ROBERT MACLEOD
Das magische Zeichen
Roman
Apex Adventure, Band 4
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS MAGISCHE ZEICHEN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Das Buch
Die junge ostafrikanische Republik Yabanza ist in Gefahr: Radikale politische Gruppen beschwören den Geist vergangener Zeiten - magische Riten und Zauberzeichen sollen erneut die Menschen beherrschen.
Am Rande eines noch aktiven Vulkans wird der entscheidende Kampf zwischen Fortschritt und Aberglaube ausgetragen...
Das magische Zeichen von Robert MacLeod - ein Pseudonym des schottischen Kriminal-Schriftstellers Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999 ebenda) - erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstausgabe folgte 1969.
Das magische Zeichen erscheint in der Reihe APEX ADVENTURE, in welcher Klassiker der Abenteuer-Literatur als durchgesehene Neuausgaben neu aufgelegt werden.
DAS MAGISCHE ZEICHEN
Erstes Kapitel
Die mächtige, silbrig-weiße Boeing stieß in einer Höhe von 8.000 Fuß durch die Kumuluswolken und setzte ihren flachen, langgezogenen Anflug auf den Flughafen Sabaki fort. Die Sicherheitsgurte waren bereits angelegt, die letzten Zigaretten ausgedrückt. Robert Hartford beugte sich an seinem Fensterplatz ein wenig zur Seite und sah hinunter. Der Riesenschatten der Boeing glitt über den sonnenverbrannten Boden. Handtuchgroße Maisfelder und winzige, blechgedeckte Hütten huschten vorbei. Mitten hindurch erstreckte sich wie ein rotes Mal eine unbefestigte Wüstenstraße quer über die Eintönigkeit der Ebene. Hier und da reflektierte ein Bewässerungsgraben einen Funken Sonnenlicht. Weiter entfernt, dicht unter dem künstlichen Horizont der vibrierenden Flugzeugschwingen, waren die dunkelgrünen Flecken unregelmäßig verteilter Buschgruppen zu erkennen.
Der beleibte belgische Bergwerksingenieur auf dem Nachbarsitz ließ ein angestrengtes Ächzen hören und blätterte einen Stapel Reisedokumente durch, die er aus der Hüfttasche gezogen hatte. Er blickte für eine Sekunde auf und zwinkerte seinem Mitreisenden zu.
»Es ist immer gut, vorbereitet zu sein, M’sieu«, riet er. »Ihr Briten habt euren dunkelhäutigen Brüdern eine wichtige Richtschnur hinterlassen: die Bürokratie. In Yabanza müssen die Papiere immer in Ordnung sein.« Er lachte leise vor sich hin. »Manchmal finde ich das sehr belustigend.«
Hartford nickte mechanisch. Die Szene tief unten nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Boeing schwenkte ein wenig nach Westen und verlor ruhig und gleichmäßig an Höhe. Für einen Augenblick sah er, noch ein halbes Dutzend Meilen entfernt, das lange, weiße Betonband der Landebahn vor sich und die ausgedehnte, undeutliche Silhouette der Stadt dahinter. Das war Sabaki, die rasch wachsende Hauptstadt der erst zwei Jahre alten Republik Yabanza, früher eine britische Kolonie in Ostafrika.
Der Belgier gab die Hoffnung auf eine Antwort auf und wandte sich achselzuckend wieder seinen Papieren zu. Inzwischen hätte er es gemerkt haben müssen – aber es war schon ungewöhnlich, dass zwei Leute vierzehn Stunden lang in einem Flugzeug nebeneinandersitzen und immer noch nichts voneinander wissen. In diesen vierzehn Stunden hatte sie der BOAC-Jet mühelos mit einer Geschwindigkeit von etwa sechshundert Meilen in der Stunde aus dem Londoner Wolkenmeer nach Yabanza getragen. Nur eine Zwischenlandung zur Treibstoffaufnahme in Bengasi unterbrach die gleichmäßig temperierte, perfekt unter gleichbleibendem Druck gehaltene Langeweile.
Der Belgier warf seinem Nebenmann einen raschen Seitenblick zu. Robert Hartford war hager und hatte die harten, etwas eckigen Bewegungen eines hochgewachsenen Mannes, für den erzwungenes Nichtstun etwas Ungewohntes ist. Er war dunkelhaarig, schon ein bisschen graumeliert, hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, braune Augen und die typische Blässe des europäischen Stadtbewohners. Er musste Anfang Dreißig sein. Aber die Augen waren von winzigen Krähenfüßen umgeben, wie sie unter gleißender Sonne im offenen Buschland entstehen. Quatsch! Der Belgier schob diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das drängendere Problem der von seinem Hauptbüro geforderten zwanzigprozentigen Produktionssteigerung. Bei dem Preisanstieg von Rohmangan in letzter Zeit wurde eben ein höherer Ausstoß gebraucht.
Das Singen der vier Rolls-Royce-Turbinen der Boeing bekam einen anderen Ton. Das leise Stöhnen der Hydraulik mischte sich hinein – das Fahrwerk wurde ausgefahren. Der Boden huschte vorbei, verwischte, ineinander übergehende Eindrücke von Wellblechbuden, einer Gruppe winkender schwarzer Kinder, Radarmasten und scharlachroten Feuerwehrfahrzeugen. Dann hatte der Boden sie wieder – auf das erste Quietschen von Gummi beim Aufsetzen des Bugrades folgte das Schnurren des Fahrwerks auf der Betonpiste. Sie schwenkten ein und blieben stehen. Eine Turbine nach der anderen erstarb mit einem Seufzer, dann folgte ein Augenblick fast unnatürlicher Stille. Die Kabinentür ging auf, die Gangway klinkte ein, die ersten Fluggäste rings um Hartford erhoben sich und begannen auszusteigen.
Hartford ließ sich Zeit. Er zögerte beinahe, den sicheren Kokon der Boeing zu verlassen. Schließlich folgte er den letzten Passagieren und empfand die seltsam betäubende Hitzewelle des äquatorialafrikanischen Mittags wie einen Schlag, als er aus der Maschine stieg.
Er überquerte die Makadampiste und trat in den Schatten des Flughafengebäudes. Es war so neu, dass die cremefarbenen Wände immer noch die feinen Haarsprünge trocknenden Putzes aufwiesen. Eine Gruppe höflicher, ebenholzschwarzer Beamter in frischen, tadellos gebügelten Uniformen war schon damit beschäftigt, die Fluggäste der Boeing durch die Pass- und Zollformalitäten zu schleusen.
Mit ausdrucksloser Miene wartete Hartford, bis er an der Reihe war, dann zog er seinen britischen Pass aus der Tasche und legte ihn auf die Tischplatte. Der Afrikaner auf der anderen Seite des Pultes nahm ihn zur Hand, schlug ihn mit leicht gelangweilter Miene auf und stutzte dann. Angesichts des roten Stempels der Ausweisungsverfügung wurde er sofort aufmerksam.
»Nächste Seite«, sagte Hartford knapp. »Die Verfügung ist aufgehoben. Umeelewa? Verstanden?«
»Ndio, ich weiß Bescheid, Mr. Hartford.« Der Passbeamte nickte langsam. »Warten Sie, bitte.«
Er trat von seinem Pult zurück, klopfte leise an die Glastür im Hintergrund des Raumes und trat ein. Nach kurzer Zeit erschien er wieder. »Sie werden erwartet. Ihr Pass, Mr. Hartford.«
Hartford nahm ihn entgegen, steckte ihn wieder ein und folgte dem Mann zu der Glastür.
»Gehen Sie hinein, bitte.« Der Passbeamte betrachtete ihn mit kaum verhohlenem Interesse und eilte wieder an seinen Platz, wo ein in regenbogenfarbene Gewänder gehüllter Häuptling aus der Westprovinz bereits sichtlich ungeduldig wurde.
Hartford betrat das Büro, schloss die Tür hinter sich und stand einem stämmigen Afrikaner gegenüber. Der Mann trug Zivil, hatte ein fröhliches, schwer von Pockennarben gezeichnetes Gesicht und gab sich knapp und sachlich.
»Robert Hartford?« Die Frage war mehr eine Feststellung. »Ich bin Lieutenant Chiba.« Das Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Ich bin beauftragt, Sie willkommen zu heißen und zu einer Besprechung mit einem guten alten Freund zu geleiten. Mein Wagen steht draußen. Ihr Gepäck haben wir in Ihr Hotel geschickt.«
»Was für ein Freund?«, fragte Hartford.
Lieutenant Chiba zögerte. »Er...ich glaube, er möchte Sie damit überraschen. Ich muss Ihnen mitteilen, dass John Batley, der Engländer, der Sie abholen sollte, wie vereinbart wartete. Ihm wurde erklärt, dass Sie für etwa eine Stunde aufgehalten würden. Er erwartet Sie im Hotel.« Chiba sah auf seine Armbanduhr, dann zur Hintertür, die einen zweiten Ausgang aus dem Büro darstellte. »Sind Sie bereit?«
»Warum nicht?« Achselzuckend ließ sich Hartford über einen langen, stillen Korridor und durch einen Notausgang auf die Straße führen und auf den Beifahrersitz eines zwei Jahre alten Chevrolet bugsieren. Der blaue Lack war mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
Im Wagen war es mindestens zehn Grad wärmer als draußen. Beim Berühren der Sitze verbrannte man sich beinahe. Hartford schoss sofort der Schweiß aus allen Poren.
Lieutenant Chiba setzte sich ans Steuer, schob sich eine goldgerahmte Sonnenbrille auf die Nase, ließ den Motor an und schaltete mit leichter Hand. Sie setzten sich in Bewegung und ordneten sich an der Ausfahrt des Flughafengeländes mit lautem Hupen vor einem überfüllten Bus in die vierspurige Autostraße ein.
Chiba trat das Gaspedal durch und ließ seine weißen Zähne blitzen, als der Chevrolet mit einem Satz davonschoss. »Für Sie muss vieles neu sein, Mr. Hartford – diese Straße zum Beispiel. Aber ich will ehrlich sein. Das andere, insbesondere im Norden, ist fast alles noch genau wie früher.« Er streifte seinen Fahrgast mit einem Seitenblick. »Besonders im Norden, Mr. Hartford. Es ist für Sie vielleicht ganz nützlich, das zu wissen, dachte ich.«
Hartford verzog keine Miene. Auf Chibas Worte antwortete er nur mit einem kaum merklichen Nicken. Chiba seufzte und konzentrierte sich dann darauf, die Tachometernadel des Wagens immer möglichst nahe der oberen Grenze zu halten.
Am Stadtrand von Sabaki ging er mit dem Tempo ein wenig herunter. Hier kauerten sich die üblichen blechgedeckten Lehmhütten in den Schatten der neuen, hohen, sehr nüchternen Wohnblocks. Beide Bürgersteige wimmelten von Menschen. Die neuen Geschäfte waren groß und hatten breite Schaufenster, darüber strahlende Neonzeichen – und doch schienen die vertrauten kleinen Lädchen und Marktstände, die Hartford in den Seitenstraßen erblickte, mehr Zulauf zu haben.
Der Wagen bog von der Hauptstraße ab, fuhr leise surrend durch eine schmale Gasse und dann eine ebenso schmale Zufahrtstraße entlang, bis er schließlich am Seiteneingang eines gedrungenen, aus weißem Stein errichteten Gebäudes hielt, das für Hartford den ersten erkennbaren Orientierungspunkt bedeutete.
Das Regierungsgebäude war gerade erst drei Monate alt gewesen, als er es zuletzt gesehen hatte. Im Vergleich zu seiner Umgebung wirkte es jetzt beinahe anheimelnd altmodisch.
Lieutenant Chiba stieg aus, wartete auf Hartford und führte ihn dann in das Gebäude. Eine Askari-Wache in Khaki-Uniform nahm Haltung an, als die beiden vorübergingen. Chiba erwiderte den Gruß des Soldaten mit einer lässigen Handbewegung, dann führte er Hartford den Korridor entlang zum Lift. Sie betraten die Kabine, Chiba drückte auf den obersten Knopf, und der Lift summte nach oben.
»Sie wissen inzwischen sicher, wer Sie erwartet?«
Hartford nickte und setzte sein undurchdringlichstes Pokergesicht auf. Er hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, dass diese Begegnung früher oder später stattfinden musste, aber später – viel später – wäre ihm lieber gewesen.
Der Yabanzani beobachtete ihn aufmerksam und war sichtlich enttäuscht, als Hartford sich keinerlei Reaktion anmerken ließ. Bevor er noch Zeit zu einer weiteren Bemerkung hatte, glitten die Türen des Lifts auf, und sie traten hinaus auf einen hochglanzpolierten Parkettfußboden.
An der nächsten Tür hielt ein Askari-Sergeant mit einer Maschinenpistole über der Schulter Wache. Er trat wortlos beiseite, während Chiba auf einen Knopf in der Wand drückte.
Ein leises Summen war zu hören, dann öffnete ein verborgener Mechanismus die Schiebetür. Chiba trat zurück.
»Wollen Sie bitte eintreten, Mr. Hartford? Wir sehen uns später wieder – ganz bestimmt.«
Hartford sagte mit säuerlicher Miene: »Danke«, dann trat er ein, und die Tür glitt hinter ihm leise klickend ins Schloss.
»Sie sind also gekommen, Robert. Das freut mich. Willkommen in Yabanza.«
Trotz der veränderten Umgebung war die vertraute Stimme dieselbe geblieben. Rionga Shibaru saß klein und gedrungen, mit dem alterslosen Gesicht des Berufspolitikers, hinter der riesigen glasbedeckten Fläche eines schweren Mahagonischreibtisches, der den Raum völlig beherrschte. Er deutete mit seiner sorgfältig manikürten Hand auf den lederbezogenen Besuchersessel ihm gegenüber. Bei dieser Bewegung spannte sich für einen Augenblick das weiße Leinen seines Schneideranzugs und ließ die Ausbuchtung eines Schulterhalfters erkennen.
»Hatten Sie eine gute Reise?«
»Ich habe die meiste Zeit geschlafen«, antwortete Hartford gleichmütig. Es war eine Lüge.
Der Raum war groß und ganz mit einem dicken Teppich ausgelegt. An einer Wand summte leise die Klimaanlage, darüber prangte eine Karte der Republik Yabanza, auf der die Landesgrenze in leuchtendrosa Farbe eingetragen war.
Als Hartford den Afrikaner zuletzt gesehen hatte, lag dieser auf dem gestampften Erdboden einer Eingeborenenhütte, rauchte eine selbstgedrehte Zigarette und überlegte sich, ob man ihn wohl vor oder nach Mitternacht erschießen würde. Diese Überlegung war offenbar wichtig für Shibaru gewesen; denn der nächste Tag war sein vierzigster Geburtstag.
Das Glück blieb ihm treu. Die Leute, die ihn gefangengenommen hatten, erschossen ihn nicht, sondern verhalfen ihm stattdessen zum Amt des Ministerpräsidenten. Wenn irgendwo ein neuer Staat aus der Taufe gehoben wird, können die seltsamsten Dinge passieren.
Zuerst regierte Shibaru sechs Monate inmitten von Schrecken und blutigen Auseinandersetzungen, dann folgte ein Jahr des Friedens und des Wohlstands mit Hilfe der Vereinten Nationen; so gelang es dem Ministerpräsidenten, den Deckel fest auf einen brodelnden Topf zu drücken. Trotz aller inneren Spannungen hielt sich das Blutvergießen jetzt in vertretbarem Rahmen. Er war der Boss, und selbst die Wasserleitungen in den Hotels funktionierten wieder.
»Setzen Sie sich bitte.« Shibaru spielte mit einem Brieföffner aus Elfenbein und wartete, bis sein Besucher ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Es muss für Sie ein seltsames Gefühl sein, wieder hierher zurückzukehren. Sind Sie immer noch wütend auf mich?« Er lächelte. »Es wäre nur zu natürlich.«
Hartford verzog ein wenig das Gesicht, dann zuckte er die Achseln. »Ich bin mit einer bestimmten Aufgabe hierhergekommen. Alles Übrige möchte ich lieber vergessen.«
Die Firma Anglo-Norge Chemicals hatte ihm für die Rückkehr nach Yabanza ein Monatsgehalt von vierhundert Pfund geboten. Er sollte hier geeignete Gebiete ausfindig machen, in denen sich das Buschwerk durch Bulldozer roden ließ und wo man mit Erfolg Sisal anpflanzen konnte. Aus Sisal lassen sich nicht nur Seile machen und Teppiche herstellen, sondern die Pflanze enthält auch Hekogenin, das Ausgangsmaterial für Cortisonpräparate.
»Sie haben Ihre Aufgabe, ich die meine«, sagte Shibaru mit einem gut berechneten Seitenblick. Für die beiden Männer gab es manches an gemeinsamen Erinnerungen. Fünf Jahre sind im Leben eines Menschen eine nicht unbeträchtliche Zeitspanne.
Es hatte mit Hartfords Ernennung zum Administrator des dreihundert Quadratmeilen großen Territoriums Yabanza begonnen. Das Kolonialministerium hatte ihn nach seiner zweiten Amtszeit in Uganda nach hier versetzt. Andere Stämme, andere Vorschriften – sonst änderte sich grundsätzlich wenig an seiner Aufgabe. Sein Assistent war ein Afrikaner, der in London studiert hatte, wenige Jahre älter als er selbst – Rionga Shibaru. Zwei Jahre lang kamen sie sehr gut miteinander aus, während Shibaru tagsüber in den Diensten der Kolonialverwaltung stand und abends sich zu einem prominenten Lokalpolitiker mauserte. Das gefiel dem Gouverneur in Sabaki nicht, und so wurde Shibaru von seinem Posten entbunden. Er begab sich sofort in die Arena der politischen Agitation.
In absehbarer Zeit war zwar ohnehin mit der Unabhängigkeit des Landes zu rechnen, aber Shibarus Partei, die sich New Democratic Congress – NDC nannte, hielt es für richtiger, diesen Prozess ein wenig zu beschleunigen.
Verdächtig war, dass Hartford etwa zum Zeitpunkt von Shibarus Entlassung ins Nordterritorium abkommandiert wurde, einem Landstreifen, der wie ein schmaler Finger von Yabanza nach Norden ragte. Dieses wilde, nutzlose, kaum besiedelte Land besaß pro Quadratmeile fast ebenso viele Termitenhügel wie Menschen. Hartford verbrachte dort zwei Jahre, und seine einzige Verbindung zur Außenwelt bildeten ein Transistorradio und die einmal monatlich eintreffende spärliche Nachschublieferung. Als er schließlich in den Süden zurückversetzt wurde, stellte er fest, dass Shibaru sich inzwischen zum Haupt des NDC aufgeschwungen hatte.
Das Datum für die Unabhängigkeitserklärung war bereits festgesetzt, und die britischen Verwaltungsbeamten hatten die Möglichkeit, das Land zu verlassen und die ihnen gebotenen Pensionen und sonstigen Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Robert Hartford blieb jedoch Shibaru zuliebe im Land und war als neuernannter Berater für Angelegenheiten des Nordterritoriums bei der ersten, aus Afrikanern bestehenden provisorischen Regierung einer der wenigen Europäer im Rang eines Staatsbeamten.
Zwei Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung kochte der Topf über. Vier Tage lang erschütterten Aufruhr, bewaffnete Zusammenstöße, Brandstiftungen das ganze Land, und nur ein glücklicher Zufall führte Hartford zu der Hütte, in der Shibaru als Gefangener der rivalisierenden Partei, der Freedom Agriculture Union – FAU, lag. Die Union hatte vierundzwanzig Stunden zuvor eine Regierung gebildet, die zwar nur auf sehr schwachen Füßen stand, die aber mehr oder weniger legal Shibarus Hinrichtung verfügen konnte.
Aber Hartford setzte sich mit der geringen Autorität, die ihm immer noch zur Verfügung stand, für Shibaru ein, erreichte seine Begnadigung, und noch am Ende derselben Woche kam der NDC an die Macht. Rionga Shibaru wurde als Ministerpräsident vereidigt.
Genau eine Stunde nach der Vereidigung erschien ein Beamter bei Hartford, ließ ihm dreißig Minuten zum Packen, fuhr ihn zum Flughafen Sabaki, der damals nur aus einem Landestreifen von Drahtmatten bestand, und beförderte ihn in die nächste Maschine. Mr. Robert Hartford wurde auf persönliche Anweisung des Ministerpräsidenten wegen unberechtigter Einmischungen in die inneren Angelegenheiten von Yabanza ausgewiesen.
»In der Politik ist es manchmal nötig, Opfer zu bringen.« Shibaru streckte die Hand aus, klappte den Deckel einer silbernen Zigarettendose zurück und schob sie Hartford zu. Der schüttelte den Kopf. Der Politiker bediente sich und zündete sich die Zigarette mit einem passenden silbernen Tischfeuerzeug an. Er nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch aus und fuhr fort: »In Ihrem Fall, Robert, blieb mir keine andere Wahl.« Er gebrauchte den Vornamen behutsam, als wolle er damit einen Abgrund überbrücken. »Sie haben mir zwar das Leben gerettet, aber wenn ich mich als Ministerpräsident halten wollte, brauchte ich die Unterstützung der FAU. Sie gehörten mit zu dem Preis, den ich dafür bezahlen musste.«
Hartfords Lippen zuckten, aber er schwieg. Der schamlose Opportunismus seines Gegenübers machte ihn sprachlos. Sekundenlang war das unermüdliche Summen der Klimaanlage das einzige Geräusch im Raum.
»Ich wusste, dass ich Yabanza nicht gegen den Willen der Union regieren konnte.« Shibaru zog wieder an seiner Zigarette. »Ich brauchte die Macht, weil die einzig mögliche Alternative das Land ins Unglück gestürzt hätte. Dass Sie weiß sind und ich schwarz, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Ich hätte genauso gehandelt, wenn Sie mein Vater oder mein Bruder gewesen wären.« Er erhob sich und reckte seine zu kurz geratene Gestalt.
Hartford sah ihn an, bemerkte weder Bedauern noch Verlegenheit und knurrte ärgerlich: »So. Nun haben Sie mir alles gesagt, und damit soll alles vergessen und vergeben sein, wie?«
Shibaru blinzelte. »Das ist nicht unbedingt erforderlich. Mir persönlich wäre es allerdings lieb.« Er trat vor die Landkarte und deutete auf die sichelartige Form des Nordterritoriums.
»Der englisch-norwegischen Firmengruppe wurde das Recht eingeräumt, dieses Gebiet nach möglichen Sisal-Konzessionen zu durchforschen. Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wie es Ihrer Firma möglich war, für Sie ein Einreisevisum zu bekommen?«
»Da hatten Sie vermutlich die Hand im Spiel«, sagte Hartford zynisch.
Shibaru nickte knapp. »Ich habe der Firma vor zwei Wochen die Rechte zur Erkundung dieses Gebiets unter der Bedingung eingeräumt, dass Sie das Projekt leiten. Die Anglo-Norge Chemicals hatte eine Frist von vierzehn Tagen, Sie zu diesem Zweck nach Yabanza zu schaffen, sonst wäre der Anspruch abgelaufen. Ich wollte Sie hier haben, weil ich Ihre Hilfe brauche.«
Geht es um Sisal?, überlegte Hartford. Er glaubte es nicht, obgleich die seltsame stachelblättrige Pflanze, die, zunächst nur wegen ihrer Fasern geschätzt, ein überall in der Welt verlangter afrikanischer Exportartikel geworden war. Früher bestand ihr Wert nur in den Pflanzenfasern, aber heute ist das schleimige, grüne Abfallprodukt, das nach der Fasergewinnung übrigbleibt, von viel größerem Wert. Cortison, die Wunderdroge gegen Rheumatismus, Arthritis und ungezählte andere Krankheiten, wurde früher aus Ochsengalle hergestellt, bis die Chemiker dahinterkamen, dass es viel billiger war, das zur Cortisonherstellung erforderliche Hekogenin dem einstigen Abfall zu entziehen. Jetzt trocknen die Fabriken die klebrige, grüne Masse in feste Scheiben. Sisalfasern stehen heute eigentlich an zweiter Stelle.
Schön, es ging also vielleicht um eine große Sache. Aber so groß war sie auch wieder nicht, um Shibarus Verhalten zu rechtfertigen. Mit einem nichtssagenden Lächeln beugte sich Hartford vor, bediente sich aus der silbernen Dose und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich habe vor etwa achtzehn Monaten den Entschluss gefasst, keinem Menschen mehr zu helfen. Das ist zu teuer, Herr Ministerpräsident.«
Shibaru spürte den Stich. Seine Geduld war erschöpft. Er schlug mit der Faust gegen die Landkarte.
»Der Teufel soll Sie holen für Ihre alberne mtundu, Robert! Ich kann Ihr Einreisevisum immer noch für ungültig erklären, und Sie wissen genau, was das bedeutet. Die Anglo-Norge würde Sie automatisch entlassen. Das wäre sehr unangenehm. Sie wissen das aus eigener Erfahrung.«
Hartford wusste es. Erfahrung im Kolonialdienst war kein sehr schwerwiegendes Argument, wenn man in London einen Job suchte. Als ihm die Anglo-Norge das Angebot machte, konnte er sich gerade mit Mühe in einer Exportagentur behaupten.
Shibaru ließ einen unwilligen Seufzer hören. »Tut mir leid, aber hier geht es um eine Sache, wo ich kämpfen muss, und Sie sind eben die Waffe, die ich mir gewählt habe. Wenn Sie mir nicht helfen, dürfte Yabanza in drei Monaten eine neue Regierung haben, die aus Narren besteht – aus gefährlichen Idioten.« Er hielt inne und drückte wütend seine Zigarette in einem Aschenbecher aus. »Wenn ich gestürzt werde, wird in Yabanza wieder Blut fließen. Unter meinem Regime gibt es Bereicherung und Bestechung, und einige Leute werden an Orten festgehalten, die Ihr Briten höflich Internierungslager nennt. Aber ich bin immerhin dabei, aus Yabanza schrittweise eine mündige Nation zu machen. Wenn diese anderen Dinge zum Übergangsstadium gehören, wenn ich gezwungen bin, von anderen gehasst oder angezweifelt zu werden, so bin ich das eben. Auf den Erfolg kommt es an und nicht auf die Mittel.«
»Und was geschieht, wenn Ihr ganzer Verein hinausgeworfen wird?« Wider Willen empfand Hartford fast so etwas wie Verständnis für diesen Mann.
»Ajuwa nani – wer weiß?« Der Afrikaner zuckte die Achseln. »Schlimmstenfalls komme ich ins Gefängnis. Die UNO hat die Erschießung von Ex-Ministerpräsidenten aus der Mode kommen lassen. Nein, wichtig ist nur, dass ich das geringere Übel bin. Wenn Sie nicht bereit sind, mir zu helfen, entfesseln Sie das größere Übel.« Er schob die Lippen vor. »Es liegt alles bei Ihnen.«
Hartford betrachtete die Tischplatte. Die hochglanzpolierte Oberfläche spiegelte seine verbitterte, aber nachdenkliche Miene wider.
»Was wollen Sie denn von mir?«
Rionga Shibaru atmete erleichtert auf, legte den Schalter eines eingebauten Sprechgerätes herum und bellte: »Chiba – sasa!«
Im gleichen Augenblick trat der junge Lieutenant ein, schloss die Tür leise, aber energisch hinter sich und warf seinem Chef einen raschen, fragenden Blick zu.
»Mr. Hartford zeigt sich interessiert.«
Das breite Grinsen auf Chibas Gesicht war Antwort genug. Es wurde noch breiter, als er sich Hartford zuwandte.
»Sie wollen Einzelheiten wissen, Robert.« Shibaru zog eine Schublade heraus, entnahm ihr eine kleine Blechdose und schob sie Hartford zu. »Fangen Sie einmal damit an.«
Hartford griff nach der Dose und betrachtete sie.
»Nein, es geht nicht um die Dose«, rief Shibaru ungeduldig, »es geht um den Inhalt.«
Hartford öffnete den Behälter. Weich gebettet auf einer Lage von leicht antiseptisch riechender Watte lagen vier Münzen. Es handelte sich um Mariatheresientaler, die Goldmünzen, die im Mittleren Osten und einem großen Teil Afrikas immer noch gängige Währung waren. Maria Theresia, die Kaiserin von Österreich, war zwar schon 1780 gestorben, aber ihre Währung befand sich immer noch im Umlauf und war so fest eingeführt, dass die Königlich Britische Münze diese Taler immer noch prägte und sie immer noch mit der Jahreszahl 1780 versah.
»Na und?« Hartford roch noch einmal an der antiseptischen Watte, nahm eine der Münzen heraus und betrachtete sie eingehender.
»Der Mann, der diese Münzen bei sich hatte, starb an Pocken«, erklärte Chiba im Plauderton und rieb sich dabei mit der Hand über sein pockennarbiges Gesicht. »Ein furchtbarer Tod. Die Seuche hat unser ganzes Dorf ausgerottet, als ich noch ein Junge war, und die meisten von uns starben daran.«
Shibaru ließ erkennen, dass ihm die Abschweifung nicht behagte. »Bemerken Sie etwas Ungewöhnliches an den Münzen? Es waren noch mehr vorhanden. Insgesamt fünfzig.«
»Die Münzen sehen echt aus, wenn auch schon etwas angelaufen.«
»Sie sind echt«, warf Chiba ein.
Hartford drehte die Münze um. »Auf dieser Seite ist sie überstempelt, übrigens recht ungeschickt. Das muss eine Art Symbol sein.«
»Das Zeichen stellt einen Blitz dar«, sagte Shibaru hart. »Der Blitz ist das Symbol der Freedom Agriculture Union. Aber dieses Zeichen ist älter. Es ist der heilige Blitz von Ungara, dem letzten König von Yabanza.«
»Dem Bewahrer der Trommel, dem Enkel von Kubami, der einst den größten Teil von Ost- und Zentralafrika regierte!« Hartford stieß einen Pfiff aus. »So alt ist sie also.«
Ungara war der Herrscher in Yabanza, als die Briten nach 1880 ins Land kamen. Sie kamen mit dem Vorwand, dass Yabanza ein wichtiges Zentrum des Sklavenhandels sei. Ungara hatte in schöner Unvoreingenommenheit sowohl seine eigenen Untertanen als auch Gefangene von Überfällen auf das benachbarte Uganda und andere umliegende Territorien verkauft. Es war aber andererseits auch die Zeit, in der überall der Kolonialimperialismus aufblühte.
»Yabanza war das letzte unabhängige Überbleibsel von Kubamis altem Königreich Kifara«, erinnerte Shibaru. »Ungara war ein großer Kämpfer, aber er wurde geschlagen und musste sich ins Nordterritorium zurückziehen.«
»Und dort wurde er dann gefangengenommen und getötet.« Hartford nickte.
»Mit Bajonetten erstochen«, ergänzte Lieutenant Chiba. »Und zwar von einem Askari aus Uganda, dessen Frau auf dem Sklavenmarkt gelandet war.«
»Ich erzähle die Geschichte«, fuhr Ministerpräsident Shibaru verärgert dazwischen. »Setz dich irgendwo hin und halt den Mund, du kommst auch noch dran.«
Ein wenig beschämt setzte sich Chiba auf die vorderste Kante eines Stuhls und machte ein ernstes, unterwürfiges Gesicht.
»Ungara floh nach Norden. Er nahm kaum mehr mit als eine Hand voll Krieger, ein paar von seinen Frauen und einen Teil seines Staatsschatzes. Diese Münzen zum Beispiel.« Shibaru deutete auf das Kästchen. »Es gehörte zu seinen kleinen Vergnügungen, den Münzen aus seinem Staatsschatz das Zeichen des Blitzes aufzuprägen. Von Zeit zu Zeit tauchen immer noch solche Blitztaler auf. Aber noch nie zuvor hat man auf einmal fünfzig derartige Geldstücke, alle gleichmäßig verwittert, in der Tasche eines einzigen Mannes gefunden. Ungara hatte seinen Schatz vor dem letzten Kampf versteckt. Nach der Schlacht waren alle tot, die das Geheimnis kannten.«
»Und dieser Mann, der an den Pocken starb, kam aus dem 16. Nordterritorium?« Hartford legte den Taler in die Dose zurück. Den Rest der Geschichte konnte er sich beinahe zusammenreimen. »Sie glauben also, jemand hat den Schatz entdeckt? Ist das der Grund der ganzen Aufregung?«
»Das Geld? Das Geld ist unwichtig«, fuhr Shibaru dazwischen. »Sie haben Ungara den Bewahrer der Trommel genannt. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Hartford schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, darüber weiß ich nicht viel. Ich erinnere mich noch an eine heilige Trommel...«
»Ngoma ya Tembo – die Elefantentrommel, die Königstrommel von Kubami«, erklärte der Ministerpräsident in verändertem Ton. Er zündete sich eine neue Zigarette an, drückte sie nach dem ersten Zug schon wieder aus und ging hinüber zu der Landkarte. »Ungara nahm die Trommel bei seiner Flucht mit nach Norden. Zusammen mit seinem Staatsschatz versteckte er auch die Elefantentrommel, die Königstrommel, das Symbol und heiligste Besitztum der alten Königswürde, ein...« Er schluckte, als blieben ihm die Worte im Halse stecken, und fuhr dann fort: »Einen sehr mächtigen Fetisch, Robert. Die Trommel und das Blitzsymbol waren damals dasselbe. Nach der Legende hat der Herrscher des alten Königreichs die Trommel vom Himmel erhalten, sie wurde ihm auf einem Blitzstrahl geschickt. Das ist zwar nur eine dumme, primitive Legende, aber wenn heute jemand diese Trommel vorweisen und gleichzeitig seine Abstammung von Ungara glaubhaft machen könnte, so würde er über Nacht die Macht in Yabanza erlangen. Vielleicht nicht in den Städten, aber draußen in den Dörfern, im Urwald und an den Seen.«
»Und die FAU benutzt den Blitz als ihr Symbol?« Endlich erkannte Hartford klar und deutlich das Spiel, dem er sich anschließen sollte. Er rutschte in seinem Sessel hin und her und wandte sich wieder Shibaru zu. »Sie sagten vorhin, Sie könnten in drei Monaten Ihr Amt verlieren. Das bedeutet doch, dass Wahlen bevorstehen, nicht wahr?«
Die Lippen des Ministerpräsidenten verzogen sich für einen Augenblick. Er nickte zustimmend. »Solche Dinge kann man heutzutage nur für eine begrenzte Zeit aufschieben.«
So war das also! Yabanza hatte ebenso wie andere unterentwickelte Länder unter seinen Wählern einen hohen Prozentsatz von Analphabeten; deshalb konzentrierte sich die Wahlpropaganda auf die Parteisymbole. Am Wahltag steckten die Bewohner der abgelegenen Gegenden ihren Stimmzettel in den Kasten, der mit dem Symbol ihrer Partei versehen war, weil der gedruckte Name eines Kandidaten der Masse der Eingeborenen kaum etwas sagte. Hartford zog eine Grimasse. War die Trommel vorhanden, so brauchte die FAU nur noch eine Kleinigkeit, um den schwarzen Kranich, das Symbol von Shibarus NDC, mit ihrem Blitz zu zerschmettern.
»Ist die FAU denn in der Lage, so kurzfristig einen von Ungaras Nachkommen aufzutreiben?«
»Sie haben ihn bereits.« Shibaru schnaufte verächtlich. »Es ist Osman M’Gambi, ihr Präsident, ein ehrwürdiger, graubärtiger alter Narr, aber eben eine Figur, die sehr geschätzt wird. Mit M’Gambi allein werde ich fertig, aber M’Gambi und die Elefantentrommel...«
»Dann wäre es für Sie wohl das klügste, rasch über die Grenze zu verschwinden.« Hartford nickte. Er betrachtete die Taler auf ihrer Watteunterlage. »Sie glauben, der Mann, der diese Mariatheresientaler gefunden hat, hätte auch die Trommel entdeckt? Könnte sie dann nicht schon im Besitz der FAU sein?«
»Nein«, antwortete Shibaru entschieden. »Wenn es in dieser Richtung auch nur ein Gerücht gäbe, hätte ich es längst erfahren.« Er deutete mit seinem kräftigen Stummelfinger auf das Nordterritorium. »Die Trommel befindet sich irgendwo in diesem Gebiet. Sie sollen sie finden, vernichten und damit dieses Symbol ein für alle Mal von der politischen Bühne verschwinden lassen. Ihre Untersuchungen erstrecken sich auch auf den Bezirk Kalaya, in dem König Ungara seine letzte Schlacht verlor. Der Eingeborene, der die Taler bei sich hatte, kam aus Kalaya. Alles Übrige bleibt Ihnen und Lieutenant Chiba überlassen. Da Sie sich in ein Gebiet begeben, in dem immer mit Schwierigkeiten zu rechnen ist, wird niemand etwas dabei finden, wenn einer kleinen Gruppe von Privatleuten eine bescheidene Militäreskorte mitgegeben wird – unter Chibas Führung. Er kennt das Gebiet. Er ist der Vetter meiner Frau...«
»Und warum tut er es dann nicht selbst?«, warf Hartford ein. »Auf diese Weise bliebe die Sache doch in der Familie.«
Er sah, wie unangenehm dem Lieutenant diese anzügliche Bemerkung war, aber Shibaru behandelte sie wie eine ganz normale Frage.
»Ich möchte, dass das ein Europäer übernimmt, und zwar ein Europäer, der bekanntermaßen einen Groll gegen mich hegt. Wenn irgendetwas schiefgeht, wenn Sie beispielsweise von der FAU beim Zerschlagen der Trommel erwischt werden, kann ich dann immer noch sagen, ich wüsste nichts von der Angelegenheit und hätte der Anglo-Norge nur einen Gefallen erweisen wollen, als ich Ihnen wieder die Erlaubnis zum Betreten des Landes gab, und Ihre Handlungsweise sei eben vom Hass bestimmt. Diese Behauptung hätte gute Aussicht, geglaubt zu werden. In diesem Falle müssten Sie natürlich des Landes verwiesen werden, und ich müsste die Konzession der Anglo-Norge aus prinzipiellen Gründen zurückziehen. Außerdem würden die Westdeutschen uns ohnehin mehr bezahlen.«
»Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir erwischt werden, Mr. Hartford«, bemerkte Chiba zuversichtlich.
Shibaru wischte den Einwand mit einer unwilligen Handbewegung beiseite. »Es würde sich natürlich um eine strikt geschäftliche Abmachung handeln. Wenn Sie zustimmen, werden unverzüglich 20.000 amerikanische Dollar auf Ihr Schweizer Bankkonto überwiesen. Falls Sie die Elefantentrommel finden und zerstören, erhalten Sie weitere 20.000 Dollar.«
Insgesamt also 40.000 Dollar – ungefähr 16.000 englische Pfund – das ist schon ein recht überzeugendes Argument. Und die Risiken?
»Weiß die FAU etwas von diesen Münzen?«
»Ich habe meine Spione, sie haben die ihren«, sagte Shibaru ausdruckslos. »Vielleicht wissen sie es, vielleicht auch nicht. Ihr Parteikomitee hat nichts erfahren, aber man muss immer mit Gebel rechnen.«
»Gebel?«
»Ihrem Parteisekretär.« Shibarus Miene wurde hart. »Wegen Gebel trage ich diese Waffe.« Er klopfte sich an das Schulterhalfter. »Ich glaube zwar nicht, dass er ganz so weit gehen wird. Er ist verantwortlich für die Agitatoren der FAU, er besorgt das Geld, und – dafür gibt es allerdings keine Beweise – er leitet außerdem das Exekutionskommando. Man kann ihn nicht fassen, er hält sich gut im Hintergrund.« Shibaru warf einen Blick auf seine schwere goldene Armbanduhr. »Robert, werden Sie das für Yabanza tun?«
»Ich werde es für 40.000 Dollar tun«, berichtigte Robert. »Mit telegraphischer Bestätigung der ersten Rate.« Er erhob sich und zögerte, als er Shibarus ausgestreckte Hand sah. Dann verabschiedete er sich mit einem kurzen, förmlichen Händedruck und ging auf die Tür zu, durch die er eingetreten war. Da kam ihm plötzlich noch ein Gedanke, und er blieb stehen. »Könnte die FAU nicht eine gefälschte Trommel unterschieben?«
Der Ministerpräsident von Yabanza schüttelte ganz entschieden den Kopf.
»Sie hätten sich mehr mit der Geschichte unseres Landes befassen sollen, als Sie im Norden waren, Robert. Die Ngoma ya Tembo ist ein Naturwunder, wie es vielleicht in einer Million Jahren nicht mehr vorkommen wird. Sie besteht aus dem ausgehöhlten Stoßzahn eines Elefantenbullen, aber es handelt sich dabei um einen Stoßzahn, wie man ihn seitdem nie wieder gesehen hat. Sie haben doch auch Elefanten gejagt; wie dick war der größte Stoßzahn, den Sie dabei zu Gesicht bekommen haben?«
Hartford runzelte die Stirn. »Hier war der längste knapp drei Meter. Ich habe gehört, dass sie bis zu vier Meter lang werden können, und im Britischen Museum habe ich einmal einen Stoßzahn gesehen, der war etwas über drei Meter lang und wog runde zwei Zentner.«
»Und der Umfang?«
»Nun, sagen wir etwa fünfzig bis sechzig Zentimeter an der Wurzel. Warum?«
»Die echte Elefantentrommel besteht aus einem Stoßzahn, der nur knapp über einen Meter lang ist, aber einen Umfang hat wie der Gürtel eines Kriegers – das ist zumindest die von alten Liedern überlieferte Beschreibung. Der Umfang müsste demnach gut einen Meter betragen. Das ist kein normaler Stoßzahn mehr.«
»Lieder ändern sich manchmal im Laufe der Zeit«, sagte Hartford und öffnete die Tür. Lieutenant Chiba folgte ihm auf den Fersen. »Aber wenn Sie recht haben, dann dürfte der betreffende Elefant sich ziemlich elend gefühlt haben. Und, Herr Ministerpräsident, vergessen Sie die telegraphische Bestätigung nicht.«
Er verließ, gefolgt von Chiba, das Büro, und die Tür schloss sich hinter ihm.
Als Shibaru wieder allein war, blieb er einen Augenblick stehen und kaute mit seltsam besorgter Miene auf seiner Unterlippe herum. Schließlich öffnete er die oberste Schreibtischschublade, stellte die Dose mit den vier Münzen wieder an ihren Platz und nahm den Zettel mit der flüchtig hingekritzelten Mitteilung heraus, die er zehn Minuten vor Hartfords Ankunft erhalten hatte. Es waren die typischen Schriftzeichen, wie man sie in der Missionsschule lernt. Die Mitteilung stammte von einem Mann aus dem FAU-Komitee, der Shibaru aus finanziellen Gründen auf dem Laufenden hielt.
Gebel war unterwegs nach Norden. Der Parteisekretär der FAU war in geheimer Mission abgereist.
Behutsam schloss Shibaru die Schublade wieder.
Zweites Kapitel
»Mr. Hartford!« Lieutenant Chiba fiel in Trab, um das Tempo seines langbeinigen Schutzbefohlenen mithalten zu können, der eilig auf den Lift zuging. »Ich möchte Sie gern ins Hotel fahren. Das ist nicht weit, aber wir können uns unterwegs unterhalten.« Er sah fragend zu Hartford auf und wurde sich des kühl abschätzenden Blicks aus den scheinbar schläfrigen Augen bewusst.
»Ist mir auch recht«, sagte Hartford trocken, aber ohne Schärfe. »Vielleicht können Sie mir sogar sagen, wo ich wohne?«
»Im Merville-Hotel, Zimmer 23.« Der Afrikaner drückte am Lift auf den Knopf. »Batley, der hiesige Agent Ihrer Firma, hat das Hotelzimmer für Sie reservieren lassen. Sie kennen ihn?«
Hartford schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Nur dem Namen nach.«
Der Lift summte leise nach unten und kam mit sanftem Ruck im Erdgeschoss zum Stehen. Einen Augenblick später verließen sie das Regierungsgebäude und gingen an der Askari-Wache vorbei zu dem geparkten Chevrolet.
Wieder setzte Chiba vor dem Losfahren seine Sonnenbrille auf, dann ließ er den Motor an und legte den ersten Gang ein. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, wandte er sich halb seinem Mitfahrer zu. »Mr. Hartford, ich möchte, dass Sie etwas verstehen. Rionga Shibarus Frau ist meine Cousine, und ich verdanke ihm viel. Aber es geht um mehr – dieses Land braucht ihn, und ich stehe auf seiner Seite.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Hartford leichthin. »Wieviel andere wissen noch Bescheid?«
»Nur wenige. Es ist besser so.« Chiba konzentrierte sich für ein paar Sekunden auf das Fahren. Er hielt am Ende der schmalen Seitenstraße an, schob sich dann zollweise auf die vielbefahrene Hauptstraße hinaus und bahnte sich mit gellender Hupe einen Weg durch die gleichmäßige Herde von Fußgängern.
»Shibaru sagte, Sie kennen das Nordterritorium.«
Chiba nickte und behielt die Straße im Auge. »Ich kenne es. Als junger mtoto habe ich dort gelebt. Mein Vater war im Buschland, nicht weit von Kalaya entfernt, einer der wenigen Elfenbeinjäger, die sich von den Briten nie erwischen ließen. Er verkaufte die Stoßzähne an arabische Händler, kaufte dafür Rinder, verkaufte die Rinder wieder für neue Stoßzähne und hatte dann, als die Elefanten davonzogen, genug Geld, um uns nach dem Süden zu bringen und in Sabaki eine Bierhalle zu eröffnen. Hier lernte er Taxifahren –
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Bill Knox/Apex-Verlag. Published by arrangement with Shelley Morrison, Literary Agent.
Bildmaterialien: N. N. /Apex-Graphixx.
Cover: N. N. /Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Norbert Wölfl (OT: Drums Of Power).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2020
ISBN: 978-3-7487-5851-8
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