Aus einer großen Entfernung hätte man ihn darin abschießen können.«

»Bunte Schottenmuster waren damals Mode«, sagte Mr. Peel lächelnd.

»Wo ist die Hose, die er eingetauscht hat?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht in irgendeinem Museum.« Emily schüttelte den Kopf. »Und ich habe mir immer eingebildet, er wäre ein Mann gewesen, hinter dem die brauen her waren.«

Emily fing zu arbeiten an, mit jenem heiter konzentrierten Ausdruck, der ihr eigen war, wenn sie den Pinsel zur Hand nahm. Ihr Mund stand offen, und sie antwortete recht einsilbig auf Mr. Peels Fragen.

Der alte Herr begnügte sich schließlich damit, auf einer Packkiste zu sitzen und ihnen zuzusehen. Wie Emily später bemerkte, schien er sie als seine private Importware zu betrachten und wollte nun das Erlebnis gründlich auskosten.

Um ein Uhr läutete die Türklingel, und Mr. Peel ließ eine Besucherin ein, eine hochgewachsene, sehr hagere Dame mit eisernem Kinn, forschendem Blick, Regenschirm und Hörapparat. Er stellte sie als seine Cousine, Miss Ada Birtwistle, vor.

»Miss Ada hat zwanzig bis dreißig Vettern auf dem Land, die sie zu besuchen pflegt«, erläuterte er. »Wir wissen nie, wo sie steckt.«

»Das braucht ihr auch nicht zu wissen«, sagte Miss Birtwistle vernünftig. »Wenn ich sterbe, wird man euch unterrichten, Bis dahin dürft ihr annehmen, dass es mir einigermaßen gut geht.« Emily bat Henry, ihr einen Stuhl zu bringen. »Erzählen Sie mir von England, Miss Birtwistle!«, sagte sie.

»England?« Mit einem Schulterzucken schob Miss Birtwistle das ganze Britische Empire beiseite und wandte sich an ihren Vetter. »George, weißt du, dass die Leute, tatsächlich diese schreckliche hornige Tropenfrucht kaufen - ich glaube, sie heißt Ananas - zu elfeinhalb Schilling! Vor knappen zehn Minuten habe ich mit meinen eigenen Augen einen solchen Einkauf in der Oxford Street mit angesehen.«

»Mögen Sie keine Ananas?«, fragte Emily.

»Das Zeug schmeckt nach nichts. Es kann nicht bekömmlich sein. leb begreife nicht, was die Leute daran finden. George, fahren Olivia und Roy nach Amerika?«

Mr. Peel nahm die Pfeife aus dem Mund. »Hat Olivia davon gesprochen?«

»Nein. Du weißt, dass Olivia nichts zu sagen hat. Roy hat es erwähnt. Sein Vorwand ist, dass die Reise Olivia guttun werde, aber es sollte mich nicht wundern, wenn er etwas ganz anderes im Sinn hat.«

Miss Birtwistle rührte sich plötzlich und stand auf, um Emilys Arbeit zu besichtigen. »George«, sagte sie streng, »ist das einer der Esszimmerschränke aus Marlborough?«

Mr. Peel konnte es nicht leugnen.

»Und was, wenn ich fragen darf, hat diese junge Dame mit dem Möbelstück vor?«

»Die Jugend liebt neue Stile«, sagte Mr. Peel in besänftigendem Ton. »Man darf ihr das nicht übelnehmen - sie hat schon zu lange zwischen Großvatermöbeln gelebt. Sie sehnt sich nach Abwechslung.«

»Ich habe nichts gegen ein bisschen Abwechslung, aber wenn man anfängt, einen soliden Mahagonischrank mit Farbe zu beklecksen, müsste jemand, der noch nicht ganz den Verstand verloren hat, energisch Halt! kommandieren.« Drohend umklammerte sie den Griff ihres Regenschirms.

Emily rettete sich durch ein mildes Unschuldslächeln. »Es wird Ihnen mit der Zeit gefallen, Miss Birtwistle. Wenn es fertig ist, wird es genau wie Porphyr aussehen.«

»Ich bin nicht für Dinge, die nach etwas anderem aussehen. Was haben Sie gegen Mahagoni einzuwenden?«

»Es kommt ganz auf den Gesichtspunkt an.« Emily zuckte die Schultern.

»War das Roys Idee?«

»Eigentlich nicht. Wir

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Margaret Scherf/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Paul Baudisch und Christian Dörge (OT: The Green Plaid Pants).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6529-5

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