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Leseprobe

 

 

 

 

ARNO ZOLLER

 

 

DIE TERRANAUTEN, Band 59:

Eine Welt für Yggdrasil

 

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

EINE WELT FÜR YGGDRASIL von Arno Zoller 

1. 

2. 

3. 

 

Das Buch

Das kleine Raumschiff schwebte antriebslos in der Leere des Weltraums. Es driftete in einer engen Kreisbahn um den rötlichen Glutball der Sonne Barnum. Zu nahe an der Sonne, um von planetaren Ortungsinstrumenten entdeckt zu werden, aber weit genug entfernt, um nicht in ihrem Glutodem zu vergehen. Tasca stand in verblichenen Buchstaben auf der arg mitgenommenen Bordwand. Das Schiff hätte eine Überholung dringend notwendig gehabt. Aber dafür hatte vor dem Start die Zeit gefehlt.

Der kleine Kurierraumer war verlassen. Kein lebendes Wesen befand sich an Bord, wenn man von der matt leuchtenden Mistel in der Schale im Mittelpunkt der Zentrale absah. Zwei Menschen waren an Bord dieses Schiffes ins Barnum-System gekommen, in einem furchtbaren Gewaltflug, den vor einigen Jahren noch kein Treiber gewagt hätte. Diese beiden, ein älterer Mann und ein kleines Mädchen mit ungeheuren PSI-Kräften, hatten das Raumschiff mit dem einzigen Beiboot verlassen und waren unbemerkt auf Adzharis, dem zweiten Planeten des Systems, gelandet. Sie kamen allein, weil sie niemanden in das Geheimnis ihres Fluges einweihen wollten, auch wenn sie eine Vollmacht des Konzils des terranischen Sternenreiches an Bord hatten, die jeden terranischen Kolonialplaneten zu ihrer Hilfe verpflichtete. Sie wollten inkognito bleiben, denn es ging um das Schicksal dieses Sternenreiches...

 

DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie erstmals und exklusiv als E-Books.

  EINE WELT FÜR YGGDRASIL von Arno Zoller

 

 

 

 

 

  1.

 

 

Das kleine Raumschiff schwebte antriebslos in der Leere des Weltraums. Es driftete in einer engen Kreisbahn um den rötlichen Glutball der Sonne Barnum. Zu nahe an der Sonne, um von planetaren Ortungsinstrumenten entdeckt zu werden, aber weit genug entfernt, um nicht in ihrem Glutodem zu vergehen. Tasca stand in verblichenen Buchstaben auf der arg mitgenommenen Bordwand. Das Schiff hätte eine Überholung dringend notwendig gehabt. Aber dafür hatte vor dem Start die Zeit gefehlt.

Der kleine Kurierraumer war verlassen. Kein lebendes Wesen befand sich an Bord, wenn man von der matt leuchtenden Mistel in der Schale im Mittelpunkt der Zentrale absah. Zwei Menschen waren an Bord dieses Schiffes ins Barnum-System gekommen, in einem furchtbaren Gewaltflug, den vor einigen Jahren noch kein Treiber gewagt hätte. Diese beiden, ein älterer Mann und ein kleines Mädchen mit ungeheuren PSI-Kräften, hatten das Raumschiff mit dem einzigen Beiboot verlassen und waren unbemerkt auf Adzharis, dem zweiten Planeten des Systems, gelandet. Sie kamen allein, weil sie niemanden in das Geheimnis ihres Fluges einweihen wollten, auch wenn sie eine Vollmacht des Konzils des terranischen Sternenreiches an Bord hatten, die jeden terranischen Kolonialplaneten zu ihrer Hilfe verpflichtete. Sie wollten inkognito bleiben, denn es ging um das Schicksal dieses Sternenreiches.

Seit sie das Schiff vor fast einem Monat verlassen hatten, hatte sich an Bord nichts mehr gerührt. Nur das gleichmäßige Summen der Not-Energieversorgung durchbrach die Stille in der Zentrale. Doch plötzlich lag ein bläuliches Flimmern über der Mistel. Ein Knistern, wie von ungeheuren Energiespannungen, erfüllte den Raum. Für Sekunden schien sich der Raum zusammenzuziehen. Dunkelheit wallte über der Mistelschale. Und dann schälten sich Gestalten aus dieser Dunkelheit: ein hoch gewachsener junger Mann mit verwirrten Augen, drei junge Frauen, ein älterer Mann mit schlohweißem Haar und grünen Augen, ein blonder Mann mit einem leuchtenden Amulett auf der Brust und schließlich eine dunkelhaarige Frau mit einem Ungeheuer an ihrer Seite, das einem Drachen der terranischen Legende nicht unähnlich schien. Als die Materialisation fast abgeschlossen war, tauchte noch ein Mann auf, dunkelhaarig, mit einem schmalen Schnurrbart. Der Mann hielt ein glühendes Stäbchen in der Hand, schwenkte es durch die Luft und dröhnte mit dumpfer Stimme: »Wo habt ihr auf der Tasca denn mal wieder den Aschenbecher vom alten Farrell versteckt?«

 

*

 

Die Tasca schwang in einen Orbit ein. Der zweite Planet des Barnum-Systems lag unter dem kleinen Kurierschiff. Hinter der blauen, von weißlichen Wolkenfetzen übersäten Scheibe ging gerade Chrama auf, ein grauweißer Mond mit dem Gesicht eines alten Mannes.

»Wenn man's nicht besser wüsste, könnte das die Erde sein«, bemerkte Narda. Das Gesicht der jungen Treiberin war angespannt. Zu kräftezehrend waren die Erlebnisse gewesen, die Strapazen, auch die Angst, als sie vom Transmitterbaum im Herzen von Rorqual durch die wirren Energielinien von Weltraum II zurück in Weltraum I geschleudert wurden, direkt an Bord der Tasca.

»Sieht das da so ähnlich aus?«, fragte Thorna, die nur wenig älter als Narda war. »Ich war ja leider nie da. Aber eines Tages...« Sie ließ den Satz in der Luft der kleinen Steuerzentrale der Tasca hängen. Ihre dunkelbraunen Augen verrieten Sehnsucht. Und etwas Neid. Neid auf Narda, die an der Seite von Asen-Ger und David terGorden auf Terra gekämpft hatte.

»Ähnlich ist gar kein Ausdruck«, meinte Claude Farrell grinsend. Er verbreitete Schwaden von übel riechendem Rauch aus einem daumendicken Zigarillostummel, mit dem er sich fast seinen schmalen Oberlippenbart ansengte. »Adzharis ist eine der erdähnlichsten Welten, die je entdeckt wurden. Aber Schönheit hat das Konzil nie interessiert, und zu seinem Glück verfügt der Planet über keinerlei Rohstoffe. Alles, was es hier zu holen gibt, ist Fisch.«

»Und Drachenhexen«, klang eine kühle Stimme vom Zugang zur Steuerzentrale auf. »Vergesst nie: Adzharis ist unsere Welt, unsere Erde!«

Der Rest der Loge in der Steuerzentrale drehte sich um: Fehrenbach, Colynn und Zandra, die sich als Dreier-Team mit den Kontrollen für den Anflug des Planeten beschäftigt hatten, konnten jetzt aufsehen, da der Orbit um Adzharis stabil war.

Alle starrten die Hexe an.

Nayala del Drago war in der Tat eine ungewöhnliche Erscheinung.

»Nein, wir vergessen das nicht«, sagte Fehrenbach ruhig. »Aber Ihr solltet ebenso wenig vergessen, dass Eure Vorfahren sich auf der Erde, Verzeihung: Terra, auch ganz wohl gefühlt haben.« Er schwieg und wandte sich wieder seinen Kontrollen zu. Fehrenbach sagte stets wenig, traf dabei aber meist sehr präzise den Punkt.

Nayala warf ihr langes schwarzes Haar in einer schwungvollen Bewegung um sich, dass es sekundenlang wie eine düstere Aureole wirkte.

»Die Beziehung zwischen Terra und Adzharis kann nicht abgestritten werden. Deswegen sind wir hier.« Sie trat einen Schritt zur Seite. Ihre psionische Sonderbegabung hatte ihr signalisiert, dass bald ein weiterer Mensch die Steuerzentrale betreten wollte. Nach fünf Sekunden kam der Mensch. David ter-Gorden.

David war in ein schwarzes Baumwolltrikot gekleidet, dessen Material er synthetischen Stoffen vorzog. Die Farbe machte ihn noch größer und schlanker und betonte besonders stark sein langes blondes Haar und seine blauen Augen, beides selten in dieser Zeit, jedenfalls bei Menschen. In wenigen Sekunden erfasste er die Stimmung in der Steuerzentrale.

»Asen-Ger ist noch dabei, die Situation zu analysieren, damit wir für unsere Mission einen guten Start haben. Ihr wisst ja alle, worum es geht.«

Alle nickten, selbst die stolze Hexe.

Die Tasca hatte mit Sicherheit die brisanteste Fracht an Bord, die es im Augenblick im Sternenreich gab. Und wenn eine der Machtgruppen, die aus unterschiedlichen Erwägungen die Tasca und ihre Mannschaft gern in ihren Besitz bringen wollten, damit Erfolg haben würde, stand nicht nur die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel. David terGorden hatte in den letzten Stunden in seiner Kabine lange über diese Fracht meditiert. Es handelte sich um den Samen für eine neue Yggdrasil, den er in dem Medaillon auf seiner Brust trug. Nur mit diesem Samen konnte eine neue Yggdrasil entstehen, und nur mit den Misteln einer neuen Yggdrasil waren die Rückkehr des menschlichen Sternenreiches zur Treiberraumfahrt und die Abkehr von der selbstmörderischen neuen Kaiserkraft-Technik möglich.

Bisher hatte David immer angenommen, dass dieser Samen sein von seiner Mutter Myriam ihm prophezeites »Erbe der Macht« sei, aber der Kontakt zu dem Weltenbaum im Herzen Rorquals hatte andere Informationen gebracht. Davids Erbe schien eine kosmische Bedeutung zu haben, die weit über den Rahmen des terranischen Sternenreiches hinausging. Doch dieser Frage konnte er erst weiter nachgehen, wenn die Menschheit durch eine Rückkehr zur Treiberraumfahrt gerettet war. Die Zeit drängte. Schon fühlten sich andere Völker der Galaxis durch die Kaiserkraft bedroht und begannen, Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Gleichzeitig schien das alte Kaiserkraft-Abwehrsystem, das Anti-Entropie-System der Weltenbäume, nicht mehr richtig zu funktionieren. Die Kaiserkraft-Raumfahrt musste um jeden Preis so schnell wie möglich beendet werden.

Insgesamt musste David davon ausgehen, dass die Gemeinschaft der Weltenbäume und die mysteriösen ›Lenker‹, soweit sie überhaupt noch existierten, der Menschheit und ihren Problemen mit Unverständnis, ja, mit Ablehnung gegenüberstanden. Das hatte nicht zuletzt der Versuch des rorqualschen Weltenbaumes, Yggdrasils Samen in seine Gewalt zu bekommen, bewiesen. Es schien sogar, als hätten die Weltenbäume der sterbenden Yggdrasil eine weitere Unterstützung für die Terranauten verboten. Von dort war also keine Hilfe zu erwarten.

Blieb die Frage, wo man den Samen für eine neue Yggdrasil säen und wessen Schutz man ihn anvertrauen sollte. Gesucht war eine Welt für Yggdrasil. Die Kontrolle über die neue Yggdrasil durfte nicht missbraucht werden. Und es gab zu viele, die sie missbraucht hätten: das Konzil, die Grauen Garden, der Bund der Freien Welten – sie alle würden die neuen Misteln nur in den Dienst ihrer eigenen Sache stellen, ohne die Interessen der ganzen Menschheit zu sehen. Deshalb schied Terra als Pflanzungsort aus.

Die Lösung war so naheliegend, dass David sie beinahe übersehen hätte. Sie lag sozusagen direkt unter ihm: Adzharis. Asen-Ger schien diesen Schluss bereits vorhergesehen zu haben, denn das war einer seiner Gründe für die strikte Geheimhaltung seines Fluges hierher.

Adzharis war absolut erdähnlich. Die Natur bot alle erdenklichen guten Voraussetzungen für ein Gedeihen des Baumes. Wenn es außerdem gelang, die Drachenhexen mit ihren mächtigen PSI-Kräften zu seinem Schutz zu gewinnen...

»Es geht um die Zukunft der Menschheit«, sagte David terGorden. »Yggdrasil muss wieder entstehen. Ich habe den Samen dazu bei mir. Es erscheint uns allen nach reiflicher Überlegung als sinnvoll, Yggdrasils Samen auf Adzharis zu säen.«

»Warum eigentlich nicht auf Terra?«, fragte Nilsson, ein etwas vorlauter junger Treiber, der sich die ganze Zeit vergeblich bemühte, bei der anwesenden Weiblichkeit Eindruck zu schinden. Sein Gesicht wurde so rot wie sein Haar, als er sah, dass alle ihn anstarrten. »Ich meine«, fügte er hastig hinzu, »Yggdrasil oder seine Ableger waren ja für Terra da. Dann kann man doch gleich auf Terra... Oder... Ich meine...«

Hinter David terGorden trat eine Gestalt, die ihn um fast 20 Zentimeter überragte: Asen-Ger.

»Es gibt einen ganz vernünftigen Grund, den Samen Yggdrasils nicht auf Terra zu säen«, sagte er ruhig. »Terra ist noch nicht reif für Yggdrasil. Die Machtverhältnisse dort sind einstweilen viel zu unsicher. Wir wissen nicht...«

Asen-Ger krümmte sich plötzlich zusammen. Die starken, kühnen Linien seines Gesichts zerfurchten sich. Er fuhr mit beiden Händen durch sein fast weißes, langes Haar. Neben ihm taumelte David terGorden unter einem Strom mentaler Energien. Narda schrie auf. Die anderen spürten einen leichten Schmerz, wussten aber nicht, was sie von der Situation zu halten hatten. Vor allem von dem seltsamen Lächeln der Hexe Nayala, die plötzlich einen halben Meter über dem Boden schwebte, als ritte sie auf einem unsichtbaren Drachen.

In der Steuerzentrale der Tasca erschien ein weißlicher Wirbel, der sich zu einer merkwürdigen Erscheinung verdichtete.

In der Mitte der Kommandozentrale stand eine schwarzgekleidete, gebeugte Erscheinung, ein winziges, zerknittertes Gesicht in einer Menge von losen schwarzen Lumpen, die Linke gestützt auf einen dunklen Stab, der nach unten, dem Boden zu, ausfaserte.

»Seid gegrüßt von Niemand, geboren aus der Strahlung des anderen Mondes, edle Erdlinge«, krächzte die alte Frau. »Das Maß ist voll, der Tag ist da, und Chrama wird es lohnen...«

»Mutter, kommt zu Euch«, meinte Nayala del Drago ärgerlich, »Ihr befindet Euch im 26. Jahrhundert der Geschichtsschreibung der Terraner...«

»Und wir uns im 3. unserer Geschichtsdenkung«, ereiferte sich die Alte, »das solltest du wissen, meine Tochter. Hast du schon so viel von denen angenommen, die unser Volk einst grausam bekriegt haben und es fast ausrotteten?«

»Nein«, bekannte Nayala überraschend demütig.

»Dann kommen wir zur Sache«, sagte die Alte geschäftsmäßig. »Ich bin die neue Niemand des Rates, und ich hatte ein paar Tage Zeit, mich auf diese Situation vorzubereiten. Wir haben unsere Meinung geändert. Hat jemand etwas zu rauchen da?«

Die Mannschaft der Tasca schaute verblüfft in die Runde. Aber Farrell war der Situation gewachsen. Fast schien es, als habe er sein ganzes Treiberleben lang auf eine solche Frage gewartet. Er erhob sich übertrieben schwungvoll, schwenkte eine große grüne Zigarre in der Rechten, entzündete sie mit einem altmodischen Feuerzeug und reichte sie der Alten.

»Claude Farrell, mein Name«, bemerkte er schwungvoll, »Sie können Claude zu mir sagen, Madame!«

Es erwies sich, dass die Erscheinung, zumindest jetzt, real war. Die alte Frau in ihren schwarzen Gewändern nahm die glimmende Zigarre, führte sie an ihre dunklen, wulstigen Lippen, sagte: »Danke, junger Mann!« und stieß Wolken beizenden Rauchs aus.

Plötzlich fiel das ganze dramatische Theater von ihr ab, und sie sagte ganz nüchtern, immer wieder Rauchschwaden ausstoßend: »Nayala, mein Töchterlein, es tut mir leid, gerade dir das sagen zu müssen. Ich bin der erwählte Niemand, und wie du weißt, ist meine Macht begrenzt. Ich komme als Bote. Und meine Botschaft richte ich an euch alle: Ihr seid nicht willkommen auf Adzharis. Wir Hexen wollen nicht mehr mit der Terra-Kultur zu tun haben als irgend nötig, als unbedingt vermeidbar. Die Situation mit dem Fischerei-Konzern ist inzwischen bereinigt. Und deswegen sage ich euch, Treiber oder Terranauten – verschwindet aus unserem System!«

»Wenn du nicht mehr zu sagen hast, dann bist du wirklich nicht mehr als ein Niemand«, meinte Narda.

»Das ist ein Bruch der Vereinbarungen, die der Rat mit mir und Narda getroffen hat«, knurrte Asen-Ger aufgebracht. »Vor euch steht David, Sohn Myriam del Dragos, den ihr zu unterstützen versprochen habt. Er gehört zu eurer Welt, auch wenn er das bisher nicht wusste. Ihr könnt ihn jetzt nicht einfach im Stich lassen.«

»Genug«, erwiderte die alte Frau etwas unglücklich. »Wir verstehen dich, wir verstehen David. Wir wissen, was ihr in den letzten Stunden überlegt und getan habt.« Sie seufzte. »Aber wenn Yggdrasils Samen auf Adzharis gepflanzt wird, müssen wir über kurz oder lang mit dem Untergang unserer Kultur rechnen. Erst werden die Treiber nach Adzharis kommen, dann die Garden, dann das ganze Sternenreich mit seiner Technik. In wenigen Jahren wird man den Energiezaun um unser Land abschalten. Unsere Isolation wäre zu Ende – unwiderruflich. Dieses Opfer ist einfach zu groß.«

»Und was ist mit mir? Sollte ich nicht als Ausgleich eine Drachenhexe werden?« Narda baute sich wütend vor der Niemand auf.

Die Niemand lächelte. Es gab ihr unvermittelt das Aussehen einer freundlichen alten Dame. »Kleine Schwester«, meinte sie, »du wirst deine Ausbildung bekommen. Das sehe ich im Morgen. Aber sie wird anders sein, als wir und du sie uns vorgestellt haben. Doch diese Ausbildung war nur der Preis dafür, dass wir euch nach Rorqual gebracht haben.«

Zum ersten Mal ergriff David das Wort. Er sprach ruhig und überlegt, aber ohne der Niemand das Gefühl zu geben, er wolle sich bei ihr einschmeicheln. »Ich habe volles Verständnis für eure Sorgen«, sagte er. »Aber ich will diesen Planeten nicht für mich, nicht für die Treiber oder für das Sternenreich. Ich will eine Welt für Yggdrasil. Sie ist der terranische Weltenbaum, der euch durch mich um eure Hilfe bittet. Und Yggdrasil wird keine Technik, kein Konzil und keine Garden nach Adzharis bringen. Im Gegenteil – wenn es euch gelingt, eine Symbiose mit dem neuen Baum einzugehen, der hier wachsen soll, werden seine und eure Kräfte und die Terranauten dafür sorgen, dass Adzharis für immer frei bleiben wird.«

»Das sind schöne Worte«, erwiderte die Niemand. Sie kratzte sich am Kopf. »Ich kann mir eine solche Zukunft für Adzharis auch selbst gut vorstellen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dem Rat ein solches Versprechen genügen wird. Wahrscheinlich habt ihr alle durch Asen-Ger und Narda eine falsche Vorstellung von dem Rat und den Menschen im Versiegelten Land. Der Rat ist keine Regierung. Er ist der vereinigte Wille der ihm angehörenden Hexen. Er kann nur einstimmig, oder besser eingeistig, entscheiden, und er hat gleichzeitig die Interessen all jener Clans mit zu vertreten, die von ihm ausgeschlossen werden mussten. Glaubst du, du kannst sie alle überzeugen, David, Sohn Myriam del Dragos? Glaubst du, du kannst mein ganzes Volk davon überzeugen, seine Welt an deine Yggdrasil zu verschenken?«

»Ich kann es versuchen«, meinte David schlicht.

»Du bist wirklich Myriams Sohn«, lächelte die Niemand. »Myriam hat auch immer das Unmögliche versucht.« Sie nahm einen tiefen Zug aus Farrells Zigarrenersatz. »Der Rat soll entscheiden. Der Rat wird eine Prüfung von dir verlangen. Wir werden sehen. Aber ich glaube nicht, dass es auf Adzharis je eine neue Yggdrasil geben wird.« Sie schloss unvermutet die Augen. »Nun, sehen kann man sie im Morgen schon, aber es ist ein sehr blasses Bild, das viel Kraft braucht, um zur Wirklichkeit zu finden.«

Alles schwieg, und Niemand, die alte Hexe in ihren wallenden schwarzen Gewändern, saß lächelnd auf einem Protopsessel, sog an ihrer grünen Zigarre und schenkte Claude Farrell freundliche Blicke.

»Verdammt noch mal!«, explodierte Farrell, »es ist die einzig vernünftige Lösung, dass wir den Samen Yggdrasils hier säen.«

»Stimmt«, meinte die Hexe

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Arno Zoller/Apex-Verlag. Published by arrangement with Thomas R. P. Mielke and Rolf W. Liersch.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Pixabay. DIE-TERRANAUTEN-Logo by Arndt Drechsler.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Andrea Velten.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2020
ISBN: 978-3-7487-6184-6

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