MARK PHILLIPS
KAMPF GEGEN
DIE UNSICHTBAREN
- Galaxis Science Fiction, Band 34 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
KAMPF GEGEN DIE UNSICHTBAREN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Das Buch
Es beginnt damit, dass rote Cadillacs gestohlen werden - und niemand hat die Diebe gesehen, die unsichtbar zu sein scheinen, denn die Autos fahren weg, ohne, dass jemand am Steuer sitzt. Dann verschwinden Wertgegenstände aus verschlossenen Räumen. Die Verantwortlichen beim FBI sehen eine neue Welle von Verbrechen heranrollen und setzen ihre Wunderwaffe ein: Kenneth J. Malone, Spezialist für ungewöhnliche Fälle. Aber Malone steht von Anfang an vor einer undurchdringlichen Wand, durch welche die Leute, die er fangen soll, offensichtlich zu gehen vermögen, die hier und dort auftauchen und blitzschnell wieder verschwinden, buchstäblich ins Nichts...
Der Roman Kampf gegen die Unsichtbaren von Mark Phillips (= Laurence Mark Janifer und Randall Philip Garrett) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1975.
Kampf gegen die Unsichtbaren - nach Die Lady mit dem 6. Sinn bereits der zweite Roman um Kenneth Jane Malone - erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
KAMPF GEGEN DIE UNSICHTBAREN
Erstes Kapitel
Der Gehsteig fühlte sich so weich an wie ein gutes Bett. Malone lag mit angezogenen Knien darauf und dachte an gar nichts. Er war entrückt in einen Traum, den er nicht unterbrechen wollte. Denn da gab es das Mädchen, ein ganz bezauberndes Geschöpf, schöner als er es sich je hätte vorstellen können, mit großen blauen Augen, langem blondem Haar und einer Figur, auf die jedes Fotomodell stolz gewesen wäre. Und sie hatte ihre zarte weiße Hand auf seinen Arm gelegt und blickte zu ihm auf, ergeben und vertrauensvoll, und da war sogar Bewunderung in ihren Augen, und ihre Stimme war wie ein Hauch, voll Unschuld und Versprechungen.
»Ich würde sehr gern mit Ihnen in Ihre Wohnung gehen, Mr. Malone«, sagte sie.
Malone lächelte sie an, sanft, aber selbstbewusst. »Nennen Sie mich Ken«, sagte er, wobei ihm bewusst wurde, dass er über zwei Meter groß war und wie ein Athlet gebaut. Er berührte die Schulter des Mädchens mit seiner Hand, und ein Schauder der Freude durchlief ihren Körper.
»Ist gut, Ken«, sagte sie. »Wissen Sie, jemanden wie Sie habe ich noch nie kennengelernt, ich meine, einen so prächtigen Menschen, und, nun ja, Sie wissen schon...«
Malone reagierte darauf mit einem bescheidenen Lächeln, während seine Brust voll Stolz über so viel Männlichkeit zu schwellen schien. Etwas drückte gegen seine Brust, und er wusste, das war die Brieftasche, zum Bersten voll von Tausend-Dollar-Scheinen.
Aber dies war nicht der Augenblick, um an Geld zu denken.
Nein, sagte sich Malone. Abenteuer, Romantik, Liebe, nur das zählte jetzt. Er blickte auf das Mädchen hinab und legte seinen Arm um ihre Taille. Sie kuschelte sich an ihn.
So führte er sie langsam den Gehsteig hinunter zu seinem Wagen, der an der Straßenecke stand. Es war ein Fahrzeug, das den Göttern würdig gewesen wäre, ein prächtiger roter Cadillac, schnell wie ein Düsenjäger, mit vollautomatischem Steuerungs- und Bremssystem, eingebauter Quadrophonie-Anlage, Kassettenrekorder und dreidimensionalen Fernsehempfängern vom und hinten. Es war das diesjährige Modell, aber er hatte sich bereits entschlossen, den Wagen im Frühjahr gegen das neueste Modell einzutauschen. Bis dahin würde er sich damit noch bescheiden müssen.
Er half dem Mädchen beim Einsteigen, ging hinüber auf die andere Seite und setzte sich hinter das Steuer. Von irgendwo her kam leise Musik, und durch die Windschutzscheibe fiel das Licht eines strahlenden Sonnenuntergangs, als Malone auf einen Knopf des Armaturenbrettes drückte und der rote Cadillac sich in Bewegung setzte, die breite, leere Prachtstraße hinunterzurollen begann, der untergehenden Sonne entgegen...
Roter Cadillac?
Der Gehsteig fühlte sich plötzlich härter an, und Malone merkte jetzt, dass er auf dem Pflaster lag. Es war etwas ganz Entsetzliches geschehen; das wusste er sofort. Er öffnete die Augen, um nach dem Mädchen zu sehen, aber die Sonne strahlte unangenehm grell. In seinem Kopf schien ein Hundertmannorchester einen Trauermarsch zu spielen, und schnell schloss er die Augen wieder.
Der Gehsteig unter ihm geriet in Bewegung, und irgendwie gelang es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Nach ein paar Minuten hatte sich der Gehsteig wieder beruhigt. Aber sein Kopf schmerzte furchtbar. Das musste mit dem zu tun haben, was ihm zugestoßen war, aber Malone wusste es nicht genau. Um ehrlich zu sein, er wusste überhaupt nichts, und er begann sich selbst Fragen zu stellen, um Gewissheit zu erhalten, dass er wirklich vorhanden war.
Er fühlte sich nämlich gar nicht so, als ob er voll und ganz da sei. Ihm schien es so, als habe man Teile von ihm ausgewechselt und durch minderwertige ersetzt. Man hatte an ihm herumexperimentiert, und irgendetwas war schiefgegangen. Die Fragen, die er sich selbst stellen wollte, fielen ihm zunächst nicht ein, aber nach einer Weile klappte es dann doch.
Wie heißen Sie?
Kenneth Malone.
Wo wohnen Sie?
Washington, D.C.
Welchen Beruf haben Sie?
Ich arbeite für das FBI.
Was zum Teufel treiben Sie dann auf einem Gehsteig mitten in New York und am helllichten Tage?
Er suchte nach einer Antwort, aber es schien keine zu geben, so sehr er sich auch bemühte. Nur der rote Cadillac beherrschte seine Gedanken.
Und was das alles mit einem roten Cadillac zu tun hatte, hätte Malone beim besten Willen nicht sagen können.
Sehr langsam und vorsichtig öffnete er wieder die Augen, erst das eine, dann das andere. Jetzt erkannte er, dass das Licht nicht von dem prächtigen Sonnenuntergang herrührte, von dem er geträumt hatte, dass die Sonne nämlich schon vor mehreren Stunden untergegangen sein musste, einmal ganz davon abgesehen, dass Sonnenuntergänge in New York eigentlich nie der Rede wert sind, und er unter einer Straßenlaterne lag.
Er schloss die Augen wieder und wartete geduldig, dass sein Kopf Ruhe gäbe.
Weitere Minuten vergingen. Offensichtlich hatte sein Kopf nicht die Absicht, ihn in Ruhe zu lassen. Aber es war schließlich sein einziger, gleichgültig, wie er sich anfühlte. Er musste sich mit seinem gegenwärtigen Zustand abfinden.
Also öffnete er die Augen, und dieses Mal behielt er sie offen. Lange stierte er den Lampenmast an, musterte ihn und entschloss sich, es auf den Versuch ankommen zu lassen, dem Mast ein Gewicht von einhundertfünfundsechzig Pfund gestandenen FBI-Mannes anzuvertrauen, dessen Kopf die Dimensionen eines Kinderluftballons zu haben schien. Mit beiden Händen griff er nach dem Mast, zog sich daran empor und stellte befriedigt fest, dass seine Beine die Bewegung mitgemacht hatten und sich jetzt unter ihm befanden.
Nachdem ihm bewusst geworden war, dass er stand, wünschte er sogleich, die bequeme Unterlage des Gehsteigs nicht verlassen zu haben. Sein Kopf drehte sich wie ein Kreisel, und der durch diese Bewegung hervorgerufene Strudel schien seinen Geist hinabziehen zu wollen. Verzweifelt klammerte er sich an den Laternenmast und bemühte sich, bei Bewusstsein zu bleiben.
Eine Ewigkeit verging, vielleicht zwei, drei Sekunden. Malone stand da und rührte sich nicht, als die beiden Polizisten des Weges kamen.
Der eine von ihnen war ein großer Mensch, mit einer metallisch klingenden Stimme und einem Gesicht, das aussah, als hätte man es zu lange auf ein heißes Waffeleisen gedrückt. Er näherte sich Malone von hinten und tippte ihm auf die Schulter, aber Malone spürte das kaum. Dann brüllte ihm der Polizist ins Ohr: »Was ist denn los, Mann?«
Das offensichtliche Mitgefühl des Mannes tat Malone wohl. Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass man Freunde hat. Trotzdem wünschte er sich im Hintergrund seines Gedächtnisses, dass der Polizist und sein Kollege, eine kleinere und dünnere Ausgabe dieser Spezies Mensch, doch endlich wegginge und ihn in Ruhe ließe. Dann könnte er sich wenigstens wieder hinlegen und ein paar hundert Jahre schlafen.
»Mallri«, sagte er.
»Alles in Ordnung?«, fragte der große Schutzmann. »Dann ist’s ja gut. Ist ja prima. Am besten, Sie gehen jetzt heim und schlafen sich aus.«
»Schlafen?«, fragte Malone. »Nach Hause?«
»Na ja, dorthin, wo Sie wohnen, Freundchen«, sagte der große Polizist. »Kommen Sie schon. Sie können hier nicht die ganze Nacht auf dem Gehsteig stehen.«
Malone schüttelte den Kopf und nahm sich im gleichen Moment vor, dies nie mehr zu tun. Eine üble Krankheit hatte ihn befallen. Sein Gehirn war locker geworden, und die Innenseite seines Schädels war mit Sandpapier überzogen. Jedes Mal, wenn er den Kopf bewegte, rieb sein Gehirn gegen das Sandpapier.
Die beiden Ordnungshüter hielten ihn für betrunken. Das war ungerecht. Er durfte nicht zulassen, dass Polizisten etwas Schlechtes über einen FBI-Mann dachten. Die würden hingehen und allen, die es hören wollten, erzählen, dass das FBI Betrunkene und Streuner beschäftigt.
»Bin nicht betrunken«, sagte er deutlich.
»Klar«, sagte der große Polizist. »Ihnen fehlt gar nichts. Nur der Letzte war vielleicht zu viel.«
»Nein«, sagte Malone. Diese Anstrengung erschöpfte ihn, und er musste erst Luft holen, bevor er weiterreden konnte. Die beiden Polizisten warteten geduldig, und schließlich sagte er: »Jemand hat mich niedergeschlagen.«
»Niedergeschlagen?«, fragte der große Polizist.
»Richtig.« Im letzten Moment fiel Malone ein, dass er nicht nicken durfte.
»Können Sie die Person beschreiben?«, fragte der große Polizist.
»Habe ihn nicht gesehen«, antwortete Malone. Er nahm die eine Hand vom Mast, hielt sich aber mit der anderen desto verzweifelter daran fest. Er blickte auf seine Armbanduhr. Die Zeiger schienen den Veitstanz zu haben, aber nach einer Weile beruhigten sie sich. Es war fünf Minuten nach ein Uhr morgens. »Ist erst vor ein paar Minuten passiert«, sagte er. »Vielleicht erwischen sie ihn.«
Der große Polizist erklärte: »Hier war niemand. Keine Menschenseele hier, bis auf Sie.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Zeigen Sie mir einmal Ihre Papiere. Oder hat man Ihnen die Brieftasche gestohlen?«
Malone überlegte, ob er nach seiner Brieftasche greifen sollte, entschied sich aber dagegen. Dies hätte komplizierte Bewegungen erfordert, die er im Augenblick lieber unterlassen wollte. Auf keinen Fall durfte er den Mast loslassen. Dann fiel ihm ein, dass er diese Arbeit den Polizisten überlassen könnte. »In der Innentasche meiner Jacke«, sagte er.
Der Kollege des großen Polizisten blickte Malone von unten herauf an. Sein Gesicht drückte rein gar nichts aus, als er sagte: »He, Mann, Sie haben ja Blut am Kopf.«
»Weiß der Teufel«, sagte der große Polizist. »Sam hat recht. Sie bluten, Mister.«
»Gut«, sagte Malone.
Der große Polizist fragte: »Was?«
»Ich hatte schon Angst, der zu hohe Blutdruck würde mir den Schädel sprengen«, erklärte Malone. Das Sprechen fiel ihm inzwischen etwas leichter. »Aber solange das Sicherheitsventil funktioniert, besteht keine Gefahr.«
»Hol seine Brieftasche«, sagte Sam. »Ich behalte ihn im Auge.«
Eine Hand wurde unter Malones Jacke geschoben. Es kitzelte ein bisschen, aber Malone tat nichts dagegen. Natürlich fand die Hand nicht sogleich Malones Brieftasche. Als sie den klobigen Gegenstand berührte, den Malone in einem Lederhalfter unter der Achsel trug, erstarrten die Finger. Dann begannen sie den Gegenstand ganz vorsichtig herauszuziehen.
»Was ist denn, Bill?«, fragte Sam.
Bill blickte auf das, was er in der Hand hielt. Er wirkte ein wenig verstört. »Ein Revolver«, sagte er.
»Mein Gott«, sagte Sam. »Der Kerl ist bewaffnet. Pass auf ihn auf! Lass ihn nicht entkommen.«
Malone war weit davon entfernt, auch nur einen Schritt zu wagen. »Das hat schon seine Richtigkeit«, sagte er.
»Hat sich was«, sagte Sam. »Es ist ein .44er Magnum. Was haben Sie mit dem Schießeisen vor, Mann?« Der Ton war alles andere als freundlich und höflich. »Warum sind Sie bewaffnet?«
»Ich bin ja gar nicht bewaffnet«, sagte Malone etwas abwesend. »Ihr Kumpel Bill hat den Revolver.«
Bill wich zurück, steckte den Magnum in die Tasche und hielt seinen eigenen Dienstrevolver auf den FBI-Mann gerichtet. Mit der anderen Hand zog er das kleine Funksprechgerät aus der Tasche und rief mit deutlich nervöser Stimme den nächsten Funkstreifenwagen.
Sam sagte: »Mein Gott. Ein Revolver. Er könnte alle damit erschießen.«
»Nimm ihm die Brieftasche ab«, sagte Bill. »Jetzt kann er dir nichts mehr tun. Ich habe ihn entwaffnet.«
Malone hatte das Gefühl, ein sehr gefährlicher Mensch zu sein. Vielleicht war er tatsächlich ein übler Ganove. Genau wusste er es nicht. Das mit dem FBI-Mann könnte er sich ja nur eingebildet haben. Hiebe auf den Schädel riefen manchmal die seltsamsten Reaktionen hervor. »Ich werde alle durchlöchern«, sagte er mit rauer Stimme, die geradewegs aus der Unterwelt zu kommen schien. Überzeugend klang es jedoch nicht. Sam näherte sich vorsichtig und zog ihm behutsam die Brieftasche aus dem Jackett, so als wäre Malone eine Zeitbombe, die jeden Augenblick explodieren könne.
Eine Weile herrschte Stille. Dann sagte Sam: »Gib ihm den Revolver wieder, Bill«, und es klang sehr beeindruckt und respektvoll.
»Ich soll ihm seinen Revolver wiedergeben?«, fragte der große Polizist. »Bist du übergeschnappt, Sam?«
Sam schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, sagte er. »Aber wir haben einen kapitalen Bock geschossen. Weißt du, wer das ist?«
»Ich weiß, dass er bewaffnet war«, sagte Bill. »Mehr interessiert mich nicht.« Er steckte das Funksprechgerät ein und konzentrierte sich wieder auf Malone.
»Er ist tatsächlich vom FBI«, sagte Sam. »Der Ausweis steckt in der Brieftasche. Und damit nicht genug, Bill. Er ist Kenneth J. Malone.«
Na also, dachte Malone erleichtert. Jetzt war alles klar. Er war also doch kein Gangster. Er war der FBI-Mann, den er so sehr schätzte und bewunderte. Hoffentlich unternahmen die Polizisten jetzt etwas wegen seines Kopfes und ließen ihn in Ruhe sterben.
»Malone?«, fragte Bill. »Du meinst den, der hierhergekommen ist, um sich mit den roten Cadillacs zu befassen?«
»Genau der«, sagte Sam. »Also gib ihm jetzt seinen Revolver.« Er wandte sich wieder an Malone. »Hören Sie, Mr. Malone«, sagte er. »Wir müssen uns entschuldigen, wir entschuldigen uns tausendmal.«
»Ist schon gut«, sagte Malone geistesabwesend. Langsam bewegte er den Kopf und blickte sich um. Er fand seinen Verdacht bestätigt. Von einem roten Cadillac gab es weit und breit keine Spur, und so, wie die Straße aussah, würde sich hierher auch nie einer verirren. »Er ist fort«, sagte er, aber die Polizisten hörten gar nicht zu.
»Wir bringen Sie am besten ins Krankenhaus«, schlug Bill vor. »Sobald der Streifenwagen kommt, fahren wir Sie ins St. Vincents. Können Sie uns sagen, was geschehen ist? Oder ist es geheim?«
Malone wusste nicht recht, was an einem Schlag über den Schädel so geheimnisvoll sein sollte. Und darüber nachdenken wollte er jetzt nicht. »Ich könnte es Ihnen schon sagen«, sagte er, »wenn Sie mir zuvor eine Frage beantworten.«
»Natürlich, Mr. Malone«, sagte Bill. »Wir helfen Ihnen gern.«
»Ist doch selbstverständlich«, sagte Sam.
Malone bedachte sie mit einem, wie er hoffte, gnädigen Lächeln. »Also dann«, sagte er. »Wo zum Teufel bin ich eigentlich?«
»In New York«, sagte Sam.
»Das weiß ich«, entgegnete Malone leicht resignierend. »Aber wo genau in New York?«
»In der 9. Straße«, Beeilte sich Bill zu erklären. »In der Nähe von Greenwich Village. Sind Sie hier durchgekommen, als Sie niedergeschlagen wurden?«
»Ich vermute es«, sagte Malone. »Sicher.« Er nickte, und gleich fiel ihm ein, dass er es nicht hätte tun dürfen. Er schloss die Augen, bis die Welle des Schmerzes etwas abgeflaut war, dann öffnete er sie wieder. »Ich hatte es satt, zu warten, dass sich in dieser Sache von selbst etwas tat«, sagte er. »Und weil ich nicht schlafen konnte, machte ich einen Spaziergang. Ich landete in Greenwich Village. Übrigens keine Gegend, wo ein rechtschaffener Mensch landen sollte.«
»Ich weiß schon, was Sie damit meinen«, sagte Sam mitfühlend. »Hier wimmelt es nur so von Spinnern und Übergeschnappten.«
»Ich meine nicht die Menschen«, sagte Malone. »Es sind diese winkligen und krummen Gassen. In jeder anderen Stadt finde ich mich leichter zurecht als hier in diesem Gewirr. Sei’s wie es sei«, fuhr Malone fort, »ich habe diesen roten Cadillac gesehen.«
Die beiden Polizisten blickten sich hastig um, dann wandten sie sich wieder an Malone. Bill begann zu sprechen: »Aber hier ist doch gar kein...«
»Ich weiß«, sagte Malone. »Jetzt ist er fort. Das ist ja das Schlimme.«
»Soll das heißen, dass jemand eingestiegen und weggefahren ist?«, fragte Sam.
»Soweit ich es übersehen kann«, sagte Malone, »könnte er auch Flügel bekommen haben und davongeflogen sein.« Er machte eine Pause. »Aber als ich ihn sah, da beschloss ich, mal hinzugehen und ihn mir anzuschauen. Für alle Fälle.«
»Sicher«, sagte Bill. »Ist doch logisch.« Er sah dabei seinen Kollegen an, so als warte er nur darauf, dessen Widerspruch zurückweisen zu können. Aber der war weit davon entfernt, Einwände zu erheben.
»Die Straße war menschenleer«, fuhr Malone fort. »Ich ging also hin und probierte am Türgriff. Das ist alles. Ich habe die Tür nicht geöffnet. Und ich kann schwören, dass sich niemand hinter mir befand.«
»Nun«, sagte Sam, »die Straße war verlassen, als wir hierherkamen.«
»Aber jemand hätte mit dem roten Cadillac wegfahren können, bevor wir hierherkamen«, sagte Bill.
»Sicher«, meinte Malone. »Aber wo soll er hergekommen sein? Mir ist, als habe mir jemand etwas unbeabsichtigt auf den Kopf fallen lassen. Vielleicht einen kleinen Panzerschrank. Jedenfalls hinter mir war niemand.«
»Hat aber jemand sein müssen«, sagte Bill.
»Sie können mir glauben«, sagte Malone, »da war niemand.«
Eine Weile sagte keiner etwas.
»Und was geschah dann?«, fragte Sam. »Nachdem Sie nach dem Türgriff fassten, meine ich?«
»Dann?«, fragte Malone. »Dann ging das Licht aus.«
Die Lichtkegel eines Fahrzeuges schwenkten um die Ecke. Bill sah hin. »Der Streifenwagen«, sagte er und ging ihm entgegen.
Der Fahrer war eine bullige Type mit dem Gesicht eines Pekinesen. Sein Begleiter, ein hochgewachsener Bursche, dem ein breitkrempiger Cowboyhut besser gestanden hätte als die blaue Polizeidienstmütze, streckte den Kopf aus dem Fenster und blickte Bill, Sam und Malone an.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Gar nichts«, sagte Bill und trat an den Wagen heran. Mit leiser Stimme sprach er auf die beiden Polizisten im Streifenwagen ein. Währenddessen legte Sam seinen Arm um Malone und zog ihn vom Laternenmast weg.
Erst wollte Malone nicht loslassen. Aber Sam war stärker, als er aussah. Er führte den FBI-Mann zum Streifenwagen, öffnete die hintere Tür und half Malone beim Einsteigen. Bill sagte gerade: »Mit der Kopfverletzung ist es besser, wenn ihr ihn ins St. Vincents bringt. Da ihr schon hier seid, geht es schneller, als wenn wir auf einen Krankenwagen warten würden.«
Der Fahrer machte ein unwilliges Geräusch. »Wenn du das nächste Mal ein Taxi brauchst«, sagte er, »ruf uns ruhig an. Wir haben ja sonst nichts zu tun.«
»Ihr könnt froh sein, dass ihr eure Runden nicht zu Fuß drehen müsst«, erwiderte Bill etwas pikiert. »Und außerdem«, fügte er mit eindringlicher Flüsterstimme hinzu, »ist das einer vom FBI.«
»Es heißt doch immer, dass das FBI supermodern ausgerüstet sei«, meckerte der Fahrer weiter. »Warum ruft er keinen Hubschrauber oder eine Düsenmaschine?« Dann schien ihm einzufallen, dass durch Schimpfen die Situation doch nicht zu ändern sei. »Ach, vergiss es«, sagte er und setzte den Wagen mit einem merklichen Ruck in Gang.
Malone hatte keine Lust, sich mit diesen beiden Männern auf eine Diskussion einzulassen. Er war müde, und es war spät geworden. Er lehnte den Kopf zurück und versuchte, sich zu entspannen. Aber immer wieder musste er an rote Cadillacs denken.
Er wünschte, nie etwas von roten Cadillacs gehört zu haben.
Zweites Kapitel
Dabei hatte alles so einfach angefangen. Malone erinnerte sich noch allzu gut an die ersten Anzeichen, dass rote Cadillacs etwas Ungewöhnliches oder Besonderes seien. Bis dahin hatte er sie alle ein wenig neidisch angesehen, ob es nun rote, blaue, grüne, graue, weiße oder gar schwarze Cadillacs gewesen waren, darin hatte er keinen Unterschied gesehen. Für ihn waren sie eine Zurschaustellung von Luxus und Wohlstand und noch einiger anderen Vorteile.
Heute jedoch wusste er nicht mehr so genau, was sie repräsentierten. Was es auch sein mochte, es war in jedem Fall verblüffend und nicht gerade beruhigend.
Eine Woche war es her, dass er das Büro von Andrew J. Burris, dem Direktor des FBI, betreten hatte. Es war ein schöner Raum, holzverkleidet und geräumig, und das Prunkstück war ein riesiger Schreibtisch aus poliertem Holz. Und hinter diesem Prachtmöbel saß Burris, ein wenig abgespannt, aber doch recht umgänglich.
»Sie haben mich gerufen, Chief?«, fragte Malone.
»Richtig.« Burris nickte. »Malone, Sie haben in letzter Zeit zu angestrengt gearbeitet.«
Jetzt, dachte Malone, kommt es. Die Entlassung, die er schon immer befürchtet hatte. Endlich hatte Burris festgestellt, dass er nicht der clevere, intelligente, furchtlose und stets wachsame FBI-Mann war, der er eigentlich sein sollte. Burris hatte also festgestellt, dass er bei seinen bisher erfolgreich abgeschlossenen Aufträgen nur Glück gehabt hatte und alles nur reiner Zufall gewesen war.
Nun ja, dachte Malone. Nicht mehr fürs FBI zu arbeiten, würde nicht weiter schlimm sein. Eine gute Stelle fände er immer.
Allerdings fiel ihm im Augenblick keine ein, die ihm Spaß gemacht hätte.
Also beschloss er, ein gutes Wort für sich einzulegen.
»Ich habe gar nicht so viel gearbeitet, Chief«, sagte er. »Zumindest nicht ausgesprochen viel. Ich befinde mich in ausgezeichneter geistiger und körperlicher Verfassung und...«
»Ich habe Sie ausgenutzt, Malone, genau das habe ich getan«, sagte Burris, der auf Malones Verteidigungsrede nicht eingegangen war. »Und die Tatsache, dass Sie das beste Pferd in meinem Stall sind, berechtigt mich noch lange nicht, Ihnen nur die harten Nüsse zum Knacken zu geben.«
»Was sagten Sie eben, was ich bin?«, fragte Malone mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Ich habe Sie auf die schwierigen Fälle angesetzt, weil Sie mit ihnen fertig werden können«, sagte Burris. »Aber das ist kein Grund, Ihnen nun gleich alles aufzuhalsen. Nachdem Sie vor kurzem in der Sache von der Entführung Gorelik und beim Zerschlagen der Falschmünzerbande hervorragende Arbeit geleistet haben, glaube ich, Malone, dass Sie sich ein wenig ausspannen sollten.«
»Ausspannen?«, fragte Malone, dem jetzt schon wesentlich wohler zumute war. Das Lob hatte er natürlich nicht verdient. Das wusste er. Durch Zufall war er über die Entführer gestolpert, weil sein Telefon nicht funktioniert hatte. Und im Falle der Falschmünzerbande hatten andere Agenten gute Vorarbeit geleistet, ohne die er den Auftrag nie hätte erfolgreich beenden können. Aber schön war es doch, ein Lob zu hören. Und ohne den nagenden Gewissenswurm noch weiter
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Laurence Mark Janifer/Randall Philip Garrett/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Szafran/Christian Dörge.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Otto Kuehn (OT: The Impossibles).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6508-0
Alle Rechte vorbehalten