THE GORDONS
Kater D. C. -
UNDERCOVER CAT
Roman
Apex Crime, Band 145
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
KATER D. C. - UNDERCOVER CAT
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
DRITTER TEIL
Das Buch
Hinter der geheimnisvollen Bezeichnung Informant X14 verbirgt sich nicht etwa ein Mensch, sondern ein pechschwarzes Katzentier, der zwanzigpfündige verhätschelte Haus-Kater der Familie Randall, genannt Damn Cat oder in zärtlicher Abkürzung D. C. . Auf abenteuerliche Art ist er zum Gehilfen der amerikanischen Kriminal-Polizei geworden, denn er hat das FBI auf die Spur von zwei gefährlichen Bankräubern gebracht...
The Gordons ist das Pseudonym eines Autorenduos, bestehend aus Gordon Gordon (* 2. März 1906 in Anderson, Indiana; † 14. März 2002) und Mildred Gordon (* 24. Juni 1912 in Kansas; † 3. Februar 1979 in Tucson, Arizona). Von ihrem Werk ist vor allem die Trilogie um Kater D.C. hervorzuheben: Diese Romane wurden vom Publikum wie auch von der offiziellen Kritik hoch geschätzt und später auch kongenial verfilmt.
Der Roman Kater D. C. - Undercover Cat erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1965.
Der Roman wurde 1965 unter dem Titel Alles für die Katz (That Darn Cat!, Regie: Robert Stevenson) erfolgreich verfilmt.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
KATER D. C. - UNDERCOVER CAT
ERSTER TEIL
Erstes Kapitel
Patti Randall war gerade auf dem besten Wege, ins Schlummerreich hinüberzugleiten, als das Telefon sie unsanft aus ihrem Halbschlaf hochfahren ließ. Bis sie jedoch den Apparat auf dem Fußboden entdeckte, wo ihre sechzehnjährige Schwester ihn am Abend stehenlassen hatte, schrillte er nur noch einmal kurz auf und erstarb.
Sie stellte das Telefon auf den Nachttisch zurück und sah dabei, dass der Wecker bereits eine halbe Stunde nach Mitternacht anzeigte. Sofort löschte sie das Licht und streckte sich in ihrer vollen Länge aus. Wie den ganzen Abend schon fühlte sie sich jedoch nicht frei von einer nervösen Gereiztheit. Sie hörte die seltsamsten Geräusche, die indessen niemand anders als der geschäftige Wind in der Septembernacht mit dem raschelnden Laub aufführte, und ertappte sich dabei, wie sie die Ohren spitzte und gewisse Laute zu identifizieren versuchte. Zuletzt blieb ihr nichts anderes übrig, als Mrs. Macdougall im Nachbarhaus für ihre Überspanntheit verantwortlich zu machen. Denn sie hatte es während des Europaurlaubs der Eltern übernommen, auf die Kinder der Randalls, diese Waisen, aufzupassen.
»Wenn irgendwas in der Nacht passiert«, hatte sie zu Patti gesagt, »dann schrei ganz einfach, ich höre dich bestimmt«, eine Versicherung, der Patti Glauben schenken konnte, denn die alte Macdougall war zuverlässiger als eine elektrische Alarmanlage. Im Übrigen hatte sie im gleichen Atemzug noch hinzugefügt: »Es geschehen nämlich jede Nacht grausige Dinge. Wie zum Beispiel die Sache mit der Frau, deren Mann gerade weg war und die zusammen mit ihrer Mutter nachts um 2.23 Uhr kaltblütig ermordet wurde.«
Und wenn Mrs. Macdougall sagte, dass es nachts um 2.23 Uhr gewesen sei, dann stimmte es, denn sie war in kriminalistischen Dingen absolut kompetent.
Patti schüttelte den Gedanken an Mrs. Macdougall ab und beschäftigte sich mit dem Mond, der hoch über dem Orangenbaum hing. Es war ein magerer Mond, der eine Hungerkur durchgemacht hatte und der sie recht unliebsam daran erinnerte, dass sie im vergangenen Monat zwei Pfund zugenommen hatte. Obwohl ihr Größe 38 schon bedenklich knapp wurde, vermochte sie jedoch immer noch als Mannequin zu arbeiten. Erst heute hatte in Bullocks Dachgartenrestaurant ein alter Kerl an der Seite seiner Frau Pattis Hüftmaße bis auf den Zoll genau abtaxiert, während sie ihnen ein hautenges chinesisches Seidenkleid vorführte. Vielleicht sollte sie einen Gürtel tragen – aber konnte sie sich mit dreiundzwanzig schon solch ein Manko eingestehen? Sie wies diesen unglückseligen Gedanken von sich und war bereits im Begriff wieder einzuschlafen, als sie diesmal ein Geräusch an der Hintertür hörte. Von neuem fuhr sie hoch, konnte sich jedoch, innerlich lächelnd, gleich wieder in ihr riesiges Kissen zurückkuscheln.
Sie wusste, das Geräusch kündigte niemand anderes an als D.C., ihren zwanzigpfündigen Kater, der durch die Milchflaschenöffnung auf der Küchenveranda ins Haus kam. Sicher quetschte er sich jetzt da hindurch und stöhnte und ächzte wie ein japanischer Ringer. Nein, was für einen Unsinn, einen Gürtel tragen zu wollen! Wenn einer einen brauchte, dann war es D.C.
Aber schon wieder erstarrte sie. Schritte kamen näher, ohne Zweifel die eines Mannes, hart und entschlossen. Obwohl sie schon darauf wartete, jagte ihr die schrille Türglocke einen Schauer über den Rücken. Während sie wie rasend den Einbauschrank nach einem Kleidungsstück durchwühlte, ließ es sich der Mensch da draußen nicht nehmen, die ganze Zeit über rücksichtslos auf den Knopf zu drücken. Sie hätte schreien mögen. Kurz entschlossen griff sie nach einem hauchdünnen Negligé, das ihr zwar eine Hülle bot, die langen, schlanken Beine unter dem Babydoll jedoch nicht verbarg.
Als sie durch das Zimmer ihres Bruders lief, rief sie leise: »Mike«, doch der zwölfjährige Bursche hörte nicht. Er hörte nie etwas, ebenso wenig wie Ingrid. Ein Einbrecher hätte ihr sein ganzes Magazin in den Leib jagen können, geweckt hätte er die beiden nicht. In ihrer Eile stieß sie sich an der Kante des Esstisches. Auch das noch! Jetzt würde sie einen großen blauen Fleck bekommen, und wenn sie Badeanzüge vorführen müsste, würde sie aussehen, als ob sie in eine Schlägerei geraten wäre.
Sie machte Licht in der Diele und öffnete die Tür behutsam um jenen Spalt, den die Sicherheitskette zuließ. Lind vor ihr stand Greg Balter, der Nachbar von gegenüber. Er war ein paar Jahre älter als sie, und man prophezeite ihm als Anwalt eine glänzende Karriere. Von großer Statur und durch und durch Mann, trug er jene Art von Unschuldsmiene zur Schau, in die sich auf der Stelle alle Frauen vom Baby bis zur Oma zu verlieben pflegen. Wie gesagt – alle Frauen, nur sie, Patti, nicht, denn sie hielt Greg für alles andere als unschuldig.
»Ach, Sie sind es!«, sagte sie und deutete damit zugleich schon den Ärger an, den er unweigerlich mitbrachte und den gewöhnlich der Dackel Blitzy, sein neben einem Thunderbird vergötterter Liebling, auslöste.
»Ich hatte versucht, Sie anzurufen«, sagte er mit einer Stimme, in der halbe Versöhnung mitschwang.
Sie bat ihn herein und – wartete, denn seit langem schon wusste sie, was für eine geheime Macht darin lag, bei einer Auseinandersetzung einfach zu schweigen. Es führte unweigerlich dazu, dass sich die andere Seite irgendwann verhedderte.
Doch sein einschmeichelndes Lächeln war plötzlich verschwunden. »Ihr Kater...«, begann er erneut, offensichtlich um energisches Auftreten bemüht. Ihre Augen trafen sich und verhakten sich wie Boxer im Clinch.
»Ja und?«, fragte sie unnahbar.
»Nun, ich kann wohl sagen, dass ich bisher recht geduldig gewesen bin. Er hat meine Blumen herausgerissen, hat seine Pfotenabdrücke überall auf meinem Wagen hinterlassen und hat auf meinem Hof manchen Strauß ausgefochten, aber diesmal...«
»Ach, und um mir das zu erzählen, kommen Sie nachts um ein Uhr hierher?«
»Ja, denn diesmal hat er mir von der Küchenveranda eine Ente, oder vielmehr einen Erpel, gestohlen.«
»Was hat er?«
Er fuhr unbeirrt fort: »Ich habe genau gesehen, wie er damit abzog. Denn er schleifte ihn fast über den ganzen Hof.« Sein Blick glitt plötzlich auf Pattis Beine, doch Greg war auf der Hut, fest entschlossen, sich nicht in Versuchung führen zu lassen.
»Aber hören Sie, Greg! Schließlich...«
Er ließ sie nicht ausreden. »Ich habe den ganzen Tag bei strömendem Regen auf dem Anstand verbracht. Eine Lungenentzündung hätte ich mir holen können, und das alles für eine Ente, für eine einzige Ente, verstehen Sie? Und da muss ausgerechnet Ihr dreckiger alter Kater kommen und bei mir herumschnüffeln! Mir war auf einmal so, als ob ich etwas hinten auf der Veranda hörte. Na, und tatsächlich, als ich hinaustrat, knallte die Gittertür plötzlich zu, und die Ente war weg.«
Patti war so wütend, dass sie kaum sprechen konnte.
»Ja, und sicher hat er hinaufgelangt, das Gitter aufgehakt, die Tür geöffnet und ist hineingegangen!«
»Jawohl, er hat die Tür geöffnet und ist schnurstracks hineingegangen. Dieser Kater würde sogar bei Fort Knox hineinkommen. Aber fragen Sie mich nicht, wie!«
Es dauerte einen Augenblick, bis Patti Worte fand: »Also jetzt habe ich genug, aber wirklich! Von all den albernen, ungehörigen, ja ungeheuerlichen Anwür...« Das Wort blieb ihr im Mund stecken, und sie konnte nur noch staunen und schauen, denn auf leisen Pfoten, offenbar von Neugier getrieben, erschien D.C. in der Diele. Sehr stolz, mit hoch erhobenem Kopf und mit dem Erpel im Maul.
Eine Sekunde lang war Patti wie vor den Kopf geschlagen, dann langte sie mit einer schnellen, wendigen Bewegung nach unten, um die Ente zu packen. Ihre Attacke kam für den Kater jedoch nicht flink genug. Er hatte den Vogel in einem mörderischen Griff, er würde ihn nicht kampflos hergeben. Und so rangen sie miteinander, bis Patti eine schroffe Bewegung ausführte und ihm die Beute aus dem Maul wand, wobei der Vogel nicht unerheblich gerupft wurde. Den Erpel mit einer Pfote fassend, hielt sie ihn Greg unter die Nase, dessen Gesicht vor Triumph strahlte.
»Geschieht Ihnen ganz recht«, fauchte sie. »Was erwarten Sie anderes von einem Kater, wenn Sie Ihre Beute aufbewahren, wo sie ihm zugänglich ist? Er ist Jäger, genau wie Sie.«
»Er ist ein Dieb«, protestierte Greg, indem er D.C. mit hasserfüllten Augen ansah. »Er ist ein ganz infamer Dieb. Und sollte ich ihm auf meinem Grundstück noch einmal begegnen, brenne ich ihm eins auf den Pelz. Wenn nötig, auch öfter.«
Patti zitterte dermaßen, dass sie kaum sprechen konnte. »Greg Balter, wenn Sie es wagen...«
Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt schnurstracks hinaus. Als sie die Tür hinter ihm zuschlug, murmelte sie vor sich hin: »Gott verdamm ihn, Gott verdamm ihn.«
D.C. antwortete mit einem leisen Fauchen. Sein voller Name lautete Damn Cat, ein Name, den Pattis Vater ihm gegeben hatte, da er im Dunkeln oft über ihn gestolpert war, den aber niemand gebrauchte, wenn die Mutter in der Nähe war.
»Nein, dich habe ich nicht gemeint, mein Süßer«, sagte sie, während sie sich zu ihm auf den Boden hinhockte und ihn mit Liebkosungen bedachte, denen er sich jedoch sogleich entzog, denn sie war es nicht allein, die böse war. Passierte es doch jedes Mal, wenn er einen guten Fang nach Hause brachte, dass irgendjemand ihm den wegnahm. Nicht einmal eine Kostprobe ließ man ihm. Man hatte wirklich nichts wie Ärger mit den Leuten. Alles wollten sie für sich haben. Und Patti sollte jetzt bloß nicht so tun! Sie war nicht besser als die anderen. Erst tat man ihm weh, und dann erwartete man noch schnelle Vergebung.
Genau in diesem Augenblick ließ das Licht in dem Fell an seinem Hals etwas Glänzendes aufleuchten. Sie griff ihn sich am Hinterbein, worauf er sich sofort zur Wehr setzte. Ein Wunder, dachte er, dass man ihm bei solcher Misshandlung noch nicht die Lenden zerquetscht hatte. Sprachlos vor Staunen, nahm Patti ihm eine Damenarmbanduhr ab, die ihm wie eine Kette um den Hals hing. Ratlos sah sie sich die Uhr an. Sicher würde morgen früh irgendwo ein Kind seinen kostbarsten Schatz vermissen.
Dann aber legte sich plötzlich ein strahlendes Lächeln über ihre Züge. »Donnerwetter, du hast heute Abend entschieden den Hauptgewinn gezogen, meinst du nicht auch, D.C.?«
Zweites Kapitel
Am nächsten Morgen war Patti in der Küche gerade beim Kaffeetrinken, als Inky in ihrem rosa Baumwollpyjama, die Kleider über dem Arm, verschlafen hereinschlurfte.
»Gib mir bloß eine Tasse Kaffee, bitte«, sagte sie.
Patti goss ihr brühheiß bis an den Rand ein. »Wo warst du heute Nacht um eins, als man hier über mich herfiel und ich deine Hilfe gebraucht hätte?«
Inky war auf einmal hellwach. »Was erzählst du da?«
»Greg war hier. D.C. ist in seine Veranda eingebrochen und hat eine Ente gestohlen.«
Sobald sein Name fiel, erschien D.C. auf dem Plan und sprang ohne die geringste Andeutung eines Morgengrußes auf einen niedrigen Küchenhocker, von dort auf das Abflussbrett und landete schließlich oben auf dem Kühlschrank. Dort machte er sich emsig daran, ein Ohr zu waschen, indem er eine Seite seiner Pfote anfeuchtete und das nasse Fell kräftig rieb. Diese Tätigkeit nahm stets eine beträchtliche Zeit in Anspruch, doch war damit auch sein Arbeitspensum erschöpft, denn für den weiteren Verlauf des Tages hatte er kein anderes Programm, als zu schlafen und sich für seine nächtlichen Rundgänge in Form zu bringen.
Inky schlüpfte in ihr Unterkleid. »Da hat er wohl ganz schön getobt, wie?«
»Er hat damit gedroht, dass er D.C. umbringen würde, wenn er ihn noch einmal auf seinem Grundstück anträfe.«
Inky musste leicht grinsen. »Ach, das bringt er doch niemals fertig. Er ist doch so ein netter Mensch. Ich habe ihn schrecklich gern.«
»Ja, vor allem seinen Thunderbird. Ich hab’s vorgestern Abend genau gesehen. Verräter!«
Aber wie konnte sie einen Mann in Misskredit bringen, der die Kinder der Nachbarschaft in seinem Wagen mitnahm, wenn er zum Markt oder zum Postamt fuhr?
Nicht dass er sich etwas aus ihnen gemacht hätte, keineswegs, so meinte sie wenigstens. Für sie steckte nichts weiter dahinter, als dass es ihn nach Gesellschaft verlangte. Denn seit dem Tode seiner Mutter lebte er in dem alten Haus allein, bekochte sich, wusch ab, machte sich das Bett, pusselte im Garten herum und sorgte obendrein noch für dieses Scheusal, diesen Misanthropen von einem Dackel...
Aber Mike musste zur Schule. Patti rief ihm zu, er solle sich beeilen, sonst werde er noch zu spät kommen, und begann Eier und Speck in die Pfanne zu tun, während Inky den Tisch deckte und dabei unentwegt schnatterte. »Ich war so wütend, dass ich den ganzen Laden hätte in die Luft jagen können. Diese Leute haben aber auch nicht eine Spur von Grips im Kopf. Sowie ich nur erwähnte, dass ich einem bestimmten Klassenlehrer zugeteilt werden wollte, hörte man mir überhaupt nicht mehr zu. Es hätte, wie du immer sagst, einer von Gottes himmlischsten Tagen sein können, aber es war mein höllischster.«
»Mike!«, kam es erneut von Patti, Ricky Nelsons Helden-Tenor überschreiend, der die Küche mit einem Volumen erfüllte, das für eine Bowlinghalle ausgereicht hätte. Patti stellte den Apparat leiser, während Ingrid, von nichts Notiz nehmend, unbeirrt fortfuhr: »Ich gehe heute noch einmal hin und erkläre Hopkins, dass er mir einfach, ja unbedingt einen anderen Klassenlehrer geben muss, und tut er es nicht, versuche ich es mit Tränen, und wenn ich mir die Seele aus dem Leib heule.«
Patti war höchst amüsiert. »Du machst Fortschritte, Liebling. Und ziemlich schnell dazu!«
Jetzt kam Mike hereingelatscht, der zwei Jahre älter aussah als die zwölf, die er war. Sein Bürstenschnitt war gut geölt. »Lass dir heute bloß kein Streichholz auf den Kopf fallen«, sagte Patti, ihm den Teller reichend.
»Sehr witzig.« Er aß so schnell, als ob Essen aus der Mode kommen sollte. »Glaubst du, dass Mum und Paps uns vergessen haben?«, fragte er. »Wir sind seit zwei Tagen ohne Nachricht.« Er sprach es voller Vorwurf, obwohl er selbst in vier Wochen nur einen Brief an seine Eltern zustande gebracht hatte.
Ingrid schlug in dieselbe Kerbe. »Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie drei so reizende Kinder allein zurücklassen konnten.« Und Mike einen abwägenden Blick zuwerfend, korrigierte sie: »...zwei so reizende.«
Mike ignorierte sie. Er hatte ein eigenes Anliegen mit Patti zu bereden. Er war nämlich nach der Schule in Ralphs Viktualienhandlung als Aushilfe tätig. »Ich baute gerade die Konservenbüchsen zu einer Pyramide auf, da zog doch dieses kleine Ungeheuer einfach unten eine Büchse weg, und als ich ihm an die Gurgel gehen wollte, brüllte er wie am Spieß los. Beinahe hätte mich Mayhew ‛rausgeschmissen. Ich solle vorsichtiger sein, hat er gesagt, und noch mehr solchen Quatsch.«
Einen Augenblick später fügte er hinzu: »Ich weiß wirklich nicht, wie man mit den Kindern fertig werden soll. Man braucht ihnen bloß zuzublinzeln, und schon fauchen einen die lieben Mamis an. Mann, als ich so ein Krümel war, durfte ich mir überhaupt nichts erlauben, aber die junge Generation von heute...«
In diesem Augenblick erinnerte sich Patti an die Uhr. Sie nahm sie aus einer Schublade. »Hier«, sagte sie, »schau dir mal an, was D.C. heute Nacht für eine Beute heimgebracht hat. Wahrscheinlich hat ein Kind sie ihm um den Hals gehängt, und seine Mutter wird heute Morgen wahnsinnig, weil sie sie nicht finden kann.«
Ingrid schaute sich die Uhr neugierig an, nahm ihre Schulbücher zur Hand und war schon auf halbem Weg zur Tür, als Mike plötzlich sagte: »He du, weißt du was?«
Er war aufs äußerste erregt. »Erinnerst du dich an den Raubüberfall vor einer Woche, bei dem zwei Kerls in Van Nuys aus der Bank ein paar hunderttausend Dollar raubten und obendrein noch die Kassiererin mitnahmen, eine alte Frau von ungefähr vierzig, von der seitdem niemand mehr etwas gehört oder gesehen hat? Du erinnerst dich doch noch, nicht wahr, Pat?«
Patti schaute mit leeren Augen. »Ich...«
»Und diese Frau hat genauso eine Uhr getragen wie die hier. Die Zeitung hat damals genau beschrieben, was sie trug und bei sich hatte, und es war auch ein Bild dabei mit dieser Uhr an ihrem Handgelenk.«
Atemlos fuhr er fort: »Diese Frau hat sie ihm umgemacht, siehst du das nicht? Sie wird irgendwo hier in der Gegend gefangen gehalten, D.C. kam zufällig in ihr Haus, und so hat sie ihm die Uhr mitgegeben, um Hilfe herbeizuholen.«
»Augenblick mal«, sagte Patti, »nicht so schnell, nicht so schnell.«
»Du musst die Polizei verständigen, Pat. Du musst es tun. Du weißt doch, wie sehr es unser alter D.C. liebt« – er ließ seine Hand über die Katze gleiten – »herumzustreunen und Leute zu besuchen und ihnen allerlei abzujagen.« Er wandte sich D.C. zu. »Nicht wahr, du liebst doch die Menschen, du alter Räuber?« D.C. leckte ihn verständnisinnig. Er mochte diesen Jungen, den er im schwierigen Kindesalter quasi mit aufgezogen hatte, wo es einem Kind noch an der nötigen Reife fehlt, um zu verstehen, dass der Schwanz einer Katze unabdingbares Glied ihres Körpers ist.
»Sicher liebt er die Menschenrasse«, schaltete sich Inky ein, »er kennt ja nichts Besseres.«
Worauf Patti zur Ruhe mahnte. »Nun bleiben wir aber mal bei der Sache. Die Chancen stehen eine Million zu eins...«
»Die Zeitung forderte dazu auf, für den Fall, dass jemand etwas erführe, sofort den FBI anzurufen.«
Und schon war Mike ohne Hemmung dabei, die Nummer nachzusehen. »Hier ist sie. Hubbard 3-355. Vergiss auch nicht, ihnen zu sagen, dass D.C. die Uhr hierhergebracht hat. Vielleicht kriegt er vom Kongress einen Orden dafür.«
Der war allerdings das letzte, worum sich D.C. gekümmert hätte. Über dergleichen war er erhaben. Da konnte man sich nur mit dem anderen Ohr beschäftigen. Sauberkeit. Das war es, worauf es ankam.
Drittes Kapitel
Zeke Kelso nahm den Hörer ab. Er war groß und schlank und hatte einen weichen, angenehmen, langgezogenen, breiten Nevada-Akzent. »Sie sagen, Ihr Kater hat die Uhr mit zu Ihnen nach Hause gebracht?«
»Irgendjemand hat sie ihm um den Hals gelegt.«
»Wie einen Kragen?«
»Ja, Herr Kelso. Und D.C. hatte...«
»Wie nennen Sie ihn?«
»D.C.« Sie zögerte eine Sekunde. »Er heißt Damn Cat. Sehen Sie, Vater...«
»Würden Sie das bitte mal buchstabieren?«
»Es ist genau das, was Sie annehmen. D-a-m-n.«
»D-a-m-n...« Unbewusst hob er die Stimme. »Damn Cat?« Eine Stenotypistin, die am nächsten Schreibtisch ein Diktat aufnahm, sah auf. Kelso musste auf Flüsterton heruntergehen. Im Büro des FBI würde man den Gebrauch eines solchen Wortes in Gegenwart von Damen ganz entschieden missbilligen.
Er fragte: »Sind Sie im Augenblick in einer Bar, Fräulein Randall?«
Mr. Kelso hörte sie jemandem zurufen: »Mike, um Himmels willen, stell doch mal das Radio ab.« Sie kehrte zu ihm zurück. »Nein, ich bin nicht in einer Bar. Ich bin zu Hause – und sein Name ist Damn Cat – ich kann auch nicht dafür – aber Sie wollten es ja genau wissen und...«
»Ist da jemand bei Ihnen, Fräulein Randall?«
»Ja, mein Bruder Mike. Er ist zwölf – und meine Schwester Ingrid, die ist sechzehn. Unsere Eltern sind zurzeit in Europa. Mein Vater, George Randall, arbeitet bei Lockheed...«
Mitkritzelnd, so schnell wie sie sprach, notierte er die Namen auf einen Block, dessen Größe den behördlichen Vorschriften genauestens entsprach. »Fräulein Randall, würden Sie bitte die Uhr öffnen und nachsehen, ob auf der Rückseite des Deckels etwas eingeritzt ist?«
Während er wartete, trommelten seine Finger nervös auf den Schreibtisch. Er brauchte dringend eine Tasse Kaffee, obwohl ihm durch den Kopf ging, dass er auf dem besten Wege war, süchtig zu werden. Seit fünf Uhr war er schon auf, und seit sechs im Büro, wegen eines längeren Berichts über einen Fall, bei dem sich ein Mörder durch Flucht der Strafverfolgung entzogen hatte. In jüngster Zeit hatte es wahrlich nicht an Arbeit gefehlt. Letzte Woche allein zweiundsiebzig Stunden... Was die da nur so lange machte?
Sie war wieder in der Leitung. »Ich kann den Deckel nicht aufkriegen.«
»Dann versuchen Sie es doch mit einem Stemmeisen.«
»Dabei geht bestimmt die Uhr kaputt.«
»Macht nichts.«
Eine Minute später sagte sie: »Sieht aus wie ein Y mit ein paar Zahlen dahinter. Die sind aber so klein, dass ich sie nicht erkennen kann.«
Kelso hatte im Nu seine Müdigkeit vergessen. Es bestand kein Zweifel, dass dies die Uhr des Opfers war. Denn sie hatten bei Eröffnung der Untersuchung von Helen Jenkins’ Vater erfahren, dass sie im Juni 1960 bei der Firma Neuwirth, 6081 Sunset Boulevard, Hollywood, ihre Uhr hatte reparieren lassen und dass der Uhrmacher das identifizierende Y-Zeichen eingraviert hatte.
Am vergangenen Abend also hatte Fräulein Jenkins noch gelebt. Und er, Zeke, war, nachdem man sich sieben Tage lang mit wachsender Verzweiflung um Spuren von ihr und den beiden Räubern bemüht hatte, zu dem Schluss gekommen, dass sie tot sein müsse, denn solche Fälle verliefen zumeist so, dass die Räuber die Geisel nach ein paar Stunden wieder freiließen oder töteten, weil sie sich nur ungern mit der Möglichkeit einer Flucht ihres Opfers belasteten. Er fragte schnell: »Wo war er denn, das heißt, ich meine, wo geht Ihr Kater denn gewöhnlich hin, oder...«
Sie lachte fast zärtlich. »Ich sehe, dass Sie von Katzen nicht viel verstehen, Mr. Kelso. Er geht überall hin. Er liebt die Menschen. Er denkt wie wir. Und darum macht er gern Besuche. Er wartet bis zur Dunkelheit, wenn die Spottdrosseln, die ihm das Leben verleiden, ihn nicht erkennen können. Dann zieht er ab und kratzt an den Türen, wie es ihm beliebt. Sind die Menschen nett zu ihm, kommt er dorthin zurück. So hat er sich jetzt, glaube ich, eine richtige Tour zusammengestellt.«
Zeke spielte mit einem Bleistift. Aus der Art, wie sie so plauderte, schloss er, dass es nicht nur des Katers Meinung war, wie wir zu sein, sondern auch ihre Meinung. So war die langersehnte Erholung nicht nur durch eine weibliche Person, die offenbar einen leichten Tick hatte, in Frage gestellt, sondern auch durch einen Kater mit dem gleichen Tick. Er verabscheute Katzen, denn sie waren Barbaren – die ganze Brut die Vögel fraßen, die alle Register zogen, wenn sie auf Tod und Leben kämpften, die bei ihrem Liebesspiel wie eine Horde Hexen heulten, die in einem Augenblick friedlich schnurrten und im nächsten mit ihren Krallen zuschlagen und fauchen konnten, um dann alldem noch die letzte Schmach hinzuzufügen, indem sie einem mit hochgehobenem Schwanz ihr Hinterteil zukehrten.
Mitten im schönsten Gedankenfluge wurde sich Zeke auf einmal bewusst, dass er sich hüten musste, seine wahren Gefühle zu verraten. Das Federal Bureau of Investigation würde kein Vorurteil dulden. Diese Instanz glaubte unerschütterlich an die Brüderschaft der Menschen und verlangte auf jeden Fall eine sachliche Behandlung.
Er fuhr fort, Fragen zu stellen. »Wissen Sie, wann Ihr Kater nach Hause kam, Fräulein Randall?«
»Genau um halb eins. Ich hatte gerade einen Telefonanruf gehabt.«
»Darf ich fragen, wer Sie angerufen hat?«
»Ja, wissen Sie, ich kam nicht rechtzeitig zum Telefon. Es stand unter dem Bett, und bis ich endlich dran war, hatte es auf gehört zu klingeln, aber der Teilnehmer kam kurz danach zu uns herüber. Jemand von gegenüber.«
»Wie heißt die Dame?«
»Es war keine Sie.« Patti hielt inne, denn es wurde ihr bewusst, dass sie sich damit verdächtig gemacht hatte. »Es war ein junger Anwalt. Greg Balter. B-a-l-t-e-r.«
»Warum ist er denn herübergekommen?«
Wieder zögerte sie, rückte dann aber doch mit der Antwort heraus: »D.C. hatte bei ihm eingebrochen und eine Ente gestohlen.«
»Gestohlen... was?«
»Eine Ente, vielmehr einen Erpel.«
»Aha!« Er dachte einen Augenblick nach. »Sie sagten, er habe eingebrochen – sprechen wir immer noch von Ihrem Kater, Miss Randall?
»Ja, durchaus, Mr. Kelso, er ist außerordentlich intelligent. Er hebt seine Pfote, und wenn die Tür nur einen winzigen Spalt breit offensteht, ist er schon drin. Manchmal bringt er es sogar fertig, einen Riegel loszumachen.«
»Und wie hat Mr. Balter es aufgenommen? War er, sagen wir, böse?«
»Das wäre milde ausgedrückt. Mr. Balter kann furchtbar schnell furchtbar wütend werden.«
»Ich muss auf jeden Fall noch eine Beschreibung des Katers haben. Wir brauchen immer eine von dem...« Er war drauf und dran zu sagen Informanten, aber eine Beschreibung einer Katze, eines Katers? Er kam sich auf einmal wie blöd vor. Doch lautete die Vorschrift, Karteikarte anlegen und Bericht schreiben, denn beim FBI bestand man auf detaillierten Angaben, und so schrieb er auf ein besonderes Blatt:
Informant
Name: Damn Cat Randall
Er runzelte die Stirn, strich Randall aus und setzte es kurz darauf wieder ein.
Anschrift: 1820 Greenbriar, Sherman Oaks,
California
Beschreibung:
»Wie alt ist er?«
»Lassen Sie mich mal nachrechnen. Wir bekamen ihn, als Mike sieben war, er ist jetzt also fünf.«
»Gewicht?«
»Zwanzig Pfund.«
Zeke legte den Bleistift beiseite. »Miss Randall, ich hatte die ganze Zeit über den Eindruck, dass es sich um eine Hauskatze handele.«
»Aber ja, es ist eine absolut normale amerikanische Hauskatze.«
»Und wiegt zwanzig Pfund?«
»D.C. hat nun mal Schwierigkeiten mit dem Gewicht, aber wir werden in Zukunft mehr auf seine Linie achten.«
Zeke schluckte ostentativ und wandte sich danach wieder dem Formular zu. »Größe?«
»Aber ich bitte Sie, Mr. Kelso...«
»Entschuldigen Sie, aber wir haben wirklich nicht viel mit Katzen zu tun, das heißt, ich möchte eigentlich sagen nie.« Er las die weiteren Fragen vor. »Schulbildung, Steckenpferde, Verwandtschaft – na, das passt wohl alles nicht.«
Und im selben Augenblick hatte er einen Entschluss gefasst. »Könnte ich Sie so bald wie möglich aufsuchen? Ich würde sehr gern mal die Uhr sehen.« Vorsichtig und ohne Überzeugung fügte er hinzu: »Sie könnten uns sehr gute Dienste leisten – Sie und Ihr D.C.«
Sie kamen überein, sich am Vormittag um 10 Uhr bei Bullock in Westwood draußen auf der zweiten Parketage zu treffen. Sie hatte dazu gemeint: »Wenn wir uns drinnen sprechen, fragt mich bestimmt eines von den Mädchen, wer Sie sind. Ich will aber gar nicht erst den Versuch machen, eine Geschichte zu erfinden, ich falle damit doch immer herein.«
Auf dem Weg zum Zimmer des Inspektors pfiff er leise vor sich hin. Er war umso vergnügter, als er wusste, dass ihm im Stenosaal ein Dutzend Augenpaare folgten. Als einer von den wenigen unverheirateten Männern im Betrieb war er ein hübsches Stück Wild, auf das sich Jagd zu machen lohnte.
Der Inspektor, Robert Z. Newton, sah heute Morgen noch ausgezehrter aus als sonst. Sein Schreibtisch war ein einziger Stapel von Berichten, die er lesen, abzeichnen und, sofern Spuren und Tatsachen gebührend entwickelt und erklärt waren, nach Washington abschicken musste, oder er gab sie dem Assistenten mit Anweisungen in Geheimschrift zurück, wenn der betreffende nicht sorgfältig genug gearbeitet hatte.
Als Newton Zeke erblickte, hellte sich sofort sein Gesicht auf. »Ich sehe, Sie haben mich heute Morgen geschlagen. Haben Sie’s auf meinen Posten abgesehen?« Er stand auf, um sich zu strecken, und es war zu erkennen, dass er um die Taille herum ganz schön füllig war, dass er aber trotzdem den Gürtel unentwegt im selben Loch zuschnallte. »Endlich gibt’s im Fall Jenkins mal was Neues.«
Newton schaute Zeke mit großen Augen an. Seit sieben Tagen wurde der Fall bearbeitet, ohne dass sich eine brauchbare Fährte ergeben hätte. Was sie wussten, war nur wenig mehr als der reine Tatbestand: Um 10.05 Uhr vormittags waren zwei maskierte Männer zwischen zwanzig und dreißig aus der Van Nuyser Bundesbank mit rund zweihundertzweitausend Dollar in bar entkommen und hatten dabei Helen Jenkins (einundvierzig) mit vorgehaltener Pistole gezwungen, sie zu begleiten. Wie es oft der Fall war, gingen die Aussagen der Augenzeugen hinsichtlich der Größe, Statur und Kleidung der Männer, sowie der Waffen weit auseinander. Einmütigkeit bestand nur bezüglich des Fluchtwagens, der, wie üblich, gestohlen und drei Stunden später auf einem Parkplatz in Studio City verlassen aufgefunden worden war. Der Vater des Opfers, Thomas Z. Jenkins (Sechsundsechzig), der bettlägerig war, hatte die Meldung über die Uhr abgegeben.
Zeke fuhr fort: »Aber das ist ohne Zweifel die verrückteste Geschichte, die je erfunden wurde. Ich weiß nicht...« Und damit hatte er sich auch schon entschlossen, einen anderen Kurs zu wählen. »Hier, ich gebe Ihnen die Nachricht lieber so, wie sie hereinkam. Ich hatte nämlich einen Anruf von einer Miss Patti Randall, 1820 Greenbriar Street, Sherman Oaks.« Er hielt sich an seine Notizen. »Sie sagte, dass heute Nacht um halb eins ihr schwarzer Kater namens D. C, eine Abkürzung für Damn Cat, mit einem aus dem Haus des Anwalts Greg Baker, 1817 Greenbriar, gestohlenen Erpel heimkehrte und mit einer goldenen Uhr, die wie eine Kette um den Hals des Tieres festgemacht war. Auf mein Ersuchen öffnete sie
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Gordon Gordon/Mildred Gordon/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Kurt Seibt und Christian Dörge (OT: Undercover Cat).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6477-9
Alle Rechte vorbehalten